Ludwig Ganghofer
Der Dorfapostel
Ludwig Ganghofer

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Vierzehntes Kapitel

Ein unfreundlicher Karsamstag.

Wie das nur so kommen kann? Am Abend leuchtet noch der Himmel, und am Morgen ist alles trüb, und über den Bergen hängt wie eine graue Mörteldecke das Gewölk.

In dem stundenlangen Wiesental, das sich gegen Mitterwang und Hirschbichl hinauszog, dampften von den versumpften Bachgründen die Nebel auf. Nur weit da draußen, wo der Kirchturm von Hirschbichl über das Gewell der Hügel hervorlugte, war's noch ein bißchen hell.

Nahe der Landstraße stand ein Heustadel, und der Bauer, dem er gehörte, kam mit der Kraxe auf dem Rücken von Hirschbichl her, um seinen Geißen eine Ladung Futter für die Ostertage heimzutragen. Schon von weitem sah er, daß am Heuschuppen die Tür halb offenstand. »Sakra! Hat mir einer 's Heu davon?« Er machte lange Schritte. Als er in den Schuppen guckte, sah er im Heu was Großes und Unbewegliches liegen. »He! Wer is denn da? Mein Heu verstinken und verwargeln, dös tät ich mir fein verbitten!«

Der Schläfer erwachte. Und der Bauer, als er diesen Ungeschlacht gewahrte, fuhr erschrocken zurück. Dann schimpfte er weiter.

Schwerfällig, Haar und Gewand mit Heufäden behangen, die ungefügen Glieder halb erstarrt von der kalten Nacht, kam einer aus dem Schuppen heraus, mit vorhängendem Kopf, den klobigen Rücken so tief gekrümmt, daß die Fäuste bis zu den Knien hinunterfielen. Wie einer von jenen riesigen Affen sah er aus, die in den tropischen Wäldern wohnen und ein Schreck der Menschen sind.

Dem Bauern verging der Mut zum lauten Schreien. Da könnt' es Scherben geben, mochte er denken. Und so brummte er nur noch ein bißchen.

Hanspeter, der den hellen Tag nicht begreifen wollte, guckte starr zum Himmel auf und fuhr sich mit beiden Händen langsam über das Gesicht, auf dem die erlöschenden Male der Faustschläge einen grünlichen Schimmer zurückgelassen hatten. »So so? A bißl lang gschlafen muß ich haben.« Nun hörte er das Gebrumm des Bauern. Seine Augen wurden klein und funkelten. »Ah so? Bist von die Leut einer, du? Die gibt's überall. Bei uns daheim. Und z' Mitterwang. Und in Hirschbichl hab ich s' auch derfragt. Überall gibt's Leut. Überall!«

Der Bauer brummte. »Mach, daß d' weiterkommst!«

Hanspeter lachte und ging davon, langsam, mit baumelnden Fäusten. Er schien an seinen drei Zentnern und an allem, was drückend auf seiner kleinen Kinderseele lastete, schwer zu schleppen. »No ja, für d' Mutter und fürs Kindl, für die is gsorgt. Aber ich halt, ich? Was ich jetzt anfang?« Immer müder krümmte sich sein Rücken. Und immer wieder die gleiche, murmelnde Frage. »Was ich jetzt anfang? Ich?« Obwohl es kühl war, rannen dem Hanspeter dicke Tropfen über das Gesicht. Nicht Tränen. Seine Augen waren heiß und trocken.

Zwei Stunden hatte er noch zu wandern, um das Dorf zu erreichen, und es ging schon auf elf Uhr mittags, als er zu den Häusern kam. Mit einem Zornblick huschten seine funkelnden Augen über die Höfe, Gärten und Dächer hin. Heiser lachend sprang er über den Graben und machte einen weiten Umweg, um zur Altenöderin zu kommen, ohne einem Menschen zu begegnen. Das gelang ihm nicht ganz. Als er vor dem kleinen Haus über die Straße rannte, sahen ihn die Kinder der Nachbarhäuser und sangen ihm spottend nach:

»Spatzenschreckerl, Ratzenfleckerl,
Bizi, Bazi, Katzendreckerl!«

In Zorn griff Hanspeter nach einem Stein und ließ ihn wieder sinken, noch ehe die Kinder kreischend hinter die Häuser flüchteten. Ein Gefühl der Reue schüttelte seine drei Zentner. »So einer bin ich! Der sich an die guten Kindln vergreifen kunnt!« Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, als möchte er etwas von seinen Augen fortwischen. Dann nahm er den Hut ab, zupfte die Heufäden von seinen Kleidern und trat ins Haus.

In der Küche saß die Altenöderin bei der offenen Herdflamme. Über dem Feuer dampfte eine Pfanne. So schwer die Schritte des Hanspeter waren, Mutter Nannimai hörte sie nicht. Erst seinen Gruß. Er sagte nicht wie sonst: »Gottslieben Tag, Mutterl!« Heut machte er's kurz: »Grüß Gott!«

Die Altenöderin sah auf. »Peterl? Du?« Sie schien erst ihre Gedanken ordnen zu müssen. »Wie geht's dir denn?«

»Macht sich schon wieder.«

»Gott sei Dank! Is mir doch die eine Sorg von der Seel!« Sie betrachtete sein Gesicht. »Aber ausschauen tust net gut!«

»Wie s' ein' halt zurichten!« Er schnaufte tief. »Jetzt bring ich dir ebbes.« Er sah in den Flur hinaus. »Wo is denn 's Kindl?«

»Um Klaubholz hab ich d' Ilsabeth fortschicken müssen.« Die Altenöderin deutete auf ein paar Scheite, die neben dem Herd lagen. »Jetzt hat s' an End, die barmherzige Klafter.«

Hanspeter nickte und ließ sich auf den Herdrand fallen. »Jetzt hab ich ebbes gfunden für Enk. Zwei saubere Stüberln. Z' Hirschbichl drent. Zwei Stüberln. Zwei halt bloß!«

»Vergeltsgott, Bub!« Zärtlich fuhr ihm die Altenöderin mit der Hand übers Haar. Dann fragte sie in Sorge. »Was kosten s' denn?«

»Zwanzg Markln im Jahr.« Hanspeter drehte das Gesicht auf die Seite. »War's ebba z'viel?«

»Gott sei Lob und Dank! Dös zahl ich leicht! Aber es wird doch a Kuchl dabei sein?«

»Ah freilich, ja!«

»Und wo denn, sag?«

»Schmidthammerin heißt s', die Bäuerin.«

»So?« Die Altenöderin fragte nicht weiter. Und das schien dem Hanspeter willkommen. Was er durchgemacht hatte in diesen beiden Wandertagen, und daß man in Enzdorf, in Mitterwang und Hirschbichl schon von der Häuslschusterin und ihrer ›schwefligen Freundschaft‹ wußte; daß die gescheite Schmidthammerin, wenn sie sich schon mit dem ††† einlassen sollte, doch wenigstens ein gutes Geschäft zu machen hoffte; daß Hanspeter im Jahr zu den ›zwanzig Markln‹ heimlich noch achtzig ›zuspicken‹ mußte; und daß er seine silberne ›Remontari‹, diesen einzigen Reichtum seines Lebens, als ›Sicherheit‹ bei der Schmidthammerin zurückgelassen hatte – das alles brauchte die Altenöderin nicht zu wissen.

Als Mutter Nannimai den Deckel von der Pfanne hob, guckte Hanspeter sehnsüchtig in den wirbelnden Dampf. »Hast saure Fisolen gmacht?« fragte er, obwohl es nach Erbsen roch.

»A bißl Erbessuppen auf Mittag.«

»So so? D' Erbessuppen is ebbes Guts.«

Nannimai sah das Verlangen, mit dem seine Augen an der Pfanne hingen. »Tut dich hungern, Bub?«

»Hungern? Ah na! Gwiß net!« stotterte Hanspeter. »Gestern in der Fruh hab ich schon ebbes ghabt. Mein Magen is von dieselbigen einer, die was aushalten. Na na, laß gut sein, Mutterl!« Er wehrte mit beiden Händen. Aber Nannimai, erschrocken, war schon davongehumpelt, brachte einen Teller und fing zu schöpfen an. »Hör auf, Mutterl! Lauft ja schon über! Soviel mag ich net.« Doch als er den Teller mit der qualmenden Erbsensuppe auf den Knien hatte, lächelte er dankbar zur Altenöderin auf – ein Lächeln, als möchte ein gerupftes Vögelchen fliegen. »Gottslieben Vergelts! Zahlen kann ich net. Aber a Bröserl Suppen hab ich mir schon verdient bei dir? Gelt, ja?«

Die alte Frau setzte sich auf den Herdrand und sah ihm schweigend zu, wie er in Hast zu löffeln begann. Die Suppe dampfte vor Hitze, nach jedem Löffel mußte Hanspeter den Mund hohl machen und mit der Zunge schlenkern. Und wie Atem bei strenger Kälte fuhr ihm der Rauch von den Lippen. Doch er schluckte gierig wie ein Tier, dem die hungernden Gedärme schreien.

»So ebbes Guts! Und so schön warm geht's durch'n Teller durch, auf die kalten Knie!«

Die Altenöderin lächelte zerstreut. »Warm haben? Ah ja! Dös sind im Leben die Glückhaften, die's allweil warm haben, auswendig und einwendig. Frieren müssen is ebbes Harts!« Ihre Hände wurden schlaff.

Dem Hanspeter, während er langsam den kühler gewordenen Rest der Suppe löffelte, wirbelte schon wieder das andere durch den Kopf: »Zwei Stüberln! Zwei halt bloß. Und keins für mich.« Er schluckte. »Hab mir denkt, ich kunnt im Hausgang schlafen oder auf der Bodenstieg. Aber mich laßt d' Schmidthammerin net eini. Ich tät ihr den Boden durchtrappen mit meine Olifantenfüß, hat s' gsagt!« Er schluckte wieder. »No ja, so völlig unrecht kann ich dem Weibl net geben. Weil's zwei liebe, saubere Stüberln sind. Wär schad, wann ich ebbes dran runieren tat.«

Nannimai schien nicht alles zu hören, was Hanspeter mit seiner erloschenen Stimme brummelte. In Gedanken nickte sie vor sich hin. »Es is an der Zeit, daß wir fortkommen. Wie gschwinder, so besser. Für's Madl is kein Bleiben nimmer.« Sie konnte ihm die Sorge nicht verschweigen, die drückend auf ihrem Herzen lag. »Jetzt schau dir an, Peterl! Zu allem Elend jetzt noch 's Ärgste!«

»Mar' und Joseph! Was denn?«

»'s Madl hat sich verschaut a bißl! Gern haben tut's ein'. Den s' nie net haben kann. Und 's Madl möcht gleich sterben. Und heut in der Nacht –« Die Altenöderin sah erschrocken den Hanspeter an.

Eine grauenhafte Veränderung war mit ihm vorgegangen. Das Gesicht verzerrt, die Augen weit aufgerissen, zitternd an seinen schweren Gliedern, so war er vom Herdrand aufgesprungen und hatte den Rest der Suppe ins Feuer geschleudert, daß die getauften Kohlen zu zischen begannen.

»Jesus Maria!« kreischte die Altenöderin. »Bub? Was is dir denn?«

Keuchend würgte er die Worte heraus: »Dös macht mich narret, Mutter!« Ein Gelächter, wild und heiser. Langsam reckte er sich auf, daß sein Kopf an die Decke stieß, hob die Fäuste vor sich hin und schüttelte sie. »So haben's die Guten! Recht hat er, der Mandi: die Schiechen haben's besser.« Wieder dieses Gelächter. »Herr Leut mußt heißen! Da hast auf der Welt, was d' magst. Da nimmst dir's halt. Drah dich um, Mutter! Von die Schiechen mußt eine sein! Und alls is gut.« Er drückte die Fäuste auf seine Rippen und taumelte in den Flur hinaus, ins Freie.

Die Altenöderin humpelte hinter ihm her: »Jesus Maria! Hanspeter!«

Er hörte nicht. Mit fuchtelnden Fäusten, immer lachend, rannte er gegen den Bergwald hin.

Leute, die ihn sahen, fingen zu kreischen an, als wäre ein Stier im Dorfe ledig geworden.

Während er so rannte, begegnete ihm ein altes, harmloses Bäuerlein, einer von jenen Weißhaarigen, die im Wirtshaus gesungen hatten: »Fein sein, beieinanderbleibnnnnn!«

»Aus'm Weg!« schrie Hanspeter ihm entgegen. »Aus'm Weg, du Leut!«

Das Bäuerlein tat erschrocken einen Hupf von der Straße weg und überkletterte die hohe Planke so flink, als wäre ihm die Jugend wieder in die alten Knochen gefahren. Hinter dem Zaun begann der Weißhaarige grob zu schimpfen über den ›narreten Tuifi‹.

Der hörte nicht. Er rannte über die Wiesen, dem Wald entgegen, als wäre in seinem dicken, von Zorn und Jammer brennenden Köpfl nur noch der einzige Gedanke: im Wald einen Ast zu finden, kräftig genug, um drei Zentner und noch darüber zu tragen.

Nun blieb er stehen, plötzlich, wie gebändigt von einer unsichtbaren Gewalt. Und starrte in den trüben Wald hinein, mit den gleichen Sehnsuchtsaugen, mit denen er in Nannimais Küche am Dampf der guten Erbsensuppe gehangen. Und im Hunger seines Herzens überkam es den Peter Johannes Zdazilek wie eine Regung von Eitelkeit. Er begann an seinem Gewand zu putzen, kämmte mit dem Rechen seiner Finger den Heustaub aus den Haaren und fuhr mit dem Ärmel über Mund und Nase.

Ein schweres Klaubholzbündel auf dem Kopfe, trat Lisbeth aus dem Wald. Um unter der schwankenden Last das Gleichgewicht zu halten, hatte sie die beiden Arme seitwärts gestreckt, und so kam sie über die steile Wiese herunter. Nur zur Erde blickend nach ihrem Weg, konnte sie den Hanspeter nicht sehen und wäre vorübergegangen.

»Lisbeth?«

Das klang, als spräche ein Kind zum erstenmal ein Wort, das dem unerfahrenen Zünglein noch nicht geläufig ist.

Sie konnte unter der Last des Holzes den Kopf nicht heben, nur die Lider. Wie Hanspeters Gesicht war, wie seine Augen blickten, das fiel ihr nicht auf. Wer zu schleppen hat, findet es nicht verwunderlich, wenn auch andere den Rücken krümmen. Und wer an die Freude nimmer glaubt, staunt nicht über ein trauriges Gesicht. Nur über eines schien sie sich zu wundern: »Peterl? Du? Warum sagst denn Lisbeth zu mir? 's erstmal, daß ich's hör. Von dir!«

Er konnte nicht antworten. Blutrot fuhr es ihm über das häßlich entstellte Gesicht. Und als sie unter der Last des Holzes den Kopf ein wenig drehte, als hätte sie Schmerzen im Nacken, hob er die Arme. »Gib her! Mich laß tragen!« Er nahm ihr das Bündel ab und lud es auf seinen Stiernacken, als wär' es ein Häuflein Späne.

»Gottschristi Vergelts!« sagte sie leise, eins von seinen eigenen, ›driedoppelt frommen‹ Worten gebrauchend. Dann ging sie schweigend hinter ihm her, die Wiesen hinunter.

Die Last, die er leicht gehoben, schien Schritt um Schritt auf seinem Nacken zu wachsen, wie einst das heilige Kind auf dem Rücken des Christophorus. Immer langsamer ging er, je näher sie dem kleinen Hause kamen. Vor dem Zauntor blieb er stehen, legte das Holz zu Boden und blieb gebeugt, als trüge er die Last noch immer. Ohne aufzuschauen, sagte er: »Vergeltsgott, Lisbeth! Und pfüet dich Gott halt!« Zögernd streckte er die Hand.

»Hanspeter? Was hast denn?« Sie wollte ihm die Hand reichen.

Als ihre Finger seine ledernen Schwielen berührten, riß er die Hand zurück wie einer, der ins Feuer gegriffen. Und stotterte: »Ilsabeth!« Und schweigend wandte er sich ab und schwankte davon. Als ihn das nächste Haus verdeckte, so daß ihn die Lisbeth nicht mehr sehen konnte, fing er zu rennen an wie ein Narr.

Durch ein schmales Wiesental lief er hinunter gegen den Bach, schlug die Zäune vor sich nieder, wühlte sich durch dickes Gebüsch, und als er den Wald erreichte, warf er sich ins Moos und gebärdete sich, als wäre in seinem armen ›driedoppelten Köpfl‹ die Tobsucht ausgebrochen. Er grub die Hände in den Boden, stieß und wühlte mit den Füßen, wälzte sich stöhnend von einer Seite auf die andere und trommelte mit den Fäusten auf die Augen, weil sie trocken blieben und seinem Schmerz das erleichternde Getröpfel versagten. Dann, von Erschöpfung befallen, lag er regungslos, mit dem Gesicht auf der Erde, die Arme über den Kopf gedrückt – wie man in den Bergen die Toten findet, denen ein fallender Stein das Gehirn zerschmetterte.

Der Platz um ihn her sah aus, als wäre hier ein widerspenstiges Stück Vieh an einen Baum gefesselt gewesen und hätte mit Hörnern und Hufen die Arbeit seines Zornes getan.

Eine Stunde verging. Eine zweite.

Endlich richtete Hanspeter sich auf und guckte verloren im öden Wald umher. »Eins bleibt mir schon, noch an einzigs! A wengl schaffen halt, recht fleißig schaffen. Da kann's net fehlen. Da hab ich mei' Zuversicht drauf.« Er meinte: recht fleißig schaffen, um Jahr für Jahr die achtzig Mark zu ersparen, die er bei der Schmidthammerin in Hirschbichl drüben heimlich ›zuspicken‹ mußte. »Und der Jungfer Kathrin muß ich ihren Sessel auffitragen. Mein' schon, daß er jetzt trücknet is, der Firneis!«

Ruhig streckte er sich, als wäre für sein leer gewordenes Dasein wieder Zweck und Inhalt gefunden. Wer der Schmidthammerin in Hirschbichl etwas schuldig ist und der Pfarrersköchin noch einen Sessel zu bringen hat? Wie dürfte so einer auf den pflichtvergessenen Gedanken kommen, dem schreienden Jammer seines Herzens mit Gewalt das Maul zu stopfen?

Langsam wanderte Hanspeter dem Dorf entgegen, gebeugt, mit baumelnden Fäusten. Als er heimkam in den Waldhof und seine firnisduftende Stube betrat, gab es was zu lachen für ihn. Auf dem Fenstergesimse lag ein großes, schwarzgebundenes Buch. »So so? Sellig sünt thie Ahrmen üm Kaißte. Gelt, ja? Gut kann ich's, gut!« Er streckte die Hand. »Leicht kunnt noch ebbes drinstehn von thie Ahrmen üm Härtzen? Ja?« Da sah er den Sessel der Jungfer Kathrin stehen und fühlte mit zitternden Fingern an den glänzenden Anstrich. »Ja! Jetzt is er trücken, der Firneis.« Den prüfenden Blick eines Sachverständigen in den Augen, hob er dieses Ungeheuer von einem Sessel auf und betrachtete es von allen Seiten. »D' Jungfer Kathrin kann z'frieden sein.« Er stellte den Sessel nieder, so kräftig, daß der Plumps, mit dem die Beine auf den Boden fuhren, wie der Hall eines Schusses anzuhören war.

»Mar' und Joseph!« zeterte draußen im Flur eine Weiberstimme. Die Hausmagd streckte den Kopf zur Tür herein. »So? Bist wieder amal daheim, du Narrenschüppel du übergwichtiger!« Sie warf die Türe zu und kehrte scheltend in die Küche zurück. Da hörte sie Schritte über die Treppe herunterkommen.

Roman war's.

Seit er bei grauem Morgen verstört und übernächtig ins Haus geschlichen, war er aus seiner verriegelten Kammer nicht mehr zum Vorschein gekommen. Er hatte den Vater schelten lassen, hatte die Stimme der Magd überhört, die ihn zum Mittagessen rief, und hatte einen festen Schlaf getan, als wär' es für ihn eine dringende Notwendigkeit gewesen, die schlummerlosen Stunden der letzten Nächte ausgiebig nachzuholen. Romans Aussehen hatte sich bei dieser segensreichen Schlummerkur erstaunlich gebessert. Auch unter dem Dach seiner Gedanken schien es merklich klarer geworden. In der Art, wie er die Treppe herunterkam, hatte er das Ansehen eines Menschen, der weiß, was er will. Und es schien ein wichtiger Gang zu sein, den er vorhatte. Obwohl der Karsamstag bis zur Auferstehungsfeier abends um sechs Uhr als Werkeltag gerechnet wird, hatte Roman sich so feiertäglich aufgeputzt, als ging' es nicht erst zur Repetition des Brautexamens, sondern gleich zur Hochzeit. Es fehlte nur das Sträußl auf dem Hut und in der Hand die Zitrone mit dem Rosmarinzweig.

»He, du!« rief ihm die Hausmagd zu. »Jetzt is er daheim, der Hanspeter.«

»So? Dank schön! Den brauch ich nimmer. Jetzt weiß ich selber, was ich tu.«

»Dein Essen hab ich dir warmghalten. Soll ich dir's einitragen?«

Roman fragte zögernd: »Is der Vater daheim?«

»Na.«

»Meintwegen halt! Trag's eini!« Wie fest seine Stimme plötzlich wurde! »Als a Gspeister is der Mensch besser beinand. Aber tummeln mußt dich! Mir pressiert's.« Er trat in die Stube.

Es war eine flinke Mahlzeit, die er hielt.

Mit dem Taschentuch über den aufgezwirbelten Schnurrbart wischend, verließ er das Haus. Auf der Straße rannte er an den Vater hin. Der fragte brummig: »So? Hast amal ausgschlafen, du?«

»Ja! Und gut, Vater!« sagte Roman. »Jetzt hab ich an Weg, der sich nimmer schieben laßt. Aber wann ich heimkomm, muß ich dir ebbes sagen.« Und im Sturmschritt ging's die Straße hinaus.

Der Waldhofer guckte seinem Buben nach und schüttelte den Kopf. »Jetzt reißt mir der Faden aber bald! Dem muß ja rein der Vogel Narrenschopf a Nest voll Eier ins Hirnkastl einiglegt haben. Was da noch ausschlupft? Da bin ich neugierig.«

So täuscht man sich in den Menschen. Während der alte Waldhofer am Verstand seines Buben zweifelte, war Roman der Meinung, er hätte in seinem ganzen Leben keinen ›verstandsameren‹ Tag gehabt, als den heutigen. Und wäre nie noch einen klügeren Weg gegangen. Dazu noch einen so schönen Weg! Alles an diesem Wege schien ihm zu gefallen, jeder Stein und jede Karrenfurche, jede Hecke, durch die er ging. Und als eine gewisse Stelle kam, lachte Roman ganz merkwürdig. Er rückte das Hütl und schritt wieder aus. »Radl, jetzt laufst, jetzt laß ich dich rumpeln! Magst mir zum Glück laufen oder zum Unglück!« Es gibt Worte, die am Herzen hängenbleiben wie Kletten an den Kleidern. »Unglück?« Über Romans Züge ging's wie der Schatten eines letzten Bedenkens. Er schüttelte sich. »Jetzt drauf und zu! 's Glück hat Füß. Da mußt ihm nachlaufen.« Diese weise Erkenntnis brachte wieder Eile in seinen Schritt, während er über den letzten Wiesenhang hinaufstieg, hinter dem das steile Dach des Staudamergutes auftauchte.

In der Hofreut war Mickei damit beschäftigt, das Bernerwägelchen zu waschen, das von der Fahrt nach Enzdorf übel bedreckt zurückgekommen war. Als der Knecht den jungen Waldhofer sah, duckte er sich hinter das Spritzleder des Wagens und verschwand in der Scheune.

Roman trat in den Hof, ging auf das nächste Fenster zu und guckte in die Stube. Welch ein freundliches Bild des häuslichen Friedens! Mutter und Tochter im Herrgottswinkel vereint zu emsiger Arbeit! Während die Staudamerin, mit der runden Brille auf der spitzigen Nase, ihre große Schere durch einen jener schillernden Seidenstoffe gleiten ließ, aus denen die Hochzeitsschürzen geschnitten werden, trennte Julerl mit umgedrehter Nadel die rot eingemärkten Buchstaben aus dem Zipfel eines Leintuches. Sie schienen festzusitzen, die beiden roten Zeichen, und das Garn wollte sich so leicht nicht wieder lösen. Über diese Widerspenstigkeit der Fäden geriet das sanfte Julerl in üble Laune, warf die Nadel auf den Tisch und faßte das rote Garn mit den Zähnen. Unwillig blickte die Staudamerin über die Brille weg und schnitt mit der Schere in die Luft. »Du! Laß dein Gift und Gall an andere aus, aber net an mir! Wie man sich d' Suppen einbrockt, so speist man. Hättst dir's früher überlegt. Sell taun, sagt der Schwab, sell haun!« Vielleicht hätte die Staudamerin in ihrem Sprichwörterschatze noch weiter gekramt, wenn nicht in diesem Augenblick der Waldhofer-Roman in die Stube getreten wäre.

Der kam für die beiden am Tisch, als hätte der Himmel einen Kugelblitz durch die Zimmerdecke fallen lassen. Während der Staudamerin das Wort im Hals und die Schere in der Seide steckenblieb, wurde Julerl blaß und rot.

Der junge Waldhofer drehte den Hut zwischen den Händen. »Guten Abend beinand! Jetzt bin ich da. Lang umanandreden, dös hat kein' Verstand. Gscheider, ich sag's gleich aussi, wie's is!« Er sprach mit fester Ruhe. »Mein Tisch muß sauber sein. Und was man zammbunden hat in der Ordnung, dös muß man in der Ordnung wieder ausanandkletzeln. Ja, Staudamerin! Jetzt hat sich halt alls a bißl umdraht. Mein Verspruch mit Enkerer Julei –«

Weiter kam er nicht. Die Staudamerin, mit der Schere in der Hand, war hinter dem Tisch hervorgeschossen. »Jesses, jesses, ja grüß dich Gott! Und grad heut mußt kommen! So a gienstiger Zufall! Grad heut, wo ich mir's eh schon fürgnommen hab, daß ich deim Vatern an Bsuch mach.« Ihre Stimme surrte wie ein hölzernes Rädl, das vom Wind getrieben wird. »Freilich, ja, jetzt hat sich a bißl ebbes umdraht!« Sie kicherte. »Müssen wir's halt in der Ordnung ausanandkletzeln. Mit dir und mit der Julerl, ja! Mein Vetter in Enzdorf – gelt, den kennst ja? – freilich, von die ganz Jungen is er keiner nimmer. Aber a lieber Mensch! Und Sach hat er! Ah, da kriegt's eine schön, bei dem! Wittiber is er, weißt!« Ein meckerndes Gelächter. »Den hat die erste schon kampelt, da braucht sich die zweite nimmer plagen. Und völlig narret is er vor lauter Lieb. Was will ich denn machen? Gut is gut, aber besser is besser. Haben tut er mehr wie du! Und der hochwürdige Herr von Enzdorf macht mit'm Katechism keine söllenen Diffiziligkeiten, wie der unsrig. Morgen, am heiligen Ostertag, da wird mei' Julerl in Enzdorf drent schon 's erstmal verkündt. Der Vetter macht's flinker wie du. Hehe! Und über drei Wochen is Hochzet. Wirst uns d' Ehr net versagen, gelt?« Lachend klappte die Staudamerin ihre Schere zu.

Verblüffung, Erleichterung und Freude, alles wühlte kraus in Roman durcheinander. Eine Weile schien es, als hätte er die Sprache verloren. Dann brach es aus ihm heraus: »Ah soooo? Pfüe Gott beinander!« Mit jäher Schwenkung drückte er den Hut übers Haar, und ohne noch einen Blick für das sanfte Julerl zu finden, schoß er zur Stube hinaus.

Er hatte die Haustür noch nicht erreicht, da kam's mit wehendem Röckl hinter ihm hergehuscht, und zwei runde Grübchenhände faßten ihn bei der Joppe. »Roman!«

Er sah in das glühende Gesicht der Julei, in diese heißflimmernden Augen, die ihre sanft polierten Kapellentürchen ganz verloren hatten.

»Schau, laß dir sagen! D' Mutter halt! Was will ich denn machen? Aber du bist der einzig, den ich mögen hab. Und gelt, der bleibst mir?«

»Julei!« klang aus der Stube die kreischende Stimme der Staudamerin. »Eini gehst! Gleich auf der Stell kommst eini!«

»Ja, Mutter!« erwiderte Julei laut. »Pfüe Gott sagen wird man wohl dürfen!« Und wieder flüsterte sie an Roman hinauf. »Geh, schau, auf Enzdorf umi, so a Sprüngerl Weg!« Ganz lind und zärtlich war ihre Lispelstimme geworden. »So a bisserl Plag! Dös wird dir ja doch net z'viel sein? Für mich? Und wie öfter als kommst –«

Da schlug er den Joppenzipfel mit der Faust aus ihren Händen. Und lachend ging er davon. Und als er das Zauntor des Staudamerhofes hinter sich hatte, schrie er in den trüben Tag einen gellenden Jauchzer hinaus.

Das runde Grübchengesicht entfärbt, stand Julerl vor der Haustür. Alle Sanftmut ihrer blauen Unschuldsaugen war in funkelnden Zorn verwandelt.

Nun eine leise Stimme hinter ihr: »Hätt mir denkt, daß er anders davonging!«

Wie von einer Natter gestochen, zuckte das glückliche Bräutl auf. Im ersten Augenblicke schien's, als möchte Julerl mit den kleinen Fäusten auf Mickei losdreschen, wie es die Staudamerin mit dem großen Besen getan. Doch sie faßte den Knecht nur an der Brust. Und zischelte: »Du! Heut is Karsamstag. Heut zahlst mich aus. Wann morgen die ander noch im Ort is –« Mit schrillem Ton, wie bei einem mißglückten Jodler, schlug ihre Stimme um.

Draußen auf den Wiesen klang ein Jodler, der nicht mißglückte. Und dann kam ein tiefsinniger Vierzeiler, den der Dichter Volk vorausahnend und extra für den Waldhofer-Roman erfunden zu haben schien:

»Auf d' Freit bin ich gangen,
Hab 's Wegerl net gwißt,
Bin dorten hingraten,
Wo 's Saustallerl ist!«

Julerls Augen schossen einen Zornblick über die Staketen, während Mickei schmunzelte: »Verlaß dich auf mich! Es gschieht noch ebbes, heut auf'n Abend.« Er beugte sich zu Julerls Ohr. »D' Mutter hat mir aufgsagt. Aber du? Nimmst mich als Knecht?«

»Morgen erfahrst es!« Sie trat ins Haus. Auf der Schwelle blieb sie stehen. Sie wollte sich nicht umschauen. Aber es zog ihr mit Gewalt den Blick herum und auf die Wiesen hinaus – ein Blick, so verstört, als sähe die glückliche Braut des Vetters von Enzdorf etwas Schönes in dunklem Wasser versinken. Und wahrhaftig, das unschuldige Julerl hatte Tränen in den blauen Taubenaugen, während da draußen, wo sich die Wiesen senkten, der Waldhofer-Roman sang:

»'s Glück, dös hat d' Füßln flink,
Rumpelt im Saus,
Bald dich net tummeln tust,
Kommt's dir noch aus!«

So rannte er singend über die Wiesen hinunter, und zwischen Jauchzen und Jodeln lachte er immer vor sich hin. Wie einer, der den Arm gebrochen und einen Monat lang den Holzverband und den gipsgetränkten Wickel trug – nun sind ihm die Schindeln abgenommen, die Binden sind gelöst, und da bewegt er den geheilten Arm, in allen Gelenken dreht er ihn, und meint, jetzt wäre der Arm noch besser und kräftiger als zuvor – genau so machte es der Roman mit seinem zerbrochenen Lachen, das ihm plötzlich gesund und heil geworden.

Freilich, als er im Waldhof vor der Haustür hielt und von der Küche her die Stimme des Vaters hörte, fuhr ihm doch ein ernster Gedanke durch den lustigen Verstand. »Sakra, sakra! Da wird's Beißen kosten.« Er streckte sich. »Packen wir's an!«

Im Hausflur trat ihm der Alte entgegen, schon festlich gekleidet für die Auferstehungsfeier, aber nicht in festlicher Osterlaune. »So? Treibt dich d' Narretei amal heim, statt allweil aussi zum Loch?«

Roman nahm den Hut ab. »Komm in d' Stub eini, Vater! Ich muß dir ebbes sagen.«

Diesem Ernst gegenüber wurde der Waldhofer mißtrauisch. »Jetzt bin ich aber neugierig, was für a Kerndl aussischlupft aus deiner narreten Zwetschgen?«

Als die beiden in der Stube voreinander standen, begannen die Kirchturmglocken zur Auferstehungsfeier zu läuten. Das klang so schön und stark, als hätten die Glocken im Schweigen des Karfreitags neue Kräfte in den erzenen Kehlen gesammelt, um mit hallender Macht den heiligen Osterfrieden auszurufen.

»No also?« brummte der Waldhofer. »Tummel dich a bißl! Wegen deine narreten Liebsgschichten versaum ich d' Auferstehung net.«

Roman strich mit der Hand übers Haar. »Liebsgschichten? Ah ja! Weit hat der Vater net fehlgraten.«

»Müßt man ja Hühneraugen im Gsicht haben, wann einer da nix merken tät!« Der Waldhofer lachte. »Wirst dich halt mit der Julerl wieder gstritten haben, gelt?«

»Gstritten?« Roman schmunzelte. »Ah na! In aller Ruh is die Sach ausanandgangen.«

Der Waldhofer hob den Kopf. »Ausanand?« Das Wörtl dehnte sich auf seiner Zunge. »Was ausanand?«

»No ja, jetzt bin ich grad bei der Staudamerin gwesen, und da hat mir d' Staudamerin gsagt, daß ihr Julei –« Roman stockte. Sträubte sich seine Ehrlichkeit dagegen, den ›Vetter von Enzdorf‹ als willkommenen Nothelfer anzurufen? Er schüttelte den Kopf. »Was geht denn mich die ander an? Die kann heiraten, wen s' mag. Ich mach's gradso. Es brockt a jeder sein Glück, wo's gwachsen is.« Ohne das Staunen zu beachten, mit dem der Waldhofer diese dunklen Weisheitssprüche vernahm, schleuderte Roman seinen Hut in die Fensternische. »Enker Julerl, Enker unschuldigs? Ah na! Da weiß ich mir ebbes Bessers. Und da kann der Vater jetzt sagen, was er will. Jetzt laß ich nimmer luck. Und net um d' Welt! Und d' Ilsabeth muß ich haben. Die is mir die liebst. Die mag ich. Und wann sich der Vater auf'n Kopf stellt!«

Der Waldhofer machte nicht den geringsten Versuch, dieses Seiltänzerstückl auszuführen. Es schien vielmehr, als hätte ihm der Schreck alle Glieder in Stein verwandelt. »Mar' und Joseph! Mandi? Bist übergschnappt?«

Im gleichen Augenblick verstummte das schöne Friedensgeläut der Kirchenglocken, und in der Stube herrschte, was man ›Schwüle vor dem Sturm‹ zu nennen pflegt In dieser Stille fing die Stubentür zu zittern an. Peter Johannes Zdazilek wanderte durch den Hausflur. Er kam aus seiner Kammer und schleppte seine todestraurigen drei Zentner in den Hof hinaus. Wie ein Sämann die Schürze mit dem Samen trägt, so hatte er einen Wettermantel um die Hüften gebunden. Der Inhalt des Mantels schien an Hanspeters gebeugten Schultern zu ziehen, als hinge ein Felsklumpen im Bausch der aufgerafften Tuchzipfel. Doch diese Last war in Wahrheit so leicht, daß der Wind das gefüllte Säcklein des Mantels ohne Mühe bewegen konnte.

Als Hanspeter ins Freie trat, brach in der Stube das scheltende Wetter los. Man hörte einen dröhnenden Faustschlag auf der Tischplatte und eine wütende Standrede des Bürgermeisters, mit der die Stimme Romans zu einem unverständlichen Wortgewirr zusammenklang. Es war ein Spektakel, der einen Toten hätte erwecken können. Da mußte auch Hanspeter merken, daß er noch Ohren hatte. Er ließ einen Blick über die Stubenfenster hinkriechen. Eine müde Wehmut regte sich in seiner amtlich versiegelten Apostelseele. »Soviel gut sind s', d' Leut! Und der Mandi ghört auch schon dazu! Mein einziger und letzter!« Seine Augen suchten den grau verschlossenen Himmel. »Lus auf, du da droben! Vater und Bub! Und streiten wie Hund und Katz.« Seufzend ließ er das ›driedoppelte Köpfl‹ sinken. »So hat er s' gmacht. So müssen s' halt sein. Die macht kein Buckleter nimmer anders.«

In den Bausch des geschürzten Mantels greifend, wanderte er auf die Straße hinaus. Seine heißen, trockenen Augen suchten. Als er bei der Hecke des Nachbarhauses ein Bübchen und zwei kleine Dirnlein spielen sah, schien er gefunden zu haben, was er suchte. Er ging auf die Kinder zu, nahm aus dem Bausch des Mantels achtsam ein zierliches Kirchl hervor und bot es auf wackliger Hand dem Bübchen hin. »Kindl? Magst Häuslzuig haben? Da! Nimm! Dir kunnt's noch a bißl Freud machen. Gelt, ja?« Dazu lachte er mit seiner dünnen Stimme.

Erschrocken drückten sich die Kinder gegen die Hecke und guckten scheu am Hanspeter hinauf. Sie schienen sich vor seinem Gesicht zu fürchten, vor seinen Augen, vor seinem Lachen. Aber das glitzernde Spielzeug lockte. Und das Bürschl – aller Angst zum Trotze – streckte die Hände und nahm.

Hanspeter griff in den Mantel. »Und du, Maderl! Da schau! Kriegst a Schweizerhäusl.« Er schenkte. »Und du! Schau, kriegst a Holzerhüttl, so a liebs! Da, nimm! Hab allweil glogen, hab allweil gsagt: es ghört für'n Nachber seine Kinderln, ja! Da habts es jetzt!« Hanspeter schenkte.

Die Kinder, in Angst und Freude den Dank vergessend, liefen davon wie kleine Diebe, die einen Raub zu bergen haben. Da verging dem Peter Johannes Zdazilek das Lachen. Er griff mit zuckender Faust hinter den Kindern her, als möchte er wiedernehmen, was er gegeben hatte. So stand er eine Weile. Dann fiel ihm der Arm herunter.

Er ging zum nächsten Haus. Hier saß ein Bürschl auf einer Säule des Staketenzaunes und dudelte auf einer Weidenpfeife. »Büberl? Magst Häuslzuig haben? Schau her, ich schenk dir ebbes!«

Als Hanspeter dem Buben ein schimmerndes Kapellchen hinaufreichte, merkten die vier Kinder des Nachbars gegenüber, daß es beim ›Ratzenspeckerl‹ etwas zu holen gab. Sie kamen gelaufen. Es dauerte nicht lange, und ein Kreis von lärmenden Kindern, alle die Händchen streckend, umdrängte den schenkenden Apostel. Die Kirchgänger, die zur Auferstehung wanderten, blieben auf der Straße stehen und sahen lachend zu, wie Hanspeter mit den kleinen Kostbarkeiten seines Lebens hausieren ging. »Gelt, ja«, rief ihm ein grauköpfiges Weibl zu, »merkst halt, daß bei die alten Eseln nix mehr zum ausrichten is? Und tust dich mit deiner Lieb an die Kindln halten? Hast recht!«

»Du!« Hanspeter richtete sich auf, daß er über die Kinder hinausragte wie ein Berg über die kleinen Hügel. »Mit der Lieb laß mich aus, du!« Seine Augen funkelten.

Die Kinder lärmten mit erhobenen Händchen: »Ratzenspeckerl, a Kirchl mag ich! Katzenfleckerl, a Häusl schenk mir! Geh, Spatzenschreckerl, mir gib eins!«

Wortlos beugte sich Hanspeter zu den Kindern nieder, griff in den Mantel, immer wieder, und schenkte ein Stücklein Spielzeug ums andre her. Als er das letzte gegeben hatte, band er den Mantel von der Hüfte los und schüttelte ihn aus. Kleine weiße Spänchen, Goldflitter, Baumbartflocken und Glassplitter fielen zur Erde. Hanspeter starrte auf den winzigen Schimmer, der im Staub versank. Und er stand schon allein. Mit lärmendem Jubel hatten sich die beschenkten Kinder nach allen Seiten zerstreut.

Da kam unter den Kirchgängern ein Bursch die Straße herunter. Der trug auch einen Wettermantel, aber nicht in der Faust wie Hanspeter, sondern um die Schultern. Und der Mantel machte einen Buckel, als wäre was verborgen unter ihm.

»So so?« rief ein Mädel dem Burschen zu. »Bist von die Fürsichtigen einer? Tragst schon aufs Regnen an?«

»Ja!« erwiderte der Staudamer-Mickei lachend und zog den Mantel enger um den gehöhlten Arm. »'s Wetter is ungwiß. Man kann net wissen, was heut noch kommt auf'n Abend.«

Hanspeter, als er diese Stimme hörte, reckte sich auf. Wie ein Baum stand er inmitten der Straße, grub die Fäuste in das Tuch des leer gewordenen Mantels und sah dem Staudamer-Mickei nach, das Gesicht wie Asche, die Augen wie Feuer.

»Paß auf, du! Dir lies ich noch ebbes für!«

Da fingen die Glocken wieder zu klingen an.


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