Ferdinand Freiligrath
Neuere politische und soziale Gedichte
Ferdinand Freiligrath

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Der Dame Traum

(Nach Thomas Hood)

Die Dame lag auf dem Pfühl,
Ihrem Pfühl so weich und warm;
Doch rastlos und unterbrochen ihr Schlaf –
Denn, als drückte sie schwer ein Harm,
Von Seite zu Seite warf sie sich,
Und fuhr aus mit erhobenem Arm.

Zuletzt schrak sie empor,
Saß im Bette grad' wie ein Licht;
Sah wirr und entsetzt ins Leere jetzt.
Wie schauend ein graus Gesicht –
Dann im Kissen begrub sie zagend ihr Haupt,
Als könnte sie's tragen nicht.

Der Vorhang selber flog,
So entbebte sie dem Flaum;
Und der Schein der Lampe zitterte matt
Auf der Decke gesticktem Saum;
Und mit zuckender Lippe rief sie aus:
»Weh' mir, der furchtbare Traum!«

»Der lange, lange Gang
Durch des Kirchhofs Rasenland!
Und die grauliche Schar, die um mich war,
Im aschigen Grabgewand!
Tod, Tod, Tod, und nichts als Tod –
Wo ich ging und wo ich stand!

»Und, o! die Mädchen jung,
Mit dem Arbeitszeug im Schoß,
Mit gesenktem Haupt, mit gesunk'ner Brust,
Und mit Wangen rosenlos! –
Und der Ruf durch die Nacht: Für des Stolzes Pracht
Ist ein frühes Grab unser Los!

»Für des Stolzes Pracht und Lust
Müssen spulen wir und nähn:
Und alles für eine Ruhstatt nur,
Wo dort die Zypressen wehn!–
Und sie wiesen hin – von Gräbern so voll
Hab' ich nie einen Grund gesehn!

»Und immer Särge noch,
Mit dem ernsten, düstern Geleit!
Sarg auf Sarg, und Sarg auf Sarg!
O, der trüben Schau! – Befreit
Von Kummer und Weh', wie träumt' ich je
Von solch einer Welt voll Leid?

»Von den Herzen, die täglich brechen,
Von den Tränen, die stündlich fallen,
Von den vielen, vielen Qualen und Mühn,
Die das Leben grimm befallen:
Krankheit und Hunger und Mangel und Schmerz? –
Doch nun träumt' ich von ihnen allen!

»Denn der Krüppel, der Blinde kam,
Und der Mann, den sein Dach verstieß,
Und die bettelnde Witwe, die auf ihr Kind,
Auf das unbegrabene, wies;
Der Hungrige, den ich ungespeist,
Der Nackte, den nackt ich ließ!

»Die Zähr', die ich trocknen gekonnt,
Doch vorbeiging, achtlos und kalt;
Denn aus alter, lang vergess'ner Zeit
Auf mich zu schritt jede Gestalt –
Ja, selbst der arme, verschmähte Mohr,
Dem mein kindisch Fürchten galt!

»Jeder ängstlich heischende Blick,
Jedes bittende Aug' voll Weh,
Jedes Antlitz, deutlich wie ehedem,
Maß mich in schauriger Näh' –
Oh, wenn ich, wie heut, die Vergangenheit
Im Tod als Gegenwart säh'!

»Wozu noch ein Schwefelpfuhl,
Eine strafende Höllenglut?
Mir wird, das umsonst mich angefleht,
Das zitternde Fleisch und Blut
Ein ewig lohender Vorwurf sein,
Und mir brennen den sündigen Mut!

»Zu achtlos, wohin ich trat,
Hinschritt ich durch die Welt:
Nein, half gar zertreten mein Mitgeschöpf,
Und füllen das Leichenfeld –
Töricht vergessend, daß ohne Gott
Nicht der Sperling vom Dache fällt!

»Ich trank vom köstlichsten Wein;
Aller Speisen hatt' ich die Wahl;
Fisch und Fleisch und Geflügel und Obst
Waren mein üppiges Mahl;
Doch des Volks, das aus Mangel an Nahrung stirbt,
Nie gedacht' ich und seiner Qual.

»Ich ging, wie die Edeln gehn,
Von Zierden mannigfalt,
Von Sammetzeug und Seide weich
Und köstlichem Pelz umwallt:
Doch der nackten Glieder gedacht' ich nie,
Die da beben starr und kalt.

»Des Leids, das ich heilen gekonnt,
Gedacht' ich zu keiner Frist!
Und dennoch zu so bösem Tun
Trieb mich kein bös Gelüst: –
Doch Übles tut, wer gedankenlos,
So gut als wer herzlos ist!«

Sie krampfte Hand in Hand,
Ihrem Schmerze gab sie Raum:
Tränen, groß und bitter und schnell,
Fielen herab auf den Flaum –
Und, o! daß manche Dame noch
Träumte der Dame Traum!


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