Leo Frobenius
Schwarze Sonne Afrika
Leo Frobenius

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Frau des Hahnes

Felszeichnung

Eine Frau hatte nichts zu essen. Sie hatte nichts anzuziehen. Sie hatte keine Kleider. Sie war arm. Sie trug Blätter. Sie hatte schon als Kind nichts. Ihre Brüste schwollen. Ein Mann sagte: »Ich schicke dir Stoffe. Schlafe bei mir.« Die Frau sagte: »Nein, ich weiß nichts von einem Mann.« (Heißt etwa: bin Mädchen und will Mädchen bleiben, bis ich heirate.) Die Frau hatte nichts zu arbeiten. Sie hungerte. Sie ging zu dem Mann abends und sagte: »Ich will bei dir schlafen.« Sie schlief mit dem Mann. Sie blieb bei dem Mann bis zum andern Morgen. Der Mann gab ihr am andern Morgen ein Kleid und sagte zu ihr: »Bleibe bei mir!« Die Frau blieb bei dem Mann.

Die Frau wurde schwanger. Die Frau gebar Zwillinge. Eins der Kinder war ein Mädchen. Als die Frau die Zwillinge geboren hatte, stellte der Mann seine erste Frau beiseite und seine zweite Frau beiseite (d. h. er stellte die Frau, die ihm die Nachkommenschaft beschert hatte, über seine rechtmäßigen Frauen). Er schenkte der Mutter der Zwillinge schöne Kleider. Er gab ihr Perlen.

Das Mädchen (von dem Zwillingspaar) war sehr hübsch. Alle Leute kamen und wollten es heiraten. Das Mädchen sagte: »Ich will die nicht heiraten.« Der Leopard kam und sagte: »Ich möchte dich zur Frau haben.« Das Mädchen sagte: »Ich will dich nicht zum Mann haben!« Der Elefant kam und sagte: »Ich möchte dich zur Frau haben.« Das Mädchen sagte: »Ich will dich nicht zum Mann!« Der Büffel sagte: »Ich will dich zur Frau haben.« Das Mädchen sagte: »Ich will dich nicht zum Mann!« Jedes Tier kam und sagte: »Ich will dich zur Frau haben.« Das Mädchen sagte jedem: »Ich will dich nicht zum Mann!« Der Osi (König) sagte: »Ich will dich zur Frau haben!« Das Mädchen sagte: »Ich will auch dich nicht zum Mann!«

Das Mädchen sah den Akuko (Haushahn). Das Mädchen sagte: »Ich will den Akuko zum Mann haben.« Alle Leute sagten: »Wie viele und angesehene Männer wollten dich zur Frau haben, und du wolltest nicht! Und jetzt willst du den Akuko zum Mann nehmen?« Der Akuko hörte es. Er kam zu dem Mädchen und sagte: »Ich möchte dich zur Frau haben!« Das Mädchen sagte: »Es ist mir recht; ich möchte dich auch zum Mann haben!« Das Mädchen ging zu seinem Vater und sagte: »Ich möchte den Akuko heiraten!« Der Vater sagte: »Wir werden sehen, was er kann; wer am meisten kann, soll dich zur Frau haben. Wir wollen das schon sehen. Alle sollen meine Farm bestellen, und wer mit seinem Acker zuerst fertig ist, dem werde ich dich zur Frau geben.«

Als der Akuko das hörte, ging er zu einem Babalawo (Orakelkenner) und sagte: »Kannst du mir einen Rat geben?« Der Babalawo sagte: »Du willst das Mädchen heiraten, das viele Leute zur Frau haben wollen. Wenn du nicht aufpaßt, kannst du sie nicht zur Frau gewinnen. Wenn sie deine Frau wird und du sie nicht gut bewachst, wird sie dir genommen werden. Wenn du mich nun verläßt und aus dem Hause gehst, wirst du eine alte Frau treffen. Diese Frau wird eine Last am Boden stehen haben. Hilf ihr, sie auf den Rücken nehmen und du wirst Vorteil haben!« Akuko sagte: »Es ist gut!« Akuko ging.

Akuko ging fort. Bald traf er eine alte Frau, die hockte am Wege und neben ihr am Boden stand ihre Last. Die alte Frau sagte: »Hilf mir die Last auf den Kopf nehmen!« Akuko ging weiter und sagte: »Ich mag nicht!« Die alte Frau rief ihm nach: »Mufi Oloru beo!« (Tu es um Gottes willen.) Da wandte sich Akuko um und half der alten Frau die Last auf den Kopf. Die alte Frau sagte: »Ich kann dir etwas zu essen geben. Wenn du das ißt, wird dir jeder Wunsch erfüllt werden!« Akuko sagte: »So gib mir das nur zu essen!« Die Frau fuhr mit ihrer Hand in die Nase und zog ihren Nasenschleim heraus. Sie sagte: »Schlucke dies hinunter!« Akuko nahm es und verschluckte es. Akuko ging nach Hause.

Am anderen Tage gingen der Vater und die Mutter des Mädchens mit ihrer Tochter auf die Farm. Auf der Farm standen sechs Termitenhaufen. Der Vater setzte seine Tochter auf das Feld. Der Vater teilte das Feld in lauter gleiche Teile und sagte: »Jeder soll einen Teil meines Feldes bearbeiten. Wer mit seinem Teil zuerst fertig ist, kann meine Tochter mit nach Hause nehmen.« Alle nahmen ihre Hacken, um die Arbeit zu beginnen.

Die anderen kamen zu Akuko und sagten: »Der Griff deiner Oko (Hacke) ist ja zerbrochen!« Der Griff der Hacke Akukos war in der Tat zerbrochen. Akuko sagte: »Der Nasenschleim der alten Frau ist so stark, daß die Hacke die Arbeit aushalten wird. Seht her!« Damit schlug Akuko gegen einen Ogan (Termitenhaufen). Die Hacke Akukos zersprang nicht. Aber der Termitenhaufen stürzte um, die fliegenden Ameisen kamen heraus und alle stürzten sich darauf, sie zu fangen und zu verzehren. Während die andern die Ameisen fingen und fraßen, begann Akuko seine Arbeit und verrichtete ein gut Teil.

Als die anderen alle fliegenden Ameisen gegessen hatten, kamen sie zu Akuko zurück und sagten: »Der Griff deiner Oko ist zerbrochen!« Akuko sagte: »Der Nasenschleim der alten Frau ist so stark, daß die Hacke die Arbeit aushalten kann. Seht hier!« Damit schlug Akuko gegen einen zweiten Ogan (Termitenhaufen). Die Hacke zersprang nicht. Aber der Termitenhaufen stürzte um; die fliegenden Ameisen kamen heraus, und alle stürzten sich darauf, sie zu fangen und zu verzehren. Während die andern die Ameisen fingen und fraßen, setzte Akuko seine Arbeit fort und verrichtete ein gut Teil.

Das Spiel wiederholte sich, bis Akuko auch den sechsten Termitenhaufen umgestürzt hatte. Die anderen Tiere arbeiteten jetzt rasch. Sie waren groß und kamen schnell vorwärts. Als sie aber beinahe bei dem Vater und der Mutter des Mädchens ankamen (man muß sich vorstellen, daß sie mit der Hackarbeit auf das Elternpaar zukamen), hatte Akuko diese gerade erreicht.

Akuko kam bei dem Vater des Mädchens an und sagte: »Ich habe mein Feldstück vollendet! Gebt mir jetzt das Mädchen zur Frau.« Der Vater sagte: »Ja, du bist mit deiner Arbeit zuerst fertig geworden. Hier hast du meine Tochter!« Er gab Akuko seine Tochter. Die andern sahen es, sie kamen auch heran und sagten: »Hat Akuko nicht doch noch die Frau bekommen? Hat er nicht mit seiner zerbrochenen Hacke die Arbeit schneller vollendet als wir?«

Alle gingen in die Stadt zurück. Die anderen sprachen untereinander: »Wir wollen Akuko auf dem Heimweg seine Frau fortnehmen.« Die anderen kamen zu Akuko und fragten: »Welchen Weg willst du nach Hause gehen?« Akuko sagte: »Ich werde den Weg an dem großen Fluß entlang nehmen.« Die anderen sagten: »Dann gehen wir ja den gleichen Weg.« Alle gingen nun mit Akuko nach Hause.

Nachdem die andern eine Weile mit Akuko dahingegangen waren, kamen sie an den großen Fluß. Die andern sagten: »Wir wollen baden.« Akuko sagte: »Ich mag nicht baden.« Die andern sagten: »Wir wollen doch baden und du mußt mit uns baden.« Da sagte sich Akuko: »Die anderen wollen dir deine Frau wegnehmen. Ich werde meine Frau lieber in den Mund nehmen.« Akuko nahm seine Frau in den Mund. Die andern stießen, als sie das sahen, Akuko in das Wasser. Um ihm seine Frau wegzunehmen und um ihn zu zwingen, seine Frau aus dem Mund zu geben, steckten sie Akukos Kopf unter das Wasser. Sie sagten: »Nun muß er den Mund aufmachen. Dann nehmen wir die Frau heraus.« Als Akuko das hörte, schluckte er seine Frau hinunter, so daß sie in seinem Bauch war.

Als Akuko die Frau hinuntergeschluckt hatte, ließen ihn die andern heraus. Er kam ans Land. Akuko wollte die junge Frau nun wieder aus dem Bauch heraus haben. Die junge Frau hieß Aruege. Er schrie also immer: »Aruege! Aruege! Aruege!« Aber die Frau kam nicht wieder heraus, und so schreit er noch immer: »Aruege! Aruege! Aruege!«


 << zurück weiter >>