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4. Kapitel. Geburtstag beim Hausverwalter.

»Ja, gewiß können Sie ein Stündchen zum Portier herunter, Luise! – sagte die jungverheiratete Frau etwas ängstlich zu ihrem Mädchen. Dann raffte sie sich aber zu ihrer ganzen neuen Würde auf. – Nicht wahr, Sie werden da unten doch keine Klatschereien machen, Luise? Wenn es auch über uns nichts zu berichten giebt, so liebe ich das doch vor dem Hause nicht!« – – »Aber gnädige Frau, es ist ja nur auf ein Weilchen. Ich bin um sieben Uhr wieder hier. Da unten ist doch heut Geburtstag!«

»Schon wieder? – meinte die junge Frau erstaunt – Ich bin erst drei Monate verheiratet und das ist nun schon das zweite Mal! Hören Sie, Luise, das ist mir ein bischen zuviel. Diesmal schenke ich nichts!« – – »Aber natürlich, gnädige Frau, sonst könnten Sie ja nie mit das Geschenke aufhören. Es ist ja auch man blos die zweite Tochter. Also ich geh jetzt?« – – »Gut, Luise!« – »Atchö, gnädige Frau!« – – Luise rannte durch den langen Korridor in ihre elegante blitzblanke Küche, wo schon eine Freundin aus der dritten Etage ihrer harrte: »So, – lachte sie – die dumme Gans kriegt man ja zu allem rum. Sie thut immer mächtig würdig vor mir, dabei weiß ich doch, daß sie 'ne höllsche Angst hat, ich könnte se nich parieren! Neulich hat ich die Suppe anbrennen lassen, da hat se zu ihren »süßen Goldhammel«, so dämlich nennt se 'n nämlich, jesagt: »Hans, thu mir den einz'gen Jefallen und zank du se tüchtig aus. Vor mir hat se doch keenen Respekt! Recht hat se ja!« – – – »Na, was hat er jethan?« – fragte Marie gespannt – »Hat's was jesetzt?« – – »Ach wo, die beiden haben sich zu dämlich! Er hat sie in 'n Arm genommen und abknutschen wollen. Sie is wie doll um den Tisch jerast. Er immer hinter sie her. Als ich die Suppe brachte, hat er sie jerade jekriegt. Un' da haben se so jejuchelt und geküßt, daß se mer jarnich bemorken haben. Verliebt wie die Kinder! Sone junge Ehepaare sind zu verrickt!« – – »Ich seh et jern, wenn zwei Menschen glücklich mit 'nander sind!« – sagte Marie sentimental. – »Jott ja, ich och, se müssen's man nich zu doll machen, wie unse zum Beispiel! Aber sonst diene ich auch jern in 'ne junge Wirtschaft. Man braucht sich nich' so aufzurebbeln, und et sieht doch immerst neu' un' sauber un' hübsch aus. Na, un' dann erlebt man det reine Theater! Es is nur schade, daß immer so bald die kleinen Jöhren kommen. Dann ziehen Ammen oder Kindermädchen mit 'nen fortwährenden Soxlethapparat zu. Un' überall liegen Windels als Zeichen einer jediejnen Verdauung bei det kleine Kruppzeug 'rum.« Du weißt doch, wie es in das scheene Lied heißt:

»Is denn keen Stuhl da, Stuhl da?
Von unserer Hul–da, Hul–da?«

»Luise, es is schonst gleich dreiviertel! Wir müssen runter, sonst wird der Kaffee kalt und die Stefferten is fuchtig! Schenkst du eigentlich die Laura was?« – – »Ja, 'n Stück Mandelseife un' Blumen!« – – »Donnerwetter, Mensch, du hast woll de Spendierhosen an?« – – »Was, jiebst du sie nischt?« – – »Doch, 'n Primeltöppchen!« – – »Na also, die Seife hab ich noch von Thiele, dem niederträchtigen Halunken mit seine heimliche Ehe!« – – »Na, dalli, komm, Karlineken, komm!« – – »Jleich, ich bin soweit fertig! – –

Luise hatte aus der Speisekammer ein Kräuschen mit Himbeermus und eine kleine Schüssel mit Mürbekuchen geholt: »So! – rief sie befriedigt – das sehe ich doch janich ein, warum die reichen Leute nischt so 'ne armen Deubel zu 'nen Jeburtstag zujeben sollen! – Das hab'n wa von unsre beiden Schwiejermamamas bekommen. Die ollen Frauen schleppen soviel an, daß es nicht zu merken is, wenn man ihn' aus purer Wohlthätigkeit 'was von ihren Überfluß abnimmt! So – – –, sie schraubte das Gas aus und steckte den Korridorschlüssel ein – – – nu, können wa los!« – –

Auf der Treppe erzählte Marie, daß sie auch ein kleines Tütchen mit gemahlenem Kaffee mitgenommen habe. Die Lärge bei Mutter Steffert sei schon darauf eingerichtet, durch wohlthätige Beigaben von den Mietern verstärkt zu werden. Wie denn überhaupt die Steffertschen Feste Pikniks glichen, und immer bunte Potpourris aus den Speisekammern im Hause aufwiesen! – Trotzdem oder vielmehr dadurch wurde es denn auch immer höchst gemütlich in dem molligen, mittelgroßen Zimmer. Man saß in zwangloser Weise um den aufgezogenen großen Mitteltisch. Die Thürfenster, die nach dem Hausflur und die, welche nach der Straße führten, waren dichtverhängt. Wenn Jemand Einlaß begehrte, dann eilte eine oder die andere die vier Stufen hinauf, lugte durch das Guckloch und drückte auf den Gummiball, der die schwere Hauspforte pneumatisch öffnete. –

Auch heute schlug den Eintretenden ein warmer Hauch entgegen. Kaffee – und Kuchengeruch mischten sich mit dem Duft gebratener Äpfel, die hochaufgeschichtet in der geöffneten Ofenröhre pruzelten. »Mojen, Kinder, nee, is det bei euch jemietlich!« – rief Marie freudig in den lachenden, schwatzenden Kreis. – Das Geburtstagskind, ein lang aufgeschossener, kränklicher Backfisch mit verderbten Augen und voller kriechender Höflichkeit, kam ihnen einige Schritte entgegen. »Na, gratulier och, Lorchen, und winsche Ihn 'n netten Schatz!« – sagte Luise und reichte ihre Geschenke und sonstigen eßbaren Beiträge. – »Du ollet Schaf, als ob Lorchen nich längst was fors Herz hätte. Die hat ihr Fett wech!« – meinte Marie und küßte das Mädchen, ihre Geschenks gleichfalls auf der Kommode niederlegend. Lorchen dankte und ordnete die Sachen, inmitten der anderen Gaben. Diese häuften sich neben den Photographien und dem grellblauen Plüschalbum, die zierlich von Porzellanhunde- und Schweinefamilien umgeben waren. Auf einer Konsole an der Wand stand eine Gipsstatuette der Königin Luise, und daneben hingen die Brautbilder von Herrn und Frau Steffert. –

Auch diese begrüßten die Gäste, welche jetzt vollzählig beisammen waren. »Auf Ihn' hab'n wa bloß noch jewartet!« – meinte Mutter Steffert strahlend – Nu kann's losjehen, ich bring jleich 'n Kaffe, und Marien ihre jütige Spende lassen wa for den zweiten Aufjuß! Meta, setz jleich 'n Pott Wasser auf 'n Herd zum Kochen, und dann brüh auf, des allens in Ordnung is, wenn wa die erste Auflage hinter den Kragen jejossen haben!« – Meta, die Älteste, that, wie ihr geheißen war. Sie schüttete Kohlen auf und wirtschaftete in der Küche 'rum. Nach wenigen Minuten erschien sie an der Tafel. – Laura hatte bereits die Tassen vollgeschenkt. Die Mädchen bedienten sich selbst mit Zucker, Milch und Kuchen. – Einige Sekunden hörte man nichts wie Pusten, behagliches Schlürfen und wohlgefälliges Schmatzen.

Luise hatte beide Ellbogen auf die Tischplatte gestemmt, den Mund mit Kuchen gefüllt und ließ den heißen Kaffee aus der Tasse, die sie mit den Händen umschlossen, langsam in die süße Masse sickern. Plötzlich schluckte sie fest, fuhr mit dem Handrücken über die nassen Lippen und rief: »Dod und Deibel, sind Klara und Rosa von Rittmeisters doch nich jekommen?« – – »Nee, i wo wer'n die denn, die sind doch ville zu fein für uns einfache Leute, des können wa doch janich valangen!« – antwortete Frau Steffert. Man merkte ihrem höhnischen Tonfall aber doch die innere Wut an. »Die sind Drückeberjer un' wollen bloß nischt schenken!« – warf Meta ein. »I bewahre, die Rosa wollt Vatan poussieren, und als se sah, daß se damit kein Jlück hatte, verklaschte se 'n beim Wirt!« – meinte Laura pfiffig. – »Du, halt den Schnabel, wat verstehste du von sowas!« – knurrte Vater und blickte scheu auf seine bessere Hälfte. – »Ich hab ihr im Dustern for Mutter'n jehalten und ihr jestreichelt. Als se aber so dämlich losquackte, hab' ich ihr 'n Schtubs versetzt, det se genug von hatte. Des weiß Herr Bromburg och. Der jlaubt doch eher mich wie sie? Nich' wa?« – –

»Na, Vata Steffert, da machen Se sich keene Sorje nich. Wir glauben Ihn auch, die Rosa is eene janz jefährliche Kröte. Die denkt wunder, was se is, weil ihr Vata Diener bei 'n Fürsten is. Jehen thut se, als hätt' se 'n Linjal verschluckt. Immerst sitzt sie int Fremdenzimmer und näht; aber rauskucken is nich!« – sagte Franziska.

»Du bist 'ne Jemiet, du kannst so bleiben!« – ärgerte sich Minna, vom Wirt – »Eene Scheinheilje is se, und wißt Ihr was, se jeht mit 'nen Unteroffizier von die »Alexander!« Immer untergefaßt, dast recht nach was aussieht, un am letzten Sonntag möcht' ich wetten, hat se der Rittmeisterschen ihren Hut aufgehabt, Ihr wißt doch den blauen mit die schwarzen Federn!« – – »Ach was?« – – Die Zuhörerinnen waren empört und brachen in Entrüstungsrufe aus. Luise vergaß vollständig, daß sie an ihrem letzten Ausgehetage den Abendmantel und das Spitzentuch ihrer jungen Herrin benutzt hatte. – – »Die Klara is auch 'n Ekel. In Anfang hat se zu mir jesagt, die Wirtschaft hier ins Haus paßt se noch lange nich. Se wer nich daran jewohnt, immer von de Herrschaft Eßwaren zun Portier zu schleppen. Und Mutter Steffert thäte soviel Chlor in die Wäsche. Sie würde es ihrer Frau 'mal sagen!« – – Frau Steffert wurde dunkelrot: »Na, so ein jemeines Weib, ich jeh auf de Polzei! So was brauch ich mir nich' zu jefallen zu lassen! Ich laß mir doch nichts zustechen! Ich brauch kein Chlor beis Waschen. Die bringt ein' ja noch um die ehrsame Reputation, so'n Weibsbild verfl...! Kinder, sagt selbst, hab' ich euch schonst mal um 'was gebeten?« Sie heulte einige Krokodilsthränen. – Luise nahm sie in die Arme und küßte sie, ihr dabei die nassen Tropfen mit der Schürze abtupfend: »Lassen Se der man quatschen, das is Blech? Wir kennen Ihn' alle und wissen, was wa von Ihn' zu halten haben!« – tröstete sie. Und die andern fielen ein und sprachen so lange, bis die Wirtin sich beruhigt hatte.

Der Kaffee, jetzt der zweite Aufguß, kreiste wieder. Ein anderes Gespräch kam in Gang. Marie hatte still vor sich hingesehen und nachgedacht. Plötzlich klopfte sie mit dem Löffel an ihre Tasse: »Ruhe, seid still, haltet Eure Futterluken! Ich will 'n ›Tost‹ ausbringen!« Allgemeines Schweigen. Sie erhob sich und sagte langsam:

»Stefferts Laura, die Priese,
Is zwar junges Jemiese –
Aber weil se was kann, –
Kriegt se doch 'n Mann!
Daderdrum soll se leben,
Und ihre Familie daneben! Hoch!«

Laura war begeistert und umarmte die Sprecherin. Die übrigen riefen »Hoch« und stießen mit Kaffee auf das Wohl der Wirte an. Alle bewunderten Marie als große Dichterin. – »Wißt ihr was?« – rief Franziska – »Da Marie so schön dichtet, müßten wir an de beiden Scheusäler, die Klara und Rosa, ein paar ruppiche Karten schicken!« – – »Famos, jroßartig!« – – »Aber woher nehmen un' nich' stehlen?« – – »Kinder, ick renn' bei'n Buchbinder 'rum, der hat welche!« – – »Wer berappt?« – – Die Steffert bannte ihre bereitwillige Älteste mit einem Blick an ihren Platz. – »Das is 'n jottvoller Jedanke!« – lachte sie.

»Na, bei achtzig Thaler Lohn un' de Trinkgelder kann ich die Jeschichte schonst spendieren! – meinte Marie – Hier haste zwei Jroschen, Lorchen, loof 'mal rum und such' wat recht Nettes aus! Da liegt mein Kragen, nimm den schnell um!« – – Laura Steffert stürzte fort, wie aus der Pistole geschossen. »Was Marie, bei den leichten Dienst haben se achtzig Thaler? Das is doch unerhört, und ich quäl' mir vor sechzig! Am fufzehnten verlange ich zehn Thaler Zulage oder ich jeh!« – – »Mensch, erst erkundige dir nach 'ner andern Stelle, sonst liegste auf de Straße!« – – »Nee,« – rief Franziska – »was du dir denkst. Die beiden Mietsfrauen hier in de Nähe haben mir schonst lange jefragt, wodrum ich solange auf dieselbe Stelle bin? Sie woll'n mer bessere verschaffen! P! 'ne Herrschaft find' man alle Tage, man muß nur Jeduld zus Wechseln haben!« – – »Natierlich, und ein Jahr bist de doch schonst da und kochst, un' die janze Wäsche un' allens! Da kannst de wa–haftig siebzig verlangen!« – – »Thue ich och!« –

»Natürlich, wenn Ihre Olle sich 'n neuen Sammetmantel kooft und Kleider und for die Jöhren soville, daß se wie ausjeputzte Affen rumlaufen, denn kann se doch kein Lohn nich jeben, dann müssen sich de Mädchen abschinden!« – hetzte die Steffert. – –»Na, Sorgen haben die och. Se stöhnen un' klöhnen jenug 'rum. Die Feinheit thun se och man bloß, damit er den Kredit behält. Und was unsere jepriefte Jouvernante is, die kriegt och man bloß sechzig Thaler, hat mich Olja verraten! – – »Na, Franziska, det jeht Ihnen nischt an. Jouvernante ist heutzutage allens, un' Bildung is keen Kunststück. Neulich haben Rittmeisters nach 'ner Köchin annonciert, da kam bloß die Klara. Als se aber 'n Kinderfräulein wollten, konnten wa nich von de Jlocke weg. Den ganzen Tag jing das Jeloofe, an dreißig waren woll da! –« überredete Frau Steffert – »Was jehn Ihn' Ihre Herrschaft ihre Sorgen an. Sie können Ihr Lohn verlangen un' basta!« – –

»Überhaupt, Kinder, wir sind in de Kultur zurück!« – rief Luise – »Ich habe in de Zeitung gelesen, daß die Damen in de Vereine selbst zujeben, wie schlecht wa's haben! Aufmucken müssen wa! Mehr Lohn, weniger Arbeit un' keen Stiebelputzen, des is Menschen unwürdig! Wenn wa uns vereinijen und mit de Sozialdemokraten zusammenjehen, ich sag euch, denn sind wir de Herrschaft, und sie rennen uns nach!« – – »Na jewiß!« – – »Ich tret bei 'n Verein gejen die menschenunwürdige Unterdrückung von de Dienstmädchen bei!« – – »Wir och!« – – Ich jewiß!« – – »Na eben, die eene olle Hexe hat jesagt: wir sind keene Sklaven!« – – »Nu eben!« – »Und in den Jungfrauenverein bein Pastor geh ich och nich' mehr. Beten un' Lieder singen kann ich alleene und labbrigen Thee krieg ich och!« – – »Natierlich!« – –

»Wenn man so bedenkt, meine Leute haben fünf Zimmer und wie injerichtet, » – überlegte Luise – »und mir lassen se in eene kleene Kammer schlafen: zwei Stühle, 'n Bett, 'n Tisch, 'n Waschtisch, Kommode un' Schrank, des allers!« – – »Na, ihr Zimmer is aber reizend und wird jeheizt!« – entgegnete Marie – »Ich tadle die Mädchenzimmer hier ins Haus nich! Bei uns zu Haus schlief ich mit de Eltern, vier Brüder, unsere zwei Schlafburschen, und meine älteste Schwester ihr kleenet Mechen zusammen!« – – »Ach, hat Ihre Schwester 'n Kind?« – – »Ja, aber des erste war von 'n Studierten, der hat ihr 'ne Masse Putput for jejeben! Jetzt hat die dumme Trine sich mit 'n verheirateten Pferdebahnkutscher einjelassen, nu sitzt se da mit ihre Zwillinge!« – – »Ach, wat macht se nun? –

»Die hat's jut!« – hohnlachte Marie – »Dies is Amme bei 'n jüdischen Banquier! Vierzig Mark monatlich un' die Pflege. Freie Kleidung, Trinkjelder und Jeschenke wie bei 'n Kaiser! Das janze Haus zittert vor se. Se regiert alle! Wenn man bedenkt, wie gut se 's hat, möcht man ooch schlecht werden!« – – »Na, denn los, Mineken, ich – – –« fing Herr Steffert an. Aber seine Gattin stieß ihn mit der Schulter an: »Still, det Kind!«

Laura kam an. Sie trug die Karten in der Hand und war glühend rot. Der Bursche vom Rittmeister hatte mit ihr ein bischen geschäkert. – Heftig atmend überreichte sie Marie die Karten. Diese bat, in die Küche geführt zu werden. Dort ließ sie sich ein Stückchen Papier und einen Bleistift geben. Sie wollte ihre Dichtung erst im Unreinen versuchen. – Während man nebenan plauderte, hielt sie sich die Ohren zu und starrte in die kleine rauchige Petroleumlampe, angestrengt nachdenkend. Dann kritzelte sie und überlegte von neuem.

Schließlich war sie mit den beiden Versen fertig und kopierte sie mit Tinte und Feder auf die wirklich »ruppigen« Karten. Dabei beklexte sie das winzige Tischchen und ihre dicken roten Finger ganz gehörig. Trotzdem erhob sie sich triumphierend und trat ins Wohnzimmer. Die versammelten Leute schwiegen, lehnten sich zurück, um besser aufzupassen. Marie rechnete mit dieser Stille. Sie reckte sich hoch auf, machte eine Kunstpause und begann:

»Also an Fräulein Klara Koch. Köchinn. bei Rietmeihster fon Torn. Berlin, – – – – straße 56 I.

Du prahllst dir zwar mit deihne Saachen,
Jehtoch bist duh ein allter Drahchen.
Dein Jank is zierich, rot das Jesicht –
Sie – dir in Spiechel, sonnst jlaubst dus nicht
Ser dünne nur is de Figur,
Un' vohn 'nen Breihtjam keine Schpuhr!
Im Haus kann dir och keinher laiten,
Denn alle Menschen thun dier maiten!

Deihne Fererher!«

»Potztausend, was die Marie fürn Jeist hat. Des is ausjezeichnet!« – – »Famos!« – – »Jroßartig!« – »Ein bedeitendes Talent, wie leicht das bei se jeht, der reine Jöthe!« – – »Weiter, un Rosa ihren! – – Marie lächelte stolz bescheiden und winkte abwehrend mit der Hand. Sie fuhr fort: »Na, die Adresse kennt 'r ja! Also bloß das Jedicht:

»Rosa, kiek, dein Unterofzihr,
Derr pussihrt jetz nuhr mit mier.
Dennh du biest ihm zweihter Jüte,
Weil de tregst der Fhrau seine Hüte.
Bilt' dir nuhr auf dein Schtand nischt ein,
Antere thuhn vill meer noch sein!
Fainehr biste nich wieh ich, du Triene!
Gruß un kus von mir, Albertine!«

»Jroßartig, Mächen, wie machste det bloß?« – rief Mutter Steffert und fiel der Dichterin um den Hals. Alle Anderen küßten sie auch und lobten und bewunderten sie neidlos. Sie war in ihren Augen durchaus gestiegen. – Laura Steffert benutzte den allgemeinen Jubel, um die Karten zu ergreifen und in den Postkasten zu werfen. Sie hoffte, Johann, den »schneidigen Kopp« noch vor der Thüre zu finden. – Nach einem Weilchen kam sie enttäuscht zurück. Der dumme Kerl war verschwunden.

Mutter und Schwester waren grade damit beschäftigt, den Tisch mit all seinem Geschirr ins Schlafzimmer zu tragen. Zwei der Mädchen rollten den Teppich zusammen und schoben die Möbel an die Seite des Zimmers. Marie, ermutigt und angefeuert, stand auf dem Sofa und sang: »Das ist die Lina, die vom Alexanderplatz, die auf dem Untersatz!« – – »Mutta, was is los? Seid Ihr denn doll?« – fragte Laura verwundert. – – »Nee, mein Schnuteken, Franziska hat den kleinen Leierkasten, von ihre Jöhren oben, runterjeholt. Es is erst sechsen, da könn' wa noch 'n Stündchen schremmeln! – – »Ick halt mit, darf ick, Mutta Steffert?« – fragte Rittmeisters Bursche oben im Hausflur und öffnete die Thür: »Immer runter, Jungeken, tritt se mir, tret ik ihr. Imma mitten ins Plaisier!« – johlte Herr Steffert – zwei Männer un' acht Weiber, aber wir zwee Beede schaffens? Wa hab'n doch alle Beede zwee Beene!

»Was 'n echter Militär is, stellt seinen Mann. Mit Jott für König und Vaterland!« rief Johannes und küßte alle Mädchen der Reihe nach ab. Nein, war das ein Verjnügen und ein Gejauchze! Wie sie sich sträubten und doch so geschickt, daß er seine breiten Küsse mitten auf die heißen Wangen aufpflastern konnte. Schließlich holten sie noch den Burschen vom Leutnant aus dem Nebenhause und den Gesellen vom Malermeister, der in der zweiten Etage beschäftigt war, hinzu. Er machte Feierabend und ging an dem Keller vorbei, aus dem so froher Jubel hervorquoll, daß er die Thür aufklinkte und mit schnellem Schritt die Stufen hinabsprang, die entgegen gerufene Einladung freudig annehmend. –

Selbst der Briefträger aß ein paar Stücke von dem selbstgebackenen Napfkuchen, trank einen von Stefferts Kümmeln und ruhte einige Minuten seine angestrengten Beine aus. Er lachte vergnügt, als er die tanzenden Paare sich so geschickt in dem engen Raum drehen sah, während Mutter Steffert den kleinen Leierkasten spielte.

Laura mußte sich mit einer kleinen Ecke begnügen; aber dort walzte sie mit hingebender Begeisterung, abwechselnd bald die Beine, bald die Arme in die Luft werfend. Ihrem Treiben machte störend Luise ein Ende. Die begann nämlich so furchtbar zu lachen, daß ihr die Thränen aus den Augen liefen. Sie stieß Marie in die Seite und rief: »Nee, kiekt doch man bloß die Laura an, die is total aus 'n Häuschen. Sie markiert 'n verrickt jewordenen Hampelmatz von Weihnachtsmarkt: Seht doch nur det kleene Aas, kost nur 'n Jroschen und macht viel Spaß!«

Na, nun waren die andern bereits in Stimmung. Die Witze Hagelten auf das Geburtstagskind nieder, bis es sich heulend in die Küche verzog. Aber das störte nicht mehr. Die Festfreude war auf dem Höhepunkt! Daß aber auf Sonnenschein auch Regen folgen kann, bewies das folgende Ereignis: – – Frau Steffert orgelte gerade den Rixdorfer, den ihre Gäste im Chorus mitbrüllten, als plötzlich stark an das Thürfenster geklopft wurde. Gleich darauf wurde die kleine Pforte heftig aufgerissen und Herr Bromburg – – – der Hausbesitzer – erschien in derselben mit unheilverkündender Miene! Das Steffertsche Ehepaar erstarrte zu einer modernen Niobidengruppe. Die Musik brach ab. Die Gäste standen still und wie angebannt. –

»Was ist denn hier für eine Wirtschaft?« – donnerte der zornige Wirt. – »Habe ich ein Tollhaus oder eine Kneipe in meinem Keller? Sind Sie denn verrückt geworden, Steffert, daß Sie um sieben Uhr hier ein Gelage feiern, daß das ganze Haus dröhnt und mir die Mieter zulaufen?! Ich dächte, Sie hätten genug auf dem Kerbholz, und ich hätte lange genug die Augen zugedrückt? – – – Aber ich ändere mir das, verstehen Sie? – –

Ein netter Hausverwalter, der vergißt, daß wir eine Schwerkranke im Hause haben, ich danke! Ausgezeichnete Portierleute, die die Dienstboten vom Arbeiten abhalten! Ich dächte, Sie Alle hätten an einem gewöhnlichen Wochennachmittage mehr zu thun als dem lieben Gott die Zeit totzuschlagen, he? – – Machen Sie aber schleunigst, daß Sie zu Ihren Herrschaften kommen, verstanden? Sonst – – –«

Der Rest seiner Rede verlief in ein dumpfes Gemurmel. Die Thür krachte ins Schloß. Herr Bromburg stampfte die Treppen hinauf. –

Langsam löste sich die allgemeine Erstarrung. Man sah sich gegenseitig mit etwas verzerrten Mienen an: »Na denn nich, oller Patentfatzke!« – rief Franziska. – »Der bild sich och wunder was ein, Se sind noch lange keen Kaiser, lieber Herr Bromburg!« – knurrte Herr Steffert. Marie wickelte sich in ihr Tuch und kletterte die paar Stufen hinauf. Dort wandte sie den Kopf und sagte mit tiefer klagender Stimme:

»Liebe Wirte, es war sehr schön,
Doch muß ich jetz nach oben jehn.
Ich meine, wir jehn alle nach Haus, –
Atchö, Geburtstagskind, det Fest is aus!«


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