Wilhelm Fischer
Frauendienst
Wilhelm Fischer

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XII.

Es verstrich aber eine Zeit, da kam der Burgherr von Stadeck und erzählte den beiden 92 Schwestern, als sie traulich im Gemache saßen, eine Begebenheit, deren Ruf weit im Lande erscholl und die auch er vernommen hatte.

»Ich will euch etwas berichten,« begann er, »das wie wundersame Märe klingt. Eine solche ward wohl in alten Büchern gesungen; aber schier unglaublich dünkt es mich, daß sie sich noch in unseren Tagen ereignen konnte.«

Auf die neugierige Frage der Gattin, was es sei, fuhr er fort:

»Aus altem Griechenbuche haben wir es überkommen, daß Frau Venus aus dem Meere aufgestiegen sei. Also erstand sie auch in diesen Tagen aus dem Meere bei Venedig und ward in Mestre mit herrlichem Gefolge gesehen. Sie trägt ein gutes Gewand von weißem Tuche; darüber hat sie einen köstlichen Mantel gelegt, der ist von weißem Sammet. Ihr Gürtel ist herrlich mit Gold beschlagen. Aber wenn sie zum Kampfe reitet, waffnet sie sich vorher mit silberweißem Harnisch und Helm, der mit einer Krone geziert ist. Sattel, Satteldecke und Zaum ihres Rosses sind silberweiß, ebenso Schild und 93 Speer, die sie führt, und die Gewänder der zwölf Knappen, die ihr folgen: alles silberweiß, und es sei ein märchenhafter Anblick, sagt man. Es sei so seltene Pracht niemals in unseren Tagen beisammen gesehen worden.

Sie ließ Briefe aussenden, die genau die Richtung ihrer Fahrt beschreiben von Mestre bis nach Österreich an der Grenze durch das Kärntnerland und die Steiermark. Sie läßt sagen: Jeder Ritter, der ihr entgegen reitet und wider sie einen Speer versticht und besteht, dem giebt sie zum Lohne ein goldenes Fingerlein: dem wohnt eine besondere Kraft inne, läßt sie entbieten. Es zaubert im Herzen der auserwählten Frau Huld und Minne hervor gegen den Ritter, der es ihr überbringt, auch wenn sie vorher noch so streng gewesen sei.

Sticht aber jemand Frau Venus vom Pferde, so soll er alle Rosse haben, die sie mit sich führt, und deren sind nicht wenig.

Bisher ist sie aber noch immer aufrecht geblieben; denn ihr könnt euch leicht vorstellen, daß es ein starker Ritter ist, der so als Frau 94 Venus verkleidet durch die Lande fährt zu Ehren aller guten Frauen, wie es im Sendbrief heißt. Sie hat bisher schon über zweihundert Speere verstochen und eine große Anzahl goldener Fingerlinge verschenkt. Denn die besten Ritter reiten ihr entgegen, um an ihr Ehre zu gewinnen. Der Fürst in Kärnten hat einen Speer wider sie verstochen, und unser Fürst in Österreich, wie wir hören, will es auch thun und rüstet sich schon mit glänzendem Gefolge ihr entgegen, um sie im Lande zu bewillkommnen. So wird ihr überall Ehre geboten und am meisten von den Frauen. Ihrer zweihundert haben sie in Tarvis zur Kirche geleitet; denn Frau Venus ist, wenn sie den Harnisch ablegt, fromm und wohlgesittet und nichts weniger als heidnisch.

Vor ihrem Antlitze trägt sie einen feinen weißen Schleier, so daß es niemand sehen kann. Ihr Lob tönt mit hohem Schall aus Frauenmunde. Vor der Kirche zu Tarvis wurde sie freudiglich begrüßt, und der Gruß lautete, wie man mir sagte, also: 95

Das hat verdient wohl Euer Leib,
Daß Euch sollen alle guten Weib
Grüßen und auch ehren,
Eure Ehre vermehren.

Alle baten, daß sie Gott in seinen Schutz nehmen möge, und vor der Kirchthüre ward sie von einer hochgeborenen Frau um aller andern guten Frauen willen auf den Mund geküßt, wobei sie ein wenig den Schleier lüftete. Diese merkte wohl, daß es ein Mann sei, dem sie ihre Lippen bot, aber sie schwieg wohlweislich darüber. Nun ist Frau Venus auf ihrer Fahrt bis Glocknitz gekommen und hält dort Hoflager. Ich aber will mich aufmachen und hinaufreiten zu ihr, auf daß ich auch einen Speer mit der Tugendreichen versteche und mir durch Rittersitte einen ihrer goldenen Fingerlinge gewinne. Das sei euch verkündet.«

Frau Elsabecht staunte über die Nachricht, dann sagte sie:

»Lieber Herr, willst du ein goldenes Reiflein gewinnen und bist doch meiner Huld gewiß! Wozu soll es?«

96 »Man kann nie genug thun, um der Huld der Frauen willen,« antwortete er, »drum will ich die Kraft des goldenen Reifleins an dir erproben, wenn ich es, wie ich hoffe, gewinne. Das laß dir gesagt sein. Morgen reite ich nach Glocknitz.«

Auch Brechtel hatte erstaunt zugehört, und die Begebenheit schien ihr, wie allen, fast unglaublich zu sein. Der Herr von Stadeck that aber, wie er gesagt hatte, und ritt mit Gefolge hinauf ins Oberland.

Inzwischen kam Frau Jiute, die von Meister Matthie frei gelassen wurde, und ward von Brechtel und ihrer Schwester herzlich empfangen. Ihr werter Mann ging aber in der Stadt murrend der Kunst nach, deren Meister er war.

Zu jener Zeit, als Frau Jiute außerhalb der Burg wandelte, trat ihr unvermutet der Gast entgegen, der in ihrem Hause Heilung gefunden hatte, legte erst den Finger an die gesundete Lippe und bat sie dann vertraulich, ihm Einlaß in die Burg zu verschaffen ohne Brechtels Wissen. Sie war dazu bereit und besprach sich 97 mit Frau Elsabecht. Diese besann sich eine Weile und kam zu dem Schlusse, daß ein ansehnlicher Gast wie jener mit Fug nicht abzuweisen sei, wenn er in Ehren käme. So lieh sie ihre Hilfe dazu; und als Brechtel gerade einsam im Gemache über einem feinen Nadelwerke saß, trat einer herein, den sie alsbald erkannte.

Sie erhob sich überrascht und blickte ihn fragend an.

Er aber sprach wohlgemut: »Was blickt Ihr erstaunt, Edle? Ulrich von Liechtenstein kommt nach Stadeck. Ihm verschließt sich kein Thor einer Burg im Lande, wenn er als er selbst kommt.«

»Dem mag ich nicht widersprechen,« sagte sie sittiglich. »Nehmt Platz!«

Sie setzte sich wieder auf die Bank im Erker, dessen Fenster den nahen Strom, die ferne Stadt und das noch fernere blaue Gebirge umrahmte, und er nahm ihr gegenüber Platz.

»Edle, ich bin gekommen, um mir etwas überaus Köstliches zu holen, was Euch gehört.«

»Was ist das?«

98 »Euer Jawort.«

»Ihr kommt zu früh. Heute ist doch nicht der jüngste Tag. Seht, wie die Sonne strahlt! Der Welt Ende ist noch lange nicht nahe.«

»Nein, aber das Ende Eures lieblichen Spottes ist nahe, und meine Seligkeit beginnt aufzuleben.«

»Ach, ich meine, Eure Seligkeit schläft noch tief, denn sie träumt soeben ungereimtes Zeug.«

»Ich kann Euch auch gereimtes bieten. – Sagtet Ihr nicht: kommt wieder, wenn Euch alle guten Frauen im Lande loben –? Das haben sie gethan mit den Worten:

Das hat verdient wohl Euer Leib,
Daß Euch alle guten Weib
Grüßen und auch ehren.
Eure Ehre vermehren.

Die Forderung, die Ihr mir stelltet, ist erfüllt. Nun ist es an Euch, die meine zu erfüllen.«

Sie erhob sich bestürzt. »Wie!« sagte sie, »jene Worte wurden einem märchenhaften Ritter, der als Frau Venus im Lande fährt, zu Tarvis 99 zugesungen. So erzählte mir mein Schwager. Was wollt Ihr damit?«

»Ich will damit Euer Jawort einlösen. Denn Euch dient mein Herz als der wahrhaften Frau auf Erden, die meiner Treue lohnen soll.«

»Geht zur Herzogin von Belrepeire! sie wird Euch wieder lohnen.«

»Sie ist der Stern der Frau Venus, und Ihr seid Frau Venus selbst. Sagt' ich Euch das nicht? Nur in Eurer Gestalt fuhr ich durch die Lande, erwarb mir Ehre von allen edlen Männern und Dank und Gruß von allen guten Frauen. Ich bin es, der von Mestre aufbrach und unerkannt bis Glocknitz gekommen ist. Schier dreihundert Speere hab' ich verstochen, ohne im Sattel zu wanken, und über zweihundert Goldreife ausgeteilt an starke Männer, auf daß sie ihnen Frauenhuld brächten. Was sagt Ihr dazu?«

»Ich weiß nicht, was ich sagen soll! Verzeiht meinem Erstaunen. Ihr seid jener märchenhafte Ritter?«

»Ich bin es.«

»Ich muß Eurem Worte glauben.« Sie 100 bezwang ihre Verwirrung. »Dann haben Euch in der That alle guten Frauen im Lande gelobt.«

»Auch Ihr?«

»Auch ich, wie alle andern.«

»Dann ist die Bedingung erfüllt, Edle! Nun ist es an Euch, mir ärmstem Manne den höchsten Reichtum zu schenken: die Seligkeit auf Erden; und, glaubt mir, ich will mir dann auch die himmlische Seligkeit mit Eurer Hilfe als ein guter Mann gewinnen. Was sagt Ihr dazu?«

»Ich fürchte mich vor Euch.«

»Dann seid Ihr mir hold.«

»Laßt Euch Eure Eigenliebe nicht zu sehr schmeicheln, edler Herr! Meine Furcht ist ohne Schwäche. Ihr habt so viel Ehre gewonnen, daß ich fürchte, sie könnte für mich allein zu groß sein: eine Krone, die noch für andere Häupter Raum hat. Darum paßt sie mir nicht, und ich passe nicht für Euch.«

»Euer lieblicher Spott soll Euch nichts nützen, Edle, das sage ich Euch kühnlich. Denn Ihr könnt nicht widerstehen.«

»Ei, seid Ihr so unwiderstehlich, edler Herr! 101 Man sieht, Ihr habt Weibertracht getragen und damit Weibessinn gewonnen.«

»Spottet nicht über Euch selbst, Edle, denn Ihr seid ein Weib. Wie sagt' ich Euch? giebt es auch Frauen, die unweiblich sind, so ist ein echtes Weib nie unweiblich, denn sie würde sich der Krone entäußern, die sie trägt. Doch geruht mich eine Weile anzuhören, ich will Euch eine kleine Begebenheit erzählen. –

Als ich einst auf meiner Fahrt durch einen Wald ritt – ich hatte mein Gefolge voraus geschickt, um einsam meinem Sinnen nachzuhängen – da ward es urplötzlich helle vor mir mit rosigem Schein, als wenn sich tausend Rosen in Licht verwandelt hätten. Das entstrahlte einer wundersamen Frauengestalt, die vor mir stand in leuchtend weißem Gewande, das von einem goldenen Gürtel in der Mitte umfaßt war. Göttliche Schöne ging von ihrem Leibe aus, ihre Augen lächelten. Sie sprach: Ich bin Frau Venus, in deren Dienst du zu Ehren aller guten Frauen reitest in einem Gewande, das dem meinen gleicht. Ich will dich darum belohnen. Allen Rittern, 102 die dich bestanden, hast du Goldreife gegeben, die ihnen die Huld der Frauen gewinnen, denen sie dienen. Du allein, der du der strengsten unter allen Frauen am treuesten dienst, bist ohne Gabe geblieben. Darum nimm von mir diesen Goldring, und wenn du ihn der Guten, der du dienst, an den Finger steckst, so muß sie dir in Huld gewogen sein, ob sie will oder nicht. – Damit übergab sie mir den edelsten aller Reife und entschwand wie eine Lichterscheinung in die Nacht.«

»Nun, Herr Ritter, Ihr werdet doch diesen wunderbaren Reif der Herzogin von Belrepeire übergeben, auf daß sie Euch in Huld gewogen sei, ob sie will oder nicht? Das rate ich Euch.«

»Nein, Edle! Ich habe Frau Venus betrachtet, und Ihr gleicht ihr so, wie noch nie mein Auge ähnliches gesehen hat. An Euren Finger will ich diesen Ring stecken, der uns beiden das Leben zu süßer Ehe binden soll. Und durch diesen Ring bin ich unwiderstehlich: so hat es mich Frau Venus gelehrt.«

Nun stand Brechtel ratlos da, die Wangen 103 mit heller Glut übergossen, und sie wußte nicht, was sie sagen sollte.

Da stürmte der kleine Neffe ins Gemach, sah verwundert auf den Gast und rief, als er ihn erkannte: »Der Fiedler! der Fiedler! bist du da? Sei tausendstund willkommen!« und schmiegte sich an ihn.

Er hob ihn zu sich empor und sagte: »Du hast mich lieb. Hat mich dein Muhmelein auch lieb?«

»Ja, ja,« rief er, »sie hat dich auch lieb.

»Kindesmund giebt stets die Wahrheit kund,« sagte der Gast.

Brechtel schwieg mit gesenkten Wimpern.

»Nun gehe, kleiner Freund, und rufe dein Mütterlein, auf daß sie auch höre, daß mich diese da lieb hat, wie du sagst.«

»Ja, ja, das will ich,« rief er und stürmte davon, als ihn der Gast wieder auf den Boden gestellt hatte.

Dann wandte er sich mit zarter Gebärde zu Brechtel und steckte ihr den Verlobungsring an den Finger.

104 Sie ließ es geschehen und sprach leise:

»O weh! Nun habt Ihr mich besiegt.«

Und er: »Nicht ich habe dich besiegt, du Süße! Frau Venus hat dich besiegt«; und küßte sie auf die zitternden Lippen.

 


 


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