Ludwig Ganghofer
Der Dorfapostel
Ludwig Ganghofer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel

Die Dämmerung war grau, und es zitterten schon die ersten klaren Sterne in der Abendstille. Matter Lichtschein drang aus den zwei kleinen Fenstern der baufälligen Hütte, in welcher Lisbeths Mutter wohnte, die Annamaria Altenöder, die ›Häuslschusterin‹. Die kleinen Fenster hatten keine Vorhänge, als dürfte jeder Vorübergehende sehen, was in dieser Stube geschah. Freilich, die bösen Mäuler zischelten: »Die kann leicht ihre Fenster offen haben. Die macht den Hexensegen, und keiner sieht eini!«

Wer das zum erstenmal unter die Leute gebracht hatte: die Häuslschusterin ist eine Hexe – das wußte keiner mehr. Aber fast alle schwatzten es nach. Die einen sagten es nur, und die anderen glaubten daran. Warum? Da wußte keiner eine rechte Antwort. So was läßt sich nicht beweisen. Aber man merkt es, wie man im Ofen das Feuer spürt, auch wenn man die Scheite nicht brennen sieht.

Sie war eine Fremde, und da ist man immer mißtrauisch. Im vergangenen Frühling war sie mit ihrem Mädel ins Dorf gekommen, von Rosenheim her, und hatte für dreißig Mark im Jahr das leerstehende Häuschen gemietet, das der Gemeinde gehörte. Ihr linkes Bein war gelähmt, drum hinkte sie nach der rechten Seite. Und da sagten die Leute: das ist der Teufelstritt. Sie war verschlossen, schwatzte nicht mit den Nachbarsweibern, verkehrte nur mit dem Hanspeter und lebte mit ihrem Mädel still und einsam vor sich hin – wie es Menschen tun, welche bittere Zeiten hinter sich haben und von den kommenden wenig Gutes erwarten. Und da hieß es: »Die muß was zum Verstecken haben. Die kann eim net in d' Augen schauen.«

Ein wenig mehr als die anderen wußte der Hanspeter von ihr: daß sie aus dem Niederbayerischen herstammte; daß sie die Frau eines Forstgehilfen war, dem ein Jahr nach der Hochzeit mit dem eigenen Gewehr ein Unglück passierte; daß sie die Heimat verlassen hatte und mit ihrem Kind nach Rosenheim gezogen war, wo sie Beschäftigung in einer Spielzeugwerkstätte gefunden. Dort hatte sie fünfzehn Jahre gelebt. An einem Weihnachtsabend, als sie Pakete zu den Kunden tragen mußte, war sie auf einer von Glatteis bedeckten Steintreppe ausgeglitten. Seit damals hatte sie das gelähmte Bein. Nun wurde ihr Verdienst um die Hälfte schmäler, ihre Sorge um die Hälfte größer. Ihr Mädel in die Fabrik zu stecken oder als Magd in einen Dienst zu geben, das brachte sie nicht übers Herz. Dieses stille, genügsame Zusammenleben mit ihrem Kind war das einzige, was sie vom Leben noch hatte. Aber in Rosenheim, wo sich durch den wachsenden Verkehr das Leben verteuerte, fand sie nicht mehr ihr Auskommen. Und so war sie auf der Suche nach einem billigen Erdenfleck in dieses entlegene Bergdorf geraten, wo man für dreißig Mark im Jahr noch ein Haus mit zwei Stuben und einer Küche zu mieten bekam.

Jeden Monat brachte ihr der Bote aus Rosenheim eine kleine Kiste mit den zugerichteten Hölzchen, die sie brauchte, um jene winzigen Kapellen, Kirchen und Schweizerhäuschen zusammenzukleben. Das Material dazu mußte sie vom ›Verleger‹ kaufen, der ihr für billiges Geld am Ende eines jeden Monats die große Kiste mit der fertigen Ware wieder abnahm. Viel Mühe hing an dem kleinen, zierlichen Tand, und recht wenig trug er ein – knapp so viel, daß Mutter Nannimai mit ihrer Lisbeth nicht zu hungern brauchte. Und weil sie diese Spielwaren – ›Häuslzeug‹ nennt sie der Volksmund – so langsam und mühselig zusammenflickte, drum hieß sie im Dorf die ›Häuslschusterin‹.

So wie jetzt, in der von einer trüb brennenden Hänglampe erleuchteten Stube, so saß sie Tag für Tag an dem großen Tisch und pinselte und klebte. Lisbeth tat die Arbeit im Haus, machte alle Gänge und holte aus dem Wald das Klaubholz, das der hungrige Ofen brauchte. Die paar Stunden, die sie von der Hausarbeit erübrigen konnte, saß sie bei der Mutter am Tisch, malte die grünen Fensterläden an die Schweizerhäuschen, die roten Ziegel auf die Kirchendächer, und kolorierte die hölzernen Menschlein und Tierchen. Das verstand sie besser als die Mutter, weil sie die leichtere Hand hatte. Die Hände der Mutter waren schon zitterig geworden, und beim Malen rutschte ihr der Pinsel mit der Farbe immer über den Rand hinaus. Aber dieses Zittern war nur die Folge des jahrelangen, mühseligen Gebossels mit dem kleinen Zeug, nicht die Folge des Alters. Die Annamaria hatte die Vierzig kaum überschritten. Freilich, sie sah viel älter aus. Die Haare, die früher wohl auch schwarz gewesen wie das Haar der Lisbeth, waren grau geworden. Das Gesicht hatte müde, zerstörte Züge, denen man aber noch immer ansah, wie schmuck vor Jahren dieses Gesicht gewesen sein mußte, in dem sich jetzt versteinerte Bitterkeit mit versöhnlicher Ruhe mischte. Die langen grauen Wimpern, welche die Annamaria an den geröteten Lidern hatte, sahen beinah so aus, als wäre Moos über ihre Augen gewachsen. Und auf der Oberlippe, ein wenig auch auf den Wangen, hatte sie einen grauen Anflug wie von einem Bärtchen. Die Leute sagten: das ist das Hexenbärtl – das haben sie alle so, und das wächst ihnen, weil der Teufel sie küßte.

Lachend hatte ihr das der Mickei vom Staudamergut einmal ins Gesicht gesagt. Und sie war nicht zornig geworden. Sie hatte vor sich hin genickt, als wär' es im Ernste so: daß ihre jungen Lippen einer geküßt hatte, der ein Teufel war.

Vielleicht dachte sie auch jetzt an vergangene Zeiten? Sie hatte ein Kirchlein vor sich stehen, dem der Turm und das Dach noch fehlte; aber sie ließ die Hände ruhen und blickte mit halb geschlossenen Augen in der Stube herum.

Ein merkwürdiges Bild: diese Stube! Sie hatte fast etwas Weihnachtsfreundliches mit dem hundertfältigen Spielzeug, das überall umherstand, auf den Fenstergesimsen, auf den Bänken, auf dem Tisch und auf Brettern, die in Fächern an die Wand genagelt waren. Die ganze Stube schien dieser kleinen Arbeit zu dienen, und Wohnraum war nur um den großen Ofen herum. Der hatte eine Bratröhre; da kochten sie im Winter und ließen draußen die Küche kalt, um Holz zu sparen. Die Bank, die den Ofen umzog, war zur Hälfte mit Kochgeschirr bestellt, mit Tellern und einem Weidenkörbchen, in dem die Blechlöffel, die Gabeln und Messer lagen.

Annamaria hatte nach der Uhr geblickt, die mit ihrem langen Pendel schwerfällig tickte. Nun begann sie die Arbeit wieder, leimte das Türlein an die Kirche und suchte die Hölzchen für das Dach zusammen. Als sie kleben wollte, war der Leim erkaltet. Sie ging zum Ofen. Der hatte sich abgekühlt, so daß in seiner matten Wärme der Leim nicht wieder flüssig wurde. Wieder sah Annamaria nach der Uhr, kehrte zum Tisch zurück und suchte sich Arbeit, zu der sie den Leim nicht brauchte. Da klang ein Geräusch, als klopfte jemand an der Hausschwelle den Schnee von den Schuhen. »Gott sei Dank!« Annamaria atmete auf, und aller Schatten ihres Gesichtes schien sich zu erhellen.

Lisbeth trat in die Stube.

»Aber lang bist ausblieben heut!« sagte die Mutter. »Guten Abend, Kindl!«

Schweigend nickte Lisbeth und ging zum Ofen.

Nannimai sah verwundert auf. So still zu kommen, das war doch sonst nicht die Art ihres Mädels? Aber nach dem schönen Tag war's auf den Abend bitterkalt geworden; und im Wald das Klaubholz herauswühlen unter dem Schnee, das ist Arbeit, bei der man friert. Und beißt man die Zähne zusammen, daß sie nicht klappern können – wie soll man da reden?

»Iß nur gleich was, gelt! Ich hab dir dein Süppl schon warm gstellt.«

Lisbeth war aus der Lampenhelle in den Schatten getreten, den der Ofen warf. Eine Weile preßte sie die starren Hände gegen die Ofenmauer, die noch schwache Wärme hatte. Dann begann sie das grobe Wollzeug von sich herunterzuwickeln, und da kam ein schlankes Figürchen zum Vorschein, bekleidet mit einem braunen Röckl und einem dunkelgrünen Spenzer, der so kurz und eng war, als hätte ihn Lisbeth schon in ihrer Schulzeit getragen.

Sie nahm die kleine Schüssel aus der Röhre und setzte sich in den Ofenwinkel. Aber sie kostete kaum von der Speise, hielt die Schüssel auf dem Schoß, und ihre Hände zitterten.

»Gelt, d' Suppen wird a bißl kalt sein?« fragte die Mutter, als sie hörte, daß Lisbeth die Schüssel auf die Bank stellte. »Zwei Stunden lang is 's Feuer schon ausgangen. Und nachschüren hab ich net können, es war kein Steckerl nimmer draußen.«

Lisbeth schwieg.

»Der Leim is mir auch schon kalt«, sagte Nannimai nach einer Weile, »gelt, holst gleich a bißl Holz zum Nachfeuern.«

»Heut hab ich kein Holz net heimbracht.«

Die Mutter erschrak über den Klang dieser Stimme und über diese Nachricht. »Madl! Bist ja doch fort ums Holz! Und wanns keins heimbracht, wo bist denn gwesen bis auf'n Abend?«

Keine Antwort kam.

»Ilsabeth?« Nannimai humpelte zum Ofen. Ganz klein saß Lisbeth in die dunkle Ecke gedrückt.

»Aber Kindl, was is denn mit dir?«

Ohne sich zu regen, sah Lisbeth aus dem dunklen Winkel zur Mutter auf, mit großen Augen, aus denen etwas Hilfloses redete.

»Kindl! Du Jesu mein! So red doch a Wörtl!« Nannimai faßte die Hände des Mädels, setzte sich an seine Seite, und da warf sich Lisbeth an den Hals der Mutter, wie ein ertrinkendes Kind sich an den Retter klammert. Die Mutter fragte und fragte. Aber Lisbeth konnte nicht Antwort geben. Annamaria, das Haar ihres Kindes streichelnd, nickte vor sich hin. Da hatte wohl einer auf der Straße dem Mädel wieder ein Schimpfwort zugeschrien, das der Mutter galt? Und das war so häßlich, daß Lisbeth es der Mutter gar nicht sagen konnte? An diesen Gedanken schlossen sich ihre tröstenden Worte an: »Geh, Kindl! D' Leut sind halt, wie s' sind. Und muß man sich selber kein' Fürwurf machen, so kann man d' Leut reden lassen, wie s' mögen. Mußt dich net kränken drum! Du und ich, wir zwei halten zamm. Gelt ja?«

Ohne zu sprechen, klammerte Lisbeth die Arme noch enger um den Hals der Mutter.

Nannimai blickte auf; sie meinte ein Geräusch vernommen zu haben, als würden Holzscheite im Hofraum abgeladen. Aber das mußte wohl drüben beim Nachbar sein. In den Winternächten, wenn die Luft so dünn ist, hört man alles, als wär's um die Hälfte näher.

Lisbeth hielt das Gesicht am Hals der Mutter vergraben; und immer wieder lief ihr ein Schauer durch die Glieder. Nannimai drückte den Arm noch enger um das Mädel: »Schmuggl dich nur her an mich! Hast ja kein wärmers Platzl, gelt!«

Von draußen hörte man bald das Kreischen einer Säge, bald wieder Beilschlag und ein Pochen, als würde Holz gespalten. Seltsam: daß der Nachbar zum Holzmachen die Nacht hernehmen muß! Der hätte doch Zeit am Tag. Und sein Ofen, der hungert doch nicht? »Der hat Holz!« So seufzte Annamaria vor sich hin, während sie an den verkühlenden Ofen fühlte. Und da mochte ihr wohl der Kummer des Mädels nicht mehr völlig zu den Gedanken passen, die sie sich darüber machte. Denn sie fragte: »Aber schau, deswegen hättst doch a bißl Holz mit heim bringen können? 's Holz können dir d' Leut doch net vom Köpfl abischimpfen? Und weißt ja doch: es is kein Steckerl nimmer daheim. Was tu ich denn morgen? So red doch a Wörtl! Warum hast denn kein Holz net bracht?«

Da hörten sie ein Gepolter bei der Haustür und einen schweren Schritt, der das dünne Gemäuer der kleinen Hütte erzittern machte. Die Stubentür wurde aufgestoßen, und auf der Schwelle erschien Hanspeter, zwischen den ausgespannten Armen eine Ladung gespaltenen Holzes, daß er vom Kinn bis zu den Knien davon bedeckt war. »Gottslieben Abend!« sagte er. Und fügte lachend bei: »Jetzt, Mutterl, jetzt kannst fuiern!«

Die Altenöderin machte verwunderte Augen. »Mar und Josef! Wie kommt denn dös Holz daher?«

»Mutterl, dös schickt dir a Christenmensch, a richtiger und guter. Söllene gibt's schon noch, ja, Gott sei Dank!« Hanspeter lachte wieder und ließ vor dem Ofen die Scheite fallen, daß ihr Gerassel die Stube füllte. »Und kloben hab ich dir auch gleich an Armvoll.« Er fühlte mit beiden Händen an die Ofenmauer. »Hab mir eh schon denkt, daß der Ofen a wengerl kalt is.« Er guckte in den dunklen Winkel, in dem sich Lisbeth mit großen Augen halb erhoben hatte. Und während er sich vor dem Ofen schwerfällig niederließ, blickte er schmunzelnd an Mutter Nannimai hinauf, die so verblüfft war, daß sie kein Wort zu sagen wußte. »Ja, Mutterl, schau, so geht hinter jedem Schrecken unserm lieben Herrgott sein Lachen her. Der macht's halt allweil wieder recht. Und klopft ans Herz von einm braven Menschen und sucht sich ein' aus dazu, wie der Roman is. Der muß ihm von die liebsten einer sein! Und wann alle amal so sind, wie der Roman is – paß auf, da gibt's a guts Hausen auf der Welt!« Während er mit seinen langsamen Worten so vor sich hin schwatzte, öffnete er das Ofentürchen und blies in die halb erloschenen Kohlen, daß ihm die erwachende Glut das breite Gesicht mit grellem Schein beleuchtete; in diesem Widerspiel von feuriger Röte und schwarzem Schatten sah es aus wie eine Teufelsfratze, vor der man erschrecken konnte.

Die Altenöderin, als wäre ihr eine seltsame Unruh in das lahme Bein gefahren, bewegte sich humpelnd, ohne doch einen Schritt zu machen. »Wer, sagst? Wer hat uns dös Holz da gschickt?«

»Der Roman.«

»Der aus'm Waldhof? Der deinig?«

»Mein Roman, ja.« Hanspeter wollte das erste Scheit in das Ofenloch stecken.

Aber da faßte Lisbeth ihn bei der Schulter, als wollte sie ihn vom Ofen fortziehen. »Du! Dös Holz laß liegen!« So verändert klang ihre Stimme, daß die Mutter und Hanspeter sie verwundert ansahen.

»Kindl? Was hast denn?« fragte Nannimai.

Und Hanspeter stotterte: »Ilsabeth?«

»Dös Holz tragst wieder fort! Wir müssen uns nix schenken lassen, d' Mutter und ich! Dös Holz tragst wieder fort!«

Erschrocken blickte Hanspeter zu dem Mädel auf. »Aber! Kindl! Um Christiwillen! Wie kann dich denn so was verschmachen, wann einer gut is zu deiner Mutter? Der Roman, schau –«

Sie nahm das Scheit aus seiner Hand und warf es zu den andern. »D' Mutter laßt sich nix schenken.«

»Aber geh doch, schau!« Langsam erhob sich Hanspeter. »Dös is doch kein Schenken net. Der Roman hat's ja bloß tan aus Christengüt. Sein Schlitten is schuld dran gwesen, daß du dein Holz verlieren hast müssen. Und so hat er halt gmeint, er müßt den Schaden wieder gutmachen.«

»Was?« fragte die Altenöderin, die aus einem Staunen ins andere fiel. »Schaden? Und Schlitten? Was is denn da?«

»No ja«, Hanspeter bekreuzte sich, »wann unser Schlitten d' Ilsabeth schiergar überfahren hätt!«

»Jesus Maria!« Der Mutter schien es im ersten Schreck nicht zu genügen, daß sie ihr Kind mit Augen lebendig vor sich sah; sie mußte diese Wahrheit greifen und faßte mit beiden Händen nach Lisbeths Arm. »So was! Und da sagst mir kein Wörtl net?«

Lisbeth wandte sich ab und ging zum Tisch, um mit zitternden Händen im Farbenkasten zu kramen.

Nannimai rief ein um das andre Mal alle Heiligen an, während Hanspeter in seiner langsamen Art erzählte, was droben in der Schneegasse geschehen war. Von seinem eigenen Todesschreck, von seinem geprellten Fuß und der eigenen Arbeit sprach er mit keinem Wort. Alles hatte der Roman getan. Wenn der nicht gewesen wäre, hätte die Sache ein böses Ende genommen. Aber der Roman ist der Roman. Und da hat er auch noch das ›Christenherz‹ und macht den einzigen Schaden, den der Schlitten angerichtet hat, gleich wieder gut. Für einen Bündel dürrer Stecken eine ganze schöne Klafter! So ist er, der Roman, ja! »Und daß er so gut is? Ilsabeth? Wie kann dich denn dös verdrießen?«

Auch Mutter Nannimai begriff das nicht. »Dös is doch kein Schenken! Dös is a Guttat, die man sich gfallen lassen darf. Und wann uns der liebe Herrgott wieder ein' zeigt, der's gut mit uns meint, da müssen wir gschwind Vergeltsgott sagen. Und morgen is Sonntag – kannst ja doch net am Sonntag im Schnee umanand waten und Holz klauben? Sei z'frieden, Kindl, daß's allweil noch gute Christen gibt. Und daß unser Ofen sein Futter hat.« Unter diesen Worten hatte sich die Altenöderin niedergekniet und legte ein Scheit ums andre über die Kohlen.

Lisbeth streckte die Hände, als möchte sie hindern, was die Mutter tat. Aber die Arme sanken ihr müd herunter. Und im Ofen begann das erwachende Feuer schon zu knistern. Regungslos, mit verlorenem Blick, sah Lisbeth in die wachsende Helle, die aus dem Schürloch glimmerte.

»Aber Kindl!« Die Mutter strich ihr mit beiden Händen über Haar und Wangen. »So sag doch a Wörtl!«

»Der Schreck halt!« meinte Hanspeter. »Wann der im Blut amal drin is, laßt er so bald nimmer aus. Ich spür's an mir selber, ja! Geh, tu's net plagen, 's Kindl!«

»'s gscheidest wär, sie tät sich gleich niederlegen! Da hat s' ihr Ruh, und bis morgen is alls verschlafen.«

Lisbeth nickte.

»Oder –« Hanspeter hob die klobige Hand und stotterte: »Oder meinst net, es wär besser, sie tät noch a bißl sitzenbleiben? Wann d' Stuben so warm wird, jetzt?«

Aber Lisbeth wandte sich ab und ging davon.

»Gottsliebe Nacht, Kindl!« sagte Hanspeter leis und legte die Hände hinter den Rücken.

Die Altenöderin sah ihrem Mädel nach und schüttelte den Kopf. »Die muß der Schrecken schiech erwischt haben! Aber der Schlaf macht viel. Bis morgen wird alles wieder gut sein.« Sie holte die Leimpfanne, schob sie in die Ofenröhre und setzte sich an den Tisch, um ihre Arbeit wieder zu beginnen.

Hanspeter stand noch immer wie angewachsen inmitten der Stube und sah die Kammertür an.

»Komm, setz dich her zu mir!« sagte Mutter Nannimai. »Ich muß dir eh noch Vergeltsgott sagen.«

»Mir? Für'n Roman, meinst?«

»'s Holz hast mir du gmacht. Sonst hätt ich net fuiern können.«

»Dös bißl, mein! Is net der Red wert!« Mit schleppendem Bein ging Hanspeter zum Tisch.

»Fehlt dir am Fuß was?«

»Ah na! A wengerl eingschlafen muß er mir sein.«

Sie saßen am Tisch und plauderten mit gedämpften Stimmen, während im Ofen die brennenden Scheite immer lauter zu krachen begannen. Nach einer Weile holte Nannimai die Leimpfanne und klebte das Dächlein auf die Kirche. Dabei sah ihr Hanspeter zu, so aufmerksam, als müßte er lernen, wie das gemacht wird. Und als die Arbeit fertig war, sagte er: »Dös Kirchl, dös gfallt mir so viel gut. Dös kunntst mir verkaufen.«

»Ah na!« erwiderte die Altenöderin mit einem Ton, der ärgerlich klingen sollte. Aber sie lächelte dazu. »Hast eh schon gnug daheim.«

»Der Nachbarin ihrem Kindl hab ich eins versprochen.«

»Dös is net wahr. Und allweil sagst es wieder.«

Hanspeter wurde rot. »Ganz gwiß is's wahr! Geh, verkauf mir's!«

»Na! Und es is ja net fertig, schau! D' Fenster fehlen, und 's Dach is net gmalen, und der Boden hat kein Gras.«

»Grad so, wie's is, so gfallt's mir.«

Sie wußte aus Erfahrung, daß sie ihn nicht loswurde. »Meintwegen halt, du Plaggeist!«

Hanspeters Augen leuchteten auf. »Was tat's denn kosten?«

»Nix!«

Erschrocken schob er das Kirchlein zurück. »Gschenkter nimm ich's net.« Die Unterlippe fiel ihm lang herunter, wie einem gekränkten Kind. »Und so viel gfreut hätt mich dös Kirchl!«

So machte er's immer. Mutter Nannimai mußte nachgeben. »No also, wann dir schon 's Herz dran hängt, zehn Pfennig halt!«

Schmunzelnd wühlte Hanspeter in seiner Tasche herum, bis er das lederne Beutelchen fand, das irgendwo bei den Knien herumschlotterte. Umständlich zog er die Schnüre auf, die ein halbdutzendmal um das magere Ledersäcklein gewunden waren. Erst netzte er noch an der Zunge den Daumen, als hätte er Banknoten zu zählen, und nachdem es ihm glücklich gelungen war, mit den plumpen Fingern eine Mark zu fischen, schob er die Münze langsam über den Tisch. »Zehn Pfennig? Dös wär schon z'billig für so viel feine Arbeit. Dös Markl, Mutter, dös nimmst. Aber d' Ilsabeth muß mir 's Kirchl noch malen und muß mir 's Dachl vergolden. Anderst tu ich's net. Und morgen auf'n Abend, da komm ich und hol's. Gelt, ja?« Das klang wohl wie eine Frage. Doch er schien der Altenöderin die Antwort ersparen zu wollen. Denn so flink, als es das Schwergewicht seiner drei Zentner nur erlaubte, schob er sich hinter dem Tisch hervor und hinkte zur Tür. »Auf morgen, gelt? Und gottsliebe Nacht, Mutter Nannimai! Tu mir d' Ilsabeth grüßen!« Da zog er auch schon die Tür hinter sich zu. Und das Gemäuer der kleinen Hütte erzitterte noch unter seinem Schritt da draußen.

Lächelnd hatte ihm die Altenöderin nachgesehen. Nun blickte sie zur Kammer, in welcher Lisbeth schlief, und wieder zur Stubentür – als vergliche sie in Gedanken ihr schmächtiges Kind mit diesem doppelten Menschen. Was sie sich dabei dachte, das machte sie seufzen. »Grad a bisserl wann er anders ausschauen tät! Grad a bisserl!« murmelte sie leise vor sich hin. Und seufzte wieder. »Da hat sich unser Herrgott auch vergriffen. An dem!«

Sie wollte ihr Gebossel wieder beginnen; aber die Arbeit schien ihr keine Freude mehr zu machen; und plötzlich schob sie das Zeug von sich, nahm die kleine Lampe aus dem Drahtgehäng und ging in die Kammer. Das war ein ärmlicher Raum, so klein, daß um das Doppelbett herum nur noch ein schmaler Gang verblieb. Kein Ofen in der Kammer, kein Schrank; die paar Kleidungsstücke hingen an einem Zapfenbrett an der Wand; den einzigen Schmuck dieser kahlen Mauern bildete ein Kruzifix, dessen ›Herrgott‹ den rechten Arm verloren hatte.

Die Altenöderin hob die Lampe über das Bett und nickte zufrieden vor sich hin, als sie sah, daß Lisbeth schlummerte. In schwerer Fülle lag das gelöste Schwarzhaar um das schmale Gesicht des Mädchens. »Gott sei Dank, sie hat ihren Schreck verschlafen!« Sich bekreuzend, blickte Mutter Nannimai zu dem Kruzifix hinauf und blies die Lampe aus. Während sie im Dunkel die Kleider ablegte, betete sie mit murmelnder Stimme.

Draußen, hinter der kleinen Scheune, die an die Hütte der Altenöderin angebaut war, knirschte eine fleißige Säge in der stillen Winternacht. Hanspeter hatte, damit Lisbeth vom Lärm seiner Arbeit nicht erwachen möchte, den Sägebock hinters Haus in den Garten getragen, und da schaffte er nun im grauen Schein des Schneelichtes, eine Stunde um die andere. Als alle Scheite der Klafter in kleine Stücke zersägt waren, klob er sie im Schnee auf der Erde, um weniger Lärm zu machen. Und so eifrig war er bei der Arbeit, daß er gar nicht aufhorchte, wenn die Glocke schlug.

Erst um Mitternacht, als der alte Wächter mit seiner heiseren Stimme durch die Dorfgasse heraufsang, merkte Hanspeter, wie spät es an der Zeit war. Aber die paar Scheite, die noch zu spalten waren? »Die derzwing ich schon noch!« meinte er. Und schaffte weiter.

Draußen auf der Straße klang der Gesang des Nachtwächters immer näher.

»Habet acht aufs Feuer und Licht,
Daß Mensch und Viech kein Schaden gschiecht;
        Ihr lieben Leutln, laßts enk sagen,
        Die Glocke hat zwölfe . . .«

Dem Nachtwächter blieb das letzte Wort seines Versleins in der Kehle stecken, und erschrocken blickte er nach der ungetümen, schwarzen Gestalt, die im Garten der Häuslschusterin so seltsame Arbeit tat. »Alle guten Geister!« Bei diesem Notschrei seiner christlichen Seele schlug er ein Kreuz vor der Nase und begann zu rennen, so flink ihn seine alten Beine trugen.


 << zurück weiter >>