Ludwig Ganghofer
Der Dorfapostel
Ludwig Ganghofer

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Zehntes Kapitel

An diesem Sonntagmorgen erging es dem jungen Waldhofer, wie es am letzten Sonntag in der Früh dem Hanspeter ergangen war: man mußte mit Fäusten an die Tür seiner Stube trommeln, damit er nicht die Kirchenzeit verschlief.

»He! Bub! Willst ebba ins ander Säkuli ummi schlafen?«

Als Roman sich halb ermunterte und die Stimme des Vaters erkannte, schoß ihm eine Erinnerung durch die schlafschweren Sinne. »Du! Vater!«

»Was?«

»Der Hanspeter möcht reden mit dir. Sei so gut und schau a bißl eini!«

»No ja, meintwegen! Und du, Bub, tummel dich! Es is ebbes da für dich. Da kannst dei' Freud dran haben.«

Lachend ging der Waldhofer über die Stiege hinunter und in Hanspeters Kammer. Da spürte man noch allen Qualm, den die ausgebrannte Lampe zurückgelassen. »Sakra, hat's da herin a Düftl!« Der Waldhofer riß das Fenster auf; und weil auch die Türe noch offenstand, blies die frische Morgenluft mit kräftigem Hauch in die Stube. Ein Bündel Sonnenstrahlen flimmerte mit schrägem Band durch das Fenster herein und warf über die geblumten Kissen und über die Brust des Kranken ein Zitterspiel von goldigen Lichtern. Hanspeters Gesicht lag im Schatten eines Kissenzipfels, doch seine Nase bekam von der Sonne noch etwas ab – und das war ein merkwürdiger Anblick: dieses leuchtende Knöpfl inmitten des grauen, übernächtigen Gesichtes mit seinen grünen und bläulichen Sprenkeln, mit den schwarzen Ringen des Lampenrußes um die Augen, um die Lippen und um die Nasenlöcher. Es war dem Waldhofer nicht zu verdenken, daß er bei diesem Anblick lachen mußte. »Mensch, du schaust ja aus wie der Stieglitz, eh daß er d' Federn schiebt!«

Hanspeter haschte den Bürgermeister am Rockflügel und zog ihn zu sich ans Bett. »Waldhofer, um Christi willen, wann heut in der Gmein um der Nannimai ihr Häusl ghandelt wird, so tuts mir den Gfallen, Waldhofer, und redts für dös arme Weibl a Wörtl in der Güt!«

»No ja, meintwegen!«

»Geld is Geld, Waldhofer! Mein Geld is gut. Tuts abstimmen lassen über mein' Antrag! Fufzg Markln hab ich boten. Mehrer hab ich net, sonst tat ich mehrer geben. Aber fufzg Markln hab ich. Im Kasten hab ich s' drin. Soll ich s' Enk gleich mitgeben?«

Hanspeter wollte aus dem Bett springen. Aber lachend schob ihn der Bürgermeister in die Kissen zurück. »Jetzt gib an Fried, du Narr! Und laß dein Geld im Kasten!«

»Waldhofer! Schauts mich an, Waldhofer! Wann ebba 's Geld net gnug wär? Schauts mich an.« Hanspeter zerrte an der Brust das Hemd auseinander. »Schauts mich an und laßts mein Blut und mein' Wehdam a wengl mitzahlen. Blut is noch besser wie Geld.«

»No ja!« Halb lachte der Bürgermeister noch. Aber der Anblick dieses blutgesprenkelten Märtyrers, der seine Wunden für die Not eines armen Weibes betteln ließ, schien ihm doch ein wenig ans Gemüt zu greifen. »Bist a guter Kerl! Und jetzt gib dich z'frieden! Wann die andern net ihre bockbeinigen Schädeln aufsetzen, laßt sich vielleicht ebbes richten. Ich tat's schon dem guten Madl z'lieb. Aber no, wie's halt geht. Der Burgermeister is allweil der letzt. Aber laßt sich die Gmein ebbes sagen von mir, so soll die Alte ihr Häusl bhalten. Und pfüet dich Gott jetzt!«

Das war nun freilich ein magerer Trost. Aber ein Trost war es doch, und Hanspeter atmete ein wenig leichter. Er dachte auch an die Zwiesprach, die er in der Nacht mit seinem Herrgott gehalten. Und just, als wollte ihm der Himmel eine deutliche Antwort geben, so fingen im gleichen Augenblick die drei Glocken des Kirchturms zu läuten an. Zusammen mit der hellen Morgensonne schwammen die hallenden Klänge durch das offene Fenster in die kleine Stube herein, daß sie ganz erfüllt war mit Licht und schwebendem Getön. Hanspeter nahm das wie eine Verheißung Gottes. Seine müden Augen glänzten auf, während er das gesprenkelte Gesicht bekreuzte.

Auch der Waldhofer, draußen im dunklen Gang vor der Türe, hörte die Glocken läuten. Und dachte: »Is denn schon Viertel auf Neune?« Er sah nach der Uhr. »Natürlich, wieder läuten s' um fünf Minuten z'fruh!« Als er in den Hausflur kam, stieg Roman in seinem Sonntagsstaat gerade die Treppe herunter. Lachend faßte ihn der Waldhofer bei der Joppe, öffnete die Tür der Wohnstube und gab seinem Buben einen Schubbs. »So! Jetzt machts enkern Fried mitanand!«

»Ah, da schau!« stotterte Roman in der ersten Freude. Diese Freude hatte eine merkwürdige Ähnlichkeit mit ratlosem Schreck.

Auf der Wandbank, in der schönsten Sonne, saß die Staudamer-Julei. Wie ein lebendig gewordenes Farbenkästl war sie anzusehen: um die Schultern das buntgeblumte Fransentuch, auf dem Hütl ein Sträußchen der roten Geranien, die zur Winterszeit in den Stuben blühen, und um den Schoß die Seidenschürze, die in der Sonne bald blau wie der Himmel, bald rot wie Feuer schillerte. Ihr Hals und ihre Brust waren umzittert vom Gefunkel der silbernen Ketten und Schaumünzen. Und unter dem Schatten der Hutkrempe blühte das rosig verlegene Grübchengesicht, in den frommen Taubenaugen glänzte der sanfteste aller Unschuldsblicke, und ein verschämtes Lächeln spielte um das kirschrote Mäulchen – ein Tischlein, das gedeckt war für den Verliebten.

Doch Roman stand wie ein Klotz bei der Türe. »Du bist da?«

Sie nickte. »Is net 's erstmal heut!«

»So? Freilich, hat mir's ja der Vater gsagt!«

Julei schwieg, legte das hübsche Köpfl auf die Seite und lächelte. Da schien sich zu Romans Erregung noch die Verwunderung zu gesellen. Wieder etwas Neues an ihr: dieses Lächeln! Das kannte er nicht. Noch immer schwieg sie, als hätte sie auf irgend etwas zu warten. Weil aber nichts geschah, verzog sie den roten Mund wie ein verdrossenes Kind. »Geh, du!« Dann sagte sie ernst: »Eins muß doch nachgeben!« Sie erhob sich, streckte die Hand und ging auf Roman zu.

Der sah in der Stube umher, wie einer, der etwas vermißt. »Wo hast denn d' Mutter?«

In Juleis sanften Augen zuckte ein Blitz des Ärgers auf. »Bin dir ebba ich allein net gnug?«

»Du allein, dös bin ich halt net gwöhnt.«

»Weil ich der Mutter davon bin, dir z'lieb!« Ganz Sanftmut war sie wieder. Und während sie immer die Hand gestreckt hielt, lispelte sie verlegen: »Wann ich mein Unrecht eingsehen hab? Und wann ich dir's abbitten tu? Da kannst doch auch nimmer so sein? Oder ja?« Zögernd nahm er Juleis Hand. Und da lächelte sie rosig zu ihm auf. »Bist mir wieder gut?«

»Freilich, ja!«

»Schatzl!« Sie wollte den Arm um seinen Hals legen.

Aber da nahm er seinen Hut von der Ofenstange. »Jetzt müssen wir uns tummeln, sonst kommen wir zum Segen z'spat. Zammgläut haben s' schon.«

Dieser jähe Abbruch der Versöhnungsfeier schien Julei nicht zu beunruhigen. Lächelnd sah sie mit unschuldigen Augen zu ihm auf.

Er drückte den Hut übers Haar. Doch als er schon die Türklinke in der Hand hielt, sah er das Mädel forschend an. »Eins mußt mir noch sagen!«

»Was denn?« Sie lächelte. »Heut darfst alls von mir verlangen.«

»Is dös wahr, daß enker Mickei bei der Lausbüberei dabeigwesen is, die s' am Herrn Pfarr verübt haben?« Er bohrte die funkelnden Augen in ihr Gesicht.

Aber Julerl wurde nicht rot, wurde nicht verlegen und erschrak nicht. Ruhig hielt sie den Spürblick seiner Augen aus. »Ob er dabeigwesen is oder net, da bin ich mir selber net gwiß. Zutrauen dürft man's ihm schon! Wann's aber wahr is, was d' Jungfer Kathrin aussagt, daß d' Fensterscheiben um Eins in der Fruh gscheppert haben, so muß er unschuldig sein.«

»So?«

»Ja! So viel Kümmernis hat's mir gmacht, daß mir harb bist, und gar net schlafen hab ich können, am Sonntag auf d' Nacht. Und da hab ich's hören können, ganz gnau, wie er heimkommen is. Ich schlaf ja bei der Mutter in der Kammer, dös weißt doch.« Sie seufzte und schmunzelte ein wenig. »Und da hört man alls, was im Hausgang gschieht. Ja. Und erst dernach hat's Zwölfe gschlagen, auf unserer Uhr in der Stuben draußt. Mehr hab ich net aussagen können.«

»Julei? Und dös is wahr?«

»Aber gwiß!« beteuerte sie ehrlich und sah ihm in die Augen auf jene Art, die man treuherzig zu nennen pflegt.

Schwül atmend, rückte Roman den Hut. »No ja! Müssen wir halt gehn!« Er trat in den Flur. Schmunzelnd ging Julerl hinter ihm her und schob ein klein wenig die rosige Zungenspitze zwischen den Lippen hervor.

Mit dem Kopf voran, als ging' es durch Sturm und übles Wetter, marschierte Roman in den sonnigen Morgen hinaus und machte Schritte, daß Julei trippeln mußte, um sich an seiner Seite zu halten. Auf der Straße schmiegte sie sich im Schnellschritt an seinen Arm und faßte seine Hand. Roman wich auf die Seite. »Dös laß gut sein! So ebbes mag dei' Mutter net leiden. Und auf der Straßen! Daß uns d' Leut auslachen!« Aber die Straße war leer. Von allen Kirchgängern waren der Roman und sein Bräutl die letzten.

»Geh, du! Soviel nachträgerisch bist!«

»Ich bin halt, wie ich bin. Umdraxeln kann ich mich net.«

Die Sonne schien nicht so heiß, daß man eine nasse Stirn bekommen konnte. Und dennoch nahm Roman den Hut ab und fuhr mit dem Taschentuch über das Gesicht. Die Hitze, die in ihm kochte, schien sich zu steigern, je näher sie der Kirche kamen.

Julei sah ihn von der Seite an. Immer unruhiger wurde ihr Blick. »Schatzl! Was hast denn?« fragte sie mit aller Zärtlichkeit einer liebenden Seele.

»Sorgen hab ich!« fuhr's ihm gallig heraus. »Jetzt liegt der arme Mensch daheim, und 's ganze Haus is leer. Wann er ebbes braucht!«

»Der hat ja sei' Pflegschaft. Oder net?«

»Was weiß denn ich!« Mit zornblitzenden Augen sah Roman sein sanftes Bräutl an. »Die kann ja gradsogut in der Kirch sein! Telegraphiert hat s' mir's net. Und jetzt kann er daliegen, der arme Hascher, allein und verlassen!«

Julerl blickte lächelnd zu ihm auf. »Wann keins daheim is, kunnten ja wir zwei heimgehn? Und den Hanspeter pflegen?«

»Du und ich? Da dank ich schön! Dös wär die richtige Pflegschaft!« Mit treibenden Schritten marschierte er weiter. »Hoffentlich wird 's Madl beim Hanspeter sein. Und net in der Kirch!«

Bei seiner Eile war Julei ein bißchen zurückgeblieben. »Mußt ja an ihrem Stuhl vorbei!« Sie kicherte. »Da siehst es ja.«

Er lachte heiser und machte noch längere Schritte.

Bei der Kirchentüre, vor der die Frommen standen, die in der Kirche keinen Platz finden wollten, gab es ein kleines Gedränge, bis Roman durchkam. Julei hatte sich an seine Joppe geklammert. Und da sah sie zwischen den anderen Köpfen das schmunzelnde Gesicht des Mickei. Ihre Taubenaugen schossen einen Zornblick nach dem Knechte.

Beim ersten Schritt in die Kirche spähte Roman nach den Betstühlen im hintersten Winkel. Zwei Plätze waren leer. Aufatmend tauchte er die Hand in das Weihwasserbecken und huschte über die Stiege zur Emporkirche so flink hinauf, als ging' es zum Tanzboden.

Julei mußte, weil die Plätze des Staudamerhofes in der ersten Reihe waren, durch die ganze Kirche nach vorne gehen. Mit niedergeschlagenen Augen, sittsam, wie es der Unschuld eigen ist, und ohne das Röckl um das leiseste Schwenkerchen zu drehen, wanderte sie zwischen den musternden Augen hindurch. Wer sie ansah, mußte an ihr sein Wohlgefallen haben. Nur Herr Felician Horadam – er stand im weißen Chorhemd schon auf der Kanzel – runzelte die Stirne. Just hatte er die Predigt beginnen wollen; doch als er die verspätete Kirchgängerin sah, wartete er, bis sie ihren Betstuhl erreichte. Hier empfing die Staudamerin ihr frommes Kind mit einem wütenden Blick. Und nun bekreuzte sich Herr Felician und sprach das Gebet vor der Predigt.

Eine seltsame Spannung schien in der Kirche zu herrschen; auf vielen Gesichtern sah man ein leises Lächeln, auf anderen den Ausdruck einer unruhigen Scheu. Alle erwarteten, daß es heut eine ganz besondere Predigt geben würde. Die eingeworfenen Fensterscheiben und den blutig gestochenen Apostel der christlichen Nächstenliebe würde der Hochwürdige sicher nicht mit Schweigen übergehen. Und noch etwas anderes reizte die allgemeine Spannung. Das Evangelium dieses Sonntags lautete: »Jesus treibt einen Teufel aus.« Das paßte! Und vermutlich hatte die Häuslschusterin recht gut gewußt, warum sie gerade an diesem Sonntag ans der Kirche fortblieb.

Herr Felician Horadam aber schien es übersehen zu wollen, welch ein Thema an der Sonntagsordnung war. Ohne das Evangelium zu lesen, begann er gleich: »Andächtige in Christo! Meine geliebten Pfarrkinder!« Er ließ noch einen Blick durch die ganze Kirche gleiten, und als er im hintersten Winkel die beiden leeren Plätze sah, schnitt sich ein Zug des Kummers in sein gutmütiges Faltengesicht. Mit ruhiger Stimme begann er zu predigen – nicht von einem Teufel, der ausgetrieben werden soll –, sondern von der alles erhaltenden, unversiegbaren Güte Gottes, die den Frühling erschuf, um nach hartem Winter jeder frierenden Not des Lebens neue Wärme zu spenden. Wie die Luft, diese Nahrung alles Lebens, auch in die dunkelsten Schlünde der Erde dringt, so quillt die Güte des Herrn mit jedem Regentropfen und Sonnenstrahl vom Himmel herab in den Schoß der Erde und belebt in jeder Scholle die schlummernden Keime. Und was für den brachen Acker der gesunde Same ist, der aus der Hand des Sämanns fällt, das ist für ein schwaches und irrendes Menschenherz jeder Gedanke der Einsicht, jede Regung der Reue nach einer Tat, die nicht gut gewesen. Das ist Gottessame, und jedes Herz, das diesen Samen empfängt und keimen läßt, wird blühen und Ähren tragen.

Das war sein Thema. Fast eine Stunde sprach er. Mit beiden Händen griff er immer wieder über die Brüstung der Kanzel hinunter, als möchte er die Herzen dort unten mit Fäusten packen.

Und ein Herz, das hatte er gepackt. Jungfer Kathrin weinte, daß ihre gestärkte Halsbarbe von den fallenden Tränen mürbe wurde und aus der Form geriet. Und auch sonst noch manch ein altes Weiblein hatte feuchte Augen, manch ein alter Bauer nickte zustimmend: »Heut macht er's gut!« Doch auf der Emporkirche, wo die ledigen Burschen ihre Plätze hatten, saß einer, der nicht zu hören schien, sondern brütend vor sich hin starrte und manchmal einen ratlosen Blick hinuntergleiten ließ zu der Stelle, wo die Plätze des Staudamerhofes waren. Die anderen Burschen aber paßten auf wie der Star aufs Pfeifen; bei jedem Wort, das sich halbwegs deuten ließ, gab's ein Gewisper und Getuschel; und als die Stunde schon fast vorüber war, drehte bald der eine, bald der andere das erstaunte Gesicht seinem Nachbar zu, wie um zu sagen: »Was is denn? Mir scheint, es kommt nix?«

Beim Amen erhoben sich alle in der Kirche von ihren Sitzen. Das gab ein Geräusper und ein Scharren mit den Füßen, daß es klang, als führe ein Bretterwagen über groben Kies. Doch plötzlich wurde es wieder still in der Kirche. Herr Felician hatte die Kanzel nicht verlassen, und alle merkten, daß er noch etwas zu sagen hatte. Da fing er auch schon zu sprechen an: »Meine lieben Pfarrkinder! Die geistliche Sonntagspredigt ist vorbei, und ich will hoffen, daß von dem Samen, den ich aus meinem Seelsorgerherzen herausgestreut habe, manches Körnlein auf guten Boden fiel! – Aber jetzt hab ich noch etwas Weltliches zu sagen.« Wie sie die Ohren spitzten! Und Jungfer Kathrin erschrak, daß sie zu zittern anfing. »Die Kanzel ist freilich nicht der Ort für weltliche Angelegenheiten. Aber weil es ein Dank ist, den ich öffentlich aussprechen möchte, so wird mir's der liebe Gott gewiß nicht übelnehmen, wenn ich das auf der Kanzel tue! – Seht, meine lieben Pfarrkinder, es war schon lange mein Wunsch, den Vorplatz vor meiner Haustür pflastern zu lassen. Aber bei meinem bescheidenen Einkommen hab ich mir immer denken müssen, daß mich das Sammeln und Herführen der nötigen Steine ein bisserl viel kosten wird. Aber nun haben mir unbekannte Wohltäter in der letzten Sonntagsnacht so viel Steine ins Haus getragen, daß ich das schönste Pflaster davon bekommen habe. Dafür sag ich diesen Wohltätern meinen herzlichen Dank. Ich habe dem Pflaster die Form eines Kreuzes geben lassen. Und wenn in Zukunft einer von diesen Wohltätern mit einer Sorge oder einem christlichen Anliegen in den Pfarrhof kommt, und wenn er wegschreiten muß über dieses Kreuz, so darf er sich in seinem Herzen denken: Zu dem Kreuz hab ich auch ein paar Steinerln beigetragen! – So! Das hab ich noch sagen wollen!«

Fast atemlose Stille war in der Kirche, als Herr Felician sein Taschentuch zusammenwickelte und von der Kanzel herunterstieg. Als er in der Sakristei verschwunden war, gab's in der ganzen Kirche ein Köpfedrehen und ein Gesumm. Bei den Weiberleuten und dem verständigeren Teil der Männer hatte dieses kurze Nachwort ausgiebiger gewirkt als die ganze lange, gute Predigt. Und der Waldhofer war der erste, der nach der Emporkirche schaute, als möchte er hinaufschreien: »Jetzt, Buben, jetzt könnts enk schamen!« Von droben aber guckten sie ruhig herunter, ein wenig verwundert. Da wollte jeder zeigen, daß ihn die Sache nichts anginge. Dem einen und anderen stand wohl das Blut mit dunkler Röte im Gesicht, als ein Zeichen jenes Ärgers, den in bockbeinigen Naturen eine gut verabreichte Ohrfeige zu erwecken pflegt. Aber sie schluckten ihren Zorn und hielten den Schnabel im Zaum. Schließlich waren sie doch in der Kirche!

Um so lebendiger ging es draußen vor dem Kirchtor zu. Da hatten sie nur halb gehört; aber ein paar Burschen, die noch im Kirchgang gestanden, trugen den ›Dank‹ des Herrn Felician zu den anderen hinaus. Was bei diesem Wandern von Mund zu Mund aus der Sache wurde, glich einem Vogel, dem die besten Federn ausgerissen waren, bevor er in die letzte Hand geriet. Diese letzte Hand gehörte dem Staudamer-Mickei, der die Pause zwischen Predigt und Hochamt für ein paar ›Koster‹ auf seiner Pfeife benützte. Als sich die Burschen um ihn her drängten, lachte er: »Ui jegerl! Der Herr Pfarr! Fein möcht er sich aussiwuzeln! Aufbracht haben s' nix, schimpfen traut er sich nimmer, jetzt draht er d' Schokoladseiten aussi.«

Rauschend begann in der Kirche die Orgel zu spielen, ein Zeichen, daß Herr Felician mit dem Kelch zum Hochamt ging.

Mickei schob die Pfeife in die Joppentasche. »Buben! Bis zum Karsamstag halten wir uns stad! 's ander findt sich schon alles. Mein siebenhölziger Schaml hat schon seine Füß.« Da sah er, daß jemand vom untern Dorf über die stille Straße heraufkam. Er machte die Augen klein und kicherte. »Ah, schau, da kunnt man gleich a bißl Hexenprob halten!« Lachend schwang er das Bein über die Mauer.

Einer wollte ihn zurückhalten. »Mach keine Gschichten!«

»Ah was!« Seinen Arm befreiend, ließ Mickei sich von der Friedhofmauer auf die Straße hinuntergleiten. Den Hut zurückgeschoben, die Daumen im Ausschnitt der Weste, stand er und wartete, während droben im Kirchhof die Kameraden neugierig die Hälse streckten.

Raschen Ganges kam Lisbeth die Straße herauf. An einer Schnurschlinge trug sie eine irdene Raine; die Altenöderin hatte für den Hanspeter ›saure Fisolen‹ gekocht, die er gerne aß, und Lisbeth wollte dem Kranken das Gericht noch warm in die Stube bringen. Drum ihre Eile. Doch als sie den Burschen gewahrte, verzögerte sie den Schritt. Und vor der Ecke des Wirtshauses bog sie in einen Seitenpfad gegen die Wiesen ab. Droben im Kirchhof lachten die Burschen, und das wirkte wie ein Puff auf den Unternehmungsgeist des Staudamer-Knechtes. Mit ein paar raschen Sprüngen vertrat er dem Mädel den Weg. Lisbeth blieb stehen. Ruhig ließ sie die großen, dunklen Augen an dem Burschen hinaufgleiten. »Was willst von mir?«

»Wissen möcht ich gern, ob's wahr is, was alle Leut sagen?« Mickei redete laut, damit es die bei der Mauer droben hören möchten. »Ob's wahr is, daß eine, die gschmiert is mit der Besensalb, kein richtigs Mannsbild nimmer busseln darf?«

Die Empörung trieb ihr das Blut in die Stirne. Doch sie verlor ihre Ruhe nicht. »Und ich hab mir denkt, du willst nachschauen auf der Straß, ob s' vom Hanspeter her noch blutig is?«

»Ah na!« Lächelnd trat er auf Lisbeth zu. »Aber dir hätt ich gern an Gfallen tan. Geh, gib a Bussel her! Dös tät dei' Unschuld beweisen.«

Bei der Mauer droben schienen sie nicht gut zu hören, denn sie legten die hohlen Hände hinter die Ohren. Aber nun hörten sie nicht besser, sondern sahen nur, wie Lisbeth den frei gewordenen Fußweg hinunterging, während Mickei gegen die Hecke taumelte und bis an die Knie im Straßengraben verschwand.

Im Vorfrühling, wenn die trüben Bäche rinnen, ist ein Dorfgraben kein reinliches Quartier. Mickei bekam das zu merken, als er mit schlammtriefenden Beinen auf die Straße stieg. Mehr durch das schadenfrohe Gelächter seiner Kameraden als durch den üblen Ausfall seiner Hexenprobe zur Wut gereizt, drohte er hinter Lisbeth her: »Wart, du! Am Karsamstag!« Während droben die Burschen zum Kirchtor liefen, begann er in der lachenden Sonne mit seinem schön polierten Messer den Schlamm von sich abzuschaben.

Lisbeth hatte die Wiesen schon überschritten. Bis zum Waldhof war's nur noch ein kurzer Weg. Beim Anblick des stattlichen Hauses wurde ihr Gang immer langsamer. Und auf der Schwelle der offenen Haustür blieb sie ein Weilchen stehen und drückte den Arm über die Augen. Als sie zu Hanspeter in die Kammer trat, konnte sie ruhig sagen: »Guten Morgen, Peterl! Is dir's gut gwesen in der Nacht?«

»Ah, freilich, tut's schon, ja!« Es ging über sein fleckiges Gesicht, als hätte wieder die Sonne in seine Kammer hereingeleuchtet. »Jetzt muß ich a bißl gschlafen haben, weil ich 's Kirchausläuten überhört hab.« Da sah er es ihr an den Augen an, daß irgend etwas nicht richtig wäre. »Kindl? Was hast denn?«

Schweigend reichte sie ihm die Hand. Erst der Anblick seines fleckigen Gesichtes machte sie sprechen. »Peterl, wie schaust denn aus! Bist ja voller Ruß!«

»Wird wohl d' Lampen graucht haben in der Nacht.«

Sie stellte die Raine auf das Fenstergesims, tauchte das Handtuch mit dem Zipfel in den Wasserkrug und wusch die Rußflecke von Hanspeters Gesicht. Dazu lachte er ein wenig, halb verlegen und halb in Wohlbehagen.

Der Ruß war weg, die grünen und blauen Flecke blieben.

Lisbeth trat zum Fenster und nahm den Deckel von der Raine.

»Was hast denn da?«

»Saure Fisolen hat dir d' Mutter gmacht.«

Hanspeters Augen glänzten auf. »Hat sich jetzt d' Mutter wieder plagt wegen meiner!« Er setzte sich auf und glättete die Lodendecke, als bekäme sie jetzt ein kostbar Ding zu tragen.

Lisbeth stellte ihm die Raine aufs Bett, und mit Vorsicht rührte Hanspeter die Speise um. Als er den ersten Löffel nehmen wollte, begann die große Kirchenglocke zur Wandlung zu läuten. Hanspeter legte den Löffel wieder hin. Während er betete, sah er immer die Lisbeth an, als ginge ihm ein Gedanke mit Unruh durch den Kopf. Und kaum daß er sich bekreuzt hatte, fragte er: »Kindl, is ja die Kirch noch gar net aus? Warum bist denn net drin? Und grad heut wär 's Beten so viel pressanti gwesen.«

Lisbeth schwieg. Die Wahrheit wollte sie ihm nicht sagen, und lügen konnte sie nicht.

»Ilsabeth? Warum bist denn net drin?«

»Weil d' Mutter daheimbleiben hat müssen. Und da bin ich halt bei ihr blieben und hab ihr statt der Predigt fürglesen aus der Schrift.«

»So so? D' Mutter?« Das war für Hanspeter ein Grund, hinter dem es kein Denken und Fragen mehr gab. »Wo d' Mutter is, da is unser Herrgott allweil. Heut hilft er. Mit die Glocken hat er mir's gsagt und mit'm Sunnschein, ja. Der liebe Herrgott, weißt, der hat seine Parigraffi. Die sind a bißl anders wie die unsrigen. Da tu dich net sorgen, Ilsabeth! 's Häusl bleibt der Mutter.« Er begann zu essen. »So viel gut sind s', enkere Fisolen!«

Lisbeth hatte sich zum Fenster gewendet, um die Tränen fortzutrocknen, die er nicht sehen sollte.

Langsam aß er, als möchte er jeden Bissen doppelt genießen. Dazu brauchte er so lange, daß man das Hochamt schon ausgeläutet hatte, bis er fertig wurde. Nun lag er in die Kissen zurückgelehnt und konnte durchs offene Fenster das lustige Schwatzen der Leute hören, die von der Kirche kamen. »Heut muß a feiner Tag sein? Gelt? Und alles is wieder gut. D' Mutter därf sich nimmer sorgen. Und du bist da. Und den Roman hab ich seit gestern auch wieder auf gleich. Jetzt hat er s' wieder, d' Lieb!«

Lisbeth schien nicht zu hören. Neben dem Fenster stand sie an die Mauer gedrückt und starrte auf die Straße hinaus.

Hanspeter hob sich aus den Kissen. Als er Lisbeths Augen sah, erschrak er. »Kindl? Was hast denn? Als ob dir 's Glück vorbeiging und tat sich net umschaun auf dich!«

»Umgschaut hat's schon.« Sie wußte nicht, daß sie sprach. Und nun erschrak sie selbst.

»Ilsabeth?«

»Frisch Wasser muß ich dir holen!« Sie nahm den Steinkrug und verließ die Kammer. Draußen im finsteren Gang blieb sie stehen, wie von einem Schwindel befallen.

Und auf der Straße, unter der lachenden Sonne, fragte das sanfte Julerl: »Warum schaust dich denn allweil um? Als hättst den Waldhof noch nie net gsehen?«

Romans Laune schien sich in der Kirchenluft eher verschlimmert als gebessert zu haben. »Jedsmal hab ich die liebste Freud ghabt, sooft ich mein' Haushof angschaut hab. Und gar nimmer gfallt er mir jetzt. Wird ihn der Vater schon weißnen lassen müssen aufs Fruhjahr.«

Julei schmunzelte. »Ja, a bißl därf er sich schon aufputzen, der Waldhof, nach die Ostertäg.«

»So? Meinst?«

Schweigend gingen sie die Straße hin, während vor ihnen die Staudamerin zwischen dem Nachbar und seinem Weib in erregtem Disput mit dem Rosenkranz schlenkerte.

Als sie gegen die Wiesen abbogen, aus deren braunem Rasen sich über Nacht ein blasser Schimmer des ersten Grüns hervorgeschoben hatte, machte Julerl ein ernstes Gesicht. »Heut in der Kirch hab ich mir's überlegt. Am Gründonnerstag nach der Kumlion kunnten wir 's Brautexami machen. An so eim Tag, mein' ich, nimmt er's net bsunders gnau, der Herr Pfarr. Und am Ostersonntag kunnt er uns 's erstemal verkünden.« Weil Roman schwieg, sah Julerl mit einem liebevollen Blick ihrer Taubenaugen an ihm hinauf. »Was meinst?«

»No ja! Amal muß's sein!«

Sie hatten die Hecke erreicht, hinter der die Staudamerin schon verschwunden war. Der Anblick dieser Hecke schien in Roman eine unbehagliche Erinnerung zu wecken. Verdrossen rückte er den Hut.

Julerl schürzte gekränkt das kirschrote Mäulchen. »Geh, ich weiß schon gar nimmer, wie mir fürkommst!« Dann faßte sie zärtlich seine Hand. »Schatzl –«

»D' Mutter hat's net gern, wann z'ruckbleibst.« Mit ein paar flinken Schritten war Roman über die Hecke hinaus. In Juleis sanften Taubenaugen funkelte ein Zornblick. Doch als sie den Verlobten eingeholt hatte, lächelte sie wieder. Nun kamen die beiden zu der Stelle, an der sie damals auseinandergegangen waren. Roman lachte heiser. »Kennst dös Platzl da?«

»Ja!« flüsterte Julerl mit dem Augenaufschlag der reuigen Sünderin. »Trag mir's halt nimmer nach!«

»Sag ich denn ebbes?«

Dann sprachen sie kein Wort mehr, bis sie den Zaun des Staudamerhofes schon fast erreicht hatten. Julerl machte kleinere Schritte und warf einen spähenden Blick nach der Mutter, die sich eben von den Nachbarsleuten verabschiedete. »Ich soll dir's net sagen, d' Mutter hat's verboten – aber unserem Vetter is d' Hauserin durchgangen, und nach'm Essen muß d' Mutter ummifahren. Ich bleib daheim.« Ein seltsames Lächeln veränderte ihr hübsches, rosiges Grübchengesicht, und die Kapellentürchen öffneten sich an ihren Augen. »Kommst a bißl?«

Roman blickte in dieses verwandelte Gesicht und schüttelte den Kopf, als wäre die dunkle Frage in ihm: Wieviel Gesichter hat sie denn? Schon wieder ein neues?

»Kommst?«

»Kann sein, daß mich der Hanspeter braucht.«

»Der Hanspeter? So? Und ich?« War es Zorn, der ihr die Tränen in die Augen trieb? Oder Kränkung, die ihr zärtliches Herz empfand? »Ich durft wohl gar nix brauchen? Und gar kein Recht soll ich haben?«

»Freilich, 's Recht auf mich, dös hast!« Roman nickte, als gäb' es auch für ihn keinen Zweifel an dieser ernsten Tatsache.

»Und kommst a bißl? Gelt?«

Da rief die Staudamerin vom Zauntor her: »Was is denn?«

»Grad hat er gsagt, daß er zum Essen heim muß.« Julei war plötzlich wieder in das kindliche Julerl verwandelt. Und so laut, daß es die Mutter hören konnte, sagte sie: »Pfüe Gott, am nächsten Sonntag wieder!«

Roman gab den Gruß nicht zurück, faßte aber Juleis Hand und sah ihr ernst in die Augen.

Ihr Grübchengesicht wurde dunkelrot bis unter den Hutrand. »Wie du ein' anschaun kannst!« Kichernd löste sie ihre Hand und lief der Mutter nach.

Die Staudamerin fragte mißtrauisch: »Du? Hast es ihm ebba gsagt?«

»Was?« fragte Julerl in aller Unschuld.

»Daß ich fort muß, heut?«

»Aber Mutter!« schmollte das gute Kind gekränkt. »Wie kunnt ich denn ebbes sagen, was d' Mutter verboten hat?«

Julei ließ die Mutter voran ins Haus gehen und wandte blitzschnell das Gesicht gegen die Wiesen hinaus. Da draußen stand Roman noch immer auf der gleichen Stelle. Als Julei im Haus verschwunden war, bewegte er die Schultern unter der Joppe, grub die Hände in die Taschen und wandte sich zum Heimweg. Erst ging er langsam, dann schneller und immer schneller. Und im Waldhof rannte er zu Hanspeters Kammer, als bedürfe er jetzt eines Menschen, von welchem er wußte: dem kann ich alles sagen, der weiß den richtigen Rat.

Nun stand er in der kleinen Kammer, sah erschrocken die Lisbeth an und stammelte: »So? Bist wieder da?« Und Roman war schon wieder draußen.

»Mandi!« rief Hanspeter. »Was is denn mit dir?« Doch die Tür tat sich nicht wieder auf. »Ilsabeth?« In Unruh stemmte Hanspeter sich aus den Kissen. »Ilsabeth?«

Sie schwieg.

»Hast den Roman angschaut? Der muß ebbes haben!« Draußen vor dem offenen Fenster ging pfeifend der Hüterbub vorüber. »Bub! He! Komm her a bißl!«

Grinsend tauchte das Gesicht des Buben am Fenster auf.

»Um Gottchristi Lieb! Lauf und sag, daß der Haussohn a Sprüngl hinterkommt zu mir!«

Der Bub lief davon, kam nach einer Minute wieder und rief zum Fenster herein: »Jetzt hat er kei' Zeit, jetzt muß er essen, sagt er.«

Hanspeter ließ sich in die Kissen fallen. Und immer murmelte er das gleiche Wort: »Was muß er denn haben?«

Lisbeth suchte ihn zu beruhigen, obwohl ihr selbst die Stimme zitterte.

Nach einer Weile kam die Hausmagd und brachte für Hanspeter das Essen. Sie warf einen schiefen Blick auf Lisbeth und stellte dem Kranken den Teller auf die Bettdecke. »Da hast!«

Hanspeter schob den Teller beiseite. »Madl! Tu mir den Gfallen und sag dem Haussohn, daß er a bißl hinterkommt zu mir!«

Die Magd brummte: »Allweil hat man sei' Plag mit dir!« Sie ging und brachte die Antwort: »Jetzt hat er kei' Zeit net, sagt er, jetzt muß er fort.«

»So so?« Hanspeter streckte sich seufzend. »Jetzt muß er fort?« Und wieder murmelte er: »Was muß er denn haben? Sein Gsichtl is völlig an anders gwesen!« Nun war es still in der Kammer. Kein Laut, als das schwere Atmen des Kranken und draußen das Gegurgel des Hofbrunnens.

Lisbeth saß gegen das Fenster gewendet und blickte in das sonnige Blau hinaus. Jetzt erhob sie sich, schob den Teller wieder vor Hanspeter hin und fragte: »Magst net essen, Peterl?«

Er schüttelte den Kopf. »Stell's zum Fenster aussi! Wird schon einer kommen, dem's schmeckt.«

Der kam auch. Die Stimme des Hüterbuben klang zum Fenster herein: »Tat's ebba übrig sein, dös da?«

»Ja, Büberl, iß und laß dir's anschlagen!«

Kichernd packte der Hüterbub den Teller.

Hanspeter richtete sich auf. »Aber an Gfallen tust mir, gelt?«

»Was für ein'?« fragte der Bub mit vollem Mund.

»Laufst zum Kirchplatz auffi, magst? Und tust a bißl auflusen, was man verhandelt in der Gmein! Und nach der Kirch, da kommst und sagst mir's, gelt?«

Pamfend gab der Bub als Antwort ein paar Laute, die sich nach Belieben deuten ließen. Aber es war wohl ein Ja dabei, denn als er den geleerten Teller auf das Gesimse zurückgestellt hatte, rannte er davon.

Hanspeter, der mit gekrümmtem Rücken im Bette saß, war wieder in sein Brüten versunken.

Lisbeth strich ihm mit der Hand übers Haar. »So viel aufregen tust dich wieder!«

»Was meinst denn, daß er haben kann? 's erstmal in achtzehn Jahr, daß er kei' Zeit net hat für mich!« Immer größer wurden Hanspeters Augen. »Oder meinst, er hat schon ebbes ghört, wie's in der Gmein um enker Häusl steht? Und er mag's net sagen? Vor dir net sagen, daß er dir net weh tut, weißt? Mar' und Joseph! Es wird doch net –« Er konnte nicht weitersprechen, so schnürte ihm die Sorge den Hals zusammen.

»Aber geh, was tust dich denn ängsten! Is ja die Gmein noch gar net gwesen! Leicht hat er an Verdruß mit die Burschen ghabt. Oder sonst mit wem.«

»Meinst ebba, mit der Julei?«

Da schoß ihr das Blut ins Gesicht. »Dös hab ich net gmeint.«

»Na na! Hast recht! Sei' Julerl is ihm 's liebste.« Wieder tauchte die Sorge in ihm auf, die nicht ruhen wollte. »Wird ihm doch der Vater net gsagt haben, wie's gehn kunnt in der Gmein? Ebba net gut?« Doch er selbst beschwichtigte sich wieder. »Na na! Unser Herrgott bleibt bei der Stang, der laßt net aus. Aber dazutun müssen wir 's Unsrig! Komm, Ilsabeth, setz dich her zu mir! Komm! Rufen wir a bißl zur heiligen Mutter auffi! Die vermag gar viel. Was Mutter heißt, da drauf, da hab ich mei' Zuversicht.« Die Hände ineinanderkrampfend, sprach er mit aller Inbrunst eines hoffenden Herzens die Marienlitanei.

»Bitt für uns!« fiel Lisbeth immer ein, mit leiser Stimme.

Als die Glocken zum Rosenkranz zu läuten begannen, verzerrte sich Hanspeters Gesicht. »Die Gmein muß aus sein!« Er tastete nach Lisbeths Hand. »Jetzt, Kindl, is alles gut! Und d' Mutter bhalt ihr Häusl.« Er fand ein fröhliches Lächeln, als wüchse ihm nach einem letzten Zweifel der Glaube mit festen Wurzeln ins Herz. »Aber jetzt müssen wir Vergeltsgott sagen. Weil er geholfen hat!« Mit ruhiger Stimme begann er das ›Dankgebet für unerwartete Hilfe Gottes in höchster Not‹. Und dann den Rosenkranz. Und eins ums andere sagte er alle Gebete her, die man jetzt in der Kirche sprach. Und noch immer betete er, als man von der Straße schon das Schwatzen der heimkehrenden Leute vernahm.

Da schob der Hüterbub seinen Zauskopf zwischen den Gitterstäben des Fensters herein und lachte. »Bin schon da. Und alls hab ich ghört in der Gmein. Am Bach drunt wird a neus Bruckl baut. Und der Bachbauer därf mit seim neuen Stadel bis auf d' Straßen aussirucken. Und dem Herrn Pfarr wird d' Rechnung für d' Fensterscheiben zahlt. Und im Wirtshaus müssen s' um Elfe Polizeistund machen.« Der Bub schnappte nach Atem und lachte wieder. »Und so schön stad is's zugangen in der Gmein! Gar net lustig is's gwesen heut.«

Hanspeter hatte sich weit aus dem Bett gebeugt. »Und von der Nannimai ihrem Häusl? Hast da ebbes ghört davon?«

»Na! Da is nix gredt worden.« Der Bub verschwand.

»Gelt, Ilsabeth!« Hanspeter tat einen Schnaufer, daß ihm die Brust bis ans Kinn heraufwuchs. »Gelt, ich hab recht ghabt! Gleich gar nimmer gredt is worden davon. Dös hat unser Herrgott gar nimmer zulassen. Und dein Mutterl hat ihr Häusl, und alls is gut.« Lächelnd fiel er in die Kissen zurück. »Is mir setzt wohl! D' Leut, no ja, die sind halt, wie s' sind! Aber unser Herrgott! Da kannst dei' Zuversicht drauf haben.«

Draußen vor dem Haus, auf dem Steinpflaster, klirrte der hastige Schritt genagelter Schuhe. Und dann hörte man vom Zauntor her den alten Waldhofer, aus dessen Stimme deutlich die Verblüffung klang: »Aber Bub? Jetzt muß ich schon bald denken, daß d' Fasnacht wieder umkehrt is!«

»Geh, laß mich, Vater! D' Arbeit is mir allweil 's liebste.«

»No ja! Aber hättst ja morgen auch noch Zeit dazu.«

»Am Abend steigt man sich leichter. Es is mir lieber so.«

Hanspeter in seiner Wohligkeit schien halbverschlossene Ohren zu haben, denn er hörte nichts anderes, als daß da draußen sein Roman redete. »Jetzt is er wieder da! Magst fürgehn, Kindl? Magst ihm sagen, daß er a bißl kommt?« Erschrocken schüttelte Lisbeth den Kopf. »Aber Ilsabeth? Was hast denn?« Da hörte Hanspeter draußen im Gang die Magd umherpoltern. »He! Hausmagd!«

Die Tür wurde aufgestoßen, und unwillig stellte die Magd den Tränkzuber, den sie zum Stall hatte tragen wollen, auf die Schwelle nieder. »Brauchst schon wieder ebbes?«

»Sei gut!« beschwichtigte Hanspeter. »Sei gut, Madl! Und tu mir den Gefallen, daß mir den Haussohn holst!«

»Der is fort.«

»Na na! Grad muß er heimkommen sein.«

»Geh, du Narr! Wann er grad naus is zur Tür!« Die Magd nahm den Zuber wieder auf. »Was der heut hat! Als ob ihm a Schräuferl aufgangen wär! Seit der Mahlzeit reviert er in der Stuben umanand, als ob er kei' Tür nimmer finden kunnt. Und am Sonntag packt er sein Holzerzeug! Und auf und davon!«

»Ilsabeth!« stammelte Hanspeter. »Da muß ebbes gschehen sein!«

»Ja, ja, hast recht, da weiß man schon bald nimmer, was man denken soll!« murrte die Hausmagd und warf einen scheuen Blick auf Lisbeth. »Wann er verhext wär, kunnt er auch net anders sein! Hab mir's gleich denkt, gestern auf'n Abend, wie er mir 's Wacholderstäudl aus die Händ gerissen hat.«

»Du!« fuhr Hanspeter in Zorn und Kummer auf, während er die Hand gegen Lisbeth streckte. »Du ungute Dingin du! Weißt ja selber net, was d' reden tust!«

»Laß gut sein!« fiel Lisbeth ruhig ein. »Sie redt halt wie die andern. Und sie hat mir bloß gsagt, daß einer besser is wie alle.«

»Ah, da schau!« höhnte die Magd und brach in Lachen aus. Doch plötzlich verstummte sie und duckte den Kopf. Denn der Waldhofer stand hinter ihr. Sein Blick genügte, um der Hausmagd flinke Füße zu machen. Er trat in die Stube, auf seinem Gesicht den Ausdruck einer Verdrießlichkeit, die sich noch zu steigern schien, als er Lisbeth sah.

»Waldhofer!« Die beiden Arme streckte ihm Hanspeter entgegen. »Was is denn mit'm Mandi?«

»Spinnen tut er! Rennt am Sonntag um Drei mit der Axt und mit der Meßlatten am Berg auffi! Den muß an Imm aufs Köpfl gstochen haben! Aber jetzt haben wir ebbes anders z'reden!«

Hanspeter schien selber nicht zu wissen, was stärker in ihm war: seine Sorge um Roman, oder die dunkle Angst, die beim Anblick des Waldhofer in ihm lebendig wurde. »Der Roman, mein' ich allweil –« Er brach wieder ab. Und stammelte: »Gelt, gut is's gangen? Mit der Nannimai ihrem Häusl, mein' ich?«

»No ja, wie man's nimmt!« brummte der Waldhofer. »D' Ausschußmannder haben d' Überzeugung, daß sie's für alle Teil net besser hätten machen können.« Er setzte sich zum Hanspeter aufs Bett. »Jetzt schau, Peterl! Und laß dir was sagen in aller Ruh!« Der Waldhofer verstummte wieder und sah verlegen auf Lisbeth. »A bißl leichter reden tät ich mich, wann 's Madl net in der Stuben wär!« Schweigend wollte Lisbeth die Kammer verlassen. Aber da besann sich der Waldhofer wieder anders. »Na na! Bleib halt! So weißt grad alles und kannst es deiner Mutter sagen! Und du, Peterl, mit deiner verliebten Christenheit, du laß jetzt verstandsam a Wörtl reden mit dir!«

Also – nach dem Hochamt hatte der Gemeindeausschuß im Burschenkobel des Wirtshauses seine Sitzung gehalten. Und da kamen vor allem zwei Punkte auf die Tagesordnung: die Fensterscheiben des Herrn Felician und die Rauferei bei der Kirchhofmauer. Über den ersten Punkt war man schnell ins reine gekommen. Weil der Fenstereinwurf ein ›Stückl‹ war, das auch die ›Ausschußmannder‹ nicht ›verentschuldigen‹ konnten, und weil halt ein bißl Gerechtigkeit auf der Welt doch sein muß, hatte man beschlossen, die Glaserrechnung aus dem Gemeindesäckel zu begleichen. »Aber die neuen Fensterläden, die hat er selber angschafft, die kann er auch selber zahlen.«

Doch ein schwer zu biegendes ›Hakerl‹ war die befriedigende Lösung des zweiten Punktes der Tagesordnung. Geschehen ist geschehen, da läßt sich nichts mehr ändern. Und nachdem der Herr Untersuchungsrichter mit seiner ›Gscheidheit‹ nichts herausbrachte, hatte auch der Ausschuß keine Veranlassung, die Nasenlöcher aufzureißen. Man mußte nur aus mehrfachen Gründen eine Maßregel ausklügeln, damit sich für die Zukunft ein ›Standali‹ wie der ›Raufhandel vom 17. hujus anni currentis‹ nicht mehr wiederholen konnte. Und der Bachbauer war's, der als Trumpf die Weisheit ausspielte: willst du einen Baum werfen, so mußt du die Wurzel lockern. Was aber war die Ursach des Raufhandels vom 17. hujus anni currentis? Erstens das ›füreilige Göscherl‹ des Hanspeter. »Aber dir is der Schnabel jetzt zupappt von Amts wegen!« Und zweitens ›dös dalkete Gred‹ über die Häuslschusterin. »Und a Tratsch hat laufete Füß! Dem kannst net wehren, net in der Güt und net mit Gwalt. Der hört bloß auf, wann die Personalidätt verschwunden is, wegen der man tratscht. Und drum, sagen d' Ausschußmannder, wird's ehnder kein' Fried net geben, eh net d' Häuslschusterin in an anders Domazil verzogen is. Und daß man net sagen kann, eins hätt 's ander vertrieben – drum, sagen d' Ausschußmannder, soll 's Häusl leer bleiben und keiner soll's haben, d' Altenöderin net und ihr Nachbar net, und du net, Peterl! Der Häuslschusterin selber is der beste Gfallen erwiesen, wann s' wo andersthin verzieht. Und im Ort is wieder Fried. So meinen d' Ausschußmannder. Und daß der ganze Gregori net wieder von vorn anhebt, haben s' bschlossen, daß man die Sach in der öffentlichen Gmein gar nimmer zur Redenschaft bringt. Jetzt sind s' amal roglig, unsere Buben, und da darf man s' net noch ärger aufstageln, sondern man muß a beruhigendes Momenti eintreten lassen. Und drum muß d' Häuslschusterin fort. So sagen d' Ausschußmannder!«

Der Waldhofer hatte recht gehabt mit der Vermutung, daß er sich in Lisbeths Gegenwart ein wenig hart reden würde. Hanspeters verstörte Augen, seine arbeitende Brust und das Zittern seiner Fäuste – das hätte der Waldhofer noch ansehen können, denn vom Hanspeter war er die ›übertriebenen Gschichten‹ gewöhnt; aber Lisbeths schweigende Unbeweglichkeit, ihr totenblasses Gesicht und die paar sparsamen Tränen, die ihr wider Willen über die Lippen rollten – dieser Anblick schien dem Waldhofer an die Kreuzerstricke seiner gesunden Nerven zu rühren. Immer härter war ihm das Reden geworden. Und bei jedem unbehaglichen Blick, mit dem er Lisbeth streifte, fügte er jene Wendung ein: »So sagen d' Ausschußmannder!«

Als er fertig war, blieb's eine Weile still. Man hörte nur den schweren Atem, den Hanspeter durch die kalkweiße Nase blies. Nun nickte er langsam vor sich hin. »D' Ausschußmannder? So so? Jetzt, Waldhofer, muß ich Enk a Gschichtl verzählen!«

Der Waldhofer schien seinen Ohren nicht zu trauen. »Geh, laß mich aus, du Narr!«

»'s Gschichtl von der Nachberin!« Hanspeters Stimme klang wie aus einem Brunnen herauf. »D' Nachberin hat a bißl z'viel vom schlechten Kraut und Selchfleisch gessen ghabt. Und hat net schlafen können. Und im Hof hat a Hendl gackert, weil 's Hendl a guts Ei glegt ghabt. Und d' Nachberin hat gmeint, sie kunnt net schlafen, weil 's Hendl gackert. Und da haben sie 's Hendl eingsperrt. Aber 's Hendl hat gackert, weil 's a guts Ei hat glegt ghabt. Und daß d' Nachberin schlafen kunnt, drum haben s' dem Hendl mit'm Messer 's Köpfl abigschlagen. Jetzt hat's nimmer gackert, 's Hendl. Aber d' Nachberin hat net schlafen können. Und so geht's zu auf der Welt!«

»Mich laß aus, verstehst!« fuhr der Waldhofer geärgert auf. »Verzähl deine Gschichten bei die Ausschußmannder. Ich bin der Burgermeister, der Garnix. D' Ausschußmannder haben die großen Mäuler, und da muß man zruckfahren mit'm Köpfl, oder sie derbeißen ein'.« Er wollte die Stube verlassen, aber Lisbeths Augen schienen ihn festzuhalten. »Jetzt weißt, Madl, die Sach pressiert net!« begann er mit Stottern zu trösten. »Bis auf Georgi is noch fünf Wochen Zeit, da kann sich d' Mutter kammod um an anders Domazil umschaun. Und daß ihr der Umzug keine Kosten macht, drum hab ich Vollmacht von die Ausschußmannder, daß ich ihr fufzg Markln Schadenersatz auszahl.« Der Waldhofer log; von einer Entschädigung der Altenöderin war im Meinungskampf der ›Ausschußmannder‹ mit keiner Silbe die Rede gewesen. »'s Geld kannst gleich mitnehmen.«

»Vergeltsgott! D' Mutter nimmt nix.« Es war das erste Wort, das Lisbeth sprach.

»Sie nimmt nix? So? No ja, mit'm Löffel kann ich's ihr auch net einstreichen.« Wütend stapfte der Waldhofer zur Tür hinaus.

Lisbeth sah ihm schweigend nach und ließ sich auf den Sessel sinken, als wären ihr die Knie gebrochen.

Im Bette sitzend, machte Hanspeter den krummen Buckel, der zum Spitznamen für ihn geworden. Sein Gesicht war kreidebleich, und die blauen und grünen Flecke wurden gelbgrau wie Asche, auf die es geregnet hat. Immer nickte er vor sich hin. »No also!« Er schluckte seine Tränen. »Jetzt, Ilsabeth, mußt heim! Hart kommt's mich an, daß ich allein bleib. Aber jetzt mußt zur Mutter heim! Es kunnt ihr's einer einischreien ins Fenster. Besser, sie erfahrt's von dir. Und da bleibst bei der Mutter! Pflegschaft brauch ich keine nimmer. Jetzt muß ich gsunden. Und sag der Mutter: ebbes sinnier ich aus. Weiß einer amal, daß er nix hat als seine zwei Füß, da fangt er 's Marschieren an. Jetzt mußt heim, Kindl!«

Sie nickte, band ihr Kopftuch um und legte den Deckel auf die irdene Raine.

»Gelt, sag der Mutter Vergeltsgott für d' Fisolen!«

Lisbeth schüttelte den Kopf. »Dös braucht's net. Dir is alles gern geben!« Sie hängte die Raine mit der Schnurschlinge an den Arm und faßte Hanspeters Hand. »Pfüe Gott, Peterl!« Da kamen ihr die Tränen wie ein Sturz, dem sie nicht wehren konnte. Er sprach kein Wort, streichelte nur ihren Arm, und immer häßlicher wurde sein Gesicht in der Verzerrung des Schmerzes. Besser als jeder Trost beruhigte sie dieses Schweigen. Fast konnte sie lächeln. »No also, pfüe Gott halt, Peterl! Und tu mir gsunden, gelt! D' Mutter und ich, wir finden uns schon wieder naus.« Ihre Stimme versank. »Leicht kunnt's für mich am besten sein, daß ich fort muß.«

Hanspeter konnte keinen Gedanken fassen. Sonst hätte ihm dieses letzte Wort zu denken gegeben. »D' Mutter und du?« Er fühlte nur, daß neben diesen beiden Namen noch ein dritter fehlte. »Und ich?«

»Schau, wirst bloß leichter um a Sorgenbinkerl!«

»D' Sorg aus Lieb is 's Allerbest vom Leben.«

Da nickte sie. »D' Mutter und du und ich, wir bhalten uns, weißt! Hanspeter sag ich in der Fruh, und Hanspeter sagt d' Mutter auf d' Nacht. Und wirft uns einer an Prügel übern Weg, so denk ich mir halt, es is von der Ausnahm einer. Zwei kenn ich, und die sind gut. Und einer bist du davon. Pfüe Gott, Peterl! Und für alls, was d' uns z'lieb tan hast, soll dich unser Herrgott segnen!«

Lisbeths Hand umklammernd, lachte Hanspeter heiser vor sich hin. »Der? So so? No ja, is schon gut!«

Da befreite Lisbeth ihre Hand und strich ihm das Haar aus der kalten Stirn. »Geh, sei net einer, der net bist! D' Mutter trutzt. Aber du? Na na! Du kannst es net.«

»So? Meinst?«

Sie hob das Handtuch auf, das neben dem Wasserkrug auf dem Boden lag, und hängte es an den Nagel, an den es gehörte. Den Stuhl rückte sie noch an die Wand, und dann ging sie zur Türe. Als sie schon die Klinke in der Hand hatte, zögerte sie. »Bald der Roman heimkommt, sagst ihm a Vergeltsgott von mir!«

»Ilsabeth?«

Da hatte sie die Stube schon verlassen.

Schwer, daß die Bettlade krachte, fiel Hanspeter in die Kissen zurück. »Mar' und Joseph! Was hab ich denn noch? Was bleibt mir denn?«

Was auf seiner Zunge lebendig war, das hatten sie mit Fäusten erschlagen, mit dem Amtssiegel festgelegt. Was ihm lieb war, rissen sie von seinem Herzen. Und das hatte sein Herrgott geschehen lassen. Der war nicht ›bei der Stang‹ geblieben, auch die himmlischen ›Parigraffi‹ hatten nicht standgehalten. Dem Peter Johannes Zdazilek war seine ganze Welt zertrümmert, sein Himmel war heruntergestürzt aus dem leuchtenden Blau, auf der grauen Straße lagen die Scherben, und die ›Ausschußmannder‹ schritten drüber hin mit genagelten Schuhen. Ratlos, ganz verstört durch die Erkenntnis seines leergewordenen Lebens, brach Hanspeter in Schluchzen aus, jeder Laut ein Stoß, als möchte es ihm die Brust zersprengen.

Als er, um die Tränen fortzuwischen, mit der Hand einmal übers Gesicht fuhr, so langsam über alles, über Augen, Nase und Mund, blieb ihm an den Schwielen des Daumens ein wässerig zerflossener Blutstropfen hängen. Den sah er an und nickte. »So so?« Am Brett der Bettlade wischte er den roten Tropfen von der Hand, drehte sich auf die Seite und grub das Gesicht in die Kissen. Wenn es schwarz ist vor den Augen, wird einem das Denken leichter.

Und während Hanspeter in seiner Finsternis zu grübeln begann, wie der Nannimai und der Ilsabeth zu helfen wäre, kamen schmelzende Trompetenklänge fern über die Gärten her durch die sonnige Luft geschwommen.

Die Blechkapelle des Dorfes hielt im Wirtshaus eine Probe. Erst spielten sie einen ›staden Marsch‹, wie sie ihn bei der Fronleichnamsprozession oder bei feierlichem Begräbnis brauchten, wenn etwa einer der ›Ausschußmannder‹ oder ein Mitglied der Feuerwehr das Zeitliche segnen würde. Und dann probierten sie die Tanzweisen für eine Hochzeit, die in Aussicht stand.

Wie das lustig klang!


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