Ludwig Ganghofer
Der Dorfapostel
Ludwig Ganghofer

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Viertes Kapitel

Am andern Morgen, der einen schönen Sonntag ankündigte, geschah es, daß Hanspeter die Suppenstunde verschlief. Heiß von der nächtlichen Arbeit, war er gegen ein Uhr morgens erst nach Hause gekommen, hatte den schmerzenden Fuß noch ein paarmal mit dem wundertätigen ›Mankerlschmalz‹ behandeln müssen, und da war ihm der späte Schlaf so schwer auf die Lider gefallen, daß Roman, als er den Schläfer wecken kam, mit beiden Fäusten an die Kammertür trommeln mußte.

»He! Verschlafst ja d' Suppen und die Kirchenzeit!«

Er hörte ein schlaftrunkenes »Jesus Maria!« aus der Kammer und ging lachend davon. Draußen glitzerte der Schnee in der weißen Morgensonne, als wäre die Erde mit gebröseltem Silber bestreut. Und so rein war der Himmel, so blau, daß er einer riesigen Glockenblume glich, aus der an Stelle der Staubfäden die blendenden Sonnenstrahlen herunterfielen. Die Welt an diesem Morgen sah so proper aus, wie Roman in seinem neuen Sonntagsstaat, an dem kein Stäubchen zu entdecken war. Nur daß die Erde in ihr winterliches Weiß gekleidet stand und Roman in lichtes Jägergrau, mit grünen Aufschlägen an der Joppe, mit silbergefaßten Hirschgranen an der grünen Weste und mit der Spielhahnfeder auf dem grauen, grüngeschnürten Hütl.

Er wollte auf die Straße treten. Da sah er unter den Kirchgängern die Häuslschusterin mit ihrem Mädel kommen. Deshalb kehrte er um und ging ins Haus zurück. Die beiden sollten nicht denken, daß er da stehenbliebe, um auf ihr Vergeltsgott für die Klafter Holz zu warten.

Als er wieder ins Freie trat, kam Hanspeter halb angekleidet aus seiner Kammer, um sich am Brunnen zu waschen. Das geschah auf die einfachste Weise: nachdem er mit der Faust das dünne Eis zerschlagen hatte, steckte er den Kopf in den gefüllten Brunnentrog und begann mit den Händen das Gesicht zu reiben.

Roman trat auf ihn zu. »Hast ihr gestern dös Holz noch nuntergführt?«

»Und kleingmacht hab ich's ihr auch gleich. Sie hat ja kein Scheitl nimmer zum Fuiern ghabt.« Wieder fuhr Hanspeter mit dem Kopf in den Trog. »D' Mutter Nannimai laßt dir Vergeltsgott sagen.«

»So? Was hat denn die ander gsagt?«

»D' Ilsabeth?« Hanspeter richtete sich auf. »Du! Die laßt sich net gern was schenken, weißt!«

Roman zog die Brauen auf. »Ah, da schau!«

»Wär's der Ilsabeth nachgangen, so hätt ich 's Holz gleich wieder fortführen müssen.«

Nachdenklich blickte Roman gegen die Straße hinaus. »Was die für an Stolz hat! So was!« Nun lachte er und sah den Hanspeter an. »Hat s' ihre großmächtigen Augen wieder gmacht?«

Den Zusammenhang dieser Frage mit der Klafter Holz schien Hanspeter nicht völlig zu begreifen. »Söllene Augen, gelt«, sagte er langsam, während ihm die Wassertropfen über Gesicht und Hals herunterrannen, »söllene Augen hat keine nimmer.« Seine mächtige Brust atmete wie ein großer Blasbalg, der schwer zu ziehen ist. »Ja, du! Die hat Augen gmacht! Und hätt net d' Mutter die ersten Scheitln gleich in Ofen einigschoben, ich weiß net, Mandi, was gschehen wär. Schier mein' ich, daß ich 's Holz wieder fortgführt hätt.«

Lächelnd nickte Roman vor sich hin. »Dös gfallt mir, schau! Geld und Sach haben kann net a jeds. Aber sein' ehrlichen Stolz und –« Mitten im Worte brach er ab und eilte gegen die Straße. Da draußen sah er eine Kirchgängerin kommen, die ihm wichtiger war, als der ehrliche Stolz der armen Leute.

Breitspurig blieb er auf der Straße stehen, das lachende Glück in den Augen. Und wenn ihm vor Freude das Herz schwoll, wie ein süßer Apfel in der Herbstsonne, so hatte das seine guten Gründe. Denn die Julei in ihrer Sonntagstracht mit dem eng gefältelten Rock und der schillernden Atlasschürze darüber, mit dem rüschenbesetzten Mieder und dem geblumten Seidentuch um die Schultern, mit dem Silberschmuck um das schlanke Hälschen, mit dem goldverschnürten Hütl über dem Nest der Zöpfe und mit diesem lachenden Grübchengesicht – ein schmuckeres Bild war gar nicht auszudenken.

Neben Julei ging die Staudamerin einher und machte ein Gesicht – der Volksmund sagt: wie neun Tag Regenwetter.

Roman aber sah nur Sonne; drum sah er auch den Mickei nicht, den ›Fürknecht‹ aus dem Staudamerhof, der hinter den beiden Weibsleuten daherkam, mit einem spöttischen Blick den jungen Waldhofer überhuschte und vergnügt einen Ländler vor sich hinpfiff.

Die Hände streckend, trat Roman seinem Bräutl entgegen. »Guten Morgen, Julei!«

»Guten Morgen!« erwiderte sie leis, ein wenig errötend, und ohne die Augen aufzuschlagen.

»Ausschauen tust heut wieder –«

»No ja! Wie s' allweil ausschaut!« fuhr die Staudamerin brummend dazwischen.

Roman lachte. »No no no no!«

Nun gingen sie schweigend gegen die Kirche hinunter, Julei zur Rechten, Roman zur Linken, und in der Mitte die Staudamerin mit dem Gebetbuch. Hinter ihnen der Knecht. Die drei großen Glocken läuteten, daß alle Lüfte verwandelt schienen in schwebenden Klang. Auf dem Marktplatz, vor der Kirchhofmauer, stand lärmend eine Gruppe von Männern und Burschen. Julei hob die gesenkten Lider ein wenig und blinzelte hinüber. »Was haben s' denn da drüben?«

»Mein, streiten werden s' halt wieder!« sagte Roman. »A Glück, daß der Hanspeter net da is! Da kunnten s' was hören von der Christenlieb.«

Mickei – als wär' es von seinen Dienstpflichten eine, die Neugier der Haustochter zu befriedigen – lief zu den Streitenden hinüber, um zu hören, was es gäbe.

Das Kirchhofgitter war nur zur Hälfte geöffnet. Da konnten sie zu dritt nebeneinander nicht eintreten, und die Staudamerin ging voran. Diesen Augenblick benützte Roman, um seinem Bräutl zärtlich die Hand zu drücken. Julei warf einen spähenden Blick hinter sich, dann hob sie die unschuldsvollen Taubenaugen zu Roman auf und lächelte. Die Staudamerin drehte das Gesicht: »Natürlich! Weil nur schon wieder tatschelt sein muß! Auf'm Kirchweg! Wo man an den lieben Herrgott denken soll! Meiner Seel, da hüt ich schon lieber an Sack voll Flöh als zwei so verliebte Leut.«

Knapp vor der Kirchentüre holte Mickei die drei wieder ein und berichtete: »Den Nachtwächter haben s' in der Arbeit, weil er heut in der Nacht von Zwölfe an die Stunden nimmer ausgsungen hat. Wie ihn d'Leut net ghört haben, sind s' aufgwacht. Und jetzt schimpfen s'.«

»Wird halt gschlafen halben!« meinte die Staudamerin. »Den zahlt man eh für nix.«

»Er hätt ebbes gsehen, sagt er. Aber was, da will er net aussi damit. Es kunnt ihm schaden, sagt er. Und Gschichten macht er, daß man glauben kunnt, der Teufel wär ihm begegnet.«

»Geh, du Narr!« Die Staudamerin bekreuzte sich und trat hinter Roman und Julei in die Kirche, die schon halb gefüllt war. Beim Weihbrunnbecken, in das alle die Finger tauchten, trennten sie sich. Die Staudamerin und Julei gingen zu ihrem Betstuhl, der ganz vorne unter der Kanzel stand. Roman und Mickei stiegen zur Emporkirche hinauf, die der Platz der ledigen Burschen war; bevor sie zur Treppe kamen, mußten sie an den Betstühlen vorüber, die den hintersten Winkel der Kirche füllten. Das war der Platz für die Zugewanderten, die im Dorfe kein Heimatsrecht besaßen. In einem dieser Betstühle kniete die Altenöderin mit ihrem Mädel. Lisbeth hielt das Gesicht so tief geneigt, daß nur das Gekraus ihrer schwarzen Haare noch unter dem Kopftuch hervorlugte. Die Mutter aber, als sie Roman kommen sah, nickte ihm mit dankbaren Augen zu. Als er die steile Treppe hinaufkletterte, sah er sich um.

Ein Weilchen später kam Hanspeter, atemlos, als hätte er schon gefürchtet, das Beste vom Segen zu verlieren. Er tauchte die Hand in das Weihbrunnbecken, und da schien er plötzlich ruhig geworden, und sein Gesicht war ein völlig anderes. Man sah es ihm an, daß ihn die heilige Weihe des Ortes erfüllte. Jedes Quentlein an seinen drei Zentnern war ein beginnendes Gebet. Wo er vorüber mußte, kicherten hinter ihm die Leute. Freilich, die Beinkleider seines grauen Sonntagsstaates sahen noch viel ungeheuerlicher aus als seine Werktagshose; und die steifen Flügel der Joppe standen ihm vor der Brust auseinander wie die Bretter eines offenen Scheunentores. Das zusammengedröselte seidene Halstuch war zu kurz für den Umfang seines Nackens und gab nur knapp an den äußersten Zipfeln einen kleinen Knoten ab, der ihm über den Adamsapfel hinaufgerutscht war bis unters Kinn. Gewiß ein Anblick, über den man lachen konnte. Aber hätten die Leute ein wenig höher geblickt, bis hinauf zu diesen gläubig schauenden Augen, so wären sie ernst geblieben. Aber das ist so im Leben: man sieht nur immer die Hosen des Hanspeter, nicht seine Augen.

Und weil er der Meinung war: in der Kirche hat nur der liebe Herrgott ein Recht und sonst kein anderer – drum ging er an dem Betstuhl, in welchem Nannimai und Lisbeth knieten, mit gesenktem Blick vorüber, als dürfte er jetzt keinem irdischen Gedanken in seinem Herzen Raum vergönnen.

Schon war jeder Betstuhl besetzt; und als auch die Gänge zwischen den Betstühlen mit Menschen vollgepfropft waren, mußten jene, die zu spät kamen, in der Torhalle bleiben und draußen auf dem Friedhof stehen. Mancher kam wohl gerne zu spät, denn draußen in der linden Wintersonne war's gemütlicher als in der dumpfen, kalten Kirche. Und da wurde gezischelt und gelacht, während die sanfte Predigt, die der hochwürdige Herr Felician seinen ›Andächtigen in Christo‹ hielt, kaum noch vernehmlich heraustönte durch das offene Kirchentor.

Gegen Ende der Predigt gab's im Friedhof einen kleinen Aufruhr. Da kamen drei Burschen und brachten eine merkwürdige Nachricht; sie hatten dem Nachtwächter die Zunge gelöst und wußten jetzt, weshalb er nach Mitternacht die Stunden nicht mehr ausgesungen hatte. Dem wäre was › Grausliches‹ begegnet, erzählten sie, und davon hätte er einen Schreck gehabt, der ihn mit Leibschmerzen ins Bett getrieben: er hätte in der Geisterstunde den ›Leibhaftigen‹ gesehen, dessen Namen man gerne mit drei Kreuzen umschreibt.

Von den Leuten, die im Friedhof diese Nachricht hörten, bekreuzten sich auch die meisten – ein sicheres Zeichen, daß sie das ›Grausliche‹ glaubten; ein paar andere schüttelten in Zweifel die Köpfe, und nur ein einziger war so verständig, daß er sagte: »Dös is ja dumms Zeug! Er wird halt an Rausch ghabt haben, und jetzt möcht er sich rauslügen.«

Als es aber hieß, der Leibhaftige, den der Nachtwächter gesehen, hätte ausgeschaut wie ein Stier, der auf den Hinterfüßen steht, so großmächtig und schwarz, und im Garten der Häuslschusterin, die man doch kennt als eine ›solchene‹, hätte er Holz gekloben – und als der Nachbar der Altenöderin unter den heiligsten Eiden beteuerte, daß er am Abend beim Schuppen der Häuslschusterin kein Spänlein Holz, am Morgen aber eine schön gespaltene Klafter gesehen, und daß er ganz deutlich um Mitternacht das unheimliche Sägen und Klopfen gehört hätte, da wurde auch jener einzige, bei dem der Verstand gesprochen hatte, ein wenig nachdenklich.

So zischelten, während das Hochamt schon begonnen hatte, die Leute vor dem Kirchtor mit heißer Erregung durcheinander, und nur für wenige Sekunden, als zur Wandlung die Glocken der Ministranten schrillten, ließen sie die klatschenden Mäuler ruhen, um die Stirnen zu bekreuzen und mit der Faust an die Brust zu schlagen. Die im Friedhof standen, wisperten die grausliche Nachricht ihren Vormännern zu, welche die Torhalle füllten. So drang das Gerücht in die Kirche hinein, in der die Weihrauchwolken über den hundert knienden Betern durch die schimmernde Fenstersonne schwammen. Und als Herr Felician Horadam mit schöner Koloratur das › Ite, missa est!‹ verkündete, begann Mutter Nannimai plötzlich zu merken, daß die Augen aller Umstehenden sonderbar auf sie gerichtet waren. Sie guckte an sich hinunter, weil sie glaubte, sie hätte ihr Kleid zerrissen oder die Milchsuppe auf ihren Spenzer getröpfelt. Lisbeth aber merkte nichts von dieser Unruhe; ganz versunken in die Zwiesprache, die ihr bedrücktes Herz mit dem Himmel zu erledigen hatte, hielt sie die Stirn auf ihre verschlungenen Hände geneigt. Sie blickte erst auf, als die Burschen mit Gepolter über die Treppe der Emporkirche herunterkamen. Und wieder senkte sie das heiße Gesicht.

Roman und Hanspeter gingen vorüber und schoben sich zwischen den anderen Leuten ins Freie.

Als das Gedräng ein wenig dünner wurde, sagte die Altenöderin zu Lisbeth: »Komm! Heut, mein' ich, hat mich der liebe Herrgott ghört. So viel leicht is mir 's Beten gangen.«

Sie traten hinaus in den von Menschen erfüllten und von Sonnenschein überfluteten Friedhof. Und da tat sich vor den beiden eine Gasse auf, als käme der Bezirksamtmann mit seiner Frau gegangen. Wieder sah die Altenöderin viele Augen auf sich gerichtet, und wieder wurde sie verlegen. »Ilsabeth?« fragte sie leis. »Hat mir leicht einer was anghängt?« Sie war an solche Scherze gewöhnt: daß man ihr Kletten in die Kleider warf, oder daß man ihr Eselsköpfe aus Tuch, das mit Kreide bestrichen war, auf dem Rücken abklatschte.

Auch dem jungen Waldhofer, der mit Hanspeter bei der Mauer stand, fiel das Gezischel der Leute auf. »Was haben s' denn?« fragte er. »Warum schauen s' denn d' Häuslschusterin so an?«

Hanspeter, dem die Augen glänzten, sagte langsam: »D' Ilsabeth schauen s' an. Die muß ihnen gfallen heut im Sonntagsspenser. Lieb schaut s' aus! Gelt, ja?«

Ehe Roman antworten konnte, stand die Altenöderin vor ihm. »Vergeltsgott, Waldhofer! Hast mir a christliche Guttat erwiesen. Und besser wie 's Holz is dös ander noch: daß d' mir mein Kindl auf'n Schlitten ghoben hast, wie's golten hat. Mit meim Madl hast mir 's eigene Leben derhalten.«

»No ja«, Roman lachte, »wie 's halt sein hat müssen! Da braucht's kein Vergeltsgott.« Er sah das Mädel an, das ein wenig hinter der Mutter zurückgeblieben war. »Hast den Schrecken schon verschlafen, Lisbeth?«

Schweigend hob sie das Gesicht. Und Roman lachte nicht mehr; er sah erstaunt in die großen, heißen Augen, deren Lider ein wenig gerötet waren.

Die Altenöderin puffte ihr Mädel mit dem Ellbogen an. »So sag ihm doch a Wörtl für's Holz!«

Zögernd streckte Lisbeth die Hand. »Vergeltsgott – für d' Mutter – und –«

»Na na! Mußt mir kein' Dank net sagen!« Roman faßte ihre Hand. »Ich merk dir's an, 's Danken wird dir a bißl hart!«

Sie lächelte ein wenig. »Jetzt nimmer! Vergeltsgott, Roman!«

Hanspeter legte dem jungen Waldhofer die Hand auf die Schulter. »Da hast a guts Wörtl derwischt!«

Nun konnte Roman wieder lachen. Freundlich erwiderte er den Gruß der Altenöderin und sah der Lisbeth nach, bis sie mit der hinkenden Mutter auf der Straße verschwand. »Hast recht, ja! Is a liebs Madl, die!« Er blickte auf, wie einer, der schauen will, ob es regnet. Da sah er die Traufe, die vom Kirchendach niederging, auf dem der Schnee in der Sonne zerschmolz. »Schau, 's Wetter schlagt um!«

Hanspeter hörte nicht. Seine Augen suchten da draußen auf der Straße. Und plötzlich fragte er: »Brauchst mich noch, Mandi?«

»Na. Warum?«

»Mit der Nannimai tät ich gern heimgehn. Die Buben machen allweil so Gschichten mit ihr. Aber wann ich dabei bin, traut sich keiner.«

»Ja, hast recht, geh mit!« Roman zog die Pfeife aus der Tasche und strich an der Friedhofmauer ein Schwefelholz an. »Aber gelt, vergiß net auf'n Herrn Pfarr!«

»Na na! Nach'm Essen geh ich schon hin. Jetzt, auf 's heilige Amt auffi, da is er hungrig und muß sei' Mahlzeit haben, da tät ich unglegen kommen. Pfüe Gott derweil!« Hanspeter eilte davon; dabei knappte sein Fuß noch ein bißchen.

Paffend brannte Roman die Pfeife an. Und da kam von den Burschen einer auf ihn zu: »Hörst, du, wie kannst dich denn mitten am Kirchhof herstellen? Mit so zwei Leut? Oder weißt noch net, was heut in der Nacht –«

»Is schon gut, ja, laß mich aus!« Roman schob den Burschen beiseite. »Da kommt mei' Julei. Jetzt hab ich kei' Zeit nimmer.« Sein Glück in den Augen, das qualmende Pfeifl in der Hand und von der warmen Sonne umsponnen, ging Roman auf sein Bräutl zu. Und während er das unschuldsvolle, zierlich aufgeputzte Persönchen betrachtete, schien ein vergleichender Gedanke in ihm aufzusteigen; er blickte gegen die Straße hinaus, sah wieder die Julei an und lachte, wie nur ein Glücklicher lachen kann, der mit der Musterung seines Besitzes zufrieden ist. Die heitere Laune, die ihn erfüllte, ließ er sich durch die ›lamperlfromme‹ Unnahbarkeit seiner Braut und durch das Gebrumm der Staudamerin nicht stören. Während er zwischen Braut und Brautmutter die auftauende Straße hinauswanderte, fand er so drollige Reden, daß sogar die Staudamerin ihr runzliges Gesicht zum Lachen verzog. »Wie heut, so bist noch nie net gwesen«, meinte die Alte, »schier kunnt man meinen, du hättst in aller Fruh schon a Glasl übern Durst verschluckt.«

»Ja, Mutter, heut hab ich's in mir, ich weiß net wie!« Bei diesen Worten blitzte er Julei mit seinen glücklichen Augen an. »Auf Ostern, mein' ich, is nimmer weit!«

Sie sah mit verstecktem Lächeln zu ihm auf; das waren jene Augen wieder, aus denen es herausglitzerte wie aus dem verschlossenen Türchen einer Feuerstätte. Dann aber, als wäre ein ernster Gedanke in ihr aufgestiegen, erschien zwischen ihren Brauen eine Falte, die in dieses rosige Gesicht paßte wie ein trüber Fleck in die Sonne.

Als die drei von der Dorfstraße gegen die Wiesen abbogen, trafen sie mit einigen Nachbarsleuten zusammen. Da gab's nun einen Klatsch, der die Staudamerin so lebhaft beschäftigte, daß Roman und Julei ein wenig zurückbleiben konnten. Und als der Weg um eine Gartenecke bog, benützte Roman den Schutz einer Hecke, um sein Bräutl in die Arme zu schließen. Das tat er mit ausgiebiger Kraft, denn er hatte damit gerechnet, daß sich Julei in ihrer Angst vor dem Späherblick der Mutter wie üblich sträuben würde. Aber so flink, als hätte sie selbst mit Ungeduld auf solch einen günstigen Augenblick gewartet, schlang sie die Arme um seinen Hals und küßte ihn so stürmisch, daß ihn dieses ungewohnte Ereignis verblüffte. »Schatzerl! Julei!« Da schloß sie ihm den Mund schon wieder mit brennenden Küssen.

»Schmeckt's? Ja?« klang hinter den beiden eine spöttische Stimme. Der Mickei war's. Und das Pärchen fuhr auseinander. Roman war zu einer Grobheit nicht übel aufgelegt. Doch Julei schien die Störung weniger ernst zu nehmen. Sie lachte und wandte sich ab, als wäre der Knecht nur Luft für sie. Mickei machte die Augen klein, trat über den Fußweg in den Schnee hinaus und ging an den beiden vorüber. »Schenierts enk net! Ich schau nimmer um.« Er schob die Hände in die Joppentaschen, begann zu laufen, um die Vorausgegangenen einzuholen, blieb wieder stehen und rief über die Schulter zurück: »O's zwei habts es heut mit der himmlischen Freud, enk zwei verinteressieren die höllischen Sachen net. Sonst kunnt ich enk ebbes verzählen.«

Julei, als hätte sie hinter diesen Worten eine versteckte Bosheit vermutet, fuhr auf: »Verzählen? Was verzählen?« Das war ein Ton, der zu ihrer sanften Unschuld gar nicht passen wollte. »Von mir aus kannst verzählen, was d' magst!«

Roman begann die Sache schon wieder heiter zu nehmen. »Geh, laß ihn reden! Unser Bußl haben wir, soll er's der Mutter tratschen!«

»Jetzt weiß man's, ja!« rief Mickei. »Jetzt weiß man's!«

Wieder fuhr Julei auf. »Was weiß man? Was?«

Mickei musterte Julei mit funkelnden Augen. Dann rief er: »Was d'Häuslschusterin und ihr Madl treiben in der Nacht – jetzt weiß man's!«

Ein wenig verdutzt über diese Wendung des Gespräches, sagte Roman: »Was sollen s' denn treiben? Schlafen halt, wie ander Leut.«

»Ja! Derweil ihnen der Teufel d' Arbeit tut.«

»Geh, du Narr!«

»Was, Narr? Was? Wann der Wachter heut in der Nacht um Zwölfe mit eigene Augen den Leibhaftigen gsehen hat, wie er der Häuslschusterin hinter der Holzleg d' Scheiter kloben hat! Jetzt weiß man's! Jetzt stauben wir s' aber aussi zum Ort, die saubern Menscher, die zwei!« Mit dieser Drohung eilte Mickei den Vorausgegangen nach.

»Ja, schau, daß d' Füß kriegst!« rief Roman hinter ihm her. »Und an andermal laß mich in Ruh mit söllene Sachen! Da mußt dir schon a paar Dümmere aussuchen dazu, als mich und d' Julei!«

Die sanfte Unschuld an seiner Seite schien aber nicht zu den Klugen zählen zu wollen, zu denen Roman sich rechnete. Sie gekreuzte sich. »Jesus, Jesus! Aber allweil hab ich mir's schon denkt!«

Roman faßte ihre Hand. »Julerl! Geh! Du wirst doch um Gottswillen kein' solchen Unsinn net glauben?«

»Ja! Und ja! Und ich glaub's! Jetzt leg ich mei' Hand dafür ins Feuer. Die Alte is eine, und die Junge hat 's Wetter gmacht, dös unsern Haber derschlagen hat.«

»Aber Julerl!« Dem jungen Waldhofer wurde die Stirne rot. »So laß dir doch sagen –«

»Brauchst mir nix sagen! Jetzt kann man's beweisen. Die halten's mit'm Teufel.« Ihre sonst so sanfte Stimme bekam einen kreischenden Ton, während sie ein Dutzend unwiderleglicher Gründe dafür anführte, daß die Häuslschusterin und ihr Mädel zwei Hexen wären, zwei von den ganz Gefährlichen.

Roman wartete geduldig, bis ihr der Atem verging. Dann legte er den Arm um ihre Schulter und zog sie herzlich an sich. »Jetzt laß mich auch a bißl reden! Und da kannst jetzt grad amal sehen, wie unvernünftig d'Leut daherreden und was für strohdumme Sachen als s' glauben.« Er lachte. »Den Teufel, der der Häuslschusterin heut nacht a bißl gholfen hat aus christlicher Liebe, den kenn ich so gut wie dich und mich. Der is mein liebster Freund.«

Sie guckte ihn wunderlich an.

»Ja! Weißt, wer der Teufel gwesen is heut nacht? Unser Hanspeter.«

Verdrießliche Enttäuschung malte sich in ihrem sanften Grübchengesicht. »Der Hanspeter? Wie kommt denn der Hanspeter um Zwölfe zur Häuslschusterin?«

»Weil er in der Nacht die Klafter Holz noch kloben hat, die ich dem armen Weibl gestern gschenkt hab.«

Juleis Gesicht war dunkelrot geworden. Und spitzig klang ihre Stimme. »Wie kommst denn du dazu, daß unser Holz verschenkst? An so eine! Gleich klafterweis!«

»No ja, weißt«, Roman wurde ein bißchen verlegen, »weil halt gestern mein Schlitten ihrem Madl übers Klaubholz gangen is, und weil ich 's Madl schiergar überfahren hätt.«

»Hättst es überfahren!« brach es schrill aus dieser sanften Unschuld heraus. »So eine, wie die! Gleich in lauter Scherben hättst es fahren sollen! Unser Herrgott hätt sei' Freud dran ghabt. Und ich!«

Er sah das grausame Feuer, das aus ihren Taubenaugen blitzte, und starrte sie erschrocken an. »Julerl? Ich kenn dich ja nimmer. Wie kannst denn so was reden, so ebbes Unguts? A Mensch is doch a Mensch.«

»Hexen sind keine Menschen net.«

Jetzt wurde er heftig. »Hexen, Hexen, Hexen? So hör mir doch mit so eim Unsinn auf! Dös mag ich net leiden an dir. Es gibt keine Hexen net. Und d'Häuslschusterin is a bravs und a richtigs Weiberleut. Sonst tät's der Hanspeter net so mögen. Und d' Ilsabeth is a rechtschaffens Madl –«

»So? So?« unterbrach ihn Julei. »Hat s' dich auch schon verhext? Die? Mit ihre Kohlrabiaugen! Hast ihr am End mit deiner Klafter Holz ebbes zahlen müssen? Ja?«

Vielleicht hätte er den Sinn dieses Wortes gar nicht verstanden. Doch ihr Blick und ihr Lachen unterstrichen, was sie meinte. Und das wirkte auf ihn wie ein Faustschlag. »Julei! Dös nimmst zruck!«

Sie lachte.

»Dös nimmst zruck! Gleich auf der Stell! Oder –«

»Oder was?« trotzte sie.

»Oder auf Ehr und Seligkeit: ich geh kein Schrittl nimmer weiter mit dir!«

Jetzt war sie es, die ihn erschrocken ansah. Aber dann lachte sie wieder und wandte sich ab.

»Julei!« Seine Stimme war ganz erloschen. »Mein Wort is Wort!«

Sie ging den Vorausgegangenen nach, deren erregter Disput über den Schneehang heruntertönte.

Dem jungen Waldhofer schoß das Blut ins Gesicht. Er sah dem Mädel mit so verstörten Augen nach, als ginge die weiße sonnige Welt vor ihm unter. Droben verschwand die Staudamerin mit ihrer lärmenden Klatschgesellschaft hinter der Kuppe des Schneehanges. Nur Julei war noch zu sehen, wie sie gemächlich den weißen Weg hinaufstieg. Romans Gedanken stammelten: »Dös kann net Ernst sein! Sie muß mir's abbitten!«

Julei ging weiter, ohne das Gesicht zu wenden, und verschwand auf der Höhe der weißen Wiese. »Julei!« schrie Roman und begann zu laufen. Doch plötzlich stand er wie angewachsen und bohrte die Fäuste in die Joppentaschen. »Na! Da müßt ich mich ja schamen vor mir selber.«

Schon wollte er umkehren. Da dämmerte eine letzte Hoffnung in ihm auf: wenn sie merkt, daß er nicht nachgibt, wird sie kommen – oder rufen. Nur seinen Namen! Dann soll alles wieder gut sein.

Er stand und lauschte. Doch in der Stille des sonnigen Morgens ließ sich kein anderer Laut vernehmen als das leise Klatschen des erweichten Schnees, der von den Hecken fiel.

Roman rückte mit zitternder Hand den Hut, schüttelte den Kopf wie einer, der sein Leben und sich selbst nicht mehr versteht – und nun begann er langsam gegen die Straße hinunterzuwandern.

Vom Kirchturm klang das Geläut der Elfuhrglocke. Der Schall machte die stillen Lüfte zittern. Und solange die Glocke tönte, fielen die tauenden Schneeklumpen reichlicher vom Gezweig.

Der Bergwald, der am vergangenen Abend noch weißlichgrau gewesen, hatte seit dem Morgen einen grünen Anflug bekommen, weil sich die Fichten in der milden Sonne von ihrer kalten Winterlast zu befreien begannen.

Überall hörte man ein leises Getröpfel, im gefrorenen Bach begann das Eis zu krachen, und droben lachte die Sonne im Blau, lachte herunter auf die frierende Welt und auf die zappelnden Menschen mit ihrer Torheit, mit ihren Freuden und ihrem Weh. Das alles umschimmerte sie und hüllte es in den gleichen milden Glanz.

Die Meisen flatterten um die Hecken her, badeten im Schnee und badeten in der warmen Sonne.

Roman sah das ›lehrreiche‹ Spiel der kleinen Vögel nicht. Er sah nur immer das veränderte Gesicht seiner Julei und hörte ihre schrillende Stimme, hörte dieses häßliche Wort, das sie ihm ins Gesicht geworfen. Und ohne zu denken, fühlte er dumpf, daß er heut eine andere gesehen hatte, die er noch nicht gekannt, eine, die ihm nicht gefiel, und daß ihm aus seinem lachenden Glück das Beste herausgerissen war: die gläubige Freude. Das konnte er sich freilich nicht mit klaren Worten sagen; aber es war in ihm und erstickte ihn fast. Am liebsten hätte er sich an den Wegrain setzen und heulen mögen wie ein Kind, dem ein schönes Spielzeug zerschlagen wurde. Er, dem zeit seines Lebens niemals ein Schatten über den hellen Weg gelaufen, fühlte sich in diesem ersten Kummer seines Herzens völlig ohne Rat. Es erging ihm wie einem Gesunden, der nie ein Leiden kennenlernte und zum erstenmal Zahnweh bekommt: der ist verzweifelt und möchte, um den Schmerz zu stillen, am liebsten den Kopf ins Feuer stecken.

In solcher Stimmung kam Roman heim.

Der alte Waldhofer war nicht zu Hause; der hatte Gemeinderatssitzung im Wirtshaus drunten, und das pflegte lang zu dauern – da brauchte man mit dem Essen nicht auf ihn zu warten. Drum trug die Küchenmagd, als Roman in den Hausflur trat, auch gleich die Suppenschüssel in die Stube. Hanspeter, die beiden Knechte und die Stallmagd standen schon wartend um den Tisch. Nur der Hüterbub fehlte noch.

Als Roman in die Stube kam, sah es ihm Hanspeter gleich an den Augen an, daß irgend etwas geschehen wäre. »Mandi, was hast denn?« fragte er besorgt.

»Nix!« Roman schleuderte den Hut hinter den Ofen und riß die Joppe herunter.

»Aber schau –«

»In Ruh laß mich!« Fast schien es, als wollte sich alle Erregung, die in Roman angesammelt war, gegen den Hanspeter entladen. Der war doch eigentlich schuld an allem! Der hatte das dumme Mitleid in ihm geweckt und hatte die Klafter Holz davongeführt, aus der alles Unglück herausgeschlagen war wie böses Feuer! So zuckte es mit wirren Gedanken durch Romans heißen Kopf. Doch als er auf den Hanspeter zutrat und in dem breiten häßlichen Gesicht diese guten, besorgten Augen sah, da brachte er kein zorniges Wort heraus. Um jede weitere Frage abzuschneiden, bekreuzte er sich und begann dem Hausgesinde das Tischgebet vorzusprechen. Die Leute fielen ein; nur Hanspeter schwieg, seine Augen hingen an Roman. Bevor man sich zur Schüssel setzte, haschte er ihn am Hemdärmel: »Geh, Mandi, sag mir, was hast denn? Du? Und kein lachets Gsicht? Dös kommt mir für, wie wann der Morgen kein Licht nimmer hätt.«

»Kommt mir selm so für, ja.« Roman schob sich hinter den Tisch und begann zu essen; doch an jedem Bissen hatte er mühsam zu schlucken. Gereizt, wie nach einem Ausweg für seine Erregung suchend, fragte er: »Wo is denn der Bub? Dös bitt ich mir aus, daß d' Ehhalten um Elfe daheim sind!«

Im gleichen Augenblick kam der Hüterbub zur Stubentüre hereingefahren. Noch auf der Schwelle begann er zu krähen: »Habts es schon ghört? 's ganze Ort is halber narrisch. Habts es schon ghört: heut in der Nacht is der Teufel bei der Häuslschusterin einkehrt.«

Als Roman das Wort ›Häuslschusterin‹ hörte, war's mit seiner Beherrschung zu Ende. »Kommt mir schon wieder einer mit dem Unsinn?« Er schlug auf den Tisch, daß die Teller mitsamt der Suppe ins Tanzen kamen. Die Leute rissen die Augen auf; so hatten sie den Haussohn noch nie gesehen.

Auch dem Hanspeter schien das Wort von der Häuslschusterin und vom Teufel ein Zittern in die Fäuste gegossen zu haben. Doch begütigend sagte er: »Geh, Mandi, ich kenn dich ja nimmer! Wie kannst dich denn so aus der Schnur lassen? Du!« Wie er das ›Du‹ betonte, das ging für eine lange Rede.

Und das Wörtl tat seine Wirkung. Roman kratzte mit dem Löffel die verschüttete Suppe vom Tischtuch und sagte: »Hast recht! Einer, mit dem der Zorn davonlauft –« Er sprach die Sentenz, die ihm der Augenblick eingab, nicht zu Ende. »Heut geht mir alles überzwerch. Die dalkete Gschicht da, die hat mir schon den ärgsten Verdruß übern Hals bracht.«

Dem Hanspeter wurden die Augen groß. »Was der Bub gsagt hat von der Nannimai und –« Das andere brachte er nicht heraus.

Die Knechte und Mägde, die zu merken schienen, daß im Hanspeter etwas ›roglig‹ wurde, schielten schmunzelnd zu ihm hinüber. Denn sie wußten: wenn der Hanspeter so große Augen machte, pflegte immer etwas Drolliges aus ihm herauszukommen.

»No ja, wie d' Leut halt unvernünftig daherreden und aus der Pudelkappen gleich an Rauber machen!« sagte Roman. »Gestern auf d' Nacht, wie du der Häuslschusterin die Klafter Holz kleingmacht hast, da hat dich der Wachter gsehen. Und jetzt redt der dumme Kerl im ganzen Ort umanand: der Teufel hätt um Zwölfe in der Nacht der Häuslschusterin d' Scheiter kloben.« Die Knechte wollten lachend mitschwatzen. Aber Roman hob den Kopf. »Jetzt red ich und der Hanspeter! Sonst keiner!« Aber Hanspeter sagte kein Wort. Er hatte nur den Teller von sich geschoben, als wäre ihm plötzlich der Hunger vergangen. Die Dienstboten hielten die Köpfe geduckt und löffelten ihre Suppe aus. In dieses Schweigen und Schmatzen murrte Roman nach einer Weile hinein: »Die Dummen, die an söllene Sachen glauben, sterben net aus. Aber daß sich auch die gescheidesten Leut auf so an Unsinn einlassen, grad dieselbigen, die man am liebsten hat –« Ein Husten und Würgen befiel ihn.

Der Hüterbub wurde rot und lachte, als hätte er ›dieselbigen, die man am liebsten hat‹, auf sich bezogen.

Hanspeter hielt die zitternden Fäuste auf den Tisch gepreßt, daß unter dem schweren Druck die hölzerne Platte zu knirschen begann. Auf seinem breiten, häßlichen Gesichte lag ein Zug von Schmerz. Leis und langsam fing er zu reden an, wie mit sich selbst: »Weiß, sagen s', is schwarz. Und Licht, sagen s', is Nacht. Um der Lieb wegen tust a Christenwerk. Und da machen s' den Teufel draus. 's ganze Herz haltst ihnen hin. Und sie schlagen dir's aus der Hand. Und Christen heißen s' anander. Christen! Für alles Schlechte und Dumme haben s' a Türl im Köpfl, huigerla, gleich springt's aus. Ja! Will aber 's Gute eini, da schieben s' die eisernen Riegel für und hören kein Klopfen und kein Mach auf! Und därfeten eins bloß haben! Bloß an einzigs: d' Lieb! Und alls wär gut. Und da sollt net einer da sein, der 's ihnen sagt?«

Die Mägde begannen zu kichern, und mit einer Grimasse kuderte der Hüterbub: »Ui jegerl mein, jetzt hebt er zum Predigen an!« Aber dieses Wort blieb ein halbes; bevor es der Bub noch völlig ausgesprochen hatte, sauste ihm klatschend eine Hand übers Ohr. Und Roman schrie ihm zornig in das verdutzte Gesicht: »Du Lausbub! Eh daß d' spötteln tust, paß lieber auf und merk dir was! Aber bei enk müßt einer kommen, der mit'm Stecken predigt. So einer war für enk der richtige Apostel.« Der Bub verdrehte die Augen. Diese stumme Antwort, die freilich nicht sonderlich ehrerbietig aussah, schien Romans Zorn noch zu reizen. »Gleich kannst noch eine haben!« Er holte auch mit der Hand schon aus.

Da legte sich Hanspeters schwere Faust auf seinen Arm. »Net schlagen, Mandi!«

»Wär schon recht, wann's allweil abging in der Welt mit gute Wörtln!« sagte Roman. »Aber d' Leut sind diemal wie 's bockbeinige Viech. Da muß man dreinschlagen. Da hilft nix anders nimmer.«

Hanspeter schüttelte den Kopf. »Einer, der schlagen muß, kann d' Lieb net haben. Einer, der d' Lieb hat, darf net schlagen.«

Roman strich das Haar in die Stirne. »Kann schon sein, daß ich d' Lieb nimmer hab!«

»Mandi?« Wieder sah ihn Hanspeter bekümmert an.

»Laß gut sein! Und iß!«

»Vergeltsgott! Es schmeckt mir nimmer.«

Die Küchenmagd brachte die Schüssel mit dem Rauchfleisch. Als die anderen genommen hatten, stach Hanspeter sein Stück aus dem Kraut heraus und legte es dem Hüterbuben auf den Teller. Dann stand er auf und nahm seinen Hut vom Fensterbrett.

»Wohin denn?« fragte Roman.

»In Pfarrhof muß ich auffi!« Hanspeter drehte den Hut. »Mit mir, hast gsagt, will er reden. Aber heut muß ich was reden mit ihm.« Langsam ging er aus der Stube.

Roman erhob sich und sprang dem Hanspeter nach, als möchte er sein bedrücktes Herz durch ein offenes Wort erleichtern. Draußen vor der Haustür aber guckte er schweratmend nach dem Wetter aus. Und sagte: »So wann s' anhalt, d' Sonn, da wird der Schnee bald Pfüet dich Gott sagen. Ja!« Seine Stimme hatte einen Klang, als wäre der nahe Abschied des Winters eine sehr traurige Sache.

Da legte ihm Hanspeter die Hand auf die Schulter. »So viel Jahr lang, allweil hat dein Lachen halbert mein ghört. Sollst mir auch dein Wehdam halbert lassen! Aber ich merk, daß mir nix sagen willst. Drum frag ich nimmer. Aber mich kannst haben in jeder Stund.« Er machte ein paar Schritte gegen das Hoftor. Dann wandte er sich wieder, noch immer mit dem Hut in der Hand. »Z'erst mach ich a Sprüngl zu dem guten Weibl nunter. Wann s' erfahren muß, was ihr d' Leut schon wieder anhängen möchten, kunnt s' den ärgsten Schrecken haben davon. Drum sag ich's ihr lieber selber. Von mir hört sie's leichter. Denn d' Nannimai, weißt, und d' Ilsabeth –«

Roman fuhr auf, als hätte ihm Hanspeter brennendes Feuer ins Gesicht geworfen. »Kommst mir du auch schon wieder mit dene zwei daher! Da laß mich aus damit! Verstehst mich!« Mit geballten Fäusten ging er ins Haus zurück.

Als wäre aus dem blauen Himmel etwas Ungeheuerliches heruntergefallen, dem Hanspeter vor die Füße hin, so sah er verstört die Haustür an, in welcher Roman verschwunden war.

»Jetzt hat der auch noch d' Lieb verloren! Der einzige, der's ghabt hat! Der einzig, der sich ebbes sagen hat lassen!«

Hinkend trat er auf die Straße hinaus, immer noch den Hut in der Hand.


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