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Beim sonneliebenden Spitzmäuschen.

Es lustierten sich auf dem Hügel so viele Leute – schade, daß der Zitronenfalter gar niemanden kannte! Und dennoch, er dachte: ich bin ein rechtes Glückskind; er war froh, daß er gerade jetzt hier angekommen war, wo Sommerfest abgehalten wurde. Er hatte überhaupt Neigung, das Dasein von seiner rosigsten Seite zu betrachten. Die kleine Bangigkeit, die ihn auf dem Waldwege überkommen, hatte er längst vergessen. Das war auch kein Wunder; denn soweit man sehen konnte, waren hier bunte Zelte aufgeschlagen. In jedem durfte man einen Trunk nehmen. Und in jedem gab es auch eine Vorstellung. Wohin man kam und hörte, klang Musik.

Er bummelte erst einmal zwischen den bunten Zelten herum; denn er wollte einen Gesamteindruck von der Sache haben. Hier roch es nach frischen Waffeln, dort nach Bratwürsten – vielleicht! –, anderswo nach Aromatik oder Kümmel; dort duftete es nach Beerenweinen und Fruchtlimonaden aller Art.

Das Konzert auf dem Festplatze wurde durch Musikanten aufgeführt, die verschiedene Uniformen trugen. Das war eine sehr hübsche Einrichtung; denn man konnte da gleich erkennen, welcher Kapelle sie angehörten. Etliche gingen in goldenen Röcken mit schwarzen Streifen; andere hatten Sammetfräcke mit roten Schößen … es ist gar nicht zu sagen, wie viele Kapellen dawaren!

Aber es spielten auch mancherlei Instrumente scheinbar ganz von selbst. Zum Beispiel die blauen Glockenblumen, die sahen aus, als seien sie aus einem Stückchen Himmel gegossen; oder die gelben Hahnenfüße, die lustig in die Luft hineinschellten.

»Ich werde jetzt erst einmal einige Bekanntschaften suchen,« dachte der Zitronenfalter und begab sich in ein rundes rosa Zelt. Es war ein Kopfklee, und es stieg daraus ein süßer Duft empor. »Geht die Vorstellung bald los?« fragte er einen kleinen Mann, der schon darin war. Der sah sehr komisch aus, etwa wie eine sehr kleine gebrannte Kaffeebohne, und hatte vorn einen Spieß mit je einer schwarzen Feder hüben und drüben.

»Vorstellung?« sagte der Kleine. Es klang nicht unfreundlich, aber auch nicht sehr verlockend. »Wie heißen Sie?«

»Ich heiße Zitronenfalter.«

»Das sind Sie! Ich habe gefragt, wie Sie heißen!«

»Ich – äh … Fritz, ja Fritz ist mein Name!« antwortete der Zitronenfalter. Da fiel es ihm erst ein, daß er sich darum noch gar nicht gekümmert hatte. Doch geistesgegenwärtig, wie er war, hatte er sich erträglich aus der Affäre gezogen. »Und wie heißen Sie denn?«

»Heinz ist mein Name; ich bin ein sonneliebendes Spitzmäuschen. An meinen sechs Beinen sehen Sie, daß ich nicht etwa eine Maus bin, sondern ein Käfer.«

»Und wozu haben Sie die Lanze mit den Federn?«

Heinz schlug ein großes Gelächter auf. Er hielt es jedoch für eine gute Gelegenheit, dem Gaste zu imponieren. »Ich bin der Wächter am Tor,« sagte er und klirrte ein bißchen mit dem Rückenschild. »Das ist meine Waffe. Damit steche ich jeden über den Haufen, der unbefugt hier eintritt. Sind Sie befugt, mein Herr?«

Fritz wußte nun doch nicht gleich, was er antworten sollte. »Befugt? O ja. Natürlich. Der Trauermantel hat mich hergeschickt. Aber – Sie zerstören mit Ihrer Lanze ja das ganze Gebäude!«

»Ich sorge nur für meine Nachkommen, lieber Fritz. Dazu bohre ich einfach die Blütenröhren an, in die meine Frau vorher Eier gelegt hat. Dann welken sie ab, und meine Kinder sind in der Lage, sie zu essen.« Damit tat der Käfer einige bereits getrocknete Blütchen auseinander und zeigte mit großer Freude die Larven, die darin wackelten.

Der Zitronenfalter konnte sie beim besten Willen nicht hübsch finden. »Die sehen Ihnen ja gar nicht ähnlich!« wunderte er sich.

»Das wird noch,« sagte der Kleine. »Wenn sie erst mal Puppen gewesen sind, die goldigen Dingerchen, ha, Sie werden staunen! Wie aus den Augen geschnitten sind sie ihrem Papa und ihrer Mama! Wir sind nämlich die einzigen Käfer, die sich mit solcher Liebe um ihre Nachkommenschaft kümmern. Wir betreuen und pflegen sie, solange es die Verhältnisse gestatten. Alle anderen schaffen ihren Kindern zwar meist einen geeigneten Aufenthalt, aber damit, meinen sie, hätten sie genug getan. Wir denken darüber anders. Ist das nicht nett von uns?«

»Sehr nett und umsichtig,« beteuerte Fritz. Er dachte darüber nach: schon als Larven durften die sonneliebenden Spitzmäuschen in einem so bunten duftigen Zelte leben, wie es der Kopfklee war! Er fand die Wohnung ausgezeichnet gewählt …

Plötzlich erklang rings um das Haus der Ton eines Bombardons. Fritz rettete sich sofort in die Mitte, und das Spitzmäuschen ward unsichtbar. Es war hinuntergestiegen in den Keller – so nannte es nämlich den Boden des roten Blütenkorbes, in dem es wohnte; denn im Keller lagen all die Schläuche mit süßen Säften.

Fritz beobachtete indessen den Bläser. Er gehörte zur Kapelle der Steinhummeln, die den schwarzen Sammetfrack tragen mit den brandroten Schößen. Der zog seine Kreise immer enger.

»Besetzt! Besetzt!« rief Fritz.

»Ach,« sagte der Dicke gemütlich, »einen Eckplatz werden Sie wohl noch haben. Ich trinke nur einen Schnitt.«

Fritz war hocherfreut, einen so liebenswürdigen Zechgenossen zu finden. Das hatte er nach dem brummigen Auftreten gar nicht vermutet. Nun aber klang seine Stimme so humorig und gemütvoll – Fritz konnte es gar nicht erwarten, bis er wieder etwas sagte.

Leider kam der Gast nicht dazu. Denn er guckte in alle Gläser, die auf dem Tischrand standen und sog sie leer. In manchen war kaum noch der Boden bedeckt gewesen. »Der kleine Heinz hat sie wieder mal alle ausgetrunken. Er hat einen sehr guten Durst; das wirkt bei dem kleinen Kerl um so komischer – hat er Ihnen nicht auch seine todbringende Lanze gezeigt?«

»Jawohl,« sagte Fritz, »es ist wohl eine verläßliche Waffe.«

»Ach wo, das ist ja weiter nichts als seine Nase!« lachte die Steinhummel. »Es ist eigentlich sein Trinkrohr. Aber er weiß: er kann sich schwer in Respekt setzen. Deshalb macht er unerfahrenen Leuten gegenüber von seiner Nase großes Aufheben. Was der kann, können Sie mit Ihrer auch.«

Dem Zitronenfalter war es ein bißchen peinlich, daß die Hummel so redete; denn Heinz hörte natürlich jedes Wort. Sie sagte zwar alles in ihrem gemütvollen Tone und ohne Gehässigkeit; aber der Zitronenfalter wollte das Gespräch doch auf andere Dinge bringen und bat: »Erzählen Sie einen Schwank aus Ihrem Leben! Wie heißen Sie denn?«

»Flora ist mein Name. Daraus erkennen Sie: auch ich bin eine Blume der Lust. Aber jetzt muß ich weiter. Wenn Sie mich einmal besuchen wollen, erzähl' ich Ihnen etwas. Ich wohne Feldkümmelgasse 1. Meinem Stande gemäß hab' ich etliche Franzosen als Posten vor der Tür stehen.«

Damit hummelte Flora ab, und kichernd stieg Heinz wieder die blühende Stiege herauf.

»Warum gehen Sie ihr denn aus dem Wege?« fragte Fritz.

»Sie renommiert gern ein bißchen; sonst ist sie aber eine ganz passable Person. Ich weiche ihr aus, weil sie manchmal eine Käferlaus hat. Die kann unsereiner leicht auflesen. Sie als Schmetterling brauchen sich davor gar nicht in acht zu nehmen.«

Den Zitronenfalter gelüstete es nach weiteren Bekanntschaften. Deshalb verabschiedete er sich von Heinz und flog über die Festwiese. Ihn lockten besonders die weißen Blütenschirme der wilden Möhren, die so hoch in die Luft ragten. Man konnte da so schön darin schaukeln, und es waren auch sehr viele Gäste dort. Ganz kleine, die schimmerten wie Edelsteine, lauter winzige Käfer.


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