Wilhelm Fischer
Frauendienst
Wilhelm Fischer

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III.

Nun wußte der leidende Gast, daß jene Magd aus edlem Geschlechte sei. Um so mehr begann er mit sich zu hadern, daß er sie im Sinne trug. Wie mochte er seine Herrin, die Edelste von allen, so sehr kränken, um ihr eine Andere an die Seite zu stellen! Dennoch konnte er seinem Empfinden nicht genugsam gebieten, um sich ihr, der beinahe Unbekannten, gänzlich wieder zu entfremden, wie er wohl mochte. Was habe ich mit ihr zu schaffen? sagte er sich offen, und dennoch ersehnte er heimlich den Augenblick, sie wieder zu sehen.

21 Dieser kam.

Eines Morgens sah er von seinem Erkerstübchen, wo er auf der Fensterbank mit noch immer nicht heilem Munde saß, die Ersehnte herannahen. Sie ritt diesmal in zierlicher Frauenweise auf einem feinen Zelter, und ein gut gekleideter Knabe folgte ihr, der ihres Pferdes, wie üblich, Sorge trug, als sie herabstieg und in Meister Matthies Haus trat. Nach einer gebührenden Weile ging der Gast in das Gärtchen hinab.

Der Apfelbaum hatte diesmal seine Blüten bereits abgeschüttelt, aber alles grünte und sproßte in dem kleinen Raum noch frühlingsmäßig, und der Sonnenäther lagerte darin. Aus dem grünen Rahmen des Paradiesgärtleins leuchtete ihm alsbald die Gestalt Brechtels entgegen. Sie saß wieder auf der Bank unter dem Apfelbaum, und an ihrer Seite Frau Jiute. Sie war auch diesmal einfach gekleidet, in langem, lichtem Sommergewande, und der Schleier war zum Nacken zurückgeschlagen, der sie auf dem Ritte gegen die Sonne geschützt hatte.

22 So saß sie dort mit liebenswürdiger Gebärde, eine rechte Herzensmeisterin, wie er sich wieder sagen mußte. Er gab ihr mit Gruß Willkommen und empfing solchen. Beides geschah mit Zucht und Ehren. Daß ihr Name von Meister Matthie dem Gaste preisgegeben wurde, mochte sie verzeihen. Warum sie sich verborgen hielt? Sein Antlitz, des Gastes, war ihr so geheimnisvoll erschienen, daß sie auch die eigene Stirn mit dem Zipfel eines Geheimnisses verhüllen wollte. Das sei alles. Nun aber begegneten sich beide mit offenen Zügen, unbeschadet des leichten Tüchleins, das er noch immer um den duldenden Mund trage und das ihn aber nicht am Reden hindere, wie sie gern bemerken wolle. Gott, der so gnädig jeglicher Gestalt walte, werde auch seinem Munde die rechte Bildung geben. Dann sei alles im guten Geleise, und es werde sich dann, und mit mehr Fug, erst recht ein Geheimnis zwischen beide herabsenken: das der Ferne.

Ob er sie nicht auch dann wiedersehen könnte? fragte er.

Sie verneinte es; aber da die Mur weit früher 23 vor seiner Burg vorbeiströme, bevor sie nach Graz käme, so könne er ihr einen Gruß ins Wasser schreiben, den sie aufmerksam lesen werde.

»Wahrlich,« sagte er, »das Rauschen der Wellen mag Euch viel von mir verkünden. Ich bin auch weiter oben gewesen, wo die Mur ihre Wiege hat. Doch wenn sie an meiner Burg vorbeizieht, ist sie wie eine liebliche Maid geworden, die den schönen Sang der ersten Sehnsucht singt. Und wer sich in ihrem klaren Antlitze spiegeln mag, ist ein heilvoller Mann. Das möge sie Euch immer von mir sagen.«

»Daran möchte ich mich nicht zu lange erinnern. Denn was da leicht dahinfließt, vergißt man bald,« sagte sie.

»Wozu bedarf ich dann der Mur als Botin? Ich sage es Euch selbst, daß ich vor Eurem Antlitze ein heilvoller Mann sein möchte.«

»Könnt Ihr mir ein Recht dazu nennen?«

»Das Recht eines freien Mannes.«

»Mit Verlaub, das seid Ihr nicht.«

»Edle, was sagt Ihr da! Mein Geschlecht ist frei und adelig wie eines in der steirischen Mark.«

24 »Nein! Ihr dient.«

»Nur meinem Herrn, dem Herzog von Österreich, wie jeder andere gute Rittersmann, sonst keinem.«

»Ihr seid ein Dienstmann –«

»Wie!«

»Eurer Herrin.«

»Ach, so meint Ihr es! Nun, auch das ist guten Mannes Freude und rechte Tugend. Aber es ist geheimnisvoll und unsichtbar, wie das Herz im Busen. Was wißt Ihr davon, was in meinem Herzen verborgen liegt, Edle! Nur mein Blick mag es Euch offenbaren, der zu Euch spricht, und zur Stunde kein anderes Bild empfängt als das Eure. Ist das nicht Freude, rechte Freude?«

Er wartete auf eine Antwort, sie schwieg aber; und wie er sie anblickte, sagte er sich: Wenn ihr Mund lacht, so lachen die Augen mit, und wenn ihr Mund nicht lacht, wie jetzt, wo sie sinnt, so lachen die Augen noch immer.

Da antwortete sie plötzlich: 25

»Rechter Freude wer da waltet,
Der hat immer neue Jugend;
So macht Sorge, daß man altet
Und verderbet manche Tugend.«

Als er dies hörte, verwunderte er sich über die Maßen und es ward ihm, als säße vor ihm eine fremde Gestalt, die unter dem zurückgeschlagenen Schleier noch einmal verschleiert war. Denn diese Zeilen waren aus einem Lied, das er kürzlich seiner Herrin gesendet hatte und das, wie er dachte, niemand sonst in der Welt kannte; so heimlich hatte er es ihr geschickt. Und nun hörte er die Worte seines Liedes aus Brechtels Munde. Das dünkte ihm so verwunderlich, daß er darob der Rede vergaß. Dann kam es ihm zu Sinne, daß sie um den Namen seiner Herrin wissen müsse, und sein Geheimnis, das er vor aller Welt verborgen hielt, ihr offenbar sei. Sie aber ergötzte sich an seinem unmäßigen Erstaunen mit unschuldiger Miene, nur daß die Grübchen in ihren Wangen lachten, denn die konnten nicht anders.

Frau Jiute, die sich mit einem Nadelwerk beschäftigte, verstand von dem allen nichts oder wenig.

26 Endlich rang er sich zur Rede auf und bat sie, ihm zu sagen, woher ihr Kunde ward von dem, was sie gesprochen. Das mochte sie ihm nicht so glattweg anvertrauen; wer weiß, woher es ihr in den Sinn geflogen kam: vielleicht habe es ihr geträumt.

Nein, entgegnete er, sie müsse es von einer hohen Frau vernommen haben, denn niemand wußte zur Zeit darum als eine einzige; so hätte er gedacht. Nun sehe er wohl, daß es auch aus anderm Frauenmunde ihm entgegen töne, was er im verschlossenen Briefe der einen Einzigen geschickt hatte; aber Brechtel könne es nur von ihr erfahren haben und von keiner Seele sonst unter der Sonne. – Nun, und wenn dem so wäre? sie brauchte sich solches Vertrauens wohl nicht zu schämen von der Einzigen, wie er sie mit Fug benenne. Denn sie ist einzig in Hoheit und allen Weibestugenden, sagte sie. Wie heißt sie nur?

Da bat er sie um Gottes willen ihren Namen nicht zu nennen; denn er habe bisher den Lüften mißtraut, daß sie ihn nicht weiter tragen sollten und ihn deshalb nie laut genannt. Nur im 27 tiefsten Grunde seines Herzens hätte er bisher als Kleinod geruht, das ihn mit innerem Glanze durchleuchte und beselige.

Diese seine Worte zauberten wieder eine klare Heiterkeit auf ihrem Antlitze hervor.

»Gut,« sagte sie, »da soll sie die Herzogin von Belrepeire heißen, sie, von der Ihr gesprochen, mit welchem Namen keinem lebenden Weibe nahe getreten wird. Nun aber, zum Lohne meiner Verschwiegenheit müßt Ihr mir den Ruhm der hohen Frau verkünden. Denn ich schmachte danach, ihn von einem so guten Manne zu hören, wie Ihr seid.«

Er erwiderte: »Ich habe den Ruhm der Herzogin von Belrepeire, wie Ihr sie nennt, oft genug in Liedern verkündet, und nun macht Ihr mich traurig, indem Ihr mich daran mahnt.«

»Ein trauriger Ritter erwirbt nie ein wertes Weib; er sollte lieber froh sein; so würde die Herzogin sagen, wenn sie Euch hörte.«

Das gefiel ihm, und er begann alsbald wieder mit beruhigter Miene zu fragen, wo Brechtel jene Herzogin gesehen und mit ihr gesprochen 28 hätte? Da hielt sie aber weislich an sich und sagte: eine solche Mitteilung müßte er sich verdienen. Das ginge nicht mit leichten Dingen zu. Sie wolle ihm eine Aufgabe stellen; wenn er sie erfülle, sei ihm die Mitteilung gewährt, sonst nicht. Die Aufgabe sei aber diese: Sie sitze auf einer einfachen Holzbank unter dem Apfelbaum. Er möge sich nun einbilden, es sei ein guter Sessel mit reichem Gewebe bedeckt, und sie selbst, Brechtel, sei die Herzogin, Frau Jiute aber ihre erste Kammerfrau und Vertraute. Nun solle er sie gerade so anreden, wie er es vor der Herzogin thäte, wenn sie da säße, und seinen Dienst ehrlich beteuern. Wenn sie damit zufrieden sei, solle ihm die gewünschte Mitteilung werden, sonst nicht.

Sie sah ihn dabei so gütig und spöttisch an, daß der lichte Glanz ihrer Veilchenaugen sein Herz überaus erwärmte. Er dachte sich: zwar spielt sie mit mir; aber ist man eines Weibes Thor, so soll man es mit gutem Willen sein; und erklärte sich bereit, zu erfüllen, was sie von ihm begehrte.

29 Sie nahm darauf eine ernste Miene an und fragte strenge:

»Was habt Ihr mir zu sagen, Herr Ulrich?«

Und er verneigte sich tief und erwiderte:

»Seid Ihr wirklich die Herzogin von Belrepeire, meine hohe Frau?«

»Ich bin es,« antwortete sie einfach.

»Nun dann preise ich den Tag, an dem ich Euer holdes Antlitz erblicke. Mir ist selig zu Mute wie einem Pilgrim, der den Ort des Heils erreicht hat. Mein Herz hüpft im Leibe vor jäher Freude zu der Musik ihrer Worte, die sie freundlich zu mir spricht. Denn ihre Gebärde ist lieblich, wie die einer Fürstin, die sich gnädig der Bitte entgegen neigt. Darum muß ich sie preisen, weil ich durch ihre selige Anmut, mit der sie mich aufnimmt, Adel und hohen Mut gewonnen habe. Von ihr gutes zu reden, das macht mich zum bessern Manne, als ich vorher war, und alles Gut der Erde überhöht sie durch ihre Güte zu mir.

Wenn die Sonne aufgeht und wenn sie sinkt, so lag ein Tag dazwischen, und wenn sie ihre 30 Augen aufschlägt und wieder senkt, so lag ein leuchtender Morgen dazwischen. Der Himmel am Tage ist zuweilen umwölkt, aber was aus ihren blauen Augen glänzt, das ist die nie umwölkte Heiterkeit des Weibes. Die Sonne lockt Blüten aus der Frühlingserde, und ihr Frohsinn Lieder aus meinem Herzen. Wenn sich der Lenz erhebt, bringt er Blumenduft mit sich, so thut der Hauch von ihrem Wesen: er ist lenzhaft.

Was in ihr verborgen liegt: die Weibesseligkeit berauscht mich mehr als der Duft der jungen Rose. Sie Holde, sie Süße, sie Reine, sie kann mir Wonne spenden, wenn sie mich anlacht und das gewährende Licht ihrer Augen sich mit dem bittenden der meinen vermählt. So empfange sie mich in Gnaden, daß unser beider Herzen zwei Lieder mit einem Klange singen mögen und vom Lauschen ihrer selbst in seligem Schlummer dahin schwinden. Dies Wiegenlied der Liebe lehre sie mich und lerne sie von mir. Dann sind Tag und Nacht nicht mehr, weil sie eins geworden sind, die Nacht der strahlende Tag 31 und der Tag die geheimnisvolle Nacht; und sie ist es, die das alles wirkt: das sei ihr zum Preise gesagt.«

Sie lauschte verwundert.

Er hatte das Tüchlein abgenommen, bevor er zu sprechen begann, und sein der Heilung naher Mund war wohlgestaltet geworden. Als er geendigt hatte, erhob sie das Haupt. Der Ernst war verschwunden; über ihr Antlitz glitt ein Lichtschein, nicht mehr Ernst, aber noch nicht Scherz: etwas wie lächelnder Ernst.

»Wollt Ihr«, sagte sie, »daß ich Euch als die leibhaftige Herzogin von Belrepeire antworte?«

»Ja; ich bitte Euch darum.«

»So hört!« Und sie sprach mit Würde: »Was ich mir denke, ist heimlich und lauter wie Gold im Innern der Erde, und meine Weiblichkeit ist klar und rein wie der Felsbrunnen im Walde. Nun sage ihm, o Weiblichkeit, er sei ein thörichter Mann, daß er mir auf solchen Wahn dient, der einem Könige zu viel wäre; denn es ward nie ein Mann so hoch geboren, von dem 32 solche Rede mich nicht erzürnte, und ich verwundere mich, wie er den Mut dazu gewonnen hat.«

»Ich aber verkünde Euch in Ehrfurcht, edle Herzogin,« erwiderte er, »daß ich eher Gut und Leben, als von solchem Wahn lassen will.«

»Dann gilt Euch Eure Thorheit mehr als Gut und Leben, die doch wahrlich gering an Wert ist; wie jede Thorheit. Meint Ihr nicht?«

»Was Ihr Thorheit nennt, das ist der ganze Inhalt meines Lebens.«

»Ein gutes Leben verschmäht einen thörichten Inhalt.«

»Nein, Edle! die Liebe, durch die mein Leben erhalten wird, ist eine große Weisheit.«

»Nun, erhaltet Euch Eure Weisheit, und ich will mir die meinige bewahren. So bleibt jedem von uns sein Teil reinlich geschieden, und wir, die stolzen Besitzer, bleiben es auch.«

»Nein, Edle! Legen wir vielmehr unsere Weisheit zusammen, dann haben wir einigen Besitz und zwiefache Freude.«

»Ich bin ein einfaches Weib und hasse alles 33 zwiefache, auch in der Rede. – Darum will ich auch nicht mehr zwiefache Gestalt haben und thue von mir die Hoheit der Herzogin von Belrepeire und bin wieder Brechtel, die Euch nun zum Lohne von der andern erzählen will, der Herzogin:

Ihre Burg steht auf einem hohen Berg und wird von Riesen bewacht, die aber am hellen Tage vor gewöhnlichen Augen wie Tannen erscheinen. Sie steigen den Berg hinan bis nahe zum Burgthore und beschützen mit grünen Schilden den Eingang. Hirsche und Rehe kommen viel herab, das sind verwandelte Ritter, die in ihrem Dienste stehen. Oben am Burgthore glänzt in der Bogenwölbung ihr Wappen: eine Krone, darin sind schwarze Streifen aus Agat, dem Zaubersteine, der die Menschenherzen bindet, und die Krone blitzt in einem Felde, das purpurn ist. Wenn die hohe Frau vor das Thor tritt, liegen alle Hirsche und Rehböcke ihr zu Füßen und schmachten sie an; sie aber blickt sorglos in die Tiefe, wo die Mur vorüber strömt, oder hinüber, wo Glein und Hochalpe weit dahin blauen. Und 34 der Name der Herzogin von Belrepeire, den sie daheim führt, ist –«

»Genug,« fiel er jetzt erschrocken ein, »genug, Edle! Ihr sollt ihren Namen nicht nennen. Ich sehe, daß Ihr ihn kennt, und das sei mir genug, mir selig unseligem Manne.«

»Damit ist auch unsere Aventiure zu Ende,« sagte sie heiter und erhob sich.

»Soll ich Euch nicht mehr treffen!« rief er bestürzt aus. »Kann ich Euch nicht daheim aufsuchen? Mir ist der Herr von Stadeck wohl vertraut und er wird mich freundlich aufnehmen. Wollt Ihr es auch thun?«

»Euer hoher Mut verdient es, daß Euch jede Frau gut aufnimmt. Aber bedenkt das eine: Ihr lebt hier verborgen. Wird nicht, wenn Ihr auf Stadeck kommt, die Ursache Eures hiesigen Aufenthalts bekannt, und das Geheimnis, das Ihr wahren wollt, verraten?«

»Ja,« erwiderte er und senkte das Haupt.

»So werdet Ihr am besten in der Verborgenheit bleiben, die Ihr Euch selbst erwählt habt. Und ich, die Herzogin von Belrepeire, mit deren 35 Würde ich mich noch einmal umkleide, sage Euch dafür Dank. Und Gott nehme Euch in seinen gnädigen Schutz.«

Mit diesen Worten entfernte sie sich still lächelnd, und Frau Jiute folgte ihr. Er blieb allein.



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