Ludwig Ganghofer
Der Dorfapostel
Ludwig Ganghofer

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Achtes Kapitel

Vor der Tür des Waldhofes, wo die Sonne schon große Flecken aus dem Schnee herausgeschmolzen hatte, saßen Lisbeth und die Altenöderin auf der Hausbank. Sie warteten und lauschten. Denn der Doktor war beim Hanspeter in der Kammer.

Da hörten sie einen Schritt. Alle beide standen sie auf. Roman trat aus der Türe, bleich, in der Hand eine Blechschüssel mit rotgefärbtem Wasser, in der anderen den Spenzer der Lisbeth. »Da hast dein Jankerl! Der Doktor hat mich braucht. Sonst hätt ich dir's schon lang aussibracht. Hast net frieren müssen?«

Lisbeth schüttelte den Kopf und schlüpfte in den Spenzer, während die Mutter fragte: »Wie geht's ihm denn?«

»Der Dokter meint, daß er's durchreißt!« Roman spülte am Brunnen die Schüssel. »Vom Rücken her hat ihm einer 's Messer einigstochen.« Er lächelte ein wenig. »Oft schon hab ich lachen müssen über die bretterne Juppen, die er tragt. Die hat ihm gholfen jetzt. 's Lungenspitzl, sagt der Dokter, war noch a bißl angschnitten. Aber so a Bärenmensch wie der Peterl vertragt schon was. Der Dokter meint, daß er's durchreißt in vierzehn Tag.« Roman trug die mit Wasser gefüllte Schüssel ins Haus. Auf der Schwelle wandte er das Gesicht, als hätte er noch was zu sagen. Doch schweigend ging er.

Mit großen Augen sah Lisbeth ihm nach und legte den Arm um die Mutter. »Wirst sehen, er kommt wieder auf. Wenn's der Roman sagt, muß's wahr sein.«

Die Altenöderin nickte. Und jetzt, da ihre Sorge in Hoffnung verwandelt war, erwachte der Groll in ihr. Mit einem Zornblick glitten ihre Augen über die öde Straße hin. »Alle sind s' in der Kirch und raspeln den Rosenkranz! Und einer, der 's blutige Messer im Sack hat, schreit am frömmsten!« Sie lachte bitter. »Schau dir an, wie d' Menschen sind! Einer is schlechter wie der ander. Und den einzigen, der gut is, den derschlagen s'!«

»Na, Mutter!« sagte Lisbeth ruhig. »Einer, wie der Roman is, und einer wie der Hanspeter, die wiegen alle Schlechten auf. Und hast an einzigen, an den glauben darfst, so geht der Glauben an die anderen mit drein.«

Wieder nickte die Altenöderin. »Er wird halt für uns wieder gredt haben! Und deswegen muß er bluten. Und bei der Kirch hat's gschehen müssen! Sonst tät ebbes fehlen dran.« Im gleichen Augenblick begannen die Glocken zu läuten, die den Schluß des Rosenkranzes verkündeten. »Ja, ja, tuts ihn nur einsegnen, enkern heiligen Sonntag!« Zornig lachend machte die Altenöderin ein Kreuz in die Luft. »Jetz kommt's schon bald so, daß mir der Teufel lieber is als wie der Herrgott, an den d' Menschen glauben.«

»Mutter!« stammelte Lisbeth.

Da kam der junge Waldhofer aus der Tür gelaufen. »Der Dokter tut ihn verbinden grad. Soviel ungeschickt stell ich mich an dabei. Und da meint der Dokter, a Weiberleut war ihm lieber zur Hilf.«

Beide wollten ins Haus, Mutter Nannimai und Lisbeth. Aber Roman gab nur für die Altenöderin die Schwelle frei und faßte Lisbeth bei der Hand. »Geh, laß d' Mutter eini!« sagte er. »Wie er daliegt, der arme Kerl, dös is net gut zum Anschaun. Aber mußt dich net sorgen! Der Dokter hat ihm ebbes eingeben für'n Wehdam. Gar nix spürt er nimmer.« Da fühlte er, daß ihre Hand so kalt wie Eis war. »Gelt, daß d' frieren hast müssen! Ich spür ja, wie kalt als bist.«

Doch ihre Wangen brannten. Und die Augen zu ihm aufhebend, sagte sie leis: »Vergeltsgott!«

Dieses Wort machte ihn verlegen. »Vergeltsgott? Für was denn?«

»Weil so gut bist mit'm Hanspeter.«

»No ja, so a braver Mensch, und – aber ich glaub, der Dokter braucht mich.« Roman surrte davon.

Lisbeth setzte sich auf die Bank und legte die Hände in den Schoß. So blickte sie hinaus in das schimmernde Blau des Himmels; und die Sonne, bevor sie über das Hausdach hinübertauchte, umzitterte das Gesicht der Lisbeth noch mit einem warmen Strahl.

Auf der Straße erschienen die ersten Leute, die von der Kirche kamen. Als sie vor dem Zaun vorübergingen und die Tochter der Häuslschusterin im Waldhof sitzen sahen, fingen sie zu schwatzen an. Lisbeth schien nicht zu hören. Doch einen Schritt im Haus, den hörte sie gleich. Und da stand der Roman auf der Schwelle. »Ilsabeth, geh, komm eini! Allweil fragt er nach dir. Und zudeckt is er jetzt auch schon wieder.« Er faßte Lisbeth bei der Hand; der Weg zu Hanspeters Kammer ging in dem großen Haus um ein Dutzend Ecken; da mußte man ein Fremdes führen, oder es fand sich nicht zurecht. »Der Dokter hat ihm 's Reden verboten. Aber gar net folgen will er, und allweil sagt er dein' Nam! Der tut enk mögen, der! No ja, wird schon wissen, warum! – Paß auf, da kommen drei Staffeln! – Und soviel zittern tust! – Gleich haben wir's, gleich!«

Am Ende eines langen, dunklen Ganges stand die niedere Tür zu Hanspeters Kammer offen. »A Glück«, hörte man die Altenöderin sagen, »a Glück, daß der Herr Dokter seine Sachen gleich dabeighabt hat!«

»Wie ich ghört hab, sie haben grauft«, erwiderte eine derbe, lachende Stimme, »da hab ich mir gleich alles schön ins Taschl packt, was man braucht für die Bauern. A paar Löcher im Kopf, a gsunder bajuwarischer Messerstich oder an ausdruckts Äugerl, auf so was muß ich allweil gfaßt sein.«

Ein scharfer, süßlicher Geruch von Karbol und Jodoform erfüllte die kleine Stube; sie war halb verdunkelt, weil der Doktor, der bei dem winzigen Fenster stand und seine Tasche einkramte, mit seinen breiten Schultern das Licht verdeckte: ein noch junger Mann, in seiner Erscheinung ein wenig verbauert, mit glattrasiertem Gesicht und klugen, flink beweglichen Augen.

Die Altenöderin stand zu Füßen der ungeschlachten, grob gezimmerten Bettstatt. Hanspeter war mit einer grauen Lodenkotze zugedeckt und hatte um die Stirn einen nassen Bund, der das ›dicke Köpfl‹ um ein ausgiebiges Teil noch dicker machte. Das frische Hemd, das man ihm angezogen hatte, stand am Hals weit offen und zeigte den Verband, der dem Hanspeter um die Brust gelegt war – die brüchig gewordene Tonne seines Lebens hatte einen neuen Reif bekommen.

Als Roman und Lisbeth in die Kammer traten, wandte der Doktor das Gesicht. »Sakerlott! Kommt aber da a saubers Madl! Und a gsunds Madl.« Er lachte. »Mich hat s' noch net braucht.« Er beugte sich über das Bett und streichelte dem Patienten freundlich das driedoppelte Köpfl. »Ja, Peterl, das begreif ich, daß du nach der verlangst!«

Roman fühlte das Bedürfnis, den Doktor aufzuklären: »Die zwei sind wie Bruder und Schwester, wissen S'!«

»Sooo? No ja, Bruder und Schwester is auch was Schöns!« Der Doktor lächelte. »Lang halt's aber net, wenn's net angeboren is. No also, Madl, komm her und schau dir's an, dein blessiertes Brüderl!«

Lisbeth trat zum Bett.

»Ilsabeth!« wollte Hanspeter sagen; doch es war nur ein gurgelnder Laut, der ihm aus der Kehle quoll. Er mußte husten, und rote Bläschen traten ihm über die Lippen.

Erschrocken beugte sich Lisbeth über ihn und sagte leis: »Geh, Peterl, tu net reden! Dös kunnt dir schaden, weißt!« Sie nahm ein weißes Tuch, das auf der Decke lag, und trocknete dem Hanspeter den Blutschaum von den Mundwinkeln. Nun lag er ruhig, und unter dem Stirnbund glänzten seine blauen Augen hervor wie die Augen eines Gesunden.

»Die hat a linds Handerl!« meinte der Doktor. »So a Krankenpflegerin tät ich mir gfallen lassen. Die möcht den Peterl rausreißen in der halben Zeit.«

Lisbeth richtete sich auf. »Der hat uns so viel Guttaten erwiesen. Tag und Nacht tät ich dableiben! Gern!«

Da lachte der Doktor. »Ui jegerl! Jetzt geht d' Welt unter. A Mensch, der dankbar is!« Er streckte Lisbeth die Hand hin. »No also, Madl! Bist aufgnommen als Pflegschwester! A bessers Trankl kann ich dem Peterl net verschreiben.«

Lisbeth sah beklommen den jungen Waldhofer an.

»Hast recht«, meinte die Altenöderin, »da müßt schon z'erst der Waldhofer sagen, was er denkt dazu.«

»Der Vater, no ja«, Roman mußte sich räuspern, »wie's der Vater haben will, weiß ich net. Aber der Hanspeter braucht zur Pflegschaft an ganzen Menschen. D' Leut im Haus haben ihr Teil zum schaffen. Ich denk mir, der Vater muß froh drum sein, wann d' Lisbeth bleibt. Und ich, natürlich, mir war's schon recht lieb, für'n Hanspeter, ja! Und so bleibst halt, Lisbeth! Gelt?«

Da sahen plötzlich alle vier, die in der Kammer standen, verwundert auf, denn etwas Merkwürdiges war geschehen: Hanspeter hatte gelacht. Einer, der um die Breite eines Messerrückens am Tod vorüberschleicht. Der hatte gelacht! Und da lachte der Doktor mit. »No also! Sein Lebenslichtl kommt schon wieder ins Bremseln. Da haben wir bis zum Sterben noch an guten Bauernschuh. Gelt Peterl?« Er tätschelte dem Patienten freundlich die Hand. »Ganz recht hast: den ganzen Tag so a liebs Gsichtl anschauen dürfen, das bindt ein' mit Strickln ans Leben an!« Er nahm seine Ledertasche vom Fenstergesims. »Und jetzt folg mir schön! Nix reden, 's Pflegschwesterl anschauen, und sonst gar nix! Morgen komm ich wieder.« Er öffnete noch das Fenster, um frische Luft in die Kammer zu lassen, dann ging er und nahm den jungen Waldhofer mit. Während man die beiden Männer draußen im Gang noch miteinander reden hörte, machte Hanspeter mit der Hand eine matte Bewegung. Lisbeth und ihre Mutter verstanden gleich, was er meinte, und setzten sich zu ihm auf die Bettstatt. Da war er zufrieden und rührte sich nimmer.

Nach einer Weile sagte die Altenöderin zu Lisbeth: »Da, schau dich um!« Sie deutete auf das Spielzeug an den Wänden. »Sein Stüberl muß man anschauen. Da weiß man, wie sein Herz is und wem's ghört.« Mit sanfter Hand strich sie über die Lodenkotze, die zwei hohe, lange Buckeln machte, als lägen zwei Baumklötze unter ihr verborgen.

Draußen vor dem offenen Fenster hörte man schwatzende Stimmen. Die Gesindleute waren vom Rosenkranz heimgekommen, ein paar andere hatten sich zu ihnen gesellt, und mit erregtem Klatsch wurde der ganze Verlauf der Gemeindeversammlung durchgehechelt, so laut, daß jedes Wort in die kleine Stube drang. Die Altenöderin und Lisbeth, als sie hörten, daß man ihr Häuschen ausgeboten hatte, sahen einander erschrocken an. Dach und Ofen verlieren, auf der Straße stehen und wieder wandern müssen!

Hanspeter, dem die Ohren mit dem nassen Tuch verbunden waren, hatte nur halb gehört. Doch er sah die bleichen Gesichter und schien zu verstehen. Er wollte sich aufrichten. »Net sorgen, Mutterl! Mein Anbot –« Was er weiter noch sagen wollte, erstickte in einem Blutguß.

Zitternd drückte ihn Lisbeth auf das Kissen zurück und trocknete ihm die Lippen, während die Altenöderin jammerte: »Peterl! Um Gottschristi willen, red doch bloß kein Wörtl nimmer! Meintwegen soll alles hin sein, bloß du sollst uns bleiben! Häusln gibt's gnug auf der Welt, aber du bist der einzig.« Draußen hörte sie die Klatschgesellschaft lachen, und da stieg der Zorn in ihr auf. »Die Malefizleut, die verfluchten! Halb derstochen haben s' ihn. Und jetzt lassen s' ihm noch kei' Ruh!« Sie schloß das Fenster. Nun war sie ruhiger. »Sei z'frieden, Peterl! Dein Herrgott wird schon alles wieder recht machen.«

Roman wollte in die Kammer treten; aber da klang durch den langen Gang die unwillige Stimme seines Vaters: »Höi! Bub! Wo bist denn?«

»Ja, Vater!« Roman machte kehrt. Und hinter ihm ging die Türe, deren Klinke nicht schließen wollte, langsam wieder auf.

So hörte man vom Hausgang her die scheltenden Worte des alten Waldhofer bis in das Stübchen hinein: »No also, jetzt haben wir's! D' Haar kunnt ich mir ausreißen, daß ich den narreten Teufel ins Haus gnommen hab! Jetzt haben wir die Bscherung! Im Burgermeisterhaus!«

»Aber Vater!«

»Und die zwei Weibsbilder auch schon da!«

»Vater, komm eini in d' Stuben!« Romans Stimme klang erregt. »Jetzt muß ich dir ebbes sagen.« Man hörte das Krachen einer Türe. Dann war's still im Haus.

In Sorge sah die Altenöderin den Hanspeter an. Dem aber hatte ein mitleidiger Dusel Aug und Ohr geschlossen und allen Kummer still gemacht. Mit bitterem Lächeln erhob sich die alte Frau. »Da! Hast es ghört? Es is gscheider, ich mach mich davon. Dem Hanspeter z'lieb. Sonst lassen s' ihren Zorn noch an dem aus. Aber du, Kindl, bleibst! Solang s' dich net fortschaffen aus'm Haus, solang bleibst bei ihm. Der hat's verdient, daß d' um seintwegen a bißl was schlucken darfst. Aber zum Essen kommst heim, alle Tag. Da im Haus? Net a Bröckl Brot nimmst an!« Sie wickelte die blutigen Tücher, die auf dem Boden lagen, zu einem Bausch zusammen und nahm sie unter den Arm. Dabei stieß sie mit der Schulter an einen der Baumschwämme, die an der Mauer hingen. Das winzige Spielzeug, mit dem das Gesimse des Schwammes bestellt war, kam ins Wackeln. Ein kleines Kirchlein fiel zu Boden. Nannimai hob es auf. Das Türmlein war geknickt und die winzigen Fensterchen waren abgesplittert. »Ja ja!« Heiser lachend drückte sie die Faust über dem zierlichen Ding zusammen, daß es mit leisem Krach in Scherben ging.

»Mutter!« stammelte Lisbeth. »Is doch a Kirchl gwesen!«

»Ich mach ihm dafür an Almhüttl und stell ihm a paar Schaf und Ochsen eini!« Mit diesen Worten schob die Altenöderin die Splitter des Kirchleins zwischen die blutigen Tücher und verließ die Kammer.

Als sie den langen Gang durchschritten hatte und in den Hausflur kam, blieb sie stehen. Sie wollte nicht lauschen. Aber sie mußte hören. Der alte Waldhofer hatte eine kräftige Stimme. »Hanspeter hin oder her«, klang's durch die Stubentür heraus, »und gegen dein christliches Erbarmen will ich nix sagen. Gut sein, solang man sich net schadt damit, is ebbes Schöns. Aber wenn man sich mit der Gutheit selber an Haxen abschlagt, so is die Güt nimmer weit von der Dummheit daheim. Und drum laß mich in Ruh! Als Burgermeister darf ich mein' Nam in kein' Tratsch net einirumpeln lassen. Und ob d' Häuslschusterin unschuldig is oder net, sie is halt jetzt amal in alle Mäuler, und mein Haus is mir z'gut dazu, als daß ich –«

Der Waldhofer verstummte. Denn die Altenöderin hatte die Stubentür geöffnet. »Tuts enk net aufregen, Burgermeister!« sagte sie ruhig, ohne die Schwelle zu überschreiten. »Dem Hanspeter z'lieb tät ich bitten, daß mein Madl bleiben durft zur Krankenpfleg. Vor mir habts enker Ruh. Ich geh. Pfüe Gott beinand!« Sie zog die Türe wieder zu.

Und der Waldhofer, die Fäuste in den Hosentaschen vergrabend, brummte ärgerlich: »No ja, jetzt gar so gfahrlich hab ich 's net gmeint.«

Roman fuhr mit der Hand hinter die Ohren, als hätte er Schmerzen im Genick. »Dös is mir arg, daß jetzt dös alte Weibl so aus'm Haus gehn muß. Und was wird d' Ilsabeth denken! Von uns und von unserer Christenlieb? Vater! Allweil bist gscheider als wie die andern. Solltst halt auch der besser sein. Als Burgermeister. Und unser Mutter, mein' ich, hätt 's Madl net davongschickt. D' Mutter is eine gwesen, wie's der Hanspeter predigt.«

Da fuhr der Waldhofer auf, fuchsteufelswild: »Mit'm Hanspeter seiner Predigerei laß mich in Ruh!« Aber dieser Zorn war Strohfeuer, das hurtig verflog. Schon wieder ruhiger, brummte er: »No ja, meintwegen!« Das war immer sein Wort, wenn er gegen einen Wunsch seines Buben nicht mehr aufkam. »Soll s' halt bleiben, 's Madl! A Glück, daß wenigstens die Alte draußen is.« Er trat zum Fenster. »Aber an schiechen Tratsch wird's abgeben! Müßt ich d' Leut net kennen. Und dei' Julei!«

Erschrocken stotterte Roman: »Jesses Mariand! An d' Julei hab ich gar nimmer denkt.«

»Wann d' Julei derfahrt, daß dös Weiberleut bei uns im Haus da is? Gehorsamster!«

Schwül atmend guckte Roman auf dem Boden umher, wie einer, der was verloren hat und nicht weiß, wo er suchen soll.

Der Alte sah verdrossen zum Fenster hinaus. »No also, da kommt schon der Herr Pfarr! Jetzt kann's losgehn, d' Mamserei!« Er faßte die Rockschöße unter den Arm, als hätte er sich auf eine Bank zu setzen, die nicht sauber war. Und ging zur Stube hinaus.

Draußen im Hofraum hatte Mutter Nannimai die blutigen Tücher im Brunnentrog ausgespült und zum Trocknen über den Zaun gehangen. Mit der Schürze die Hände säubernd, wollte sie auf die Straße treten, als ihr Herr Felician Horadam den Weg verstellte, ganz atemlos. »Grad erst hab ich's von der Kathrin erfahren!« Erschrocken sah er der alten Frau in die Augen. »Steht's denn so gfährlich mit ihm? O du lieber Heiland! Mutterl, da müssen wir beten. Den müssen wir wieder rausbeten.«

»Beten?« In das müde Gesicht der Altenöderin schnitt sich ein harter Zug. »Ah ja! Beten tu ich schon. Aber bei mir daheim. In enker Kirch bringts mich nimmer eini. Bei mir daheim hab ich an Herrgott, der hat bloß an einzigen Arm. Der is mir lieber als der enker, der mit die ganzen Glieder vierzehn Schuh lang in enkerer Kirch drin hängt. Pfüe Gott, Herr Pfarr!« Sie ging.

Herr Felician sah ihr bekümmert nach. »O Leut! O Leut! O ihr narreten Leut!« Seufzend blickte er zum Himmel hinauf. Aber dort oben war nichts anderes zu sehen als das reine leuchtende Blau und die strahlende Sonne, die ihr lindes, frühlingweckendes Feuer verschwenderisch auf die Erde niederschüttete. Freilich hatte sie ihr warmes Tagwerk schon bald getan, denn sie war bereits dem Grat der westlichen Berge nah. Ein halbes Stündl noch, dann war sie verschwunden. Und kalter Abend mußte kommen.

Mit den Rockschößen unter dem Arm, trat der Waldhofer dem Hochwürdigen entgegen, der ihn vorwurfsvoll anredete: »Nette Sachen, Waldhofer, nette Sachen! Wie geht's ihm denn?«

»Ich weiß net, Herr Pfarr! Schauen wir halt eini!«

Als sie in die kleine Stube traten, lag Hanspeter mit offenen Augen, aus seinem Dusel ermuntert, und hielt die Hand der Lisbeth fest.

Herr Felician beugte sich über das Bett. »Peterl! Was hast mir denn angstellt heut!«

Mit irrendem Blick sah Hanspeter zum Pfarrer auf. Und ganz erloschen klang's: »An nacketen – Spatzen – hab ich – fliegen lassen.«

»Was hat er?« fragte der Waldhofer verblüfft.

»Geh, du!« sagte Herr Felician unter wehmütigem Lächeln und fand kein weiteres Wort.

Lisbeth strich mit dem weißen Tuch über Hanspeters Mund. »Er därf net reden, Herr Pfarr! Dös kunnt ihm schaden.«

Da polterte einer mit schweren Schritten in die Stube herein.

»Was is denn?« brummte der Waldhofer. »In eim Krankenstübl tappt man doch net so auf!«

»Mein' Hut hab ich vergessen!« stotterte Roman mit einer Stimme, die einem anderen zu gehören schien. Seinen Hut fand er schnell. Doch er vergaß, den hochwürdigen Herrn zu grüßen. Nur die Lisbeth schien er zu sehen. Und stolperte wieder über die Schwelle hinaus. »He! Bub? Was hast denn?« fragte der Waldhofer. Aber Roman war schon draußen. Und noch im Gang begann er Schritte zu machen, als wäre Feuer hinter ihm. Und hinaus auf die Straße! Wie einer, dem das Glück davongelaufen, und der es mit langen Sprüngen wieder einholen will. Doch als er auf die fleckig gewordenen Wiesen kam, blieb er stehen, als hätte er plötzlich gemerkt, daß Feuer auch vor ihm lag. Und ratlos starrte er gegen die Höhe hinauf, hinter der sich das Staudamergut versteckte.

Zur Julei laufen? Nach allem, was zwischen ihm und ihr geschehen war?

Da spuckte er aus. »Pfui Teufel!« So hungrig darf auch die heißeste Liebe nicht sein, daß um ihretwillen ein ›richtiges Mannsbild‹ der eigenen Ehre vergißt! Aber war's denn nicht ein Weg, den er just seiner Ehre zulieb unternahm? »Wenn d' Julei erfahrt, daß jetzt dös Madl bei uns im Haus is? Jesses, jesses!«

Er tat ein paar Schritte, während die Sonne hinter die Berge hinuntertauchte. Und da kam auch schon der Abendwind über die Wälder niedergeblasen, so winterlich frisch, daß dem heiß gewordenen Ehrenmann ein ›Beutler‹ über die Schultern lief. Aber das kühlte ihn nicht ab. Er streckte die Faust vor sich hin. »Was ich gsagt hab, dös gilt!« Keinen Blick soll sie sehen von ihm, kein Wort von ihm hören. Oder sie bittet ihm zuerst das ›schieche‹ Unrecht ab, das sie ihm angetan. Und wenn es ihr nicht pressiert, dann hat er da droben nichts anderes zu tun, als der Julei zu sagen: »D' Ilsabeth is jetzt im Haus. Dem armen Hanspeter z'lieb hat der Vater eingsehen, daß man die Sach net besser machen kann. Und drum hab ich dös Sprüngl da auffigmacht und sag dir alles, daß dir ebba net ebbes denkst. So! Hast mir du was zum sagen, so weißt, wo der Waldhofer daheim is und fertig!«

Als er mit seinen Gedanken zu diesem beruhigenden Schlusse kam, begann er energisch auszugreifen. Doch je näher er dem Staudamerhofe kam, desto langsamer wurde sein Schritt.

Im Hause war alles still. Der ›Fürknecht‹, der beim offenen Herd in der Küche saß, trieb ein Geschäft, das kein Geräusch machte. Mit einem Korkstöpsel, den er in die Asche tauchte, rieb er die Klinge seines Messers blank. Als er im Hausflur die Schritte hörte, schob er das Messer flink in die Tasche und pfiff einen Ländler vor sich hin. Da klang die unwillige Stimme Romans durch das Haus: »Was is denn? He? Is denn kein Mensch daheim?«

Mickei trat in den Flur hinaus. »Guten Abend, Waldhofer! Nach Enzdorf sind s' ummi, zu ihrem Vetter. Kann sein, sie kommen bald.«

Roman atmete auf. »Warten kann ich net.«

»Warum pressiert's denn so?«

»Der Hanspeter liegt daheim. Und sorgen tu ich mich halt.«

»Der Hanspeter?« Mickei sah den jungen Waldhofer so unschuldig an, als hätte er's von der Julei gelernt.

»Ja! An saubern Sonntag hat's geben. Halb derstochen hat einer den Hanspeter.«

»Geh? Ja wer denn?«

»Der Assesser morgen, der wird's schon rausbringen.«

»Freilich, weil s' gar so gscheid sind, die vom Gricht!«

Das hatte Mickei mit Lachen gesagt. Aber etwas im Gesicht des Knechtes schien dem Waldhofer nicht zu gefallen. »Du, spiel dich net so! Du bist dabeigwesen. Da kunnt ich schwören drauf.«

»Ich? No ja, wie's angangen is, da hab ich mitgholfen, a bißl abwehren. Aber wie ich gmerkt hab, sie machen Ernst, da bin ich der Gscheider gwesen und hab mich druckt.«

Roman sah den Knecht mit blitzenden Augen an. »Du? Und abwehren? Bist schon der Rechte, ja!« Er ging zur Haustür.

»Was is denn?« fragte Mickei gemütlich. »Soll ich der Julei nix ausrichten?«

Roman zögerte. »Na! Morgen komm ich schon wieder.« Die Erregung schnürte ihm die Kehle zusammen. »No ja, sagst ihr halt, daß der Hanspeter liegt. Und weil der Dokter gmeint hat, daß er Pflegschaft braucht, hat der Vater der Häuslschusterin ihr Ilsabeth –« Über diesen Namen stolperte ihm die Zunge.

»Was?«

Roman schraubte die Stimme, als wäre Mickei ein Schwerhöriger. »Der Vater hat der Häuslschusterin ihr Madl aufgnommen zur Pflegschaft. Mich geht's nix an. Es is bloß, daß d' Julei net ebba ebbes denkt, ich weiß net was.«

»Ah na!« Mickei schmunzelte. »Die denkt ihr nix. Die is so viel unschuldig, d' Julerl.«

»No ja, freilich! Sagst es ihr halt. Pfüe Gott!« Nach diesem Gruß machte Roman Schritte, als läge der gute Hanspeter schon im Sterben, und als möchte ihn Roman noch am Leben finden für ein letztes Wörtl seiner Freundschaft.

Mickei, mit den Händen in den Hosentaschen, blieb unter der Haustür stehen und pfiff in schmelzenden Tönen vor sich hin:

Fischerin, du kleine,
Fahre nicht alleine –

Da hörte er über den Garten her die Diskantstimme seiner Bäuerin. Nun hätte er, ohne seine Kehle übermäßig anzustrengen, dem Roman noch nachrufen können: »He! Du! Sie kommen grad.« Aber lachend ging er ins Haus zurück, zündete in der Stube seine Pfeife an und setzte sich in den dämmerigen Ofenwinkel. Draußen an der Schwelle pochten die Staudamerin und Julei den Schnee von den Schuhen. Nun traten sie ein. Als die Bäuerin den Mickei sah, machte sie verdutzte Augen. »Was? Heut am Sonntag? Und du hockst daheim?«

»Hab mir halt denkt, ich muß 's Haus a bißl hüten.«

Dieser Beweis von anhänglicher Haustreue schien die Staudamerin zu rühren. »Vergeltsgott, Mensch! Auf dich is halt Verlaß.« Sie warf das Kopftuch und die Jacke auf die Ofenbank. »Jetzt darf ich aber schauen, daß wir ebbes z'essen kriegen.«

»A feiner Notnickl, unser lieber Herr Vetter!« fiel Julei ein. »Net amal a Schalerl Kaffee hat er uns aufgwixt. Selber essen macht fett, denkt er sich halt. Tummel dich, Mutter, daß d' ebbes herbringst!«

»No ja, hexen kann ich net, da mußt zur Häuslschusterin gehn.«

Mickei lachte.

Aber die Staudamerin meinte: »Da is nix z'lachen dran!« Und ging in die Küche.

Julerl begann sich's bequem zu machen, ohne sich durch die Gegenwart des Knechtes stören zu lassen. Der hatte die Ellbogen über die Knie gelegt und sah ihr eine Weile zu, wie sie die silberne Halskette abnahm, die blaue Seidenschürze zusammenfaltete und den mit Rüschen zierlich besetzten Spenzer aufnestelte. Dann sagte er: »Du! Heut hast an Bsuch versäumt.«

»So? Is er dagwesen?« Julei kicherte und nahm den Spenzer ab. »Dös is gsund, daß er an Metzgergang hat machen müssen.«

»Botschaft laßt er dir sagen.«

»Die weiß ich schon selber.«

»So? Hast es schon erfahren?«

Da sah sie verwundert auf. »Was?«

»Daß der Häuslschusterin ihr Madl im Waldhof is.« Erschrocken starrte Julei in den dunklen Ofenwinkel. Und Mickei erhob sich. »Der Hanspeter wär verkrankt, sagt 'r!« Das ›sagt 'r‹ war merkwürdig betont. »Und sein Vater, sagt 'r, hätt dös musprige Madl zur Pflegschaft aufgnommen. Deswegen is er kommen. Daß d' net ebba ebbes denkst, ich weiß net was.« Wieder lachte er.

»So so?« Julei kicherte; ein wenig hölzern klang's.

Mickei hatte den Hut von der Ofenstange genommen, hatte ihn schief über's Ohr gesetzt, und so kam er langsam näher.

»Julerl?«

»Was?«

»Tust eifern?«

Sie sah ihn von der Seite an. »Geh, du Narr! Wann ich so eine fürchten tät, müßt ich net wissen, was ich wert bin.«

Lachend trat er ganz an ihre Seite und schlang den Arm um ihren Hals.

Sie wollte sich wehren. »Hör auf! Oder ich sag's der Mutter.«

»Meintwegen!« Mit derbem Griff, der sie stöhnen machte, zog er sie an seine Brust und küßte ihren Mund.

»Mei' Ruh will ich haben!« Zornig schlug sie nach ihm. »Jeds Faderl hat an End, wo's aufhören muß.«

Nun gab er sie lächelnd frei. »Du, ich sag dir noch was!«

Julei dämpfte die Stimme. »Mach, daß d' weiter kommst!«

»D' Mutter muß heut müd sein vom Schneewaten. Die tat gut schlafen, wieder amal.«

Mit jenen Feueraugen, vor deren Glut das Türlein aufgesprungen, sah sie ihn an. Doch ohne ein Wort zu sagen, ging sie in die anstoßende Kammer hinaus und schlug die Türe zu.

Schmunzelnd verließ der Knecht die Stube. Draußen rief er noch in die Küche: »Pfüe Gott, Bäuerin! Jetzt vergunn ich mir a Krügl.«

»No ja, pfüe Gott! Ich zahl dir zwei Maß, kannst mir s' aufrechnen. Aber gelt, komm net gar so spat heim!«

»Na na! Heut schon gwiß net!« Das Lied von der kleinen Fischerin pfeifend, wanderte Mickei zum Hause hinaus.

Als er gegen die Senkung der Wiesen kam, konnte er beim letzten Tagesschimmer weit drunten auf der Straße noch den jungen Waldhofer sehen.

Der steuerte mit langen Schritten gegen das Dorf hinunter. Sein Gesicht war heiß gerötet. Immer wieder faßte er mit der Hand seinen Hals.

»D' Sorg halt! Völlig narrisch macht mich d' Sorg um den guten Kerl!« Und drum wollte er, als er den Waldhof erreichte, schnurstracks in die Krankenstube rennen. Aber in dem dunklen Gang vor Hanspeters Kammer machte er wieder kehrt, ging in die Küche und fragte die Magd: »Du? Wie schaut's denn aus da hint? Wie geht's ihm denn?«

»Gut! Hat ja sei' Pflegschaft.«

»Freilich, ja!« –

Beim Nachtmahl in der Stube, als sie alle um den Tisch saßen – nur Hanspeters Platz war leer, und das gab ein großes Loch in der Tischrunde –, da wurde von nichts anderem geschwatzt, als von der Rauferei am Nachmittag, von der Häuslschusterin und von der Lisbeth. Bei diesem Gespräch wurde Roman immer unruhiger, je länger es dauerte. Und plötzlich sagte er: »Vater, wir müssen doch dem Madl a bißl was hinterschicken.«

»No ja, meintwegen!«

Roman belud einen Teller so ausgiebig, daß der Hüterbub mit neidischen Augen meinte: »So gut möcht ich's auch amal haben!«

Aber die Magd, die den Teller davontrug, brachte ihn unberührt wieder zurück. »Sie laßt schön danken, sagt s'. Die mag nix.«

Roman lachte gereizt. »Speist s' ebba von der Barmherzigkeit, die?«

»Alls, was recht is!« brummte der alte Waldhofer. »Aber spötteln braucht man über dös gute Madl net!«

Roman stand auf. »Pfüe Gott beinand!«

Da schob der Alte die Fäuste in den Tisch. »Was is denn schon wieder? Wohin denn?«

»Wo a richtiger Bursch am Sonntag hinghört. Zu die andern ins Wirtshaus.«

»Sakra! Bub! Wie kommst mir denn für? Oder hast dich ebba mit der Julei gstritten?«

»Gstritten? Ich? Mit der Julei?« Roman lachte. »Gute Einfäll hat er, der Vater!« Und draußen war er. Und hinaus zum Hof und die Straße hinunter wie ein Feuerwehrmann, wenn die Trompete bläst.

Im Wirtshaus trat er, um gleich die richtige Laune zu erwischen, mit einem Jauchzer in die Stube. Schreiende Stimmen grüßten ihn. Alle Tische waren besetzt, den Raum erfüllte ein dicker Qualm, in dem die Flammen der Ligroinlampen mit trübem Schimmer brannten, und nebenan, in dem mit Brettern verschlagenen ›Burschenkobl‹, ging es zu – ein Volkswort sagt: wie in der Judenschul!

Roman nippte zuerst in der Stube von allen Krügen, die ihm die Gäste entgegenstreckten. Dabei schwatzte er mit gereizter Lustigkeit. Dann trat er in den Kobel. Aber obwohl das der Platz war, an den ›ein richtiger Bursch am Sonntag hingehört‹, blieb Roman zögernd bei der Türe stehen. Denn im Kobel führte der Staudamer-Mickei das große Wort. Und als die zwanzig Burschen, die sich in dem engen Raum aneinanderrückten wie die Bücklinge im Faß, den jungen Waldhofer sahen, verstummten sie plötzlich in ihrem schreienden Diskurs. Und alle lachten so merkwürdig! Brennend schoß dem jungen Waldhofer das Blut ins Gesicht. »Soll ich ebba net hören, was enker Gscheidheit auskramt? Ja ja, kunnt schon sein, ich tät ebbes hören, was mir net taugt.«

»Oeha! Langsam!« rief der Staudamer-Mickei. Und die anderen kreischten es nach.

»So? Gleich alle mitanander schreits?« Roman lachte. »Einer allein, der traut sich net? Ah ja, viel Steckerln machen an Besen. Seids alle sauber beinand, die heut übern Hanspeter hergfallen sind?«

Von den Burschen, die zunächst der Türe saßen, sprangen ein paar mit roten Köpfen auf und begannen gegen Roman loszuschreien. Aber ein Blick seiner funkelnden Augen genügte, um zwischen ihm und den Schreiern breite Luft zu erhalten. Dazu kam noch, daß sich der Wirt ins Mittel legte und in Gemütlichkeit erklärte: »Merkts es enk, Buben, bei mir wird net grauft! Dös könnts in der Gmein bsorgen und bei der Kirch drüben.«

Da lachten die einen, und die anderen schrien weiter. Den ärgsten Schreier faßte Roman bei der Schulter und drückte ihn auf die Holzbank nieder. »Da bleib sitzen! Bist ja erst halbert bsoffen. Tummel dich, daß d' es ganz wirst! Der heilig Sonntag dauert nimmer lang.« Dann wischte er die Hand am Joppenärmel ab und verließ den Kobel, ohne sich weiter um den Spektakel zu kümmern, der sich hinter ihm erhob.

Draußen in der großen Stube ließ er sich an einem dichtbesetzten Tische nieder. Die ›verstandsamen Mannerleut‹, die hier saßen, führten ein Gespräch, das der halben Ruhe, die Roman aus dem Kobel herausgebracht hatte, übel zusetzte. Mit dem dunklen Ausspruch: »Dös hätt ich daheim auch haben können!« packte er seinen Krug und ging zu einem anderen Tisch. Da fielen sie gleich mit der Frage über ihn her, ob es wahr wäre, daß der Waldhofer das Mädel der Häuslschusterin – – Weiter kamen sie nicht mit ihrer Frage. Als hätte man ihm glühenden Zunder ins Ohr geworfen, sprang Roman auf: »Mein' Fried will ich haben! Net amal im Wirtshaus hat man sei' Ruh. Da dank ich dafür!« Er warf der Kellnerin ein Geldstück in die Schürze und ging davon.

Als er den Waldhof erreichte, sah er, daß die Wohnstube schon finster war. »Freilich, der Vater! Der tut sich leicht. Der schlaft. Und ander Leut können umanand rennen mit der Sorg.«

Auch die übrigen Frontscheiben des großen Hauses guckten schwarz in die sternhelle Nacht hinaus. Nur ein einziges kleines Fenster, ganz bei den Ställen hinten, war noch umglimmert von mattem Lichtschein. »So so?« Roman zögerte eine Weile, bevor er die Haustür öffnete. Da fand er auch in der Küche noch Licht. Und die Magd spülte das Geschirr. »He! Du?«

»Was?«

»Is die dahint noch allweil da?«

»Fortgehn hab ich s' net hören.«

»So schau halt hinter amal – was er macht, der Hanspeter?«

Brummend nahm die Magd das Licht und schlorpte durch den langen Gang.

Roman blieb im finsteren Flur zurück, bis die Magd wiederkam. »Wie geht's ihm, sag?«

»Gut, mein' ich. Schlafen tut er.«

»Und die ander?«

»Die sitzt dabei wie die arme Seel beim Marterl. Und Augen macht s', wie zwei heilige Ampeln. Tat man net wissen, was für eine dös is – die kunnt eim gfallen.«

Die Magd war schon in der Küche verschwunden. Und Roman stand noch immer, als sollte er von der Botschaft der Hausmagd erst das Beste noch zu hören bekommen. Seufzend streckte er sich endlich und tappte im Finstern über die Treppe hinauf zu seiner Kammer. Ohne Licht zu machen, streifte er die Schuhe von den Füßen, legte die Joppe ab und ließ sich auf das Bett fallen.

Eine Petroleumlaterne, die drunten auf der Straße brannte, warf durch das Fenster einen kleinen, matten Schein auf die Stubendecke. Diesen Schein sah Roman immer an. Bald fror er, daß es ihn schüttelte, bald wieder brach es ihm heiß aus den Gliedern, als wäre eine gewitterschwüle Hochsommernacht um das Haus her und in der Stube eine Luft zum Ersticken.

»Was is denn mit mir? Was is denn?« Er richtete sich auf und griff an seinen wirbelnden Kopf. Und starrte wieder den Lichtschein an der Decke an. Und da meinte er durch diesen lichten Fleck wie durch ein Fenster hinauszuschauen. Mitten in einem vereisten, von den Schlitten glattgefahrenen Hohlweg sah er ein Marterl stehen und sah dabei eine arme Seele sitzen in einem schneeweißen Hemdl, welches pluderte im kalten Wind.

»O du Narr! Du Narr!« Als hätte ihn eine Stimme aus seinen Träumen geweckt, fuhr Roman aus dem Bett heraus und beugte sich vor, um durch die Dielen hinunterzulauschen. Und wirklich, er hörte was. Nur das Gegurgel des Brunnens vor dem Hause. Aber Roman redete sich ein, das wäre der arme Hanspeter, den der Schmerz seiner Wunden so stöhnen machte. Und da steckte er die Kerze in Brand, und hemdärmelig, in Strümpfen, öffnete er lautlos die Tür und schlich über die Treppe hinunter.

In dem langen Gang, der zu Hanspeters Kammer führte, stellte er den Leuchter auf den Boden, schlich bis zur Tür und lauschte. Nichts anderes konnte er hören als schwere, langsame Atemzüge. »Die is heimgangen.« Dabei drückte er die Tür auf. Stilles Dunkel füllte die Kammer. Die auf dem Fensterbrett stehende kleine Lampe war, damit ihr Licht den Schlaf des Kranken nicht stören konnte, mit allerlei Gegenständen verbarrikadiert, mit Hanspeters Schuhen, mit seinem Hut, mit einem Gebetbuch. Um diese Schutzwehr hatte Lisbeth noch ihr Kopftuch gewunden. Sie saß auf einem niederen Schemel zu Häupten des Bettes. Romans Augen mußten sich erst an die Dunkelheit gewöhnen, bis er Lisbeths Gesicht in der Dämmerung schimmern und ihre Augen glänzen sah. Und da sagte er verlegen: »Noch allweil bist da?«

Lisbeth nickte nur. Und Roman brauchte lange, bis seine Augen von Lisbeth den kurzen Weg hinüberfanden zum Hanspeter. Der schlummerte ruhig; nur an seinen Händen, die auf der Kotze lagen, zuckten die Finger ein wenig und spielten, als möchten sie die Härchen des Lodens fühlen; im Schatten war sein Gesicht so schwarz, daß sich kein Zug unterscheiden ließ.

Roman trat zum Fußende des Bettes; und obwohl er selber sah, wie fest der Hanspeter schlummerte, tat er doch die überflüssige Frage: »Schlaft er?«

»Gut!« lispelte das Mädel. »Schon seit Neune auf'n Abend. Und gar nimmer husten tut er. Gott sei Dank!«

»Ja, Gott sei Lob und Dank! So viel sorgen hab ich mich müssen. Völlig aus'm Schlaf hat's mich aussitrieben.«

Wieder nickte Lisbeth, als verstünde sie das.

Nun schwiegen die beiden.

Da streckte sich Hanspeter und tat einen seufzenden Atemzug. Geräuschlos, mit kaum merklichen Bewegungen, nahm Lisbeth von Hanspeters Stirne den weißen Bauschen fort und tauchte ihn in das kalte Wasser, das in einem hölzernen Eimer neben ihrem Schemel stand. Als sie das Tuch wieder ausrang, hörte man die Tropfen plätschern. Erst lockerte sie das feuchte Tuch zwischen ihren Händen, und dann legte sie den Bauschen wieder auf die Stirn des Kranken, so vorsichtig und fürsorglich, daß Roman flüsterte: »Ah ja! Da hat er leicht krank sein, der Peterl!« Und je länger er die Lisbeth ansah, desto schwerer arbeitete der Lebenshammer unter seinen Rippen. In Unbehagen bewegte er die Schultern. »Dös halt ich net aus!« Er tappte zur Türe. »So viel schwül is's da herin!« Und war schon draußen, fuhr auf die Kerze los, und hinauf ging's in die Kammer, als hätte er vor Einem davonzulaufen, den der Nachtwächter im Garten der Häuslschusterin gesehen haben wollte. Droben stellte er den Leuchter auf den Tisch, begann die Feiertagsmontur mit dem Wochengewand zu vertauschen, hängte an einem Lederriemen die Holzaxt um die Schultern, nahm die schwergenagelten Bergschuhe und den leeren Rucksack in die eine Hand, den Leuchter in die andere – und lautlos hinunter über die Treppe. In der Speiskammer stopfte er einen Brotlaib, einen Rinken Rauchfleisch, eine Schachtel mit Mehl und Eiern in den Rucksack. Und als er im Flur auf der untersten Treppenstufe saß und die Schuhe anziehen wollte, fiel ihm einer von diesen schweren Nagelflößen pumpernd auf die Dielen.

Da klang durch die Stube heraus die Stimme des Waldhofers: »He! Wer raspelt denn da draußt umanand? Z'mittelst in der Nacht?«

Zögernd öffnete Roman die Stubentür und rief durch den finsteren Raum gegen die Kammer des Vaters: »Ich bin's!« Ganz heiser klang seine Stimme.

»Was? Du? Kommst mir ebba so spat vom Wirtshaus heim?«

»Na! Fortgehn tu ich.« Als Roman das sagte, tat ihm ein ›zwiderer Zufall‹ den Schabernack an, daß die Kirchenglocke zwölf Uhr schlug. Und Roman, als müßte er aus irgendwelchen Gründen den Glockenschlag überschreien, hob die Stimme: »Zur Holzerhütten steig ich auffi, daß ich d' Holzknecht morgen in d' Arbeit einweisen kann, weil der Hanspeter krank is.«

»Aber Bub? Bist denn übergschnappt? In d' Holzerhütten auffi? Um Zwölfe in der Nacht?«

Aber da hatte Roman schon die Stubentür zugezogen, fuhr mit dem Fuß in den zweiten Schuh und surrte zur Haustür hinaus. Unter den blinkenden Sternen rannte er, als wäre der Vater hinter ihm her. Erst als die Straße gegen den Kirchplatz hin eine Wendung machte, hielt Roman inne, schob den Hut zurück und blickte gedankenvoll über die Hecken gegen den Waldhof. »Herrgott, is dös a Sonntag gwesen!«

Nun hörte er das Gedudel, das aus dem Wirtshaus klang. »Die können lustig sein!« murrte er vor sich hin. Dann sah er kummervoll die kalten, nachtgrauen Berge an und begann zu wandern, müd und langsam.

Und hinter ihm, aus dem Wirtshaus, klang es mit hohen, dünnen Kopfstimmen:

»Fein sein, beinandr bleibnnnnn!
Fein sein, beinandr bleibnnnnn!
Kann regnen,
Kann winden,
Oder auch schneibnnnnn bei der Nacht!
Kann regnen,
Kann winden,
Oder auch schneibnnnnn!«

Diesen schönen Kantus, in dem das »n« als sechster Vokal eine wichtige Rolle spielte, sangen vier weißhaarige Bäuerlein, die ihre Köpfe zusammensteckten und die Ellbogen so breit machten, daß der ganze Tisch belegt war und nur noch Raum verblieb für die zärtlich umschlungenen Maßkrüge. Diese viere waren in der großen Wirtsstube die letzten Gäste. Der reichlich genossene Spiritus hatte so viel Feuer in ihren alten Köpfen angezunden, daß sie duselnd ein Stück ihrer längst versunkenen Jugend aus der Erinnerung heraufholten und mit den rumorenden Burschen im Kobel um die Wette jodeln wollten. Doch ihre zittrigen Stimmen vermochten gegen den Spektakel, der im Kobel der Jungen herrschte, nicht aufzukommen. Da hatte sich noch kein Platz geleert. Zwanzig heisere Kehlen krähten durcheinander und erörterten noch immer das Kapitel, das ihnen den ganzen Abend gefüllt hatte: Mag der Pfarrer sagen, was er will, die Häuslschusterin ist doch eine Hex, und der Hanspeter hat gelogen, um der Alten aus der Patsche zu helfen, und es ist doch der ††† gewesen, den der Nachtwächter gesehen hat.

»Ah na!« meinte einer, der im duster gewordenen Kopf noch einen hellen Winkel hatte. »Lugen tut der Hanspeter net.«

»Lugen oder net, sie is eine!« schrie ein anderer. »Sie is eine! Sie is eine!« Und jedes ›is‹ war von einem dröhnenden Faustschlag auf den Tisch begleitet.

»Wenn einer kuraschiert war und hätt an siebenhölzigen Schaml«, rief der Staudamer-Mickei, »so kunnt man's beweisen, ob s' eine is oder net.«

Es wurde still im Kobel, und Mickei erklärte die Sache: wenn einer einen Betschemel hat, der aus sieben verschiedenen Holzarten zusammengeschreinert ist, und er nimmt ihn am Karsamstag zur Auferstehungsfeier in die Kirche, kniet sich darauf und betet die Heiligenlitanei von hinten nach vorne, so muß jedwede im Dorf, die eine ›solchene‹ ist, in der Kirche erscheinen, muß an allen Leuten vorübergehen bis zum Altar und muß auf die Knie fallen, als hätt ihr unser Herrgott d' Faust auf'n Buckel gschlagen.«

Einer lachte: »Dös glaub ich net. Dös is net wahr.«

»Wahr is's! Und wahr is's!« schrie der Staudamerknecht, als hätte ihm dieser Zweifel an die persönliche Ehre gegriffen.

Da streckte ihm einer der Burschen, der als Gesell beim Schreiner diente, die Hand hin: »Hast 's Kuraschi, du? Den siebenhölzigen Schaml kannst haben von mir. Den mach ich. Hast 's Kuraschi?«

Mickei schlug ein. »Gilt schon! Her mit'm Schaml! Da kennts mich schlecht, wann einer ebba meint, 's Kuraschi laßt aus bei mir. Die Alte muß her am Karsamstag.«

Im Kobel erhob sich ein Lärm, daß die Bretter des Verschlages hallten. Die Aussicht auf das kuraschierte Stückl des Staudamer-Mickei und auf die Hexenprobe am Karsamstag schien die Burschen noch trunkener zu machen, als Bier und doppelt gebrannter Enzian das fertiggebracht. Wie Narren trampelten sie mit den Füßen und schlugen mit den Fäusten auf den Tisch. Eine Stimme mahnte: »Wenn da der Pfarr ebbes erfahrt! Da kriegen wir's!«

»Der Pfarr! Ah so? Der Pfarr?« Durch seinen Erfolg berauscht, schob Mickei den Hut in den Nacken. »Der soll ganz stad sein! Der hat sich heut eh schon a bißl z'viel erlaubt!« Er lachte, und plötzlich die Stimme dämpfend, als wäre ihm ein guter Einfall gekommen, den ein unberufenes Ohr nicht hören durfte, zischelte er: »Kommts aussi, Buben! Heut haben wir noch a Gschäft. Draußen, da sag ich enk ebbes.«

Sie schienen gleich zu verstehen, was er meinte, und mit Lachen stolperten sie hinter dem Staudamer-Mickei zur Stube hinaus.

Als die vier weißhaarigen Alten diese torkelnde Karawane sahen, fingen sie zu jauchzen an. Und einer von ihnen prahlte mit seinem zittrigen Stimmlein: »Heut haben wir s' ausgsessen, die Buben! Heut, Mannderleut, heut sind wir die Starken! Heut sind wir die Jungen! Kellnerin, noch a Maßl! Jetzt dudeln wir erst recht noch eins!« Er fing zu singen an, und die anderen drei Starken fielen ein:

»Gscheid sein, net einitappnnnnn!
Gscheid sein, net einitappnnnnn!
Gar oft sitzt
Der Fuchs in
Der Zipflkappnnnnn bei der Nacht!
Gar oft sitzt
Der Fuchs in
Der Zipflkappnnnnn!«

Während der sechste Vokal des Liedes die Fensterscheiben summen machte, standen draußen auf der dunklen Straße die zwanzig Burschen um den Staudamerknecht zu einem Kreis gedrängt. Dann begannen sie mit Kichern loszumarschieren, immer wieder bückten sie sich wie Ährenleser auf dem Felde, und man hörte in ihren Taschen die gesammelten Steine klappern. Als sie den Pfarrhof erreichten, der mit schwarzen Fenstern schlummerfriedlich in die Mitternacht hinausträumte, stellten sie sich lautlos in zwei Schützenketten an den beiden Straßenfronten des Hauses entlang. Ein leises Kommando des Staudamerknechtes – dann flogen aus zwanzig Fäusten die Steine gegen alle Fenster, eine Salve nach der anderen, und das Klirren der zerschmetterten Scheiben machte einen Spektakel, als wäre ein gläserner Stern vom Himmel gefallen und auf der harten Erde in Scherben zersplittert. Und als die letzte Salve geworfen war, zerstob der mutige Schützenschwarm nach allen Seiten, über die Hecken weg, durch die Wiesen und Gärten.

Nun lag die Straße um den Pfarrhof wieder still und leer. Und freundlich blickten vom Himmel die Sterne herunter – jene Sterne, von denen Hanspeter glaubte, daß sie kleine ›Luckerln im Himmelsboden‹ wären, durch die der Glanz der ewigen Gerechtigkeit ›a wengerl aussispitzt‹, um wankelmütige Seelen in stiller Nacht zum Guten zu ermahnen.

Auch ringsumher alle Bauernhäuser lagen in träumerischer Ruhe. Wohl hatten die fallenden Glasscherben manch einen Nachbar aus dem Schlaf geklappert. Doch keiner öffnete das Fenster, keiner streckte den Kopf aus der Haustür. Hatten die ›Loder‹ wieder einmal ›ebbes Unfürmigs‹ angestiftet, so erfuhr man das bei Tage noch zeitlich genug. Und wer nichts gesehen hat, braucht keine ›Zeugschaft‹ abzulegen. Mit einem Weg aufs Bezirksgericht ist gleich ein Tag verläppert. Und Feinde macht man sich auch noch.

Im Pfarrhof wurden zwei Fenster hell, eins zu ebener Erde und das andere im oberen Stock. Dieses letztere war das Fenster am Stübchen der Jungfer Köchin.

Als Kathrin die brennende Kerze hob und auf den Dielen die Glassplitter und die Kieselsteine sah, war ihr Gesicht so kreideweiß wie ihre Schlafhaube und ihre Nachtjacke. Im Unterrock, bloßfüßig in den Pantoffeln, eilte sie die Treppe hinunter und pochte an die Türe von Herrn Felicians Schlafstube. »Herr Pfarr! Jesus Maria! Hochwürden! Leben S' denn noch?«

Die Tür ging auf, und Herr Felician erschien, etwas nachlässig in den Schlafrock gewickelt und ebenfalls mit einer Kerze in der Hand. Nach seiner Miene zu schließen, schien aller Schreck und Ärger, den er über den bösen Streich empfunden, schon halb verraucht. Aber die Stimme zitterte ihm doch ein wenig, als er sagte: »Brave Buben! Liebe Leut, das! Ja ja, da sind halt mehrer beinander gwesen – so, wie's der Hanspeter meint!«

»Natürlich, einer allein schmeißt net vierundzwanzig Fenster ein!« brach Kathrin los, die den philosophischen Sinn der Hanspeterschen Ausfassung von den ›Mehreren‹ nicht kapierte.

»Vierundzwanzig? Aber geh, Kathrin, da übertreibst schon wieder! Soviel Fenster hat ja der ganze Pfarrhof net.«

Doch Kathrin war zu Scherzen nicht aufgelegt und brach in Tränen aus. »Gelten S', Herr Pfarr! Gelten S', ich hab's Ihnen gsagt!« Ihr vorwurfsvolles Gewimmer verwandelte sich in bitterliches Schluchzen. »Weil S' mir net gfolgt haben! Jetzt haben wir's!«

»Was haben wir? Nix haben wir, als frische Luft in die Stuben, und das is gsund.«

»Spassetteln können S' auch noch machen! Denken S' lieber an die Glaserrechnung! Jesus Maria!«

Herr Felician klopfte die Schluchzende beruhigend auf den Rücken. »Sei stad, Kathrin! Jetzt is schon alles gschehen, jetzt gschieht uns nix mehr. Und schau, ich sag dir was! Die Menschen sind schwache und dumme Hanswursteln. Und ich bin selber ein Mensch. Was ich im Leben Gutes hab tun wollen, is alles bloß eine halbe Sach gewesen. Aber eins darfst mir glauben: unsere abgeschnittenen Zwetschgenbäum und unsere eingeworfenen Fensterscheiben, die rechnet mir der liebe Herrgott als ganz! Drum tu net weinen, Kathrin! Hol den Besen und kehr die Glasscherben zusammen! Ich trag derweil die Steiner auf ein Häuferl.« Herr Felician Horadam faltete die Schöße seines Schlafrockes zu einem Sack und begann in seiner Stube die Kieselsteine aufzulesen. Als er unter den Steinen einen fand, so groß wie ein Brotlaib, schüttelte er kummervoll den Kopf. »Daß so ein Stein einen Menschen hätt treffen können, an so was haben s' gar net denkt, die dalketen Buben!«

Er trug die Steine in den Hausflur. Und so wanderte er von einer Stube zur anderen. Was er au Steinen aus dem ganzen Hause zusammenschleppte, das gab ein ›Häufl‹ ab, beinah so groß, wie im Frühling die Schotterhaufen am Saum der Straße liegen.


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