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2. Kapitel. In der Markthalle.

»Fritze, fahren Se mal 'n Topp Kaffee uff; aberscht recht heeß! – – Karle, willste 'ne Stulle zufuttern? – Nee? – Wollen wa' üppig sind, un uns mal 'n Sticksken jeriebenen spendieren oder Musschnecken? – Du, Oller, der Vormittag war jut, jaunre nich um die paar lumpichten Sechslinge, herste? – – – Na, also, wo dradum sagste et denn nich im richtigen Momang! – Haste verstanden, Fritze?« – – »Jewiß doch, Frau Huppke, ick bin doch nich schwach uffs Trommelfell!« – lautete die Antwort des Schlingels. – »Na, denn loof und 'n bisken allong, um finfen wird uffjemacht, un 's is bald so weit. Man nur noch zehn Minuteken!«

Der jugendliche Kellner der Markthalle, Nummer 50, sprang davon und nahm unterwegs noch eine ganze Reihe anderer Aufträge in Empfang. Inzwischen ordnete die dicke Huppke noch einmal ihre Fleischwaren in dem sauberen Verkaufsstand, über dem ihr Name prangte. Sie band die schmutzstarrende blaue Schürze ab und ließ sie unter dem Ladentisch verschwinden. Darauf nahm sie eine steifgestärkte weiße vor und knotete sie mit festen Griffen um ihre behäbige Taille. Ein riesiges dreieckiges, selbstgestricktes Tuch wurde um die Schultern gelegt, im Rücken zusammengeknöpft und über der üppigen Brust mit einer Sicherheitsnadel befestigt. – Als dies geschehen, blickte sie in den winzigen Spiegel an der Hinterwand der Zelle, spie in beide Hände und polierte mit ihnen noch einmal den glänzenden Scheitel vor dem mit brennend roten Rosen besetzten Kapottehütchen. Die Toilette war beendigt, die Kunden konnten erscheinen. – »Die Huppken und ihre Waren sahen patent aus!« – Dies war nämlich ihr höchster Ehrgeiz. –

Während sie das saftige Rindfleisch mit kosendem Streicheln in das rechte Licht rückte, machte Herr Huppke die Wechselkasse. Seine dicken, stark verfrorenen Hände ordneten die Münzen in die verschiedenen Abteilungen des geflochtenen Drahtkorbes. Dabei zählte er halblaut und schrieb die gewonnenen Zahlen mit einem Bleistift in das fettige Notizbuch. Ohne sich bei dieser Thätigkeit stören zu lassen, hob er plötzlich den Kopf und brüllte mit seiner tiefen, heiseren Stimme: »Maier!« – – »Wat willste« – erscholl es dumpf aus einiger Entfernung. »Haste bitte Jroschens?« – – – »Massenbach!« – – »Na, bong, dann schick mich mal für drei Märker welche riber!« – – »Fällt mich nich in Traum in, brauch selber welche! Zwanzig werdens och thun!« – – »Du Lump, infamigter!« –

Auf dieses freundliche Kosewort erfolgte nur ein dumpfes Grunzen. Gleich darauf erschien aber Maiers Jüngster und tauschte sein Kleingeld gegen ein Zweimarkstück ein. Mit frechem Ausdruck blieb der hoffnungsvolle Knabe stehen: »Na, Herr Huppke, darf ick mir mal 'ne Vertrauensfrage genehmigen?« – – »Wennst durchaus sein muß, los!« – antwortete der Schlächter zerstreut, denn er zählte wieder. – – »Sagen Se mal, Se haben woll Ihre eijene Zunge in Pöckel liegen?« – – »Nanu?« – – »Ick dachte nemlich, dat man hier zu Lande ›danke‹ sagt, wenn ener enem 'ne Jefälligkeit erweist. Det is wollst aber bei Ihnen in Reinickendorf nich mehr Mode?« – –

»Hör mal, Justav, wenn de meinen Mann noch eenmal mit deine unjewaschene Redensarten sterst, dann mach ick dir Beene!« – meinte Frau Huppke mit verheißungsvollem Gesicht. Und siehe: Gustav trollte sich sofort. Die rührige Madame ließ nicht mit sich spaßen! –

Der kochend heiße Kaffee und zwei köstliche, schmalzduftende Kuchenstücke wurden gebracht. Bei diesen verlockenden Düften ließ Huppke Kasse – Kasse sein und kam herbei. Die Bestellung wurde sogleich bezahlt. (Für Anschreiben waren Huppkes nicht; denn er meinte selbst: »er sei kein Dallesmajor, sondern hätte Moos in die Pinke«.) – »Mutter« füllte die beiden Blechtöpfe und that Zucker und Milch hinzu. Dann ließ auch sie sich nieder und verschränkte in behaglicher Erwartung des kommenden Genusses die beiden Hände um das heiße Gefäß. Darauf pustete sie fest und trank einige Schlucke. Ihr Blick wanderte und blieb auf dem Gemüsestand der Witwe Müller haften. Auch diese widmete sich gerade ihrem Vesper. »Sagen Se mal, Müllern, was haben Se jetzt immer für 'n famostes Plüschcape um oder is det richtiger Pelz? – – – Wirklich ein schenes Stücke!« – bewunderte sie neidlos. Die Witwe lächelte geschmeichelt. – »Na,« – entgegnete sie – »es jeht! – Echt is es woll nich. Das heißt, sie haben 's mir vor geschornes Kaninchen anjedreht; aber warm is et, und des Futter,« – – – sie lüftete den Kragen – – »gesteppter Wollatlas auf Watte. Nach wat aussehen thut es!« – – »Ob nicht! Kost woll auch 'n Batzen?« – – »Och nee, läßt sich halten, bloß neun Märker, und 'ne gehäkelte Wollweste mit Ärmel muß ick drunter ziehen, sonst is et doch zu kalt in de Halle!« – – »Was Se sagen!« wunderte sich die Huppke. – »Is woll von Wertheim oder Jandorf?« – – »Nee, seit die ihre Paläste bauen, habe ich keene rechte Traute mehr for die Leute. Ich red mir immer ein, daß ich dann zwee Bausteine und 'nen halben Maurer mit draufberappen müßte, hihihi« – – der Witz amüsierte alle Zuhörer mächtig und wurde mit großem Gelächter belohnt – – »ich hab des Ding von der Cousine von meinen Seligen seinen Brudersohn, die hat 'n Resterfritzen geheiratet. Wohnen in meine Jejend! – Jehen Se doch mal hin, Frau Huppke, Se kaufen da sehr reell! Warraftig!« – ermunterte sie.

In das Gespräch über Pelz- oder Plüschumhänge, gestrickte Tücher oder richtige Jacken verwickelten sich jetzt mehrere Frauen. Eine jede pries die Vorteile ihres Kleidungsstückes und versuchte, die anderen zu überzeugen. Der Zeiger rückte auf fünf Uhr. – Der Wächter ließ die verschiedenen Zugänge öffnen; aber der Kundenbesuch war vorläufig noch recht schwach und verstärkte sich wie gewöhnlich erst mit dem Abend. So hatten denn die Verkäuferinnen noch Zeit genug, ihre Unterhaltungen fortzuführen und machten davon den ergiebigsten Gebrauch.

Eine Dame in einem langen Pelzmantel kaufte erst bei der »Müller«, darauf bei der »Huppke« und ging dann die Reihe durch, in einem anderen Gange verschwindend. – »Dunnerkiel, haben Se die Brillanten und den Pelz jesehen, das nennt man nobel!« – meinte die Fischhändlerin Grieseberg und ließ die lebendigen Hechte ins Wasser zurückklatschen. Sie hatte sie mit dem Netz herausgefischt und auf ihren Blechplatten mit Abflußlöchern anlockend ausgebreitet. –

»Kenn Se der nich?« – rief die Huppke, – »das is ja de reiche Berg von Kurfürstendamm? Die jiebt de jrößten Fetze und bestellt allens beim Koch; aber in de Woche, wenn se mit ihren Ollen alleene sitzt, dann futtern se schlechter wie unsereins, so 'ne mierigen Knöppe!« – – »Wat Se nich sagen, Huppke!« – sagte die Müller. – »Woher wissen Sie denn det?« – – »Na, die Emilje, wat der Berg ihre sojenannte Kochköchin is, die kauft bei mir allens. Dat heeßt, merschtendeels Knochen zum Auskochen oder Kottletter, was uf 'n Jas recht schnell jeht. Vor Kottletter un Kartoffel halten sich die Leute nu 'ne Kasinomaid mit neunzig Thalers un Kostgjeld! – – Die Emilje hat neulich fast jeweint. Se sagt, wenn det ville Trinkgeld nich wäre, blieb se keene Stunde ins Haus. Was nutzen sie denn all die nacklichen Kunstwerke und die Salönger, bei ihr poplichtes Gekoche? Davor hätt se nich jelernt!« – – »Recht hat se!« – – »Na, überhaupt, durch die Mechens hört man doch noch was Jescheutes!« – rief die Obstfrau Hele. – »Heute morgen hat mir Doktors Luise von nebenan erzählt, ihre Fräuleins – – – kennen Se denn de beiden blonden Hopfenstangen nich? Sie sehen jleich jekleidet und doofen immer bei die Punksche Blumen!« – sie verstellte die Stimme und piepste – »bitte, liebe Frau Punksch, recht viele Blumen und recht frische. Nein, die sind aber nicht schön und so teuer! Alte Kunden wie wir bekommens doch billiger? Und dann handeln sie 'ne halbe Stunde, bis die Gärtnersche een' Jroschen runterläßt – –«

Eine Dame mit einem Kind ging vorbei und sah sich spähend die Auslagen an.

»Zehn Bund Radieser noch for drei Jroschen!« –

»Frische Äppel, Birnen! Na, wie is es mit die Nüsse, Madamchen?« –

»Sehr gutes, schieres Fleisch, gnädche Frau, ich schneid es Ihnen mitten aus die Keule!« – –

»Flundern – Karpfen – Hechte – heute angekommen! Treten Sie doch näher!«

»'n letzten juten Kohl, Frauchen! Denken Se doch, 'ne saftche Jans und Rotkhol! Das lieben selbst die Jötter uff 'n Sonntag!« –

Vergebens, die Fremde eilte weiter. – – Frau Hele verbeugte sich tief: »Na, denn nich, meine Liebe, dann habn wa eben jescherzt!« – Und in die Höhe schnellend, fuhr sie, nach einem kräftigen Nasenschneuz in ihre Schürze fort: – »Also, wat die Luise erzählt, wollte ick Ihn' doch sagen. Heren Se man bloß: Doktors Töchter kriegen nischt mit und sind furchtbar hinter die Männers her. Luise hat neulich jesehen, daß die zweite sich mit einen Herrn, der sie nach Haus brachte, in 'nen Flur abjeknutscht hat. Un am andern Tage hat se sich mit ihren Vetter beleckt. Wie die Varickten sind se auseinander jefahren, als Luise in't Zimmer rinkam. Und was die Älteste is, die hat sich endlich so 'n langen Lulatsch anjeschafft! meint Luise. – Mit dem hatte se sich mächtig' und er mit sie. Drei Wochen jing det Jefippsle hin und her. Doktors waren selig. Jestern aber, kurz vors Öffentliche, haben se bei Tisch jekracht. Er is wechjejangen und hat 'n Brief jeschrieben mit de Rohrpost. Nu liegt die Fräulein Ella heute in ihr Zimmer injeschlossen und heult und hat Mijräne. Un Luise sagt, bei Doktors wäre Jewitterschwile. Der Olle wird sich aber nach seine Sprechstunde donnernd loslassen!«

»Weil Se Doktor sagen, Hele, fällt mich de Anna von Doktor Ixschmidt an de Ecke ein. Die is man jewöhnliches Mechen for allens! aber se läßt sich Fräulein und Wirtschafterin nennen. Det klingt besser und sieht aus, als ob er zu thun hätte. Ja, Kuchen, während seine ›Schweijestunde‹, hihi« – platzte die Müllern raus – »liest er Romane oder schreibt Liebesbriefe an seine Donja. Die Mebels sin uff Abzahlung. Neulich hat een Unjlückswurm vor seinem Hause sich die Pote verstaucht, er hat geholfen und 'ne Mark vor gekriegt. Hat er sofort vor Freude seine Freunde mit Hummern und Schampanjer traktiert! – Anna sagt, seine Eltern müssen ja schließlich doch berappen, die hätten 's zwar och nich dicke; aber warum lassen se ihren Sohn Arzt studieren. Es jiebt doch noch anere Berufs, wo man eher zu was kommt! – – – Aber se jeht von ihm nich weg, die Stellung wäre sehr bequem, Essen jut, und das Lohn hat se och noch immer richtig jekriegt! – – – Wißt ihr, wat ick jlaube? – – –«

»Er wird ihr woll ihr Herze kurieren, die sieht mich janz danach aus, un hibsch is se!« – unterbrach die Huppke lachend. Sie hatte sich gerade mit ihrer Hutnadel die Zähne ausgestochert und steckte jetzt das Instrument wieder in ihre falschen Zöpfe. – »Scheißlich, wie sich det Mus festsetzt, der reine Leim!« – schalt sie. Jedoch wurde ihr Gesicht auf einmal sehr liebenswürdig. – »Guten Abend, Fräulein Justchen, Jott, haben Sie sich heute hübsche rote Bäckchens geholt! Stehn Ihn' famos zu Ihr dunkles Haar und die braunen Augen, wenn das der Schatz sähe, ei, ei!« –

Die Huppke drohte dem herangetretenen Mädchen mit dem Finger. Auguste lachte geschmeichelt und öffnete den Korb. Sie nahm einen Zettel heraus und las: »Also: vier Pfund Rindfleisch, aber recht saftig! Sechs Pfund Schweinefleisch, nicht zu fett! Ein paar Knochen und for'n Sonntag 'ne Kalbskeule, aber 'ne schöne! Die Frau kommt Sonnabend selbst her, sie sich abholen! – – – Wenn die olle Zicke nich immer allens aufschriebe, jinge es auch, was, Frau Huppke; aber sie meint, wir Mädchen ließen uns allens in die Hand stechen?« – – »Na, die is 'n bisken Lititi!« – beteuerte die Schlächterin und begann die Ware zu durchschneiden und abzuwiegen. – »Bei Bauerntrampels kann se das woll denken; aber bei so 'n kluges, jebüldetes Mechen wie Sie, lachhaft! Na, was macht er denn?« – – »Sonntag gehn wir zu Schippanowsky, hat er jeschrieben!« – »Das ist recht!« – lobte die Huppke und that schnell etwas Fett auf die Wagschale. – »Na haben Se 'n denn in de Woche nich jesehen?« – – »Ne, ich komm ja nich weg. Alle Abend is bei uns Besuch!« – – »Da soll doch der Deibel rinfahren!« – – »Soll er auch!« – bestätigte Auguste und beugte sich vertraulich zu der Verkäuferin. »Hören Sie, Huppkechen?« – – »Wat denn, mein Engel?« Die Köpfe näherten sich, so daß die Magd das folgende flüstern konnte: »Unsere Frau ist ja ein großer Dämlack und hat keine Ahnung von die Fleischpreise. Schlagen Sie man ruhig einen Jroschen pro Pfund auf, dann teilen wir ehrlich, nich wahr?« – »Aber, Justeken, selbstverständlich!« – sagte die Schlächterin und ließ es ruhig geschehen, daß ihr Gatte das Mädchen auf die drallen Wangen klopfte und unter dem Arme kitzelte. Die beiden lachten und ulkten miteinander. Frau Huppe packte den Einkauf in den Korb. Sie schmunzelte: »So, Herzeken, und den Jroschen mehr fürs Pfündchen stechen Sie man ruhig ein. Ich verrate nix, und werde sehen, daß ich bei meine andern Kunden auf meine Kosten komme!«

Nach einigen weiteren Fragen und Antworten trollte sich Auguste. Sie war sehr froh über ihren heutigen Verdienst. Mein Himmel, so ein paar kleine Schmuhgroschen waren doch beileibe kein Diebstahl, sondern einfache Pflichtzinsen von der Herrschaft an die geplagten Dienstmädchen! –

»Die dumme Trine kommt wieder!« – sagte die Huppke leise zu ihrem Manne. »Die muß man bei ihre Eitelkeit packen. Du verstehst et ausgezeichnet mit de Mechens, mein oller Karle!« (Das »r« dieses Namens schenkte sie sich zwar stets.) – »Eine March hat die nu bei uns in alle Eile verdient! Na, – – – wir kommen ja och nich schlecht dabei wech! Et is wirklich fir uns am besten, wenn die Hausfrauen ihre Mechens zum Einholen schicken! Dabei kann man ihnen dann wenchsten immer die Preise ufschlagen und braucht och mit de Ware nich so ängstlich sind!« – –

»Na, Emma, des is nett, daß Sie mir mal wieder beehren!« lobte Frau Müller eine alte Kundin. – »Suchen Se man aus oder soll'n 's Hülsenfrüchte sind? Na, wie Sie wünschen! Sie sehen blaßken aus, was is denn passiert?« –

Emma machte ein noch zornigeres Gesicht und biß sich auf die Lippen. »Jeken, Jeken! Sprechen Se sich doch aus, armet Ding!« – – – »Dieser alte Satan!« – sprach sich Emma jetzt wütend aus. – »Den ganzen Tag schuften und plagen! Und was ist der Dank davor? Nichts wie Jenörgle und Zanken! Bei so 'ne Frau bin ich aber noch nie jewesen! Mit allen macht se 's so, selbst mit 'n Herrn. Nachher kommt er in die Küche, nimmt mich um die Taille und tröstet und streichelt mich. – Ich soll man nich böse sein. Seine Frau wäre Schriftstellerin, und die sein alle etwas nervös, meinten es aber gut. Na, und dann macht er faule Witze – – –« – Dann fällt wohl auch manches Küßchen vor Ihnen ab, bei solche Tröstungen?« – fragte die Müller mit glitzernden Augen. Emma wurde sehr rot und augenscheinlich sehr verlegen; aber sie sagte brummig: »Auch noch, dem stiege ich aufs Dach, wenn er frech wäre! Ne, dazu hat man doch andere – – –! Aber ein Fünfgroschenstück schenkt er mir und – – –« – »Aber Emmchen, dabei wär' doch nischt! Der lange, äx, wie heißt er doch jleich? Der – – –, na, hol'n der Deibel, er is och Schriftsteller! Der is in Sommer, als seine Olle im Bade war, immer mit sein Hausmädchen in 'n Jrunewald jefahren! Überhaupt, da könnte ich Ihnen war zum Besten jeben – – –«

Die beiden plauderten noch über das interessante Thema weiter. Es war ja auch ergiebig genug. Mittlerweile war die Fischfrau Grieseberg auch stark beschäftigt. Sie fischte wiederum verschiedene Prachtexemplare aus den Bassins und zeigte sie mit übersprudelnden Lobeserhebungen einer sehr anständig gekleideten, älteren Dame: »Also, soll ich sie erst totmachen, Frau Professor, oder macht das Ihre Albertine? – – – Wie Sie wünschen, mich macht das ja weiter nischt aus. Unsereins ist dran gewöhnt und leid nich an Nerven!« – Sie tötete die gekauften Tiere und blickte in das sorgenvolle Gesicht ihrer Kundin. »Frau Professor sehen een bisken anjejriffen aus!« – – »Ach, liebe Grieseberg, Sie kennen ja die Sache auch. Sie halten sich ja auch einen Dienstboten! Es ist schrecklich mit den Personen! Dieser Widerspruchsgeist, diese Frechheit und Faulheit! Es wird immer schlimmer mit ihnen! Heute hat mir Albertine für vier Mark Geschirr zerbrochen, wirklich aus reiner Fahrlässigkeit. Und das ist doch eine Summe!« – –

»Na, aber, Frau Professor! Unerhört, so ein Trampel! Na, die würd' ick auf 'n Drapp bringen! Bezahlen ließe ›ich‹ ihr's bestimmt! ›Ich‹ zöge es ihr vom Lohn ab!« versicherte die Händlerin wütend. – »Damit sie mich im ganzen Hause rumbringt, nein, das geht wohl doch nicht! Obendrein ist es wirklich ein armes Mädchen! – – – Aber wenn Sie etwas von einem guten Mädchen für alles hören, dann sprechen Sie mit ihm, und denken Sie an mich! Sie kennen mich doch lange genug!« – – »Aber mach ich mit Wonne, Frau Professor! Was ick thun kann, wird jeschehen; was Besseres kann ich mich ja auch gar nicht vorstellen, wenn ich 's mit eine gut meine!« – – »Also, abgemacht, Frau Grieseberg! Adieu inzwischen!« – – »Empfehl mich bestens, Frau Professor!« – dienerte die Verkäuferin höflich und schnitt der Davonschreitenden eine Grimasse nach. –

Darauf packte sie eine vorübergehende Dienstmagd am Arm und hielt sie lachend fest: »Na, Fräuleinchen, sind ›Sie‹ mit Ihre Stellung zufrieden?« – Das Mädchen war zuerst sehr verblüfft. Dann aber machte sie sich unwillig los: »Sehr! Aber was geht Sie denn das an?« – – »Ich wollte Ihn' man bloß aus reine Menschenliebe anraten, nich zu die Dame da zu ziehen! Sanft is se zwar; aber davor giebt es mittags: kleine Töppe in großen, und abends: Butterbrot mit Mondschein belegt!« –

Eine Frau aus dem Volke in ärmlicher Tracht kam vor den Stand der Frau Huppke. Sie hielt ein kleines Kind auf dem Arme und zwei andere, von vier und sechs Jahren, griffen mit den Händchen an ihren Rock. Während die Frau ihren Speck zugewogen bekam, blickte sie die Huppke unausgesetzt an. Diese knabberte jetzt ein Weißbrot und biß von Zeit zu Zeit in ein dickes Wurstende. Sie hatte fürs erste genug geschafft und ließ jetzt »den guten Ka–le« auch einmal zugreifen, was dessen Laune etwas getrübt hatte. –

»Ich weiß gar nich; aber Sie kommen mich so bekannt vor, Frau Schlächtermeister!« – meinte die Käuferin nachdenklich. – Plötzlich zuckte es über ihr Gesicht. – »Nu hab ich's und weiß, wo ich Ihnen hinthun kann! Sehen Sie mich mal genau an!« – Die Huppke that, wie ihr befohlen. »Ja, ick kenne Ihnen och!« – –»Natürlich,« – lachte die andere, ordentlich vergnügt. – »Wissen Sie denn nich mehr? Wir beide waren doch bei den reichen Bankier Herz zusammen in Dienst. Ich Köchin, Sie Hausmädchen!« – – »Ach ja, richtig!« – entgegnete die Huppke weniger erfreut. – »Das heißt, ich war da Zofe!« – – – Ihr Ton war derart, daß die Fremde keinen Widerspruch wagte. – »Also Sie sind die Minna? Na, was ist denn aus Sie geworden?« – –

»Aus mich, mein lieber Heiland, nich viel! Ich hab den Schlosser Knuffke geheiratet! Wissen Sie nich, wir gingen damals schon zusammen? Da hat er mir den Himmel auf Erden versprochen! Meister wollte er werden, der alte Esel mit seiner ewig trockenen Gurgel! Die Hände wollte er mir unterlegen! Ja, Kuchen, er säuft und arbeitet man halwege. Ich aber schuft mich dod! Fünf Jöhren, die Wirtschaft und Aufräumestellen, das is nu des versprochene Himmelreich! Nee, un wenn man bedenkt, wie jut man es immer jehabt hat: keene Sorgen, det scheene Essen un die ville freie Zeit! So dumm zu sein, un die juten Stellungen um so ein dummes Mannsbild aufzugeben! Wo ich abraten kann, thu ich's; denn des is ein jutes Werk! Das heißt« – sie stotterte und verwirrte sich, denn Herrn Huppkes Gesicht zeigte drohende Wolken – »manch eine hat ja Glücke und derf nich klagen!«

»Nee, Oller, nich wahr, wir zwee beede sind janz zufrieden? Uns fehlt nischt!« – meinte die Schlächterin protzig und puffte ihren Gatten liebevoll mit dem Ellbogen in die Seite. – »Ick hab jenug von det Getratsche und jeh mal bei Arens rum, 'ne Pulle ›Echtes‹ uff den Schreck trinken!« – entgegnete er in so entschlossenem Tone, daß die liebende Gattin keine Entgegnung wagte. »Dieses bei Arens rumjehen!« war der Fluch ihrer Ehe. Aber warum sollte sie diesen wunden Punkt ihres Daseins vor der einstigen, jetzt so heruntergekommenen Kollegin entschleiern? Sie nahm sich zusammen und sagte deshalb nur vergnügt lachend: »Na, dann jeh man, du lieber oller Rumtreiber!« Karl Huppke fiel dabei nun doch ein Stein vom Herzen. Er verflüchtigte sich denn auch mit unheimlicher Schleunigkeit, in dem frohen Bewußtsein, damit nicht nur dem »Getratsch der Weiber«, sondern auch dem Hauptansturm der Kunden zu entgehen. –

Frau Huppke spielte die Noble und schenkte der Käuferin nach einigen Sätzen hin und her noch ein ansehnliches Stück Wurst und einen »jediejenen Schinkenknochen, der noch een feinet Mittagbrot jab.« Darauf entfernte sich die Frau mit ihren Würmern, um noch weitere Einkäufe zu machen. – – »Sie haben et jut, Sie kennen stricken!« – meinte die Schlächterin zu einer alten Frau, die vor einem Verkauf mit hölzernen Wirtschaftssachen saß.

»Danke for die Jüte!« – brummte die Alte und warf einen wütenden Blick auf die Käsehändlerin zur Linken. – »Ewig kalte Beene von den Steinboden, und von den Zug in die Halle eenen Reißmirtüchtig in de Ärme; und noch nebenbei Koppweh von den Käsejestank, der sich hier mit die Jeriche von Blumen- und Räucherfische mischt. Rotschild seine Frau hat es besser!« – –

»Det kann ick mir denken!« – erkannte die Huppke an.

»Na, Brinken, wenn Sie nächstens det Rezept erfahren, wie man Käse mit ›Odekolonch‹ ( Eau de Cologne) anrührt, dann sagen Sie's mich man! Bis dahin müssen Se nu Ihre amparte Nase uff meinen Stinkadorus einriechen. Ich kann Ihn' nich helfen!« – sagte die Käsefrau giftig und häufte die stark duftendsten Sorten gerade auf der Seite, wo ihre Erbfeindin saß. –

Der Abend war weit vorgerückt. Sie Markthalle wurde um diese Zeit vom Publikum am meisten benutzt. Die Kunden drängten sich zu den Ständen und wogten durch die Gänge. Die Verkäuferinnen hatten so viel zu thun, daß sie nicht zu Privatgesprächen kamen. – Kurz vor acht Uhr, also vor Schluß der Verkaufszeit, legte sich der Andrang. Die Damen der Halle atmeten auf. –

Eine »fliegende Händlerin« kam mit dem eintönig gerufenen: »Zieh – tronen, – Va – nilje – – – Kapern!« an Frau Huppke vorbeigeschlichen. Diese rief sie an und verwickelte sie in eine eifrig geflüsterte Unterhaltung. Das kleine, verkrumpelte Weibchen hatte eine gewaltig böse Zunge und wurde als » chronique scandaleuse« von allen gefürchtet. Sie wußte jeder Hallendame, besonders aber den begüterten, etwas Übles nachzuerzählen. Auch jetzt berichtete sie in ihrer geheimnisvoll andeutenden Art der neugierigen Schlächterin, daß ihr vis-à-vis, die Witwe Müller, mit dem dicken Gesellen vom Großschlächter Brums angebandelt habe. Sonntags sei sie bereits mit ihm in Rixdorf »schremmeln« gewesen, und – was die Huppke sei, so solle sie man nachher auf das Gethue mit dem dicken Kerl aufpassen. Sie wolle ja nichts sagen; aber schön sei es nicht, wenn sich solche alte Person, die erst fünf Monate verwitwet wäre, so einem Burschen an den Hals würfe! Na, über Geschmack ließ sich nicht streiten! – –

Die Marktpolizei hatte die Thore für Käufer schließen lassen. Die Stände wurden zur Nacht zurecht gemacht. Die Waren wurden teils in die Kellerräume geschleppt, teils bedeckt und verpackt. Die Ladentische wurden gereinigt, und die Verkäufer machten Toilette für die Heimwege. Ein reges, fleißiges Leben herrschte.

Mit großen Besen wurden die Wege gekehrt und mit Wasser überspült. – – »Achtung, jetzt kommen wir, schneidige Jungens, wat?« brüllten drei Männer und kamen untergefaßt den breiten Mittelweg heruntergetänzelt. Es waren der Fischhändler Herr Grieseberg, Herr Huppke und Brums dicker Geselle: Fritz Schneidter. In äußerst bierseliger Stimmung eilten sie aus dem benachbarten Restaurant von Arens herbei, wo sie rasch ein paar Partien »gekloppt« hatten. – »Hurra, die Männer, nu wird's Tag!« – johlten einige.

»Siehste woll da kimmt er, lange Schritte nimmt er!« – sang die Müller, die schon in Hut und Mantel fertig vor ihrem geschlossenen Stand harrte. Sie kreischte schämig auf, als Schneidter sie mir nichts dir nichts um die Taille packte und mit ihr eine »kiebige Kreuzpolka« tanzte, zu der er selbst und einige andere die Musik sangen und pfiffen.

Grieseberg ließ sich verführen und hopste mit der kleinen Aufwärterin der Blumenfrau los. Andere folgten dem Beispiel unter Lachen und Jauchzen. – – »Kiek dir nur die Müllern an, die glupscht sich vor Bejeisterung noch die Oogen aus 'n Kopp!« – sagte die Huppke ärgerlich. – »Un nu los, Ka–le, un nich so lange jefackelt. Der Wagen steht draußen, un ick hab mit dir sowieso noch 'n Hühnchen zu ruppen. Na unterwegs, warte man, mein Schnuteken!« – –


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