Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

7. Kapitel. Romeo und Julia. – Balkongespräch.

Neben einem wohlgepflegten Garten mit hohen, schattigen Bäumen stießen die beiden Seitenflügel zweier Häuser so dicht zusammen, daß man sich wirklich von einem, der an ihnen angebrachten Balkons, zum andern die Hand reichen konnte. Beugte man den Oberkörper etwas weit über die Brüstung hinaus, so konnte man dem Betreffenden, der drüben stand, auch einen Kuß geben. Wenn man dazu Lust hatte, natürlich!

Dieser gütige Zufall, der der Laune zweier Architektenköpfe entsprang, und unter Gott Amors besonderem Schutze stand, wurde redlich ausgenutzt! So kam es denn, daß die Bewohner von hüben, in der vornehmen Straße, mit der hohen Mietskaserne von drüben, der parallel laufenden, weniger feinen Straße in ein eigenartiges Verhältnis traten. – – Hüben hausten reiche Leute, welche die ganze Etage bewohnten und die Hinterbalkons ihrem Personal überließen. Drüben, im Gartenflügel lebten kleine Beamte, die gar oft ihre luftigen Balkonzimmer noch an Aftermieter abgaben.

Preußische Leutnants sind immer schneidige, oft liebenswürdige Menschen! Aber an einer durchgehenden Krankheit leiden die meisten: das ist die chronische Geldleere im Portemonnaie. War es nun Zufall oder Verabredung, wer weiß es? Jedenfalls hatten drei solcher Marssöhne besagte Balkonzimmer der Ruhe und guten Luft wegen inne. Es wohnte nämlich in der ersten Etage: Leutnant »von und zu« mit seinem Burschen Adolf. – In der zweiten Leutnant »von« mit Franz und in der dritten Leutnant »zu« mit August. – Diese drei Burschen liebten drei Mädchen aus dem korrespondierenden Hausflügel. Jedoch hatten sich ihre Gefühle nicht nach den gleichen Stockwerken gerichtet, sondern waren sprunghafter vorgegangen! –

Ein lieblicher Sommerabend dämmerte über der Reichshauptstadt. Der Wind spielte in den Baumkronen, daß die Blätter sich leise raunend und sirrend aneinander rieben. Die Singvögel waren verstummt. Nur einzelne müde Spatzen zankten sich noch in den Wipfeln. – Der Leutnant »von und zu« besuchte einen Kameraden in Lichterfelde. Adolf war Herr der Stunde. Er pflegte sich in dem tiefen Stuhl seines Gebieters und pfiff sich alte traute Lieder vor. Ab und zu langte er eine Flasche Weißbier unter dem Sitz hervor, nahm ein paar tüchtige Züge und schnitt sich mit dem Taschenmesser einen gediegenen Happen von der dicken Klappstulle ab. – So genoß er behaglich sein Abendbrot, lauschte seinen eigenen musikalischen Vorträgen und starrte auf den Nachbarbalkon, wo schon den ganzen Tag Betten gelüftet hatten. – – Allerdings, ohne daß die »Liebliche sich zeigte.«

Auf dem benachbarten Kirchturm schlug es halb zehn Uhr mit zwei tiefen vollen Schlägen. Es war stockdunkel geworden. Vom tiefblauen Himmel funkelten die Sterne. Und jetzt trat auch der Mond über dem Dach hervor, und überhauchte die beiden Balkone und den Garten mit bläulichem Silberscheine! – Adolf hielt mitten im Pfeifen inne. Trüben knirschte der Riegel, die Thür ächzte. Ein fester Griff riß sie auf. Im Rahmen erschien, hell von Luna beglänzt, die zierliche Gestalt von Minny. – In ihrem rosa Kattunkleide, mit der weißen Schürze und dem weißen Spitzenhäubchen sah das blonde Ding in der That herzig genug aus. Es war kein Wunder, daß Adolf im Schatten seiner Marquise, unruhig hin und her rutschte, und verliebte Augen machte. Der »kleene Keber« war nun einmal sein Ideal! –

»Flink, Marie, holen Sie die Betten herein, sonst keift die Ollsche wieder wie 'ne Verdrehte und behauptet, daß sie feucht von der Abendluft wären!« – befahl Minny. Sie trat auf den Balkon hinaus und gab dem Hausmädchen Raum, das die ganzen Daunenbetten packte und brummend fort trug. – Minny lehnte die Arme auf die Brüstung und schaute nachdenklich in den Garten hinab. Im innersten Grunde ihres Herzens gestand sie sich ein, daß sie ihre anmutigen Stellungen für die Herren Leutnants selber einnahm. Der Herr »von und zu« hatte sie sogar schon einmal nach einem kleinen Schwatz in die Wange gekniffen. Herr »von« ihr ein paar Nelken vom Blumentopf abgerissen und zugeworfen. Na, und Herr »zu« schleuderte ihr oft genug aus der dritten Etage seine Kußfinger zu. Sie nahm alles entgegen und quittierte stets dankend mit »Mäulchen – Knix oder kleinen schnippischen Zurufen!« – – – Aber im übrigen war sie als gutes Mädchen in Bezug auf die Männer nicht wählerisch! Froh erquickte sie ihr Herzchen an jeder Huldigung des anderen Geschlechtes. –

Lauschend hob sie ihr Köpfchen, als plötzlich eine leise gepfiffene Melodie ihr Ohr traf.

»Du, du liegst mir im Herzen!
Du, du liegst mir im Sinn!
Du, du machst mir viel Schmerzen,
Weißt nicht, wie gut ich dir bin!«

Die letzte Reihe wurde mehrfach wiederholt und auf das »wie gut« kamen ganz besonders schmelzende, langgezogene Töne. Ein Stuhl rutschte auf Steinboden. Ein paar Sporen klirrten metallisch. An der Brüstung dicht vor ihr tauchte plötzlich Adolfs große, stramme Gestalt auf. Sein hübsches Gesicht mit dem dicken, blonden Schnurrbart über blitzend weißen Zähnen lachte sie freudig an.

»Schön' juten Abend och, Fräulein Minneken, na, sieht man Ihn' och mal wieder?« – meinte er. – »Gewiß, Herr Adolf, da ich mir nich unsichtbar machen kann, wird's woll so stimmen! – – Sie könn' aber schön pfeifen!«

»Herrjeh, wenn's ein' so aust Herze kommt, dann ist's doch keen Wunder nich!« »Na, das wern Se woll schon Ville vorjeflunkert haben!« – lächelte Minny. – »Ich bin woll die erste nicht!? Jott, so 'n hübscher Mann wie Sie!? Wenn's nich wär, würden sich ja die Flundern wundern!«

»Sehn Se, Fräulein Minneken, des is doch nu aber ja nich schön, daß Se sich über 'nen ehrlichen Menschen lustig machen!« zürnte er. – »I, wo wär ick denn, ick will ja janich!« – entgegnete sie. – »Aber in die Großstadt bei die Verführungen? Und wo doch manche junge Mädchen sich so an die Herrn ranschmeißen? Nee, sehn Se, Herr Adolf, ich bin für so was nich!« – – »Kunststück, Fräuleinchen, Sie haben och so was nich nötig! Ihn' müssen do alle an de Hacken hängen, bei Ihre Reize?«

»Das is nich ganz richtig!« – zierte sich Minny. – »Man hat so seine Erfolge! Unser Ältester, der junge Graf Botho, is doch man 'n Griebsch von zwanzig; aber sobald die Alten den Rücken drehen, hat ein' der Bengel um die Taille!« – – »Dem schlag ich die Knochen in Leibe ein!« – unterbrach sie der Bursche zähneknirschend. – – »Aber nee, da lassen Se man doch die Hände von weg!« – warnte sie. – »Überhaupt weiß, was 'n anständiges Mädchen is, sich alleine zu schützen! Mein Vata hat 'ne Järtnerei bei Wilmersdorf un' meine Mutter is 'ne Küsterstochter. Man ist doch keine Herjelaufene!« »Nee, Fräulein Minneken, wenn man Ihn' bloß ansieht in Ihre ganze anknabbrige Zuckrigkeit, weiß man des ja! So was merkt doch 'n Blinder mit de Ohren!« – – »Aber Herr Adolf, Sie machen mir ja schamrot!« –

»Das is es ja eben, Fräulein Minneken, was einen 's Herz im Leibe umdreht! Find't man endlich eine, wo zu einer paßt, – – – schwapp, hat se was Festes, – der Deckel is zu und 's hat jeschnappt« – sagte Adolf zärtlich. – – Ich versteh' Ihn' nich janz, wie Sie det meinen!« – – »Na, sehen Se, Fräulein Mineken, wenn« – – stotterte er – – »und da – – wo doch – – kurz da Sie schon een festes Verhältnis haben!« – – »Ich? Aber Herr Adolf, ich denk ja janich in Traum an so was!« erwiderte sie. – – »Wo ich Ihn' aber doch vorigte Woche mit dem hübschen Briefträger jesehen?« – – »Das is ein Brudersohn von mein Vata, also ein Kuhsäng von mir!« – »Ach so!« – erwiderte er erleichtert. – »Aber letzten Sonntag den schneidigen Knopp?« – »Ph, der? Das is meine Freundin ihrer, wo wir an de Ecke auf ihr warteten!« – – Adolf machte noch einen eifersüchtigen Ausfall: »Da mein' ich noch den, mit dem Se in de Viktoriabrauerei unterjefaßt jingen?« – – »Sie sind ein Jemütsathlet un' könn' so bleiben!« – antwortete Minny naiv und log schlau. – »Das war doch och 'n Kuhsäng, und wo noch an unsern Tisch saß, war seine Schwester mit ihr'n Mann, also janz was Unjefährliches. Nee, ich lass' mir so leichte nich fangen.«

»Se hab'n aber ville Kuhsängs, Fräulein Minneken!« – rief er mißtrauisch. – – »Hab ich och massenbach! Un' wenn Se 's nich' jlauben wollen, dann lassen Se's sein! Ich bin ein anständiges Mädchen und erstes Hausmädchen in 'ne Jrafenfamilje! Wa–haftig, ich brauch mir doch durch blamierende Verdächte nich' kränken lassen!« zürnte sie und wandte sich unmutig ab. Er sah das hübsche Ding betroffen an, und seine Zärtlichkeit flammte auf und ging mit ihm durch. Langsam hob er den Arm, klopfte sie leicht auf die Schulter und drehte sie mit wenig Kraftaufgebot sich zu.

»Herrje, Minneken, nehm' Se 's nich' krumm, aber wenn man eine doch nu 'mal liebt!« – – »Ach Sie!« – – »Minneken, liebes jutes, süßes Minneken!« – – »Ach, jehn Se!« – – »Ich hab Ihn' doch aber so jern!« – – »Kann jeder sagen!« – – »Der Deibel soll dreinfahren, wenn das jeder sagt! Ich alleene will Ihn' sowas sagen dürfen!« – – »Och schlecht, sagt der Hecht, wenn der Specht de Beene brecht!« – sagte die arge Minny, sie stellte sich spröde und brachte ihn damit in noch heißere Verliebtheit – »nee, Herr Adolf, ich trau des zweifarbige Tuch nich! Se lassen sich auf Milletärvahältnisse ein. Und wenn die zwei Jahr um sind, denn machen Se nach Haus, heiraten 'ne olle Jugendbekannte, und unsereins sitzt da und weent sich rote Augen an. Nee, jehen Se man!« – –

»Liebes Minneken, wenn ich Ihn' aba nu wirklich un warraftig liebe. – Janz wild bin ich schonst in Ihre Nähe!« – Adolf zog sie in der That dichter an sich. Beide standen hart an der Brüstung. – »Das sagen Se woll Ihrer zu Haus och und schreiben se och noch, daß die Berliner Mädchen so dumm sind und Ihn' jlauben!« – – »Minna, ich schwör Ihn' bei Jott, daß ich keine zu Haus hab. Ich bin 'n Altmärker, und mein Vata is een reicher Eijentümer ins Dorf und Ortsschulze. Dem is keine rundum jut jenug for seinen Ältesten. Adolf, hat er jesagt, bring dich een schönes, liebiges Mechen aus Berlin mit. Reich brauch se nich sind; aber aus juter Familje und den Berliner Pfiff muß se raus haben. Das paßt in unsern Jasthof! – – – Den sollten Se mal sehen, der stellt was vor!« – prahlte er stolz.

Minny hatte recht aufmerksam zugehört. Was sie vernahm, machte ihr den hübschen Adolf entschieden verlockender. Sie lehnte, wie um sich zu schützen, ihren Arm gegen seine Brust. – »Na, wenn Se so reich sind, denken Se doch an 'ne andere!« – – – »Nee, Minneken, Se passen for mir, und ich liebe Ihn alleene. Wenn Se wolln, wern' wa was Festes. Und in Herbst machen wa als Verlobte Brautleute mal bei mein Vata runter. Vorher sehen wa nächsten Sonntag bei Ihre Eltern, und Se stellen mir vor. So'n süßen Pussel wie Ihn, shab ich mir immer jewünscht. Un' wenn mein Oller Ihr Bild sieht, wird er och futsch sind, der versteht sich auf das Weibsvolk, der war ein Lebtag en doller Häring!« – –

Adolf war viel weiter gegangen, als er ursprünglich beabsichtigt. Sein Temperament ging mit ihm durch. Er umschlang das hübsche Geschöpf, das sich nicht sträubte. Minny war viel zu klug und wußte, wie schwer es war, sich einen braven und wohlsituierten Gatten zu verschaffen.

»Ach Adolf!« sagte sie nur. – – »Mauseken, Katzeken du, süßet Viehchen! Nee, so ein kleenes Mauseschwänzchen!« – lachte er glückselig. – »Mach Platz, mein Minneken! Ich schwing mir in Nu rüber, ich bin een famosigter Turner! –« – »Um Himmels willen, nee, Adolfchen, bleib, wo du bist! Sonst kommt Marie, und klatscht, Jott weiß, den blauen Black von Himmel! Es is doch nachtschlafende Zeit, was sollen die Leute denken?« – – »Ach, Minneken, das is mir so wurscht!« – stammelte er. – »Du bist nu meine verlobte Braute, un' da muß ich dir doch 'n Kuß jeben, nich' wa' oder biste nich für so was?« – – »Nee, aber, mächtig; aber für heute muß es so jehen!« – –

Sie breitete die Arme aus und beugte sich gefährlich weit über das Gitter. Er that dasselbe. Mit einem Jauchzer riß er sie an sich, und nun küßten sie sich von hüben nach drüben und wollten sich gar nicht loslassen. Und in der schweigenden Stille der lauen Sommernacht hörte man die Neuverlobten stöhnen und schnalzen. –

Franz in der zweiten Etage hatte schon längst einen Teil des Gespräches erlauscht. Er war sich nicht ganz klar, ob er die Minny von »unten« oder die Johanne von »oben« mehr liebte. Zuerst wurde ihm bei der geflüsterten Werbung unten ordentlich schwül und poetisch zu Mute. Als aber das Kußduett begann, stieg eine zornige Eifersucht in ihm auf. Das konnte er nicht länger mit anhören. Hastig stürzte er in das Zimmer, holte den schweren vollen Wasserkrug von seines Herrn Waschtisch und hastete damit wieder auf den Balkon. Die Kästen mit Blumen gaben einen willkommenen Vorwand. Eins, zwei, drei hob er das Gefäß, und – – – – ein starker Wasserstrahl klatschte auf die »küssenden Zwei« hernieder. Mit einem wilden Aufschrei fuhren sie pudelnaß auseinander und starrten den »aus der Höhe strömenden Segen« an. Sie ballten die Fäuste über das jähe Aufschrecken aus irdischer Lust. Aber zu sagen wagten sie denn doch nichts. Oben blieb alles dunkel und still. Der niederträchtige Halunke konnte also nur der Herr Leutnant »von« gewesen sein!

Denn Franz, der blonde Dämel, der wagte so etwas doch nicht? Nein, der gewiß nicht. – – –

Die Nacht rückte weiter vor. Schon schlug die Kirchenuhr eins. Da erschien in der dritten Etage auf dem Balkon des Herrn Leutnant »zu« sein Bursche August in dürftigstem Kostüm. Sein Herr war bei seiner alten Mutter, wie so oft, zur Nacht in Rixdorf geblieben. Diese Freiheit benutzte August! –

Vorsichtig lugte er nach allen Seiten. Überall herrschte durch nichts gestörte Ruhe. Kein Späherauge war mehr wach. Leise hob der Schlauberger den Besenstiel und klopfte damit sacht an die Thür des Balkons von drüben. Eine Zeitlang blieb alles ruhig. Dann aber wurde diese ängstlich geöffnet und im Unterrock, ein Umschlagetuch über die Schultern geworfen, zeigte sich die Köchin des Generals, Namens Johanna:

»Na, wat denkste dir eigentlich, oller Döskopp!« – schalt sie flüsternd – »Nächstens läßte mir noch die halbe Nacht ufsitzen und lauern. Man jut, daß de Lise bei de Kinder schläft, solange die Juvernante ins Klinik is. Sonst hätt' se dein dämlichtes Gebumse doch jehört.« – – »Ach, Johanneken, zank man nich', un sei jut!« – schmeichelte er. – »Unse Wirtin ihre Tochter, die Schneiderin, hat so lange bei mich jesessen. Des Mädchen hat sich fürchterlich nach mich!« – – Sein Hieb saß. Johanna war getroffen und fürchtete den Verlust des endlich gefundenen Liebhabers. – – »Denn kennste dir doch von der ausfuttern lassen! Valleicht stoppt dir die dein ewichtet Loch in Magen!« – murrte sie.

»Jewiß, mein Herze, det thät se thun, wenn ick man bloß wollte! Aber ich wer' doch nich von der ihre Armut zehren. Un' des se denkt, ich lieb ihr, nee – – nie!« – »Haste Recht!« – lobte Johanne sanfter. – – »Weeßte, jeliebtes Mechen, ick hab wieder son'ne sanfte Rihrung um den Magen, von die zwee Stullchen kann doch een preuß'scher Soldat nich' satt werden. Un' was mein Leutnant is, der jeht auf Besuch und futtert sich durch de Verwandschaft. Ick jloobe, der macht bloß sone villen heiratsfähigen Damens die Kure, des ihn de Schwiegersohnslüsternen Eltern ofte zum Essen einladen! Ach, hast du nischt vor mir?« – – »Wat Jediejnes, du verfressnet Huhn, du kannst 'ne Wirtschaft totessen mit dein Apptit!« – entgegnete sie zart. – »Aberscht, heute hatt'n wa warm Abendbrot, da könnt' ich wat bei Seite legen: Stücksken Kalbfleisch, vier Eier, een Ende Wurscht, zwee Schrippen un' n' Kottlett von Mittag! Na, is det noch nischt?« – – »Du bist doch meen bestet jutet Schnuckelchen! –« meinte er strahlend. – »Wenn ich dir nich' hätte! Nee, was is de Friederike jejen dir. Die kann ma jewogen bleiben!« – –

»Ollet Schaf!« – – »Johanneken!« –

Er ergriff das Gitter des andern Balkons, schnellte sich in die Höhe und sprang mit einem geschickten Satze auf Generals Balkon hinüber. – Johanna quiekte zwar ein wenig; aber da hatte er sie schon im Arme und verschloß ihr den Mund. – Dann saß er in seinem dürftigen Anzuge neben ihr, auf dem Hängeboden und speiste. Es war ein Glück und eine Freude wie immer in den lauen Sommernächten, wenn sein Leutnant ausblieb!

Wie das »zärtliche Paar« mitten in seiner »schönsten Thätigkeit« schwelgte, hörten sie den General auf Morgenschuhen durch den Korridor schlurren! »Der wird doch nich'« – flüsterte Johanna und setzte sich lauschend auf den Stuhl. – »Was will der nachts bei dich?« – fragte August. – »Pscht, der Olle leidt an Koliken, da muß ick ihn manchmal Thee kochen un' heiße Umschläge machen!« – – »Na, na?« – sagte August mißtrauisch – »dazu hat doch 'n Mann seine Frau!« – – »Schaf! Vor sone Zicken hat se'n doch nich jeheiratet! Die is doch man erscht dreißig un' er sechz... Du, Aujust, mach fix heut, det de wechkommst!« – – – »Hab'ch's dich nich jesagt? Der arme Knopp hat sich wieder auf de Lotschja erkält! Da huckt se immer mit de Jäste, un' er kann de Fliesen nich vertragen – – –« Beide lauschten angestrengt.

Ein Schlüssel quietschte im Schloß, da unten im nächtlichen Korridor. – »Fix, du, jetzt is de einzige Zeit. Nachher kommt'r un' bitt' ganz zerknickt um sein Thee, for den ick jedesmal 'ne Mark krieje, – morjen kommste wieder!« Sie drängte ihn hastig und gewaltsam hinaus, ohne sich noch einmal küssen zu lassen. Er kam auch glücklich hinunter und an der gefährlichen Thür vorbei. Aber Johannas hochgehaltene Lampe reichte mit ihrem Schein nicht so weit. August stieß hart gegen einen Schrank. Dieser krachte. Einige Dielen knackten, und zuguterletzt ging die Zimmerthür, deren Drücker er nicht gleich fand, nur schwer und mit großem Geräusch auf. Wie ein Wilder stürzte er in seiner Angst durch das Zimmer, verlor einen Pantoffel und raste auf den Balkon.

August atmete auf. Ha! Gerettet! Ein kühner Sprung, er ist drüben und in – – – Sicherheit! – – –

Wie erstarrt vor Entsetzen fällt er durch einen ungeahnten Widerstand zu Boden und liegt vor seinem Herrn, der schwermütig im dunklen Zimmer vor der Balkonthür gestanden. Auch dieser ist zuerst von dem Schreck benommen. Aber er findet schnell die Geistesgegenwart wieder, als er in dem »elenden Etwas« vor sich seinen Burschen erkennt. »Na warte, du! So schützt du meine Wohnung, du Halunke! – Hast du drüben etwa eingebrochen?« – fragte er zornig. – »Morgen kommst du wegen Diebstahl – du infamer Spitzbube!« – –

»Heiliger Jott, lieber, juter Herr Leutnant, machen Se mich nich unjlücklich, ick bin ein ehrlicher Mensch!« – wimmert August. Er steht auf, schlägt die Hacken zusammen und legt die Hände an die Hosennähte. – – »Du? Na, so bibbert ein anständiger Kerl nich'« – schreit der andere – »du kannst dich ja kaum auf den Beinen halten vor Angst. Sofort gestehst du, was du gestohlen hast!«

Der Bursche fängt in seiner Pein an zu heulen. Und unter Schluchzen und Zähneklappern kommen denn seine nächtlichen Liebesfahrten zu Johanna heraus. Dabei wimmert und barmt er im Dunklen. Der Leutnant beißt sich heftig auf die Lippen, als August zitternd und bebend schließt: »Warraftich, Herr Leutnant, es war ja och janich um det olle Knochenjerüste; aber se hat mich doch immer sone juten Sachen zu essen jejeben, un' ick hab doch immer so'n Hunger! Wirklich, nich vor des Mechen, bloß wejen ...« – – »Schon gut!« sagt Herr »zu« und verkneift mühsam sein Lachen. – »Schäm' dich, daß du, ein Mann in Königs Rock, dich derart benimmst! Das wird aber aufhören mit der Johanna, verstanden?« – – »Jewiß doch, ich will ja och allens thun, nur zeigen mir der jnädige Herr Leutnant nich an!« – – »Das werde ich mir überlegen! Mach jetzt, daß du in deine Kammer kommst, Halunke! Damit du mir aber nicht wieder zu fremden Leuten mußt, um Dich satt zu fr..., so bewillige ich dir pro Tag fünfzehn Pfennige mehr für die Volksküche! Und nun raus!«

August verschwindet eiligst. Der Leutnant lächelt halb amüsiert, halb grimmig. Dann überkommt ihn aber seine alte Verstimmung. Er geht auf den Balkon hinaus und schaut melancholisch zum Himmel auf. –

Inzwischen hat Johanna zitternd auf ihrem Hängeboden den »Radau« vernommen, den ihr fliehender Geliebter machte. »Der is ja zu dämlich!« sagt sie vor sich hin. – Richtig, schon öffnet sich nebenan unten das Thürchen. »Wer ist da? – – – Stillgestanden!« schreit der General. – Niemand meldet sich. – – »Halt!« donnert er wieder. – – »Johanna! – – Erich! – – – Liese! Aufstehen, es sind Einbrecher in der Wohnung!« brüllt der alte Herr jetzt mit seiner gellenden Kommandostimme. –

Johanna ist zuerst zur Stelle, im Unterrock und Tuch. Sie ist halb tot: »Was ist denn geschehen?« – fragt sie zitternd. –

»Ein Dieb, ich hab es deutlich gehört! Alle Dielen knackten! Die Schritte gingen nach hinten, dorthin!« – er weist nach der Richtung – »der Kerl kriegte die Thür nicht auf! – – Erich, zum Donnerwetter, wo bleibt der Kerl?« – – Der Bursche, der wie ein Murmeltier geschlafen hatte, hört jetzt doch die gefürchtete Stimme und rast im Hemd schlaftrunken aus seiner Kammer: »Zu Befehl!« – stammelt er und reißt die Augen auf.

Liese stürzt gleichfalls aus der Kinderstube, wo man die Kleinen laut weinen und schreien hört. Die Generalin reißt fast die Klingel in ihrem Schlafzimmer ab. Kurz: alles ist in Aufruhr! –

Johanna ist klugerweise mit ihrer Lampe sofort in das gefährdete Zimmer gerannt. Sie will um jeden Preis dem alten Herrn zuvorkommen, der in seinem weißen Nachthemd mit den schnell übergezogenen Unterhosen, bleich wie ein Gespenst, dasteht und verstört den Leuchter mit dem brennenden Licht hochhält! – Gott sei Dank, August ist verschwunden! Sie stößt mit dem Fuß gegen etwas, bückt sich und entdeckt den verlorenen Pantoffel. Ihn ergreifen, an den offenen Balkon rasen und das Ding mit aller Wucht nach drüben werfen ist eins!

»Donnerwetter, was ist denn los?« – schreit Leutnant »zu«, der den zum Glück weichen, ledernen Gegenstand an den Kopf bekommen hat. –

Johanna wirft die Balkonthür krachend zu. Sie hat die Stimme von Augusts strengem Gebieter erkannt und ist einer Ohnmacht nahe. An allen Gliedern schlotternd erscheint sie wieder im Korridor: »Hi – – er – – is – – keen – er – – nich!« stotterte sie mühselig. –

Die Wohnung wurde trotzdem unnützerweise abgesucht; aber der Dieb blieb unentdeckt!

Auf diese ereignisreiche Nacht folgte ein sonniger, wonniger Morgen. Auf dem Balkon hüben in der zweiten Etage stand die braunhaarige Jenny und stäubte die Kleider und Mäntel ihrer Herrin aus. Sie sang, trotz des aufsteigenden Staubes, fröhlich in die warme Luft hinein. – Ihre munteren Weisen riefen auf dem Balkon nebenan den blonden Franz heraus.

In der Rechten schwang er eine Bürste. Über die linke Hand und den halben Arm hatte er den hohen Reiterstiefel seines Herrn gezogen, den er gerade bearbeitete. Er nickte Jenny vergnügt zu, spuckte tüchtig auf das stumpfe Leder, wo schon die Wichse verrieben war. Dann hob er die Bürste und scheuerte mit ihr auf der betreffenden Stelle herum, bis sie spiegelblank war. –

Zwischen den vollsäftigen Speichelentladungen und dem Bürsten sang er schallend:

»Du (pschtt) hast ja die schönsten Augen! (Pschtt)
Die schön–sten Augen der Welt! (Pschtt)
Du hast ja das be – – äste Herze,
Das mir (pschtt) am meisten jefällt!« (Pschtt)

»Ich weiß nicht, was soll es bedeuten etc.« Mit dem ersten Vers dieses Liedes antwortete Jenny; aber sie schmetterte die traurige Weise so jauchzend wie einen Walzer in die Welt.

Franz horchte: »So, det Kanonenrohr wäre fertig. Nu hol ich bloß das andere! Ich bin in 'nen Momang wieder da!« – Husch war er fort! Aber zwei Minuten später erschien er mit dem zweiten Stiefel. »Soo!« – meinte er befriedigt – »Den krieg' ich och blitzeblank oder denken Se – – nee? Mir kann keiner, da is nischt zu machen! Schließt von selbst! – Na, was schütteln Sie denn so, Fräuleinchen? Sind Sie Frau Holle?«

»Nee, des nu jrade nich! – Aber meine Frau muß ins Bad nach Teplitz! Se hat's so in de Knochen!« – – »Ach was! – – – Müssen Se mit?« – – »Nee, unsere Nichte jeht mit!« – entgegnete Jenny. – »Bedauern Se, daß Se hier bleiben müssen?« – – »Gott bewahre! Wenn se man erst wech wär! Die Vorderwohnung wird abjeschlossen. Hier hinten dürfen de Köchin und ich Kopp stehen und mit de Ohren wackeln, wenn wa sonsten wollen!« – »Sie haben's jut, Fräuleinchen, was wer'n Se nu mit Ihre überschüssige Zeit anfangen?« – fragte er neugierig und vielverheißend.

»Ich wer' mir hier auf 'n Balkon setzen un' an meine Ausstattung nähen.« – – »Ach, was Se sagen! Sind Se eijentlich valobt!« – – Franz machte ein langes Gesicht. – »Ja, seit vier Jahre mit 'nen Maschinenbauer bei Krupp in de Fabrik.« – – »So lange, warum heiraten Se 'n denn nich?« – – »Er is auch 'n Schöneberjer wie ich. Wa hab'n zusammenjespielt. Dann war er beis Militär, un' denn jing er auf de Walze. Bei Krupp is er erst 'n halb Jahr, aber 'ne jute Stellung. Er will nur noch ein halbes Jährchen warten, dann wird er fest einjestellt.« – – »So, na, denn heiraten Se woll?«

»Vor Februar nich! Dann aber jeht's los! Valleicht kommt er nächsten Sonnabend bis Montag nach Berlin runterjemacht!« – – »Da freuen Se sich woll?« – – »Nich zu knapp!« – erwiderte Jenny und lachte mit ihren schneeweißen Zahnreihen. Franz gab in diesem Moment die schlanke Johanna und die kokette Minny auf. Er verliebte sich Knall und Fall in sein appetitliches Visàvis. – »Sie können och lachen, Se haben doch was fürs Herze!« meinte er bedauernd. – »Jewiß doch! Und trotzdem is es nich so leichte. Bedenken Se doch so'n auswärtiges Verhältnis!? – Nich wa, man weiß doch nie, was so 'n Mann treibt?« – »Des is richtig; aber wissen Se, wenn Ihn' einer liebt, Fräuleinchen, Ihn bleibt man treu!« – beteuerte er. – »Da will ich ja woll auch nix jejen sagen!« – antwortete sie sinnend und schüttelte einen seidenen Unterrock aus. – »Aber denken Se, es is für mich nich langstielig; wenn ich als varlobte Braut Sonntags immer bei die Verwandten rennen muß?«

»Müssen Se denn?« – fragte er gegen. – »Na, was heißt hier muß?« – entgegnete sie ärgerlich. – »Meine Freundin' haben alle ihre festen Sonntagsverhältnisse, mit die se gehen. Ich aber – –, wer läßt sich mit 'ne Braut ein, nich' wa – –?«

Franz putzte jetzt Uniformknöpfe, Degenscheide und Sporen: »Nu!« – sagte er ernst – »das käme drauf an! Muß denn imma jleich geheiratet sind? Nich? Man kann sich doch auch so mal in Ehren amisieren, wie Freunde! Mal 'n Tanzbein schwingen!« – »Ach, du lieber Vater, wie lang hab ich schon nich' jetanzt! Un' für 'nen Walzer laß ich mein Leben.« – »Na, erlaubt er Ihn' das nich!?« – »Das will ich nich jrade sagen; aber ich hab kein', der mir einlädt, und allein kann doch 'n Mädchen nich'! überhaupt, wo ich doch valobt – –« Sie vollendete nicht, aber sie blickte ihn lockend und lächelnd an.

»Hm!« – sagte Franz und scheuerte mit dem weichen Leder nach, ohne sie anzusehen, – »Sie nehmen des mit de Brautschaft zu streng. Sehen Se sich mal mein Leutnant an. Der is mit 'ne Rittergutsbesitzerstochter valobt und heirat Weihnachten. Aber meinen Sie, daß er sich jeniert? Der pussiert mit alle Damen und jeht nebenbei regelmäßig mit 'ne Theaterdame. Herrje, was muß ich da hinschleppen an Blumen und Briefen und Jeschenke! Rechnungen bezahlen wir nie, und unser Schwiegerpapachen wird sich noch wundern lernen, daß ihn die Augen überjehen!« – Er hatte das langsam und eindringlich gesagt. Jenny hatte mit klopfendem Herzen gelauscht. »Mein Himmel« – antwortete sie seufzend – »was so 'n feiner Herr thut, könnt unsereins doch eijentlich auch. In unsern Stand aber findt sich so leicht nix!« – »Darauf soll's mir nich' ankommen, Fräuleinchen, Mutter schickt mich doch so manchen Batzen zu. Wenn Se mal Lust hätten, mit mir in alle Ehren nach Wilmersdorf oder Halensee schremmeln zu kommen! Wenn Se sich jenieren, bring' Se sich doch 'ne Kollegin oder Ihre Mutter mit. Für das Verjnüjen, mit Ihn' zusammen zu sein, laß ich och mal jern ein paar harte springen!«

Jenny drehte und wendete sich verlegen hin und her. Man sah ihr die Lust und Wonne bei dem Gedanken an das Tanzen an: »Sie sind wirklich sehr freundlich!« – »Ach, Fräuleinchen, mir is 'n Verjnüjen! Se wissen doch, machn wa mit Wonne, sogar Sonntags sehr säuberlich!« – Er rieb sich die Hand hinten an der Hose sauber und streckte sie ihr hin: »Na, schlagen Se ein!« – ermunterte er. Sie besann sich ein wenig, zierte sich etwas und kam endlich der liebenswürdigen Aufforderung nach. – Die beiden Hände drückten sich kräftig. – »'n Küßchen in Ehren, kann auch keiner wehren, wenn's 'mal besonders schön kommt!« – lachte er verschmitzt. – »Er behält ja genug übrig, nich' wa –?« – Sie drohte ihm errötend. – »Also Halensee! Über das Weitere sprechen mir noch! Hurrah!« – jubelte Franz.


 << zurück weiter >>