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8. Kapitel. Die Flüchtlinge!

Ida Remblatt war durch Empfehlung in das Haus des Doktor Waltner gekommen. Sie sollte Hausmädchen sein, einige Stuben aufräumen und sich nur um die Praxis kümmern: – Bestellungen annehmen – telephonieren – und beim Auskochen der Instrumente und Verbände helfen! Der Dienst war leicht, die Herrschaft schien ihr freundlich, die Küchenkollegin Selma machte einen vertrauenerweckenden Eindruck. Zur Unterstützung ihrer etwaigen Gedächtnisschwäche hing eine große Schiefertafel da, und die Frau Doktor stellte ihr die schwarzweiß gewürfelten Waschkleider, sowie die kleidsamen Häubchen. – Ida war zufrieden mit der Fügung ihres Schicksals! –

Der erste Tag in dem neuen Dienst verlief glatt. Freudig kam sie nach dem Abendbrot in das große, nett eingerichtete Zimmer, welches sie mit der Köchin teilte. Diese saß am Tisch und stopfte ein Loch, das sie sich beim Backen in ihre Schürze gebrannt hatte. Ida setzte sich auf die andere Seite, legte die Arme behaglich auf die blitzblanke Platte und schaute auf die arbeitenden Finger.

»Na, wie hat Sie denn der erste Tag bei uns jefallen?« – fragte Selma neugierig. – »Ach gut! Die Frau is een bißchen sehr akrat un' genau, un' höllisch ängstlich is se, daß ich imma zur Zeit an de Thüren kloppe und auf Fußspitzen 'rumlaufe, damit es leise is. Aber sonst find' ich's bei'n Arzt doch sehr ›intressant‹. Was man da nicht allens zu sehen kriegt! Der Herr Doktor hat doch 'ne mächtig große Praxis, nich wa – –?« – – »Die hat er! Freuen Se sich man, wenn Se nachts aus 'n besten Schlaf aufmüssen, weil de Nachtjlocke jeht! Das Verjnüjen wer'n Se manchmal sogar 'n paarmal jenießen!« – meinte Selma mit hämischem Gesicht. – – »Hoffentlich nich', wenn man den janzen Tag auf de Beine is, möcht man doch wenchstens nachts seine Ruhe haben!« – rief Ida enttäuschter. – »Kommt denn das oft vor?« – – »Na, ob! In die belebte Jejend und bei die villen Hausarztstellen passiert fortwährend was. Manche Nacht zwei- bis dreimal. Ich hab mich schon dran jewohnt und schlaf weiter!« – – »Soo,« – sagte Ida gedehnt »was muß ich denn machen?« – – »Sie!« – lächelte Selma – »Sie ziehen sich an, rennen auf den Erker, machen das Fenster auf und fragen, was los is! Dann müssen Se mit den Hausschlüssel 'runter, den 'rauf holen oder den Herrn Doktor rufen und ihm beis Packen helfen. Manchmal warten, ob er noch nach irgend was schickt!« – – »Mehr nich? Ich danke! Wenn das so zweimal vorkömmt, is man um den Schlaf!« – – »Das jewiß! Bein Arzt is et mal nich' anders!« – – – »So'n armes Luder hat och keene Ruhe! Nee, ich möcht nich' Arzt sein!« – philosophierte Ida. – – »Wer hat Ihn' denn herempfohlen?« – fragte Selma und blickte auf.

Ida spielte mit ihrem Schürzenband und rollte es über den Finger »Mir? Die Posamentier an de Ecke, wo er jetzt das dritte jeholt hat!« – »Na, bei die Frau brauchen Sie sich nich zu bedanken. Se wer'n noch Ihr blaues Wunder erleben!« – Ida hielt in ihre Beschäftigung plötzlich inne: »Aber die Jecke konnte doch nich jenug schwärmen und erzählen!« – rief sie erschreckt. – »Die hat ma den Mund wäßrig gemacht!« – – »Für Entbindungen is er ausjezeichnet, das glaube ich auch; aber zu dienen bei 'n – – –? Die Jecke hat keine Ahnung von 'ne Idee!« – – »Is es denn hier so doll?« – – »Warten Se man ab! Ich möcht nich' vorgreifen. Se werden je selbst sehen!«

Mehr war aus der Unglücksprophetin nicht herauszuholen! So sehr sich Ida auch mühte. Sie mußte sich immer mit halben Andeutungen begnügen. Sorgenvoll legte sie sich zur Ruhe nieder. Am nächsten Morgen, nach einer ungestörten Nacht, sah sie die Dinge von einer optimistischeren Seite an. Selma war in der Küche und konnte ihr keine erneuten Schreckschüsse einjagen. So ging sie denn wieder heiter an ihre Arbeit. – Die Wochen vergingen. Ida sah mit eigenen Augen. – – –

Ihre Stimmung sank von Tag zu Tag. Die Frau Doktor kam aus einem kleinen Ort und konnte sich an Berlin und den hier üblichen, schonenden Ton gegen die Dienstboten nicht gewöhnen. Obendrein war sie entsetzlich nervös und schalt dauernd. Nichts wurde ihr recht gemacht. Keine Arbeitsleistung genügte ihren Anforderungen! Ihr Gatte hörte, wenn er aus der Praxis nach Haus kam, nichts weiter als bittere Klagen über die Dienstboten. Er wurde gleichfalls kopfscheu und gereizt, so daß sich das Verhältnis nicht schöner gestaltete. – Ida gab sich anfangs große Mühe. Sie war aber ein unbegabtes Geschöpf, und es gelang ihr, trotz ihres guten Willens nicht, die Schwierigkeiten ihrer neuen Stellung zu überwinden. Bald wurde sie trotzig und verbockt.

»War heute irgend eine Bestellung?« – fragt der Doktor die ihm öffnende Ida. Sie nickte heftig mit dem Kopfe: »Ja, Herr Doktor, ein Graf wartet auf Ihnen!« – – »Ein Graf? Wissen Sie das genau? Ich kenne keinen!« – meinte der Arzt unruhig, denn ein Zuwachs seiner Praxis aus den Kreisen der Aristokratie war sein großer Wunsch. – –

»Es is aber einer, Herr Doktor! Und er sieht sehr fein aus und stolz is er!« – – »Wartet er lange? Sagte er, was ihm fehlte?« – – »'ne Stunde wird's woll sein. Sonst hat er nicht gesprochen; aber er muß sehr krank sein, er hust' so viel und wischt sich immer den Schweiß ab. Und eilig hat er's. Er rennt immer im Wartezimmer auf und ab!« – – »Warum haben Sie mich denn nicht angeklingelt?« – fragte er ungeduldig und ordnete schnell seinen Anzug. – »Ich hab ja de ganze Liste abtelephoniert, die Sie mir gaben. Sie waren immer schon weg!« – – »Ich gab Ihnen eine Liste?« – – »Die auf dem Schreibtisch lag!« – – »Aber, Ida, Sie sind doch – – –. Warum richten Sie sich nach einer Sache, von der ich Ihnen nichts sagte? Das war die Liste meiner Verwandten, die wir in der nächsten Woche einladen wollen!«

Er stand schon an der Thür des Wartezimmers und bat den neuen Patienten in allergrößter Liebenswürdigkeit, sich in das Sprechzimmer herüberzubemühen. Nach zehn Minuten bereits entließ er ihn weniger höflich. Seiner Gattin erzählte er ärgerlich, daß es der Abgesandte einer lithographischen Anstalt war, der ihm die Dienste seiner Firma anbieten sollte. – – Ein anderes Mal stürzte Ida in das Speisezimmer, wo das Ehepaar gerade speiste. »Frau Schloßer hat antelephoniert, der Herr Doktor möchte doch ja die Tasche mitbringen, wenn er käme!« – – Waltner wurde förmlich blaß: »Schon?« – sagte er mit einem erstaunten Blick zu seiner Frau. »Wer hat telefoniert? Wurde etwas von ›eilig‹ oder ›dringlich‹ gesagt?« – – »Ich glaube, es war die Dame selbst!« – sagte Ida nachdenklich. – »Ängstlich hat sichs ja angehört!« – – »Ich fahre sofort!« – rief er aufspringend. – »Wie kann das nur gekommen sein? Sicher war die quecksilbrige Person wieder unvorsichtig!« – – »Aber, Alex, iß doch erst auf!« – – »Ich kann die Leute doch nicht in der Angst sitzen lassen!« – rief er. – »Es gießt wie mit Kannen! Ida, holen Sie mir schnell eine Droschke, und packen Sie die große schwarze Instrumententasche in den ledernen Überzug, der daneben liegt!« – – »Sehr wohl, Herr Doktor!« –

Nach zwei Stunden erschien Waltner mit grimmigem Lachen wieder daheim. »So ein Rhinoceros!« – sagte er zu seiner Frau. – »Diese Ida! Mich bei dem Hundewetter hinauszuhetzen! Weißt du, was Marie Schloßer durchgerufen hat?« – – »Na?« – – »Wenn ich 'mal zufällig hinkäme, möchte ich ihre Visitenkartentasche mitbringen, die sie bei dir vergessen hat. Das Schaf hat 'mal wieder zu früh abgehängt. Jetzt kriegt sie aber ihr Donnerwetter!« – – Und Ida bekam es und wurde dadurch noch schüchterner und unsicherer. –

Herr Doktor kam in sein Zimmerchen am Hinterkorridor, das ihm zum Laboratorium diente. Alle zur Untersuchung in Flaschen und Retorten aufgestellten Flüssigkeiten waren verschwunden. Die Gesäße glitzerten förmlich vor Sauberkeit. Erschreckt klingelte er: »Ida, um Gottes willen, wo sind all die mir eingeschickten Harn- und Sputummengen!« – – Das Mädchen wurde weiß. »Die Frau Doktor ist immer so böse, wenn wir in der Speisekammer – – – die Teller – – – tagelang« – – – stottert sie mit einem Blick auf sein furchtbares Gesicht, – »da dacht' ich, das steht doch nu allens schon seit vorgestern und hab's ausgegossen und rein gemacht!« – –

Waltner schlug die Thür zu; aber sie vernahm noch deutlich sein Zähneknirschen und ein ersticktes »Kamel«. Erst nach einer Stunde erfuhr sie, was sie angerichtet und mußte von den verschiedenen Kranken neuen »Stoff« zur Untersuchung herbeischaffen. Sie schämte sich bei dem Auftrage halbtot, und das war ihre gerechte Strafe! – – Ida meinte es dennoch sehr gute mit dem »fleißigen Doktor, der sich Tag und Nacht keine Ruhe gönnte«. Sie versuchte denn mit allen Kräften, die Patienten, die auf ihn warteten, zu unterhalten, um ihnen die Zeit zu verkürzen. – So saß einst eine Frau »mit Krampfadern am Bein« im Wartezimmer und hielt ihr blasses Kindchen auf dem Arme.

Ida hatte sich sorglich erkundigt, was beiden fehlte. »Ach, was Sie sagen, Krampfadern?« – sagte sie und schüttelte besorgt den Kopf, – »des is sehr schlimm. Da tritt so leicht der Brand zu. Bei uns in der Jegend, ans Kottbuser Thor, mußten se eine Waschfrau das Bein bis zum Knie abnehmen, und einen Droschkenkutscher seine Frau is dran jestorben!« – – »Um Gottes willen!« – stöhnte die Ärmste, – »det wäre ja firchterlich! Herr Doktor meint doch, daß er es janz wech kriegt!« – – »Sowas sagen die Doktorsleute immer, das se einen Patienten nämlich nich aufrejen! Ich weiß ja, wie er's immer macht in unsere Praxis! Aber dafor brauchen Se keine Angst zu haben, er is so jeschickt beis Operieren. Ich hör' nie ein Schreien! Nie! – Wissen Se, unser Doktor hat sone leichte Hand, da soll's direkt 'ne Wonne sein, wenn der ein' 'nen Glieb abschneidt!« »Na, ick danke!« – wimmerte die gepeinigte Patientin. »Was wird denn bloß aus mein armes Wurm?« – – »Englische Krankheit hat Ihr Maxeken? Wissen Se, Frau Schulz, da machen Se sich aufs schlimmste jefaßt! Vorjestern is uns erst 'n Kind in de Praxis jestorben. Ich jlaube, es war sicher auch dieselbigte Jeschichte! Wem Gott lieb hat, den nimmt er zu sich! Damit trösten Se sich man!«

»Ach lieber Heiland!« schrie die Schulz auf. – »So grausam is Gott nich! Es is mein Einzigstes! Ich jeh ins Wasser!« Und sie schluchzte herzbrechend. – Ida tröstete, sie dabei immer mehr aufregend! Zum Glück kam der Doktor gerade heim. Er fand die Patientin in Thränen aufgelöst und hatte die größte Mühe, sie zu beruhigen. Ida aber wurde fortan streng verboten, sich mit den Wartenden zu unterhalten.

Die Spannung wuchs. Frau Doktor bekam einen förmlichen Haß auf das dumme Geschöpf, das schon so viel Unheil angerichtet hatte. Sie schalt noch viel mehr als früher, und wagte sich kaum aus dem Hause, damit nicht noch mehr Dummheiten vollführt werden konnten. Schließlich hatte sie aber doch nicht den Mut und das Herz, die beiden Mädchen, mit denen sie unzufrieden war, vor Weihnachten vor die Thür zu setzen. Wo sollten die armen Dinger jetzt gute Stellungen bekommen, und wer würde ihnen ein frohes Fest mit Geschenken bereiten?

Selma, die Köchin, war ein Drache. Sie ließ ihre Wut einfach an den hilflosen Gegenständen aus. Sobald die »Frau« etwas that, was gegen ihren Geschmack schien – – – krach! plumpste irgend ein Teller oder eine Tasse hin, und Frau Doktor trug den Schaden! – Nebenbei hetzte sie Ida auf und machte das arme Geschöpf noch verwirrter. So war denn in letzter Zeit ein Unglück nach dem andern passiert. Und was das Schmerzlichste war? Stets zerbrachen grade die Gegenstände, welche zum Dutzend gehörten, und nur mit großen Schwierigkeiten wieder zu haben waren.

»Das sage ich Ihnen, diese Meißner Tasse bezahlen Sie! Nun habe ich genug!« – wetterte Frau Doktor. – »Das ist schon nicht mehr Ungeschicklichkeit, sondern böser Wille! Drei Mark kostet jedes Stück, ich werde Ihnen die Rechnung zeigen! Und diesen Thaler ziehe ich Ihnen diesmal vom Lohn ab. Sie sollen sehen, was die Sachen kosten!« – – Damit stürzte die zornige Hausfrau aus der Küche. –

»Ich hab auch jenug!« – knirschte Selma. – »Is des nicht 'ne Varriktheit, heute schonst allens Jeschirr waschen zu lassen, weil wa morjen abend Jesellschaft haben? Nee, der brock' ich was ein, daß se lange dran zu knabbern hat!« – – Sie scheuerte mit Vehemenz die feinen weißen Porzellanteller, die aus der Berliner königlichen Manufaktur stammten. Ida trocknete sie schweigend ab. Auch ihre Augenlider waren wieder vom Weinen gerötet. Sie hatte ihren Anschrei von Herrn und Frau Doktor weg. Durch Angabe einer falschen Adresse, nach der sie nicht richtig gefragt, war der abgejagte, todmüde Mann über eine Stunde durch die Straßen gehetzt, ehe er die kranke Familie ausgekundschaftet hatte!

Dem Mädchen thaten ihre eigenen Dummheiten leid, aber sie konnte sich doch nun einmal nicht helfen. – – Ihre Kollegin Selma mochte sie nicht ausstehen und billigte ihr rohes Wesen durchaus nicht, aber sie konnte sich von ihrem überlegenen Einflusse nicht frei machen. Auch jetzt wagte sie nicht, einen Tadel auszusprechen, weil die Aufwaschende so ungeschickt mit dem »Abwasch« umging. Aus dem hellblauen Rand der Schüsseln und Teller brachen fortdauernd winzige Stückchen heraus. Gerade diese kleinen Schäden, welche die Dinge zwar nicht unbrauchbar machen, aber doch ihre Schönheit zerstören, kränken wie die winzigen Nadelstiche der lieben Mitmenschen mehr als große Ärgernisse. –

Selma brummte den ganzen Rest des Tages vor sich hin. Als ihr abends noch eine Mandel Eier zerbrach, da war es endlich auch um Herrn Doktors Geduld der Köchin gegenüber geschehen. Er tadelte sie in den schärfsten Ausdrücken, in seiner nervösen Überreiztheit vielleicht etwas zu weit gehend. Aber war das bei einem so thätigen Manne ein Wunder? Krebsrot vor verkniffener Wut, erschien Selma in dem gemeinsamen Zimmer. »Nu ist 't aus! Nu is mir de Jalle jeplatzt!« – rief sie. – »Wenn Se een hal'wegs anständiger Mensch sind, Ida, dann zieh'n Se mit mich an dieselbe Karre, sonst erkläre ich Ihn' für eine Ehrlose, vastanden? Ich mach Sie auf Ihr Lebtag in de Jejend unmöglich und erzähle, daß Se bei Ihre Eltern 'n uneheliches Kind aufziehen, Sie!« – –

»Um Himmels willen, was soll ich denn thun?« – rief das Mädchen, entsetzt zusammenfahrend, – »ich hab doch nischte nichts jethan!« – – »Nee, aba wir Dienstmädchen sind imma de Jetretenen, und unse Herrschaft denkt, se kann mit uns wie mit Leibeijene umspringen. Nee, Kinderchen, so haben wa nich jewettet! Morjen wer'n se sich wundern!«

Die halbe Nacht verbrachte die Köchin damit, das Hausmädchen für ihre Pläne gefügsam zu machen. Stunden vergingen, ehe sie die sich heftig Sträubende überredet und beinahe zum Handeln gezwungen hatte. Aber endlich gab Ida nach. Sie weinte bitterlich, als sie sich spät zum Schlaf niederlegte. – Der folgende Tag brachte für die Praxis gar viele Arbeit. Überdies nahmen die Vorbereitungen für die Gesellschaft am Abend viel Zeit in Anspruch. Das Mittagessen wurde in einem Nebenzimmer schnell abgegessen, damit die Tafel im Speisesaal aufgedeckt werden konnte.

Ida ging tödlich blaß wie im Traum herum. Ihr Benehmen fiel beiden Ehegatten auf. Auf die besorgten Fragen, ob sie sich krank fühle, brach sie in Thränen aus, schüttelte heftig den Kopf und stürzte weg. – Frau Waltner ging gleich nach dem Essen fort, um mit dem Koch noch einiges zu besprechen und kleine Besorgungen zu machen. Kaum war sie um die Straßenecke gebogen, so begann eine rätselhafte Thätigkeit, von der Doktor Waltner, der Mitbeteiligte, nichts merkte. Er hatte am folgenden Tage einen Vortrag in einem medizinischen Verein zu halten und schrieb sich die Notizen an seinem Schreibtisch auf. – Vom Portier, als Dritten im Bunde, wurde eine Droschke geholt und fuhr vor dem Hause vor. Über die Hintertreppe schleppten sie zwei große Körbe fort. Und unter dem Jubel einiger bekannter Dienstmädchen erschienen Selma und Ida in Straßentoilette, nahmen Abschied und fuhren davon. Die Erstere lachte hämisch und war sehr vergnügt, Ida dagegen konnte vor Aufregung kaum sprechen und fand ihren Streich, gerade am heutigen Tage, – – mehr als niederträchtig! – Das Gefährt hottelte davon. –

Nach einiger Zeit hörte Doktor Waltner draußen wiederholt heftig klingeln. Erstaunt, daß das Hausmädchen nicht öffnete, entschloß er sich endlich selbst zu dieser Thätigkeit. – Es war ein Kollege, der mit ihm über eine Konsultation Rücksprache nehmen wollte. – Der Arzt entzündete die Gasflamme in seinem Sprechzimmer. Beide Herren vergaßen, beim Rauch der Zigarren, in Fachgesprächen den Lauf der Stunden. – Frau Waltner, die den Korridordrücker mit sich führte, trat plötzlich in das Gemach und begrüßte die Anwesenden. »Weißt du, Alex, es giebt doch zu komische Menschen! Eben spricht mich Frau Tischmann an. Sie ist Agitatorin für die Sache der Dienstmädchen geworden und bittet mich, doch in ihren Verein zur Hebung des Loses der Hausgenossen einzutreten. Na, ich habe ihr aber von meinen momentanen Leiden mit unseren teuren Dienstmädchen erzählt und ihr meinen Standpunkt klar gemacht!« – – »Na, war sie überzeugt?« – fragte er.

Sie lachte: »Im Gegenteil, ordentlich wütend über meine Hartherzigkeit wurde sie, schalt mich gründlich und entwickelte mir, wie leicht wir und wie schwer es jene hätten!« – »Natürlich, das dachte ich mir! Mit politischen und religiösen Fanatikern ist nichts anzufangen! Und doch gebe ich Ihnen die Versicherung, lieber Kollege, daß ich unseren verantwortungsvollen Beruf schon oft zum Teufel gewünscht und meine Dienstboten daheim beneidet habe!« – sagte der Gast.

»Ich hege oft ähnliche Gefühle!« – erwiderte Waltner. Seine Gattin seufzte: »Ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich ganz krank vor Ärger bin, lieber Freund! Seit Oktober habe ich eine sogenannte Küchenperle mit herrlichen Zeugnissen. Sie kocht gut und ist sauber; aber was mir die Person an Ärger austeilt, davon ahnen Sie einfach nichts! Nebenbei hetzt sie mir das Stubenmädchen auf, das wirklich von einer begnadeten Dummheit ist. Wenn ich all die Ärgernisse und unnützen Laufereien bedenke, die unsere Ida schon Alex bereitet! Nein, das geht auf keine Kuhhaut mehr!« – »Böser Wille und Dummheit? Ich gratuliere!« – »Nun ist meine hochedle Gattin auch etwas eigen und sehr nervös!« – Frau Doktor versetzte ihm einen Schlag: »Wodurch bin ich es geworden, he? Weil eure Berliner Dienstboten frech und schlecht sind, und weil eure Berliner Herrschaften aus falsch angebrachtem Mitleid und sonstigen unverständlichen Gründen die unzuverlässigen Zeugnisse ausstellen. Man kann sich eben auf die Scheine nicht verlassen! – – Auf das Volk auch nicht! Daher bitte ich mich zu entschuldigen, wenn ich mich jetzt nach dem meinen umsehe!« – Sie lief mit einer leichten Verbeugung aus dem Zimmer.

Zehn Minuten später stürzte sie totenblaß wieder hinzu, einen Zettel in der Hand. – »Was ist geschehen?« – fragten beide Herren, erschreckt aufspringend. – Nun kam die Tücke an den Tag. Auf dem Zettel stand: »Wir verzichten auf den Lohn, Kohstjeld, Tringkelt un Weihnachden. Unse Büchher hohlen Polzei. Widerkomen is nich. Fill Fergniegen zu heut aben!

Selma und Ida,
von jehz ap bei Schmierjus,
Steinmetzstr. 205, Hof II, Querg. III.

Der Portier wurde geholt und stellte sich unschuldig: »Herr Doktor waren doch zu Haus! Wir dachten, es jeschähe mit den Herrn sein Willen!« – log er.

Alle Zornausbrüche und Wutanfälle halfen nichts. In aller Eile mußten die Mädchen aus der Verwandtschaft zusammengeborgt werden, was nicht wenig Trinkgeld kostete. – Die Gesellschaft aber verlief stimmungslos. Die Hausfrau war fabelhaft erregt und litt an Migräne. Mit der Bedienung bei der Tafel klappte es nicht. Herr Doktor konnte seine Wut über die »Frauenzimmer« nicht verkneifen und behelligte alle mit dieser privaten Sache.

Das Laster, pardon, die gehetzten weißen Sklaven triumphierten.


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