Egid Filek
Wie Dieter die Heimat fand
Egid Filek

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VIII.

Der Herzog und seine Mannen gaben dem Könige das Geleite bis zur Donau.

Am Ufer des gewaltigen Stromes schlug man die Zelte auf und feierte Abschied mit Umtrunk und Gelage; mancher Becher wurde geleert auf siegreiche Kämpfe mit den Welschen, auf gute Beute und glückliche Heimkehr.

Aber auf der Stirn des Kanzlers mehrten sich die Falten und oftmals blickte er sorgenvoll in die rasch dahinziehenden Fluten, als sollte ihr Rauschen ihm besseren Rat zuraunen als er selber wußte. Er weissagte dieser leichtsinnig unternommenen Romfahrt nichts Gutes. Die Venetianer, alte Feinde der deutschen Kaiser, würden dem Durchzug gewiß arge Schwierigkeiten machen; der Papst schien nicht wohl gesinnt, der Herzog von Mailand, dessen Vorfahren den Luxemburgern so viel verdankten, war treulos und verschlagen; welch ein Wagnis, in die Drachenhöhle Italia einzudringen, in die so viele Spuren hineinführten – und gar wenige zurück!

Der Abschied von Dieter war lang und herzlich.

»So, mein Junge, nun hab' ich dich in den Sattel gehoben – an dir ist's zu zeigen, daß du reiten kannst. 121 Halt dich wacker, so zwingst du dir die Welt. Frau Fortuna ist ein launisches Weib, aber dem Tapferen tut sie seinen Willen. Wärest nicht der erste, der sich mit des Degens Schärfe sein Lebensglück gezimmert hat.«

Am nächsten Morgen schon brach das Fähnlein, bei dem sich Dieter befand, wieder gegen Norden auf; Godeschalk hatte vom Herzog selbst die Weisung empfangen, keine Zeit zu versäumen, da man neue Unruhen in Böhmen befürchtete.

»Haltet Euch in der Nähe der mährischen Grenze«, befahl der Herzog. »So sie Euch mit Übermacht angreifen, werde ich Euch zu Hilfe kommen. Keinesfalls darf der Feind wieder in Mähren einfallen und unsere gute Stadt Iglau bedrohen. Könnt Ihr mir das verbürgen, Godeschalk?«

Da schlug sich der alte Haudegen mit der gepanzerten Faust auf den Brustharnisch; das Eisen gab hellen Klang und seine Stimme dröhnte:

»Ja, Euer Gnaden, das kann ich verbürgen, so wahr ich ein Schalk Gottes bin.«

Da nickte der Herzog befriedigt; denn das war Godeschalks bester und teuerster Eid.

Obgleich er alle jene Eigenschaften besaß, die man damals von einem vollkommenen Ritter verlangte, so war er doch keineswegs von romantischer Schönheit. Seine Beine waren vom vielen Reiten nach einwärts gekrümmt, das Gesicht mit seinen Narben und Rissen glich der Rinde eines sturmgeprüften Waldbaumes und dazu fehlte ihm ein Ohr – das war ein dauerndes Andenken an die Schlacht bei Zwettel, wo die Hussiten von der Anhöhe herab im 122 wilden Ansturm das österreichische Ritterheer überrannt und Godeschalk mit den Seinen trotz tapferster Gegenwehr zum Weichen gebracht hatten; da traf ihn der Hieb eines krummen Säbels, wütend wollte er sich gegen den Angreifer wenden, aber das Gewoge der Schlacht trennte sie. Seit jenem Tage haßte Godeschalk die Hussiten ärger als den leibhaftigen Teufel.

»Noch einen Auftrag habe ich für Euch«, fuhr der Herzog mit leiserer Stimme fort. »Ihr sollt Euch des jungen Dieter von Wolfstein annehmen, den ich Euch zuwies.«

»Dort das blonde Milchgesicht?« fragte Godeschalk geringschätzig.

»Allerdings ist er noch jung und unerfahren, aber unter der Zucht eines so bewährten Mannes, wie Ihr es seid, wird schon etwas Tüchtiges aus ihm werden. Wollet denn ein Auge auf ihn haben, ja?«

Natürlich versprach Godeschalk auch das, aber es kam ihm nicht vom Herzen. Und er zeigte sich gegen Dieter auch gar nicht gnädig, hielt ihn in strenger Zucht und murrte manchmal etwas von Kindererziehung und saurer Mühe – aber Dieter tat, als höre er dergleichen nicht.

Bald hatte er sich mit seinen neuen Kameraden angefreundet. Da waren Heribald und Werner, die Unzertrennlichen, wie man sie scherzend nannte; sie waren miteinander auf der Burg Tyrnstein an der Donau aufgewachsen, wo Heribalds Oheim als Vogt des Landesherrn gebot, hatten Blutsbrüderschaft getrunken nach alter Sitte und sich ewige Freundschaft gelobt. Da war Rolf Beneke, dick und gutmütig, der einen derben Spaß verstand und immer hinter dem knurrigen Godeschalk herreiten mußte, um ihn mit 123 seinen Scherzen aufzuheitern; und der Wolf, der Räum-den-Kasten und der Rübendunst, drei wüste Gesellen, die nirgends daheim waren und ihre Reiternamen nicht umsonst führten; denn sie plünderten, wo sie konnten, und nur Godeschalks strenge Lagerordnung war imstande, ihr böses Gelüst zu zähmen.

Der Herzog war mit einem Teil des Heeres gegen Brünn abgeschwenkt, während Godeschalk nach der Richtung von Iglau vorrückte. Aber Dieters heimliche Hoffnung, Margaret wiederzusehen, erfüllte sich nicht; Godeschalk ließ die Stadt ostwärts liegen und drang langsam und vorsichtig in das Waldgebirge ein.

Enger, steiler und unwegsamer wurden die Pfade; die Rosse stolperten und glitten aus, Dickicht versperrte den Reisigen den Weg, Tannenzweige schlugen ihnen ins Gesicht; hatten sie sich in der Ebene den Weg gekürzt mit lustigen Liedern und allerlei Geschichten und Schnurren, so war jetzt zum Plaudern keine Muße, Auge und Ohr mußten beständig auf der Wacht sein, jeder Tritt war mühselig und gefährlich.

Da brachten vorausgeschickte Kundschafter die Meldung, daß eine größere Heeresmacht der Hussiten unweit des Städtchens Pilgram stehe.

»Absitzen!« gebot Godeschalk.

Es geschah.

»Wir müssen unsere Pferde in dieser geschützten Schlucht zurücklassen und versuchen, ob wir die Höhe besetzen können. Das haben wir nun doch von den Ketzern gelernt, auf Bergen lagern und sich tüchtig verschanzen.« Er wandte sich zu Dieter: 124

»Ihr übernehmt die Aufsicht über den Troß und die Pferde. Macht Eure Sache gut. Ich will mit meinen Leuten noch weiter vordringen.«

Dieter, froh des erhaltenen Auftrages, ließ sofort aus Baumstämmen und Erdhügeln, die man eiligst aufwarf, eine Verschanzung errichten und leitete die Arbeit mit so viel Eifer und Verständnis, daß Godeschalk, der ihm aufmerksam zusah, nichts zu tadeln fand. Aber zu einem klaren Worte der Anerkennung brachte er es doch nicht, sondern wandte sich der Höhe zu, um sich langsam an den Feind heranzupirschen. Rolf Beneke, Heribald und Werner gingen an seiner Seite. Plötzlich warf sich Heribald zur Erde und drückte sein Ohr auf den Boden.

»Willst du das Gras wachsen hören?« fragte Rolf.

»Schlimmeres höre ich. Ein starker Haufen von Feinden steht nicht weit von uns. Hemmt eure Tritte, damit ich besser horchen kann.«

Durch die atemlose Stille klang jetzt ein ganz leiser Laut wie fernes Wiehern von Rossen.

»Wahrhaftig, sie sind's«, flüsterte Godeschalk. »Und ich hätte so gern die Burg besetzt, bevor sich die Hussen selber drin einnisten. Heribald, Werner, schleicht euch hinauf und seht nach, was droben los ist. Aber vorsichtig, bei Sankt Michael!«

Lautlos machten sich die zwei auf den Weg. Godeschalk streckte sich neben Rolf Beneke ins Moos.

»Wir können nichts Besseres tun, als ihre Rückkehr abwarten. Wenn sie uns nur nicht abgefangen werden!«

Eine Stunde schlich langsam dahin; da näherten sich Schritte von droben. 125

»Donnerwetter, was ist denn das?« lachte Rolf. »Zu zweit sind sie ausgezogen und drei Mann hoch kommen sie zurück?«

»Alles sicher«, rief der blonde Werner schon von weitem. »Und diesen Kumpan haben wir aufgegriffen, als er just den Hussen ein Zeichen geben wollte. Wenn wir rasch machen, gehört die Burg uns.«

»Gelobt sei Gott«, rief Godeschalk und um seine Lippen spielte ein Lächeln. »Heribald, lauf hinunter zu den andern, so schnell dich deine langen Beine tragen; sie sollen alle heraufkommen.«

Heribald stürmte hinab.

Der gefangene Jaromir lehnte mit gebundenen Händen an einem Fichtenstamm. Er biß die Zähne zusammen und murmelte einen Fluch. Nun würden sie ihn verhören und aufknüpfen, das wußte er; die Seinigen machten's ja auch nicht anders.

»Na also, du Teufelsbraten von einem Ketzer, sag', wie stark ist denn euer Haufen? Und habt ihr Pferde und Geschütz? Und wie viel?«

Jaromir wollte zuerst nicht antworten, aber ein paar Lanzenstöße lösten seine Zunge; die Stellungen der Hussiten konnten ja den Feinden auf keinen Fall lange ein Geheimnis bleiben. Seine Zähne schlugen klappernd aneinander, während er sprach, und er schielte oftmals nach den langen wagerechten Ästen des Baumes, unter dem er stand; die schienen ihm mit grünen Fingern zu winken: komm herauf! Der Angstschweiß stand in hellen Tropfen auf seiner Stirn. Sein einziger Wunsch war, der papistische Ritter möchte die Sache kurz machen und einen geschickten Henker aussuchen, der ihn nicht unnötigerweise leiden ließ. 126

Da flog ein Schimmer von Hoffnung über sein blasses Gesicht. Er hatte Dieter erkannt, der eilig die Höhe emporklomm und neben Godeschalk trat.

»Der Wlk!« rief Dieter erstaunt. »Ja, sagt mir um aller Heiligen willen, wie kommt Ihr hieher?«

Jaromir zuckte die Achsel und sah schweigend zu Boden. Da wandte sich Dieter an Godeschalk:

»Herr, ich bitte für das Leben des Gefangenen. Als ich im Walde lag, ein verschmachtender, todmüder Mann, hat er mich aufgenommen und meiner Wunden gepflegt und mir Speise gegeben und Obdach.«

»Ei was,« murrte der Alte, »gefangene Spione gehören an den Galgen, das wisset Ihr so gut wie ich.«

Aber Dieter ließ nicht ab zu bitten, bis Godeschalk endlich zweifelnd fragte:

»Wer bürgt mir, daß er nicht entläuft und uns verrät?«

Dieter erklärte sich sofort bereit dazu.

»Gut,« sagte der Alte, »Ihr haftet mir und dem Herzog mit Eurem Kopf für den Kerl. Und außerdem muß er uns Urfehde schwören und sich still in Gefangenschaft halten.«

Jaromir, froh der unerwarteten Wendung, leistete den verlangten Eid und wurde einstweilen seiner Fesseln entledigt. Man nahm ihn in die Mitte und stieg eilig zur Burg hinauf, die Godeschalk in Verteidigungszustand setzen ließ; dort wurde er in das Verließ des Turmes gebracht.

Nun entstand in dem alten Gemäuer ein fieberhaftes Treiben. Während die einen Proviant herbeischleppten, soviel als Menschen und Pferde tragen konnten, verrammelten andere das Tor mit mächtigen Baumstämmen, häuften große Steine zusammen, um sie den Feinden beim 127 Sturm auf die Köpfe zu schleudern, verteilten sich auf den am meisten gefährdeten Posten an der Mauer; Wachen wurden ausgestellt, damit kein Überfall die Arbeit störe; Heribert und Werner hatten in einem kleinen Bauerngehöft ein paar Kälber erbeutet, die sie unter dem Jubel der Kameraden in den Burghof trieben.

»Die wollen wir schlachten, wenn unser Proviant zu Ende geht«, meinten sie.

Godeschalk stand mitten im Burghof und übersah das ganze Getriebe. Befriedigt nickte er Rolf Beneke zu: »So. Jetzt können die Hussen schon kommen.«

Aber es war die höchste Zeit. In der Morgenfrühe des nächsten Tages, als die Mannen noch mit übernächtigen Gesichtern um das Feuer herumhockten, das man im Burghof angezündet hatte, zeigten sich Twarohs Vorposten am Fuß der Mauer.

Sie schienen sehr erstaunt, die Burg besetzt zu finden, rüttelten an dem eisenbeschlagenen Tor, liefen hin und her und zogen sich wieder zurück. Nach einer Stunde kam ein berittener Parlamentär. Er schwenkte ein weißes Fähnlein an der Spitze seiner Lanze und rief zur Höhe des Bergfrieds hinauf:

»Der große Twaroh läßt durch mich dem Befehlshaber dieser Feste ansagen, daß er ihre Übergabe erwartet.«

Godeschalks verwittertes Gesicht zeigte sich auf den Zinnen der Umfassungsmauer:

»Sage dem großen Twaroh, daß er darauf bis zum Jüngsten Tage warten kann, so wahr ich ein Schalk Gottes bin.«

»Mein Feldherr fordert die Übergabe der Schlüssel zum andern und zum dritten Mal. Sofern Ihr nicht binnen 128 drei Stunden das Tor öffnet und Euch in seine Hände liefert, wird er Euch zwingen mit der Schärfe des Schwertes und aufs Haupt schlagen, daß Euch die Hunde sollen fressen. So Ihr Euch aber gutwillig ergeben und zu unserem reinen Glauben übertreten wollt, sollet Ihr in ehrlichem Gewahrsam gehalten werden bis zur Auslösung.«

Es kam keine Antwort mehr von der Zinne; der Reiter warf sein Pferd herum und verschwand.

Aber nach wenigen Stunden wurde es vor dem Burgtor lebendig. Der Wald widerhallte von Rufen und Befehlen, Singen und Johlen mengte sich mit den Stampfschritten schwerer Bauernstiefel; Waffen klirrten, Peitschenhiebe fielen auf die Rücken der Pferde, die keuchend, mit zitternden Flanken die Wagen bergan ziehen mußten, auf denen Mörser und Wurfmaschinen lagen.

Rolf Beneke, der zwischen den Mauerzinnen in die Tiefe spähte, machte gegen seine Gewohnheit ein ernstes Gesicht.

»Sie sind doch stärker an Zahl, als wir dachten«, meinte er.

Die Belagerung begann. Einige kleine Mörser warfen Steine und Bleikugeln gegen die Mauer; das Krachen und Dröhnen wurde betäubend, kaum verstand man die Befehle, die Godeschalk in den Lärm hineinschrie; aber die festgefügten Quadern leisteten Widerstand. Droben auf der Mauer standen die Armbrustschützen und sandten einen Pfeil nach dem andern gegen die Stürmenden, bis ihnen Godeschalk Einhalt gebot.

»Spart eure Pfeile für später,« rief er, »die Kerle ziehen sich zwischen die Bäume zurück und spotten euer. Wenn sie zum Sturm anrücken, empfangen wir sie mit Steinen und Balken, das hilft besser.« 129

Allmählich ließ das Feuer nach. Nur vereinzelte Geschosse donnerten gegen das Tor. Die Hussiten umschlossen die Burg von drei Seiten; gegen Norden, wo die Felswand fast senkrecht zum Tal abfiel, war sie unangreifbar. Rolf Beneke verließ seinen Beobachtungsposten und ging in den Turm, wo die Proviantvorräte lagerten. Er musterte alles genau und rechnete nach; lange stand er sinnend, dann schüttelte er seinen dicken Kopf.

Mit den Steinen flogen kleine Fässer, mit Schmutz und Unrat gefüllt, in den Burghof. Das war lästig und widerlich, bedeutete aber noch keine Gefahr. Der Tag neigte sich dem Ende zu; die Wachen wurden verstärkt, ein Teil der Besatzung durfte der Ruhe pflegen, während im Hussitenlager Singen und Lärm erscholl und Lagerfeuer den Wald mit rotem Licht erfüllten; die Schatten der Baumstämme tanzten hin und her in dem Geflacker der Flammen, dazwischen sah man die dunklen Gestalten der wilden Krieger.

Dieter erinnerte sich seines Gefangenen. Er füllte einen Krug mit Wein, ein Körbchen mit Fleisch und Brot und stieg in das Verlies hinab.

Jaromir lag auf einer Schütte Stroh, stützte den Kopf auf den Arm und brütete vor sich hin.

»Esset und trinket, Jaromir! Mehr kann ich Euch für diesmal nicht bieten.«

Der Wlk drückte dankbar die Hand des Junkers: »Herr, ohne Euch hinge ich jetzt an irgend einem dürren Ast. Ihr habt mir meine kleine Guttat von damals reichlich vergolten. Aber mir geschieht nur recht. Warum bin ich dem Vaclav nachgelaufen?« 130

»Einstweilen seid Ihr in Sicherheit. Laßt Euchs nur ja nicht beikommen zu fliehen; ich bürge mit meinem Leben für Euch, das wißt Ihr.«

Der Wlk nickte eifrig und machte sich mit der Gier eines hungrigen Wolfes über das Essen her. Dieter gab ihm gute Nacht und hing die mitgebrachte Hornlaterne an einen Mauerhaken; der arme Teufel sollte doch nicht in der Finsternis bleiben, sonst kamen ihm allzu trübe Gedanken.

Im Rittersaal mit den aufgerissenen Fußbodenbrettern und klappernden Fensterladen, zwischen denen der Nachtwind hereinblies, saß Godeschalk und beriet mit den Freunden, was geschehen sollte.

»Zwölf bis vierzehn Tage lang können wir uns halten,« meinte Rolf Beneke, »aber dann sind unsere Vorräte zu Ende. Wir werden einen Ausfall wagen müssen, auf die Gefahr hin, daß ein paar von uns ins Gras beißen.«

»Ach was, wir drei schlagen uns durch und bringen frische Beute herein – gelt Kameraden?« rief der Räum-den-Kasten, und Wolf und Rübendunst nickten ihm Beifall zu.

Das war Godeschalk nicht recht; er fürchtete mit gutem Grunde, daß die drei Wichte ihre Beute selbst verzehren und nie wieder in die Burg zurückkehren würden.

»Wir sind doch viel zu schwach an Mannschaft, um einen Ausfall zu machen«, brummte er. »Und wo wollt ihr Beute holen? Die Hussen haben doch längst alles in der Umgebung ratzekahl gefressen.«

»Na, dann werden wir eben unsere Hosenriemen enger schnallen und uns durch fleißiges Fasten ein Plätzchen im Himmelreich sichern«, erwiderte Rolf Beneke. 131

Düsteres Schweigen hüllte die Burg ein. Nur die wachsamen Schützen auf der Mauer spähten hinaus in die Nacht; im Rittersaal, in den verödeten Kemenaten, im Burghof lagen die dunklen Gestalten der Verteidiger, neuen Kämpfen entgegenschlummernd. Mancher stöhnte im Traum und ballte die Hand zur Faust.

Schon beim Morgengrauen erneuerte sich der Angriff. Der Wächter auf dem Bergfried meldete, daß die Hussiten Verstärkungen heranzogen. Man hatte gehofft, nur einen kleinen Teil des Heeres vor sich zu haben, der bald wieder abziehen und auf den Besitz der Höhe verzichten würde; nun aber war es klar, daß der Feind keineswegs gesonnen war, die als wichtig erkannte Stellung zu verlassen. Brandpfeile und Pechkränze flogen herein; man beeilte sich, sie durch Austreten und Bedecken mit Erde und Rasenstücken unschädlich zu machen; denn ein Brand in der Burg bedeutete ein schweres Unglück.

Godeschalk stieg auf den Turm und hielt lange Ausguck; mit gerunzelter Stirn kam er herunter:

»Sie stellen eine Blide auf.«

»Was ist denn das?« fragte Dieter.

»Das ist ein Ding, das andere Steine schmeißt als die Mörser. Wenn die Mauern jetzt nicht stand halten, dann sei uns Gott gnädig.«

Es war eine jener riesigen Wurfmaschinen, die noch hundert Jahre später den Schrecken aller befestigten Burgen bildeten.

Viele Stunden dauerte es, bis das mächtige Ungetüm, von Hunderten von Armen in Bewegung gesetzt, auf Walzen dahergerollt, zusammengestellt und schußbereit gemacht war. 132

Twaroh überwachte selbst die Arbeit und trieb seine Leute zur höchsten Anspannung aller Kräfte an. Er hatte sich's in den Kopf gesetzt, die Burg zu erobern; und es kam ihm dabei auf hundert erschlagene Krieger mehr oder weniger nicht an.

Die Ritter auf der Zinne verfolgten mit Spannung die Vorgänge im Feindeslager. Jetzt kam eine Steinkugel von ungeheurer Größe herangesaust und fiel unter dem lauten Gelächter der Belagerten ein paar Schritte vor der Mauer nieder.

»Jubelt nur nicht zu früh«, stieß Godeschalk zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor. »Die nächste wird besser treffen.«

Eine bange halbe Stunde verging. Dann flog ein zweiter Felsblock durch die Luft, noch größer und schwerer als der erste.

Und diesmal traf das Geschoß. Ein wildes Wutgeschrei erscholl auf der Mauer, die in ihren Fundamenten wankte; ein Dröhnen und Krachen, ohrenbetäubend und sinnverwirrend, eine dichte Wolke von aufsteigendem Staub; als sie sich zerteilte, sah man eine klaffende Spalte.

»Noch einmal! Und dann Sturm auf die Bresche!« brüllte Twaroh und schwang seinen krummen Säbel.

Dieter erkannte sofort die furchtbare Gefahr. Wenn die Öffnung so groß wurde, daß die Feinde herein konnten, war alles verloren.

»Mir nach!« schrie er und stürzte mit einer Anzahl Mannen in den Burghof hinab, bereit, die Stürmenden zu empfangen.

Ein drittes und viertes Geschoß donnerte gegen die Mauer; Mörtel und Geröll rieselte den Verteidigern auf 133 die Helme, immer lauter wurde das Gebrüll von draußen; sie kamen mit Stangen, Balken, Brecheisen, mit Hämmern und Äxten, schlugen wie rasend auf die Mauer los, immer mehr Steine herausbrechend, bis die Vordersten sich anschickten, in den Hof einzudringen – da warf sich Dieter mit hochgeschwungenem Schwert gegen den tobenden Schwarm. Hageldicht fielen seine Hiebe, einer nach dem andern von den Anstürmenden taumelte mit gespaltenem Schädel den Abhang hinab und riß seine Hintermänner mit sich – Rolf Beneke stand an seiner Seite und half wacker, Rübendunst und Räum-den-Kasten schlugen nicht minder erbittert drein, Werner und Heribald deckten die Flanken und drängten hinaus, und mit einem Male war die Bresche zum Ausfallstor geworden, aus dem sich jetzt ein Strom von Kämpfern ergoß, denen die Verzweiflung Löwenkräfte verlieh. Allen voran aber rief Dieter mit heller Stimme:

»Drauf und dran, Freunde! Feuerbrände her! Wir müssen das Geschütz vernichten!«

Das war ein Wort zur rechten Zeit. Im Sturmschritt liefen sie der gewaltigen Maschine zu: während die Feinde, geblendet und verwirrt durch den unerwarteten Angriff, sich vergebens zur Wehr setzten oder in tatlosem Schreck erstarrt stillestanden, flogen schon brennende Fackeln durch die Luft und in wenigen Augenblicken stand die Wurfmaschine in hellen Flammen. Eiligst zogen sich die Ritter durch die Bresche zurück, bereit, die Hussiten neuerdings zu empfangen.

Aber Twaroh wagte keinen zweiten Sturm mehr; er ließ zum Sammeln blasen und gönnte seinen arg 134 mitgenommenen Kämpfern für diesen Tag Ruhe. Es gab noch andere Wege, um in den Besitz des verdammten Felsennestes zu kommen.

Mit sorgenvollen Mienen hatte Godeschalk den Verlauf des Kampfes verfolgt. Als die Hussiten mit lautem Gebrüll in den Hof eindrangen, schlug er ein Kreuz und gab alles verloren; aber Staunen und Freude befiel ihn, als er die hohe Gestalt des fremden Junkers mitten unter den Feinden sah, laut schrie er auf vor Entsetzen, als zwei, drei der Wilden ihre Morgensterne gegen ihn schwangen, und wie alles glücklich vorbei war, nahm er den Helm ab, faltete die Hände und holte aus der tiefsten Brust ein halblautes: »Gelobt sei Gott!« herauf.

»Aus Kindern werden Leute«, setzte er seinen Gedankengang fort. »Wer hätte das von dem Milchgesicht gedacht!«

 


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