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5. Kapitel. Frau Mantzers Erfahrungen.

»Alles Pariser Neuigkeiten, Frau Kommerzienrat! Ich bin erst seit vierzehn Tagen aus Paris zurück, wo ich alle meine Artikel und die gesamten Zuthaten besorge. Man bekommt in Deutschland doch nichts Rechtes!« – beteuerte die große blonde Putzmacherin, Frau Mantzer, ihrer besten Kundin. – Anfang jeder Saison verschwand sie ein bis zwei Wochen aus der Reichshauptstadt. Sie lebte sehr behaglich bei ihrer alten Mutter in Schlesien und ließ sich pflegen. Dann war sie für ihre Kundschaft in Paris.

Aus ihrem Vaterstädtchen heimgekehrt, empfing sie stets von ihrem Drucker ein inhaltsschweres Packet und verbrachte mit Gatten und Schwester eine arbeitsreiche Nacht. Sie mußten dann nämlich die ganzen Waren, welche »deutsche« Reisende aus »deutschen Fabriken« herbeigeschleppt hatten, mit französischen Etikettes versehen.

Kein Mensch konnte es der ermüdeten Frau verargen, wenn ihr bei dieser langweiligen Beschäftigung, in der sie umgebenden Stille, der Ausruf entfuhr: »Nee, die Menschen hier mit ihrer verrückten Vorliebe für alles Fremde sind doch zu dumm! Sie verdienen es wirklich nicht besser, als daß man ihnen die Hucke volllügt und sie tüchtig über die Ohren haut!«

Na, das that sie denn auch gründlich und es gelang ihr! Ihr Geschäft erweiterte sich von Monat zu Monat. Sie wurde eine wohlhabende Frau! Nur, um den Schein noch täuschender zu machen, färbte sich die kluge Frau Mantzer eines Tages ihr Haar mit rötlich bernsteingelber Farbe, puderte sich kräftig, rauschte auf Seide und hüllte sich in benehmende Parfümwolken. – Seit jener Verwandlung schwor man auf ihre Pariser Originalität, zweifelte an ihrem guten Rufe und fand sie höchst interessant, wodurch sie noch mehr in Mode kam. – Alle Kreise rannten zur »Mantzer«. Sie wurde tonangebend in Hutangelegenheiten.

»Meinen Sie, daß mir dies scharfe Automobilrot steht, Madame Mantzer?« – fragte die Kommerzienrätin und beaugte sich durch ihre Brillanten strahlende Lorgnette. – »Aber süperb! Gnädige Frau sehen bildschön aus, nicht wahr, Mathilde? Cela va sans dire!« »Und wie teuer ist der Hut?« – – »Hundertzwanzig Mark, weil Sie es sind! Sonst nicht unter hundertfünfzig!« – »Sie werden ihn auch für hundert lassen!« – »Aber Frau Kommerzienrätin werden doch um solcher Lappalie wegen nicht handeln!« – entgegnete die Verkäuferin mit sanfter Energie.

»Also, Suse, packen Sie die drei Straßentoiletten ein, und fahren Sie mit einer Droschke nach Haus. Aber drücken Sie die Sachen nicht!« – wandte sich die Rätin an ihre Zofe, welche die Kleider mitgebracht hatte, damit sie recht schön zu den Hüten paßten. Ihre Herrin liebte Auswahlsendungen nicht. – »Dann rufen Sie erst den Johann. Er soll mit dem Wagen hier draußen warten. Ich komme gleich!« Die Dame ließ sich matt in einen Sessel fallen: »Sie lassen wohl freundlichst die Nota ausstellen, chère madame, drei Straßenhüte, einen Theaterhut und einen für die schrecklichen Fünfuhrthees, die jetzt so modern geworden sind. Das sind im ganzen demnach fünf. Die Hüte senden Sie mir zu! Die Rechnung geht quittiert an das Geschäft. Mein Mann zahlt sofort! Wieviel macht es?« – – »Arthur, chéri, sei so freundlich und rechne nach!« – rief die Putzmacherin ihrem Gatten zu, der an der Kasse saß. Er schrieb und kalkulierte: »Nur sechshundertfünfzig Mark, Frau Kommerizenrat!« sagte er alsdann. Die Angeredete erhob sich lachend: »Ich danke, da sagt der Mensch noch ›nur‹. Ich finde es genügend!« – – »Aber alles neueste Pariser Sachen, die stars vom Grand Prix!« – meinte Frau Mantzer vorwurfsvoll. – »Schon gut, schon gut!« – – Die Kundin lachte und nahm Abschied. Von den Inhabern des Geschäftes bis zur Equipage geleitet, rauschte sie hinaus.

»Die Dummen werden nie alle!« – murmelte er, aus seiner tiefen Verbeugung emporschnellend. – – »Dank Gott dafür! Das war wieder mal 'n glattes Geschäft!« flüsterte sie. –

Frau Geheimrätin von Trauenfelde-Müttendorf-Wegegut trat in den Laden. Sie probierte wohl mehr als dreißig Hüte auf. An jedem fand sie etwas auszusetzen. Der eine war zu hoch, der andere zu tief garniert! Dieser war zu auffallend, jener sah nach gar nichts aus! Dabei behandelte sie die Mantzers und ihre Schwester sehr von oben herunter, ließ sie hin- und herrennen und schnitt jede ihrer Entgegnungen kurz ab. – Zuletzt erstand sie endlich einen passenden Hut, handelte von den geforderten sechzig Mark noch zehn Mark ab und ließ sich eine Quittung ausstellen. Sie zahlte sogleich. Ihr livrierter Diener ergriff den Karton und wandelte in angemessener Entfernung hinter ihr aus dem Geschäft hinaus und über die Straße.

Die schöne Frau Majorin Stillert kam gerade hinzu, als die beklemmten Mantzers nach dieser schwierigen Operation erleichtert aufatmeten. Kurz entschlossen und liebenswürdig erklärte sie sofort, daß sie einen Alltagshut im Preise von zwanzig bis höchstens fünfundzwanzig Mark brauche. Sie fand bald, was sie suchte und wurde handelseinig. Die Rechnung sollte zum Ersten des Monats, wo Quartalswechsel war, quittiert in ihre Wohnung gesandt werden. –

Auf ihr Verschwinden hatte schon die Frau Loose, deren Gatte Kaufmann war, gewartet. Diese Dame setzte sich erst hin, plauderte ein halbes Stündchen mit den Mantzers, ließ sich Klatschgeschichten aus den Kundenkreisen erzählen und gab ihre Reiseerlebnisse zum besten. Nachdem die Unterhaltungsstoffe etwas erschöpft waren, schritt sie zu dem Aufprobieren der Hüte. Wieder wurde das halbe Lager angeschleppt. Der gewünschte Hut fand sich nach langem hin und her, mußte aber noch zu verschiedenen Änderungen im Geschäft bleiben. Frau Loose beschwor Frau Mantzer, daß sie ihn zum Sonntag, wo sie eine Brautvisite machen müsse, auch bestimmt sende. Diese gab ihr Ehrenwort auf dies Versprechen. Nun endlich kam man zu der Frage des Preises! – Da gab es ein Halloh! Beide Parteien schimpften, fluchten, schworen und lachten. – Die Käuferin ging als Siegerin triumphierend aus der Schlacht hervor. Sie hatte sechs Mark heruntergelassen bekommen und den »schönen Hut« für vierzehn Mark erstanden. Dafür war er in der That spottbillig, denn er sah unbedingt nach dreißig Mark aus! Und unter dieser Preisflagge sollte er auch vor den Bekannten segeln! –

»Uff!« – stöhnte Herr Mantzer.

»Na, besser acht Mark verdient als gar nichts!« – sagte sie.

Beide bekamen einen gelinden Schreck, als Fräulein von Witzor, eine Gemeindeschullehrerin, eintrat. Denn sie trug eine unheilverheißende Tüte. Aus dieser entquoll denn auch ein alter Filzhut vom vorigen Jahre, der umgepreßt werden sollte. Ferner eine Menge alter Zuthaten, die aufgefrischt zur Garnierung verwendet werden mußten. – Gutmütig, aber leise seufzend, nahm Frau Mantzer auch diesen Auftrag an. Sie besprach alles aufs Eingehendste mit der blassen Dame und ließ ihr zuguterletzt ein neues Jägerhütchen, »nur« für die Schul- und Stundenwege, für drei Mark. Fräulein von Witzor hinterlegte den Betrag sofort und ging, höchst beglückt ihr mageres Geldtäschchen einsteckend, von dannen. Ihr – guter Hut sollte erst in zwei bis drei Wochen seine Auferstehung feiern. Aber die Mantzer meinte, daß er dann allerdings hochelegant und wie neu aussehen würde! –

»Mathilde, hol' mal schnell aus dem Keller die verunglückten unmodernen Ladenhüter vom vorigen und vorvorigen Jahre!« – schrie Frau Mantzer. – »Da kommen die beiden Dienstmädchen vom Gegenüber im Sonntagswichs. Sie sehen immer so unentschlossen her, die sind fällig!« – – Fräulein Mathilde raste fort und stürzte nach einigen Minuten keuchend und schwer bepackt wieder herein. Die Ladenhüter wurden hastig auf die sammetbezogenen Ständer gesetzt und ins rechte Licht gebracht. –

Julie, die Köchin, und Lina, das Hausmädchen, traten schüchtern in das vornehme Geschäft ein. Sie waren ordentlich erstaunt über den höflichen Empfang, den ihnen die elegante Frau Mantzer bereitete. Rotwerdend stießen sie sich mit den Ellbogen, als die andere fragte: »Nun, meine Damen, was darf es sein?« »Ich.« – setzte Julie an – »ich brauch einen Winterhut für gut; aber er muß nobel und kleidsam sein!«

»Oh, da kann ich dienen!« – erwiderte die Mantzer eifrig. – »Allerdings etwas ganz Neues aus Paris. Sehr schick, macht bildschön, würde zu Ihren zarten Farben prachtvoll sein! Doch ich mache Sie darauf aufmerksam, der Hut kostet mich selbst zwölf Mark fünfzig und darunter kann ich ihn nicht weggeben! Schmelztüll, Band, Federn und Rosen sind darauf! – – – Mathilde, zeig doch bitte den braunen Filzhut der Dame!« – – Die Schwester brachte das überputzte, etwas verwelkte Ungetüm an und hielt es den beiden Mädchen vor.

Julie machte große lüsterne Augen. Wieder stieß sie die Kollegin an. Ein leiser Seufzer. Ein neuer begehrlicher Blick nach »dem französischen Deckel«. Sie sucht Hilfe bei Lina! Diese nickt. – Julie nimmt ihren eigenen alten Hut ab und probiert den neuen auf. Sie findet sich zwar scheußlich in dem Ding; aber Mantzers brechen in Entzückungsrufe aus. »Schick, hochfein und bildschön!« sind die geringsten Ausrufe, die sie finden. Auch Lina ist überzeugt, und übertönt ihr eigenes abratendes Urteil mit der Beruhigung: »Die Leute müssen das besser verstehen als du!« – – Julie dreht und windet sich. Sie denkt an ihre sechzig Thaler Lohn und die alte kranke Mutter in der Dorfkate. Dann aber fällt ihr – Er – ein. »Er« meint es ernst und ist doch »bei 'ne Zeitung«. Er hat Geschmack und kennt die Welt! Vielleicht fesselt ihn der »Pariser Hut« noch fester!? – – –

Ein kurzer Kampf. Sie spiegelt sich noch einmal: »Verwogen is er ja!« – – murmelte sie. Ein Ruck! – – – Julie hat gekauft und zahlt! – – –

Lina darf doch nicht zurückstehen. Am Ende hat sie auch sechzig Thaler Lohn. Sie will auch »was Parisisches aus 'n feines Geschäft« haben. Und nun redet Juli auf Mord und Totschlag zu. Das sieht sie denn doch nicht ein, warum sie so teuer und die andere so billig wegkommen soll! Mantzers thun das Ihrige. Auch Lina kauft einen monströsen Hut für dreizehn Mark, stolz, daß sie noch fünf Groschen mehr gegeben hat als die Freundin. – Beide entfernen sich mit ihren Einkäufen.

Herr Mantzer stickt rein vor Lachen über die beiden »Schöpfe mit ihren dollen Nummern!« Aber seine Gattin trägt ernst und befriedigt die neuen Posten ins Hauptbuch ein: »Sei doch nich' komisch!« – schilt sie – »die Scharteken sind wir glänzend los! Ich sage dir, ich wünschte nur, daß die Welt für uns aus Kommerzienrätinnen und Dienstmädchen bestände! Dann wären wir bald reich genug und könnten – Rentiers spielen.« –


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