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Manna.

Weißt du,« sagte Fritz, der nicht lange Geduld hatte, zu Elsalutz, »ich werde dich nun einmal zu der Stelle des Teiches führen, an der im Frühling die silberne Insel schwamm. Jetzt ist sie leider untergegangen. Aber auch auf den grünen Eilanden ist ein schöner Aufenthalt, die über den Spiegel der Flut emportauchen.«

Auf einem ruhten sie und tranken einen Schluck von dem kühlen Quellwasser. Plötzlich schob sich der Kopf eines mächtigen Wasserkäfers über den Blattrand der Teichrose empor. Zwei schrecklich große Augen saßen darin – wie an einem richtigen Taucherhelm – und zwei kraftvolle Arme legten sich breit herauf. Das konnte der Wasserkäfer sich leisten; denn er hatte an den Händen eine Einrichtung, die arbeitete mit der Sicherheit von Schröpfköpfen. Sobald er diese fest auf die Fläche des Blattes drückte, zog ein Muskel die Innenwände zurück, und mit den dadurch entstandenen Hohlräumen hing er so fest an dem grünen Blatte, daß ihn selbst eine Strömung nicht fortzureißen vermocht hätte.

»Was wollen Sie hier?« fragte der Käfer. Er trug einen olivengrünen Rock mit gelben Rändern, der niemals naß wurde.

»Wir halten ein Stündchen Sonnenrast,« antwortete Fritz. »Seien Sie doch nicht so bärbeißig! Sie sind doch Rudolf Gelbrand, den ich drüben auf der Moorwiese kennengelernt habe beim gefrorenen Champagnerpunsch.«

»Stimmt,« sagte der Käfer. »Sie wollen sich wohl heute den Mannafall in der Dämmerung ansehen? Ich halte diese Neugier für gefährlich. Sie sind leichtsinnige Gesellen – alle beide. Was glauben Sie wohl, wie kühl es in dieser Jahreszeit am Wasser ist? Das Blut erstarrt Ihnen in den Adern!«

»Was für ein Fall?« forschte Fritz.

»Mannafall. Die Uferaase steigen heut' abend aus dem Wasser! Sie erscheinen in der Regel in sehr großer Zahl, halten Hochzeit, und keine dieser weißen Blumen der Luft erlebt den Morgen. Denken Sie mal: eine Nacht!«

»Oh,« sagte Elsalutz, »das ist ein kümmerliches Schicksal. So sehen sie die Sonne ja nie!«

»Ach wo!« entgegnete der Taucher. »Sonne! Sie haben gar keine Lust danach. Auch ich kann mir Ihre Vorliebe für das stechende Taglicht nicht erklären. Man kann ja in seinem Scheine keinen Gegenstand vom anderen mit Sicherheit unterscheiden. Erst kürzlich hätte mich diese Tatsache beinahe das Leben gekostet. Ich hatte ein bißchen gebummelt und verfehlte den Weg. Ich irrte also in der Gegend umher. Da sah ich unter mir glänzende Flächen. Ich dachte natürlich, es sei Wasser, und stürzte mich beglückt hinab. Da ward mir, als müßte ich in Stücke zerspringen; denn ich war in eine Gärtnerei geraten, und das vermeintliche Wasser waren Frühbeetfenster. Auf eins schlug ich auf. Kopfweh hatte ich sowieso; denn der lästige Sonnenschein verursacht das bei mir stets. Das wäre aber noch zu ertragen gewesen. Ich sammelte also meine durcheinandergestürzten Gedanken. Doch ehe ich damit zu Ende kam, saß ich in einer furchtbaren Zange …«

»Um Gottes willen!« rief Elsalutz.

»Unterbrechen Sie mich nicht! Diese Zange waren die Finger einer Menschenhand. Es gibt auf der ganzen Welt nichts Gröberes als solch ein Ding, sag' ich Ihnen! Sie können sich denken: ich habe mit Armen und Beinen gearbeitet, um mich zu befreien. Aber ich kam nicht los. Jedennoch: so kräftig der Mensch ist, so dumm ist er zum Glück. Es scheint, als hätten seine unverschämten Körperkräfte allen Verstand aufgetrunken. »Rudolf,« sagte der Mensch zu mir, »ich tue dir nichts! Ich werde dich in den Wassertrog meines Gewächshauses setzen. Darin wimmelt es von kleinen Tieren. Die ißt du doch gern, gelt?« Ich nickte ein paarmal mit dem Kopfe; denn ich hoffte, mich durch diese Bewegung aus der Zange zu erlösen. Aber der Mensch muß dies Nicken wohl als mein Einverständnis mit seinen Absichten aufgefaßt haben. Er warf mich also in den Trog. Ich tauchte sofort in die Tiefe. Es war ein trauriges Wasser, sag' ich Ihnen: warm und ohne genügende Ventilation. Aber belebt von einer Unmenge verächtlicher kleiner Tiere, die ein ordentlicher Gelbrand verschmäht. Der Mensch war offenbar der Meinung, ich müßte nun in seinem schäbigen Troge bleiben. Ha! Gleich in der ersten Nacht stieg ich aus und entwischte durch ein offenes Fenster des Gewächshauses.«

»Sehr, sehr interessant,« sagte Fritz und gähnte.

»Es will Abend werden,« bemerkte Elsalutz entschuldigend, »und wir sind heute schon sehr weit geflogen. Sie wollten uns erklären, was Mannafall ist!«

»Ach so,« begann Rudolf von neuem in seiner breiten behäbigen Art, »nach der Nacht, in der die Uferfliegen aufgeblüht und verwelkt sind, liegt es auf der Erde rund und weiß, als hätte es gegraupelt oder geschneit. Dies ist das Manna.«

»Aha!« machte Fritz.

»Wenn Sie den großen Flug ansehen wollen, so rate ich Ihnen: bleiben Sie lieber oben auf dem Hange. Dort hat es für Sie keine Gefahr.«

Fritz und seine Frau bedankten sich bei Rudolf und wünschten gesegneten Winterschlaf. Dieser Scheidegruß kam um jene Zeit unter den Blumen der Luft schon auf. Viele wurden gar nicht mehr gesehen; denn sie blühten nur im holdesten Hochsommer. Ab und zu strich noch ein Segelfalter über das blaue Meer des Tages. Und der liebe Augustin war natürlich auch da. Desgleichen der Distelfalter, der Fuchs und der immer gradausgaloppierende Aurora mit seiner Base, der goldenen Acht. Aber außer dem lieben Augustin waren das Einzelerscheinungen.

Fritz und Elsalutz schliefen nicht mehr am Saume der Felswand, wo nun die Hotels zum Natterkopfe geschlossen standen, weil die Saison vorüber war. Es zog auf diesem Grat aus den feuchten Talgründen nach Sonnenuntergang recht empfindlich. Zudem hatten die unteren Stockwerke des Natterkopfes in der sengenden Sommerglut gelitten, wo der Grund gezischt hatte, als einst ein jäher Gewitterguß darüberprasselte. Daran dachte Elsalutz mit zitterndem Herzen.

»Guck' mal, Fritz,« sagte sie und schaute über den Rand der blauen Glockenblume hinweg, auf der sie saß. Sie blickte gegen den Westhimmel, an dem sich eine schwere Wolke mit goldenem Saum emporarbeitete. »Es ist mir so seltsam zumute,« sagte sie, »meinst du, es gäbe ein Gewitter?« Sie besann sich: damals war das auch so bärenmäßig heraufgekrochen und hatte sich zu einem Ungeheuer ausgewachsen, das die Sonne und den blauen Himmel fraß und mit goldenem Beil und nassen Peitschen auf die Erde hieb, als sollte alles kurz und klein gespalten werden.

»Du bist wirklich zu ängstlich, liebe Elsalutz! Und schließlich: ich bin doch kein Laubfrosch. Woher soll ich denn wissen, ob ein Gewitter kommt!«

»Was sagen Sie?« fragte die Blindschleiche, die unten vorbeiging. »Entschuldigen Sie, bitte, daß ich über Sie lache! Sie wissen nicht einmal, daß es morgen früh regnet?«

»Siehste!« sagte Elsalutz. »Wir Frauen haben doch ein viel feineres Empfinden …«

»… behauptet ihr!« unterbrach sie Fritz ärgerlich. »Ich finde, ihr überschätzt euch.«

»Na, hör' mal! Ich werde dir gleich hundert Fälle nachweisen …«

»Danke! Danke!« entgegnete Fritz. »Hin und wieder habt ihr ja mal recht.«

Elsalutz steckte den Kopf so tief in die Glockenblume, wie es möglich war. Das war ihr Schmollwinkel. Fritz, als Mann, hatte keinen; er war sehr selten verdrießlich. »Liebe Freundin Kandida …« begann er.

»Hm, hm,« machte Elsalutz. Das tat sie immer, wenn Fritz zu einer Dame liebenswürdiger war, als sie es für angebracht hielt.

»Liebe Freundin Kandida, Sie sind mir seit jener Nacht nicht aus den Gedanken gekommen.«

»Hm, hm, hm,« machte Elsalutz und wackelte in der blauen Glocke.

»Ihre Schönheit, Ihr geschmeidiges Wesen und Ihre sanfte gemütvolle Art haben mich bezaubert.« Elsalutz läutete Sturm. »Ist dir nicht wohl?« fragte Fritz.

»Ha! Wohl!« rief sie gereizt. »Willst du uns durch deinen Leichtsinn wieder einmal an den Rand des Verderbens führen? Du hast doch gehört, daß ein Unwetter im Anzug ist!«

»Nein, nein,« entgegnete Kandida, »nur ein Landregen, der uns allerdings den Herbst bringen wird. Aber vor morgen früh sieben Uhr geht die Sache nicht los.«

»Ach, was wissen denn Sie!« sagte Elsalutz geringschätzig.

»Das weiß ich sehr genau,« sagte die Blindschleiche. »Ich bin eine berühmte Meteorologin und beherrsche meine Wissenschaft mindestens wie der Laubfrosch. Wenn Sie den Sommer über mehr Gelegenheit gesucht hätten, mit mir zu verkehren, so hätte ich Sie über verschiedene untrügliche Wetterzeichen unterrichtet.« Dabei wandte Kandida einige Grundblätter des Natterkopfes um und fand ein Dutzend Stechmücken darunter. Die schleckte sie mit ihrer gespaltenen Zunge ein. Die Mücken waren schon jetzt – im hereinbrechenden Abend – nicht mehr ausgegangen, weil ihnen das Zipperlein den Witterungsumschlag verkündete.

»Ihnen macht der Regen wohl gar nichts?« fragte Fritz Kandida.

»Will ich nicht sagen!« entgegnete die Blindschleiche. »Am liebsten sind mir die Stunden vorher. Heute bin ich hier, um das Manna fallen zu sehen. Ich werde die ganze Nacht hindurch davon essen. Dann kann ich mich morgen schlafen legen, bis die schönen Oktobertage kommen. Die warten Sie doch auch noch ab?«

»Natürlich!« sagte Fritz mit männlicher Sicherheit, wiewohl er keine rechte Vorstellung von schönen Oktobertagen hatte. »Das heißt …«

»Ah, Sie wollen sagen: wenn es Ihre Frau gestattet?«

»Keine Ahnung!« rief Fritz. »Sie beurteilen das doch nicht ganz richtig. Ich bin sehr rücksichtsvoll – im Interesse des häuslichen Friedens, und ich liebe meine Frau, wie sich das für einen ordentlichen Zitronenfalter schickt. Sie braucht mir nie den Hausschlüssel zu entziehen, und ich sehe ihr alles an den Augen ab …«

Elsalutz läutete Sturm. »Ich halte es für sehr unnötig, daß du über Familienverhältnisse sprichst mit dieser fremden Frau.« Sie hatte für die andere Art der Blindschleiche wenig Verständnis. Das Interesse ihres Mannes für Kandida wiegelte sie auf. »Ihr Männer laßt euch stets von der äußeren Erscheinung blenden. Sie will mit ihrem glänzenden Kleide doch nur darüber hinwegtäuschen, daß sie auf dem Bauche kriecht und Erde ißt.«

»Ach nein,« sagte Kandida, »Sie verkennen meine einfache Natur durchaus. Ich wechsle mein Kleid nur, wenn es abgetragen ist, und bin bestrebt, mich mit meinen geringen Kräften dem großen Weltenhaushalte nützlich zu machen.«

»Sie sind ein herrliches Wesen, liebe Kandida! Ich würde gern ein Zimmer für Ihren Winteraufenthalt zur Verfügung stellen …«

»So!« rief Elsalutz. Und flog weg.

»Ich danke sehr,« sagte die Blindschleiche, »ich habe schon für eine ordentliche Wohnung gesorgt.«

»Nehmen Sie bitte meiner Frau ihr gereiztes Wesen nicht übel,« sagte Fritz, »sie ist gegen atmosphärische Einflüsse sehr empfindlich, und es kommt für uns jetzt wirklich eine unfreundliche Zeit. Der Sommertraum schickt sich an, zu Wasser zu werden. Auf Wiedersehen!«

Fritz irrte zweimal suchend über den Hügel. Endlich fand er seine Frau. Sie ruhte in einer Blüte der Nachtkerze, gar nicht weit vom Steinbruch. Die Nachtkerze hatte sich schon aufgetan und strahlte schön und zeitlos durch die blaue Dämmerung.

Die Sonne hatte sich inzwischen hinter den Wolken verborgen. Bleiernes Licht und eine dunstige Wärme lagen über der Erde. Es war schwer, zu atmen, und in der Ferne arbeitete das glühende Beil: man hörte seine dumpfen Schläge gegen die Wolkentore, und wo es sich hindurchfand, leuchtete seine Schneide unheimlich hervor. »Ich ginge am liebsten in unser Regenhaus,« sagte Elsalutz, »denn auf die Blindschleiche kann man sich doch nicht verlassen.«

Fritz schwieg. Er hatte sich vorgenommen, zu bleiben. Die Motten in ihren Gazeröckchen waren alle auf dem Plan. Sogar die Geistchen in ihren noch viel zierlicheren Kostümen waren erschienen. Elsalutz entzückte sich beim Anblicke des Balletts.

Lutz, der Igel, machte einen vorzeitigen Rundgang. Er hatte sich bereits von seiner Frau und seinen Kindern getrennt und sammelte nun als Einsiedler Wintervorräte. Zu diesem Zwecke machte er weite Wanderungen.

Es ließ sich nicht mit Sicherheit feststellen, ob die Sonne schon untergegangen war. Ein schweres Blau hing allenthalben, und es polterte rings um die Ränder der Erde, bald da, bald dort. Manchmal ratterte ein dicker Nachtschwärmer in voller Fahrt über den Hügel.

Und dann ging es in der Luft auf wie weiße Blüten – oder wie die Sterne am Nachthimmel. Erst hier einer und da einer. Es wurden viele, und es wurden ihrer immer mehr. Elsalutz dachte, es regnete; denn es klackte in das Gras, es wackelte über ihr und um sie. Und weil die goldene Flamme der Nachtkerze das einzige Licht in der Dämmerung war, flogen die weißen Tänzer herzu – so viele ließen sich auf ihr nieder, daß ein ganzer Knäuel daran hing. Der bog den Stengel der Pflanze zur Erde. Fritz und Elsalutz saßen in diesem Gewühl. »Schöne Geschichte!« sagte Fritz. »Wie denken Sie sich denn die Sache nun weiter, meine Herrschaften?«

»Hättest du deiner Frau gefolgt, so wären wir jetzt wohlgeborgen! Ach bitte, nehmen Sie mehr Rücksicht auf meine Garderobe! Sie verderben mir ja mein ganzes Kleid! Ich muß es noch im Frühling tragen!« Aber in dem Gedränge hörte niemand auf sie. Inzwischen wickelte sich der Knäuel der weißbeschwingten Gäste wieder auf. Der Stengel schnellte empor, und Fritz und Elsalutz konnten sich den Tanz betrachten. Es war das seltsamste Schauspiel, das sie gesehen hatten. Es wirkte durch die Massen.

»Sagen Sie mal,« fragte Fritz hingerissen eine der Fliegen, die zwischen ihm und Elsalutz Platz genommen hatte, »wo kommen Sie denn eigentlich her?«

»Alle aus dem Teich im Steinbruch. Psyche ist mein Name, Psyche, tja!« antwortete die weiße Tänzerin gefällig. »Gestern waren wir noch Larven, die im schwarzen Grundschlamme hausten, heute sind wir silberne Blumen …«

»Und morgen?« fragte Fritz.

»Morgenrohot, Morgenrohot, leuchtest mir zum frühen Tohod!« sang die Tänzerin in so lustigem Dreitakte wie der liebe Augustin sein Leiblied.

»Walzer scheinen Ihnen am liebsten zu sein. Wir ziehen uns einen Schottischen vor,« lachte Fritz, »oder auch einen Rheinländer.« Da bemerkte er einen Dreizack am Hinterleibe der neuen Freundin.

»Das ist unser Wahrzeichen,« erklärte Psyche, »denn als Larven opferten wir dem Gotte Neptun. Verwechseln Sie uns aber bitte nicht mit den Eintagsfliegen und auch nicht mit den zweischwänzigen Uferfliegen. Diese sind nur im Frühling zu sehen, und die Eintagsfliegen tragen durchsichtige Kleider. Wir halten diesen dichteren Stoff für praktischer und auch für anständiger.«

»Wieviel Mitglieder zählt Ihr Ballett?« fragte Fritz.

»Das läßt sich nur annähernd schätzen,« antwortete Psyche, »vielleicht sind wir in diesem Jahre zwei Millionen.«

»Das merkt man,« warf Elsalutz ein. Es wimmelte. Es war, als werfe sie der Himmel herab und die Erde herauf, und als trüge sie der Hauch der Dämmerung aus allen vier Winden herbei.

»Jetzt beginnt der Hochzeitsreigen,« sagte Psyche. »Ich darf das nicht versäumen. Ade, Goldherz! Ade! Ade! Morgenrohot, Morgenrohot!« sang sie und fuhr dahin wie ein Seelchen, das sich eilte, in den Himmel zu gelangen, der nur eine Stunde lang offenstand.

Es war eine sehr finstere Nacht. Fritz konnte keine Hand vor den Augen sehen. Aber die Fühler, die er sonst beim Schlaf an die Säume der Flügel legte, richtete er heute hinaus in die Dunkelheit. Damit hörte er: die Luft rauschte. Damit roch er: unerhört süße Düfte schwangen sich durch die Finsternis. Und sein leicht fließendes Blut verriet ihm: die Luft war warm wie im Treibhaus. Manchmal schleifte eine Blindschleiche vorüber. Die Scheinwerfer eines Wolfsmilchschwärmers ratterten mitten durch die Hochzeitsreigen. An der schwankenden Bahn war zu sehen, wie erstaunt die Nachtschwärmer waren, in diesen Trieb der Flocken zu geraten. Hunderte der Fliegen flatterten um sie her. Und die eiligen Nachtfahrer warfen viele zu Boden.

Lutz, der Igel, betrachtete sich den Vorgang mit dem zufriedenen Lachen eines Bauern, dem über ein elendes Brachfeld Dukaten regnen. Er blieb bis zum Morgen. Da watete er darin herum; denn es bedeckten die gestorbenen Tänzerinnen den Hügelhang – nicht so, als seien in der Kühle des Morgens Graupeln aus einem zerrissenen Wolkensack gerieselt, sondern so, als habe der himmlische Zuckerbäcker die Gegend um den Steinbruch für einen Weihnachtsstollen gehalten, den er verschwenderisch süß machen mußte.

»Das ist also das Manna,« sagte Fritz. Professor Michel, der auf dem Wege des Igels nach Dingen suchte, die er für seine Zwecke ausnützen konnte, war mißvergnügt. »Das ist ja der reine Schneefall gewesen!« sagte er. »Da muß ein ordentlicher Sturm kommen, der den Unrat wegfegt, und ein Landregen, der alles zusammenschlägt. Unerhört – man kann ja nicht mehr ausgehen. Und diese Nacht haben Sie im Freien verbracht?«

»Solange wir sehen konnten, war es ganz interessant,« sagte Elsalutz, »aber dann war es zum Fürchten – als wären alle Gespenster los! Und jetzt leben Sie wohl, lieber Professor, es wird gleich anfangen zu regnen. Arbeiten Sie da auch?«

»Ich habe viel vor,« sagte der Apotheker, »aber wenn es Bindfaden regnet, mache ich Versuche im Laboratorium. Wünsche wohl zu schlafen!«

Fritz und Elsalutz suchten Unterkunft im zwerchen Spalt der Steinwand. Bald pfiff der Wind, ein harter Spielmann, auf der Mauerritze; und die Regentropfen schlugen den Takt dazu.


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