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12. Kapitel. Leichenschmaus beim Witwer Pietsch.

»Un de vastorbene Pietschen soll leben! Se war imma ein jutes Haus, een kiebiget Aas! Hoch, Hoch, Hoch!« brüllte der Vizewirt Knebel. – – »Hoch! – – Das war se, das muß se der Neid lassen! – 'n Herz hatte se forn jeden! Des war ihr Fehler, ihr eenzigster Fehler!« schluchzte der Bruder. – »Du, Mensch, dämlicher, jieb mal noch 'n Mampe uff den Schmerz!«

Der Witwer in seinem dunklen Rock saß gefaßt an der Tafel. Der Kaffee war getrunken, die Kuchenberge fast verzehrt. Jetzt reichte er die Schnapspulle herum, die unter den Herren kreiste. »Jut war se, man bloß 'n bisken heftig und wie so'n Pulverfaß. Man wußte bei die Frau nie, woran man war!« – meinte er sinnend. – »Ick dachte immer, se wirde mir eenes Tages abmurksen. Na, nu is ›sie‹ hin! So'n juter Schlaganfall, eene Sekunde, und futsch war se, mitten ins Krakehl!« – – »Ja, dabei platzt oft 'ne Ader!« – bestätigte Frau Trollke, die Cousine. – »Allens, was wahr is, Pietsch war jut zu se, sehr jut! Denn 'n Drachen wa' se manchmal!« – – »Na ob!« rief der gebeugte Bruder wieder.

»Ick bin froh, daß se sanft ruht!« – wiederholte der Witwer mit dem Kopfe nickend. – »Der Dod is das beste! Un' mit ihr Brautkleid machte se sich janz jut! Man kann woll sagen, es war 'ne schöne Leiche!« – – »Ja, so'ne Menge Kränze un' das Sarg mit schwarzen Tüll! Nee, Herr Pietsch, Se haben sich hochnobel jezeigt!« – sagte Berta, ein Dienstmädchen aus dem Hause. Alle stimmten damit überein. »Und 'n Prediger draußen, nee, wirklich, jespart hat er nich'! – Pietsch! komm an meine Brust. In de Verstorbene ihren Namen, wo ick doch der ihr eenzigster Bruder war: Pietsch soll leben! Trinken wa eens druff!«

Alle tranken und umarmten sich. –

Lina, eine andere Magd aus dem Haus, und Anna, ihre Kollegin, stießen sich an, nachdem sie sich umgeblickt hatten. – »Wissen Se, Herr Pietsch, 'ne saubere Frau war Ihre Dore. Wie se allens jehalten hat, hochfein! Nich' een Staubkörnchen und mit jeden Pfennig jejeizt!« – – »Ja, jejeizt hat se! All mein Geld hat se mich abjenommen, und finf Jroschen for die janze Woche in de Tasche jestochen. Immer de Wohnung jut jehalten, 'n Sticke in de Wirtschaft jekauft un' de Kassen bezahlt. Ihre Leiche hat mir nischte gekost'! Zwee Sparbücher sind in de Kommode!« – ergänzte Pietsch. – »Aber wie jesagt!« – fügte er selbstlos hinzu – »Man muß froh sein, daß se so sanft ruht!« – – »Na, se hatte an dich 'n juten Mann, Friedrich! Des wußte se och! Keene Jöhren! Keene Sorjen, wo de doch 'n fester Beamter bist!« – warf Herr Trollke ein. – »Die bet' och oben vor dir! Emil, – hat se jesagt – den Pietsch muß ick kriejen, un' wenn er fufzehn Jahr jünger war un' nich bloß zehn! Wozu hat man sich geschuft' un' achthundert Mark jespart!«

»Eijentlich war doch Herr Pietsch ville zu jung vor ihr!« – entgegnete Berta und blickte ihn liebevoll an. Er legte den Arm um sie: »Des is es ja!« – beteuerte er eifrig. – »Ich hab so'n liebendes Jemiet, ich kann nich' alleene sind!« – – »Nee, Friedrich! Du darfst och nich Wittmann bleiben, dafür paßt du nicht! Heirate man bald!« – munterte der Schwager.

»Haste Recht! Weeßte, wenn ick an de Nacht denke, wird mich janz schwulmrig! Ach, Berteken, es is schwer so alleene in 'ne Wohnung! Man jlaubt imma, se taucht wieder uff oder se spuckt ins Eck!« – »Ach nee, Herr Pietsch, Se sind aber beängstjend nerves. Man dürfte Ihn' hia nich' lassen! Se kenn' noch varikt werden nach all die Ufrejung! Herr Schtrott, könn' Sie nich' bei 'n bleiben?« – –

»Nee, Fräulein Berta, ick hab doch 'ne traute Frau und sechs kleene Jöhrchen zu Haus. Ick muß bald wech!« – – »Tz, tz, der arme Mann!« beklagte Berta. – – »Na, bleiben Sie doch bei'n, Fräuleinchen!« – scherzte Schtrott. – »Ich bin ein Mädchen in lediges Mannesalter un' er een Wittmann in beste Jahre. Ich bitt Ihnen, soll ich um mein' juten Ruf kommen?« – entrüstete sie sich. – »Ach nu haben Se sich man nich', ob er Ihn' nu 'ne Woche später oder früher nimmt. Aus Sie beede wird doch noch n' Paar, so ville seh ick doch. Mir kann keener an de Wimpern klimpern! Na, trinken wa eens uf den Schreck!« – bemerkte Schtrott, der Schwager.– –

»Nu seh doch, wie die Berta sich an den Pietsch ranschmeißt! Es ist nich' zu jlauben.« – flüsterte Anna. – »Seh doch, er wischt sich 'ne Thräne aus s' Auge und se streichelt ihn de Backen. So 'ne mannswütige Person!« – »Ick bitt dir, die zwee haben doch schon bei de Frau ihre Lebzeiten poussiert. Se hat mich oft jesagt, wie se sich ärjert, und daß se bald mit's Donnerwetter dreinfahren würde. Ick sage ja nischt; aber wer weiß, wo die Frau dran jestorben is! Man darf sich bloß nich' den Mund vabrennen!« – entgegnete Lina. – »Ach nee du, was du nich' sagst!« – rief Anna leise mit glänzenden Augen. – »Nu ja, worum nich'? Kinder sind nich' da, Jeld massenbach und de feste Stellung. Der Mann is och 'ne Jlanzpartie! Da möchte manch eene nich ›nein‹ sagen!«

Berta kehrte sich bei ihren Tröstungsversuchen nicht an die neidischen Kolleginnen, sondern ließ sich ruhig von Pietsch in die Arme nehmen und an die Brust drücken. Schtrott trank ein paar tüchtige Züge und knöpfte seinen Rock zu: »Kinder!« – rief er – »So schön es is, ick muß leider jehen!« – Pietsch ließ Berta los: »Nanu, dir piept es woll, ick hab mir doch auf Abendbrot vorbereitet!« – – »Na eben!« – schrie die Trollke – »So jung komm' wa nich' wieder zusamm'. Und wenn Ihr Schwager so nobel is, muß man det benutzen!«

»Berteken und Sie, junges Jemiese! Da in Schrank steht allens, decken Se 'mal 'n bisken den Tisch, des is wieder jemietlich wird bei 'n armen Wittmann!« – rief Pietsch – »Das Achtel und de Würschte, un Käse, Brot liejen in de Küche. Wer's am schönsten un' schnellsten macht, kriegt een Andenken von meine Seelige!«

Die Mädchen flogen wie der Wind hin und her. Sie klapperten mit Tellern und Gläsern herbei. In zehn Minuten war alles bereit. Schtrott ließ sich erweichen, und der Schmaus begann. Berta hatte den Vogel, laut Urteil aller, abgeschossen. Sie bekam einen Kuß und eine Brosche der Verstorbenen und mußte neben dem Witwer sitzen! – Man trank viel und wurde recht lustig. Trollke hatte angefangen mit den Witzen, da mußte man denn lachen. Und als Schtrott ein Lied begann, sangen alle fröhlich mit. Plötzlich fiel ein Bild von der Wand. Pietsch wurde kreidebleich: »Menschenkinder, ick jraul mir dod!« – ächzte er. Die anderen verstummten.

»Unsinn!« – schrie Schtrott – »Der Sache muß een Ende jemacht wern! Des leid ich nich. Dazu is mir mein Schwager zu lieb! Erst komm' de Lebendijen! Jleich heute verlobste dich mit deine Berta. Des vertreibt die Jeister! Meine Herrschaften, erheben Se Ihre Jläser, und trinken Se mit mich uf des Wohl vons neue Brautpaar, es lebe hoch!« – – – Berta und Pietsch fielen sich in die Arme, während die andern auf ihr Wohl anstießen und tranken. – Inzwischen holte Frau Trollke aus dem Schlafzimmer einen kleinen Leierkasten herein, den die Verstorbene zum letzten Weihnachten geschenkt bekommen hatte. Sie drehte ihn mit aller Kraft.

Zuerst lauschte man, bann zappelte man im Takte mit. Na, und zuletzt muß doch bei 'ner Verlobung getanzt werden! – – – Und so tanzte man eben auch!


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