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10. Kapitel. Aus dem Mietskontor.

»Toni, wo rennst du denn bloß schon wieder hin? Ewig bist du unterwegs! Wenn ich schon 'mal einen Nachmittag zu Hause bin, dann thu mir doch den Gefallen, und widme dich mir! Wozu habe ich denn geheiratet?« – stöhnte Herr Kern und drehte sich mit dem Schreibtischstuhl um. Seine Gattin stand vor dem Spiegel und legte den Schleier vor: »Du hast doch noch vier Briefe zu schreiben!« – »Ja; aber mit denen bin ich doch in einer Stunde fertig!« – »Bis dahin bin ich längst zurück!« – »Wohin gehst du denn?« – »Nur schnell zu Frau Primke, meiner Mietsfrau!«

»Allerbarmer!« – schrie Kern und sprang auf. – »Schon wieder zieht eine?« – »Nein, nicht eine, teuerster Freund, sondern beide!« – entgegnete sie spitzig. – »Das geht nicht mehr, wahrhaftig, Toni, das geht nicht!« – schrie er noch einmal. – »Warum nicht, wenn ich fragen darf?« – meinte sie kampfbereit. – »Weil du 'rum bist! Alle haben in den sechs Jahren unserer Ehe schon bei uns gedient! Du findest keine neue mehr!« – sagte er lachend. – »Laß die Witze, Hugo, ich bitt' dich!« – versetzte Frau Kern darauf nervös. – »Ihr Männer geht früh in das Geschäft, kommt mittags an den gedeckten Tisch, abends wieder, dann legt ihr euch in das gemachte Bett! Wir nehmen euch die tausend kleinen, quälenden Sorgen ab. Wir quälen uns mit diesen Frauenzimmern den Tag über herum! Was ahnt ihr denn von den ekelhaften Kleinigkeiten, die sich täglich in den Haushaltungen hinter den Coulissen abspielen?« – Er umarmte sie zärtlich: »Sollte meine Maus nicht etwas nervös und kribblig sein?«

»Ich versichere dir, Hugo, ich war es nicht. Ich hatte Geduld, Menschenliebe und die besten Vorsätze. Meine schöne Fremdenstube räumte ich den Mädchen ein! Ich gebe ihnen Badebillets, schicke sie zweimal im Winter ins Theater, erlaube ihnen wöchentlich je einen freien Nachmittag. Kurz, ich thue meinerseits alles Menschenmögliche! Aber, mein Ehrenwort, das hört auf! Bei dem Pack kommt man nur mit eiserner Strenge weiter. Wenig Worte in kurzem Tone und knapphalten, dabei fühlen sich die Leute und wir wohler! Ich werde von meinen Bekannten lernen. Verwöhnen hat gar keinen Zweck.« Sie umschlang den Gatten. »Hu, hu, wau, wau! Pfui, Liebling, wie kann man sich so erregen? Das lohnt wirklich nicht! Nun setz dich mal vernünftig zu deinem guten Manne auf das Sofa und beichte dir den Schmerz vom Herzen! Los!« – Er zog sie auf den Diwan und drückte sie fest an sich.

»Dabei achtzig Thaler Lohn für beide, also hundertsechzig Thaler, Trinkgelder und Geschenke!« – fuhr sie zornig fort. – »Nun hör aber, was wieder passiert ist! Also heute Vormittag erscheint eine stockfremde Dame bei mir, Emma war grade mit den Kindern im Zoologischen Garten. – – Ich wollte dir diese Sache ersparen, da du aber darauf bestehst, sollst du sie hören, sonst hältst du mich doch noch für einen Teufel!« – Er küßte sie zärtlich; aber sie entzog sich seinen Umarmungen: »Nun bitte, Schatz, sei ernst und unterbrich mich nicht. Du wirst sehen, es ist wirklich nicht lächerlich! – Also die Fremde stellt sich mir als Baronin Wolfen vor und erzählt, sie komme, weil sie das für Menschenpflicht halte. Seit vierzehn Tagen beobachtete sie Emma im Zoologischen, weil sie unsere Kleinen so reizend fand. Weißt du, warum Hans, der arme kleine Kerl, absolut nicht gedeiht? Weil unsere treue Hüterin ihm die Milch forttrinkt!« – »Ach was?« – »Ja, trotzdem sie sich doch täglich zum mitgenommenen Frühstück ein Glas Bier kaufen darf. Das Geld spart sie, trinkt Hansens Flasche leer, und steckt ihm dafür einen Lutschpropfen mit aufgeweichtem, mit Zucker bestreutem Weißbrot ins Mundchen!« – »Verfluchtes Don« – schrie Kern wütend. Die kleine Frau hatte Thränen in den Augen, als sie fortfuhr. »Und diesen Propfen bringt das Scheusal in ihr Taschentuch gewickelt mit, da ich ihn im Wagen finden könnte. Doch hör, es kommt noch besser! Fritz und Ilse müssen mit ihrem Spielzeug oder im Sande spielen. Wenn sie ungeduldig oder unartig sind, schlägt sie die Kinder so, daß alle Menschen empört sind. Sie selbst hat sich immer ihren Liebhaber hinbestellt, mit dem sie dann spazieren geht. Gestern hat sie Fritz wieder so furchtbar geschlagen und Ilse fast den Arm verrenkt! Als die armen Geschöpfe weinten, schrie sie erbittert: ›Und wenn ihr's zu Haus Papa und Mama klatscht, dann hol ich den schwarzen Mann, der frißt euch, wenn er euch totgeschlagen hat.‹ Frau Baronin hat dies selbst gehört und die argen Mißhandlungen wiederholt gesehen. Als sie Emma zur Rede stellte, war diese noch frech, so daß sie direkt nach meiner Adresse forschte und zu mir kam!«

Herr Kern tobte: »Der Person schlag ich die Knochen im Leibe entzwei! Wo ist sie, ich will sie sprechen!« – – »Ich habe sie bereits mit einem schlechten Zeugnis, in dem ich die Wahrheit sagte, rausgeworfen! Andere Leute sollen wenigstens gewarnt werden. Ich dachte, das Frauenzimmer würde mir nach dem Krach die Kinder vergiften, lieber gleich weg und zwar per Schutzmann! Hinten sitzt die Nenne, unsere Kinderfrau, die Mama mir sofort herbeischaffte, als ich ihr mein Leid klagte – – – per Telephon!« – – Erst sehr langsam beruhigte sich Kern, der ein äußerst zärtlicher Vater war. »Du armes Ding, was hast du durchgemacht! – Das sind ja niederträchtige Aufregungen!« – rief er. – »Wirst du dir nicht aber die Sache erschweren, indem du die Köchin auch rausschmeißt?« – – »Nein, denn die Elende hat es gewußt, daß Emma eine Heuchlerin war und nur vor uns das sanfte Lamm spielte! – Denke dir, Liesbeth hat mir fast die ganze letzte Wäsche mit der Waschfrau verdorben! Überall in den neuen Stücken sind Chlorflecke und große eingebrannte Löcher. Da antwortete sie mir noch frech: ›Na, wenn es Ihnen nicht paßt, waschen Sie sich Ihren Plunder allein! Mit Pusten bekomme ich die Geschichte nicht sauber. Und mir die Hände zerreiben, paßt mir nicht. Ich will so schon lange ins Geschäft gehen, wo ich doch die Abende frei habe!‹« – »Die wird sich wundern! Aber das Beste ist, du läßt sie laufen!« – – »Selbstverständlich! Mit der Esserei wär' es auch nicht mehr gegangen! Das Mädchen fraß mir einfach die Speisekammer ratzekahl leer und naschte an allem. Du weißt doch, daß sie das Prinzip hat: ›Man muß so lange futtern, als man es langen kann oder es aufstößt!‹«

»Erlaube gefälligst!« – unterbrach der Gatte geekelt den Redefluß. – »Pfui Deibel, mir wird bei dem Gedanken schon schlimm. Daher auch ihr Kaliber! Und die redet sich ein, sie wird von den paar Kröten satt, die sie im Geschäft verdient? Wohnung und Kleidung und Ernährung, ich danke! Auf anständigem Wege kaum!« – – »Will sie gar nicht, du überschätzt sie! Emma hat mir zornschnaubend noch von der Treppe her zugerufen, daß ihr schon lange unser Haus nicht mehr gepaßt habe, weil wir erlaubt hätten, daß Liesbeth täglich Ihren Schatz mit gefüttert und nachts dabehalten habe!« – –

»Prosit Mahlzeit! Also auch noch den Schmerz! Nee, Toni, Weibi, die Geschichte ist einfach zum Kugeln; darüber muß man sich nicht erregen! Wer weißt du was? Ich komme mit ins Mietskontor. Einmal habe ich den weißen Sklavenmarkt noch nicht gesehen. Zum andern habe ich einen scharfen Blick für Menschen- und Seelenkenntnis! Vielleicht helfe ich dir!« – – »Mir soll's lieb sein!« – erwiderte sie seufzend. – »Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube!« – – »Pfui, Maus, an mich?« – – »Nein, aber an meine zukünftigen Leute! Ich habe schon zu trübe Erfahrungen gemacht und trotz allem guten Willen, trotz aller Menschenkenntnis immer den Kürzeren gezogen!« – »Macht nix! Komm, Maus, in den Kampf, Torero! Versuchen wir unser Glück zu zweien!« – sagte er lachend und machte sich zum Ausgehen bereit. –

Frau Primke war eine der berühmtesten und begehrtesten »Sklaven«-Händlerinnen der Reichshauptstadt. Das Geschäft mußte sehr gut gehen, denn sie bewohnte mit ihrem Gatten eine schöne Etage in einer der besten Straßen des Westens. Auch die Primke hatte eine unheimliche Verwandlungskunst und das Talent, mit allen Menschen fertig zu werden. Sie war jeder Situation gewachsen, und ihr Tonregister unheimlich umfangreich. Von dem hochmütigst vornehmen bis zum niedrig gewöhnlichsten Sprechton stand ihr jede noch so feine Zwischenfärbung zu Gebote. – In letzter Zeit kleidete sie sich in schwarze Seide, hatte ihr eigenes Sprechzimmer und imponierte den Kunden mit äußerst zurückhaltendem, kurz angebundenem Wesen. Sie wußte ja, Herrschaften, die andere Mädchen brauchten, gab es stets in Hülle und Fülle! Die liefen ihr fast das Haus ein! – Dagegen behandelte sie jetzt die Dienenden, an denen beständiger Mangel herrschte, äußerst liebenswürdig. Vor wenigen Jahren noch hatte sie »das Gesindel einfach geduzt.« Nun ging sie doch schonender mit ihnen um, und das »Fräuleinchen« hinten, und »mein Schatz« vorn wurde üblich in den Primkeschen Räumen.

Als Herr Kern mit seiner Gattin eintrat, war gerade ein großer Zulauf von Hausfrauen, die das Primkesche Ehepaar bestürmten. »Ach, Sie, gnädige Frau, bitte, bemühen Sie sich nur in den Salon. Sie wissen ja Bescheid!« – rief die Vermieterin der guten Kundin entgegen. Die junge Frau zupfte ihrem Gatten am Arm. Er folgte ihr in das große dreifenstrige Eckzimmer, das mit roten Plüschmöbeln ausgestattet war. Jedes noch so kleine Plätzchen war ausgefüllt. Gruppen von schwatzenden und lachenden Dienstmädchen standen und saßen umher. Einige schüchterne und bescheidene Pflänzchen verhielten sich schweigsam und blickten nur still in die Runde.

Verschiedene Damen gaben sich schon eifrig dem unangenehmen Geschäft des Mietens hin. Auch Frau Kern hielt Umschau. Ihr Gatte blieb an einer Säule mit einer Hermann- und Dorotheagruppe stehen und beobachtete. Vor ihm stand eine ältere, fein und angenehm dreinschauende Fremde und sprach mit einem ruhig aussehenden Mädchen in sauberer Kleidung.

»Ihre Zeugnisse sind gut und Sie gefallen mir, mein Kind!« – sagte die Mietende. – »Wir sind nur zwei alte Leute, daher ist der Dienst leicht. Sie haben nicht allzuviel Arbeit, im Gegenteil! Also achtzig Thaler Lohn?« – – »Gewiß, gnädige Frau!«–»Na, dann gebe ich Ihnen den Mietsthaler. Hier, Dora, so mein Kind! Ich hoffe, wir werden gut miteinander auskommen. Ich hab' meine Mädchen immer acht Jahr und länger. Die letzte hat sich von mir aus verheiratet.« – Das Mädchen knixte: »Noch ein Frage, gnädige Frau, was für eine Religion haben Sie?«

»Wir sind jüdisch, Dora!« – antwortete die Gefragte. Diese Auskunft hatte eine merkwürdige Folge. Das eben so bescheidene Geschöpf machte ein freches, höhnisches Gesicht und warf dann ihren Kopf zurück: »Nee, denn nehm' Se man Ihren Dhaler, bei Juden un' Katholische zieh ich nich zu!« – – Die alte Dame wurde totenblaß. In Herrn Kern kochte es: »Aber, meine hochverehrte Frau, dann würde ich mich an Ihrer Stelle taufen lassen, ich finde den Grund stichhaltig genug!« – rief er erbittert und warf der unverschämten Person einen wütenden Blick zu, so daß sie verstummte. Die Greisin lächelte krampfhaft. »Nehmen Se mir man, Madamchen, ich zieh jerne bei Juden, da wird unsereins doch gut behandelt und kriegt gut zu essen!« – bat eine andere Magd und hielt ihr Buch hin. Die Verhandlung begann von neuem. Kern begab sich zu seiner Frau. Sie las gerade ein Buch durch. »Nun, auf der letzten Stelle waren Sie drei Jahre, das ist ein gutes Zeichen! Was war der Herr?« – – Das ganz junge Ding besann sich: »Wachtmeister!« – – »Haben Sie gekocht?« – – »Nee, die Frau!« – – »So? Was thaten Sie?« – – »Ick räumte die Stuben auf und war beis Kind!« – – »Wieviel Gehalt hatten Sie? – Das war Ihre zweite Stelle?« – – »Ja!« – – »Sie sind siebzehn Jahr, sind Sie kinderlieb?« – – »Nun ja!« – – »Also was hatten Sie an Lohn?« – – »Des jeht keinen was an! Jetzt beanspruche ich siebzig Thalers!« –

»Mehr nicht? Sie sind ja sehr bescheiden, besonders da Sie nicht kochen können!« – sagte Frau Kern. »Meenen Se, det ick keene Stelle finde? Zehne for eine!« – »Nun, so beglücken Sie nur einen anderen Haushalt. Wir sind nicht neidisch!« – fiel Herr Kern ein und zog seine bessere Hälfte weiter. Vor einem Kindermädchen mit mehreren vortrefflichen Zeugnissen, das sich auf Soxlethapparate und die gesamte Kinderpflege verstand, wurde Halt gemacht. Nach vielem Hin und Her einigte man sich auf fünfundsiebzig Thaler für den Anfang. Emma stellte eine Masse Bedingungen, die ihr bewilligt wurden. Kurz vor der festen Abmachung fragte das Mädchen: »Wieviel Kinder haben denn gnä' Frau?« – »Wir? Drei! Fünf – drei und ein Jahr!« – »Das thut mir leid! Ich jeh nur höchstens bei zwei Jöhren!«

Herrn Kerns Zähne knirschten aufeinander: »Das thut nichts!« – sagte er grimmig – »Wenn wir solch einen Schatz wie sie ins Haus bekommen, hängen wir gern unsern jüngsten Sohn auf! Sie hätten es nur gleich sagen sollen!« – Das Frauenzimmer zuckte mit den Achseln und lächelte verächtlich. – Eine andere forschte sofort, ob sie Kinderwäschewaschen müsse? So etwas übernehme sie nicht! Und noch eine weitere lehnte den Dienst ab, weil ihr der Kleinste noch zu jung sei. – Mehr Kindermädchen waren nicht in dem Zimmer. Kerns wandten sich daher nun an die Mädchen für alles, die auch kochen konnten.

»Muß ich Stiebel putzen?« – fragte die Erste sofort. – »Nein, dafür halten wir uns einen Diener, der ist zu Ihrer Verfügung und wird von Ihnen mit nur hundert Thalern jährlich bezahlt oder ist Ihnen das zuviel?« gegenfragte Herr Kern. Die zweite wollte keine Wäsche übernehmen. Die dritte verlangte ein heizbares Zimmer und Mittwoch und Sonntag Abend für ihre Vereinsbesuche. Nummer vier und fünf hatten elende Zeugnisse. Nummer sechs hatte wegen Diebstahls vier Monate gesessen und verlangte achtzig Thaler. Endlich, die siebente, welche eben aus Ostpreußen zugereist war und alles versprach und konnte, war geeignet. Sie wurde mit sechzig Thalern engagiert und erklärte sich bereit, am ersten zuzuziehen. Die stämmige Person strahlte über das ganze Gesicht. In Tilsit, ihrer Heimat, hatte sie bisher fünfunddreißig Thaler jährlich empfangen.

Kerns verließen das Gemach. Im Hinausgehen fing er noch folgende Worte auf: »Meiner hat jesagt, wir müssen der Bande man bloß ein bißken die Hölle heiß machen, dann krauchen se auf Knien hinter uns drein. Und der weiß es, denn bei ist Vertrauensmann bei de Sozialdemokraten!« – »Wenn Ihrer samt seiner Partei sich man bloß nicht verrechnet. So was soll nämlich selbst bei Sozialdemokraten vorkommen!« – sagte er zornig. – »Na, kiek doch den an! Sie, se sind wohl Jroßkaptalist?« rief die Person frech. Alle anwesenden Dienstboten lachten. Und dieses Gelächter drang ihnen bis in das Sprechzimmer der Frau Primke nach. – – Ihr Gatte war mit einigen Herrschaften in den Salon gegangen.

»Na, Frau Kern, haben Sie gefunden, was Sie suchten?« – meinte die Vermieterin. – Die Angeredete seufzte: »Nur eine Köchin! Aber wissen Sie, Frau Primke, daß die Frauenzimmer von Mal zu Mal frecher werden?« – »Ich habe meine Hand beständig in der Überziehertasche gehalten, sonst hätte ich handgreiflich werden können!« – setzte er hinzu. Die Primke ballte die Faust. Sie blickte sich um und entgegnete flüsternd: »Meinen Sie, daß ich die Kanaillen nicht auch am liebsten mit dem Rohrstock bearbeitete? Was sollen wir aber machen? Wir leben doch von ihnen, und die Konkurrenz wächst von Tag zu Tag? Und zu Ihnen als alte Kunden im Vertrauen gesagt: Wer hetzt denn die Dienstboten auf? Gerade die Damen aus Ihren Kreisen und die Damen von der Frauenbewegung! Anstatt, daß sie ihre Verbesserungen ganz geheim im Bunde mit Hausfrauen, meinetwegen Regierung und Polizei versuchen – Kuchen! – Nee, da macht man die Geschäfte öffentlich und verhetzt das dumme Volk. – – Mit der neuen Bauordnung und festen Lohnsätzen, Arbeitsstunden und so weiter, könnten sie das Doppelte erreichen, ohne die Frauenzimmer aufsässig zu machen!«

Sie schwieg und schrieb die Abmachungen in ihr Buch ein. »Sie haben ganz recht, Frau Primke! Jeder vernünftige Mensch wird Ihnen zustimmen« – erwiderte Kern. – – – »Ich als liberaler Fortschrittsmann bin gewiß für Reformen und Humanität. Zwingt uns Herrschaften zu beiden; aber für die da drin und für all die widerwilligen Arbeiter, die ihr verhetzt habt, gebt uns die Prügelstrafe wieder!« – »Bravo!« rief die Primke. Seine Gattin zupfte ihn am Ärmel: »Um Gottes willen, schweig, du sprichst dich um den Kragen!« – »Aber warum denn, Ihr Mann hat ja vollkommen recht!« – meinte die Vermieterin.

Das Ehepaar war auf der Straße. »Das ist ja alles gut und schön!« sagte sie außer sich, »aber die Nenna kann bloß ein paar Tage bleiben. Und wo bekomme ich ein Kindermädchen her?« – »Sei nur ruhig, Maus, die Sache wird gedeichselt! Von diesen Personen habe ich genug. Morgen annoncieren wir und suchen eine Kindergärtnerin, ein gebildetes Mädchen! Da wir einem solchen aber die Wäsche der Kleinen und das Aufräumen des Kinderzimmers nicht zumuten können, so wird die neue Luise unweigerlich die Stube mit übernehmen! Die Wäsche giebst Du aus dem Haus! Damit basta!«

»Vielleicht hast Du recht!« – entgegnete sie. – »Denn wenn man so nachdenkt, Hugo, – – das Dienstmädchen macht seine Arbeit, ist fertig und braucht sich um nichts zu kümmern, nicht wahr? Aber eine einzige Person bei drei lebhaften kleinen Kindern hat ein entsetzlich schweres Leben! Es ist gut, daß wir keinen so großen Verkehr haben, und ich mich soviel um mein Trio kümmern kann. Ich werde der neuen recht bei ihren Pflichten helfen. Und wenn der Junge erst im nächsten Jahre in die Schule kommt, hat sie es auch leichter! – »Das ist richtig!« – versetzte er darauf – »Ich kann sowieso die Mütter nicht begreifen, die ihre Sprößlinge so ganz in die Hände gemieteter, fremder Personen geben! Die Achtung ihrer Männer können solche Frauen gewiß nicht beanspruchen. Ich gehe sogar so weit und sage, daß sie kein Anrecht auf die Liebe der Kinder haben! Es bleibt den Müttern ja so viel freie Zeit – später, wenn die Kleinen erwachsen sind!«

»Ich wollt, ich hätte erst eine zuverlässige Person!« – seufzte sie. – »Hab keine Angst. Maus, diese Fröbelmädchen sind ja berühmt. Und du wirst aufatmen, wenn du erst mit gebildeten Mädchen zu thun hast!« – tröstete er und drückte ihren Arm zärtlich. – Nach einem Weilchen fuhr er fort: »Handle auch nicht um ein paar Mark, Toni, lieber bringen wir ein kleines Opfer: ein Kleid und einen Anzug weniger pro Jahr! – – Du, ich hab aber jetzt doch Achtung und Mitleid vor euch Hausfrauen bekommen! Wir Herren urteilen etwas leichtfertig in dieser Sache! Es ist entschieden kein Vergnügen, viel mit Dienstboten in Berührung zu kommen!« – »O nein, durchaus nicht!« – lächelte sie resigniert.

Frau Kern atmete auf und brauchte nicht zu handeln. Eine geprüfte Kindergärtnerin, ein Pastorentöchterlein, kam in ihr Haus – sanft, fleißig und gebildet. Sie verlangte nur zweihundertvierzig Mark im Jahre bei freier Station. Und das wurde jubelnd bewilligt! – Die drei Kinder sind artig, vergnügt und immer beschäftigt. »Räulein« wird von ihnen vergöttert. Und Herr Kern triumphiert über seine gute Idee. Alle, alle lieben »Räulein«, sie gehört ganz zur Familie!


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