Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

1. Kapitel. Lotte Bach auf einem humanen Theeabend.

»Wa–haftig, ich habe mich gar nicht hierher gewagt!«

»Aber mein liebes, verehrtes Fräulein Bach, ich bitte Sie,« – lächelte die Hausfrau mild – »wir sind ja nur ein paar intime Bekannte, lauter ältere und erfahrene Frauen! Wir haben die Absicht, in gemütlichem Beieinander unsere Gedanken über die Zeitströmungen auszutauschen. Da soll nun Ihre frisch-fröhliche Jugend uns alte Leute in holde Zukunftsträume wiegen. Was wir erstreben, – – – Sie werden dafür kämpfen! Und Ihre Kinder, also die kommenden Generationen, werden jubelnd ernten, was wir vorahnend säten!« – – Lotte machte ein so verkniffenes Gesicht, als verdaute sie einen unabsichtlich verschluckten Regenwurm. Dabei verbeugte sie sich tief und entgegnete, etwas verbissen seufzend: »Natürlich, gnädige Frau, so 'was schwante mir schon! Ich weiß wirklich gar nicht, wie ich so viel Vertrauen und Liebenswürdigkeit verdiene? Und doch,« – sie ließ die unterbrechende Handbewegung der anderen unbeachtet, – »es is wirklich keine leichte Aufgabe, unter ›lauter fühlenden Brüsten die einzige Larve‹ zu sein.«

»Meine Schwester macht sich wohl einen falschen Begriff von Ihren reizenden Theeabenden, gnädigste Frau!« – fiel Fräulein Klara Bach ihr rasch ins Wort. – »Sie fürchtet, daß ihre Jugend und Bildung für Ihren gewählten Kreis nicht ausreicht. Doch ich freue mich, daß mein noch unerfahrenes Schwesterlein hier zugelassen ist, dank Ihnen, gnädige Frau! Sie wird hier schweigend lernen – – –« – »Wir freuen uns, daß Fräulein Lottchen so strebsam ist! Sie wird uns nicht nur ein lieber Gast, sondern eine treue Mitkämpferin werden, passen Sie auf!« – – sagte die Wirtin zerstreut. Neue Gäste waren eingetreten und mußten begrüßt werden. Sie wandte sich daher von den Bachschen Töchtern fort. Diese nahmen in einer entfernten Ecke bescheiden Platz. – »Du, hör' mal,« – knurrte Lotte, – »ich habe deinen Wink mit dem Zaunpfahl richtig verstanden. Wenn du dir aber einredest, daß ich die Weisheit dieser alten Damen so mir nichts – dir nichts schweigend erdulde, dann irrst du gewaltig! Ich sage dir, ich spüre schon jetzt, daß sich mein ganzes Gefieder langsam sträubt.« – – »Um Himmelswillen, Lotte, blamiere uns nicht! Sei wenigstens heute ruhig, und widersprich nicht. Diese Damen sind in der That augenblicklich die ersten und geistvollsten Frauen unseres Landes. Sie haben durch harte Arbeit die höchsten Verdienste errungen. Wir haben allen Grund, ihnen zu danken für ihre dornenvollen, bahnbrechenden – – –« – »Ja, ja, ich ersterbe ja schon vor lauter Dankbarkeit! Das ist ja alles ganz wundervoll! Was aber soll ich unter diesen Schliemannschen Ausgrabungen? Ich will weder ›Kampfhahn für die Frauenfrage‹ werden, noch als Merkwürdigkeit im Kunstgewerbemuseum unter Glas ausgestellt stehen!« – – »Lotte, du bist unglaublich!« – flüsterte Klara zornig, – »du sprichst aus reinem Widerspruchsgeist gegen deine eigenen Überzeugungen. Gerade du bist durch und durch modern! Hast du denn gar keinen Respekt?«

»Respekt? Ich sage dir, Hunger habe ich und einen dollen!« – – »Schon wieder?« – – »Nein, eben erst gekriegt. Ich habe während deiner niederschmetternden Rede Umschau gehalten. Es ist fürchterlich! Drei silberne Teller mit Theegebäck. Donnerwetter, haben denn die Damen alle verkolkste Magen, daß sie mit Cakes gefüttert werden müssen? – Was nützt mir das edle Metall? Erstens hasse ich dieses trockne Zeugs, zweitens kann ich doch anstandshalber nicht mehr als drei nehmen! Und drittens darf man die Dinger nicht 'mal in den Thee stippen. Und wer das fertig kriegt, einen unaufgeweichten Albertcakes, ohne sich zu verschlucken, durch die Gurgel zu jagen, dem zolle ich all meine Hochachtung! Ich kann es nämlich nicht! Ich ersticke beinah jedesmal! Überhaupt: Cakes ist bekömmliche Nahrung für Säuglinge und Kranke! Aber unsereins sollte mit festerem Kaliber – – –« »Aber, Lotte, es giebt ja noch Abendbrot!« – sagte die andere entrüstet. – »Verschimpfier diesen edlen Begriff nicht!« – meinte Lotte, und der alte Schelm blitzte in ihren Augen und spielte um ihre Mundwinkel – »Abendbrot bei einem Theeabend heißt: halbvolle Gläser mit unechtem Bier und schwedische Schüssel! – – Schwedische Schüssel aber heißt: dünne halbe Brotschnitten mit fast unsichtbarer Butter und magerem Ausschnitt, im Höchstfalle thalergroße Weißbrotstücke mit Sardellenbutter. Nun, und nimm du mal mehr als vier solche Happen! Ob's da nicht gleich heißt, du bist ein Vielfraß, und du krankst an zu gesundem Magen? – Wild kann man werden vor Hungerdelirien! Beschäftigt euch lieber mit der Ernährungsfrage!«

Fräulein Klara hatte genug. Sie sah dunkelrot aus und biß sich krampfhaft auf die Lippen, um nicht in ein uneindämmbares Gelächter auszubrechen. Langsam erhob sie sich und durchquerte den Raum. Die unverbesserliche Schwester war heute in einer kritischen Laune. Da war es besser, sie möglichst ungereizt sitzen zu lassen. Jeder harmlose Funken konnte das Pulverfaß entzünden. Und Lottes Übermut war nicht zu berechnen! Wenn sie bloß heute nichts anrichtete! Sie hatte auf dem Wege offen und nachdrücklich erklärt, daß »zu viele Tugend ringsum in ihr die tollsten Dämonen entfessele«. Aber schließlich? Sie war jetzt doch erwachsen und verständig. Und sie hatte alles Gute versprochen! –

Klara landete bei einer liebenswürdigen alten Dame und wurde in ein Gespräch verwickelt. Unsere Freundin Lotte dagegen hockte in ihrer Ecke und blickte scharf beobachtend umher. Es gab so viel zu sehen, und Langeweile kannte sie nicht! – Nebenbei bemerkte sie, daß eine spitz aussehende, alte Jungfrau sie scharf durch eine Lorgnette beäugte. So richtete sie sich denn nach einigen Sekunden stolz auf, drehte sich etwas nach links und erwiderte den Blick mit ungeniertester Unbefangenheit ebenso anhaltend. – – Diese »bestielten, impertinenten Augengläser« waren für sie ein Reizmittel ersten Ranges und wirkten stets auf sie, wie das rote Tuch auf einen zornigen Stier. – –

Richtig, die Fremde wurde zuerst etwas nervös, dann rutschte sie unter dem festen Blick der blauen Augen hin und her. Endlich stand sie auf und näherte sich Lotte Bach mit trippelnden Schritten. Sie ließ sich auf Klaras verlassenem Stuhl nieder und machte eine leichte Neigung mit dem Kopfe. Lotte grüßte ebenfalls. »Ich sehe Sie zum erstenmal? in diesen Räumen, nicht wahr, mein Fräulein?« – begann die Fremde das Gespräch. – »Ganz richtig, ich bin heute zum erstenmale zugelassen.« – – »So arbeiten Sie wohl in den vielen Vereinen unserer verehrten Wirtin mit, und ich darf Sie als neue junge Kraft begrüßen?« – – »An Kraft fehlt es mir in der That nicht! Ich habe vom Turnen tüchtige Muskeln. In unserer Riege war ich immer eine der besten, besonders bei den ›Wellen am Reck‹. Können Sie auch ›Wellen schlagen‹?« – fragte Lotte, vollkommen ernst. Die Gefragte musterte sie halb betroffen, denn sie wußte nicht, ob ihr Gegenüber so »dumm« oder so »frech« war, wie man beides aus ihren Worten allerdings entnehmen konnte. »In welchem Verein der Frau Professor wirken Sie eigentlich?« – sagte sie daher merklich gehaltener. »Ich?« – meinte Lotte nachdenklich. – »Ich bin im Festkomitee des Vereins ehemaliger – – –« – »Ach so, zur Besserung ehemaliger Strafgefangener?« – – »Nicht ganz, wenn wir uns auch manchmal wie Strafgefangene fühlten« – sagte Lotte lachend. – »Aber wissen Sie, gnädiges Fräulein, unsere Besserung wurde stets sofort durch Tadel, Nachbleiben und schlechte Censuren besorgt. Das dicke Ende kam dann immer noch daheim nach: da setzte es Haarzieper, Ohrfeigen und sonstige tierquälerische Sachen! – Ich bin nämlich im Verein ehemaliger Schülerinnen der Annenschule!« –

»Ach so!« – murmelte ihre Nachbarin. – »Und was thun Sie denn eigentlich für die ›Bewegung‹?« – – »Ich laufe tüchtig herum, ich turne, schwimme, rudere und laufe Schlittschuh. Auch tanzen – – –« – – »Sie scheinen mich mißverstehen zu wollen, mein Fräulein!« – rief die Fragerin empört. »Aber ich bitte tausendmal um Vergebung! Jedenfalls ganz unabsichtlich!« – heuchelte Fräulein Bach Bestürzung. – »Was sind Sie von Beruf?« – – »Ach so, nun verstehe ich erst, pardon, – – – vorläufig Lehrerin!« – – »Eine herrliche Aufgabe« – – »So, Sie finden? Denken Sie, ich finde diesen Beruf scheußlich. Anderer Menschen Jöhren – – –« – – »Daher sprachen Sie wohl auch von ›vorläufig‹. Man muß eben zu diesem wunderbaren, idealen Kulturdienst berufen sein!« – sagte die Fremde. – »Das ist richtig, berufen bin ich zwar auch und gebe mir redlich Mühe; aber ›erlesen‹ bin ich nun einmal entschieden nicht!« – – »Das scheint mir beinah auch. ›Sie‹ werden doch sicher heiraten?« – – »Hoffentlich! Wenn sich ein Idealmann findet, der bereit ist, mich ohne Mitgift, nur aus reiner Liebe zu heiraten!« – erwiderte Lotte. – »Ach, was würde es mein Mann bei mir gut haben; er ahnt es nur noch nicht, sonst hätte er mich längst geholt!« – –

Die Nachbarin blickte sie süßsauer an und drohte mit dem Finger: »Also doch noch alte Schule, mannstoll und ehewütig? Ich bitte Sie, ein Mädchen, das wie Sie in einem anständigen Beruf steht, das selbständig ist, brauchte doch wirklich nicht auf den Mann zu warten!« – »Na, na, na! Ich warte ja nicht gerade am Fenster wie der selige Toggenburg in thatenloser Beschaulichkeit. Aber ich würde mich mopsig freuen, wenn er käme, der Gatte! Das thun ja alle, wenn sie auch noch so das Gegenteil versichern! Natürlich der Richtige, nicht bloß 'ne anständige Altersversorgung; dafür bin ich auch nicht!« – – »Man kann sich der Menschheit besser widmen, wenn man nicht ehelich gefesselt ist!« – – »O, die meisten Frauenführerinnen sind doch verheiratet und beweisen das Gegenteil!« – widersprach Lotte. – »Aber jedenfalls ist das ein höchst aufopfernder und idealer Standpunkt. So haben Sie auch deswegen nicht geheiratet, gnädiges Fräulein?« – – Die Angeredete wurde etwas verlegen. Sie bewegte aufgeregt den Kopf. – »Nein, nicht ganz, mein lieber seliger Bräutigam fiel im Kriege!« – entgegnete sie seufzend. – »Also im dänischen Feldzuge 1864?« fragte Lotte anscheinend ergriffen mit versteckter Bosheit. »O nein, da überschätzen Sie mich denn doch,« – giftete die bräutliche Witwe – »er fiel bei Sedan!« – – »Ach wie interessant!« – sagte Lotte naiv. – »Das muß entschieden die Modeschlacht für gefallene Bräutigams gewesen sein. Vier meiner Lehrerinnen und unsere Schneiderin haben ihre zukünftigen Gatten bei Sedan verloren. Das nennt man Pech! Und doch, nicht wahr, geteilter Schmerz ist auch in Ihrem Falle halber Schmerz?« – –

Zwei scharf abgezirkelte, rote Flecken erschienen auf den Wangen der Zuhörerin. Sie kochte vor Wut. »Wie kommen Sie hierher? Wer hat Sie eingeführt?« – stieß sie hervor. – »Mich, meine Schwester: Klara Bach!« – antwortete Lotte unschuldig. – »Sieh einer an! Eine so liebe, verständige und ›bescheidene‹ Schwester haben Sie, das ist ja ein merkwürdiges Glück! Unser Fräulein Bach ist wohl Ihr Vorbild?« – – »Aber gewiß, ich strebe danach, ihr ähnlich zu werden!« – versicherte Lotte. – »Auch in mir schlummern die besten Anlagen, es fehlt eben nur an der richtigen Mischung. Darum hat mich Kläre auch mit zu Frau Professor gebracht! – – – Vielleicht helfen auch Sie, gnädiges Fräulein, mir auf den richtigen Weg?« – – »Ich bin durch die verschiedensten Vereine sehr in Anspruch genommen!« – meinte die Gebetene eiskalt. – »Ein wahrhaft ringender Mensch mit guten Anlagen wird auch mit sich selbst fertig! Legen Sie sich nur – – – guten Abend, Fräulein Doktor, was sagen Sie nur zu dem abscheulichen Buch von der Marholm? Das ist ›auch‹ eine von denen, die sich nicht zügeln können, und erst vom Leben und andern Menschen gezügelt werden müssen!« – – Damit wandte sich Lottes neueste Feindin von ihr fort und belegte eine soeben gekommene Dame mit Beschlag.

Lotte lehnte sich behaglich zurück. – »Die bin ich glücklich los, die olle Schreckschraube!« – dachte sie und blickte der sich Entfernenden nach. Eine rundliche alte Dame mit liebem Gesicht näherte sich ihr. »Kommen Sie ein wenig zu mir, Fräulein Lottchen Bach!« – sagte sie herzlich. – »Ihr Schwesterlein hat mir ihr Nestkücken soeben feierlichst anempfohlen. Sie sind hier fremd, und ich will Sie ein wenig bemuttern. Mit unserer kampfesmutigen Thea Schulze-Müller scheinen Sie bereits Freundschaft geschlossen zu haben?« – – »O nein,« – sagte Lotte lächelnd und machte, sich erhebend, eine tiefe Verbeugung. »Ich habe mit der berühmten Dame, die ich nicht einmal kannte, bereits eine Schlacht geschlagen und bin unterlegen. Allerdings war es ein Pyrrhussieg!« – – Frau Morgen lachte freundlich: »Darum sah mir unsere Thea auch so erhitzt und verärgert aus! Kindchen, Kindchen, wenn Sie etwas erreichen wollen, müssen Sie es nicht gleich mit den ›Grundpfeilern‹ verderben.« –

»Ach liebe, gnädige Frau, ich bin ja frei von jedem Ehrgeiz! Im übrigen bewegen mich die nämlichen Gefühle wie einst in meiner Kinderzeit. Da hatte mich das Kindermädchen bei den Raubtierkäfigen vergessen. Ich graulte mich zu Schanden in meiner einsamen Verlassenheit. Schließlich mußten sie mich als ›verlorenes Kindlein‹ austrompeten lassen. – – Auch heute ist mir zu Mute, als wäre Emma fortgelaufen, und ich stände heulend da. Wa – haftig, gnädige Frau, Sie erlösen mich gerade und beruhigen mich just so wie mein damaliger uniformierter Erretter mit der Trompete.« – – »Na, warten Sie, böses Kindchen, das sage ich aber weiter, daß Sie uns Frauenführerinnen hier so nolens volens mit Raubtieren vergleichen!« – meinte die alte Dame scherzend. – »Um Gotteswillen – – –« »Nein, nein, haben Sie nur keine Angst, Fräulein Lottchen! Ich bin verschwiegen wie eine Anschlagssäule und thue Ihnen nichts, kommen Sie nur mit mir in jene Ecke. Ich stelle Sie einigen Damen vor und behalte Sie für heute unter meinen Fittichen!« – – »Das ist famos, gnädige Frau, mir fällt ein Montblanc vom Herzen. Denn ich hatte, offen gestanden, doch einen nicht geringen Bammel.« – – »So, weshalb denn?« – – »Herrje, da muß ich schon einen klassischen Ausspruch ausbuddeln: ›Und eine Würde, eine Höhe entfernte die Vertraulichkeit.‹« – –

Frau Morgen stellte Lotte einer ganzen Reihe von Damen vor. Sie verbeugte sich stets lächelnd und höflichst und nahm schließlich bescheiden vor einem Tische Platz. »Daniel, Daniel, wie kommst du in diese Löwengrube?« fragte sie sich dabei innerlich. Zwei saubere Dienstmädchen reichten jetzt den Thee, Zucker, Milch und Kognak herum. Lotte langte zu. Als sie ihre Finger in den dargebotenen Cakesvorrat tauchte, begegneten sich ihre Blicke mit den ängstlich fragend auf sie gerichteten der Schwester. Was Kläre in Lottes Augen gelesen, bewog sie, sogleich in unmittelbarer Nähe des enfant terrible Platz zu nehmen. Sie wußte, Lotte konnte nichts auf dem Herzen behalten. Da war es denn immerhin besser, sie entlud ihre Bemerkung in ihre, Kläres, als in fremde Ohren! Richtig, kaum saß sie, da sagte die lose Person mit ernstestem Gesichte, halb zu ihr, halb zu Frau Morgen gewandt: »Wie gut, daß der Thee nicht stark ist! Erstens liebe ich diese blaßgelbe Farbe, zweitens ist der dunkle starke auch viel ungesunder. Man bekommt zu leicht Herzklopfen danach!« – – »Sie haben ganz recht, liebes Fräulein!« – meinte eine dritte Dame. – »Ich habe das an mir selbst empfunden, und darum unsere liebe Wirtin gebeten, den Thee oder Kaffee recht schwach aufgießen zu lassen!« – – »Siehst du, Klärchen« – lächelte Lotte. – »Du ahnst es eben nicht!« – – »Waren Sie in der letzten Sitzung?« fragte die ältere Bach hastig, um weiteren Ausführungen vorzubeugen. – »War die Versammlung besucht und die Diskussion stark? Ich war nämlich leider verhindert!« – –

»Wir hatten einen durchschlagenden Erfolg!« – entgegnete eine fanatisch aussehende, kleine Blondine. – »Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt, es konnte kein Apfel zur Erde. Erst sprach die Frau Blaut, dann ich! Darauf zündende Debatten, woraus man eben entnehmen kann, daß die Dienstbotenfrage eine aktuelle und einschneidendst wichtige These ist. Wir werden das Thema durch mehrere Versammlungen weiterspinnen, bis wir den armen, geplagten Wesen zu ihrem Rechte verhelfen!« – – »Sehr richtig, die Dienstboten sind ja jetzt nichts weiter als ›weiße Sklaven‹!« – bemerkte eine dritte. »Die Tyrannei der reicheren Stände über die unbegüterten Klassen muß aufhören. Gleiches Recht für alle!« – rief eine der Führerinnen, eine Sozialdemokratin, erregt. Sie verwirrte sich, als sie Lotte ansah. – Das junge Mädchen augte scharf über ihre rauschende, seidene Toilette, das Lorgnon aus Perlmutter, die Brillantbrosche und die funkelnden Ringe. Der Ausdruck ihres frischen Gesichtes nach der eingehenden Musterung war sehr beredt.

»Wir müssen langsam und schrittweise vorgehen, damit wir auch die anderen Parteien gewinnen. Nur nichts überstürzen! Viel und ruhig fordern und sich dann fürs erste mit wenig begnügen! Ich habe bereits mit einigen Abgeordneten gesprochen, die unsere nächste, darauf hinzielende Petition warm befürworten werden! Die Hauptsache ist, die Leute wach zu erhalten durch fortwährendes Aufwühlen der Fragen!« – belehrte Frau Präsident Bertowsky. – Die Hausfrau näherte sich mit ihrem müden Gange diesem Tische ihrer Gäste. In ihrer milden Sanftmut sagte sie schwermütig, mit einem Aufblick zur Zimmerdecke: »Nur keine subjektiven Leidenschaften in dieser so schwer im Argen liegenden Angelegenheit. Mit Ruhe kommen wir viel weiter! Für mich ist die ganze Dienstbotenfrage eine Frage der Humanität! – Wahrhaft menschliche Duldung, Mitgefühl, patriarchalische Sorge für unsere dienenden Hausgenossen ist abhanden gekommen! Die vorhandenen Zustände sind unhaltbar. Die Wohnräume, die Stellung der Leute sind unmenschlich, unwürdig. Wo bleibt da unser ethisches Gefühl, unsere Humanität, wenn wir das weiter dulden, wir Frauen?« – – Das Mädchen kam mit dem Tablett, um die geleerten Gläser fortzuräumen. »Ich denke, wir lassen dies Gespräch auf einige Minuten ruhen und sprechen später mehr davon!« – warnte Frau Morgen und zeigte mit dem Kopfe auf das nahende Geschöpf. –

Man sprach hastig und erregt vom Frauenstudium, vom neuen bürgerlichen Gesetzbuch und den höchst ärgerlichen Spaltungen innerhalb der Bewegung. Lotte sah Klara an. »Du, bitte, sei auch human, und reich mir noch einen Cakes. Mir ist flau!« – – »Habe lieber Interesse für die Sache« – flüsterte Kläre ärgerlich. – »Man kann nicht immer faule Witze machen oder sich von Liebesgeschichten, Dienstbotenklatsch und gelesenen Romanen erzählen. Hier lernst du wenigstens etwas!« – – »Wer weise, wählt Wolle. Du hast ja so recht; aber wenn die Wei – – – der, pardon Damen, noch einmal über Duldung und Humanität, Tyrannei und weiße Sklaven losquatschen, dann lege ›ich‹ los und dann Gnade ihnen Gott! Diese verdammten Verhetzereien führen ja direkt zu Revolutionen, die nicht mit Blut gutzumachen sind!« – – murmelte Lotte empört. –

»Was tuschelt Fräulein Lottchen da so leise? Wir wollen auch etwas hören!« – sagte Frau Morgen neugierig. – »Meine Schwester wird doch nicht in Gegenwart so erfahrener Frauen mitsprechen« – antwortete die älteste Bach sehr bestimmt und ziemlich laut. – »Sie fragte nur etwas!« – – »Ach so, na, dann fragen Sie nur immer dreist heraus, Kindchen!« – lächelte die alte Dame. – »Wir freuen uns über jedes Interesse, das uns die Jugend entgegenbringt und antworten gern auf jede Frage!« – – »Davon werde ich Gebrauch machen, gnädige Frau! Ich danke Ihnen von Herzen für diese gütige Erlaubnis. Klärchen meinte, meine Wißbegier könnte Ihnen mißfallen. Sie seien geplagt genug!« – – »Aber im Gegenteil! Immer fragen Sie, Fräulein Bach! Nicht wahr, meine Damen, eine jede von uns macht sich Freude daraus, eingehend zu antworten?« – – Viele der Anwesenden beteuerten sofort ihre Bereitwilligkeit und versicherten Lotte, mit welchem Vergnügen sie ihr jederzeit zu Diensten ständen.

»Da siehst du es, Kläre,« – rief Lotte sehr laut – »jetzt brauche ich mich nicht zu ängstigen und gelte nicht für unbescheiden, wenn ich frage!« – Ein Aufleuchten des Triumphes zuckte über ihr Gesicht, als sie die ältere Schwester spitzbübisch beaugte. »Na warte nur, Rache ist süß! Du wirst noch was erleben!« – sagte ihr Ausdruck. Und Klara verwünschte ihren Einfall, die junge übermütige Person mit hierher geschleppt zu haben!

Die beiden aufwartenden Mädchen hatten ihre Pflicht gethan. Die Tische waren abgeräumt. Die silbernen Schalen, auf denen noch vereinzelte Cakes lagen, fortgetragen. Die Damen verließen das Theezimmer und begaben sich in den Salon, wo sie sich in zwanglosen Gruppen niederließen. Einige Minuten wollte das Gespräch nicht recht in Gang kommen. Man spähte heimlich nach dem Sitz der Hausfrau, der durch Traditionen geheiligt, von keinem Gaste je benutzt wurde. Frau Professor ruhte matt in dem tiefen Lutherstuhle. Sie stützte den Kopf in die blasse Hand und schien in Gedanken versunken. –

»Was druckst unsere humane Wirtin denn da so malerisch posiert?« – fragte Lotte flüsternd ihre Schwester. – »Verdaut sie ihre eigene Aufnahme so schwer oder markiert sie die selige Pythia ohne Dreifuß und wartet auf die benebelnden Dämpfe? Wenn du willst, werde ich sie sofort auf den Trapp bringen!« – Klara zuckte zusammen und blickte schnell umher, ob auch keine der Anwesenden diese gottlose Bemerkung gehört. Zum Glück wurde sie einer Antwort enthoben. –

Die Vorsitzende, also Frau Professor, richtete sich auf und hob die Hand. Das wirkte hier im Hause wie das Klingelzeichen im Verein. Die leise geführten Unterhaltungen verstummten. – Fragend schaute man auf sie. – Lotte setzte ein niederträchtig frommes Gesicht auf und faltete die Hände im Schoße, so daß Klara, die sie beständig beobachtete, fast laut aufgelacht hätte: »Ach, sei nur nicht so etepetete!« – summte sie noch obendrein den bekannten Rixdorfer Gesang.

»Lassen Sie sich nicht stören, meine lieben verehrten Gäste,« – meinte die Wirtin sanft, – »ich möchte Ihre Gespräche nicht unterbrechen! Aber ernste Gedanken bewegen mich, auf der doch eine so schwere Verantwortung ruht!« – – »Wie der selige Fürst Bismarck!« – hauchte Lotte mit gerührtem Kopfnicken vor sich hin. –

»Ich fühle mich als Stütze der ›Bewegung‹ bis in das tiefste Innere meines Herzens für das Wohl des gesamten weiblichen Geschlechtes verantwortlich. Jedes weibliche Wesen steht mir nahe, kein Stand, keine Klasse ist ausgeschlossen!« »Es ist rührend, wenn man daran wackelt! So was von Menschenliebe!« – Lottes Raunen blieb unbeachtet. Dagegen fuhr die Professorin ergriffen fort: »Nun habe ich – ich darf es wohl ohne Anmaßung von mir sagen, – (begeistertes, bejahendes Kopfnicken ringsum) schon manches dazu beigetragen, den unterdrückten Frauen auf ihren dornenvollen Berufspfaden zu helfen. Viele Wege sind geebnet, viele Steine aus dem Wege geräumt!« – Sie lächelte bescheiden. Lottes Randbemerkung: »Achtung, die Dampfwalze!« war ihr entgangen. – »Aber dennoch, meine Mithelferinnen am Werke, verhehlen wir uns nicht, daß wir erst am Anfang unserer Bemühungen stehen! Die größten Schwierigkeiten stehen uns entgegen. Übelwollen, Mißverstehen und sogar Hohn begegnen unseren Bestrebungen auf Schritt und Tritt! Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte werden vergehen, ehe wir unser Ziel erreicht haben werden, ehe das gleichberechtigte freie Weib neben dem Manne in ethischer Höhe, in freier Liebe, in freiem Zusammenschaffen wirken wird!« – Pause! –

»Wenn du denkst, du hast 'n,
Springt er aus dem Kasten!« –

citierte Lotte.

Die Ergriffenheit legte sich. – Die Sprecherin raffte sich zu neuer Anstrengung empor: »Kämpfen wir unentwegt weiter! Ein schöner Sieg blüht unseren Kindern! (Natürlich hatte sie selbst keine, und Lotte Bachs wehleidiger Gedanke: ›Arme Natter, die an diesem Busen genährt‹! fiel in das Nichts zurück.) – Nachdem wir nun die Frauenfrage außerhalb der schützenden ›Vier Pfähle‹ so oft zum Gegenstand unserer Sorge und Diskussionen gemacht haben, wollen wir in die Häuser eindringen. Den Ehefrauen können wir nicht helfen, sie müssen sich vorläufig noch selbst schützen! Aber durch uns ermutigt, fangen auch sie bereits an, einzusehen, daß der Mann in der Entartung begriffen ist.« (»Verrückte Zicke!« stöhnte Lotte krebsrot vor Wut. Sie plauderte tausendmal lieber mit Herren als mit ihren Geschlechtsgenossinnen.) »Sie schaffen sich langsam ihr Recht. Für die Stellung der jungen Frau sorgt auch ihre Familie, die Liebe des Gatten, die treue Unterwerfung der Kinder und ihr eigener natürlicher Verstand! Aber« – – – ihre Stimme schwoll langsam und grollend an – »für eine Person im Haushalte sorgt niemand! Schutz- und hilflos ist sie der brutalen Gewalt der Brotgeber überliefert. Die schönsten Anlagen verkümmern bei ihr im Rauch des Herdfeuers, ein offenes Wort ist ihr nie gegönnt! Sie wissen bereits, auf wen ich hinziele? – – – Ich spreche von dem gehetzten, weißen Sklaven, dem Opfer seiner Armut und unseres Geldes! Ich spreche von – – – dem Dienstboten!« – –

Ein wilder Sturm entstand. Alle schwatzten durcheinander. Lotte saß starr vor Staunen da. Sie stieß die Schwester an und sagte halblaut: »Sage mal, habe ich recht gehört? Sind wirklich für Dalldorf reif, weil ihnen die Humanität zu Kopfe gestiegen. Ich danke, Herr Franke! Unsere Berliner schnoddrigen Dienstboten, die geheimen Tierquäler der Menschheit, die Landplage jedes Haushaltes, bis auf seltene Ausnahmen, sind gehetzte Sklaven? So eine a – – –, na, da hört denn doch die Gemütlichkeit auf. Ich platze nächstens noch vor verschlucktem Grimm. Dabei noch diese rührende Einigkeit unter den Damen! Hihi! Dabei wette ich, daß sich schon eine jede von ihnen über einen Dienstbolzen scheckig gekränkt hat! Sollte ich mich täuschen, so wünsche ich ihnen unsere verflossene Lina, die gönnte sich wenigstens ›freie‹ Worte. Und vor dieser weißen Sklavin zitterten wir alle!« –

»Ich bitte dich himmelhoch, Lotte, schweige du wenigstens. Selbst wenn dir etwas nicht paßt, halte den Mund! Um meinetwillen! Ich arbeite mit den Damen gern und bewege mich mit Vorliebe in diesen Kreisen! Wenn du heute hier loslegst, so machst du mich unmöglich, und das thäte mir sehr weh! Verstehst du? Stich in kein Wespennest!« – beschwor Klara Bach besorgt.

»Meinswegen, um deinetwillen werde ich die Schnute halten, so schwer es mir wird. Aber ich wünschte, ich hieße ›Jule Piefke‹ und könnte jetzt mal so ungeniert in dies Wespennest stechen, daß es man so krachte! Diese ewige verdammtigte Feinheit hindert einen stets!« – wütete die junge Dame. –

Inzwischen hatte sich Thea Schulze-Müller erhoben. Wie ein Racheengel stand sie neben Frau Professors Stuhl, die Hand auf deren Schulter gelehnt. »Meine Damen!« – schrie sie so lange, bis Ruhe eintrat. – »Meine Damen, unsere allverehrte Vorsitzende hat recht! Ich danke ihr warm für ihr Eintreten in diesem Falle. Es ist eine Schmach, daß wir die Leute beständig an ihre Armut erinnern. Und dies geschieht, wenn wir ihnen ihre dienende Stellung fortwährend dadurch vorhalten, daß wir sie die ›Dienenden – Dienstbote – Dienstmädchen – Diener‹ nennen. Unser Taktgefühl sollte uns verbieten, unsere Hausgenossen, die Gehilfen in der Wirtschaft, also zu bezeichnen!« – donnerte sie.

»Verzeihung; aber ich habe eine Frage an Sie, gnädiges Fräulein!« – erklang plötzlich die helle Stimme der jüngsten Bach. – »Es ist aber doch keine Schmach, wenn man sagt: ›Der Offizier dient im Heere!‹ – Man spricht vom ›Tropendienst‹, vom ›Verwaltungsdienst‹, vom ›diensthabenden Arzte‹? Und Friedrich der Große nannte sich mit Stolz der erste ›Diener‹ seines Staates!«

Einige Damen schwiegen betroffen. – Andere waren ungehalten über Lottes unbefugten Einwurf. »Gewiß, Kindchen, Bismarck befahl sogar für seine Grabschrift: ›Ein treuer Diener Kaiser Wilhelms des Ersten‹« – bestätigte auch die liebe alte Frau Morgen dem jungen Mädchen. – Fräulein Schulze-Müller reckte sich empor wie ein bullernder Truthahn: »Das sind andere Gesichtspunkte. Nein, mein junges Fräulein, Sie müssen noch lange Zeit vergehen lassen, um sich zu der geistigen Reife durchzuringen, die zur Erfassung unseres hohen Standpunktes notwendig ist. – Halten Sie sich vorläufig noch mit fertigen Anschauungen zurück, und sammeln Sie Erfahrungen, die Ihre Jugend noch nicht haben kann!« – – »Aber der Einwurf unserer jungen Freundin war durchdacht und nicht unberechtigt!« – begütigte Frau Morgen und streichelte Lottes heiße Wangen. –

Eine ziemlich ausgedehnte Besprechung über den alten Ausdruck »Dienstboten« und den neuzuwählenden »Hausgehilfe oder Hausgenosse« entspann sich. Man kam zu dem Entschlusse, fortan die letzteren mit allen möglichen Mitteln einzuführen!« – Daran knüpfte sich eine Frage über die Vor- und Nachteile von polizeilichen Gesindebüchern und Zeugnissen, die zu einer erneuten Beratschlagung führte. –

Lotte hörte im Nebenzimmer ein Abendbrot verheißendes Geklapper. Da sie vor Durst verging, erhob sie sich leise und verschwand hinter der Portiere, um sich ein Glas Wasser zu erbitten. Die beiden Mädchen deckten gerade die Tische. In ihren hellen Kattunkleidern mit den weißen Hamburger Häubchen sahen sie recht sauber und zufrieden aus. – Die eine: Anna – brachte Lotte höflich den erbetenen Trank. »Na,« – sagte diese, nachdem sie ein paar Schluck genommen – »durch die vielen Versammlungen bei der Frau Professor haben Sie wohl immer eine ganze Masse Arbeit?« – – »Die reißt bei uns nie ab, gnädiges Fräulein,« – antwortete das Mädchen, – »wenn hier kein Besuch ist, müssen wir mit Briefen 'rum rennen oder Bestellungen machen gehen. Die Frau kann es auf den Tod nich ausstehen, wenn wir stillsitzen!« – – »So haben Sie wohl wenig freie Zeit?« – – Anna lachte bitter: »Von des Morgens um sechs Uhr bis des Abends um zehn Uhr sind wir immer auf den Beinen!« – – »Ach, was Sie sagen! Aber Frau Professor arbeitet doch auch ununterbrochen?« – meinte Lotte. – – »Das ist schonst richtig, die Frau ist höllisch fleißig; aber dadrum könnte sie uns doch manchmal Zeit lassen, unsere Sachen zu flicken. Aber nee, dazu müssen wir die Nacht nehmen! Und dann kriegen wir noch obendrein unsern Krach, wenn wir Petroleum verbrauchen! Dazu die diätsche Kost, alles für der Frau ihren schwachen Magen berechnet! Nee, wir gehen auch schon wieder. Hier hält es keine Kollegin lange aus!«

Lotte war sehr erstaunt: »Wenigstens haben Sie eine liebenswürdige, sanfte Herrin an Frau Professor!« – entgegnete sie beruhigend. Die Mädchen tauschten Blicke aus und lachten. »Ja, gnädiges Fräulein, vor fremden Herrschaften ist unsere Frau der reine Engel. Aber Sie sollten sie mal wettern hören, wenn sie mit uns allein ist! Na, und die ewige Nörgelei is' auch nich schön!« – – Die Zuhörerin hatte genug. Sie reichte mit freundlichem Danke das Glas zurück und ging langsam wieder in den Salon. – Aha, die Kehrseite der Medaille! – dachte sie triumphierend – vorn hui und hinten pfui! Dabei Weltverbesserer und Wüstenprediger spielen! Faßt euch nur an eure eigene Nase, ihr Kulturretter! Seid selbst am dollsten!

Diesmal suchte sie sich ihren Platz etwas entfernt von der Schwester, die gerade eifrig mit einer Nachbarin plauderte. Die meisten Damen hatten einen Kreis um Frau Blaut, die stattliche und elegante Sozialdemokratin, gebildet. Lotte trat hinter den Stuhl ihrer gütigen Protektorin Frau Morgen – und lauschte.

»Ich bitte Sie,« – sagte die Blaut mit fanatischem Gesichtsausdruck – »ist das eine Art? – – – Die Hausfrau schläft nach ihren Bällen und Vergnügungen bis tief in den Tag hinein. Dann macht sie Toilette, fährt fort, um Besuche, Einkäufe oder Besorgungen zu ›arbeiten‹. Nach dem guten Mittag am bereits gedeckten Tische hält sie Siesta, handarbeitet, liest Romane, macht wieder Besuche oder geht in das Theater! – – – Aber die Mädchen müssen sich inzwischen abquälen!« –

»Aber, liebe Frau Blaut, es giebt doch Hausfrauen, die furchtbar mitarbeiten und kochen. Die vom frühen Morgen bis zum späten Abend schuften und noch dazu die Kinder erziehen, dem Manne helfen, mit ihm geschäftlich plaudern und eine entsetzliche Sorgenlast mit sich herumschleppen!« – warf eine Dame ein. – »Sie schildern das Leben der Millionärinnen, die schließlich spärlich genug gesäet sind!« – –

»Gewiß haben wir auch gute Hausfrauen, die nicht nur auf dem Lotterbette liegen!« – war Madame Blaut so großmütig, zuzugeben. – »Aber am Ende kann sie als Hausfrau sich immer freie Stunden machen! Sie kann ausgehen, wenn sie will! Sie hat den Reiz, der Magd Befehle erteilen zu können! Nicht wahr? Nein, das Leben einer Hausgehilfin ist unwürdig! Sie muß gehorchen – – –«

»Ich denke, das muß der General auch!« – sagte die vorlaute Lotte. – »Der muß als ›alter‹ Greis vor seinem jungen Kaiser stramm stehen und darf, wie alle Untergebenen vor ihren Vorgesetzten, nicht einmal den Mund aufmachen, wenn ihm etwas nicht paßt! Der Dienstbote hat doch Redefreiheit und kann gehen, wenn er dazu Lust hat!« – –

Ein vernichtender Blick traf sie. Auf einigen Gesichtern las sie jedoch anfeuernden, wenn auch mühsam versteckten Beifall. – Frau Blaut hatte auf so viel Widerspruch wohl nicht gerechnet. Sie erregte sich immer mehr. Ihre Brust hob und senkte sich, ihre Augen blitzten: »Ich gestehe sogar ein, daß ich es entwürdigend finde, wenn wir uns das Schuhwerk von unseren Bedienten reinigen lassen! Sie sind dasselbe, was wir sind und haben die gleichen Menschenrechte – – –«

»Ach, Verzeihung, gnädige Frau!« – sagte Lotte mit bescheidenstem Gesicht und unschuldigster Miene. – »Putzen Sie sich Ihre Stiefel selbst?« – –

Frau Blaut wurde sehr blaß und verwirrte sich augenscheinlich. Nach einigen Sekunden fand sie aber ihre Fassung wieder. Mit zornbebender Stimme antwortete sie: »Nein, das thue ich allerdings noch nicht, mein Fräulein! Ich werde Ihnen auch meine Gründe erklären. Als einzige kann ich mit Neuerungen nicht anfangen, um mich nicht lächerlich zu machen – – – einerseits! – Andererseits, um nicht etwa aufreizend zu wirken! – Verstehen Sie, wie ich das meine? Nämlich: meine Hausgehilfinnen würden die Kolleginnen im Hause auch verhetzen. Und den Haß der Mitwelt möchte ich vorläufig noch nicht auf mich laden!« – Sie holte Atem. Ihre Augen hingen durchbohrend an Lotte, deren Gesichtsausdruck ihr so unheilvoll spöttisch erschien, daß sie schleunigst fortfuhr:

»Im übrigen möchte ich Sie auf die elenden Wohn- und Schlafstätten der unglücklichen Dienstboten aufmerksam machen oder leugnen Sie auch diese Thatsachen?« Der Kampfruf war so direkt an Lotte ergangen, daß sie ruhig antworten konnte, ohne unbescheiden zu sein. – »Sie gestatten mir hier in einer so erlesenen Gesellschaft das Wort, gnädige Frau, daß ich beschämt bin! Ich will keine Lehrsätze anstellen, sondern nur einige Bemerkungen zu dieser Frage geben.« – Sie hob die Stimme. – »Jede Magd hat doch wohl meistens ihr eigenes kleines Zimmerchen, bei uns in Berlin ›Hängeboden‹ genannt. Dort schläft sie, meist doch – – – ungestört; während sie in ihrem Elternhause den Schlafraum gewöhnlich mit Eltern, Geschwistern, Schlafburschen und oft noch Vieh teilte. Sie empfindet also einen riesigen Fortschritt, wenn sie nach des Tages Mühen da oben allein hausen darf. Hat das Mädchen Geschmack, so kann sie dieses winzige Reich noch verschönern. Ich habe, die ich mit einer Schwester zusammenschlafe und mich mit ihr sehr gut vertrage, unsere Mädchen doch immer um den Hängeboden beneidet! – So ging es vielen meiner Freundinnen, die wir doch schließlich noch einen anderen Lebensmaßstab gewohnt sind als unsere Dienstboten! – – – Und dann, verzeihen Sie noch einige Sekunden! – Eine Schulfreundin von mir ist Kindergärtnerin geworden. Ich traf sie erst gestern und plauderte mit ihr über ihr Los. – Dieses gebildete Mädchen aus guter Familie teilt ihr Zimmer mit drei Kindern: zwei Knaben und einem Mädchen. Sie weiß nie, wie sie sich ordentlich waschen und anziehen kann, da die Jungen sie genieren. Nachtruhe kennt sie nicht, denn der kleinste Zögling ist schwach und kränklich und weckt sie nachts drei- bis viermal. Dabei ist sie todmüde, da sie nach dem Abendbrot bis zehn oder halb elf Uhr dem schwerhörigen Hausherrn aus der Zeitung vorlesen muß! – Haben die Gouvernanten und Kinderfräuleins es nicht bei weitem schwerer als die Dienstboten, die sich nicht so anständig zu kleiden brauchen und wenigstens an ihren freien Nachmittagen machen können, was sie wollen?« – –

Lotte schwieg aufgeregt. Sie fühlte, daß ihre Rede mißfiel. Nach kurzem Hinundher wandte sich das Gespräch der »humanen« Damen von dem Elend der gebildeten armen Klassen wieder den »Weißen Sklaven« voller Erbarmen zu. – Das junge Mädchen lachte trotzig vor sich hin und zuckte grimmig die Achseln: »Na, denn nich, ihr gräulichen Knöppe, dann haben wir eben gescherzt, und fertig is die Laube!« – murmelte sie verdrossen und setzte sich zu Klara.

Die machte ein böses Gesicht; denn sie war auf die Jüngste und ihre freie Rede wütend. Denn: denken kann man alles; aber darum braucht man doch nicht all seine Gedanken vom Stapel lassen. Ein Mensch, der nicht immer wie Lotte seine Meinung auf der Zunge trug, kam im Leben entschieden viel weiter! – Unsere nicht gerade dumme Freundin durchschaute den Gedankengang ihrer Schwester ganz genau. Sie beugte sich über sie und sagte leise: »Piff – paff – puff, reg dir nich uff, Altes! Eher hättest du heute einen Ochsen zum Milchgeben veranlaßt, ehe mich zum Schnabel halten! Ich wäre erstickt, wenn ich nicht meine Ansicht hätte geradeaus sagen dürfen! Und nu, Olle, brumme nich! Sondern lasse mich das nächste Mal zu Haus, ich bin eben nicht stubenrein!«

Die Wortschlacht wogte hin und her. Die Anschauungen prallten auseinander. Die Köpfe erhitzten sich. – Gerade als die Wogen am höchsten gingen, wurden die Portieren zurückgeschlagen. – Das Hausmädchen gab der Wirtin einen Wink, worauf diese zu einem »ganz bescheidenen Butterbrote« in das Nebenzimmer bat. Noch immer erregt, stürzten sich die Damen auf die von Lotte richtig prophezeiten schwedischen Schüsseln. – Die Kauthätigkeit besänftigte allmählich. – Unweit Lottes saß Fräulein Thea Schulze-Müller und flüsterte mit einer Gesinnungsgenossin. Dabei trafen spöttische Blicke den jungen Eindringling, und manches nicht gerade schmeichelhafte Wort drang an ihre scharfen Ohren.

Bald nach dem Abendbrote ging die Gesellschaft auseinander. Auf der Treppe hielt Lotte mühsam an sich; aber auf der Straße entlud sich ihre Wut, während sie mit energischen Schritten neben Klara dahinschritt: »Weißt du« – sagte sie – »ich kann dir sagen, ich habe auch die ›Nese‹ voll! wie der Berliner Jüngling sagte!« –

»Drück dich bloß anders aus, Mädel!« – tadelte die Schwester. – »Weniger wäre wirklich mehr!«

»Ach was, fuchtig bin ich!« – widersetzte sich die Gereizte. – »So viel humanen Unsinn habe ich mir ja nie in der Welt vorgestellt. Und morgen früh gehe ich zu meinem Freunde Ernst Georgy und erzähle ihm die ganze Suppe brühwarm. Und dann horch' ich bei allen Bekannten 'rum und bring ihm Beispiele von Exempeln über die ›weißen, gehetzten Sklaven‹, bis er den humanen Damen mal ein Buch über die Berliner Dienstboten schreibt, daß sie genug von haben. Wa – haftig, das thue ich! – – – So ein Zeug, da war ja's Ende von weg!« –

Wirklich begab sich Fräulein Charlotte Bach am folgenden Morgen zu dem Schriftsteller Georgy. Sie lugte über seine Schulter auf sein Manuskript und entdeckte, daß er wieder einmal die Liebe zum Thema seines Romanes gemacht hatte. Erzürnt gab sie ihm einen gelinden Rippenstoß: »Aber, Ernstchen,« –meinte sie zornig, – »Sie haben einen Vogel! Ewig das Gehabe, ob er sie oder sie ihn liebt! Die Richtigen kriegen sich immer vorbei! Das ist nichts Aktuelles mehr – heutzutage! – – – Wenn Sie klug sind, schreiben Sie sofort ein Buch über die Berliner Dienstboten, die sind wenigstens aktuell und immer modern. Ich liefere Ihnen das Material. – Sie schreiben! Sie kriegen ein schönes Honorar, und den Ruhm teilen wir redlich! Wollen Sie?« – – – »Na und ob nicht, Lotte, die Idee ist tadellos! Wo kriegen wir aber einen Verleger, der heute noch realistische Sachen nimmt? Wissen Sie denn nicht, daß die Untugend für Bücher nicht mehr existieren darf?« – – »Ach was, legen Sie man los. Und für das übrige lassen Sie mich sorgen, ich bin mit Richard Bong befreundet – – – na, also! Und nun in den Kampf, Torero!«


 << zurück weiter >>