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Die silberne Insel.

Fritz floh aus dem Einkehrhaus zum Kopfklee nicht in die Wüste, wie er das vorgehabt hatte. Der Weg zurück in die Welt führte ihn über den Steinbruch. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen, auf der Teichrose zu rasten, die gleich einer silbernen Insel in der grünen Flut lag.

Die Erinnerung an Albinen, mit der er vor einer Viertelstunde hier noch zusammen gesessen hatte, erfüllte ihn. Die Tränen wollten ihm kommen – da sang er ein Wanderlied. Das war eine glückliche Eingebung. Die Wasserjungfrauen nadelten über ihm durch die Luft, und eine Meergrüne nahm an seinem Tische Platz.

»Ich heiße Teufelsnadel,« sagte sie, »ich liebe den Gesang über alles und fliege deshalb manchmal über die Festwiese. Ihr Lied kannte ich nicht.«

»Ich habe es selbst gedichtet,« sagte Fritz stolz. Da hörte er ein Trüpplein Blaue auf der Staude Igelkolbe neben der silbernen Insel reden. »Kann man den Gelben essen?« fragte eine, die erst gestern ausgeschlüpft war.

»Jawohl,« antwortete Ma, die Amazonenkönigin, »alles, was sich in unserem Reich über dem Wasser zeigt, wird bekämpft; und was im Kampfe bleibt, kann man auch essen. Aber Schmetterlinge sind nicht sehr schmackhaft, wenn sie nicht klein sind. Sie sind alle mit einem trockenen Mehl bestreut, und das wöllt sich im Munde.«

Fritz traute seinen Ohren nicht. Wer konnte wissen, ob die blauen Jungfrauen nicht einen Überfall auf ihn verabredeten? … Das schwere Herz hätte ihn sicherlich übermannt, wenn er nicht als ein Charakter auf die silberne Insel zurückgekehrt wäre. Es kam ihm nun lächerlich vor, sich zu fürchten.

»Teufelsnadel heißen Sie?« fragte er die Grüne. »Der Name gibt zu denken! So dünn wie eine Nadel sind Sie ja, oder so dünn wie ein Geigenton … Was das aber mit dem Teufel zu tun hat, kann ich nicht erraten.«

Die Grüne lachte ein zierliches Lachen. »Ich verfehle meine Beute nie und bin die rascheste von allen.« Sie wich in dieser Erklärung aus. Fritz wurde darüber noch wachsinniger. »Und warum kehrten Sie auf der Silberinsel ein, junger Mann?« forschte sie.

»Ah, Sie meinen: das ist nicht ungefährlich! Ich habe soeben vernommen, daß Sie auch größere anständige Leute verzehren. Nun, ich kann Ihnen nur sagen, daß ich ein Charakter bin, der sich im Strome der Welt gebildet hat. Ihre Schönheit entzückt mich; denn ich bin ein Dichter. Aber Ihre kriegerische Art, meine Damen, fürchte ich nicht.«

»Haben Sie eine Waffe?« fragte die Amazone.

»Wir haben Waffen genug. Nur solche zum Angriffe verschmähen wir,« antwortete Fritz ohne Scheu. Dabei ließ die grüne Jungfrau ihre fürchterlichen Mordwerkzeuge sehen. Das geschah wie im Spiel. Fritz verwandte kein Auge von ihr. Er bemerkte, wie sie die drohenden Messer der Kiefern in der Unterlippe verbergen konnte, daß sie ganz harmlos aussah – wie eine Blume der Luft. Auch ihre Beine verrieten: dies Geschlecht der Amazonen war in allen Stücken auf den Krieg eingerichtet. Schenkel und Schienen waren nach innen stachlig bewehrt. Im Fluge konnten sie jedes Bein wie einen sehnigen Arm um ihr Opfer legen. So nadelten sie durch die Luft. Dabei waren sie oft kaum zu sehen. Bald waren sie Sonnenschein, bald der grüne oder blaue Glanz der Flut. Nur das unheimliche Klirren ihrer Rüstung verriet dann ihr Nahen.

Etliche führten gerade einen Liebesreigen auf. Dabei zogen sie wie zwei Fische hintereinander her im schimmernden Leuchten der Luft. Andere kletterten empor ins Blaue und klapperten mit Kastagnetten. »So schön und so furchtbar sind Sie!« sagte Fritz.

»Oh,« entgegnete Teufelsnadel, »Sie scheinen mir ein sehr empfindsamer junger Mann zu sein!«

»Sagen Sie das nicht, mein Fräulein! Wenn Sie damit ausdrücken wollen …«

»Sie persönlich haben gar nichts zu fürchten,« beruhigte ihn Teufelsnadel. »Wir lieben vornehmen Besuch und freuen uns an geistreicher Gesellschaft. Aber wir sind von der Natur dazu eingesetzt, scharfe Wacht am Wasser zu halten und allerlei blutgieriges Unzeug wie Schnaken und Fliegen unerbittlich zum Tode zu führen. Was denken Sie wohl, was das gäbe, wenn wir die Stechmücken leben ließen? Ihre Nachkommen würden den ganzen Teich erfüllen und ein ekelhaft wimmelndes Gewürm würde statt der klaren Flut unter Ihnen liegen, mein Herr!«

Teufelsnadel wurde von der Königin Ma aus die Igelkolbe gerufen. Diese Pflanze ragte wie ein Leuchter über den Wasserspiegel herauf. Weiße Blütensterne brannten noch daran, aber es hatten sich auch schon Fruchtträger als runde Stachelköpfe gebildet.

Fritz hatte vorher ein Gespräch über Waffen mit Teufelsnadel geführt. Nun lagen die gelben Staubbeutel der Seerose neben ihm. Ganz konnte er sich den Leichtsinn doch nicht abgewöhnen! Oder wußte er, ob die Amazonen nun etwa einen Überfall auf ihn planten? Dennoch trat er hinein in die Blüte. Er setzte sich in die Mitte, wo der süße Honigseim wie aus dem Spundloch eines Fäßleins rann, und trank davon in vollen Zügen. Mit Hingebung schlug er die Flügel zusammen. Er sah nun genau so aus wie eines jener gelben Staubgefäße der Blume.

Da vernahm er die klappernde Rüstung von Teufelsnadel dicht über sich. Er beobachtete, wie sie den Kopf nach allen Seiten wendete. Dann rief sie den anderen zu: »Er war so schön! Und ich habe mich so gut mit ihm unterhalten! Aber nun ist er doch weggeflogen! O weh!«

»Ich bin noch da!« lachte Fritz keck aus der Blume hervor. »Ich wollte Ihnen nur einmal meine Waffen zeigen, allerschönste Teufelsnadel! Ich kann mich selbst für ein so geübtes Auge wie das Ihre unsichtbar machen. Was sagen Sie dazu?«

Teufelsnadel freute sich sehr über seine Gegenwart. Sie besann sich einen Augenblick; dann sagte sie: »Ein guter Schild, Knabe, ist etwas wert; aber besser im Kampf ist ein gutes Schwert!«

Das war eine sehr treffende Antwort. Für den Zitronenfalter und seine friedliche Art genügte aber auch der Schild vollkommen; denn fechten oder sonst mit einer scharfen Waffe umgehen hatte er ja nicht gelernt. »Wie klug Sie sind!« sagte er. »Ich als Dichter weiß das zu schätzen. Ihre Antwort ist ein Zeugnis für Ihre poetische Weltauffassung. Die ist, in so hohem Maße, selten zu finden. Ich habe heute das schwere Herz bekommen und erwog den Plan, Einsiedler zu werden. Daran war die Prosa des Alltags schuld, in der ich eine wohlhabende Familie verkümmern sah. Gestatten Sie, daß ich Ihnen meine Bewunderung ausdrücke!«

»Freut mich und ehrt mich,« entgegnete die Amazone.

Der Wein, der auf der silbernen Insel geschenkt wurde, mundete Fritzen außerordentlich. Deshalb dachte er auch nicht ans Weggehen und hätte sich gern weiter gebildet in der Unterhaltung mit Teufelsnadel. Da trat ein unvorhergesehenes Ereignis ein.

Teufelsnadel mußte jetzt einen polizeilichen Rundgang machen in den Igelkolben und Schilfhalmen, um nach Gesindel zu sehen, das sich dort etwa aufhielt. »Oh,« bat Fritz, »Sie können das wohl um ein Viertelstündchen verschieben!«

Da erklang unter ihm eine ganz feine Stimme. Die war fast flehentlich. »Ach, lieber Herr, wenn Sie sich nicht der Beihilfe zum Morde schuldig machen wollen, so veranlassen Sie diese schreckliche Drachenfliege nicht zum Verweilen!«

Glücklicherweise säuberte sich Teufelsnadel die Uniform für den dienstlichen Gang. Deshalb überhörte sie die geflüsterte Bitte. Fritz erschrak. Beihilfe zum Mord? dachte er. Das wäre ja gräßlich.

»Auf Wiedersehen!« rief Teufelsnadel und schwirrte davon.

»Wo stecken Sie denn, Sie mit der feinen Stimme?« forschte Fritz. Da drängte sich ein Kopf mit goldenen Augen zwischen einem gewölbten Kelchblatt und einem weißen Kronenblatt der Teichrose empor. »Ist sie fort?«

»Längst!« sagte Fritz.

»Es ist ein fürchterliches Geschöpf – und dabei ist sie eine entfernte Verwandte von mir! Aber sie verschont auch mich nicht. Ich bin aus Versehen auf die silberne Insel geraten. Mit meinem Leben hatte ich bereits abgeschlossen.«

Die Florfliege, die also sprach, hatte Fritz schon in der Kolonie der Blattläuse gesehen. Als die Dame mit den Goldaugen in dem Kleid aus grünem Tüll war sie ihm in angenehmer Erinnerung geblieben.

»Ich werde augenblicklich das Weite suchen,« sagte sie, »denken Sie, daß ich jetzt mit heiler Haut davonkomme?«

Fritz fühlte sein Herz schwellen. »Wenn ich bei Ihnen bin, so brauchen Sie gar keine Furcht zu haben!« sagte er und verlieh seinen Worten einen männlichen Vollklang. »Ich verbürge mich für Ihr Leben!«

Die Dame mit den Goldaugen war ein ungemein zartes und feingliedriges Geschöpf. Dabei war sie leicht wie die Lust. Leider hatte Fritzens mutige Rede nicht die erhoffte Wirkung auf sie. »Oh, Sie kennen diese Drachenfliegen nicht! Die tragen ihren Namen in der Tat. Und denken Sie mal: ehe sie Drachenfliegen werden und Räuber der Luft, leben ihre Larven als die Haifische des Teiches, und alles Lebendige zittert vor ihnen, wenn sie nahen.«

»So reden die Blattläuse auch von Ihnen und Ihren Nachkommen,« sagte Fritz. Vor zwei Stunden hätte ihn noch ein tiefer Schmerz überfallen bei derartiger Erkenntnis. Nun aber ertrug er das mit der Ruhe des Philosophen. »Sie können sich auf mich verlassen. Ich rette Sie – aus mein Ehrenwort!«

Das wirkte. Die Florfliege sah ihn mit einem bestrickenden Blick aus ihren Goldaugen an.

»Sagen Sie mal,« fragte Fritz, »hat denn das Wasser auch eine berauschende Wirkung?«

Die Florfliege war sehr erstaunt. »Halten Sie mich etwa für betrunken?«

»Oh, nicht Sie, meine Gnädige! Aber werfen Sie doch mal einen Blick über den Rand der silbernen Insel!«

Die grüne Dame schaute hinab. Es schossen da hundert stahlblaue Blümchen in wirrem Taumel auf dem Spiegel des Wassers umher. Man konnte das Spiel nicht verfolgen, so hastig war es. Bald schienen es blaue Blumen, bald Punkte, bald schimmernde Schlangen. Aber so wild das durcheinandertrieb – keines berührte das andere. Einmal kam ein großer Wasserkäfer durch die Luft gesegelt. Wie er meinte, daß er daheim sei, ließ er sich einfach in den Teich fallen. Da tauchten all die blauen Punkte unter und ruhten sich aus an einem der dünnen grünen Fäden, die vom Grunde sich emporspannen. Dabei reihten sie ein Kettlein Silberperlen hinter sich, die wie gleitende Sterne durch die klare Flut zogen, die ihr Himmel war. – Es war ein beglücktes Treiben.

Die Florfliege erzählte dem Zitronenfalter, das seien Taumelkäfer. Aber berauscht vom Wasser waren sie nicht, sondern berauscht von der Sonne und dem Glanz ihres Daseins. Manchmal auch schwang sich einer auf, weil nun die Gefahr vorüber war, und blühte einen Augenblick über dem Teiche wie ein dunkles Auge der Luft.

So war die silberne Insel ein herrlicher Aufenthalt mit mancherlei Anregungen. Fritzens Poetenherz verfiel in schwelgerisches Genießen. Wer weiß, wie lange er noch gesäumt hätte – da sah die Florfliege die Teufelsnadel heranstolpern. »O ich Törin,« rief sie, »ich hundertfältige Törin, warum habe ich auf Sie gehört! Jetzt bin ich verloren!«

Er aber breitete seine goldenen Flügel über sie und sagte: »Suchen Sie sich unter diesem Dach einen sicheren Platz an meinem Körper. Hängen Sie sich nur ganz fest an mich! Ich trage Sie dann hinaus auf die Festwiese!«

Da war Teufelsnadel herangekommen und wußte viel von ihrem Rundgang zu erzählen. Sie hatte ein halbes Hundert vagierende Schnaken und Fliegen festgenommen, die mit gefährlichen Waffen versehen waren.

»Ich hänge, Freund Fritz!« flüsterte es unter dem Zitronenfalter.

Das merkte Fritz allerdings. Schon während der Unterhaltung mit Teufelsnadel hatte er ein paarmal laut auflachen müssen. Es kitzelte entsetzlich. Die Florfliege hielt sich mit Händen und Füßen an seiner Brust.

Teufelsnadel war sehr unangenehm berührt von seinem veränderten Benehmen. Er machte sich offenbar lustig über sie – eine andere Erklärung gab es nicht.

Die Florfliege war schleierleicht; aber die Spitzen ihrer Finger verrieten ihre Angst. Sie brauchte sich nur leise unter ihm zu bewegen, so trippelte das Lachen durch seinen ganzen Körper – er konnte es nicht verbeißen, so sehr er sich Mühe gab.

»Ich habe ein Glas zuviel getrunken,« sagte er, »ich bitte um Entschuldigung.« Da krümmte er sich schon wieder über den kitzelnden Fingern – es war eine sehr merkwürdige Lage, in die er sich gebracht hatte. »Ja, ein Glas zu viel getrunken … Gemütvolle Leute fangen dann an, zu lachen. Ich sehe wohl: ich muß mir mein Räuschchen verfliegen!« So sprach er der Dame mit den Goldaugen zuliebe. »Ich empfehle mich also, teure Gevatterin Teufelsnadel! Gestatten Sie mir diese vertrauliche Anrede – wir sind beide Blumen der Luft, und beide träumen wir den gleichen herrlichen Sommertraum, Sie schöne Kämpferin! Auf Wiedersehen!«

Teufelsnadel sah ihm mit gemischten Gefühlen nach. Sie war der Meinung, daß er etwas an ihr lächerlich finde, und seine freundlichen Worte konnten sie nicht beschwichtigen.

Es fiel ihr auf, daß er nicht so leicht emporstieg wie sonst. Sie verfolgte ihn aufmerksam. Und richtig: ihr scharfes Auge entdeckte die Florfliege an seinem Leibe! …

»O Sie Falscher!« rief sie. »Ist das der Dank für die Gastfreundschaft, daß Sie mich um eine leckere Beute betrügen?«

So endigte das Idyll auf der silbernen Insel nicht ganz nach dem Wunsche Fritzens. Er hatte sich das Wiederkommen verscherzt. Aber das Bewußtsein einer großen Tat, die er nicht ohne Lebensgefahr vollbracht hatte, erhob ihn. Er trug die Florfliege auf den Schwarzdornstrauch, wo sie inmitten der Blattlauskolonie sich einer wortlosen Vernichtung der kleinen Schädlinge hingab.

Fritz aber schwang sich frohen Herzens hinaus in den goldenen Tag.


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