Leo Frobenius
Schwarze Sonne Afrika
Leo Frobenius

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Die Mabolegende

Felszeichnung

Es war ein Mabo mit Namen Ali. Der Ali Mabo heiratete zwei Frauen, nämlich eine aus dem Dorf Sosobe, die andere aus Salsalbe. Ali Mabo war auf sein Handwerk außerordentlich eifersüchtig. Er konnte es nicht haben, daß in seinem Ort noch ein zweiter Mabo arbeitete. Deshalb wußte er jedem Mabo, der sich seinem Dorf näherte, so geschickt mit Toru (Zaubermitteln) beizukommen, daß der Betreffende nach einiger Zeit starb, und daß er so der einzige Mabo in dem Ort blieb.

Einmal nun kam wieder ein webender Mabo in diesem Ort an, und er nahm sein Quartier bei einer Fulbefrau aus Salsalbe. Er schlief die Nacht durch und fragte am anderen Morgen die Fulbefrau: »Ich bin ein Mabo und möchte wohl morgen hier arbeiten. Gibt es nicht Wolle und etwas zu tun?« Die Fulbefrau sagte: »Oh, das ist nun eine schlechte Sache. In diesem Ort ist ein Ali Mabo, der ist so eifersüchtig auf seinen Beruf, daß er mit seinen Toru jeden tötet, der neben ihm hier arbeiten will.« Der fremde Mabo sagte: »Das ist mir ganz gleich. Die einzige Frage ist, ob du Wolle oder Wollfaden hast, so daß ich hier etwas arbeiten kann.« Die Fulbefrau sagte: »Ja, den habe ich schon, aber der Ali Mabo wird dich töten, wenn ich dir Wolle zur Arbeit gebe.« Der fremde Mabo sagte: »Ach, das ist mir ganz gleich. Gib nur die Wolle her.« Dann stellte er seinen Tjengu (Webstuhl) auf und begann zu arbeiten.

Die Tochter des Ali Mabo ging in der Stadt spazieren. Sie hörte das Klappern eines Webstuhles, schaute über den Zaun, sah den Mabo, der ein Fremder war, und lief heim. Sie sagte: »Vater, ein fremder Mabo arbeitet in dieser Stadt.« Ali Mabo sagte: »Den wollen wir schon beiseite bringen. Hier, meine Tochter, nimm diese Toru in die Hand. Geh zu dem Mabo und wünsche ihm einen guten Morgen. Er braucht dir nur zu antworten und du wirst sehen, welche Wirkung das hat.« Die Tochter nahm das Toru und ging hin. Sie sagte zu dem fremden Mabo: »Guten Tag.« Der fremde Mabo erwiderte den Gruß. Kaum aber hatte er die Worte ausgesprochen, sofort schlug aus dem Kassastreifen, den er webte, Feuer. Der Mabo warf ein wenig eigenes Toru in das Feuer und sogleich wurde Faden wieder zu Faden, Stoff zu Stoff. Der Mabo webte gelassen weiter. Das Mädchen aber lief nach Hause und erzählte alles seinem Vater.

Der Vater hörte den Bericht mit an und sagte: »Soso! Nun, da werden wir etwas anderes unternehmen müssen.« Er nahm eine Mulle Reis und bereitete ein Gericht. Das gab er seinem Hahn und sagte: »Nimm dieses Gericht, bringe es dem fremden Mabo hin und bestelle ihm einen schönen Gruß von mir und daß ich ihn willkommen heiße.« Der Hahn nahm das Gericht, das in einer Holzschale war, brachte es zu dem fremden Mabo und sagte: »Mein Herr, der Ali Mabo sendet dir dieses Gericht und läßt dir sagen, du solltest es dir gut schmecken lassen.«

Die Fulbefrau, bei der der Mabo abgestiegen war, sah das und sagte: »Iß um alles nichts von diesem Gericht. Denn wenn du das genießt, wird es dir gehen wie den anderen Mabo und du wirst sterben.« Der fremde Mabo aber lachte und sagte: »Ach, das macht mir ja gar nichts.« Er webte noch etwas, dann begann er zu essen und das von Ali gesandte Gericht zu verzehren. Danach setzte er sich wieder an den Webstuhl und begann zu weben. Er webte und webte, warf das Schiffchen hin und her. Aber während er webte, begann der Mann mitsamt dem Webstuhl in Bewegung zu geraten – der Mann und der Webstuhl rückten durch die Stadt fort. Der Mabo webte. Alle Leute, die dem Mabo begegneten, liefen in großer Angst fort. Der Mabo webte und bewegte sich mit seinem Webstuhl so lange fort, bis er auf dem Hof des Ali Mabo angekommen war. Als Ali ihn so kommen sah, wollte er fortlaufen. Der fremde Mabo warf aber seine schwarze Kopfbinde auf den Boden, da wurde sie zur Schlange. Die Schlange wand sich um Ali und ließ ihn nicht fort. Dann sagte der fremde Mabo: »So, Ali, nun gib mir deine Augen.« Ali nahm seine Augen aus dem Kopf und gab sie dem fremden Mabo. Der fremde Mabo steckte sie in seine Tasche. Dann sagte der fremde Mabo: »Ich töte dich nicht. Aber du und deine Nachkommen sollen blind sein.« Er begann wieder zu weben, sein Webstuhl begann wieder zu wandern und kam so wieder bei seiner Fulbewirtin in Salsalbe an.

Es ist wahr: Man trifft heute noch viele Mabo, die blind sind.


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