Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fritz verlobt sich.

Gleich danach traf er den lieben Augustin. Natürlich sang der sein Leiblied und verkündigte der Mitwelt zum tausendsten Male, daß alles hin sei. Fritzen wackelte noch das Zwerchfell, und das Lachen wollte gar nicht aufhören. Er erzählte dem lieben Augustin die ganze Geschichte mit der Florfliege, während sie so über den Hang zog.

Augustin fand dies Erlebnis sehr lustig und erklärte Fritzen für einen brauchbaren Kameraden. »Und wohin gehen Sie jetzt?« fragte er.

»Ich wollte ein wenig über die Schönheit der Welt und die Herrlichkeit meines Lebens nachdenken,« antwortete Fritz.

»Dazu haben Sie noch viel Zeit. Am besten macht man so etwas vor dem Schlafengehen. Es kommen einem dann hübsche Träume!« sagte er. »Ich schlage vor, wir trinken noch ein Glas Distelwein. Der hat jetzt die richtigen Grade.«

Fritz erklärte sich einverstanden. Den roten Distelköpfen entströmte ein schwerer Duft. Ihr Wein schien sehr beliebt zu sein. Zum Glück waren viele Zimmer da; denn die Pflanzen bildeten einen kleinen Wald. Der war der Treffpunkt der vornehmen Gesellschaft. Man bemerkte die Ritter Schwalbenschwanz und Segelfalter, die Admirale in großer Uniform, die Distelfalter, die Füchse, Pfauenaugen, große und kleine Perlmutterfalter und Bläulinge. Die sahen aus, als hätten kleine Stückchen Himmel Lust bekommen, sich mit in dem fröhlichen Treiben zu wiegen. Das war kein Wunder. Denn wenn man – wie der Himmel – aus der Ferne immer nur still und staunend zusehen sollte, so mußte das auf die Dauer wohl sehnsüchtig machen. Ferner waren einige Schachbretter in ihren weiß-schwarz karierten Sommerkleidern erschienen. Natürlich waren auch Zitronenfalter gekommen, darunter einige junge Damen von bezaubernder Schönheit und Frische. An ihren neuen Kleidern von etwas blasserem Gelb, das oft meergrün schimmerte, konnte Fritz erkennen: sie waren erst heute aufgeblüht … Jawohl, so mußte er als Dichter das nennen!

Was sich da in jauchzendem Spiele der Farben durch die goldene Stunde schwang, das war noch viel leuchtender als die Blumen der Erde. Die Luft stand davon über und über in Blüte. Der Sommerwind atmete leise dazwischen. Es war, als wehten in seinem sanften Hauch immer neue herzu.

Fritz konnte den heimlichen Schlag der Flügel hören, und sein Goldherz wußte sich vor Seligkeit kaum Rat. In Halm und Kraut strichen die Musikanten ihre Geigen, die Hummeln bliesen Bombardon oder schabten das Cello; die Bienen trompeteten – es ist nicht zu sagen, welch ein kunstreiches Orchester das war!

Dann führte der Ritter Schwalbenschwanz die Polonäse an. Im Distelwald nahm die ihren Anfang und schlang sich in strahlenden Windungen zwischen den hohen Stämmen hindurch. Natürlich flog man immer paarweis.

Fritz, der so etwas noch nicht gesehen hatte, betrachtete sich den Gang der Dinge zunächst ein wenig. Dann umgaukelte er ein zierliches Zitronenfalterfräulein. Das saß auf der roten Decke einer Feldkümmelbank und war offensichtlich auf dem ersten Ball.

Die Kleine hieß Elsalutz. Schon dieser aparte Name gefiel Fritzen ungemein.

Elsalutz, wie sie sich von dem schmucken jungen Mann also umworben sah, schlug das Herz. Sie hatte ihre gelblichgrünen Flügel weit auseinandergetan und drehte sich ganz langsam auf der rotseidenen Decke des Quendels wie eine Blume, die sich nach der Sonne wendet.

»Sie haben sich da einen sehr geschickten Platz gewählt, gnädiges Fräulein,« sagte Fritz, während er vor ihr auf und nieder blühte. »Es ist ein wahrhaft morgenländischer Duft, der aus diesem Teppich steigt. Alle Gewürze des Orients scheinen sich darin vereinigt zu haben. Darf ich mir gestatten, Sie zur Polonäse zu engagieren?«

Dem Fräulein Elsalutz rauschte es in den Fühlern. Das Blut rann ihr zum Herzen. Sie hätte gern etwas recht Hübsches gesagt, aber die Gedanken waren ihr wie weggeblasen. Sie hatte die ganze Zeit her auf die Unterhaltung der anderen gelauscht und hatte immer nur vom herrlichen Wetter, vom vortrefflichen Wein oder von tadellosen Kostümen reden hören. So etwas wollte sie auch sagen, wenn sie jemand ins Gespräch zog. Sie hatte sich etliche gefällige Redewendungen schon zurechtgelegt. Nun aber kam dieser junge Mann, der von morgenländischen Düften sprach und von den vereinigten Gewürzen des Orients!

Darauf konnte sie beim besten Willen nichts Passendes erwidern; denn vom Orient hatte sie keine richtige Vorstellung. Deshalb nickte sie Fritzen nur merkbar zu. Und damit er nicht denke, sie sei stumm, sagte sie: »Gern, mein Herr!« Sie schwang sich empor, über der Sicherheit seines Auftretens verlor sich ihre Bangigkeit, und nun machte sie ihm einfach alles nach. Fritz empfand das sehr angenehm.

»Sie sind wohl erst heute aufgeblüht?« fragte Fritz.

»Ach ja,« lispelte sie, »ich habe noch recht wenig erlebt, und Sie sind ein so weitgereister Herr!«

»Hm, hm,« machte Fritz ein bißchen verlegen. »Gott sei Dank, ich bin noch jung; aber gesehen hab' ich schon sehr viel.«

»Es steht Ihnen auch gut,« fand Elsalutz. »Ach, bitte, erzählen Sie! Ich höre Sie so gern reden.«

Dann führte er sie zur Polonäse. Fritz, der sich sehr gut erinnern konnte, wie fremd er vor drei Stunden dem Leben gegenübergestanden hatte, schlug gleich den Gesprächston an, der ihr zusagte. Sie hatte ein Goldherz wie er. Sie liebte dichterische Vergleiche und erwies sich in allen Stücken nach seinem Geschmack. Wenn er sagte: die Goldwicke ist aus Sonne gemacht, so antwortete sie: »Wie hübsch Sie das wieder ausgedrückt haben,« und sie dachte: sein Herz ist auch aus lauter Sonnenschein. Das sagte sie aber nicht; denn sie wußte nicht, ob sich das schickte. Sie kannten sich ja noch nicht so lange, wie die Lerche braucht, um sich aus dem klingenden Himmel herniederzustürzen in das flüsternde Korn.

Die Polonäse hatte sich inzwischen aufgelöst. Man sah die Pärchen schon bei den Rundtänzen. Auch Fritz und Elsalutz; denn Musik war allenthalben, und sie wurden gar nicht müde. Am besten gefiel ihnen der Gelbefaltertanz. Es war ein Twostep. Sie merkten beide: jede Familie hatte auch darin ihre Vorliebe. Die einen sprangen hoch in der blauen Luft herum; die anderen schwammen auf breiten Schwingen; ein drittes Paar tanzte gefühlvoll Walzer nach dem Gesange der Meermädchen; und die Aurorafalter zogen sich einen Galopp vor, der immer fast gradlinig über die ganze Festwiese führte.

Fritz ging mit Elsalutz in das Café zur Malve. Es lag draußen am Rain, vor dem hohen Korn, und war nicht sehr besucht. Es gab da als Spezialität kleine runde Kuchen mit einem süßen Guß obendrauf – wenn sie noch ganz frisch waren! – und in rosa Kelchen wurde dazu ein Honigseim aufgetragen, der kaum seinesgleichen hatte.

Elsalutz liebte das sehr. Es wirkte nach dem würzhaften Getränk des Thymians beruhigend und war von einer köstlichen Süße.

Fritz trank mit Elsalutz aus einem Blütenbecher. Das war ein sehr neckisches Spiel, das er selbst erfunden hatte. Aber er sagte zu ihr, im Café zur Malve würde das immer so gehalten. Sie fand es hübsch und unterhaltsam; denn er streichelte sie dabei leise mit seinen Fühlern über Stirn und Wangen.

»Ich hörte vorhin von der Nacht reden,« sagte sie, »wissen Sie vielleicht, was das ist?«

»Nacht?« antwortete er. »Hm … das läßt sich nicht leicht ausdrücken« … Er hatte ja selber noch keine Nacht erlebt. Aber da sie annahm, Fritz wisse alles, so hütete er sich, sie zu enttäuschen. »Es scheint da alles verschwunden zu sein. Die Sonne ist fort, und ringsum liegt blauer Samt,« sagte er.

»Ich kann mir das gar nicht denken,« sagte Elsalutz.

Und in der Tat, es war schwer, darüber zu reden, selbst für einen Mann, der die Sprache so beherrschte wie er. Er konnte nicht sagen: Machen Sie doch einmal ihre Perlenaugen zu – dann ist es für Sie Nacht! Denn sie vermochte die Augen ja nicht zu schließen. »Die Hauptsache bei der Nacht ist, daß man sich nicht von ihr überraschen läßt. Man muß früh genug nach Hause gehen. Jetzt haben wir noch sehr viel Zeit – ein Tag ist ja so lang! Denken Sie mal: die Sonne muß über den ganzen Himmel laufen, von dort bis da. Es dürften immerhin einige tausend Meilen sein …«

So redete sich Fritz ganz gewandt aus der Lage. Aber er sann doch auf Ablenkung und schlug vor, einmal die Hotels zum Blauen Natterkopf aufzusuchen. Dazu mußten sie über die ganze Festwiese fliegen. Von dort aus hatte man eine schöne Aussicht auf die silberne Insel. Im Natterkopf wollte er Elsalutz von den Amazonen erzählen.

Als sie hinkamen, fanden sie alle Häuser dicht besetzt. Jedes hatte mindestens zwölf Gastzimmer. Die im ersten Stock waren himmelblau tapeziert, die im zweiten violett und im dritten rot. In den violetten gab es den schwersten Wein, in den roten den berühmten Natterkopfmost. Weil sie danach Appetit hatte, flog Fritz mit Elsalutz hinauf. Die hochgelegenen Zimmer wiegten sich sanft im Winde.

Ein Distelfalter sprach nebenan mit einem Admiral; sie redeten schon vom Heimgange. Die Sonne rötete sich leise.

Es dauerte auch nicht lange, so leerten sich die Säle. »Wir müssen jetzt an eine Unterkunft denken,« sagte Fritz, »es löschen schon da und dort die goldenen Lichter aus und die roten gehen an.«

Elsalutz ward das Herz schwer. »Werden Sie mich nun verlassen?«

Diese Frage begrüßte Fritz sehr. »Nur der Tod kann uns beide trennen!« rief er. »Du weißt nicht, was das heißt, liebe Elsalutz. Es ist die Stunde, in der wir einst verblühen! Denn alles in der Welt verblüht einmal: die goldene Blume der Sonne, und der Himmel, und das Herrlichste, was es gibt: wir bunten Blumen der Luft, auch wir verwelken. Aber bis dahin ist es hoffentlich noch weit, weit, mein Kind! Und weißt du auch, was es bedeutet, wenn ich zu dir sage: nur der Tod kann uns trennen?«

»Du willst bis dahin immer bei mir bleiben?« fragte sie und zitterte vor Freude.

»Immer – das heißt: wenn ich nicht irgendeine Abhaltung habe.«

»O du Herrlicher!« rief Elsalutz. »Jetzt haben wir uns also verlobt. Und wann ist die Hochzeit?« Sie war sehr stolz darauf, daß sie gleich am ersten Tag ihres Lebens einen Bräutigam hatte.

»Hm,« machte Fritz, »Hochzeit … Ach so, ja: Hochzeit … Nun, die feiern wir am schönsten Tage des Sommers, denk' ich. Bei den Schmetterlingen ist es Sache der Frau, den Hochzeitstag zu bestimmen.«

Sie saßen eng nebeneinander und schlürften den süßen Most. Dabei schauten sie sich in die Augen und dachten, das rosige Leuchten des Tages käme von den jungen Blüten. Aber es wandelte sich allgemach der Goldglanz der Sonne. Und als sie sich umschauten, lag die Festwiese in einem fremden schönen Licht.

»O Fritz, mein Liebster,« seufzte Elsalutz beglückt, »wie herrlich, wie unaussprechlich herrlich ist das!«

Fritz hingegen kam nicht recht zum Genuß der purpurnen Freude. Es war kein Zweifel: die Nacht war auf dem Weg, und bis zur Pforte der Dunkelheit reichten seine Erfahrungen nicht.

Deshalb hielt er mit gesammelten Sinnen Umschau, Über der Festwiese sah es nun ganz anders aus. Etliche unansehnliche kleinere Spinner torkelten da herum, weil sie das Licht noch blendete. Die schönen Blumen der Luft aber waren verschwunden. Mücken spielten in Schwärmen und sangen dazu mit silberzarten Stimmen. Ein Aurorafalter und eine goldene Acht hatten sich verspätet und zogen in raschem geraden Fluge dahin, als hätte sie ein Wind auf seine Flügel genommen.

Zum Glück wohnte der Aurora unter dem Natterkopf. Als er in seiner Haustür war, redete ihn Fritz an. »Nun, Herr Vetter, so eilig?«

»Die andern sind schon alle zu Bett,« sagte der Aurora. »Ich rate Ihnen, versäumen Sie sich nicht! Es treibt sich später allerlei Gesindel auf der Straße herum. Sie wollen doch nicht etwa warten, bis man in die Sonne sehen kann?«

Elsalutz aber lockte das sehr. »Laß uns dies Schauspiel noch genießen, Liebster!« bat sie.

Fritz konnte es ihr nicht abschlagen. Zum Glück erinnerte er sich an die Worte Albinens, daß im Distelwalde Zimmer frei seien. Da konnte man ja schließlich dort unterkommen. Sie tranken also noch ein Glas Most. Und dann hing die Sonne groß und dunkelrot über dem Saum der Erde. Fernhin spannen sich aus den Wiesen weiße Gewebe. Der Wind, der zuvor golden gewesen, war nun rosenrot geworden und hauchte die fernen Schleier an. Da kam ein sanftes Blühen über sie.

Und der rote Schein legte sich auf die goldenen Schwingen von Fritz und Elsalutz. Er goß sich ihnen in die Augen und in die Herzen wie roter Wein.

Viele Blumen der Erde falteten sich zusammen. Die wilden Nachtkerzen aber steckten ihre Sterne an. »Komm, liebste Elsalutz!« mahnte Fritz.

Und als sie aufflogen, da lag es auf ihren Flügeln wie Traum und auf ihren. Herzen wie ein süßer schwerer Duft. »Wie ist mir denn?« fragte Elsalutz, betört von dem lieblichen Wunder der Müdigkeit. »Wie ist mir denn?«

Sie schwebten auf breiten Schwingen noch zu dem goldenen Sterne der Nachtkerze, der gerade aufgegangen war. Elsalutz preßte ihre Lippen daran und schlug ihre Flügel zusammen. »Fritz, lieber Fritz!« lallte sie; und er setzte sich neben sie in die Blüte und wußte nicht mehr, daß sich auch ihm die Flügel schlossen. Denn die Nachtkerze hüllte sie ein in einen köstlichen Traum, den sie in ihrem goldenen Kelch übertag gewoben hatte.


 << zurück weiter >>