Egid Filek
Wie Dieter die Heimat fand
Egid Filek

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XIV.

Fast zwei Jahre sind ins Land gezogen, seit der Habsburger Albrecht, mit der Krone des heiligen Stephan geschmückt, den Krönungshügel in Ofen emporgeritten ist, um nach uralter Sitte das blitzende Schwert nach den vier Weltgegenden zu schwingen; seit er zum erstenmal in der Geschichte die drei Länder zu einem Reiche vereinigt hat.

Unendliche Mühe und Anstrengung hat es gekostet; die klugen Diplomatenkünste des Kanzlers Kaspar Schlick, die Heeresmächt seiner Krieger, des neuen Herrschers unermüdliche Tatkraft, das alles mußte zusammenwirken, damit das Werk gelingen konnte.

Und nun weilt er fern vom Schauplatz unserer Geschichte in den weiten Ebenen Ungarns. Schon lange Zeit ist keine Nachricht von ihm eingetroffen, nur Gerüchte flattern da und dort auf, daß der Sultan Murad II. die Stadt Ofen bedroht und Semendria erobert hat, daß die deutschen Ritter in der glühenden Sommerhitze in ihren Panzern ersticken und unter bösen Lagerseuchen leiden; aber was ist uns ein fernes Leid, wenn in nächster Nähe Gedeihen und Überfluß herrschen! 206

Denn auch in die herbe Landschaft am Fuße der Iglauer Berge ist der Herbst eingezogen, der Herbst mit seinen feuerfarbenen Laubwäldern, seinem klarblauen Himmel, seinem Füllhorn voll reifer, süßer Früchte. Das Land, das so schwer unter den Greueln des Krieges gelitten hat, beginnt sich zu erholen. Wieder geht der Pflug über die blutgedüngten Felder, auf denen sich die Entscheidungsschlachten abgespielt haben, wieder fassen die Menschen neuen Lebensmut und ringen in friedlichem Kampfe mit der Erde um die Bedürfnisse des Lebens.

Da liegt unweit des Örtchens Fußdorf ein kleines, wohlbestelltes Gut mit Feldern und Wiesen, mit einem festen, von Steinmauern umschirmten Wohnhaus, das im Notfall von einem Häuflein entschlossener Männer gegen feindlichen Ansturm verteidigt werden kann. Aber wer mag an Kriegsnot und Waffenlärm denken, wenn die Herbstsonne so freundlich scheint, das rote Dach des Hauses so prächtig aus dem Grün der Bäume leuchtet und in dem großen Obstgarten Birnen und Äpfel in Menge zwischen den dunklen Blättern herausgucken!

Die beiden jungen Leute, die Hand in Hand unter dem großen Birnbaum stehen, freuen sich des reichen Segens.

Die Frau hat einen Korb voll gepflückt und blickt lächelnd darauf nieder. »So groß und süß sind sie im vergangenen Jahre nicht gewesen,« sagt sie und greift nach einer der schönsten Früchte, um sie dem Manne an ihrer Seite zu reichen; sähe ein Maler das freundliche Bild, er hielte es fest mit Stift und Pinsel und schriebe darunter: Adam und Eva im Paradiese.

»Die müssen wir der guten Muhme Ursula schicken,« fährt sie fort und schließt den Deckel des Korbes, »uns 207 bleiben noch genug für den Hausbedarf. Jaromir soll sie ihr am nächsten Markttag bringen und ich will noch ein Schock Eier und ein paar Pfund Butter dazu tun. Wie sie sich freuen wird!«

Und dann geht sie im Garten ab und zu und ordnet dies und jenes, während die Sonne tiefer sinkt und ein goldenes Netz über die fernen Wälder webt.

Aber auch in diese lichte Welt fällt ein Schatten; das Gesichtchen der jungen Frau wird traurig und ihre Lippen flüstern leise:

»Ach, wer mag wissen, wie lange unser stilles Glück noch dauern wird. Erwarte ich doch täglich die Botschaft, die dich zum Heer des Kaisers ruft. Dann kommen die langen, einsamen Nächte voll Bangen und Sehnsucht – und wenn du mir nimmer zurückkehrst, so muß ich sterben!«

Der Mann schüttelt den Kopf:

»Sprich nicht so, liebes Weib. Denke an unser Kind, das deiner bedarf und uns beiden gleich teuer ist. Um seinetwillen mußt du stark und tapfer sein, auch wenn viel Wasser die Bächlein hinabfließt, bis wir uns wiedersehen. Und wirst du dich nicht freuen, wenn ich nach dem Feldzug wieder heimkomme, geschmückt mit goldener Ehrenkette oder gar noch höherem Lohn der Tapferkeit? Ich bin noch jung und tatenfroh und mag doch, so lieb du mir bist, nicht immer daheim auf der Scholle sitzen.«

Die junge Frau empfand die Wahrheit dieser Worte, aber aus ihrer Brust kam es doch wie ein leiser Seufzer.

»Mich wundert übrigens,« fuhr Dieter fort, »daß die Ladung an mich nicht längst ergangen ist. Kann mich der 208 Herzog nicht brauchen? Wie bedeutsam sagte er beim Abschied zu mir: Bleibet noch eine Zeitlang auf Eurem Eigen, lieber Wolfsteiner, bald genug sollt Ihr mit Eurem Fähnlein wieder zu meinem Heere stoßen! Und nun ist's Herbst und noch immer weiß ich nichts über meine Zukunft!«

Das knarrende Geräusch eines Wagens unterbrach das Gespräch.

»Das ist Jaromir«, rief die junge Frau. »Er bringt eine Ladung Holz. Nun, Alter, was gibt's draußen im Walde Neues?«

Jaromir überließ dem Knechte seine Fuhr zum Abladen und trat näher, die Mütze zwischen den Händen drehend:

»Ist doch das Gute nicht neu und das Neue nicht gut«, sagte er mit verdüsterter Miene. »Der Martinsvogel ist mir zur Linken geflogen und der Kuckuck ruft aus Norden. Und in der Nacht steht noch immer das glühende Schwert am Himmel, die Zuchtrute Gottes. Gebt acht, Herrin, es kommt heute noch traurige Botschaft.«

»Aber Jaromir,« lachte Frau Margaret, die sich dennoch einer bösen Ahnung nicht erwehren konnte, »wer wird denn gar so abergläubisch sein?«

»Es gibt Dinge, die unsereins besser versteht und zu deuten weiß als Ihr, lieber Herr, und Eure ehrsame Hausfrau«, behauptete Jaromir mit großer Hartnäckigkeit. »Damals, als ich einen fremden Junker halb tot im Walde fand und in meine Hütte brachte, da sagte mir der Vogelflug und der Stand der Gestirne, daß mir diese Tat Glück bringen werde. Und so ist's auch gekommen, Ihr habt mir das Leben gerettet in Gefahr und Feindesnot und mich zuletzt als Schaffer auf Euer Gut gesetzt, wo ich meine 209 Tage in Frieden zu beschließen hoffe. Aber so wie damals es eintraf, so trifft es auch jetzt ein, wartet nur ab!«

Da kam der Hüterbub mit hoch geschwungener Mütze in den Hof gerannt.

»Von Sonnenaufgang her kommt eine Wolke von Staub,« berichtete er atemlos, »Pferdegetrappel hab' ich gehört und Lanzen in der Sonne blitzen gesehen. Es muß ein starker Trupp von bewaffneten Reitern sein. Ich bin auf einen Baum gestiegen – auf die hohe Pappel an der Straße gegen Brünn, wißt Ihr, Herr . . .«

»Es werden doch nicht Feinde sein?« fragte Margaret angstvoll.

»Nur ruhig Blut,« erwiderte Dieter, »ich weiß niemanden aus dem Gau, der mit uns in Fehde liegt. Laßt mich ein wenig vor das Tor.«

Er lockerte aber doch das kurze Schwert an seiner Seite, als er hinaus schritt.

Frau Margaret hielt es nicht lange im Hofe aus. Sie stieg die Leiter empor, die an der Umfassungsmauer lehnte, und spähte den Weg entlang, die Hand über die Augen legend. Bald war Jaromir an ihrer Seite.

»Dort kommt unser Herr schon zurück. Aber wer ist der Mann mit dem grauen Barte, der neben ihm geht?«

Margaret sah schärfer hin. Plötzlich stieß sie einen Ruf des Staunens aus.

»Wahrhaftig, es ist Godeschalk! Siehst du, Jaromir, wie grundlos deine Angst war. Von unserem treuen Godeschalk kommt uns nichts Böses!«

»Höret erst, was er für Nachricht bringt«, knurrte der Wlk. 210

Es war wirklich Godeschalk. Er hatte sein Pferd einem Knechte übergeben und warf ab und zu einen Blick auf die reisige Schar, die ihm in einiger Entfernung folgte.

Sein Gesicht war in der Glut der ungarischen Sonne dunkelbraun geworden; das Auge leuchtete weiß wie bei einem Zigeuner. Er schien stark gealtert; Haar und Bart waren grau und sein Schritt nicht mehr so elastisch wie einst.

Freudig streckte er der Hausfrau die magere, sehnige Hand entgegen:

»Das heiß' ich ein frohes Willkommen in der Heimat, Frau Margaret. Gönnet mir ein Stündlein Rast in Eurem gastlichen Heim, ich hab Euch gar manches zu erzählen.«

Und dann saßen sie beisammen in dem behaglichen, holzgetäfelten Raume und ließen die dunkelgrünen Gläser gegeneinander klingen.

Erwartungsvoll fragte Dieter endlich:

»Nun aber sagt, Godeschalk, vor allem: wie geht es unserem gnädigen Herrn und Kaiser? Seid Ihr am Ende gar von ihm gesendet, mich zu seinen Fahnen zu holen? Lange genug hab ich darauf gewartet!«

Da stützte Godeschalk das Haupt auf den Arm und es war, als wiche plötzlich die Freude des Wiedersehens aus seinem Gesicht. Leise sprach er:

»So wisset Ihr noch nicht, was ihm geschah?«

»Kein Wort!« riefen Dieter und Margaret wie aus einem Munde. »Sprechet doch, um Himmelswillen!«

»Der Kaiser ist tot«, sagte der alte Ritter tonlos.

Es wurde still in der Stube – so still, daß man das Summen einer Fliege hörte, die aus dem offenen Fenster 211 ins Freie flog; starr blickte Margaret vor sich hin, Dieter schüttelte den Kopf und sagte mit gepreßter Stimme:

»Nein – nein . . .«

»Und doch ist es so«, erwiderte Godeschalk traurig.

»Erzählt uns, Godeschalk«, sagte Margaret und trocknete sich die Augen.

»Im Winter des vergangenen Jahres zogen wir nach Breslau. Der Polenkönig hatte Angst vor unserem schweren Geschütz und sprach nimmer davon, die Kaiserin Barbara zu seiner Frau zu machen. Aber die Polen taten ganz artig und rüsteten uns ein schönes Faschingsfest; es gab Umzüge und Mummenschanz und polnisches Bier in Strömen, die Alten zechten und die Jungen tanzten mit den hübschen Polenmädeln; aber die meisten von uns trugen doch einen guten Harnisch unter dem bunten Schellenkleid; denn wer mag den Polaken trauen? Unser gnädiger Herr, leutselig wie er ist, mischte sich unter die Festgäste und freute sich der Lustbarkeit; aber mitten in dem fröhlichen Treiben glitt er auf einer Holztreppe aus und brach sich den Fuß, so daß er von Stund an hinkte, und gar mancher von uns war sehr bestürzt ob des bösen Vorzeichens, aber er mochte nichts sagen, um die Festfreude nicht zu stören. Dann ging's nach Ungarn gegen die Türken; denn wir erfuhren, daß der große Sultan Murad den Fürsten von Serbien vertrieben hatte und in Ungarn regierte als ein Zwingherr. Da erbot sich unser gnädiger Kaiser, er wolle den Ungarn mit seinen Rittern zu Hilfe kommen. ›Bin ich des Landes Herr, so muß ich ihm helfen in seinen Nöten‹, so sprach er. Aber die ungarischen Großen nahmen den Mund gar voll und prahlten, sie wollten schon allein mit den Feinden fertig 212 werden und brauchten die Deutschen nicht. Ich sammelte in Mähren meine Leute und stieß zum Heere unseres gnädigen Herrn; es war ein schöner Tag im Frühling, da zogen wir über die Grenze, am Wege aber stand ein alter Sackpfeifer und blies ein lustiges Wiener Lied. Da hielt der Herr sein Pferd an und sagte zu mir: »Laß uns ein wenig lauschen, ich höre die fröhliche Weise gar gern.« Und die Tochter des Sackpfeifers kam herzu, ein braunes rundes Ding, die konnte wahrsagen und nannte sich Božena . . .«

»Božena!« unterbrach Dieter den Erzähler, »ja, nun erinnere ich mich! Damals, als ich arm und elend aus der Burg des Vaters floh, hat sie mir geweissagt, ein schwarzer Ritter werde mir Glück und Ehre bringen . . .«

»Ach was, ich glaub' nicht an solche Dinge,« brummte Godeschalk, ›wenn man auf dem Rücken eines guten Hengstes sitzt und ein scharfes Schwert an der Linken führt, dann weiß man, daß der Mann sich sein Leben selber schmiedet, aber unser gnädiger Herr war gut gelaunt und hielt ihr seine Hand hin und sprach: »Kannst du mir die Zukunft deuten, Zigeunerin?‹ ›Gerne, Herr, stellt getrost Eure Frage an das Schicksal.‹ ›So sag mir, werde ich das Werk vollenden, an das ich meine Kraft und mein Leben gesetzt habe?‹

Lange betrachtete sie die Hand, dann sagte sie: ›Stark ist die Faust und mächtig der Wille, der sie belebt; so mag das Werk Eures Lebens wohl gelingen und wachsen gleich einem gewaltigen Waldbaum, aber wenn seine Zeit erfüllt ist, so wird es dahinsinken wie alles Menschenwerk.‹ Unser Herr schwieg stille und die Božena strich mit den 213 Fingern an den Sehnen und Adern seiner braunen Hand hin und her; endlich sagte er: ›Und wenn es so wäre, ein Zeichen nur gilt mir: zu kämpfen für mein Werk!‹ Und er warf der Zigeunerin ein Goldstück hin und wandte sein Roß, ich aber sah sie noch lange am Wege stehen, die Augen unverwandt nach unserem Zuge gerichtet wie eine steinerne Bildsäule.«

Er schwieg und trank seinen Wein aus. Der Abend leuchtete durch das Fenster, vergoldete Kannen und Gläser und wob roten Glanz um den Kopf Margarets.

»So zogen wir wohlgemut weiter. Fremder wurde die Gegend, heißer brannte die Sonne auf unsere Helme nieder, scheuer und wilder waren die Menschen, zu denen wir kamen, und oft mußten wir ihnen mit Gewalt entreißen, was wir zu unseres Lebens Notdurft brauchten. Das Heer der Ungarn stieß zu uns; es waren tapfere Krieger, voll Mut und Kraft, aber viel zu schwach an Zahl. Dann hieß es, daß die Stadt Semendria in des Sultans Hand gefallen sei. Das war die Pforte zum südlichen Ungarn, darum drängte unser gnädiger Herr, sie zurückzugewinnen, aber die ungarischen Herren machten ihm Schwierigkeiten und verlangten für ihre Hilfe allerlei Zugeständnisse: die Edelleute sollten außerhalb des Landes keinen Kriegsdienst leisten und durch eigene Wahl die Stelle des Statthalters besetzen dürfen, den man in Ungarn Palatin nennt. Aber die Türken kamen in ungeheuren Scharen und setzten uns hart zu, da waren die Ungarn endlich einverstanden, daß der König seine deutschen Hilfsvölker herbeirufe. Und im Kriegsrat ward unter vielen anderen auch Euer Name genannt.« 214

»So hat er mich doch nicht vergessen!« sagte Dieter ergriffen.

»Nein, er sprach von Euch und gedachte Euch an einen wichtigen Posten zu stellen. Aber das Heer schmolz zusammen, die Lagerseuche griff um sich und da und dort begannen sie davon zu laufen. ›Sie rufen den Wolf‹, sagten die Ungarn. Da geschah es, daß unseren guten Herrn der Durst auf dem Marsche gar hart peinigte, und er labte sich trotz unserer Warnung an rohen Melonen. Tags darauf fühlte er sich krank und elend; das Fieber nahm zu und sie mußten ihn zuletzt in einer Sänfte tragen. Wie ein Schatten schwand er dahin unter unseren pflegenden Händen . . . Soll ich erzählen, wie er trotz der quälendsten Schmerzen nicht von seinem Posten wich, wie er mit Umsicht alles leitete und Tag und Nacht um seine Krieger besorgt war, daß ihnen ja nichts fehle? Ich bin ein ungelehrter Mann und kann meine Worte nicht so schön setzen wie Ihr – und doch vermöchte kein Wort zu schildern, was wir erlebten.«

Er nickte heftig und strich seinen grauen Bart.

»Es war in Nesmil hinter Gran, da sahen wir, daß es zu Ende ging . . . im Lehnstuhl trugen wir ihn daher; da befahl er, zu halten, hob sich aus den Kissen und deutete mit der Hand gen Westen. ›Nicht wahr, dort liegt Wien?‹ fragte er mich mit matter Stimme, die mir ins Herz schnitt. Und als ich bejahte, sagte er: ›Wenn ich es noch einmal sehen könnte, mein liebes Wien mit seinen Zinnen und Türmen, da wollt ich bald gesund sein.‹ Er drückte mir die Hand und neigte das Haupt auf die Brust. Ich winkte den Ärzten, sie sollten kommen und helfen, aber ihre 215 Kunst war vergebens. Eine Stunde später gab unser lieber edler Herr seine Seele Gott dem Allmächtigen zurück, der ihr gnädig sein möge.«

»Und die arme Kaiserin? Und die Kinder?« fragte Margaret nach langer Pause.

»Sie war gesegneten Leibes, als ich sie verließ«, berichtete Godeschalk. »O, sie hat treue Helfer um sich, vor allem Herrn Kaspar Schlick, den sie als geheimen Rat in ihre Dienste genommen, und ihre Kammerfrau, die Helene Kottanerin, die ein heilig Gelübde getan hat, sie niemals zu verlassen. Wenn ihr nun der Himmel einen Sohn schenkt, so mag es geschehen, daß der Wunsch unseres verstorbenen Herrn in Erfüllung geht und die drei Lande doch vereinigt werden!«

»Was hilft der Wunsch des einzelnen, mag er noch so mächtig sein?« erwiderte Dieter sinnend. »Fürsten sterben, aber Völker leben. Und der Gang der Geschichte gleicht dem Lauf der Sterne, die da droben am Himmelszelt ihre ewigen Bahnen ziehen. Wir müssen unsere Heimat lieben und unserem Volke dienen. Dann wird es gut stehen um uns und um das Vaterland, wer es auch immer regieren mag.«

»Wenn ich im Garten bei meinen Bäumen stehe«, sagte Margarets klare Stimme, »so ist mir oft, als sei der Mensch auch nichts anderes als solch ein Baum, der nirgends gedeihen mag als in der Erde, die seine Wurzeln von allem Anfang an umgibt. Und so wollen wir denn gemeinsam schaffen und arbeiten und das Andenken des Herzogs segnen, dem wir unser kleines Glück verdanken. Ach, ich bin so froh, daß du nun doch nicht hinaus mußt in Not und Gefahr, mein Dieter!« 216

Draußen sank die Dämmerung über das Land. Von der Stadt herüber klangen Abendglocken; den dreien in dem dunklen Zimmer war es wie Totengeläute und doch wie heimlicher Trost.

Der alte Ritter erhob sich:

»Gehabt Euch wohl, meine Freunde. Meine Zeit ist um – ich muß noch heute mit meinen Mannen in die Stadt, wo ich von Kaspar Schlick wichtige Botschaft auszurichten habe. Ehrlich gesagt: Ich bin des unsteten Wanderlebens müde und werde mich wohl bald in den Frieden meiner kleinen Burg im Waldviertel zurückziehen. Dort lebt meine jüngste Schwester als Witwe mit ihren zwei Kindern und dort sollen meine alten Augen sich noch eine Weile ergötzen am frohen Spiel der Jugend. Ich will dem Knaben erzählen von meines edlen Herzogs Feldzügen und Abenteuern, von seinen Kämpfen und Siegen, und dem kleinen Mädchen von seiner milden Hand und seinen schwarzen Augen, in denen doch so viel Liebe und Herzensgüte war. Und wenn Euer Kindlein der Mutterpflege nicht mehr allzu nötig bedarf, so kommt auf ein paar Wochen, Euren alten Godeschalk zu besuchen. Lebt wohl!«

Er schüttelte den beiden kräftig die Hände und schritt aus der Tür, während sie ihm das Geleite bis auf die Heerstraße gaben.

Draußen stand Jaromir. Durch das offene Fenster hatte er Godeschalks Bericht vernommen; nun setzte er sich auf den Brunnenrand, schlug die Beine übereinander und dachte über das Gehörte nach. Sein ganzes Leben zog vor seinen Augen vorüber, von der Stunde an, da er mit seinem Weibe in die Köhlerhütte im Walde eingezogen, 217 hoffnungsfroh und jung, bis zu dem Tage, da ihm Dieter auf seinem Hofe eine gute Stelle und ein sorgenfreies Dasein geboten; er dachte an jenen schrecklichsten Augenblick seines Lebens, als er im Hofe der feindlichen Burg in Ketten vor dem Herzoge gestanden war und sein gütiges Wort ihn von schimpflichem Tode gerettet hatte; und aus seinen müden Augen floß, von niemandem gesehen, eine Träne, rollte langsam über die braunen Wangen und verlor sich in dem struppigen Barte. Er hatte den Herzog gehaßt als seinen Feind und Gegner, hatte gegen ihn gekämpft und sein Verderben gesonnen; und nun empfand er in der Tiefe des Herzens, daß er besiegt war, nicht von der Macht eines Herrschers, sondern von der Herzensgüte eines Menschen. Und er faltete die Hände und sprach ein Gebet für den Toten, den im fernen Lande die fremde Erde deckte.

 

Ende.

 


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