Ludwig Ganghofer
Edelweißkönig
Ludwig Ganghofer

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1

Von der Bergseite des Tales kam ein Jäger über die Wiesen her, deren junges Grün in der Nachmittagssonne einen Glanz wie Metall bekam. »Grüß dich Gott, Finkenjörg! Schaust dir dein' Hof an?« rief er einem Bauern zu, der, die Pfeife zwischen den Zähnen, am Zaun seines Gehöftes lehnte. »Aber hast schon recht! Da is auch was dran zum Schauen!«

Der Finkenhof mit dem zweistöckigen Wohnhaus, mit dem Gesindetrakt, dem Back- und Waschhause, mit der eigenen Schmiede, mit den Stallungen, Scheunen und Heustadeln und Holzschuppen bildete ein Dörfl inmitten des Dorfes. Ein brauner Staketenzaun mit breitem Gattertor und einer kleinen, zum Wohnhaus führenden Pforte schied das Gehöft von der Straße; ein gleicher Zaun umschloß auf der Rückseite des Hauses den Gemüsegarten, während graue Bretterplanken die hügeligen Wiesen von den Nachbarhöfen trennten. Höher und höher stiegen diese Planken hinauf, bis sie im Wald der Berge sich verloren, die mit zerrissenen Graten in weitem Bogen das Dorf umspannten. Weiß lag noch der Schnee auf allen Felskuppen, und wie mit bleichen Fingern griff er durch viele Schluchten hinunter ins Tal. Die Almen waren schon frei von Schnee, aber ihre Grashänge zeigten noch ein totes Gelb; die Lärchenbestände waren bereits von zartem Grün überhaucht, und auch die tiefer stehenden Fichten begannen schon jene hellere Färbung anzunehmen, die der frische Trieb des Frühjahrs den dunklen Nadelbäumen verleiht. Wo aber von den obersten Wiesen aus der Buchenwald in breiten Streifen sich einzwängte zwischen die Fichten, blickte durch das Gewirr der nackten Äste noch das rötliche Braun des Berggrundes, auf dem die Blätter des verwichenen Sommers moderten. Auch die Haselnußstauden, die den grauen Bretterzaun geleiteten, waren in der Nähe des Bergwaldes noch unbelaubt; je mehr sie dem Tal sich näherten, desto sichtlicher zeigte sich an ihnen die Kraft des Lenzes; in der Nähe des Finkenhofes waren sie schon übersät mit kleinen blaßgrünen Frühlingsherzen. An den Kastanienbäumen, die das Wohnhaus umringten, sproßte das Laub, und die jungen Blätter lispelten im lauen Wind. Dazu das Gurren der Tauben und das Glucksen der Hühner. Aus der Schmiede tönte Hammerschlag, und in der offenen Scheune klang, von einer kräftigen Mädchenstimme gesungen, die muntere Weise eines Liedes.

Der Tag wollte sinken. In zarter Bläue blickte der Himmel herunter durch die klare Luft, in die sich vom Dach des Finkenhofes der Rauch emporkräuselte mit langsamen Wirbeln. Zu diesem Hofe paßte der Bauer, ein Zweiundvierzigjähriger, dessen hohe, feste Gestalt den jüngeren Jäger um einen halben Kopf überragte. Er machte ein gutes Bild: in der schwarzledernen Bundhose mit den dunkelblauen Strümpfen, in der grünen Weste mit den kleinen Hirschhornknöpfen und in dem weißen Hemd mit den gebauschten Ärmeln. Auf breiten Schultern saß ein energischer Kopf mit klugen, lebhaften Augen; sie waren braun wie das Haar; ein kurzer Bart umkräuselte die Wangen; Kinn und Oberlippe waren rasiert, und man sah einen Mund, der ebenso freundlich reden wie streng befehlen konnte.

Neben diesem Bauern war der Jäger wie das Kind einer anderen Rasse. Seine Gestalt schien beweisen zu wollen, daß Knochen und Sehnen zur Bildung eines menschlichen Körpers völlig ausreichen. Die mit blanken Kappennägeln beschlagenen Schuhe, in denen die nackten Füße staken, mochten schwere Pfunde wiegen. Zwischen den grauen Wadenstutzen und der verwetzten Lederhose waren die braunen Kniescheiben bedeckt mit zahlreichen Narben. Die dicke Lodenjoppe stand wie ein Brett von den Hüften ab und krümmte sich nur widerwillig um die Schultern, die das Gewicht des bauchig angepackten Rucksackes und der Büchse nicht zu fühlen schienen. Schief über dem kurzgeschorenen Schwarzhaar saß ein mürber Filzhut, und über die schmale Krempe nickte eine Spielhahnfeder gegen die Stirn, unter der die grauen Augen blitzten, verwegen und heiter. Scharf hob sich die gekrümmte Nase aus dem hagern, sonnverbrannten Gesicht, und unter dem aufgezwirbelten Schnauzer lachte aus dem Gestrüpp des schwarzen Vollbartes ein lustiger Mund heraus. Bei aller derben Kraft, die in diesem Mannsbild steckte, waren seine Bewegungen von einer lebhaften Geschmeidigkeit. Alles an ihm redete mit, während er schwatzte: »In der Fruh hab ich a bißl nach die Auerhahnen gschaut. Hoffentlich rührt sich noch einer, wann mein Herr Graf zum Hahnfalz kommt. Möcht nur wissen, warum er so lang ausbleibt! D' Hauserin im Schlößl droben kennt sich schon gar nimmer aus. Allweil sagt dös Gansl: ›Paß auf, da stimmt ebbes net!‹« Er sah zu dem kleinen Kastell hinauf, das von einer nahen Anhöhe mit seinen Türmchen und Erkern herwinkte. »Es wird schon a bißl spat für'n Falz. No, vielleicht kommt er morgen, der Graf. Da schießt er noch allweil seine sechs, acht Hahnen.«

»Oho!« wehrte der Finkenbauer. »Ich saget gleich gar: a Dutzend.«

»Net an einzigen laß ich abhandeln. Mein Jagderl steht da! Freilich, d' Füß sind mir schier wie Brezeln worden vor Laufen und Laufen, bis ich sauber gmacht hab mit die Lumpen. Jeder hat's lassen müssen. Grad an einzigen hab ich noch auf der Muck.« Der Jäger überflog das Gehöft mit einem Blick, der den Bauer stutzig zu machen schien. »Mei' Rennerei allein hätt's freilich net ausgmacht. Er hat sich's a Trumm Geld kosten lassen für Winterfutter, Gangsteig und Jagdhütten, der alte Graf!«

»Unser Herrgott hab ihn selig! Jeds hat ihn gern ghabt. Und 's ganze Ort hat mittrauert, wie s' ihn aussitragen haben vor zwei Jahr, mit die Füß voraus. Is schad drum.«

»Und der Junge, weißt, der schlagt ihm nach. A lieber, a feiner Mensch! Und seelengut! Was ich hab, dös hab ich von ihm, mein' Hund, mei' Gwehr, mei' Häusl, alles! Und a Jager! Durchs Feuer springet ich für mein' Grafen, und wann er's haben wollt, reißet ich dem Teufel d' Nasen aussi aus der höllischen Visasch.«

»Gern is er allweil dagwesen bei uns im Hof, wie er noch a Bürscherl von zwölf, vierzehn Jahr gwesen is. Und gute Kameradschaft hat er ghalten mit mein Ferdl.«

»Laßt sich der Ferdl bald wieder anschaun?«

»Die nächste Woch kommt er. Jetzt is er in der Münchnerstadt auf Übung als Unteroffizier. Die nächsten Täg wird er frei. Da hab ich ihm gschrieben, er soll a bißl bei uns einkehren, vor er wieder nach Bertlsgaden geht zu seiner Schnitzerei. Am liebsten hätt ich ihn ganz bei mir. Aber weißt ja, wie er is! Bei uns fehlt ihm d' Werkstatt, und hat er net 's Schnitzmesser in der Hand, nacher is ihm net wohl.«

»Wahr is's! Wann er mit mir droben war am Berg, hat er allbot was aufklaubt vom Boden, a Wurzn oder a Trümml Holz, hat umanand bosselt mit sein Taschenfeitl, und kaum ich's versehen hab, hat er a Köpfl, a Manndl oder a Viecherl fertig ghabt. Ja, der Ferdl! Den hab ich gern!«

»Der is auch zum Gernhaben!« stimmte der Bauer mit einem Lächeln seines Bruderstolzes bei. »Haben kunnt er von mir, was er möcht. Oft schon hab ich dran denkt – bei uns wird's von Jahr zu Jahr besser mit die Sommerleut – und da laß ich ihm a saubers Häusl hinsetzen an d' Straßen. Da kunnt er a Werkstatt einrichten und an Laden auftun. Und wär daheim! Bei mir!«

»Du bist halt einer, Finkenbauer! Was Schöners kann's net geben auf der Welt, als wann Gschwisterleut so eisern zammhalten. Aber sag, was is denn mit der Schwester? Bei der Frau Gräfin in der Münchnerstadt wird s' a schöns Bleiben haben. Net? Und hinpassen tut s' an so a Platzl, d' Hanni? So a feinboanlets Frauenzimmerl! Ich hab mir s' oft gar net anreden traut in ihrem städtischen Gwandl und mit ihrem Muttergottesgsichtl. Wie geht's ihr denn?«

Schweigend, mit ernsten Augen, sann der Bauer vor sich hin. Der Jäger schien keine Antwort zu erwarten. Sein spähender Blick hing an der nahen Scheune, und ein unruhiges Zucken ging um seine Lider. Nun hob er lauschend den Kopf, als möcht' er die Worte des heiteren Gesanges verstehen, der aus der Scheune klang. »Is dös net d' Emmerenz? Die singt a drauflos, als ob s' zahlt werden tät dafür!«

Wie ein Erwachender sah der Bauer auf. »Hätt gmeint, daß du der Enzi ihr Stimm soweit schon kennst, daß d' nimmer drum fragen mußt?«

»Hast gmeint?« Der Jäger machte die Augen klein. »No, weißt, von die paarmal her, wo ich d' Emmerenz im letzten Sommer gsehen hab auf der Alm, da kannst so a Weibsbilderpfeiferl leicht vergessen. Der Winter is lang. Aber wahr is's: a richtiger Vogel hat allweil sein Gsangl. Aufs Dudeln versteht sich d' Enzi!« Der Jäger guckte zum Himmel hinauf, als wäre vom Wetter die Rede. »Wirst auch sonst kein' Grund zum Klagen haben. Wenigstens hab ich d' Emmerenz noch nie net anders gsehn als mit rührige Händ, allweil bei der Arbeit.«

»He, du, warum lobst denn dös Mädel so über'n Schellenkönig?«

»Gar net! Ich red halt, wie alles redt.«

»Geh, tu net so fein!« Schmunzelnd tippte der Bauer mit der Pfeifenspitze über den Zaun hinüber. »Meinst, ich hab's net lang schon gmerkt, daß du der Enzi seit'm Sommer z' Gfallen gehst?«

»Ich?« Der Jäger verzog die Nase und schüttelte den Kopf: »Ah na! Dös Madl hätt mir für mein' Gusto alles z'viel Haar auf die Zähn!«

»Du wärst grad der Rechte, der ihr die Borsten ausrupfen kunnt.«

»Meinst?« Jetzt lachte der Jäger. Dazu klang aus der Scheune die Stimme der Emmerenz:

»Gasselgehn is mei' Freud,
Gasselgehn hab ich gern,
Wann schön der Mondschein scheint
Unter die Stern!

Wann ich kei' Schneid net hätt,
Hätt ich beim Tag a Gfrett,
Hätt ich bei'r Nacht –«

Das wunderlich zwiegeschlechtliche Liedl brach mitten in der Strophe ab, ein halb erstickter Aufschrei wurde hörbar, dann ein klatschender Schlag und die zornige Stimme des Mädels: »Da hast ebbes, du Schmierbartl, du heimtückischer!« Mit gerunzelter Stirn blickte der Finkenbauer zur Scheune hinüber, aus deren Tor ein Knecht getreten war, der außer dem unsauberen Hemd nur eine verblichene Soldatenhose am Leibe trug. Den Kopf mit den semmelblonden Haaren hielt er zwischen die Schultern gezogen. Das Gesicht mit dem langen Schnurrbart, dessen gedrehte Spitzen bis auf die Brust heruntertrauerten, wäre hübsch gewesen, wenn ihm nicht der schiefe Schnitt der Augen einen Ausdruck von lauernder Verschlagenheit gegeben hätte. Dazu war jetzt die eine Hälfte dieses Gesichtes sehr auffällig gerötet, und der Bursche schien es eilig zu haben, den apfelroten Backen in der dunklen Stalltür verschwinden zu lassen. »Ha! Was hat's denn da geben?« rief ihm der Finkenbauer zu.

»Nix!« brummte der Knecht.

Schon wollte der Bauer erwidern, als ihn ein scharfklingendes Kichern veranlaßte, sich nach dem Jäger umzublicken. Was er in diesen grauen Augen blitzen sah, war die Schadenfreude eines glühenden Hasses. Höhnend rief der Jäger: »Valtl, mir scheint, du hast an linksseitigen Sonnenstich kriegt?«

Der Bursch erwiderte keine Silbe und verschwand im Pferdestall. Durch eine Spalte des Scheunentores klang die streithafte Stimme der Emmerenz: »Gelt, Jager, geh fein du auch in'n Schatten! D' Sonn macht dürr. Schaust eh schon aus wie a Zwetschgen am Nickelstag!«

Und der Jäger antwortete: »Geh, laß dich a bißl anschaun. Mußt ja heut sakrisch sauber sein, weil schon beim Reden so süß bist, als wärst a halbs Jahr lang mit die Immen gflogen.«

»Da kannst recht haben!« klang es aus der Scheune. »Und wann ich vom Honigmachen nix glernt hab, kunnt ich bei die Immen leicht ebbes anders profitiert haben!« Die Worte des Mädels schlugen über in Gesang:

            »Der Immenstock steht hinterm Haus,
D' Imm fliegen ein und aus,
Büaberl, gelt, rühr net dran,
Weil der Imm stechen kann!«

Mit einem Jodler entfernte sich die Stimme, während der Jäger zur Antwort sang:

»Daß der Imm stechen kann,
Dös schreckt mich weni,
Wann der Imm gstochen hat,
Laßt er sein' Höni.«

Der Finkenbauer wurde heiter. »So! Schön hin und schön her! Nur allweil lustig, 's Lachen halt d' Leber gsund. Und komm, kehr ein a bißl im Haus, nacher trinken wir a Krügl.«

»Da laß ich mich net nöten! Ich hab allweil an rauchen Hals, der's Netzen vertragen kann.« Der Weg durch die Gattertür mochte dem Jäger als ein zeitraubender Umweg erscheinen. Er sprang mit einem flinken Satz über den Zaun hinüber an die Seite des Bauern. Sie durchschritten den Hof. Als sie um die Ecke des Wohnhauses lenkten, verhielt ein reizvoller Anblick ihren Fuß.

Entlang dem Hause zog sich eine mit Holzplatten gepflasterte, gegen den Hof durch ein Geländer abgesperrte Terrasse. Bis unter das Dach war die Mauer überspannt von einem grünen Lattengitter. An seinen Stäben hatte sich der wilde Wein zu einem dichten Netz verflochten, aus dem schon die jungen, weißgrünen Triebe hervorstachen. Wie glühende Augen aus einem Schleier, funkelten die von der Abendsonne beleuchteten Fenster aus diesem Netzwerk, das ein laubenförmiges Dach über der offenen Tür bildete, zu der drei Stufen aus Backsteinen emporführten. Auf der obersten Stufe saß ein Mädel, das kaum das sechzehnte Jahr überschritten haben konnte. Braune Flechten umrahmten ein feines Köpfl von länglichem Oval. In dem halb kindlichen, halb jungfräulichen Gesicht mit dem schlanken Näschen, dem kirschroten Mund und den runden Wangen paarten sich gesunde Frische und ein leiser Ausdruck von Schwermut. Vielleicht waren es nur die großen Rehaugen, die dem Gesichte diesen Ausdruck verliehen; sie bewegten sich langsam, erzählten von wunderlichen Träumen und waren anzusehen, als hätten sie über alles zu staunen, was ihnen auf ihren langsamen Wegen begegnete. Der schlanke Hals verschwand in dem fransigen, blaßblauen Seidentuch, das um die Schultern geschlungen und über der knospenden Brust hinter das schwarze, mit silbernen Haken besetzte Mieder gesteckt war. Ein dunkelblaues Röckl guckte unter der weißen Schürze hervor. Zu beiden Seiten des Mädels waren kurzgeschnittene Fichtenzweige über die Stufen verstreut, und auf dem Schoße lag ein aus solchen Reisern geflochtener Kranz. Der war zum Schmuck des Brettchens bestimmt, das auf weißem Grunde die schnörkelige Aufschrift ›Willkommen!‹ trug. Dem Mädel zu Füßen saßen zwei pausbäckige, von Gesundheit strotzende Kinder, ein Knabe von fünf und ein Mädchen von sieben Jahren. Als Dritter im Bunde hatte sich der schwarzzottige Hofhund zu dem kleinen Paar gesellt; und wie die beiden lauschenden Kinder, so blickte auch er mit funkelnden Augen zu dem Gesicht des Mädels empor, das seinen zwei Schützlingen von Berggeistern und Waldfeen erzählte, während es mit geschickten Händen gelbe Schlüsselblumen und weiße Schneerosen zwischen die Reiser des fertigen Kranzes fügte. Mit warmen Lichtern spielte die Abendsonne über die liebliche Gruppe.

»Und so hat a jeder Stein sein' eigenen Geist: der Kreidenstein, der Blutstein, der Eisenstein, der Salzstein, der Marmelstein, und überhaupt a jeder, hat mein Vater gsagt!« So hörten Bauer und Jäger das Mädel erzählen. »Die Bäum aber und die Pflanzen und Blümlein, die haben Geisterinnen, wo man Feyen heißt, und die sind sanft und gütig gegen alle Menschen, hat mein Vater gsagt. Die zürnen bloß, wann einer aus Übermut einischneidt in a Bäuml oder so a liebs Blüml zammtritt mit die Füß. Und so gibt's an Almrauschfey, an Enzianweibl und a Steinrautalfin. Grad an einzigs Blüml, dös schöne Edelweiß, dös droben wachsen tut z'höchst auf die Berg, dös hat an Mannergeist, der's hüten tut und schützen. Und dem sein Nam heißt Edelweißkönig. Der hat a freundlichs Gsicht mit blaue Augen, an braunen Bart und braune Lockenhaar. Sein grüner Hut hat a Kranzl von lauter Edelweiß, und 's ganze Gwand is gemacht aus söllene Blümeln. Ja, und so viel sorgen tut er sich um seine Pflanzerl! Lang vor'm ersten Schnee kommt er aus'm Berg aussi und deckt alle Ständerln zu, daß keins erfrieren kann. Im Sommer, hat mein Vater gsagt, wann's lang net gregnet hat und d' Sonn so hinbrennt auf die armen Blümeln, daß schier alle verschmachten möchten, da holt er's Wasser aus die Bäch, damit er seine Pflanzerln gießen kann. Und weil er weiß, wie gern als d' Menschen 's Edelweiß haben, drum führt er alle, die suchen gehn, unsichtbar an die Platzeln hin, wo die weißen Sterndln wachsen. Dieselbigen aber, dö mit die Blümeln allein net zufrieden sind und dö Pflanzen mitsamt die Wurzeln ausreißen, daß an so eim Platz kein Stammerl nimmer wachsen kann, die haßt er bis aufs Blut. Als an Unsichtbarer stößt er s' abi über d' Wand, zur Straf!« Ein tiefer Atemzug schwellte die junge Brust der Erzählerin, deren Stimme sich zu geheimnisvollem Flüstern gedämpft hatte.

Als sie schwieg, rüttelte ein Schauer den Flachskopf des kleinen Lieserls. In dem frischen Gesicht des braunlockigen Buben war keine Spur von Angst zu sehen. Er runzelte nachdenklich die Stirn. Plötzlich warf er das Köpfl auf und sagte: »Du, Veverl! Wie kann man denn wissen, wie er ausschaut und was er tut, der Edelweißkönig? Wann er allweil unsichtbar is?« Drüben an der Hausecke stieß der Finkenbauer in lächelndem Vaterstolz dem Jäger den Ellbogen an die Rippen.

Veverl richtete die großen Augen vorwurfsvoll auf den fürwitzigen Jungen. »Aber Pepperl, wie kannst denn so daherreden!« schalt sie mit einer Stimme, deren ernster Klang ihren Glauben an die Wahrheit dessen verriet, was sie den Kindern erzählt hatte, fast mit den gleichen Worten, in denen es ihr vor Jahr und Jahr zu dutzend Malen der Vater erzählt hatte, im tiefen Bergwald unter rauschenden Bäumen. »So hat mein Vater gsagt!« Das war für ihr kindliches Gemüt ein Argument, das keinen Zweifel duldete. »Allweil is er net unsichtbar, der Edelweißkönig! Er laßt sich schon diemal sehen, aber net vor jedem, der daherlauft auf zwei Füß.«

»Hast ihn du schon gsehen?« fragte das blonde Liesei gruslig, während der Bruder mißtrauisch zwinkerte.

»Aber!« erwiderte Veverl. »Wie kunnt ich ihn denn gsehen haben! Da müßt man doch z'erst sein Königsblüml finden! Mein Vater hat mir erzählt von eim, der ihn gsehn hat, gwiß hundertmal, und was mein Vater gsagt hat –«

»Und mein Vater sagt, es gibt keine Geister net!« fuhr Pepperl dem Mädel in die Rede. Wieder bekam der Jäger den Ellbogen des Finkenbauern zu spüren.

»So, du! Paß auf!« warnte Veverl. »So ebbes därfst net gar so laut sagen. Hast ihn gestern ums Betläuten net schreien hören, den Holiman, droben im Wald: huhu, huhu!«

»Jawohl, Holiman! Dös is doch a Käuzl gwesen!« trotzte Pepperl.

»Was? A Käuzl? Der Holiman is's gwesen! Und wann dein Vater sagt, es gibt keine Geister, so tut er's, daß dich net fürchten sollst. Aber freilich gibt's Geister, gute und böse. Die bösen laßt der Herrgott umgehn zur Sündenstraf, und bloß in der Nacht zu gwisse Stunden kann man s' sehen. Sie können aber keim braven Menschen ebbes anhaben, wenn man s' anruft: Alle guten Geister loben den Herrn.«

»In Ewigkeit amen!« lispelte das Liesei.

»Die guten Geister aber glauben selber an unsern lieben Herrgott und beten zu ihm wie fromme Menschen. Ja, die hat unser Herrgott erschaffen, damit s' ihm Obacht geben auf seine Tierln und seine Berg, auf seine Bäum und Blümeln, weil er selber im Himmel droben mit seine Gnadensachen und mit der Weltregierung soviel z' schaffen hat. Halb sind s' wie d' Engel, weil sie sich unsichtbar machen können, und weil s' überall durchschlupfen, durch Wasser und Feuer, Stein und Holz. Und halb sind s' wieder wie d' Menschen, weil s' Freud und Schmerzen gspüren und lachen und weinen, weil s' Hunger und Durst haben und essen und trinken. Ja, Pepperl, schau, so einer von die guten Geister is der Edelweißkönig. Wann amal groß bist, daß d' auffi kannst auf die Berg, und 's Glück will, daß d' sein Königsblüml findst, nacher kannst ihn rufen. Da siehst ihn mit eigene Augen. Und da bist a gmachter Mann! Wer 's Königsblüml findt, dem kann nix Unguts gschehen. Der kann sich net versteigen und net derstürzen. Wo einer in Gfahr is droben auf die Berg und er ruft den Edelweißkönig an, mit 'm Königsblüml in der Hand, da steht er gahlings da vor eim und hilft eim aus der Not.«

»An was kennt man denn dös Blüml?« fragte das Liesei, dem die Augen glänzten.

»Kennen tut man's leicht! Aber 's Finden? So a Blüml wachst in die Berg grad an einzigs alle Jahr. Wen aber 's Glück dran hinführt, der kennt's auf'n ersten Blick. 's Königsblüml is fünfmal so groß als wie an anders Edelweiß. In der Mitt, da hat's sechs gelbe Schöpferln, wie an anders Sterndl grad an einzigs hat, und rings drum rum, da stehen dreißig bluhweiße Strahlen.«

»Dös muß aber schön sein!« seufzte das Lisei, während Pepperl unternehmungslustig hinaufspähte zu den schneebedeckten Gipfeln der Berge, als erginge er sich in stillen Plänen, wie und wo er die Königsblume suchen wollte. Dabei fragte er: »Is dös wahr? Gibt's da droben so a Blüml?«

»No freilich!« scholl von der Hausecke die Stimme des Jägers. Die Kinder fuhren erschrocken zusammen, während der Hofhund dem Jäger mit Gebell entgegenstürzte. »No freilich is wahr, du kleiner Thomasl du! Ich hab selber schon eins gfunden, so a Blüml, ja! Schad, daß ich dir's nimmer zeigen kann. Ich hab's am Hut tragen, und da hat mir's der Wind abigweht über d' Wänd, daß ich's nimmer finden hab können.« Er wandte sich an Veverl, die ihn mit einem Blick betrachtete, als möchte sie aus seinem Gesicht ergründen, ob er scherze oder die Wahrheit spräche. »Schön kannst verzählen, Veverl! Dir möcht ich zuhören ganze Stunden lang.«

Veverl errötete und reichte dem Jäger die Hand, die in dieser braunen Tatze völlig verlorenging. Schüchtern beantwortete sie die Frage, wie sie sich auf dem Finkenhof eingewöhnt hätte – gut natürlich! Auch an die Kinder richtete der Jäger noch ein paar lustige Worte; dann stellte er den Bergstock an die Wand, trat mit dem Bauer ins Haus und fragte auf der Schwelle: »Wie lang lauft denn 's Faßl im Keller schon?«

»Seit der Brotzeit erst.«

»Brav, mei' durstige Seel! Jetzt schau nach aufwärts! Da kommt ebbes.«


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