Egid Filek
Wie Dieter die Heimat fand
Egid Filek

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VI.

Es waren schöne, friedliche Tage, die unser Dieter in den Mauern von Iglau verbrachte.

Langsam röteten sich seine blassen Wangen und der Zug von Trauer um den Mund verschwand; er dachte 94 daran, daß er jung war und ein Leben vor sich hatte, ein ganzes langes Leben, das er nutzen durfte zum eigenen Vorteil und zum Wohle seiner Mitmenschen.

Und so verblaßten allmählich die Schreckensszenen jener grausigen Nacht, in der er die Heimat und den Vater verloren hatte, und gaben freundlicheren Bildern Raum. So viel des Neuen und Ungewohnten trat ihm in der fremden Umgebung entgegen; er lernte sich bewegen in den engen Räumen der Häuser und Gassen und sah die Menschen um sich mit anderen Augen an. Aber immer und immer wieder lag er dem Kanzler mit der Frage im Ohr:

»Sagt, Herr, wann zieht denn endlich der Herzog ins Feld?«

Aber der wußte es selbst nicht und mahnte zur Geduld. »Der Herzog hat noch manche Vorbereitungen zu treffen und vieles zu ordnen. Haltet Euch bereit; jeden Tag kann er um Euch senden.«

Da unterdrückte der Junker einen Seufzer der Ungeduld und betrieb eifrig seine Ausrüstung für die bevorstehende Reise. Ein leichter Plattenharnisch, ein breiter, gezackter Ledergürtel für Schwert und Dolch, ein einfacher Helm waren bald bei Meister Schlarbaum, dem Waffenschmied, ausgesucht und seinem Körper passend zugerichtet; für das Pferd wollte des Herzogs Marschall sorgen, ein älterer Ritter, namens Godeschalk, der diesen auf allen seinen Kriegszügen begleitet hatte.

Allein diese Zurichtungen hatten fast seine ganze Barschaft verschlungen und mit heimlichem Schauder gedachte er der stetig wachsenden Herbergsrechnung, als ihm der Kanzler für die kurze Zeit seines Aufenthaltes ein 95 Dachzimmerchen des Hauses zum Unterschlupf anbot. Dieter nahm die Einladung dankbar an und befliß sich artiger Aufmerksamkeit gegen Frau Ursula, ohne indessen das leise Mißtrauen der Alten bannen zu können.

Und doch erlebte er manchen schönen, stillen Abend im kleinen Kreise der Familie, wenn er neben dem Kanzler auf der mit Kissen belegten Bank saß, die rings um die braun getäfelten Wände des großen Zimmers im Erdgeschoß lief; der grüne Kachelofen blähte sich in der Ecke, in der Mitte stand ein geschnitzter Eichentisch auf gespreizten Beinen, Schreine mit verzierten Eisenbeschlägen an der Wand und auf der Truhe, welche die Festkleider der Frauen barg, lag eine schöne seidene Decke; da hatten die geschickten Finger Margarets farbig prangende Blüten und hellgrüne Blätter hineingestickt. Die kleinen Fenster mit den Butzenscheiben waren offen, die milde Abendluft strich herein und oft hörte man das Flöten der Nachtigall des Meisters Schimke; manchmal aber nahm Margaret ihre kleine dreieckige Harfe, die sie gar hübsch zu spielen verstand, und sang ein Liedchen oder begleitete Dieters Gesang, während der Kanzler den Baß dazu brummte.

Aber auch zu ernsteren Dingen fand sich Zeit und Gelegenheit.

»Wer in Fürstendienst geht, der muß mehr können als die sieben Ritterkünste: Reiten, Schwimmen, Armbrustschießen, Klettern und Turnieren, Fechten und Tanzen,« sagte Kaspar Schlick. Und der weltgewandte Hofmann, der an Klugheit manchem Fürsten und Bischof überlegen war, der von seinen weiten Reisen her Sprache, Recht und Sitten fremder Völker kannte und in der Ferne wie 96 daheim mit jedermann zu verkehren wußte, unterwies den unerfahrenen Jüngling in so manchen Dingen, die ihm von Nutzen sein konnten.

»Anders ist des Königs Art und anders des Thronfolgers Weise«, sprach er. »Dem Luxemburger fliegen die Herzen zu, er bezaubert alle durch ritterlich Wesen und Leutseligkeit; der Herzog ist ernster und strenger, selten habe ich ihn lachen gesehen; aber was er spricht, darauf könnt Ihr Euch verlassen. Und so liebt er an seinen Gefolgsmannen vor allem Pünktlichkeit im Dienst und wahrhafte Rede; sehet zu, daß Ihr ihn hierin befriedigt.«

Kaspar Schlick hatte ein Stück Geschichte miterlebt; als vierzehnjähriger Knabe hatte er in Konstanz, wo er zu Besuch bei seinem Oheim, einem reichen Handelsherren, weilte, den unglücklichen Hus verbrennen sehen; noch heute stand das schauerliche Bild vor seinen Augen: der flammende Holzstoß, die vielen Bewaffneten ringsum, die bunte Menge des nach Tausenden zählenden Volkes, die weiße Papiermütze mit den gemalten Teufelsfratzen auf dem Kopf des Magisters, die rostige Kette, mit der er an den Pfahl gebunden war.

Von den Türkenzügen König Sigismunds erzählte er, wo er sich durch seine Tapferkeit so ausgezeichnet hatte, daß ihm der König zum Lohn einen Teil der Frankfurter Judensteuer überließ, und von dem glänzenden Reichstag in Preßburg, der ihm den Titel eines Vizekanzlers brachte. Er führte Dieter in die königliche Kanzlei und ließ ihn manches Schriftstück lesen und abschreiben, damit er Bescheid wisse in Sachen der Politik; da kannte Meister Schlick alle Wege und Stege, krumme wie gerade, und man flüsterte sich zu, daß ihm wenig daran gelegen sei, 97 im Notfall auch dem Inhalt einer Urkunde mit einigen Verbesserungen nachzuhelfen.

Wenn sich Dieter die Augen müde gelesen hatte an den Briefen und Pergamenten, vereinigte sie die Abendmahlzeit in der großen Stube; dann nahm Margaret die schönen getriebenen Zinnpokale, Prachtstücke heimatlicher Gießerei, vom Wandbord und füllte sie mit Wein, der Kanzler stieß mit seinem Schüler auf gute Zukunft an und auch Margaret tat ihm Bescheid und lächelte ihn freundlich an aus ihren dunklen Augensternen.

War es zu verwundern, wenn Dieters junges Herz in der Nähe des lieblichen Mädchens höher schlug, wenn er sich gerne dem Zauber hingab, den die Anmut einer Frau auch im bescheidensten Haushalt verbreitet? Frühzeitig war seine Mutter dahingegangen, rauhe Männer hatten ihn von Jugend an umgeben, bald mußte er wieder hinaus in Kampf und Streit; da war ihm denn in dem freundlichen Häuschen nicht anders zumute wie dem Seefahrer auf einer fruchtbaren Insel mitten im Weltmeer, die ihm just deshalb so schön erscheint, weil er sie in kurzer Zeit wieder verlassen muß.

Der Kanzler beobachtete mit stillem Wohlgefallen die harmlose Freundschaft der beiden jungen Menschen; Frau Ursula schien weniger erbaut davon. Sie sprach nicht viel während der Mahlzeit und zog sich bald mit ihrem Spinnrad zur Ofenbank zurück; und war der Wein auch süß, ihr Gesicht blieb dennoch säuerlich.

Aber es gab noch eine andere Person, die den Junker mit argwöhnischen Augen beobachtete, und das war Meister Schimke, der Schuster. 98

Ruhig und beschaulich, wie es seiner seßhaften Zunft entsprach, war bisher sein Leben dahingeflossen. Den Kaufmann jener Zeit führte sein Beruf in fremde Länder, durch die Gefahren unsicherer Landstraßen und vielleicht mit einem Warenschiff sogar in die ferne Nordsee hinaus; der Schuster aber durfte daheim in der warmen Stube sitzen und nur das Schifflein seiner Gedanken glitt hin und wieder durch die seichten Gewässer des Alltags. Freilich hatte auch Meister Schimke sich der Sitte gefügt und als Geselle in einigen deutschen Städten gearbeitet; aber er liebte das Wandern nicht und war froh, als er sich in Iglau niederlassen konnte. Damals kam die neue Mode der bunten, mit Pelz besetzten und spitz geschnäbelten Schuhe auf; und der fleißige Meister verstand so zierliche Formen zu erfinden und auszuführen, daß er viel Geld verdiente und Sommer und Winter mehrere Gesellen beschäftigen konnte. Beim Kriegszug des Markgrafen Jodok mußte auch er auf Befehl des Rats sein Koller mit dem Harnisch vertauschen und statt des Pfriemens einen Spieß zur Hand nehmen; so stand er Wache auf der Stadtmauer viele Tage lang und kam sich vor wie ein Gewaltiger, besonders dann, als der Tanz zu Ende war und er keinen Schaden genommen hatte. Mit verdoppeltem Eifer wandte er sich nun seinem Geschäfte zu und brachte es bald zu solcher Höhe, daß er als der reichste Mann in der Gasse galt. Darüber war er langsam in reifere Jahre gekommen und zählte schon über vierzig, ohne daß er sich vor lauter Geldverdienen die Zeit genommen hätte, nach einer tüchtigen Hausfrau auszuschauen.

Da traf es sich eines Tages, daß die Jungfer Margaret für ihren kleinen Fuß neues Schuhwerk brauchte; der 99 Meister tat sein Bestes, aber von den Füßen hoben sich seine Blicke oftmals während der vielen Proben und Messungen zu der ganzen Gestalt des zierlichen Mädchens empor, und als die Schuhe fertig waren, ward ihm klar, daß die beste Hausfrau und Gattin, die er finden konnte, hier leibhaftig vor ihm stand. Die Muhme Ursula, nach der Weise sorglicher Hausmütter stets bereit, ein wenig Vorsehung zu spielen, merkte bald, woher der Wind blies; einige kleine Darlehen, mit denen der Meister der kleinen Wirtschaft gern und freudig aushalf, taten das Übrige; und wenn sie auch pünktlich zurückerstattet wurden, blieb doch im Herzen der Alten etwas von jenem Abhängigkeitsgefühl zurück, das der Arme wohl immer gegen den Reichen empfindet.

Damals vor fünfzehn Jahren, als die Muhme das kleine Mädel aus der Hand der sterbenden Mutter empfangen, hatte sie nicht geahnt, wieviel Sorge und Verantwortung sie auf ihre spitzen Schultern lud. Und nun bot sich dem Kinde ein so großes Glück! In ein schönes, wohlgefügtes Hauswesen sollte sie kommen, als Frau Meisterin schalten nach Freude und Lust; und auch die Muhme war versorgt und saß im warmen Nest; denn Meister Schimke war ein Ehrenmann und würde die Muhme seiner Frau keine Not leiden lassen. Freilich war er mehr als doppelt so alt wie Margaret; aber das tat nichts, umso besser eignete er sich zum Beschützer des jungen, unerfahrenen Mädchens.

Der Meister hatte allerdings noch niemals über die Angelegenheit gesprochen; aber es gab plaudersüchtige Leute genug, die allerlei hin- und hertrugen und Frau 100 Ursula wußte genau, daß sich der Meister zu einer Nachbarin sehr lobend über Jungfer Margaret geäußert, während Schimke wiederum aus guter Quelle vernommen hatte, die Muhme wünsche für das Mädchen keinen anderen Mann als ihn, wenn sie ihren Liebling einmal aus dem Hause ziehen lassen müsse.

Da war der Meister seiner Sache sicher und gedachte bei passender Gelegenheit in schicklicher Form seine Werbung vorzubringen; aber er ließ sich Zeit dazu. Solch wichtige Angelegenheit dürfe man nicht übers Knie brechen, meinte er; habe er so lange gewartet, so komme es nun auf ein paar Monate mehr auch nicht an; das Mädel war doch noch jung und mit der Ehe ist's dasselbe wie mit einem guten Paar Schuhe; sorgsam muß man das Leder zurichten, geduldig die Schäfte schneiden und emsig versohlen und verpichen, wenn Schuhwerk und Eheglück dauerhaft werden sollen.

Und Margaret?

Die machte sich anfangs über den Meister Schimke keine Gedanken und schon gar keine Sorgen. Als aber die Muhme mit deutlicher Anspielung von dem schönen Hause, der guten Versorgung und ihrer eigenen Zukunft sprach, wurde sie nachdenklich und sah sich den Schuster genauer an, so genau, daß sie nach reiflicher Überlegung zu der Gewißheit kam, daß sie nicht zu ihm paßte und lieber ihre ganze blühende Jugend in ein Kloster tragen wollte, als die Frau eines ungeliebten Mannes zu werden. Und als sie der drängenden Muhme eines Tages mit klaren Worten ihre Meinung sagte, gab es Vorwürfe, zornige Reden und Tränen und seit jener Zeit war das gute 101 Einvernehmen zwischen den beiden dahin; oft mußte der Oheim zureden und schlichten; Angst und Bangen vor der Zukunft kam über die arme Margaret und nun wissen wir auch, warum sie auf dem Heimweg vom Ratskeller jene plötzliche Traurigkeit befallen hatte, als die Nachtigall vor des Meisters Laden sang und an ihrer Seite einer ging, dem sie trotz der kurzen Bekanntschaft weit lieber ein Herzgespiel geworden wäre als dem Schustermeister.

Dieters Aufenthalt im Hause des Kanzlers war natürlich Herrn Schimke nicht verborgen geblieben und erregte in seiner Seele allerhand Bedenken. Wie, wenn der junge Fant, dem er so arglos einen Strauß von seinem schönen Fliederstrauch geschenkt, des Mädchens Herz gewann? Sorgenvoll hatte er manchen Abend, wenn die Gesellen und Lehrjungen längst in ihren Schlafkammern im Oberstock lagen, nach den erleuchteten Fenstern des Hauses hinüber gespäht; Lautenspiel und Gesang erklang von drüben, er unterschied die Stimmen des Mädchens und des Junkers, zornig stieß er die Ahle in den Holzbock; er mußte der Sache ein Ende machen und beschloß, ganz einfach bei der Muhme um Margarets Hand anzuhalten.

Eines schönen Vormittags, als der Kanzler in der königlichen Burg weilte und Margaret mit ihrem Handkörbchen auf den Markt gegangen war, meldete die Magd, der ehrsame Meister Schimke bitte um die Gunst einer wichtigen Unterredung.

»Endlich! Die heilige Jungfrau sei gelobt!« dachte die Muhme, ließ aber doch den Gast noch eine kleine Weile in der großen Stube harren, bis sie festen Schrittes eintrat und ihn mit Knix und Handbewegung begrüßte. 102

Fein hatte er sich herausgeputzt; ein pelzverbrämtes, gezacktes Staatswams mit Schlitzen und Falten, Hosen aus Brabanter Tuch, das Barett in der Hand, lange Schuhe von feinstem Korduanleder – so stand er vor ihr, streckte seine kurze Gestalt und begann:

»Mit Gunst, Frau Ursula! Gönnet mir Gehör in einer bedeutsamen Sache, die ebenso sehr mich angeht als Euch und Euer Nichtlein. Werdet wohl schon lange bemerkt haben, daß ich der ehr- und tugendhaften Jungfrau Margaret wohl geneigt bin. Maßen ich nun weiß, wie gar trefflich sie von Euch zu Sparsamkeit, Fleiß und allerhand häuslicher Tugend erzogen ist, so bitte ich Euch, sie mir zur Hausfrau zu geben; denn schon lange vermisse ich eine tüchtige Wirtin, die das Meinige klug zu Rate hält. Daß es ihr bei mir an nichts fehlen soll, dessen könnt Ihr versichert sein.«

Das war die längste Rede, die Meister Schimke in seinem Leben gehalten hatte, und sie schien Eindruck zu machen; denn Frau Ursula verzog den schmalen Mund zu einem huldvollen Lächeln und antwortete so würdig, als es der Bedeutung des Augenblicks zukam:

»Meister, Euer Antrag ist gleich ehrenvoll für mich wie für meine Nichte und Ihr seid ein ehrenfester Mann, dem ich gerne das Mägdlein in die Hände gebe; gönnet mir nur ein paar Tage Bedenkzeit, damit ich die Sache mit ihr und mit meinem Vetter, dem Kanzler, bereden kann. Denn auch ihn muß ich fragen, weil er mir und Margaret seit jeher viel Gutes getan und der einzige meiner Verwandten ist, der um mich sorgt.«

Der Meister hätte allerdings lieber ein glattes Jawort gehört; das Mädchen zu fragen, fand er vollends 103 überflüssig, das hatte einfach zu gehorchen. Da er aber trotzdem den Ausgang der Sache schon heute für zweifellos hielt, so verneigte er sich geziemend vor Muhme Ursula, sprach noch einiges im guten Nachbarton über das schöne Frühlingswetter und die steigenden Lederpreise und ging endlich mit gemessenem Schritt die kleine Treppe in das Gärtchen hinab und auf die Straße, wo er sich nicht enthalten konnte, trotz seiner Würde als Ratsmitglied und Meister ein lustiges Liedel aus seiner Gesellenzeit zu pfeifen.

Ein Stündlein später schritt Margaret mit dem gefüllten Marktkorb dieselben Stufen empor; auch sie trällerte leise vor sich hin, aber Wort und Weise waren anders als bei Meister Schimke; Dieter hatte sie gestern zur Laute gesungen:

»Du bist mein, ich bin dein,
Dessen sollst gewiß du sein . . . .«

Ursula erschien in der Haustüre:

»So spät! Hast dich wieder verschwatzt, natürlich!«

»Du bist beschlossen in meinem Herzen,
Verloren ist das Schlüsselein,«

sang Margaret. Aber als sie die feierliche Miene der Muhme sah, brach sie ab und eine heimliche Furcht lief ihr über den Rücken.

Auf einen Wink der Alten lieferte sie der Magd ihr Körbchen ab und betrat beklommenen Herzens die Stube.

»Margaret,« sagte die Muhme, und aus ihrer Stimme klang es wie unterdrückter Freudenruf, »Margaretlein, 104 denke dir, welches Glück! Eines reichen Mannes Hausfrau sollst du werden!«

»Ich verstehe Euch nicht.«

»Ach, tu doch nicht so, du törichtes Kind! Weißt es ja, daß ich unseren Meister Schimke meine! Eben hat er um dich angehalten. Ach, du lieber Gott, da werden meine alten Finger wieder Arbeit bekommen; denn mancherlei fehlt noch an deiner Ausstattung. Freilich, das Beste ist doch da, die schöne, schimmernde Leinwand; nicht umsonst hab ich gar manchen Winterabend mit Fleiß und Emsigkeit meinen Flachs gesponnen und . . . . . aber was ist dir, Kind? Du bist ja so blaß wie die Wand!«

»Muhme – ich bitte Euch um aller Heiligen Willen – laßt mich! Ich kann nicht Meister Schimkes Weib sein – ich kann nicht. Wie oft schon hab ich's Euch gesagt . . .«

Und sie schlug die Hände vors Gesicht und fing laut an zu weinen.

Die Muhme trippelte ärgerlich hin und her:

»Solltest Gott danken, du närrisches Ding, daß du solch einen Mann bekommst! Denke, was für ein schönes Landgut er draußen vor der Stadt hat, mit großen Gärten und Viehstand, da kannst du schalten wie eine Fürstin! Und erst die goldenen und silbernen Brokatstoffe in der Truhe, um die dich alle deine Freundinnen beneiden werden, wenn du in deinem prächtigen Staat in die Jakobskirche zur Messe gehst! Laß das dumme Weinen; es ist mein Wille, daß du dem Meister in die Ehe folgst und auch der Oheim ist meiner Meinung. Daß man doch immer die Kinder zu ihrem Glück zwingen muß!«

Und sie ging aus dem Zimmer und ließ das Mädel mit seiner Traurigkeit allein. Draußen im Hausflur trat 105 ihr der Vetter entgegen. Auf seinem Antlitz, das für gewöhnlich die glatten, verbindlichen Züge des vorsichtigen Höflings zeigte, leuchtete heute ein froher Glanz, als brächte er willkommene Botschaft.

»Wohin so eilig, Muhme? Was schafft Euch solche Aufregung?«

»Ach Gott, ich habe wieder Kreuz und Pein mit dem dummen Kinde da drinnen . . . . denkt Euch, Meister Schimke hat um sie angehalten und sie will nichts davon wissen! Geht doch selbst zu ihr und sehet zu, ob Ihr einem albernen Mädel den Kopf zurechtsetzen könnt.«

Ein nachdenkliches Lächeln glitt über das Gesicht des Kanzlers, als er leise in das Zimmer trat. Da saß das Mädchen zusammengekauert auf seinem Fensterplatz; ihr ganzer Körper zitterte vor verhaltenem Schluchzen.

Er trat an sie heran und zog ihr die Hände vom Gesicht:

»Nicht traurig sein, Margaretlein. Kopf hoch und gradaus gesehen, das taugt uns besser als nutzloser Gram. Was soll der Junker von dir denken, wenn du ihm heute zum Abschied mit verweinten Augen entgegentrittst?«

»Zum Abschied?« rief das Mädchen in heftigem Schreck und erblaßte.

»Morgen mit dem Frühesten reitet er mit dem Herzog ins Feld.«

Aus Margaretens Augen brach ein neuer Tränenstrom.

»Oh, dann ist alles aus!« rief sie schmerzlich.

»Aus? Was soll aus sein?«

Er hatte sich neben sie gesetzt und streichelte sanft ihren braunen Scheitel. 106

»Vertraue mir deinen Kummer, liebes Kind! Schau, ich weiß ja, wie es um euch beide steht. Aber wem geholfen werden soll, der muß guten Rat annehmen wollen. Ist es so, daß dein Herzchen sich dem Junker zuneigt?«

Wieder schlug Margaret die Hände vor das Gesicht, aber diesmal aus Scham, um die flammende Röte der Wangen zu verbergen.

»Brauchst dich nicht zu schämen«, sagte Kaspar Schlick ernst. »Ich kenne unseren Dieter genugsam und weiß, daß er ein treues Herz und einen festen Sinn hat; und solchen Menschen in Liebe zugetan sein, bringt uns Ehre und Freude. Aber sage: hast du auch bedacht, daß er ein heimatloser Flüchtling ist, der sich sein Leben erst in Arbeit und Sorge aus den Trümmern neu schaffen muß? Ihr seid noch beide so jung.«

Margaret blickte kummervoll vor sich hin.

»Versprich mir, daß du dich stille halten und geduldig warten willst. Ich werde mit der Muhme reden, sie soll dich nicht bedrängen mit Vorwürfen und bitterer Rede; denn auch sie meint es gut mit dir. Und wenn unser Dieter, wie ich hoffe und erwarte, sich im Dienste des Herzogs bewährt, dann wollen wir sehen, wie sich eure Zukunft gestaltet.«

»Und Meister Schimke?« fragte Margaret angstvoll.

»Sorge nicht, er kann nichts gegen deinen festen Willen. Horch – da kommt Dieter.«

Ein leichter Schritt erklang draußen. Dieter trat ins Zimmer und sah erstaunt nach der Gruppe. Der Kanzler erhob sich:

»Ich bringe gute Nachricht, lieber Junker. Morgen sollt Ihr mit dem Herzog ins Feld!« 107

Frohes Staunen malte sich auf dem Gesicht des Jünglings. Aber als ihm Margaret zum Glückwunsch die Hand entgegenstreckte und er auf ihren Wangen die Spuren von Tränen sah, da seufzte er und blickte verwirrt zu Boden.

Kaspar Schlick beobachtete die kleine Szene.

»Als ich noch so jung war wie du, Margaret,« sagte er bedeutsam, »da begleitete ich als ein ganz unscheinbares Schreiberlein unseren König Sigismund auf einer Reise von Frankreich nach England. Da sah ich mit Staunen auf dem weiten Meer zum erstenmal die großen, hochbordigen Schiffe. Und es schien mir wunderbar, wie sie ausfuhren gegen Morgen, Abend und Mitternacht und doch nach langer Fahrt immer wieder zusammenkamen in demselben Hafen, um auszutauschen, was sie gewonnen hatten in fernen Ländern an köstlicher Ladung. Gleicht unser Schicksal nicht solchen Schiffen? Bring uns Malvasier, Kind, und laß uns die Becher heben auf glückhaftes Wiedersehen und treue Kameradschaft!«

* * *

Es war im Morgendämmer des nächsten Tages.

Leise war Dieter die schmale Holztreppe hinabgeschritten; noch einmal wandte er sich, ein stummer Segenswunsch für das Haus und seine Bewohner lag auf seinen Lippen – da ging leise eine Tür, eine Mädchengestalt trat heraus und streckte die Arme nach ihm – Margaret.

Und nun standen sie zwischen den duftenden Blumen des Gärtchens; Dieter, in Helm und Harnisch, schien größer und männlicher als sonst durch den ernsten Schmuck der 108 Waffen. Sie hielten sich bei den Händen; der Schmerz des Scheidens zuckte auf den jungen Gesichtern.

Margaret löste sanft ihre Finger aus jenen des Freundes und beugte sich zu einem Strauch rotglühender Nelken nieder.

»Ich weiß einen Knaben, der gab mir einst einen Fliederstrauß zum Willkommen und nun biete ich ihm rote Nelken zum Abschied,« sagte sie mit einem schwachen Versuch zu lächeln und reichte ihm den kleinen Strauß.

Er barg ihn an seiner Brust:

»Und ich weiß von einem Fest, da steckte ich Euch ein Ringlein an den Finger, liebe, liebe Jungfer Margaret. Ein Scherz war es und ich war blind und sah Eure Schönheit nicht und wußte noch nicht, wie Liebe tut. Margaret, darf ich heute im Ernst diesen kleinen goldenen Reif an Euren Finger stecken? Es ist ein Kleinod aus dem Nachlaß meiner verstorbenen Mutter . . . . Darf ich Euch bitten, innig und von Herzen, Ihr möget meiner gedenken, wenn ich ferne von Euch bin, vielleicht in Not und Gefahr?«

Sie nickte stumm und nahm den Ring, während Tränen ihre Augen verdunkelten. Da riß er sie an sich, küßte stürmisch den heißen, roten Mund und eilte, ohne umzublicken, auf die Straße hinaus, wo der Knecht mit seinem Pferde stand und ungeduldig auf ihn wartete.

Aus grauen, purpurgeränderten Wolkenkissen hob sich die Sonne.

Sie sah den stattlichen Zug gepanzerter Ritter, dessen lange Reihen dem König das Geleit gaben; zurückgelehnt in seinen Wagen saß der alte Herrscher und träumte von einem schöneren Lande unter blauem Himmel, von Palmen und Zypressen und von einer Kaiserkrone, während er in der Heimat 109 Elend und Verwirrung zurückließ; ihm zur Seite tummelte Gunzo, der Narr, mit Hott und Hüh seinen kleinen Maulesel.

Die Sonne blitzte auf dem blanken Harnisch des jungen Dieter, der in einiger Entfernung hinter dem Herzog von Österreich ritt. Noch war sein Antlitz ernst und auf den blassen Wangen lag das Weh des Abschieds; aber hinter der hohen Stirn regten sich Gedanken von Ruhm und Ehrgeiz und fester griff er in die Zügel und spornte das Pferd als sollte es ihn schon heute in die Schlacht tragen.

Die Sonne flimmerte auf den vergoldeten Turmkreuzen der alten Stadt Iglau und schickte vorwitzige Strahlen in das Schlafgemach des Meisters Schimke; die tanzten auf seiner Nase herum und verscheuchten einen schönen Traum von einer jungen Meisterin mit braunem Haar und lieblichen roten Wangen. Nur durch die dichten, weißen Vorhänge eines kleinen Mädchenzimmers konnten sie nicht dringen; dort saß die arme Margaret und weinte in den Morgen hinein vor Sehnsucht nach einem, der weiter und weiter fortzog von ihr und den sie vielleicht nie wieder sehen sollte, nie wieder . . .

Aber um die bunte Inschrift auf dem Häuschen woben sie goldenen Schein und wie ein tröstender Schicksalsspruch glänzten die Worte:

»Niemand soll sein Trauern tragen länger,
Denn bis der ungefüge Schnee zergeht . . .«

 


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