Ludwig Ganghofer
Der Dorfapostel
Ludwig Ganghofer

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Sechstes Kapitel

Wie das angstvolle Gegacker einer Elster, die der Habicht erschreckte, klang im Pfarrhof das Gerassel der alten Türglocke durch den großen stillen Korridor.

Jungfer Kathrin, eine städtisch gekleidete magere Person, schon sechzigjährig, mit hartem Gesicht – ein Gesicht, wie es gealterte Weiber haben, die nicht Frauen wurden – Jungfer Kathrin wollte eben ihrem hochwürdigen Herrn den Nachmittagskaffee in die Studierstube tragen. »Jesses, jesses, wer reißt denn so an der Glocken!« Dann brummte sie: »Gwiß braucht einer die letzte Ölung? Und der Herr Pfarr kann wieder rennen. Am Sonntag!«

Die Bauern haben ein zähes Leben; die sterben nicht so schnell. Doch der Kaffee wird kalt in fünf Minuten. Den trug sie erst in die Stube.

Das war ein großer Raum zu ebener Erde, altväterisch eingerichtet, mit hohen Büchergestellen an den Wänden, von Tabaksgeruch erfüllt, zum Schwitzen überheizt und etwas dunkel, denn die kleinen, auf die Straße gehenden Bogenfenster waren mit groben Leinengardinen dicht verhangen.

Hinter dem weißgedeckten Tisch lag Herr Felician Horadam im Schlafrock auf dem Sofa, und während er in einer Zeitung las, die er bei der matten Stubenhelle ganz nah vor die Augen halten mußte, stand der Porzellankopf seiner langen Pfeife auf dem Teppich. Eine blaugraue Rauchwolke umhüllte das Zeitungsblatt und den Kopf, der dahinter verborgen lag. Beim Eintritt der Köchin ließ Herr Felician die Zeitung sinken und blies in die Wolke, damit sie sich ein wenig zerstreuen möchte. »Wer hat denn geläutet, Kathrin?«

»Zuerst trinken S' Ihren Kaffee, Hochwürden!« sagte die Köchin. Ihre Vermutung, weshalb man draußen geläutet hatte, verschwieg sie, weil sie aus Erfahrung wußte: Herr Felician Horadam würde, wenn ein Kranker nach ihm rief, den besten Kaffee stehenlassen und hurtig nach den Stiefeln greifen. »Und wer der Flegel is, der so an der Glocken reißt? Den muß ich mir erst noch anschauen, den!«

»Kathrin! Brummst schon wieder, ja? Geh lieber und mach die Tür auf! Vielleicht braucht mich einer, und notwendig.«

»Trinken S' Ihren Kaffee! Alles andere pressiert net so.« Da wurde abermals an der Glocke gerissen, noch heftiger als zuvor. »No no no no!« sagte der Pfarrer begütigend und versuchte sich aufzurichten. Das ging nicht so leicht. Im Sofa hatte sich im Lauf der Jahre eine tiefe Grube gebildet, in der wohl ein gutes und festes Liegen war, aber zum Aufstehen wäre für Herrn Felician Horadam fast die Nachhilfe eines Flaschenzuges nötig gewesen. Sonst half ihm dabei die Jungfer Kathrin. Die mußte aber jetzt, durch dieses neuerliche Läuten gereizt, mit Schelten in den Flur hinauslaufen und die Haustür öffnen. Als sie den Hanspeter sah, war sie zuerst vor Staunen völlig sprachlos. Daß der die Keckheit haben könnte, so an der Glocke zu reißen, das wäre ihr letzter Gedanke gewesen. »Du hast es nötig, daß d' so an Spektakel machst! Du Störenfried in der Gmeind!«

Hanspeter war so atemlos, daß er kein Wort herausbrachte. Und weil die Jungfer Kathrin noch immer auf der Schwelle stand, wollte er sie mit der Hand beiseiteschieben.

Aber da murrte die Köchin: »Gelt, du, sei manierlich! Z'erst muß ich dem Herrn Pfarr sagen, wer da is.«

Sie ging in die Stube. Herrn Felician Horadam war es inzwischen gelungen, auf die Beine zu kommen. »Kathrin«, mahnte er ein wenig ärgerlich, denn er hatte gehört, was die Köchin draußen gesprochen, »ich hab dir schon hundertmal gesagt, du sollst mit den Leuten nicht so unfreundlich sein. Deswegen bin ich doch da, daß die Leut um einen Trost zu mir herlaufen können in ihrer Not.«

»Freilich, mit der Freud kommt keiner.«

»Mit der Freud wird jeder selber fertig, da braucht er keinen Helfer dazu.« Herr Felician legte das Sofakissen in die Grube und setzte sich drauf. »Wer ist denn draußen?«

»Der böhmische Hans Narr, der!« Kathrin füllte die Tasse.

»So so? Der Hanspeter! Richtig, den hab ich herbestellt. Den laß nur herein!«

Kathrin gab den Zucker in den Kaffee. »Jetzt bleiben S' amal daheim mit Ihrer ewigen Güt und waschen S' dem unvernünftigen Lackl den Kopf, wie's ihm gehört! Der tut Ihnen nix als Schaden stiften.« Die Jungfer Kathrin faßte den Hang zum Predigen, der sich im Hanspeter entwickelt hatte, als eine gegen ihren hochwürdigen Herrn gerichtete Konkurrenz und Berufsstörung auf. »Wenn jeder Unstudierte 's heilige Gotteswort auf der Straßen austragen kunnt, für was tät man denn ums teure Geld auf'n Pfarr studieren? Und was man auf der Straßen ausschreit, hat in der Kirch kein' Wert nimmer. Sagen Sie's ihm ordentlich!«

Herr Felician Horadam zog die Stirn zusammen, als täte ihm etwas wehe. Doch er sagte nichts. Gegen die Kathrin, wenn es sich um einen wirklichen oder eingebildeten Vorteil des Pfarrhofs handelte, war nicht aufzukommen.

Die Köchin stellte den gepolsterten Sessel fort, der neben dem Sofa vor dem Tische stand, und brachte dafür aus dem Ofenwinkel einen dreibeinigen Holzstuhl herbei, den ›Bauernsessel‹, dem keine Lederhose schaden konnte. Dann ging sie zur Tür und rief in den Flur hinaus: »Komm her, du!«

Hanspeter erschien auf der Schwelle und bückte den Kopf, um einzutreten. Als er den freundlichen Blick sah, mit dem Herr Felician ihn betrachtete, wurde er ruhiger. »Gottslieben Nammittag, Herr Pfarr!« Hanspeter bekreuzte sich, denn halb war für ihn auch der Pfarrhof eine Kirche.

Der Hochwürdige tat einen Zug aus der Pfeife. »So, Peterl! Schön, daß du kommst! Setz dich nur her zu mir! Geh, Kathrin, bring noch ein Tasserl, der Peter wird auch ein Schalerl mögen.«

»Na na!« stotterte Hanspeter. »Bloß reden möcht ich a bißl.«

Kathrin erklärte: »Für zwei is net antragen.« Sie verließ mit dem Kaffeetablett die Stube.

Wieder zog Herr Felician die Stirn in Falten. »Komm, Peterl, setz dich her zu mir!«

Bescheiden schob sich Hanspeter von der Seite auf den Stuhl. Aber diese schiefe Belastung mit drei Zentnern ging dem Sessel gegen die dünnen Beine. Es tat einen Knacks, und Hanspeter saß neben dem geknickten Stuhl auf dem Boden. Ganz bleich war er, als er sich aufrichtete. »Tun S' mir verzeihen, Herr Pfarr! Überall muß ich Unglück anrichten.«

Kathrin, die den Plumps gehört hatte, kam zur Türe hereingestürzt. Ihr schlimmster Schreck war wohl beschwichtigt, als sie ihren Hochwürdigen bei gesundem Lachen fand. Doch als sie sah, was Hanspeter mit dem Sessel angerichtet hatte, wurde sie dunkelrot im Gesicht. Aber Herr Felician schnitt ihr die Rede ab: »Geschieht dir ganz recht! Hättest du den Polsterten stehenlassen. Der hätt nachgegeben.«

Schweigend hob Kathrin die Stücke des zerbrochenen Stuhles auf und trug sie zur Stube hinaus. Dabei ließ sie die Tür ein wenig offen. Herr Felician sah es und schmunzelte. Dann brachte er selbst für Hanspeter den Gepolsterten herbei. »So, Peterl, der tragt dich schon.«

Hanspeter ließ sich vorsichtig nieder und hielt sich auf der Kante des Sessels halb in der Schwebe.

Lachend schob ihm der Pfarrer die Kaffeetasse hin. »So! Und den trinkst jetzt!«

»Na na, Herr Pfarr, um Gottswillen –«

»Jetzt folgst mir und trinkst!«

Hanspeter gehorchte und leerte auf einen Zug die Tasse. Mit dem Ärmel wischte er den Mund. »So an guten hab ich noch nie kein' kriegt.«

»Ja, die Kathrin! Die versteht's!« Herr Felician blinzelte zur Tür hinüber. »Im Kochen, da könnt ich mir keine bessere wünschen!« Das ›Kochen‹ betonte er, daß man noch einen Nachsatz mit einem ›aber‹ erwartet hätte. Doch den verschwieg er. Erst blies er noch ein Wölklein vor sich hin, und dann sagte er: »So, Peterl, jetzt reden wir miteinander!«

»Ja, Herr Pfarr! So viel z'reden hab ich mit Ihnen! Soviel harte Sachen! Schauen S', Herr Pfarr, was d' Leut schon wieder –«

»Nur langsam! Nur alles schön in der Ordnung! Ich hab dich herbestellt. Jetzt sag ich zuerst a bißl was.« Vom Korridor herein hörte man ein lautes Räuspern. »Und ghörig, Peterl«, Herr Felician schraubte die Stimme, »ghörig muß ich dir's sagen!«

Hanspeter legte die schwere Hand auf seinen Kopf und atmete schwül. Machte ihm der schwelende Ofen so heiß? Oder trieb ihm seine Herzensangst das Wasser aus der Stirne? Er schwitzte, daß es überall glitzerte auf seinem häßlichen Gesicht.

Lächelnd beugte sich Herr Felician vor, faßte ihn bei der großen Ohrmuschel und zog ein wenig. »Du guter, dummer Kerl du! Was für Sachen machst du denn allweil?«

»Sachen?« Das Wort schien für Hanspeter eine üble Bedeutung zu haben. Er schüttelte den Kopf. »Na na! Sachen mach ich keine.«

»So? Und dein Predigen auf der Gasse?«

»In d' Häuser lassen mich d' Leut nimmer eini. So muß ich's ihnen halt auf der Gassen sagen.«

»Sagen? Was denn sagen?« Herr Felician hatte Mühe, um bei diesem Gedankensprung des Peter Johannes Zdazilek ernst zu bleiben. »Was willst denn du ihnen sagen?«

»Was ich sagen will?« Mit großen Augen sah Hanspeter den Pfarrer an. »Daß s' anderst werden müssen, d' Leut. Daß man so, wie s' sind, bald nimmer hausen kann mitanand. Daß einer dem andern 's Leben versaut. Daß man sein' christlichen Nebenmenschen net beleidigen darf. Daß man gut sein muß und d' Lieb haben.«

»So? So?« Freundlich sah Herr Felician den erregten Apostel an. »Und du meinst, daß du der erste wärst, der den Menschen das sagt?«

»Der erste? Ah na! Aber weil's kein andrer net derpackt, jetzt probier's halt ich amal.«

Es zuckte um die Mundwinkel des Pfarrers. »Schau, Peterl, jetzt lauft die Welt schon an die sechstausend Jahr. Gescheite Leut sagen: sie lauft noch viel, viel länger. Aber allweil lauft sie das gleiche Straßl, und allweil wachsen die gleichen Menschen wieder. Der Erzvater Moses ist da gewesen, der starke Prophet Elias, der Täufer am Jordan, unser lieber Heiland selber ist vom Himmel heruntergestiegen und hat sein kostbares Blut verschüttet. Und da willst jetzt du daherkommen und über die Leut schimpfen?«

»Schimpfen?« stotterte Hanspeter, eingeschüchtert durch den Klang dieser großen, heiligen Namen. »Na, na, Herr Pfarr, schimpfen tu ich net.«

»Aber das borstige Pelzl willst ihnen über die Ohren ziehen und möchtest einem jeden ein schneeweißes Lammskappl aufsetzen?« Herr Felician lächelte. »Du, natürlich, weil du's bist, du wirst aus dem mageren Lebensmäuserl gleich ein großes, fettes, glückseliges Kalbl machen!«

Hanspeter schnaufte. »Freilich, ja, wann ich mich so anschau, wer ich bin, so muß ich mir schon selber sagen: Peterl, da hast dir a bißl viel zutraut!«

»Gelt, ja?«

»Aber hinther sag ich mir allweil wieder: wann d' Leut bloß a bißl möchten! Es wär ja gar net amal so schwer. Grad an einzigs müßten s' tun, und alls wär gut auf der Welt. Hat's ihnen doch der Heiland gsagt!« Hanspeters Augen schwammen in zerflossenem Glanz. »So gut und schön hat er's ihnen gsagt! ›Kindlein‹, hat er gsagt, ›Kindlein, liebet einander!‹ Warum tun sie's denn net? Dös wär doch kein Kunststückl! Bring's ja doch ich auch fertig und bin von die Dümmsten einer. Da kunnten's die Gscheiden doch auch a bißl nachmachen! Sagen S' selber, Herr Pfarr: hab ich net recht?«

Lächelnd stellte Herr Felician Horadam die Studentenpfeife in den Sofawinkel, faßte Hanspeters klobige Faust, zog sie halb über den Tisch herüber und umhüllte sie streichelnd mit seinen linden, ruhigen Händen. »Ganz recht hast, Peterl, ganz recht! Aber a bißl unrecht hast du auch. Denn erstens einmal – ›Kindlein, liebet einander!‹ das hat unser Herr Jesus Christus gar nicht gesagt.«

Für Hanspeter war dieser Einwurf wie ein Stoß vor die Stirne.

»Ja, Peterl, das hat der heilige Johannes einmal geschrieben.«

Hanspeter atmete auf. »No, da bin ich net weit davongwesen. Und hat's der heilig Johannes gschrieben, so wird er's halt vom Heiland ghört haben. Dös macht kein' argen Schiedunter. Jetzt haben wir dös Wörtl, und dös Wörtl is gut.«

»Ja, Peterl, eins von den besten, die wir haben! Und das mit dem heiligen Johannes hab ich dir auch nur gesagt, damit ein bißl Ordnung in dein dickes Köpfl kommt.«

»Ja, ja, versteh schon, ja! Vergeltsgott, Herr Pfarr! Jetzt hab ich wieder ebbes glernt.«

»No also, schau!« Herr Felician tätschelte die grobe Faust des Holzknechts. »Und zweitens muß ich dir sagen, daß die Menschenliebe kein kleines, sondern ein sehr großes Kunststückl ist, das ganz und recht unter Tausenden kaum ein einziger fertigbringt. Sie ist überhaupt kein Kunststückl, man kann sie nicht lernen, sondern muß sie haben als seinen heiligen Lebensbesitz, wie der Tag sein Licht hat, wie du dein gutes Herz hast und deine blauen Augen.«

Diese blauen Augen waren, während Herr Felician sprach, in staunendem Schreck immer größer geworden. Jetzt schüttelte Hanspeter das dicke Köpfl. »Na, na, Herr Pfarr! Daß man d' Lieb net lernen kunnt? Dös laß ich mir net einreden. Schauen S' mich an! Hab ich ebba d' Lieb net selber glernt?«

»Nein, Peterl! Du hast sie immer gehabt.«

»Net wahr is, Herr Pfarr! Als Bub amal, da hab ich an schiechen Zorn auf d' Leut ghabt, bis ich mir gsagt hab amal: wie darfst denn Lieb verlangen, wann selber d' Lieb net hast? Und da hab ich angfangt. Und völlig leicht is mir's worden, daß ich's glernt hab, d' Lieb. Und an anders Exemplibeispiel: Schauen S' mein' Roman an! Der hat sich ebbes sagen lassen. Den hab ich gut gmacht. Der hat d' Lieb derlernt und –« Hanspeter stockte. »Jetzt, freilich jetzt hat er mir wieder a wengl umgschlagen. Aber da hab ich kein Angst net. Na, na! Beim Roman bring ich d' Lieb schon wieder auf gleich. Der is mein Exemplibeispiel. Und wann's einer derpackt mit der Lieb, warum sollen's die andern net derpacken. Alle! Ehnder gib ich kei' Ruh net. So, wie's jetzt is, kunnt man ja bald nimmer schnaufen auf der Welt. Ohne Lieb kein Leben, Herr Pfarr! Da muß alls z'grund gehn, da muß alls verfaulen. Schauen S' an: grad a bisserl Lieb wann s' ghabt hätten, d' Leut, so hätt mein Mutterl net –« Hanspeter schluckte. »Na, na, Herr Pfarr, von meine Sachen, da soll kei' Red sein davon! Aber schauen S' an, was d' Leut jetzt wieder treiben mit der Nannimai drunt! Alte Hex und krumplete Hex haben sie's allweil schon gheißen. Und den Rauchfang haben s' ihr zugstopft. Und jetzt reden s' umanand im ganzen Ort, sie tät's mit'm Teufel haben. Hätten S' d' Ilsabeth gsehen, Herr Pfarr –« Hanspeter vermochte kaum noch zu reden. Nur mühsam brachte er's heraus: die Geschichte von der christlichen Klafter des Roman und von seiner eigenen Arbeit in der Nacht. »Und da sagen s' jetzt: der Teufel hätt ihr die Klafter bracht und hätt ihr d' Scheiter kleingmacht.«

In Ärger hatte sich Herr Felician Horadam erhoben. Die Hände hinter dem Rücken, schritt er in der Stube auf und nieder, so flink, daß die Zipfel des Schlafrockes und die langen Quasten wehend hinter ihm herbaumelten. Das Gesicht von Zorn gerötet, blieb er beim Tische stehen und schlug mit der Faust auf die Platte, daß die Kaffeetasse ins Wanken kam. »Soll s' doch der Teufel gleich alle holen, die gottsschlechten Leut!«

Hanspeter war über dieses Wort viel weniger erschrocken, als Herr Felician selbst.

Draußen im Hausflur wurde laut gehustet. Und der Hochwürdige, halb noch in Zorn und halb verlegen, stotterte im Dialekt: »No ja, man weiß ja schon bald nimmer, wie man's machen soll. An unsern Herrgott wollen s' net glauben, wenn man ihnen net allweil 's höllische Feuer unterm Sessel schürt. Und sagt man ihnen a Wörtl vom Teufel, so schreckt einer den andern damit, und selber fürchtet ihn keiner. Die Bauern! Die Bauern! Und da sagt man allweil: das gläubige Volk! Ja! ›Mar' und Jankerl‹ sagen, dös is ihr ganze Religion.« Er zog das blau und weiß gewürfelte Sacktuch aus der Schlafrocktasche, schneuzte sich mit Geräusch und nahm eine besänftigende Prise. Dann faßte er den Kopf des Holzknechtes zwischen beide Hände und wiegte ihn ein wenig hin und her. »Sei zufrieden, Peterl, und tu dich net aufregen! Am nächsten Sonntag sag ich der Gemeinde ein Wörtl.« Draußen im Flur schien kalte Zugluft zu herrschen, die der Jungfer Kathrin übel bekam; sie hustete ununterbrochen. Aber Herr Felician hörte nicht. »Und wer mir das alte Weibl net in Ruh laßt, kann sich freuen auf'n Beichtstuhl! Wir haben nimmer weit auf Ostern.«

Hanspeter quetschte die Hand des Pfarrers. »Vergeltsgott, Hochwürden, tausendmal Vergeltsgott!«

»Hör auf und druck net so!« Herr Felician brachte seine Hand in Sicherheit. »Daß wir das arme Weibl von dem dummen Gered erlösen, da kannst du rechnen auf mich! Aber jetzt mußt du mir auch einen Gfallen tun!« Er ließ sich auf das Sofa nieder und griff nach seiner Pfeife. Da mußte er fest ziehen, um die schon halb erloschene Glut wieder in dicken Qualm zu bringen. Nun fand er auch sein halbes Hochdeutsch wieder. »Schau, Peterl, du bist mir nicht weniger und nicht mehr als die andern alle. Für mich sind alle gleich. Sonnschein und Regen, die schlechte Zeit und die gute, das alle's macht unser Herrgott. So muß man auch mit allem zufrieden sein. Und grad so halt ich es mit den Menschen. Du mit deinem butterguten Herzen, du giltst mir um kein bißl mehr als der eigensinnigste Dickschädel im Dorf. Aber in dir ist kein Falsch, du wirst über alles, was wir reden miteinander, kein unbeschaffenes Wörtl ausschwatzen, und drum will ich dir jetzt offen etwas sagen, was ich sonst keinem anderen sagen würde.« Draußen ließ sich ein Räuspern hören, scharf und gereizt. Diesmal blickte Herr Felician auf. Kräftig blies er eine Rauchwolke über den Tisch und sagte: »Sei so gut, Peterl, und mach die Stubentür zu! Es zieht ein bißl.«

Als Hanspeter wieder auf dem Gepolsterten saß, mit den Fäusten auf den Knien, sah er den Pfarrer andächtig an.

»Schau, Peterl! Jetzt bin ich über dreißig Jahr lang Pfarrer bei euch im Dorf. Viel hab ich schlucken müssen, viel überwinden. Vor dreißig Jahr einmal, da bin ich auch so ein gewalttätiges Hitzköpfl gewesen und hab gemeint: ich muß das Blaue vom Himmel herunterreißen. Aber heut bin ich zufrieden, wenn ich einem Menschen in seiner dumperen Herzensnacht nur für ein Stünderl ein Licht aufzünden kann. Löscht's auch wieder aus, ein wenig nachscheinen wird's allweil noch. Ich bin zufrieden damit, weil ich einsehen gelernt hab, daß wir mehr mit dem besten Willen nicht fertigbringen. Ein bißl nachhelfen auf dem guten Weg, den einer findet? Aaah ja! Aber die Menschen anders machen wollen, als sie sind?« Herr Felician schüttelte den Kopf und blies den Rauch vor sich hin, daß der blaue Faden eine Schlangenlinie bildete. »Schau, Peterl! Wie ich ins Dorf gekommen bin, hab ich alte Leut und einen Haufen Kinder gefunden. Die Alten sind gestorben, die Kleinen sind groß geworden, und junge War ist nachgewachsen. An die tausend Pfarrkinder sind mir durch die Händ und durchs Herz gegangen. Jedes hat ein anderes Nasenspitzl gehabt, anderes Haar und andere Augen, jedes ein anderes Röckl, andere Freuden und andere Schmerzen. Aber hat man's genau angeschaut, so war's doch allweil das gleiche. Im Grund ist ein Mensch wie der andere gewesen, allweil der gleiche Teig, nur daß sich die Dampfnudel in der guten Ofenröhr oder auf offenem Feuer ein bißl anders ausgebacken hat. Und wie ich ein bißl ruhiger hinsehen hab können, da hab ich gefunden, daß man eigentlich noch ganz zufrieden sein kann und daß es viel mehr gute Menschen gibt, als man gewöhnlich glaubt. Menschliche Schlechtigkeit ist meistens nichts anderes als Unverstand und Drehwurm in einem kranken Köpfl.«

Hanspeter streckte die schweren Hände, als hätte Herr Felician ihm speisendes Brot für den Hunger seiner Seele gereicht. »Vergeltsgott, Herr Pfarr! Sie haben d' Lieb. Sie richten ein' wieder auf. Gelten S', dös muß wahr sein, daß die mehresten gut sind? Ehnder amal hab ich mir denkt, daß alle gut sein müßten. Aber den Glauben haben s' mir aussigrissen, d' Leut, wie a Stückl Fleisch aus'm Herzen.« Er fuhr sich mit der Faust über die Augen und mit dem Ärmel über die Nase. »No ja, man legt halt a Pflaster auf'n Wehdam. Und drum hab ich mir die Sach so aussinniert, daß ich mir gsagt hab: der Einschichtige is allweil gut. Und bald den Einschichtigen allweil allein hättst, den kunnt man schon richten und hobeln. Aber bald a Häuferl beinand is, da sind s' wie ausgewechselt und umdraht. Als ob der Teufel dreinfahren tät. Da steckt dem einen sein bißl Unverstand den andern zur Schlechtigkeit an, ich weiß net, wie. Einer laßt an Spatzen aus, und bis er dem andern aufs Köpfl fliegt, wird a Rappvogel draus. Zehne beinand, die sind net zehnmal schlechter, als einer is, sind hundertmal schlechter als wie a halber. Sagen S' mir, Herr Pfarr, wie kommt denn so was?«

Nachdenklich kraute sich Herr Felician mit der Pfeifenspitze den Nasenflügel. »Peterl, da bin ich überfragt. Das kommt wohl so, wie ein Fünklein das große Feuer zündet, und wie in einem Seuchenjahr ein Kranker hundert und tausend Tote macht. Das Ansteckende am Menschenwort hat schon viel Unheil gestiftet in der Welt. Aber es hat auch ein Gutes und hat schon viele schöne Dinge ins Leben gerufen. Denn wenn ein gutes Wort auf tausend andere hinüberspringt, da wächst auch etwas Großes heraus, wie ein grüner Baum aus einem gesunden Samenkorn.«

Dem Hanspeter wuchsen die Augen. »Dös möcht ich derleben amal!«

Herr Felician seufzte. »Jeder erlebt's halt nicht. Man muß schon zufrieden sein, weil man weiß: andere haben's erlebt. Die guten Wörtln, die kommen halt nicht oft ins Fliegen. Unter hundert fallen neunundneunzig als nackte Spatzerln aus'm warmen Herzensnest, derweil alle Dummheiten und Lügen immer gleich wie die jungen Füchs und Wölf mit Haar und Zähn in die Welt springen. Schau, Peterl, das ist halt so, und das wird so bleiben, solang es Leut gibt.«

»Nackete Spatzerln?« murmelte Hanspeter vor sich hin, als hätte er von Herrn Felicians späteren Worten keines mehr gehört: »Kunnt aber doch sein, daß eins amal flieget wird? Eins von die meinigen? Wann ich hundert sag? Und tauset? Und noch viel mehr?«

Der Pfarrer lächelte gutmütig. »Peterl! Da is d' Arbeit umsonst. Du hast gwiß a dicks Köpfl. Aber wenn du's gleich hundert Jahr lang dagegenstemmst, du machst d' Menschen net anders.«

Hanspeter besann sich eine Weile. Dann fragte er mit Kümmernis: »Sagen S' mir, Herr Pfarr? Unser Herrgott kann doch alles, was er mag. Warum hat er denn d' Leut net a bißl anderst gmacht und lauter Gute derschaffen?«

»Da mußt ihn schon selber fragen! Mir hat er's noch net gsagt.« Herr Felician lehnte sich in die Sofaecke zurück und blickte zur Stubendecke hinauf. »Ich weiß bloß das einzige, daß er gern verzeiht.« Mit breiten Ellbogen lehnte er sich über den Tisch. »Und schau, Peterl, da müssen wir was lernen, da!« Wieder legte er seine Hand auf Hanspeters grobe Faust. »Mit der Güt kommt mau weiter als mit'm Schimpfen. Und weiß man einmal, wie d' Menschen sind, und rechnet man ein bißl mit ihrer Narretei, so kann man schon auskommen mit ihnen. Man muß nur net allweil gleich Zetermordio schreien, wenn uns der Nachbar auf d' Hühneraugen tritt. Gscheider, man lacht dazu und sagt: ›Sie, Herr Vetter, aber gut gnagelte Schuh haben S' au!‹ Wirst sehen, wann er dich 's nächste Mal wieder nauftritt auf'n Fuß, da bleibt er nimmer solang droben. Und schau, Peterl –« Herr Felician klopfte die leergerauchte Pfeife aus. »Für alle Fäll wär's besser, wenn du die Leut net allweil so in d' Hitz bringen tätst. Mit Gwalt kann man s' net umkrempeln. Und mit'm vielen Reden richtet man schon gar nix aus. Das macht ihnen bloß die Ohrwascheln dick und die Köpfln bockbeinig.«

Ratlos guckte Hanspeter den Pfarrer an. »Aber sagen muß man's ihnen doch!«

»Zur richtigen Zeit und am richtigen Ort! Aber net im Wirtshaus beim Karten spielen, und net in der Sennhütten beim Butterfaßl, und net in der Holzerstuben beim Schmarrenkochen, und am allerwenigsten, wenn s' in der Wut sind und Stöpseln in die Ohren haben. Drum sei gscheid, Peterl, und tu mir einen Gefallen! Laß dein Predigen gut sein! Ich weiß, du meinst es ehrlich. Aber schau, es hilft nix, Peterl! Ganz im Gegenteil. Drum gib mir d' Hand drauf.«

Erschrocken zog Hanspeter die Hände hinter den Rücken. »Na na, Herr Pfarr! Daß ich diemal a Wörtl sag, wann's es braucht, da hab ich mei' Verpflichtigung. Zwei heilige Apostel haben mir net umsonst ihren Nam geben. Und in der Kirch bin ich auf d' Welt kommen, in der Kirch is mei' Heimat, der liebe Herrgott is mein Heimatsvater. Dem bin ich sein Gsell.«

»Und mußt ihm schaden mit deiner Arbeit? Ja?«

»Schaden?« wollte Hanspeter sagen; aber das Wort ging ihm nicht von der Zunge; tonlos bewegte er die Lippen, und seine Augen blickten ganz verstört.

»Daß dich d' Leut bloß auslachen, Peterl, das mußt ja doch merken. Oder net?«

»Freilich, ja!« Der Apostel schnaufte. »Alles Gute hat allweil an harten Weg.«

»Und mir machst meine Seelsorg noch schwerer, als wie's eh schon ist. Früher einmal, wenn ich meinen Pfarrkindern von der Kanzel herunter ein wenig ins Gewissen geredet hab, da hat's immer ein bißl was geholfen. Aber jetzt? Wenn ich auf der Kanzel das Wörtl ›Christenlieb‹ sag, da denken s' gleich alle an dich und fangen zum lachen an. Schau, vorhin hat's meine Kathrin gesagt, und es ist etwas Wahres dran: was in die Kirch gehört, soll man nicht umtragen auf der Straß und im Wirtshaus. Es verliert an Wert, und wenn man's auch noch so gut meint. Drum versprich mir, Peterl, daß d' Ruh geben willst.«

Hanspeter beugte den Nacken, daß sein Buckel noch runder wurde. »Herr Pfarr, tun S' mir verzeihen, aber –« Er schüttelte den Kopf. »Wann ich d' Nannimai anschau und der Ilsabeth ihr Gsichtl –«

»Aber ich hab dir doch versprochen, daß ich selber für die Altenöderin reden will. Am nächsten Sonntag.«

Die Tür wurde geöffnet, und Kathrin trat auf eine Art in die Stube, als hätte sie draußen just auf diesen Augenblick gewartet. »Hochwürden, es is Zeit zum Rosenkranz. Ziehen S' Ihre Stiefel an!«

»Ja ja, is schon gut!« Herr Felician winkte mit der Hand. Aber Kathrin blieb wie eine Schildwache neben dem Pfarrer stehen.

Hanspeter blickte zur Köchin auf, sah den Hochwürdigen an – und erhob sich. Schwül atmend strich er sich mit der schweren Hand das Haar in die Stirn und sagte langsam: »No ja, meintwegen! Warten wir halt a bißl zu. Heut auf'n Abend muß ich eh in d' Holzerstuben auffi und komm die ganze Woch nimmer abi. Wart ich halt, wie's ausschaut am nächsten Sonntag.« Er hob die kummervollen Augen. »Aber was S' mir versprochen haben, Herr Pfarr –«

»Wenn ich doch sag –«

»Hochwürden«, fiel Kathrin dem Pfarrer ins Wort, »jetzt pressiert's aber!« Mit beiden Händen, denn die drei Zentner waren nicht leicht vom Platz zu bringen, schob sie den Hanspeter gegen den Flur. »Schau, daß d' weiter kommst, der Herr Pfarr versäumt den Rosenkranz!« Hinter dem stolpernden Apostel schloß sie die Türe.

Herr Felician hatte sich aus dem Schlafrock herausgeschält und holte seine Stiefel, die beim Ofen standen. »Ich hab ja zum Rosenkranz noch gar net läuten gehört!« sagte er und sah nach der Uhr. Da machte er ein erstauntes Gesicht. »Aber Kathrin! Wir haben ja noch eine ganze Stund lang Zeit!«

»Ich hab Ihnen bloß von dem Lappen da erlösen wollen. Sie hätten ihm sonst noch was versprochen, was S' net halten dürfen.«

Der Hochwürdige, in der einen Hand die Uhr, in der anderen einen Stiefel, richtete sich auf. Tiefe Runzeln waren in seine Stirn gegraben. »Kathrin! Ich hab dir's schon hundertmal gesagt: tu dich net einmischen in meine Seelsorgersachen! Das leid ich net.«

»Ich misch mich in gar nix eini«, erwiderte die Köchin ruhig, »ich tu mich bloß kümmern um unsern Pfarrhof. Und drum sag ich Ihnen jetzt im Ernst: sind S' gscheid, Hochwürden, und bringen S' Ihnen wegen der Häuslschusterin in keine Unglegenheiten! Lassen S' d' Leut reden, was s' mögen! Wann d' Leut nix zum reden haben, dersticken s'.«

»Kathrin, ich sag dir –«

»Mischen S' Ihnen in die Sach net eini! Durchs Aufrühren wird alles bloß ärger. Sie wissen, was für Lackeln unsere Buben im Ort da sind.«

»Kathrin!« Immer gereizter klang die Stimme des Pfarrers.

»Sind S' gscheid und denken S' an den Verdruß vor fünf Jahr, mit der alten Moosrainerin. Wie Ihnen d' Leut in der Nacht alle Zwetschgenbäum abgschnitten haben in unserm Garten.«

»Zwetschgenbäum! Zwetschgenbäum! Als ob's in der Welt nix gäb, was wichtiger is.« Mit Nachdruck setzte Herr Felician den Stiefel zu Boden. »Und wachsen ja die jungen schon wieder nach!«

»Ja, aber Zwetschgen erleben wir zwei keine mehr!«

»So wird's mein Herr Nachfolger erleben.«

»Da haben schon Sie was davon.«

Herr Felician erhob den Zeigefinger, und seine Stimme wurde scharf. »Kathrin! Jetzt ist es genuggg! Fertig!«

»Ja ja, bin schon fertig. Und jetzt setzen S' Ihnen noch a Viertelstündl her und tun S' d' Aufregung verschnaufen! Ich geh und mach Ihnen an frischen Kaffee.«

Als Kathrin hinter sich die Türe zuzog, setzte Herr Felician mit dem Finger energisch einen Punkt in die Luft. »Jetzt grad! Jetzt wird das arme Weibl erst recht verteidigt! Jetzt grad!«

Draußen im Hausflur machte Jungfer Kathrin ihre strengsten Augen, als sie den Hanspeter noch vorfand, der mit dem zerbrochenen Stuhl beschäftigt war. »Was tust denn du noch da?«

»Den Sessel hab ich ausananderglegt. Ich mach dem Herrn Pfarr drei Füß eini, die besser heben, als wie die alten.« Hanspeter packte die Lehne, das Sitzbrett und die drei geknickten Stuhlbeine unter den Arm. »Gottslieben Nammittag!« Und ging.

Hinter ihm warf Kathrin die Haustür zu, daß es einen Krach gab, als wäre ein Baum gefallen.


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