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Zwölfter Abschnitt.

Das Geheimnis der »Möwe«.

Der kommende Tag zauberte alle Menschen auf Deck. Eine große Erregung hatte sich aller bemächtigt.

Die Verhafteten saßen noch im untersten Schiffsraum. Der Zugang zu ihnen war durch Wachen abgesperrt.

Einige behaupteten, sie lägen gebunden, andere vergrößerten das Gerücht, man habe sie in eiserne Ketten gelegt. Wieder andere wußten schon zu berichten, daß die Ratten sich über die hilflosen Gefangenen hergemacht und einem die Nase angeknabbert, dem andern die auf den Rücken geschnürten Finger angefressen hätten.

Alle Viertelstunde vergrößerte sich das Gerücht. Ja, man ließ den Mister Rockway, vollständig von den Ratten benagt, nur noch mit schwachen Lebenszeichen auf dem Schiffsboden liegen. Und von Mister Barrington wurde berichtet, er sei noch in derselben Nacht, von zehn Kugeln durchbohrt, umgesunken.

Bis der Kapitän endlich, umgeben von seinen Leuten, in der aufgeregten Menge erschien. Da faßten sich denn die beiden Gouverneure, als die angesehensten unter ihnen, ein Herz, um den Kapitän über die Vorgänge der Nacht zu interpellieren.

Ja, da gab's ein großes Kopfschütteln und Händeringen. Sie wußten, daß das Recht auf seiten des Kapitäns war und daß es nur eines Winks von ihm bedurfte, um die Meuterer an den Mast zu knüpfen, wenn er ihnen nicht eine Kugel gönnen wollte.

Das Kriegsgesetz war hart. Und nur ein Appell an seine Großmut konnte das Unheil, das ihnen drohte, von den tollkühnen Männern abwenden.

Da fehlte es nicht an Bitten, an klugen Worten. Und nicht nur die beiden angesehenen Gouverneure, auch die sieben Kapitäne vereinigten ihre Bitten mit denen der englischen Exzellenzen, um die Eingesperrten vor schwerer Strafe zu schützen.

Dem Kapitän lag selbst daran, daß kein Blut floß und daß alles mit einem friedlichen Ausgange schloß. Er ließ sich denn zunächst noch eine längere Zeit bittend bestürmen. Er machte Einwendungen aller Art, bis denn zu den Männern endlich eine Abordnung der englischen Damen kam, die mit erhobenen Händen und mit vielen Tränen um Gnade für ihre Männer baten.

Da ließ sich denn Kapitän Berg herbei, Gnade für Recht walten zu lassen.

Zunächst mußten die Gouverneure von jetzt an bis zum Schluß der Reise persönlich die Verantwortung für die englischen Passagiere übernehmen.

Das wurde feierlich zugesagt. Dann sollten die Verhafteten zu Protokoll ebenfalls feierlich Abbitte leisten und geloben, nichts mehr gegen die Schiffsmannschaft zu unternehmen. Unter dieser Bedingung sollten sie von Strafe frei sein.

Immerhin hielt es Kapitän Berg für erforderlich, daß die vier Haupträdelsführer von den andern Passagieren abgesondert ihre Mahlzeiten einnahmen und bis zum Anlaufen der Küste auch in einer für sie hergerichteten Kajüte am Oberdeck, unter wachsamer Beobachtung, separiert würden.

Obgleich im allgemeinen alle von der Güte des Kapitäns entzückt waren, gab es doch eine Anzahl, die über den friedlichen Ausgang der Angelegenheit ergrimmt waren. Nur daß sie im stillen ihrem Zorne Luft machten und nach wie vor gegen die Deutschen intrigierten und ihnen Rache schworen.

Was Wunder, daß sich diese erregte Stimmung auch auf die Deutschen übertrug!?

Die Engländer wußten wohl, daß sie von jetzt an bei dem geringsten Versehen einen unerbittlichen Richter in dem Kapitän finden würden. Ihnen war auch bekannt und wiederholt eingeschärft worden, daß bei dem leisesten Versuch einer Überrumpelung das Schiff mit Mann und Maus in die Luft gesprengt würde.

Die Menschen kamen aus der aufregenden Spannung nicht mehr heraus und alle wünschten sehnlichst, die Fahrt der »Appam« möchte doch endlich ein Ende nehmen.

Unter der Hand war durchgesickert, daß die Fahrt nur noch drei Tage dauern solle.

Und als die Zeit endlich verstrichen war, als bekannt wurde, daß man sich bereits in einem neutralen Gewässer befinde, da wollte überhaupt keiner mehr zu Bett gehen.

In den letzten Tagen hatte jeder in den Kleidern geschlafen. Man empfand, daß es unter den exaltierten Engländern nur eines leisen Anstoßes bedurfte, um die elektrische Spannung zur Explosion zu bringen.

Auch die letzte Nacht verstrich. Und als der Tag endlich anbrach, ein schöner, von den Strahlen der Sonne vergoldeter Morgen, da atmete alles auf. Geschäftig rannten die Menschen hin und her. Sie wiesen mit den Händen auf die aus feinem Nebel hervortretende Küste hin.

Jeder riet etwas anderes. Einige meinten, sie würden in Rio de Janeiro landen. Andere wieder, das könne nur Neuyork sein. Und wieder welche gab es, die die Insel Kuba im Auge hatten, an der die »Appam« vor Anker gehen würde.

Alle irrten sich. –

Da, zum ersten Male! – tutete die Dampfsirene. Es war der Ruf nach einem Lotsen. Gleichzeitig stieg die deutsche Kriegsflagge am Mast empor. Und stolz sahen die Deutschen das schwarz-weiß-rote Banner im Winde wehen. Ihre Herzen schlugen höher.

Jetzt konnten die Engländer mit ihren Dreadnoughts kommen! Nun liefen sie in der neutralen Zone und man konnte dem Schiff nichts mehr zuleide tun.

Ein unbeschreiblich stolzes Hochgefühl ergriff alle. Und als sie endlich vernahmen, daß sie an der amerikanischen Küste seien, da waren mit einem Schlage alle gehabten Aufregungen, alle Schmerzen, alle Feindschaft und Sorge vergessen.

Die Engländer schüttelten den Deutschen die Hände und die Deutschen drückten sie den Briten kräftig. Man freute sich miteinander, als ob ihre Nationen nicht seit langem im Kriege ständen, als ob sie sich nie gehaßt und stets miteinander nur gefreut hätten.

Und heller schien die Sonne. Sie zerteilte nicht nur die Nebel, die die Küste bisher ihren Blicken entzogen, – nein, sie schien auch mit ihren Strahlen in die Herzen der Menschen zu dringen und sie friedlicher zu stimmen.

Auch Kapitän Berg war froh, als er der Reede von Newport-News ansichtig wurde. Unterwegs hatte er mehr als einmal Nachricht aus der Funkerbude erhalten. Dort hatte man Funkentelegramme aufgefangen. Er erfuhr, daß der »Appam« englische Kriegsschiffe auflauerten. Er müßte aber nicht der geschickte Seemann gewesen sein, der er war, wenn er es nicht zuwege gebracht hätte, mit der »Appam« den englischen Räubern auszuweichen.

Und nun endlich, am 15. Februar, hatte er die amerikanische Küste erreicht. Norfolk, im Staate Virginia, lief er an.

Inzwischen war die Ankunft, von der »Appam« aus, an Land gemeldet worden. Und mit echt amerikanischer Fixigkeit wurde die Kunde in Norfolk verbreitet. Die gekaperte »Appam« sei im Begriff, als deutsches Prisenschiff mit deutscher Besatzung in Amerika zu landen.

Die Nachricht wirkte sensationell. Extrablätter wurden in Norfolk ausgegeben. Der elektrische Funke trug die erstaunliche Nachricht in alle Welt hinaus. Und bald sah man unzählige Motorschiffe und Segelboote, und auch selbst kleinere Ruderer auf die »Appam« zueilen. Und ehe sie noch den Hafen erreicht hatte, umschwirrten sie amerikanische Journalisten. Sie wollten gern an Bord, um von den Engländern und den Deutschen über ihre Reise und die Kämpfe Näheres zu erfahren. Doch mit unerbittlicher Strenge hielt Kapitän Berg alle neugierigen Ausfrager ab. Kein Mensch, außer den Beamten der amerikanischen Regierung, durfte das Schiff besteigen.

Endlich hatte die »Appam« festgemacht. Aber auch da blieb der Kapitän streng bei seinem Verbot. Und die hinter ihm mit Handgranaten bewehrte Schiffsmannschaft wußte seinen Worten ein nachdrückliches Gewicht zu geben.

Kaum hatte die »Appam« auf der Reede Anker geworfen, da erschien auch schon der englische Konsul, der dreist behauptete, nicht Leutnant Berg sei der Führer des Schiffs, sondern der frühere Kapitän Harrison. Er besaß sogar die Unverschämtheit, die deutsche Besatzung zum Verlassen des Schiffs aufzufordern.

Da kam er aber bei dem deutschen Kapitän schlecht an.

Wenn er noch niemals eine deutsche klare, unzweideutige Antwort vernommen hatte, – hier konnte er sie hören. Und als er noch immer nicht Miene machte, das Schiff zu verlassen, wurde dem dreisten Briten eine Begleitung vom Schiff in Aussicht gestellt, wenn er nicht binnen einer Minute den deutschen Schiffsboden verlassen würde.

Er ging. Nicht mehr vorlaut. Er wagte auch keinen Einspruch mehr, sondern verabschiedete sich so schnell, daß Leutnant Berg nicht mehr nötig hatte, ihn an die Luft setzen zu lassen.

Jeder, der mit den Engländern zu tun hatte, bestätigt, daß das übermütige Volk nur dann umgänglich wird, wenn man ihm eine derbe Faust gezeigt hat.

Die Amerikaner hatte die Fahrt der »Möwe«, deren geheimnisvoller Führer und deren gut bewahrtes Geheimnis nun in aller Leute Munde war, förmlich elektrisiert.

Die Engländer durften das Schiff verlassen. Nur die Deutschen blieben noch zurück. Besonders für die von ihren Farmen vertriebenen Deutschen mußte noch Rat geschaffen werden. Sie standen im fremden Lande, ihres Eigentums beraubt, völlig mittellos da. Inzwischen hatten sie auf der »Appam« Unterkunft und Verpflegung gefunden.

Die Deutsch-Amerikaner besonders wußten sich in ihrer Freude nicht genug zu tun. Da schickte an den kühnen Schiffskommandanten ein ehemaliger Reserveleutnant ein Telegramm:

»Donnerwetter, Donnerwetter, ihr seid Kerle!
Donnerwetter, Donnerwetter, tadellos!«

Am nächsten Tage feierten die Zeitungen die Besatzung der »Möwe« in einem schwungvollen Gedicht. Und zu Hunderten kamen aus allen Städten der Union Glückwunschtelegramme.

Aber auch Zeitungsreporter erschienen und die unvermeidlichen Photographen. Dann regnete es Geschenke aller Art, die zum Teil willkommen geheißen wurden.

Und als Herr Petersen mit seiner Familie eine Woche darauf nach Neuyork kam, da waren in den Kinos schon die Erlebnisse der »Appam« zu sehen.

Auf die Stürme und Kämpfe folgten ruhigere Tage.

Und auch für Herrn Petersen war jetzt der Augenblick gekommen, um endlich an seine nächste Zukunft zu denken.

In einem Neuyorker Adreßbuch konnte er in Norfolk zu seiner Freude die Adresse seines ehemaligen Freundes Männe Prahn feststellen.

In einem Telegramm kündigte er seine Ankunft in Neuyork an und fragte, ob er ihn nicht in Empfang nehmen und ihm ein wenig zur Hand gehen wolle.

»Das schadet dem Burschen gar nichts, wenn er jetzt mal auch etwas für mich tut. Mir kommt da in Erinnerung, daß ich ihm vor seiner Abreise in die Neue Welt noch mit einem Darlehen von fünfhundert Mark beigesprungen bin. Ich habe in den langen Jahren unserer Trennung gar nicht mehr daran gedacht. Aber es wäre sehr schön, wenn der alte Junge sich jetzt daran erinnerte und mir einen Teil davon zurückstellte. Denn gerade jetzt könnte mir der Betrag die trefflichste Unterstützung gewähren.

Aber auch ohne das. Sein Rat kann mir unter Umständen nützlicher sein, als die paar Groschen, die ich ihm damals aus meinem Überfluß mitgeteilt habe.« –

Am nächsten Mittag war schon die Antwort da:

»Hurra! Hocherfreut, mein alter Junge, dich nach so langen Jahren hier zu begrüßen. Telegraphiere, wann Du eintriffst. Kannst in jeder Beziehung über mich verfügen. Herzlichst Dein alter Männe.«

Nun, das war ein freundlicher Willkomm. Sollten auf die schlimmen Zeiten nun freundlichere folgen?

Die Tage vergingen wie im Fluge.

Und als Petersen Arm in Arm mit Doktor Prahn an den zum Himmel ragenden Wolkenkratzern vorbeischritt; als sie das Gewühl, das nervöse Hasten und Treiben der amerikanischen Riesenstadt umfing, da kam ihm alles wie im Traume vor.

Er war jetzt in der Neuen Welt. Aus der Stille seiner afrikanischen Besitzung führte ihn der Weltkrieg nach so vielen Fährlichkeiten – nicht in die Gefahren eines berüchtigten englischen Konzentrationslagers, – unerwartet und ganz überraschend stand er mit einem Male, durch das Eingreifen eines heimatlichen Kriegsschiffes auf amerikanischem Boden. Er mit seiner Familie war der Gefangenschaft und noch Schlimmerem entronnen. Er genoß die herrliche Freiheit in einem dem Deutschtum wohlgesinnten neutralen Lande.

Doktor Prahn hatte für den alten Freund schon alles vorbereitet. Nicht weit von seinem Bureau in der ruhigen Franklinstraße, die der Brodway, die Hauptverkehrsader Neuyorks, durchschnitt, hatte er die Familie Petersen in einer bescheidenen Pension untergebracht.

Fürs erste waren sie also geborgen. Nun hieß es für Petersen, den deutschen Kämpfer, sich nach einer neuen Existenz in diesem Lande der unbegrenzten Möglichkeiten umzutun.

Endlich saßen sich die beiden Studienfreunde im traulichen Zimmer gegenüber.

Hans, der mit staunenden Augen den gewaltigen Hafen mit seinem regen Verkehr, die gigantischen Wolkenkratzer, den ungeheuren Straßenlärm, die zahllosen Menschen, die Hochbahnen und all das zur Bewunderung fortreißende Leben der großen Stadt gesehen hatte, war müde und sehnte sich nach Ruhe.

Und auch Frau Petersen empfand das Bedürfnis, sich zurückzuziehen.

So saßen denn die beiden Freunde allein und packten ihre Erinnerungen aus.

»Nun sag' mal, alter Junge, wie ist es dir denn in der Zeit ergangen?« fragte Petersen.

»Das will ich dir keineswegs vorenthalten. – –

Als du damals so menschenfreundlich warst, mir das Reisegeld zu leihen – dein freundlich geheucheltes Erstaunen, lieber Eberhard, ehrt dich ja sehr, aber diese konventionellen Fisematenten, die bei uns zu Hause nun leider mal so im Schwange sind, sind hier nicht üblich. Ich schulde dir das Geld und ich bin glücklicherweise in der Lage, es dir mit Zinsen zurückgeben zu können. Und damit nicht wieder fünfzehn Jahre vergehen, bis wir uns mal Wiedersehen, will ich dir den Mammon gleich hier auf den Tisch zählen.«

Er legte ihm drei Hundertdollarnoten hin.

»So viel macht es ja nicht aus! – Ich werde doch von einem alten Freunde keine Zinsen nehmen!?«

»Das ist in Europa üblich. Hier aber wird alles vom geschäftlichen Standpunkt angesehen. Ich bin, wie du siehst, ganz Geschäftsmann geworden. Und wenn du mich nicht erzürnen willst, dann steck' das Geld ein. Du wirst es in deiner Lage gut brauchen und, wie ich hoffe, bald ausgegeben haben.«

Als Petersen mit Dank die Banknoten in die Tasche geschoben hatte, nahm Prahn wieder das Wort.

»So, der geschäftliche Teil wäre nun erledigt. Nun können wir zum privaten wieder übergehen. –

.

Als ich damals hier landete, war ich ganz allein auf mich angewiesen. Ich hatte keine Verwandten und keine Bekannten hier. Und das, lieber Freund, wurde mir zum Segen. Denn jetzt erst lernte ich das erstemal auf mich und meine eigene Kraft angewiesen sein. Wie bequem habt ihr mir's in Deutschland gemacht? – War mein Geld alle – und ich litt ja zumeist an diesem Mangel – dann brauchte ich nur meine Verwandten daraufhin anzusprechen, und wenn die mal versagten, dann pumpte ich einen von den Kommilitonen an, das glückte immer. Und so kam man nicht dazu, den Wert des Geldes zu schätzen. Und weißt du warum? – Weil man nicht in die Lage kam, das Geld zu erwerben. Und nur der wird den Wert des Mammons erkennen, der ihn mühevoll erworben hat. Denn ohne Mühe erwirbt man hierzulande nichts. Hier heißt es höllisch aufpassen, die Ohren spitzen. Wer nicht arbeitet, nicht tätig ist, erwirbt nichts. Pumpgenies, wie wir sie massenhaft daheim haben, können sich hier nicht halten. Die gehen bald unter. Und nur der tätige Mann ist hier geachtet.

Ich wurde, da das bißchen Geld für die Überfahrt und die erste Unterkunft ausgegeben war, bald vor die Alternative gestellt, entweder mir eine Arbeit zu suchen oder – zu verhungern. Vom Verhungern war ich ebensowenig ein Freund, wie vom Dursten. Ich hatte gerade noch soviel, um meine Rechnung im Hotel für den einen Tag zu begleichen.

Als ich am folgenden Tage den Wirt bat, sich doch noch ein paar Tage mit der Bezahlung zu gedulden, fragte er, wieviel ich ihm schuldig wäre. Ich nannte ihm den Betrag. Er überzeugte sich von der Richtigkeit meiner Angaben. Dann sagte er trocken:

›Junger Herr, da Sie kein Geld mehr besitzen, müssen Sie mein Hotel verlassen. Ich bin ein Geschäftsmann und lebe vom Geschäft und nicht vom Kreditgewähren. Sie müssen heute noch mein Haus verlassen. Für die sechs Dollar fünfzig Cents, die Sie mir schulden, werde ich zur Sicherheit den Koffer mit Ihrer Garderobe hierbehalten. Das ist mein gesetzlich mir zustehendes Recht. – Bringen Sie das Geld, dann werden Sie Ihren Koffer wieder erhalten. – Good bye, Sir!

Es war gegen Abend, als ich diese liebliche Auseinandersetzung mit meinem Herbergsvater hatte. Die Amerikaner sind kurz angebunden. Das Geschäft geht ihnen über alles. Und wenn ich ein Demosthenes gewesen wäre, – ich hätte den Mann nicht zu einer anderen Ansicht bekehren können.

So stand ich denn auf der Straße. Und wie die meisten in dieser Lage, wanderte ich dem Hafen zu. Da, wo die Schiffe mit Menschen und Gütern aus allen Weltteilen zusammenkommen, haben schon viele Arbeit und zu einem geordneten Leben zurückgefunden. Aber viele, denen es nicht glückte, starrten unentwegt die ins Land Kommenden an, um dann durch einen energischen Sprung ins Wasser ihrem energielosen, verfehlten Dasein ein Ende zu machen.

Die Nacht über verbrachte ich am Kai. Ich sah Hunderte von Schiffen an mir vorübergleiten. Der Hunger hatte sich auch bei mir wohnlich eingenistet. In meinem Kopfe hämmerte es und ich sagte mir, wenn der kommende Tag mir nicht eine kleine Hoffnung brachte, würde ich den Sprung ins Wasser vollführen.

Du schüttelst den Kopf, lieber Freund? Du scheinst meine Worte zu bezweifeln? Und doch es so. Ich hätte ja vielleicht daran denken können, den mit der alten Heimat abgerissenen Faden von neuem wieder anzuknüpfen. Dazu hätte sich immer eine Möglichkeit geboten, als Abwäscher auf einem Dampfer oder als Kohlentrimmer wieder nach Hamburg zurückzufinden.

Aber einen solchen Gedanken verwarf ich ein für allemal.

Ich hatte, um es mir bequem zu machen, mich durch das Geländer gezwängt und mich auf die steinerne Kaimauer gesetzt. Die Beine baumelten herunter auf die an die Mauer schlagenden Wellen und nach und nach fing ich an einzuschlafen. Wenn eine Dampfsirene schrill tutete, wachte ich wieder auf, um im nächsten Augenblick vor Schwäche und Müdigkeit wieder zu entschlummern.

Plötzlich faßte mich eine derbe Faust am Kragen. Ich wachte auf und sah mich erschreckt um. Ein Polizeimann hielt mich noch immer fest. ›Mann,‹ schrie er mir zu, ›was tun Sie hier? Sie sind ja drauf und dran ins Wasser zu stürzen! Ich sehe Ihnen schon eine ganze Weile zu. Hier haben Sie auch nichts zu suchen. Machen Sie, daß Sie hier fortkommen.‹

Aber allein konnte ich mich gar nicht wieder erheben. ›Bleiben Sie ruhig sitzen, sonst stürzen Sie doch noch hinunter!‹ sagte der bösartig aussehende, aber gutmütige Mann. Er griff mit der anderen Hand über das Geländer und ehe ich recht wußte, wie mir geschah, hatte er mich mit erstaunlicher Kraft nolens volens herübergehoben und mich auf die Füße gestellt.

Er musterte mich von Kopf zu Fuß. Dann forderte er mich auf, mich zu legitimieren. Während er meinen Paß und meine sonstigen Papiere einsah, erzählte ich ihm, wie es mir bis jetzt in der Neuen Welt ergangen ist.

›Hm!‹ machte er, ›was sind Sie denn?‹

›Eigentlich bin ich gar nichts. Wenigstens bis jetzt noch nicht. Ich habe zwei Semester studiert, habe aber aus Gründen, die ich Ihnen hier nicht erzählen möchte, das Studium aufgegeben und bin dabei, mir in Amerika eine Existenz zu gründen.‹

›Kommen Sie mal mit‹, sprach nun der brave Mister Whiteman.

Er führte mich in eine der vielen Hafenkneipen, in der er bekannt war. Er wechselte mit dem Wirt ein paar Worte und bald stand ein reichhaltiges Essen vor mir, dem ich auf Aufforderung des Policeman wacker zusprach.

›Haben Sie denn gar nichts sonst gelernt, als das bißchen auf der Schule und der Universität?‹

›Nein‹, sagte ich. Aber da fiel mir ein, vielleicht kann ich mit meinem bißchen Klavierspiel etwas verdienen.

›Nun, sehen Sie! Klavierspielen, – das ist immer schon etwas.‹

Er bat den Gastwirt, sich zu uns zu setzen. Und vor dem fremden Manne mußte ich noch mal in aller Ausführlichkeit meinen Lebenslauf entrollen. Es wurde mir nicht leicht, mich so ohne weiteres vor fremden Menschen zu offenbaren. Aber die Leute in Amerika lieben Geheimniskrämerei nicht. – Du kannst hinkommen, wohin du willst, wenn du nicht jedem gleich sagst, wer du bist, woher du kommst, was du beabsichtigst, dann wird man dir sofort mit Mißtrauen begegnen. Und meinen offenherzigen Darlegungen hatte ich es zu verdanken, daß ich in den nächsten Wochen vor Hunger geschützt war und nicht bei Mutter Grün zu nächtigen brauchte.

Mit meinem Freunde Whiteman blieb ich in Verbindung. Ich durfte seine Kinder in die Geheimnisse des Klavierspiels einführen und in seiner Familie verkehren.

Und als ich ein halbes Jahr lang mich so über Wasser gehalten hatte, sagte der brave Mann eines Tages zu mir:

›Ich habe mit einem meiner Landsleute über Sie gesprochen. Wir Irländer lieben die Deutschen. Wir haben nun beschlossen, Ihnen eine solide Existenz, die Ihrem Bildungsgange entspricht, zu ermöglichen. Ich halte Sie für einen tüchtigen und ehrlichen Mann. Das Geld, das in Ihr Geschäft gesteckt wird, werden Sie mit guten Zinsen eines Tags zurückzugeben haben. Sie haben Jurisprudenz studiert, scheinen ein gutes Mundwerk zu haben, das besonders in Amerika für diesen Beruf die Hauptsache ist. Man wird Ihnen die Mittel geben, damit Sie eine law-school besuchen können. Dann werden Sie noch bei einem Rechtsanwalt praktisch eine Zeitlang arbeiten und dann können Sie Ihr Geschäft aufmachen.‹«

»Erlaube, mein Lieber,« unterbrach Petersen den Freund, »›Geschäft‹ nennst du den Beruf eines Rechtsanwalts? – – Ich meine – –«

»Ja, was du meinst und was du sagen willst, das ist mir längst bekannt. Bei uns in Deutschland wird der Stand des Rechtsanwalts als ein idealer betrachtet. Die deutschen Rechtsanwälte sind gewissermaßen die Helfer der Gerichtsbehörden, um die Wahrheit und den Täter finden zu helfen. In Amerika ist der Beruf eines Rechtsanwalts ein Geschäft, wie jedes andere. Ich kann in meinem Bureau nicht warten, bis sich Kunden einstellen. Ich suche Prozesse und – mache auch welche.«

»Das mag ja gewißlich sehr interessant sein. Ich ziehe doch aber mein Deutschland vor.«

»Das kommt ganz darauf an, von welchem Standpunkte aus du die Dinge betrachtest. Ein Richter in Amerika erledigt in einer Stunde vierzig bis fünfzig Streitfälle. Wir kennen hier nicht das langwierige, zeitraubende schriftliche Vorverfahren. Wir treten vor die Barre des Richters mit den Zeugen, und alles wird kurz und bündig mündlich erledigt. Und wer das größte Mundwerk hat, wer am besten und schlagfertigsten zu reden weiß, wer die amüsantesten Anekdoten in seinen Vortrag einzustreuen versteht; wer die Richter und Geschworenen zur Heiterkeit zu stimmen vermag; wer die Zeugen der Gegenpartei zu verwirren und zu verdächtigen versteht, – der hat gewonnen. Wir sind auch keineswegs an irgendeine Gebührenordnung gebunden. Wir können verlangen, was wir wollen. Wir führen einen Prozeß mit unseren Mandanten auf Spekulation. Gewinnen wir, dann hat er den hohen Betrag zu zahlen, verlieren wir, dann zahlt er gar nichts.«

»Nimm mir's nicht übel, lieber Männe, wenn ich mir eine Bemerkung erlaube. Dann sind die Amerikaner, wenn sie sogar das Gerichtsverfahren zum Geschäft erniedrigen, nicht um ein Jota besser, als die vermaledeiten Engländer. Auch die betrachten alles nur vom Vorteil, den ihnen eine Sache bringt. Die Amerikaner glauben also ebenso wie die Engländer nicht an Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer des Himmels und der Erde, sondern an Vater Dollar, den alles Bewirkenden. – Na, dann danke ich schönstens.«

Petersen hatte sich erhoben und schritt erregt auf dem Teppich auf und nieder.

Doktor Prahn lachte.

»Ich muß gestehen, ich finde dich komisch, Eberhard. Du hast doch, soll ich sagen: gottlob, keinen Prozeß vor den amerikanischen Gerichten zu führen, brauchst doch also gar nicht so wehleidig zu tun.«

»Hast recht, alter Freund,« erwiderte Petersen, »gottlob habe ich mit euren schönen, geschäftsergebenen amerikanischen Rechtsanwälten nichts zu tun.«

»Du, du!« drohte lachend Rechtsanwalt Prahn, »verrede nichts! Wer weiß, ob dir die so wenig in deiner Gunst stehenden amerikanischen Rechtsanwälte nicht noch einmal zu deinem Recht verhelfen!«

»Das halte ich wirklich für ausgeschlossen. Ich gedenke, mich nicht gar zu lange in Amerika aufzuhalten. Ich will die nächste Gelegenheit benutzen, um auf einem neutralen Schiff mit Frau und Kind nach Deutschland zu fahren. Was sollte ich auch noch hier? Den englischen Erzgauner, der mir vierzigtausend Mark in deutschem Gold und Banknoten gestohlen hat, werde ich in dem weiten Amerika doch nicht finden.«

Prahn wurde aufmerksam.

Er ruhte nicht nur, bis ihm Petersen über sich und seine Tätigkeit in Afrika Aufschluß gegeben hatte, sondern bis er ihm haarklein über den an ihm vollführten Raub und den Räuber genaue Auskunft gab.

»Wozu willst du das eigentlich wissen? – Am liebsten denke ich nicht mehr an den famosen Gentleman. Ich rege mich nur unnütz darüber auf. Ich habe schon längst einen dicken Strich darunter gemacht. Hin ist hin! Mein Vertrauen wurde schmählich getäuscht. Es geschah mir ganz recht. Ich hätte vorsichtiger sein und nicht jedem durch die Welt laufenden Abenteurer mein Haus und mein Herz eröffnen müssen.«

Mit einem humorvollen Eigensinn bestand aber Doktor Prahn auf einer eingehenden Schilderung des Abenteurers Northcliff. Und erst als er ihm zum Schluß noch eine Personalbeschreibung des Engländers gegeben hatte, schloß Prahn mit den Worten:

»Jetzt erst, lieber Freund, bin ich über den Gentleman und die ganze Sache unterrichtet. Man kann ja nie wissen, ob man dem Mann nicht doch mal im Leben begegnet. Du meinst an besonderen Merkmalen ist er nicht kenntlich?«

»Nicht, daß ich wüßte. Er ist lang aufgeschossen, wie die meisten Engländer, glatt rasiert, sonst erinnere ich mich nicht, – – doch wart' mal. Mir ist so, als hätte er über dem linken Auge eine Narbe. Richtig. Nein, nicht eine Narbe, zwei. Dessen erinnere ich mich jetzt ganz genau. Hans machte damals noch darauf aufmerksam, daß die beiden Narben über seinem linken Auge wie zwei gekreuzte Schwerter stehen.«

»Nun, siehst du, lieber Eberhard, so' ne kleine Abstempelung kann mitunter einem noch von Nutzen sein.

Aber für heute wollen wir die Unterhaltung beendigen. Es ist elf Uhr. In Hamburg sagt man wohl: spät in der Nacht! Ich werde noch im Klub erwartet. – Willst du mitkommen?«

»Wie? Du gehst jetzt noch aus? Um diese Zeit habe ich in Afrika schon zwei Stunden geschlafen.«

»Hier sind wir auch nicht in Afrika. – – Also, kommst du mit?«

»Darf ich wissen, in welchen Klub du gehst und was du da tust?«

»Ganz einfach. Man kommt zusammen, unterhält sich und spielt ein bißchen.«

»Also ein Spielklub?«

Prahn lachte wieder.

»Wenn du's denn so nennen willst, – ja, es ist ein Spielklub. Unsereiner, der tagsüber viel gearbeitet hat, will sich am Abend zerstreuen und vergnügen. – Und in der Hauptsache: das Glück versuchen. – Hast du Lust, Eberhard, mitzukommen?«

Petersen lehnte ab.

»Heut nicht. Vielleicht ein andermal.«

»Also denn: gute Nacht! Und wenn du nichts Besseres vorhast, dann besuch' mich mal auf meinem Bureau. – Schlaf wohl und träume nicht zu schwer von deinem ehemaligen Gönner Northcliff.«


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