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Paula, die Speerkämpferin.

Paula und Else nahmen den Gelben in die Mitte und flogen zum Schwarzdorn. Der schaukelte sich am Rande des Steinbruchs und bog sich über die steilrechte Felswand wie ein schwindelfreier Bergsteiger.

Natürlich fiel diese Wand nicht hinab ins Endlose; denn der steinerne Kessel im Hügel war eigentlich weiter nichts als ein großes Loch. Es hätte kaum ein kleines Menschenhaus darin Platz gehabt. Aber auf dem Grunde des Loches war allerhand zu sehen. Vor allem: dort war ein Tümpel. Herrliche weiße Seerosen blühten darauf.

Fritz überschaute das fesselnde Bild in einem Augenblick. Er sah auch die Kerzen des blauen Natterkopfes, die leuchtend den Kesselrand umstanden. Und er sah die dunkelroten Skabiosen, die sich da schaukelten, und die goldenen Wicken; die lagen wie kleine Kissen am Rande – wer weiß, welch schöne Prinzessin hin und wieder darauf kniete, um hinabzusehen in den tiefen Grund!

Er konnte sich aber dem hübschen Bilde nicht lange widmen; denn sein Freund Florian gab ihm einen sanften Stoß zum Willkomm. Der ganze Strauch war besetzt von dem Vereine der Marienkäfer. »Wir haben hier ein Dorado,« erklärte Florian strahlend. Dabei trieften ihm die Lippen vom Fette der Blattläuse. Die wohnten auf allen Zweigen in einer solchen Menge – es sah aus, als hätte der Schwarzdorn grüne Handschuh angezogen.

Zwischen ihnen vergnügten sich die Larven der Herrgottschäfchen. Das waren kleine bläuliche Dinger mit zwei Reihen goldener Punkte an den Seiten. Sie machten es wie Florian und aßen, was sie konnten.

Merkwürdigerweise verhielten sich die Scharen der Blattläuse dabei ganz still und weideten wie die Kühe auf der grünen Wiese des Strauches.

Das wurde anders, als die kleine Paula eintrat. Paula blies zwar ihre silberne Hirtenpfeife recht lieblich, aber ein wahrhaft panischer Schrecken erfaßte das grüne Geziefer, als sie das hörten. Von Zweig zu Zweig pflanzte sich die Aufregung fort. Die Blattläuse bohrten gleich ihre Schnäbel in den Zweig oder in das Blatt, auf dem sie saßen. Sie klammerten sich mit den zwei Vorderbeinen fest. Dann richteten sie den Hinterleib drohend empor und strampelten mit den vier freien Beinen. Das war ihre Fechterstellung. Und so wollten sie die berüchtigte Speerkämpferin Paula abwehren. Die war nur so groß wie einer ihrer grünen Feinde; und dennoch war sie imstande, alle diese Heerscharen zu vernichten.

Für Paula und Else war es ein herrliches Vergnügen, die Grünen so gerüstet zu sehen.

»Achtung, Herrschaften!« rief Else. »Der Kampf beginnt!«

Fritz schaute in atemloser Spannung zu. Alle Marienkäfer saßen indes mit ihren Larven beim Schmause und berauschten sich an dem ungeheuren Morden. Die Heere der Blattläuse bildeten eine wackelnde Phalanx. Aber Paula schritt ihnen ohne Zagen entgegen. Aus einer gewissen Entfernung vom Feinde lief sie gegen diesen an, stellte die Vorderbeine auseinander und warf ihren Hinterleib mit dem Legestachel zwischen diesen Beinen hindurch. So oft das geschah – jedesmal traf sie einen anderen Feind. Und bei jedem Stiche schnellte sie ein Ei in den getroffenen Leib.

Es war sehr interessant. Aber Fritz dachte: ich bin doch nicht auf die Festwiese gekommen, um immerzu derartigen blutigen Spielen beizuwohnen! Und weil gerade ein Baumweißling um den Dornstrauch flatterte, so schwang sich Fritz zu ihm empor.

»Ich habe die Sache satt,« sagte er zu dem Weißen mit den schwarzen Streifen im Rock. »Was treibt Sie denn hierher?«

»Ich habe gestern Hochzeit gehalten. Albine ist mein Name. Denken Sie mal – meinen Mann hat gleich nach der Trauung die Eidechse gefressen! Da bin ich nun zu seiner alten Stammburg zurückgekehrt, um die Eier abzulegen …«

»Passen Sie auf,« unterbrach sie Fritz, »ich habe eben die Schlupfwespe Else in der Burg getroffen! Halten Sie die nicht für gefährlich?«

»Tja,« machte Albine, »was sollen wir dabei tun? Es ist hier weit und breit kein ordentlicher Strauch. Und Labkraut, Disteln oder Natterkopf kann ich meinen Nachkommen doch nicht zumuten. Sie mögen sehen, wie sie zurechtkommen! Unsereiner hat sich auch kümmern müssen! Ich werde so an die dreihundert Eier legen. Alle Raupen, die daraus werden, kann die heimtückische Else doch nicht zum Tode verurteilen.«

»Wollen wir nicht ein bißchen spazieren fliegen?« lockte Fritz. Die junge Witwe in Halbtrauer gefiel ihm ungemein.

»Im Augenblick bin ich dazu nicht in der Lage – aus Gründen, die ich Ihnen schon sagte. Vielleicht morgen.«

»Morgen?« fragte Fritz erstaunt. »Was ist morgen?«

Albine lachte. Bei dem langen Gespräche wirbelten sie in der Luft herum wie eine weiße und eine gelbe Blüte. Bald kletterten sie hoch empor, bald stürzten sie sich jubelnd herab. Es war ein sehr artiges Spiel.

»Morgen kommt nach heute,« lachte die weiße Dame und sang: »Was die Welt morgen bringt, ob sie mir Sorgen bringt, Leid oder Freud – komme, was kommen mag, morgen ist auch ein Tag, heute ist heut.«

Fritzen gefiel das sehr. Aber eine richtige Vorstellung von morgen hatte er nicht bekommen.

»Morgen – hm … morgen kommt, wenn es finster gewesen ist,« erklärte Albine. Es war nicht leicht. »Und finster ist's, wenn uns die Augen ausgehen.«

»O weh,« sagte Fritz.

»Das ist aber nicht schlimm,« fuhr Albine fort; »denn da schlafen wir und träumen von der Sonne und von den Blumen. Ich zum Beispiel schlafe unter der großen Distel gleich linker Hand dort oben auf dem Berge. Haben Sie kein Logis? Dann finden Sie da wohl auch noch einen guten Platz. Jetzt muß ich mich aber empfehlen. Auf Wiedersehen!«

Damit schlüpfte Albine in den Schwarzdornbusch. Fritz aber wirbelte hinaus in den blauen Tag. Er hatte innerhalb fünf Minuten ungeheure Erlebnisse gehabt.


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