Leo Frobenius
Schwarze Sonne Afrika
Leo Frobenius

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Ntji, der Sohn des Königs

Felszeichnung

Es war in den alten Zeiten, als die jungen Leute noch gezwungen waren, die Töchter ihrer Onkel zu heiraten. Es war damals ein König, dessen ältester Sohn hieß Ntji. Der König tat den Armen nie etwas zugute. Es war ein sehr schlechter König. Ehe der König starb, rief er seinen Sohn Ntji zu sich, gab ihm einen mit Gold gefüllten Korb und sagte: »Such dir hiermit einen guten Kameraden.«

Ntji ging von dannen, um sich einen Kameraden zu suchen. Er wanderte und wanderte. Er traf einen Ngou (schwarzer Affe, Hundskopf), der sagte: »Wer geht hier so spät zur Mitternacht durch den Wald?« Ntji sagte: »Mein Vater ist ein Fama (König), der nie etwas Gutes getan hat. Er wird nun bald sterben und hat mir einen Korb Gold gegeben, damit ich mir für nachher einen guten Kameraden erwerbe.« Ngou sagte: »So gib mir den Korb mit Gold.« Ntji gab den Korb mit Gold hin. Er kehrte heim. Ntji kam nach Hause zurück. Er kam zu seinem Vater. Sein Vater fragte ihn: »Wem hast du das Gold gegeben?« Ntji antwortete: »Ich habe das Gold dem Ngou gegeben.« Der König rief: »Oh, ich habe keinen guten, keinen klugen Sohn! Er hat das Gold dem Ngou, dem Affen, dem Wilden gegeben! Wie soll Ngou ihm einst nützen können, wenn er einen Kameraden braucht. Oh, mein gutes Gold ist hin! Nimm aber noch einen Korb mit Gold, geh hin und suche dir einen Kameraden.«

Ntji wanderte mit dem Gold fort. Er kam in den Busch. Er traf Fonfonni (die Schlange). Fonfonni fragte ihn: »Was machst du hier?« Ntji sagte: »Mein Vater ist ein Fama, der nie etwas Gutes getan hat. Er wird nun bald sterben und hat mir einen Korb Gold gegeben, damit ich mir für nachher einen guten Kameraden erwerbe.« Fonfonni sagte: »So gib mir den Korb mit Gold.« Ntji gab den Korb mit Gold hin. Er kehrte heim.

Ntji kam nach Hause zurück. Er kam zu seinem Vater. Sein Vater fragte ihn: »Wem hast du das Gold gegeben?« Ntji antwortete: »Ich habe das Gold der Fonfonni gegeben.« Der Vater sagte: »Du hast mein Gold nur Wilden gegeben. Du wirst sehen, wenn du Hilfe brauchst, können Wilde nie einen Menschen retten.« Ntji wollte dem Vater etwas sagen und beugte sich über ihn; da sah er, daß der Vater gestorben war.

Ntji lief zum jüngeren Bruder des Vaters und sagte ihm: »Komm, mein Vater, der König ist gestorben!« Der Onkel sagte: »Oh, ich kenne euch; das ist nur eine Falle, in die du mich locken willst. Wenn ich an den Hof komme, laßt ihr mich töten.« Der jüngere Bruder des Vaters floh. Ntji lief zu seinem jüngeren Bruder und sagte ihm: »Unser Vater, der König, ist gestorben!« Der jüngere Bruder stand auf, lief unter das Volk und rief: »Das Land ist von einem schlechten König befreit, der nie Gutes tat! Freut euch, ein schlechter König ist gestorben. Nun tötet auch gleich sein Ebenbild, den Ntji, ehe er noch das Begräbnis des Königs vollendet hat!« Darauf ergriffen die Leute den Ntji.

Es war da ein alter Mann, der wurde Kemorokobello genannt. Der sagte: »Man muß den Ntji nicht so schnell töten. Der Vater war schlecht. Von ihm weiß man nichts. Man kennt nicht die Kräfte, die er hat. Gebt ihm also lieber eine Arbeit zu verrichten, die er wohl kaum ausführen kann, und wenn er sie nicht zu vollenden vermag, dann tötet ihn.« Die Leute waren damit einverstanden. Es war da eine alte Kuh, die war schon seit 25 Jahren im Hause und hatte noch nie die Augen geöffnet. Ihre Augen waren stets geschlossen. Die Leute kamen zu Ntji und sagten zu ihm: »Sieh zwei- oder dreimal die Kuh an. Wenn sie nicht unter deinen Blicken stirbt, so werden wir dich töten.« Ntji sagte: »Man kann eine Kuh nicht durch Blicke töten.« Die Leute brüllten ihn an und riefen: »Wenn du so etwas noch einmal wiederholst, werden wir dich gleich töten!«

Ntji ging traurig hinweg, dahin, wo er die Fonfonni traf und sagte ihr: »Die Leute wollen mich töten, wenn ich morgen nicht mit zwei oder drei Blicken die alte Kuh töte.« Fonfonni sagte: »Nichts ist einfacher als dieses. Nimm mich mit in das Haus, in dem die alte Kuh steht. Ich werde mich zwischen ihren Klauen verstecken.« Ntji nahm Fonfonni mit nach Hause.

Am anderen Morgen kamen die Leute und weckten Ntji. Sie sagten: »Komm schnell, wir werden dich totschlagen.« Ntji sagte: »Erlaubt mir doch erst, mich zu waschen.« Die Leute sagten: »Wer so bald sterben wird, der braucht sich nicht mehr zu waschen.« Ntji sagte: »So gilt das nicht, was ihr mir gestern gesagt habt?« Die Leute sagten: »Ja, wirst du es denn können?« Ntji sagte: »Ich werde es doch versuchen.« Die Leute führten Ntji zu der alten Kuh.

Sie kamen im Haus bei der alten Kuh an. Ntji sagte: »Gebt acht! Jetzt sehe ich die Kuh zum erstenmal an.« Ntji wandte den Kopf zur Seite und blickte die Kuh scharf an. Fonfonni biß die Kuh in den Fuß. Die Kuh begann zu zittern. Die Leute sahen erstaunt zu. Ntji sagte: »Gebt acht! Jetzt sehe ich die Kuh zum zweitenmal an!« Fonfonni biß die Kuh wieder in den Fuß. Die Kuh stürzte hin und verschied. Die Leute schrien auf und liefen dann eiligst von dannen. Sie fürchteten, unter den Augen Ntjis ebenso zu sterben wie die alte Kuh.

Die Leute versammelten sich wieder und sagten: »Man soll ihm noch eine Aufgabe stellen.« Sie riefen Ntji und sagten ihm: »Wir haben hier einen großen Affenbrotbaum, der hat noch niemals Früchte getragen. Sorge, daß er morgen voller Früchte hängt. Gelingt dir das, so wollen wir dich zum König erheben. Sonst töten wir dich.« Ntji ging von dannen und begab sich in den Busch zu Ngou. Ngou sah ihn und fragte: »Weshalb siehst du so traurig drein?« Ntji sagte: »Mein Vater, der König, der niemals jemand etwas Gutes getan hat, ist gestorben, und nun verlangen die Leute von mir, ich soll es machen, daß morgen ein großer Affenbrotbaum, der nie Früchte trug, voller Früchte hängt. Gelingt das, wollen sie mich zum König erheben; gelingt es nicht, wollen sie mich töten.« Ngou sagte: »Geh nach Hause, morgen werden wir alles sehen.« Ntji ging von dannen.

In der Nacht rief Ngou alle Affen zusammen und ließ sie überall alle Brotfrüchte sammeln. Dann ging er mit allen Affen und Früchten zur Stadt und band im Verlauf der Nacht mit seinen Gehilfen alle Früchte an den Baum. Als am anderen Morgen die Leute erwachten, fanden sie, daß der Baum voller Früchte hing. Die Leute sagten: »Ntji ist ein kluger und vielseitiger Mann. Man soll ihn ja nicht töten.« Dann kam der jüngere Bruder des Vaters. Er sagte: »Hier habe ich dir ein Quant Gold gebracht. Weine mit den anderen Leuten um den Tod deines Vaters, der mir nie etwas Schlechtes zugefügt hat.« Es kam ein anderer und brachte einen Ballen Stoff. Es kam einer, der brachte Salz. Alle Brüder kamen und brachten die Frauen des Vaters mit.

Seit damals setzt man sich nicht mehr gegenüber dem König; seit damals sieht man ihn nicht mehr an, sondern alles setzt sich hinter ihm nieder.


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