Ferdinand Freiligrath
Neuere politische und soziale Gedichte
Ferdinand Freiligrath

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Ein Umkehren

1792

Vom Meer heran der Abend graute,
Aus Dampf und Dunst die Möwe schrie,
Verdrossen auf die Brandung schaute
Der gelbe Strand der Normandie.
O nachtumfloss'ne Wasseröde!
Ein einsam Boot lag auf der Reede,
Ein ruppig Ding zur Küstenfahrt.
Am Bord ein paar Matrosen keuchten;
Man zog die Segel auf, die feuchten,
Und sang dazu nach Schifferart.

Am wüsten Ufer unterdessen,
Die Haare naß vom Wellenhauch,
Auf Steinen hat ein Mann gesessen,
Ein kleiner Mann mit großem Aug'.
Er läßt es irren, läßt es schweifen;
Zu den zerriss'nen Wolkenstreifen
Aufhebt er die geballte Faust;
Fährt in die Höh', spricht laut und strenge;
Bedräut die Flut, wie eine Menge,
Die einen Rednerstuhl umbraust.

Dann wieder mit gesenkten Brauen
Setzt er sich hin; was mag ihm sein?
Was, außer Meer und Mast und Tauen,
Sieht er auf seinem harten Stein?
Wenn du es wissen willst, so höre: –
Er träumt von einem andern Meere,
Beschwört ein ander Meer, als dies!
Er schaut, das selber er bewegte,
Das selber er als Sturm durchfegte,
Das wild empörte Meer Paris!

Er sieht die Plätze, sieht die Gassen –
Da brandet es wie Ebb' und Flut,
Da wogen ab und zu die Massen,
Da kocht das heiße Frankenblut.
Die Piken und die Säbel blitzen,
Auf schwarzen Haaren rote Mützen,
Trompetenruf und Fackelbrand!
Den Knaben sieht man Waffen tragen,
Die rauhe Trommel wird geschlagen,
Die zornige, von Frauenhand!

Die Glocken rasen auf den Türmen,
Vordringt das Volk mit wüt'gem Schrei!
Ha, das ist der Bastille Stürmen,
Das ist des Marsfelds Metzelei!
Geschützesdonner, Flintenknattern!
Des Volkes junge Fahnen flattern –
Die erste dort, wer schwingt sie nur?
Das ist, auf rasselnder Kanone,
Die Lächelnde, die Amazone,
Das stolze Weib: die Mericourt! –

Ja, das die Woge, die zu wecken
Er donnernd losbrach in den Klubs;
In den Spelunken, an den Ecken
Umringt von Sanskulottentrupps.
Das kämpft und gärt auf diesem Meere –
Sieh' da, Camille und Robespierre!
Sieh' da, und Dantons Löwenkraft!
Ein Tisch, ein Stuhl die Rednerbühne –
Nun schwingt auch er sich auf, der Kühne:
Die menschgewordne Leidenschaft!

Ja, das die Woge, die zu wecken
Er unablässig hob die Hand!
Die Flut, auf die er seine kecken
Sturmvögel täglich ausgesandt!
»Der Freund des Volks« – durchs Hagelwetter
Hinflatterten die grauen Blätter,
Sturmfrohen Nordsee-Möwen gleich!
Anfeuernd, mahnend, stachelnd, fluchend –
Und dennoch einzig, einzig suchend
Den Friedens-, den Olivenzweig!

'S ist Marat, ja! der Große, Gute!
'S ist der geächtete Tribun!
Das Haupt, das lang in Kellern ruhte,
Ruht aus am Meergestade nun!
Verkannt, geschmäht, verfolgt, geflüchtet –
Es ist vorbei, er hat verzichtet,
Er wählt des Elends bitter Brot!
Er schickt sich an, in See zu stechen –
Mag auch sein Herz in England brechen:
Gleichviel – dort liegt das Schmugglerboot!

Er springt hinein: »Nun, Schiffer, rüste!«
Da schwebt der Anker sacht empor.
Ein einz'ger Blick noch nach der Küste –
Da, was geht in dem Starken vor?
Er weint, er schluchzt, er winkt zum Strande,
Er ruft: »Zurück! Zurück zum Lande!
Verläßt die Mutter auch der Sohn?
Gescheh', was will!« Er wirft sich nieder,
Er küßt den Sand: »Da, nimm mich wieder!
Nimm mich, o Revolution!«

Und nun, die Feinde auf den Hacken,
Und nun, auf Wald- und Wiesensteg
Allzeit das Messer überm Nacken,
Zurück, zurück den langen Weg!
Im Korne muß er sich verstecken,
Muß sich verkriechen hinter Hecken –
Bis, die ihn gestern tat in Bann,
Er wieder in die grauenhafte,
In die bis auf den Grund zerklaffte
Meerflut Paris sich stürzen kann.

Was wird sie ihm zutage tosen? –
Nun ja, wir haben's lang gewußt!
Wir hörten lang von seinen Losen –
Zuerst den zehnten des August!
Dann den Konvent, und dann den Schrecken!
Dann, in des Henkers blut'gem Becken,
Dein Haupt, o schuldiger Kapet!
Die Girondins auf dem Schafotte,
Das blanke Messer der Charlotte – –
Da, seht ihm nach! – Er muß – er geht!


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