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Siebzehnter Abschnitt.

Weitere Abenteuer der »Möwe«.

Als die »Appam« auf dem Wege zur amerikanischen Küste fortgedampft war, beobachtete die »Möwe« mit ihrer jungen Heldenschar noch eine Zeitlang das gekaperte Schiff.

Dann, als finstere Nacht den Ozean bedeckt, nimmt sie Kurs nach Süden, um den früher gekaperten englischen Kohlendampfer »Corbridge« aufzusuchen.

Am 28. Januar sollte das Kohlenschiff, an dessen Bord sich ein kleines deutsches Prisenkommando befand, mit der »Möwe« an einer vom Grafen Dohna vorher bestimmten Stelle auf dem Ozean Zusammentreffen.

Es ist das so zu verstehen, daß dem Prisenkommandanten genau nach der Karte der Längen- und Breitengrad bezeichnet wurde, unter dem das Schiff am vorherbezeichneten Datum zu erscheinen hatte.

Und nicht um eine Stunde später, zum genau bezeichneten Termin, ist die »Corbridge« zur Stelle.

Der Kommandant der »Möwe« hatte gerade diesen, von der üblichen Dampferroute abliegenden Platz unter dem Äquator als Versammlungsort festgesetzt.

Und seine Annahme, daß er hier unbelästigt die Kohlen würde übernehmen können, hatte sich als richtig erwiesen.

Die Bunker seines Schiffs waren fast leer. Mit dem geringen Vorrat, den er noch an Bord hatte, wäre es ihm kaum mehr gelungen, den heimischen Hafen zu erreichen, geschweige denn noch weiter Kreuzerkrieg zu führen und den Feinden Schaden zuzufügen.

Nun aber ändert sich das Bild.

Drei Tage und drei Nächte wird ohne Unterbrechung gearbeitet. Die Mannschaften lösen sich ab, um nur ein paar Stunden zu ruhen und dann wieder rüstig an dem Werk zu schaffen. Zudem mußten erst Kasten und Körbe zur Kohlenübernahme in der Eile angefertigt werden.

Für die Tischler und Zimmerleute an Bord war das ein rechtes Vergnügen, nunmehr zu zeigen, was sie leisten können.

Aber trotz der furchtbaren sengenden Glut unterm Äquator sind alle vergnügt. Der Erfolg ist mit ihnen und der Sieg!

Vom ersten bis zum letzten Mann sind alle tätig, um von der »Corbridge« die kostbaren Kohlen in die Bunker der »Möwe« zu füllen. Und jeder arbeitet mit doppelter Anstrengung.

Bald sehen alle aus wie Mohren. Der Kohlenstaub und das immer schwitzende Gesicht haben eine schwarze Patina auf die Gesichter gelegt, die noch lange Tage später sichtbar ist, trotz eifrigen Waschens.

Nachdem aber dreimal vierundzwanzig Stunden vorüber sind, ist das schwierige Werk getan: die »Corbridge« ist von Kohlen leer, die »Möwe« bis an den Rand mit den schwarzen Diamanten gefüllt.

Nun bleibt noch übrig, die »Corbridge« zu bestatten. Das geschieht wie bei den andern gekaperten Schiffen. Die Luken werden geöffnet, das Wasser dringt ein und langsam geht der Engländer in die Tiefe.

Nun ist die »Möwe« bereit, ihre kriegerische Tätigkeit von neuem aufzunehmen.

Doch vergeblich schaut der Kommandant nach neuen feindlichen Opfern aus.

Sollte die »Appam« schon in Amerika gelandet sein und die Kunde von seinen Taten verbreitet haben? Dann war es höchste Zeit, den Kiel heimwärts zu richten. Denn dann werden die Feinde in Massen ausfahren, um die »Möwe« unschädlich zu machen.

Viele kostbare Schiffe hatte sie versenkt. Längst hätten sie ihren Bestimmungsort erreicht haben müssen. Am Ende waren schon Kriegsschiffe auf der Suche nach ihnen? Oder nach dem, der sie versenkt hat?

Zwei Tage pirscht die »Möwe« auf der bekannten Dampferroute. Es zeigt sich kein Rauchwölkchen.

Nochmals zwei Tage sucht sie den ganzen Horizont nach feindlichen Schiffen ab, ohne eins zu entdecken.

Endlich, am 4. Februar 1916, zeigt sich eine Rauchfahne, die zu dem Dampfer »Luxemburg« gehört. Es war ein Belgier, also ein Feind Deutschlands, der Kohlen nach Südamerika bringen will.

Kohlen hatte die »Möwe« genug, somit ist der Tod des 4322 Tonnen großen Schiffes beschlossen.

Die Besatzung kommt an Bord. Aber ganz im Gegensatz zu den anderen Gefangenen, höchst vergnügt.

Es sind Iren, Holländer und Norweger, Spanier und Griechen. Sie sind von vornherein überzeugt, daß ihnen auf der »Möwe« nichts passieren wird. Sie sind lustig und guter Dinge und schleppen alles an Bord, was sie an lebendem und totem Inventar auf der »Luxemburg« mitführten.

Jeder Spanier hatte eine Mandoline bei sich. Die Griechen waren mit Guitarren ausgerüstet. Daneben hatten sie noch Katzen und Hunde, von denen sie sich nicht trennen wollten. Einer hatte sogar einen Papagei mit und ein anderer ein Äffchen.

Beim Betreten der »Möwe« äußern sie die Bitte, nicht mit den Engländern zusammengesperrt zu werden. Sie seien eine fidele Gesellschaft und wollten mit den Trübsal blasenden Söhnen Albions nichts zu tun haben.

Der Kapitän erfüllt ihre Bitte. Er läßt ihnen einen besonderen Raum auf dem Schiff anweisen, wo sie sich denn auch vergnügt einrichten und sich bald heimisch fühlen. Mit großer Heiterkeit sehen sie ihr Schiff auf den Grund des Meeres gleiten.

Die »Luxemburg« hatte mehrere Tonnen Kohle an Bord, die einen Wert von neunhunderttausend Mark hatten.

Zwei Tage später stößt die »Möwe« auf den englischen Dampfer »Flamenco«. Dieser läßt sich nicht so willig kapern.

Sobald er merkt, daß es auf ihn abgesehen ist, setzt er seine Funkentelegraphie in Bewegung.

Doch die »Möwe« läßt nicht mit sich spaßen.

Eine Granate, die sie dem Engländer hinüberfeuert, zerstört die Antenne, so daß es mit seiner Funkerei gleich zu Ende ist.

Die Granaten hatten den 4629 Tonnen großen Dampfer sogleich in Brand gesetzt. Mächtige Flammen, die im Nu das ganze Schiff erfaßt hatten, lohten aus.

Der Kapitän und seine Leute waren genötigt, um ihr Leben zu retten, schleunigst die Rettungsboote zu besteigen.

Das Meer ist stark bewegt.

Die Hast, mit der die Leute in die Boote drängen, ist groß. Ein Boot wird von einer Welle an das brennende Schiff geschlagen, daß es zerschellt.

Ein Viertelhundert der Menschen treiben auf den Wogen und die Matrosen der »Möwe« haben alle Hände voll zu tun, um die dem Ertrinken nahen Menschen aus dem Wasser zu ziehen.

Aber auch für die »Möwe«-Leute ist die Rettungsarbeit mit großer Lebensgefahr verknüpft.

Gerade an dieser Stelle im Ozean wimmelt das Wasser von Haifischen. Alles ruft und schreit, jeder möchte zuerst gerettet sein. Ihre Angst, von einem dieser fürchterlichen Raubfische gefaßt zu werden, ist groß. Alle klammern sich an die ihnen zu Hilfe kommenden Boote, so daß auch die in Gefahr kommen, zu kentern.

Alle werden gerettet bis auf einen, den eine dieser fürchterlichen Hyänen gefaßt hatte.

Das brennende Schiff wird durch einen unter die Wasserlinie abgegebenen Schuß vollends zum Sinken gebracht.

Der englische Kapitän ist über den Verlust des Schiffes nicht im mindesten alteriert. Nur der Tod seines Hundes, der bei dem Einschlagen der ersten Granate getötet wurde, betrübte ihn über die Maßen. Er machte sich Vorwürfe, daß er die Warnung des englischen Kreuzers »Glasgow« nicht beachtet habe.

Kapitän Dohna wird bei seiner Lamentation aufmerksam. Einen englischen Kreuzer hatte er doch nicht bemerkt, – weder vorgestern noch gestern?! – –

Den Gefangenen werden ihre photographischen Apparate und Platten abgenommen. Und bei der Entwicklung der Bilder wird festgestellt, daß einer den englischen Kreuzer »Glasgow« im Vorbeifahren aufgenommen hatte. Somit wurde erwiesen, daß der »Möwe« die Engländer bereits auf der Spur waren.

Die »Möwe« fuhr unter einem Glücksstern. Das bewies auch die neue Feststellung. Denn in der Tat war der englische Kreuzer in der Nacht suchend an ihr vorübergefahren, ohne sie zu bemerken.

Blau und glatt breitet sich die unendliche Fläche des Ozeans aus.

Feuerbrände schickt die Sonne vom wolkenlosen Himmel.

Die Menschen an Bord der »Möwe« leiden schwer unter der tropischen Glut.

Elf Schiffe sind dem Feinde abgenommen worden. Die Offiziere drängen, wenigstens doch noch eins aufzubringen, damit sich das Dutzend runde.

Erst am zweiten Tage zeigt sich ein kleinerer Dampfer, der sich beim Näherkommen als ein norwegisches Schiff entpuppt.

Den neutralen Dampfer muß die »Möwe« natürlich seinen Weg fortsetzen lassen. Aber immerhin bei der verdächtigen Neutralität, die die Norweger in diesem Kriege Deutschland gegenüber angenommen haben, muß man auf einen Verrat der Norweger gefaßt sein.

Sofort läßt Graf Dohna wieder die Malerkolonne antreten. Und nun erhält das Schiff einen ganz neuen Anstrich von der Mastspitze bis zur Kiellinie.

Die ungeheure Hitze trocknet die Farbe gleich. Und unter dem veränderten Aussehen wird man so rasch nicht die »Möwe« suchen wollen.

Die Leute im Ausguck strengen sich vergebens die Augen an.

Der nächste Tag ist ein Sonntag, der die Mannschaft wiederum enttäuscht.

Keine Rauchwolke ist zu sehen.

Erst am Abend, als große Dunkelheit keine Fernsicht mehr gestattet, glaubt man endlich eine Rauchfahne zu erblicken.

Das Schiff hielt drauf zu und beim Näherkommen erwies es sich als richtig: ein Dampfer suchte mit hoher Fahrt in der Dunkelheit zu entkommen.

Die »Möwe« eröffnet sofort die Jagd auf den Flüchtling. Sie führt ihren Namen nicht umsonst. Schleunigst ist sie dem Ausreißer auf den Fersen.

Durch das Sprachrohr wird er nach seinem Namen gefragt.

Gespannt horcht man auf die Antwort, die nicht lange ausbleibt. Sie lautet: »Der Name des Schiffes ist ›Heraclide‹.«

Auf der »Möwe« wird in allen Schiffsregistern nach dem Namen gesucht. Aber nirgends ist er zu finden.

Einmal mißtrauisch gemacht, fragt sie von neuem:

»Wie ist der Name?«

Wieder schallt dieselbe Antwort übers Wasser.

»Der Name ist ›Heraclide‹.«

»Von welcher Nation?«

»Gut Freund!«

»Welcher Dampferlinie gehört das Schiff an?«

Gespannt horcht man auf eine Antwort.

Sie bleibt aus.

Damit ist für der »Möwe« klar, daß sich hinter diesem »Heraclide« ein Feind zu verbergen und das Weite zu gewinnen sucht.

Jetzt hört jede Rücksichtnahme auf.

Dem flüchtigen Dampfer wird befohlen zu stoppen. Doch statt dem Befehle nachzukommen, fährt er mit Volldampf davon.

Schon manchen dieser ungehorsamen Feinde hat die »Möwe« zur Räson gebracht. Auch diese angebliche »Heraclide« soll bald merken, daß der deutsche Schiffskommandant sich nicht zum besten halten läßt.

Eine Granate, die trotz der Dunkelheit ihr Ziel traf, nötigt den Kapitän alsbald, dem Befehle nachzukommen.

Der Dampfer stoppt. Und als der Scheinwerfer das Schiff beleuchtet, las man in großen Buchstaben seinen wirklichen Namen »Westburn«.

Die Freude war allgemein, als man mit ihm wieder einen der gehaßten englischen Feinde aufgegriffen hatte.

Das alte Schiff ist nicht viel wert. Es ist 3300 Tonnen groß und mit Kohlen voll beladen.

Das Motorboot der »Möwe« wird ins Wasser gebracht. Das Prisenkommando begibt sich an Bord der »Westburn«.

Während die Matrosen der »Westburn« übernommen werden, taucht aus der Dunkelheit ein helles Licht auf. Noch ein Schiff.

»Das trifft sich ja famos!« spricht der Kapitän.

Das Boot wird wieder schleunigst an Bord gebracht. Die »Westburn« muß im Kielwasser der »Möwe« folgen, und nun beginnt eine scharfe Jagd nach dem aufgetauchten Licht.

Erst beim Grauen des Morgens hat die »Möwe« den neuen Dampfer eingeholt.

Es ist das englische Dampfschiff »Horace«, das 3335 Tonnen faßt. Eine kostbare Ladung hat sie, bestehend aus Fleisch, Wolle, Spiritus, Antimon und Getreide.

Um sechs Uhr, als der junge Tag begann, wird dem Leben der »Horace« ein rasches Ende gemacht.

Mit der kostbaren Ladung wird sie in die unergründliche Tiefe des Weltmeeres geschickt.

Die »Westburn«, die im Kielwasser der »Möwe« fährt, ist dazu ausersehen, die auf hundertachtzig Gefangene angesammelte Mannschaft aufzunehmen.

Diese hundertachtzig Esser reißen starke Lücken in die Vorräte der »Möwe«. Außerdem sind es noch menschenfreundliche Rücksichten, die der Kommandant auf die Leute nimmt, wenn er sie auf die »Westburn« schafft.

Die Möglichkeit liegt sehr nahe, daß Granaten eines feindlichen Schiffes auch einmal in die Wohnräume der Mannschaft einschlagen.

Bevor die bunt zusammengewürfelte Gesellschaft auf andere Schiffe gebracht wird, läßt Graf Dohna die sechs Kapitäne der versenkten Schiffe vor sich kommen.

In der ihm eigenen eindringlichen Art stellt er ihnen vor, daß von ihrem Wohlverhalten Leben und Tod der Leute abhinge.

Zum Befehlshaber habe er den Prisenkommandanten Badewitz ernannt. Ihm und seinen acht Mann untersteht fortab ausschließlich das Kommando der »Westburn«.

Er macht sie darauf aufmerksam, wenn sie nicht ihren ganzen Einfluß aufbieten werden, ihre Leute in Zucht und Ordnung zu halten und die Autorität des Prisenkommandanten zu stützen, dieser unweigerlich das Schiff mit Mann und Maus in die Luft sprengen würde.

Die Kapitäne sind froh, daß sie von dem Kriegsschiff herunterkommen. Sie versprechen dem Kommandanten alles, was er wünscht. Sie bezeugen ihm ihren Dank für die ihnen erwiesene menschenfreundliche Behandlung.

Und unter diesem Eindruck und diesen Versicherungen verabschiedet sie der Kommandant.

Bald ist es bekannt, daß die aus allen Nationen zusammengewürfelten Schiffsleute auf die »Westburn« gebracht werden sollen.

Eitel Freude herrscht, von dem gefährlichen Kriegsschiff loszukommen. Nur ein gefangener Matrose, ein Ire, schien in den allgemeinen Jubel nicht einzustimmen.

Sein Gesicht drückt große Kümmernis aus. Und unruhvoll geht er an der Reeling auf und nieder. Schon oft machte er einen Ansatz, um zur Kommandobrücke zu gelangen. Doch jedesmal kehrt er wieder unschlüssig um.

Nach dem Mittagsmahle sollte die Translozierung vor sich gehen. Da kam ihm der Zufall zu Hilfe. Kapitän Dohna verließ die Kommandobrücke.

An seine Stelle traten einige Offiziere.

Als der Kapitän die Kommandobrücke verlassen hatte und im Begriff war, sich in die unteren Schiffsräume zu begeben, trat ihm der irische Matrose respektvoll entgegen. Seine Augen baten so treuherzig, daß der Kapitän, noch ehe der Bittende den Mund geöffnet hatte, ihn nach seinem Begehr fragte.

»Herr Kapitän, ich habe eine große Bitte. Bevor ich die ausspreche, möchte ich bitten, mich fünf Minuten anzuhören.«

»Wer sind Sie? – Wie heißen Sie?«

»Davis! Roger Davis ist mein Name. In der Nähe von Belfast bin ich zu Hause. Ich bin Irländer, wie meine Vorfahren alle.«

»Ein Irländer?« fragte Graf Dohna. »Also kein Feind Deutschlands.«

»Nein, kein Feind, ein warmer, aufrichtiger Freund des großen Deutschen Reiches!« antwortete Davis.

»Gut. Folgen Sie mir!«

Der Ire folgte dem Kapitän.

In der Offiziersmesse angekommen, setzte sich der Kapitän an den Tisch, um zu essen.

Bescheiden blieb der irische Matrose an der Tür stehen.

»Wenn Sie an der Tür stehen bleiben, kann ich ja nicht hören, was Sie mir zu sagen haben.«

Zögernd trat Davis näher.

Während der Kapitän sein einfaches Mittagsmahl einnahm, wartete der Matrose, bis ihm Graf Dohna das Zeichen geben würde, zu reden.

Nach einer Weile sprach Graf Dohna:

»Nun sagen Sie, was Sie auf dem Herzen haben!«

»Herr Kapitän, ich möchte bitten, mich nicht von Bord zu schicken.«

»Oho! Warum nicht?«

»Ich kann es nicht mit ein paar Worten sagen. – Erlauben Sie mir gütigst, das etwas ausführlicher schildern zu dürfen.

Ich bin auf dem Lande, in der Nähe von Belfast, ausgewachsen. Außer mir waren noch sechs Kinder. Meine Eltern und sieben Geschwister lebten in bitterster Armut.

Ich erzähle dem Herrn Kapitän wohl nichts Neues. Wir Irländer sind an Not und Entbehrung von Kindheit auf gewöhnt. Wir lernen ja nichts anderes kennen.

Wir wohnten alle zusammen in einem ›Hundeloch‹, anders kann ich den Raum nicht bezeichnen, in dem wir aßen und schliefen. Ein Quadrat, kaum drei Meter im Geviert, das aus elenden Brettern zusammengefügt war. Eine Art Herd, der zugleich auch einen Ofen darstellte, bildeten ein paar Steine am Fußboden, auf dem der einzige Kochkessel, den wir besaßen, über dem Feuer hing.

Ich kannte es nicht anders, wie keiner meiner Landsleute, als daß in einem solchen Wohnraum Qualm und Rauch sein muß. Es waren ja Fugen und breite Ritzen genug in den Wänden und an der Decke, durch die er abziehen konnte. Aber auch Regen und Schnee strömte herein.

Wir lagen in der Nässe, wir lagen im Schnee. Wir wurden niemals warm und wurden niemals satt.

Kälte und Hunger und Hunger und Kälte begleiteten unsere Jugendjahre.

Dazu kamen noch Krankheiten. Zwei meiner Geschwister waren schon gestorben. Von den übriggebliebenen kränkelten wieder ein paar. Schließlich hatte ja keiner eine starke Lunge.

Solcher Hütten gab es bei uns einige Dutzend. Sie standen nicht auf einem Fleck. Jeder, der gerade ein paar Bretter zusammentragen konnte, stellte sie irgendwo auf eins der vielen brachliegenden und vom Unkraut überwucherten Felder, und damit war sein ›Haus‹ begründet.

Keine Obrigkeit kümmerte sich um uns. Wo wir wohnten, wie wir wohnten, wie wir lebten und ob wir starben, – das war der englischen Regierung egal.

Niemand hielt uns an, in eine Schule zu gehen. Selbst eine Kirche war uns etwas Märchenhaftes. Die gab's wohl in Belfast. Aber dahin gab es gute Wege. Was hatten wir dort zu suchen? –

Mein Vater arbeitete in der Stadt in einer Fabrik. Aber die Bezahlung reichte kaum hin, uns mit Brot und Kartoffeln zu versehen.

Da wurde eines Tages mein Vater zum Fabrikherrn gerufen.

›Davis‹, so erzählte der Vater, als er nach Hause kam, ›Davis,‹ sagte der Fabrikherr, ›ich kann Sie nicht länger beschäftigen. Suchen Sie sich anderwärts eine Arbeit. Ich habe für Sie keine mehr.‹

Hilflos sah ihn mein Vater an.

Ja, wenn der reiche Fabrikant ihn auf die Straße warf, wo sollte er anderwärts unterkommen? Denn das hatten die Fabrikherren untereinander ausgemacht, daß kein Arbeiter, der aus einer Fabrik entlassen wurde, in eine andere aufgenommen werden durfte.

Dazu war meine Mutter am Typhus erkrankt. Und zwei meiner Geschwister lagen schon ein paar Tage krank. Wir wußten nicht, was ihnen fehlte.

Einen Doktor, Medizin und ähnliche Dinge kannte keiner von uns. Wo hätte es sich ein Engländer einfallen lassen, einem Iren helfend beizuspringen. Die konnten verkommen, da krähte kein Hahn danach.

Als meinem Vater der Fabrikherr die Eröffnung gemacht hatte, da stand er wie vor den Kopf geschlagen da. Er konnte kein Wort hervorbringen. Er dachte nur daran, daß seine Familie nun Hungers sterben würde, denn selbst das bißchen Brot, das er heranschaffte, würde er fortan nicht mehr herbeischaffen können.

Stumpf, in sein Schicksal ergeben, machte er kehrt, um aus dem Kontor zu gehen. An der Tür angelangt, rief ihn der reiche Mann zurück:

›Davis, Sie sind ein starker Mann und können dem Vaterlande nützen, und Ihrer Familie dazu, wenn Sie sich von der Regierung für den neuen Feldzug anwerben lassen. Dann haben Sie gleich ein gutes Handgeld. Und ich werde Ihre Familie, wenn Sie ins Feld ziehen, nicht fallen lassen. Und sollten Sie beschädigt zurückkommen, so sorgt die Regierung für Sie und Ihre Familie fortan ganz und gar.‹

Was war da viel zu reden. Mein Vater hatte nichts zu bedenken. Entweder sagte er ›nein‹. Dann flog er auf die Straße und er konnte mit seiner Familie verhungern. Wenn er aber den Vorschlag des Fabrikanten annahm, dann konnte er der kranken Frau und den schwachen Kindern von dem Handgeld Milch kaufen und sonst Erleichterungen schaffen. Er nahm an und wurde nach Afrika geschickt, gegen die Buren.

Von dort schrieb er zweimal.

Was er schrieb, brauche ich ja dem Herrn Kapitän nicht zu sagen.

Es ist allgemein bekannt, in welch bestialischer Weise die Engländer mit den armen Menschen hausten.

Außer den beiden Briefen hörten wir von meinem Vater nichts mehr.

Er kam nicht zurück. Eine Kugel hatte ihn getroffen. Er liegt in Afrika verscharrt. Niemand weiß wo.

Der Herr Fabrikant hatte sich den Teufel um uns gekümmert. Meine arme, schwache Mutter starb. Zwei meiner Geschwister starben bald darauf am Hungertyphus, der bei uns armen Irländern ja ein ständiger Gast ist.

Aber der englische Fabrikant und die englische Regierung hatten ihren Willen.

Von uns Kindern blieben noch vier am Leben. Einer von ihnen bin ich. Und als wir herangewachsen waren, blieb uns nur die Wahl, wieder in eine der Fabriken als Arbeiter einzutreten oder auf einem Handelsschiff Dienste zu nehmen.

Das letztere ist auch nicht so leicht.

Die Engländer machen einem das schwer, unser Land zu verlassen. Sie brauchen Sklaven und Arbeiter zu Hause.

Wir vier Brüder gingen in die Fabrik. In dieselbe, in der auch unser Vater gearbeitet hatte.

Als 1914 der Krieg gegen Deutschland ausbrach, riet ich meinen Geschwistern, die Arbeit aufzugeben und mit mir nach Amerika zu gehen.

Da war ein Wohltäter bereit, uns die Überfahrt und alles, was man für den Paß und dergleichen zu zahlen hat, zu erlegen. Der nämliche Wohltäter, der viel Gutes für unser armes Volk getan hat. Vielleicht haben Sie den Namen Casement schon gehört? Ein Mann, den die Irländer lieben, dessen Name von uns wie der eines Heiligen ausgesprochen wird.

Doch als wir uns an der Stelle meldeten, hieß es, Mister Casement wäre abgereist. Man wüßte nicht wohin.

Da blieb uns nichts anderes übrig, als weiter zu arbeiten.

Aber bald darauf wurde uns und unsern Volksgenossen, wie vor Jahren meinem Vater erklärt: ›Wir können euch nicht weiter Arbeit geben! Tretet ins Heer! Helft der Regierung! Zeigt, daß ihr das Vaterland liebt! Die Regierung wird für euch sorgen und auch für eure Familie, die zurückbleibt!‹

Herr, wie ein schneidender Hohn klangen die Worte an unser Ohr.

Unser Vaterland sollten wir verteidigen, das nicht bedroht war.

Haben wir Irländer denn ein Vaterland? Hat es uns der Engländer nicht raubend und mordend gestohlen? – Sind wir denn freie Bürger? – Nein, wir sind von ihnen entrechtet, unseres Vaterlands und unseres Eigentums beraubt worden. Und nun sollen wir gut genug sein, für die Räuber unsere Knochen zum Markte zu tragen.

Und die Familien! – Wir hatten niemand. – Das Wort der englischen Regierung war uns nicht soviel wert. Wir wußten, wie oft die Regierungsmänner ihr gegebenes Wort uns gegenüber gebrochen hatten.

Mein Vater wurde für den Feldzug gegen die Buren gepreßt. Meinem Großvater war es ebenso ergangen. Den hatten sie nach Indien geschickt, wo er ebenfalls geblieben war.

Und nun sollten wir und viele andere uns für England in dem Krieg gegen Deutschland totschießen lassen. – Das wollten wir nicht.

Noch am selben Tage wurden wir auf die Straße gesetzt. Wir hatten keine Arbeit und mußten sehen, wie wir zurecht kamen. Da hatten die Engländer rasch das famose Gesetz gemacht, das die Unverheirateten zum Eintritt ins Heer zwang.

Die Iren sollten, wenn sie sich nicht freiwillig meldeten, davon ausgeschlossen sein.

Das waren aber auch nur Worte, die auf dem Papier standen. Denn eines Tages wurden meine drei Brüder von der Polizei verhaftet fortgeführt, ohne weiteres in Uniformen gesteckt und nach Flandern geschickt.

Ich war mit einigen andern über Land gegangen, hatte rechtzeitig Wind bekommen und konnte mich zunächst verborgen halten.

Nach ein paar Wochen wanderte ich an der Küste entlang bis nach Dublin. Dort sah ich die ›Luxemburg‹. Ich erkundigte mich bei Landsleuten und erfuhr, daß das Schiff in der nämlichen Nacht Anker auf nach Belgien ginge.

Eine Stunde vor der Abfahrt sprang ich ins Wasser und schwamm zu dem Schiff hinüber. Ich kletterte an Deck, wo es mir gelang, mich in der Finsternis zu verbergen.

Gegen Morgen erst, als das Schiff schon auf hoher See war, kam ich aus meinem Versteck hervor, offenbarte mich erst einem Mann in der Kombüse.

Dem schilderte ich meine Not. Er besprach sich mit einem seiner Kameraden. So fanden wir einen Fürsprecher beim Kapitän, der mich auch später an Bord behielt und mit dem ich weitere Fahrten machte.

Wenn mich der Herr Kapitän nun jetzt auf die ›Westburn‹ schickt, die ein englisches Schiff ist, und wenn ich den Engländern in die Hände falle, dann werden sie mich hängen oder in die Soldatenjacke stecken, um gegen die guten Deutschen zu fechten.

Lieber mögen sie mich strangulieren, aber gegen die Deutschen, die uns Irländern nie etwas zuleide getan haben, die Büchse zu erheben, – dazu wird mich niemand zwingen.

Darum bitte ich recht herzlich und inständig, der Herr Kapitän möchte mich hierbehalten und mich mit nach Deutschland nehmen, aber nicht auf die ›Westburn‹ schicken, damit ich den Engländern nicht ausgeliefert werde.«

Der Kapitän hatte nicht ohne Rührung das schlichte Lebensschicksal des Mannes mit angehört.

Das Schicksal dieses Menschen war gleich dem Schicksal des ganzen irischen Volkes.

»Hier, nehmen Sie, – trinken Sie mal dieses Glas Wein!«

Nachdem Davis das Glas geleert und sich dafür bedankt hatte, sprach der Kapitän zu ihm:

»Sie können ganz ohne Sorge sein. Die ›Westburn‹ geht nach Teneriffa. Das ist spanischer Besitz. Dort legen südamerikanische Dampfer an. Auch solche, die nach den Vereinigten Staaten fahren.«

»Ja, dann möchte ich nach Amerika!«

»Ich werde Ihnen eine Zeile an den deutschen Konsul in Teneriffa mitgeben. Der wird Ihnen für Ihr besseres Fortkommen behilflich sein.

Melden Sie sich noch einmal bei mir, bevor Sie das Schiff verlassen.«

überglücklich verließ der Ire den Kapitän.

Als die Boote klar gemacht wurden, um die Gefangenen nach der »Westburn« zu bringen, stand Kapitän Dohna auf der Kommandobrücke der »Möwe«.

Da bemerkte er auch schon Davis, der im Begriffe war, sich bei ihm zu melden.

Doch da rief schon ein Obermaat seinen Namen.

Der Ire meldete sich.

»Hier, diese hundert Mark schickt Ihnen der Herr Kapitän!«

Da traten dem irischen Matrosen Tränen in die Augen. Stumm grüßend blickte er zur Kommandobrücke hinauf. Vor Ergriffenheit konnte er kein Wort hervorbringen.

»Gute Reise!« rief Graf Dohna herunter, »und einen deutschen Gruß allen Irländern, wo Sie sie auch treffen mögen!«

Es war die höchste Zeit, daß Davis das letzte Boot, das gerade abstoßen wollte, noch erreichte.

»Westburn« und »Möwe« trennten sich.

Noch lange sahen sie gegenseitig ihre Rauchfahnen in der Luft.

Am 22. Februar 1916 sichtete die »Westburn« die Insel Teneriffa.

Um drei Uhr nachmittags langte sie wohlbehalten vor Santa Cruz an.

Am Vormittag war von der entgegengesetzten Seite das englische Panzerschiff »Sutlej« in den Hafen von Santa Cruz eingelaufen.

Die englischen Offiziere hatten sich an Land begeben. Wachen waren nicht ausgestellt. Oder sie mußten schlafen. Niemand auf dem englischen Kriegsschiff hatte bemerkt, daß die »Westburn« mit der stolzen deutschen Flagge am Heck in den Hasen eingefahren war.

Erst als sich die Kunde wie ein Lauffeuer am Lande verbreitet hatte, als in allen Kaffeehäusern und Restaurants lebhaft davon gesprochen wurde, daß die aus acht Deutschen bestehende Besatzung der »Westburn« mehr als hundertfünfzig gefangene Engländer an Land gebracht hatte, wurde man aufmerksam.

Das war ein scharfer Stich, der das englische Nationalbewußtsein stark treffen mußte.

Nun erst, als auch die an Land gesetzte, gefangen gewesene Mannschaft die Taten der »Möwe« verbreitete, strömte die Besatzung des »Sutlej« wieder zu ihrem Schiff zurück, um bald darauf auszulaufen und die hohe See zu gewinnen.

Der Kommandant der »Sutlej« wußte, daß die »Westburn« als deutsches Kriegsschiff nur ein Gastrecht von vierundzwanzig Stunden in einem neutralen Hafen nach dem geltenden Völkerrecht zu beanspruchen habe. Spätestens am nächsten Tage um drei Uhr nachmittags muß die »Westburn« den Hafen wieder verlassen.

Und draußen auf See kreuzte das 13 000 Tonnen große Kriegsschiff, um die »Westburn« nach dem Verlassen von Santa Cruz zurückzuerobern und die kleine Mannschaft gefangen zu nehmen.

Der Bevölkerung der Insel hatte sich eine große Aufregung bemächtigt, an der auch die Besatzungen aller im Hafen liegenden Schiffe teilnahmen.

So ein aufregendes Schauspiel, wie die Kaperung eines deutschen Schiffes hatten sie noch nicht gesehen. Und daß sich die Deutschen nicht ohne Kampf gefangen nehmen lassen würden, setzten alle voraus. Einen Kampf würde es also dabei geben, ein richtiges Seegefecht am hellen Tage.

Und schon wurden Wetten abgeschlossen, wer siegen und wer unterliegen würde.

Inzwischen ließen es sich die sechs deutschen Matrosen unter Führung ihres Kommandanten Badewitz auf Santa Cruz wohl sein.

Wer die deutschen blauen Jungen sah, wie ihre Gesichter in stiller Heiterkeit glänzten, der mußte sich unwillkürlich sagen: sind die Leute tollkühn, mit dem alten Kasten »Westburn« gegen ein so großes Kriegsschiff anzugehen, oder haben die Deutschen einen Plan in Bereitschaft, der sie so siegessicher macht?

Dem nächsten Tage und den kommenden Ereignissen sah alles mit Spannung entgegen.

Und als die Stunde näher rückte, da war alles auf den Beinen. Die ganze Bevölkerung war an die Küste geströmt, um dem seltenen Schauspiel des kommenden Seegefechts zuzuschauen.

Die »Westburn« war von den Gefangenen verlassen, nur die acht Mann mit ihrem Führer befanden sich an Bord.

Nun war der Moment gekommen.

Mit einem wahren Übermut gab die Dampfsirene der »Westburn« den vielen tausenden Zuschauern kund, daß sie jetzt die genossene Gastfreundschaft der spanischen neutralen Zone aufzugeben im Begriffe wäre.

Drei Seemeilen durfte sie noch unbehelligt bleiben. Dann aber war sie, auf Gnade und Ungnade, dem englischen Kriegsschiff verfallen.

Die »Sutlej« war ihrer Beute so sicher, daß sie sich gar keine Mühe nahm, in der Nähe des Hafens zu kreuzen.

Sie kreuzte weit draußen auf See, denn die langsam fahrende »Westburn« konnte ihr keineswegs entgehen.

Langsam setzte sich die Schraube der »Westburn« in Bewegung und lächelnd tat die kleine Mannschaft ihren Dienst.

Immer höher stieg die Aufregung und immer mächtiger hörte man die Reden und Rufe der die ganze Küste besetzt haltenden Bevölkerung.

Nun dampfte die »Westburn« stolz aus dem Hafen heraus. Im Winde wehte am Heck wieder die deutsche Kriegsflagge.

Doch was war das? Die »Westburn« verlangsamt ihre Fahrt, nachdem sie kaum eine halbe Meile aus dem Hafen heraus ist?

Jetzt stoppt sie sogar!

Und – ist es zu glauben! – ein Boot wird herabgelassen.

Der Kommandant mit seinen acht Mann nimmt darin Platz.

Das Tau, das es mit dem Schiff verbindet, wird gekappt. Und jetzt legen sich die acht Mann in die Riemen. Der Kommandant führt das Steuer. Sie kommen zurück!!

Jetzt haben sie die Hafeneinfahrt erreicht.

Ein furchtbarer Knall erschüttert die Luft.

Die verlassene »Westburn« ist durch eine Explosion in Stücke zerrissen. Sie neigt sich zur Seite und ehe die entsetzte und erstaunte Zuschauermenge sich von ihrem Schrecken erholen kann, verschwindet das Schiff in dem rauschenden Meer.

Die »Westburn« kann von dem englischen Kriegsschiff nicht mehr zurückerobert werden. Die Deutschen haben es nicht in ihre Hände fallen lassen.

Ebensowenig wie sie die Neigung selbst verspürten, sich als Gefangene den Engländern zu übergeben.

Sie kehren auf den spanischen, neutralen Boden zurück, wo sie von einem nicht endenwollenden brausenden Jubel der Bevölkerung empfangen werden.

Das kleine Häuflein der schlauen Deutschen hat die Engländer zum besten gehabt und sie an der Nase herumgeführt!

Der Kommandant der »Sutlej« will sich dem Gelächter nicht aussetzen. Er kehrt in den Hafen nicht zurück. Man sieht vielmehr das Kriegsschiff aufs Meer hinausdampfen und im Abendnebel verschwinden. –

Die »Möwe« war ihre eigene Straße gezogen, um nunmehr den heimischen Gestaden zuzueilen.

Auf ihrem Wege begegnete ihr am nächsten Tage bei Sonnenuntergang ein Dampfer, den sie sich sofort aufmachte einzuholen.

Erst in später Nacht gelang es ihr, sich an das Schiff heranzupirschen.

Beim Lichte ihres Scheinwerfers konnte sie aber gleich feststellen, daß es ein holländisches Schiff war.

Froh darüber, daß sie sich klugerweise in eine Zwiesprache mit Granaten nicht eingelassen hatte, läßt sie den Dampfer seines Weges ziehen.

Und am nächsten Tage begegnet ihr ein englisches Schiff, dicht besetzt mit Passagieren.

Auch diesen Dampfer läßt sie unbehelligt.

Die Lebensmittelvorräte sind knapp geworden. Die Passagiere, die sie hätte übernehmen müssen, wären ihr lästig geworden.

Erst einige Tage später, am 24. Februar 1916, begegnete ihr ein französisches Schiff. Es war die »Maroni«, 3109 Tonnen groß. Sie kam mit wertvoller Ladung von Frankreich und befand sich auf dem Wege nach Neuyork.

Alles ist vergnügt. Denn die abergläubischen Seeleute unkten schon, die Zahl »dreizehn« der gekaperten Dampfer würde der glücklichen Heimkehr im Wege sein.

Gegen die Zahl »dreizehn« hatte jeder etwas vorzubringen. Und nun war der Jubel allgemein, als die »Maroni« als vierzehntes Schiff die abergläubische Zahl verdrängen half.

Von lebhafter Freude erfüllt, sah man die »Maroni« herandampfen.

Es war heller Tag. Die See ging hoch.

Das hindert die »Möwe« nicht, ihre Pflicht zu tun.

Der französische Kapitän der »Maroni« ist ein höflicher Mann. Er sieht ein, daß er gegen die Übermacht nichts vermag. Das Leben seiner Mannschaft will er wenigstens erhalten.

Das Prisenkommando hat es nicht leicht, an Bord zu kommen. Mit Wehmut im Herzen nehmen sie von den Herrlichkeiten des französischen Schiffes Abschied.

Da gab es mächtige Tonnen mit Bordeauxwein, hunderte Kisten prächtiger Eier, die trefflichsten Sorten der berühmten französischen Käse, ganz zu schweigen von den vielen Kisten ausgezeichneter Schinken, Liköre und Konserven.

Und ganz unten im Schiffsraum lagen tausend Kisten mit französischem Champagner. Doch darüber waren so viele andere Güter aufgestapelt, daß es langer Zeit und angestrengter Arbeit bedurft hätte, um die hervorzuholen und an Bord der »Möwe« zu bringen.

Das Bedauern darüber ist bei allen »Möwe«-Leuten sehr groß.

So werden denn als willkommene Beute nur große Mengen von den schönen Eßwaren übernommen. Die Weine alle mit den anderen Leckereien werden mit der »Maroni« erbarmungslos versenkt.

Außer den Eßwaren werden noch von der Mannschaft dreiunddreißig Leute an Bord gebracht.

So ist das vierzehnte feindliche Schiff in die Tiefe gegangen.

Mit großer Befriedigung kann Graf Dohna jetzt auf seine Tätigkeit zurückblicken.

Als er Ende des Jahres 1915 den Befehl zur Kreuzerfahrt erhalten hatte, zweifelte er doch im stillen ein wenig, ob die kühne Fahrt gelingen würde.

Es war doch keine Kleinigkeit, mit dem als Hilfskreuzer ausgerüsteten Schifflein durch die von den Engländern mit ihrer Riesenflotte abgesperrte Nordsee durchzubrechen.

Zwei lange, bange Monate hatte er hier draußen, oft unter den schwierigsten Verhältnissen, Krieg geführt. Den feindlichen Handel hatte er beunruhigt, und noch mehr als das: er hatte ihm wesentlichen Schaden zugefügt.

Die stattliche Reihe der versenkten und gekaperten Dampfer zog an seinem Geiste vorüber.

Da war die »Corbridge« und der »Author«, der »Trader« und die »Ariadne«, die »Dromonby« und »Farringford«, der »Clan Mactavish« und die große »Appam«, die »Westburn« und »Horace«, der »Flamenco« und die »Edinburgh«, der »Saxon Prince«, die »Luxemburg« und nun die »Maroni«.

Große Werte mußten leider zugrunde gehen. Aber: es ist Krieg! Und da gilt nur das, was dem Feinde schadet und dem Vaterlande nützt!

Die Sachverständigen auf der »Möwe« haben den dem Feinde zugefügten Schaden, der ihm durch den Verlust der Schiffe und Güter geworden war, auf fünfzig Millionen Mark geschätzt.

Ein großer Schaden, den der Feind sobald nicht verschmerzen wird!

Dazu kam noch der Verlust, den die englische Flotte durch den Untergang des Schlachtschiffs »King Edward VII.« erlitten hatte. Dieses große englische Linienschlachtschiff war einer der Minen zum Opfer gefallen, die er um die englische Küste ausgestreut hatte.

Wenn er die Erfolge in langer Reihe vorüberziehen ließ, dann konnte er wohl mit sich zufrieden sein.

Er hatte den Befehl in allen Punkten erfüllt.

Er hatte die englische Küste mit gefährlichen Minen verseucht; er hatte der feindlichen Handelsschiffahrt schweren Schaden zugefügt; er hatte dem moralischen Ansehen der englischen Flotte mit dem Durchbruch der Blockade einen schweren Schlag versetzt, und jetzt galt es noch einmal, die eiserne Mauer zu durchbrechen, um die heimische Küste zu erreichen.

Von seiner Kreuzerfahrt brachte er Gefangene heim: vier englische Offiziere, neunundzwanzig Seesoldaten und hundertsechsundsechzig andere englische Gefangene, darunter hundertdrei Inder.

Aber noch mehr! Es war ihm gelungen, auf der »Appam« eine Million Mark in Goldbarren zu erbeuten, die er wohlverwahrt heimzubringen gedachte.

Überreich an Erfolgen war seine Kreuzerfahrt gewesen. Er war der Vorsehung dankbar, die ihn so gnädig bewahrt und so glücklich seine Fahrt geleitet hatte.

Nicht die Schädigung des feindlichen Handels allein war es, was die Engländer grämen wird, mehr noch als das, die Schädigung des Ansehens britischer Seegeltung ist es, die sie nicht verschmerzen werden.

Graf v. Dohna, der Kommandant der »Möwe«, konnte mit freudiger Genugtuung auf die errungenen Erfolge zurückblicken. Und mit stiller Dankbarkeit gegen die Vorsehung war er herzlich seiner tapferen Gefolgschaft dankbar, die in bewundernswerter Pflichterfüllung seiner Führung zum Erfolge verholfen hatte.

Längst schon hatte er Funkentelegramme aus der Heimat aufgefangen.

Jetzt hielt er den Augenblick für gekommen, um seinen Getreuen bekanntzugeben, wie sehr ihr Kaiserlicher Herr daheim ihre Pflichterfüllung zu belohnen wußte.

Das aufgefangene Funkentelegramm meldete, daß den Herren Kapitänleutnant Wolf, Oberleutnants Niedermaier und Bethge, Leutnant Berg, der die »Appam« nach Amerika geführt hat, Torpedoleutnant Kühl, und Offizierstellvertreter Badewitz, der die »Westburn« nach Teneriffa gebracht hatte, sämtlich das Eiserne Kreuz erster Klasse verliehen wurde.

Und ein dreifaches, brausendes Hurra der Mannschaft dankte dem Allerhöchsten Kriegsherrn für die Verleihung des Eisernen Kreuzes zweiter Klasse an jeden anderen Teilnehmer der Kreuzerfahrt.

Nun kam der schwerste Teil der ganzen Fahrt: die Heimreise!

Jetzt, nachdem die Taten der »Möwe« in der ganzen Welt bekannt waren, wo die feindliche Flotte hinter dem deutschen Schiffe herjagte, wo sie alles daran setzte, den Schädiger ihres Handels, den Vernichter ihrer Handelsflotte unschädlich zu machen, da bangte Graf Dohna. Ein zweites Mal die Blockade zu durchbrechen, erschien ihm jetzt mehr als tollkühn, fast unmöglich.


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