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Dritter Abschnitt

Abgeschlagener Angriff.

Petersen war wieder zu Haus und Hof zurückgekehrt, von seiner Frau und dem Knaben jubelnd empfangen worden.

Er gönnte seiner Frau den kleinen Triumph, als er ihr von dem niederträchtigen Verhalten Northcliffs Nachricht gegeben hatte.

Dann nahm Petersen seine gewohnte Arbeit im Magazin und auf den Feldern wieder auf.

In den ersten Tagen nach seiner Rückkehr von der Küste, sah er jedem Tag mit einer gewissen Bangigkeit und Unruhe entgegen.

Oft hielt er mit der Arbeit ein, um das Ohr anzustrengen. Er horchte auf das Tack-tack des Maschinengewehrs. Das eine stand fest: so ohne weiteres würde sich selbst die kleine deutsche Schutztruppe dem Feinde nicht ergeben. Da würde es noch blutige Köpfe setzen.

Ein Tag um den andern verstrich, ohne daß sich ein Feind gezeigt hätte. Die in Kamerun lebenden Engländer, Belgier und Franzosen verkehrten nach wie vor mit den Deutschen, soweit sie geschäftlich mit ihnen zu tun hatten.

Doch auch für sie hatte jeglicher Postverkehr mit Europa aufgehört. Auch sie konnten nur Vermutungen anstellen und nicht wissen, was im alten Europa inzwischen für furchtbare Kämpfe entbrannt waren.

So war der September verstrichen und der Oktober herangekommen.

Gewitterstürme und Regen folgten zahlreich aufeinander. Und die vom Weltverkehr mit einemmal abgesperrte Kolonie war von jeder Einfuhr und jeder Ausfuhr abgeschnitten.

Die kleine Militärmacht, die das große Land beschützen sollte, hatte aus den Ansiedlern, soweit sie sich freiwillig gemeldet hatten oder militärpflichtig waren, eine gewisse Verstärkung erhalten. Die war aber nicht so groß, daß sie daran denken konnten, das große, fruchtbare Land gegen eine Übermacht zu verteidigen. Sie wollten es verteidigen bis auf den letzten Mann. Keine Handbreit des mühsam errungenen Landes durfte kampflos in Feindeshand fallen. Und ruhmlos kämpft kein Deutscher!

Die weit im Lande verstreut liegenden Militärstationen wurden um etliche Mann verstärkt. Man verschanzte sich, traf seine Vorbereitungen und suchte sich mit Munition zu versehen.

Besonders an der Küste wurden solche militärischen Verteidigungsmaßnahmen getroffen. Hier hatte man zunächst einen Angriff zu gewärtigen. Doch da Woche um Woche verstrich, ohne daß sich ein Wimpel in der Ferne zeigte, ohne daß ein Kriegsschiff sich der Küste näherte, fing man an, schon nicht mehr an einen plötzlichen Überfall zu glauben. Und die Ansiedler klammerten sich vergnüglich an die frisch aufsteigende Hoffnung, daß das drohende Kriegsgewitter, wie die Tornados, die sie ja hinlänglich kannten, rasch ausgerast haben würde.

Jeder Tag bestärkte sie in ihrem Hoffen und Wünschen. Und als der Oktober zu Ende gegangen war, ohne daß ein Feind sich gezeigt hatte, da wurde es allen zur Gewißheit: die Kriegsparteien haben mit sich genug in Europa zu tun und auf eine Erweiterung des Kriegsschauplatzes im schwarzen Erdteil verzichtet.

Amba hatte sich ohne Grund in der Nähe des Herrn Petersen auffällig zu schaffen gemacht. Und als Herr Petersen nun nach getanem Tagewerk einen Rundgang machte und über den Hof kam, da stellte er sich ihm in den Weg.

»Was gibt's, Amba? – Hast du mir was zu sagen?«

Der Schwarze grinste vor Vergnügen. Er freute sich, daß sein Herr seine Gedanken so rasch erraten hatte.

»Ja, Herr, ich möchte reden.«

Herr Petersen wartete auf die Nachricht. Aber als er sah, daß das Gesicht seines getreuen Faktotums sich in düstere Falten gelegt hatte, fing er an, aufmerksam zu werden.

»Du bist doch nicht krank? – Soll ich dir Medizin geben?«

»Oh, Herr, nicht hier krank,« er zeigte auf seinen Magen, »Amba hier krank!« Dabei wies er auf sein Herz.

»Ist deine Frau krank?«

»Oh,« rief Amba fröhlich, »sie ist gesund, und die Kinder auch.«

»Nun, so halt' mich nicht auf und sprich, wenn es etwas von Wichtigkeit ist.«

»O ja, ja, Herr, – ist von Wichtigkeit, – nicht für Amba, aber wichtig für den weißen Herrn!«

Amba gab nun in seiner weitschweifigen Art die Unterhaltung, die er mit einem Bakoko gehabt hatte, wieder, der aus Sansaja mit einer Karawane zurückgekehrt war.

»Sansaja liegt, wie du weißt, Herr, weit, weit hinter dem Grasland, wo es viele Elefanten gibt und Büffel.«

Ob Petersen das wußte! Sansaja gehört zum englischen Besitz, zu der großen Kolonie Nigeria.

Der Bakoko war ihm befreundet, sogar mit ihm verwandt.

»Weiße Männer – Englishmen – sind auf dem Kriegspfad. Nicht gegen Schwarze, nein, gegen weiße Männer.« Er hob den letzteren Umstand besonders hervor und unterstrich die Tatsache nach jeder Richtung.

Das, was jener aufmerksame schwarze Beobachter bemerkt hatte, überraschte Petersen nicht sehr, denn auf einen Überfall war die Kolonie ja seit langen Wochen vorbereitet. Und doch, wenn er es sich recht gestehen wollte, so deprimierte ihn die Nachricht und bedrückte ihn sehr, weil sie seine Hoffnung auf eine Erhaltung des Friedens in der Kolonie grausam zerstörte.

»Und warum sagst du mir das, Amba? – Und warum bist du in deinem Herzen über diese Neuigkeit betrübt?«

»Amba fürchtet, englische Männer werden kommen und weiße Männer aus Ulaja töten. Dann werden die schwarzen Leute traurig sein, denn weiße, deutsche Männer, sind gut zu Schwarzen. Englishmen aber – –«

Amba vollendete den Satz nicht, sondern zeigte durch einen verächtlichen Ausdruck in seinem Gesicht, durch geballte Fäuste, die er aneinanderschlug, wie sehr er die Engländer haßte.

Am folgenden Tage traf Pastor Wilkens wieder ein. Er hatte nahezu alle deutschen Ansiedler benachrichtigt, ihnen Mut eingesprochen. Überall hörte er nur eine einzige Stimme: wir werden siegen und unseren Koloniebesitz behalten.

Aber noch eine andere, wichtigere Nachricht hatte er mitgebracht.

Von einem Karawanenführer, einem Araber, der aus Katsena kam, hatte er erfahren, daß England mit seiner gewaltigen Kriegsflotte das deutsche Meer blockierte.

Während Petersen einen Augenblick erschreckt zusammenfuhr, rang seine Frau verzweifelnd die Hände.

»Liebe Freunde,« nahm der Pastor nach einer Pause das Wort, »wir dürfen uns nicht verhehlen, daß unser deutsches Vaterland schwer bedroht ist.«

Doch Petersen, der seine Sicherheit wiedergefunden hatte, rief:

»Und wenn die Welt voll Teufel wär' – lieber Pastor, es wird diesem heimtückischen Volk nicht gelingen, ein Volk von siebzig Millionen auszuhungern.«

Wieder entstand eine kleine Pause. Jeder hing seinen trüben Gedanken nach.

Da machte sich Hans vernehmlich:

»Herr Pastor, was ist eine Blockade? – Und warum ist die so gefährlich?«

Da erklärte ihm Wilkens mit wenigen Worten den Ernst der Situation.

»In langer, ununterbrochener Kette hält die englische Flotte, eine eiserne Mauer, mit schrecklichen Feuerschlünden wohl bewehrt, Tag und Nacht Wacht, daß aus deutschen Häfen kein Schiff auslaufen und keins hinein kann. Alle Menschen im Deutschen Reich wollen doch täglich ihr Brot essen. Deutschland kann so viel Getreide, als es braucht, nicht selbst bauen. Es muß darum jedes Jahr aus Argentinien für viele Millionen Brotgetreide einführen. Das lassen die Engländer nun nicht nach Deutschland herein, und die Folge ist, daß die Deutschen zu Hause nicht genug Brot zu essen haben, und, wenn sie nicht aus anderen Ländern einen Zuschuß erhalten, hungern müssen.

Da England Deutschland fürchtet und auch nicht glaubt, daß es militärisch niederzuringen wäre, so wollen sie das Volk aushungern. Es darf kein Getreide nach Deutschland, es darf kein Vieh herein, das ihnen Milch gibt und Fleisch. Es darf nicht Wolle herein, die ihnen Stoffe für die Kleider gibt, kurz, alles was zum Wohlbefinden der Deutschen notwendig ist, – und natürlich auch Rohmaterialien, die für die Kriegsführung notwendig sind, – alles das sperrt die englische Flotte ab. Sie hoffen dadurch Deutschland auf die Knie zu zwingen und so aus einem freien, aufrechten Volk ein Sklavenvolk zu machen, das von ihnen alles beziehen soll. Mit andern Worten: das ihnen die Preise zahlen muß, die England vorschreibt.

Und das ist ein Tribut, den man von einem Sklavenvolk begehren kann.«

Da hätte man den Jungen sehen sollen, wie er bleich aufgesprungen war und mit seinen kleinen Fäusten voll Wut die Tischkante bearbeitete.

» Nie darf das geschehen! Nie darf das sein! – Deutschland soll sich wehren, – Deutschland soll England vernichten!«

Pastor Wilkens hatte mit offensichtlichem Vergnügen den Knaben betrachtet, aus dem echte Liebe zu seinem deutschen Vaterlande so elementar hervorgebrochen war.

»Herr Petersen, um Deutschland steht es gut, wenn unsere Jugend so denkt und fühlt wie Hans.

Komm, Hans, reich' mir deine Hand. – Wenn du älter geworden bist, dann wirst du Deutschland helfen, nicht wahr? Dann wirst du einer seiner vielen Streiter sein im Kampf gegen das verruchte England. Denn nicht eher wird Friede in der Welt herrschen, bevor nicht England, der Friedensstörer des Erdballs, ohnmächtig am Boden liegt.«

»Sie wollten mir ja, Herr Pastor«, begann Hans, »über die Engländer etwas erzählen.«

»Ja, Hans, das wollte ich. Das ist ein langes Kapitel. Leider habe ich jetzt nicht die Zeit und noch weniger die innere Ruhe dafür. Aber deinen Vater wirst du, wenn ich fort bin, bitten, daß er dir einmal das schreiende Unrecht, mit dem England alle Völker der Welt unterjocht und für seine Zwecke hingeopfert hat, erzählt.«

Hans sah fragend auf den Vater.

»Ja, mein Junge, laß mir ein paar Tage Zeit, dann wollen wir uns mal gemütlich zueinander setzen, und dann sollst du deinen Willen haben.«

Pastor Wilkens nahm Abschied von den Freunden und fuhr der Küste wieder zu.

Dort hatte sich inzwischen manches verändert.

Eines Morgens, als der Tag dämmerte, hatten die wachsamen Posten die Annäherung eines Kutters bemerkt, der auf Duala zuhielt. Weit draußen ging er vor Anker. Boote wurden herabgelassen und bald schwenkten drei vollbeladene Schiffchen auf dem bewegten Meere der Küste zu.

Alle verfügbaren Mannschaften wurden alarmiert. Die Deutschen taten, als merkten sie die Annäherung des Feindes nicht. Durch das Glas hatten sie wohl die Bewaffnung der Insassen festgestellt.

Nun galt's! Der erste Empfang sollte ihnen gleich so versalzen werden, daß sie für die nächste Zeit das Wiederkommen vergaßen.

Das erste Boot schwankte heran. Man ließ es bis auf hundert Meter nahe kommen. Die beiden andern Boote kamen in Abständen von fünfzig Meter hinterher. In jedem mochten wohl zwanzig bis dreißig Mann eng zusammengepfercht sitzen.

»Feuer!« kommandierte der deutsche Befehlshaber.

Die Salve rollte über das Wasser. Schreie ertönten. Man merkte, daß viele Kugeln getroffen hatten.

Der ersten Ladung folgte eine zweite, eine dritte. Da meldeten sich auch schon die Kugeln aus den andern Booten.

Doch die Schützen schossen entweder schlecht oder die auf und ab schaukelnden Boote ließen sie nicht zum ruhigen Zielen kommen. Keine Kugel traf. In dem ersten Boot sah es wüst aus. Bis auf den Mann am Ruder waren alle schwer getroffen. Das Boot trieb führerlos auf den Wellen.

Inzwischen waren die andern beiden nähergekommen. Doch auch denen ging es nicht anders. Sie wurden mit Schnellfeuer empfangen, und ehe einer der Engländer, Belgier und Franzosen einen Fuß auf Deutsch-Kamerun setzen konnte, waren alle kurz und klein geschossen.

Fluchtartig wandten sie die Schiffchen. Und die Kugeln, die ihnen noch nachgeschickt wurden, schickten noch manchen in die Unterwelt.

Man sah die beiden Boote zu dem Kutter zurückkehren, und bald darauf ging es »Anker auf« und verschwand nach Norden zu.

Der erste feindliche Überfall war abgeschlagen, ohne daß es den Blutstropfen eines deutschen Mannes gekostet hatte. Das erste Boot wurde von der Strömung an Land geworfen, die Verwundeten als Gefangene in Empfang genommen und den zu Tode Getroffenen ein Soldatengrab bereitet. Die Waffen und Munition wurden als willkommene Beute betrachtet.

Der erste Sieg war verhältnismäßig leicht errungen. Man wußte, daß die Feinde bald mit Verstärkung wiederkehren würden.

Anfang November rückten über die englischen Grenzen Truppen gegen die deutschen Militärstationen vor. Zur nämlichen Zeit erschien ein kleiner englischer Kreuzer, um gegen die Küste vorzugehen.

Nun gestaltete sich das Kriegsbild wesentlich anders.

Die Schiffskanonen sandten metallene Grüße zur Küste. Doch der Schaden, den die Geschosse anrichteten, war gering. Das Schiff konnte seines Tiefgangs und der vorgelagerten Sandbänke wegen nicht nah genug an Land herankommen. Seine Kanonen mußten wohl von kleinerem Kaliber sein. Sie trugen nicht weit. Und die Geschosse, die die Küste erreichten, taten niemand etwas zuleide. Wieder wurden Boote herabgelassen, um Soldaten zu landen. Diesmal aber landeten sie die Truppen an einem andern Teil der Küste. Man wartete, bis sie zum Angriff auf Duala vorrücken würden.

Unter Führung von Schwarzen gelang es ihnen am nächsten Morgen in aller Frühe sich in die Nähe einer Faktorei heranzuschleichen.

Doch da empfing sie ein wohlgezieltes Feuer.

Mit Hurra und aufgepflanztem Bajonett stürzten sich die todesmutigen Verteidiger auf die Angreifer. Im Nahkampf wurde das Treffen entschieden. Die Engländer wurden in die Flucht geschlagen, nachdem sie über die Hälfte ihrer Mannschaft auf der Walstatt lassen mußten. Und die wenigen, die noch durch die verfolgenden Kugeln bis zur Küste kamen, konnten nur ihre Niederlage dem Kapitän des Kriegsschiffes melden.

Und tapfer, wie die Verteidigung an der Küste war, mit dem nämlichen Löwenmut wurde jede Militärstation verteidigt.

Das Ergebnis war, daß der konzentrische Angriff zu Wasser und zu Lande vorerst abgeschlagen war.


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