Egid Filek
Wie Dieter die Heimat fand
Egid Filek

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

IV.

Mit heimlichem Herzklopfen stieg Dieter die Stufen zum Ratskeller hinab.

Es war eine weite unterirdische Halle mit einer Menge von Nebenräumen; die mächtigen Pfeiler hatte man mit Reisig und bunten Fahnen geschmückt, in sandgefüllten 63 Fässern steckten kleine Fichtenbäume, alles strahlte im Licht der Kerzen und überall prangte das Wappen der Stadt, der silberne Igel im roten Felde. Auf einer der größten Tonnen saßen die Musikanten, Pfeifer, Geiger und Trommler. Der kräftige Duft des gehackten Fichtenreisigs, mit dem der Boden bestreut war, erfüllte die Luft.

Die Berghäuerzunft war die erste der Stadt und sehr stolz auf ihre Rechte und Freiheiten; so gehörten denn viele der stattlichen Männer und geputzten Frauen, die zwischen den langen, weißgedeckten Tafeln hin- und herwandelten und sich zierlich an den Händen hielten, den vornehmsten Familien an. Goldbrokat schimmerte an den Kleidern und von Ringen und Halsketten leuchtete Edelgestein.

Dieter durchschritt die große Halle, in deren Mitte das vom König gespendete Faß, von einem Fichtenkranz umwunden, stand und fleißig angezapft wurde. Als er den Kanzler hier nicht fand, stieg er die Treppe zu den kleineren Gesellschaftsräumen hinauf. Hier war die Freude gedämpfter, aber nicht weniger lebhaft; eine schwatzende, lachende Menge saß an kleinen, blumengeschmückten Tischen und gab sich rückhaltlos den Freuden eines üppigen Schmauses hin. Gabeln kannte man noch nicht; man half sich mit dem Tischmesser, das vor jedem Gast lag, mit Brotstücken und den Fingern, die man von Zeit zu Zeit in bereitstehenden Wassergefäßen wusch.

Drunten im Saal verkündete jetzt ein Trompetenstoß den Beginn eines neuen Tanzes; man drängte sich an den Rand der Galerie und sah hinab. Zehn oder zwölf junge Männer stellten sich im Kreise um das Bierfaß; sie 64 trugen gezackte, bis zum Knie reichende Röcke mit silberdurchwirkten Gürteln, an denen kleine vergoldete Schellen klingelten; die äußerst engen Beinkleider waren unter dem Knie mit einem Bande geschmückt, das ebenfalls Schellen trug. Die Tänzer faßten sich bei den Händen; auf ein gegebenes Zeichen setzte die Musik ein; langsam zuerst, dann schneller und schneller drehte sich der Kreis, immer wilder wurden die Sprünge, immer lauter klingelten die Schellen, immer betäubender schrillten die Pfeifentöne, bis endlich die Erschöpfung der Tanzenden dem wilden Trubel ein Ende machte.

Wie geistesabwesend blickte Dieter in das Treiben. Also das nannte man hier tanzen? Er hatte andere Tanzkunst gelernt. Und das verrückte, sinnverwirrende Schellengeklingel! Er dachte an den Gecken Segamors im Parzival, von dem es heißt:

»Wer ihn zu suchen war erpicht,
der fand ihn wieder am hellen
Klang der läutenden Schellen.«

Eben wollte er den Raum verlassen, da fühlte er sich plötzlich von rückwärts ergriffen und festgehalten; zugleich legte sich eine Binde um seine Augen. »Es gilt einen Scherz, Junker,« flüsterte eine Stimme neben ihm; eine Hand griff nach der seinen und führte ihn weg. Neugierig, wie sich das Abenteuer entwickeln werde, ließ er sich alles gefallen; es war ihm, als befinde er sich jetzt in einem der kleinen Zimmer; Frauen mußten um ihn sein, er hörte das Rauschen von Kleidern und fühlte, daß man ihm etwas Kaltes, Rundes in die Hand drückte. »Wir tanzen 65 um den Ring!« rief eine fröhliche Stimme; die Musik begann eine sanfte Weise und an dem Geräusch von leichten Füßen merkte er, daß sich ein Ringelreihen von Mädchen oder Frauen um ihn drehte. Endlich schwiegen die Geigen und die Stimme rief: »Nun tretet vor und stecket den Ring an den Finger der Dame, die vor Euch kniet.« Unschlüssig wandte er sich hin und her und tat endlich einen Schritt; leiser Fliederduft schlug ihm entgegen; seine tastenden Hände ergriffen einen kühlen, schlanken Finger. Man nahm ihm die Binde ab und er sah vor sich im Kreise der knieenden Mädchen das hübsche, junge Ding, dem er eine Stunde vorher seinen Fliederstrauß geschenkt hatte.

Errötend sprang sie auf:

»Nun führt mich zum Reigen, wenn es Euch gefällig ist; aber vorerst lasset Euch meinem Oheim und der Muhme Ursula vorstellen.«

Sie machte einen zierlichen Knix und geleitete ihn an einen der Tische im Hintergrund.

Dort aber harrte seiner die zweite Überraschung; denn die breite, bärtige Gestalt neben der eifrig plaudernden Muhme Ursula war niemand anderer als Herr Kaspar Schlick.

»Ei, ei,« rief er gut gelaunt, »da sieht man das Junkergelichter! Das geht unter die Bürgersleute und steckt meiner kleinen Nichte einen Ring an den Finger.«

»Mit Gunst, Herr Oheim – nur im Scherz!« rief das Mädchen eifrig. Lachend wandte sich Kaspar Schlick zu der Muhme:

»Dies ist mein junger Freund Dieter von Wolfstein, ein artiger Junker, der gar schön die Laute zu spielen weiß.« 66 Muhme Ursula reichte die Spitzen ihrer trockenen Spinnenfinger zu kühlem Gruß.

»Nun tanzet brav, ihr Bönhasen, wir sehen euch zu.«

Und als sie im Reigen hin und her flatterten wie zwei Vögel, raunte er ihr ins Ohr:

»Sind sie nicht ein hübsches Paar?«

Aber die Alte schürzte geringschätzig die dünnen Lippen; sie mochte das junge Mannsvolk nicht leiden und nahm sich vor, auf die Margaret gehörig acht zu haben, daß ihr nicht etwa so ein Windbeutel dummes Zeug in den Kopf setze. Man konnte nicht genug aufpassen auf das Mädchen, an dem sie seit Jahren die Stelle der verstorbenen Mutter vertrat. Hätte der Vetter Schlick, der während der Dauer des königlichen Besuches in Iglau bei ihr wohnte, ihr nicht gar so sehr zugeredet, so säße sie jetzt samt dem Mädel hübsch daheim in der Stube, wo es doch nach ihrer festen Überzeugung am allerschönsten war.

Dieter, in dem Wahn erzogen, aus edlerer und wertvollerer Menschenklasse zu stammen als jene, der das frische Bürgerkind angehörte, mußte sich doch gestehen, daß er selten eine reizvollere Erscheinung gesehen hatte. Ihre Augen waren tief dunkelbraun; in dem schön gewellten Haar blitzten rötliche Lichter, als wären kleine Leuchtkäferchen darin versteckt. So leicht lag der biegsame Körper in seinem Arm, daß er kaum mit der Hand die Seide ihres Kleides zu berühren meinte.

»Wo habt Ihr denn tanzen gelernt, Jungfer Margaret?« fragte er.

»Ei, in unserer Stadtschule. Ihr dürft nicht denken, daß wir Bürgermädchen nicht auch allerlei höfische Künste 67 treiben. Ich kann sogar lesen und schreiben und goldene Stickereien fertigen; hab ich doch vergangene Weihnacht für den Altar der heiligen Anna in der Jakobskirche eine Decke gestickt.«

Dieter lächelte.

»Das scheint Euch gering, Junker, und doch mögt Ihr nicht glauben, wieviel Mühsal und Fleiß in solcher Arbeit steckt. Schafft Eure Mutter nicht auch dergleichen hübsche Sachen?«

»Ich habe keine Mutter mehr – seit meinem fünfzehnten Jahre,« erwiderte er ernst.

»Doch lebt Euch noch der Vater?«

»Den verlor ich vor kurzer Zeit. Aber ich will nicht davon sprechen. Es wäre gar traurig, was ich erzählen müßte, und paßte wohl schlecht zu der Fröhlichkeit, die uns umgibt.«

Sie blickte sinnend vor sich hin. »Ich kann Euch wohl verstehen, Junker. Bin auch eine Waise und habe meine Eltern kaum gekannt. Wer weiß, was aus mir geworden wäre, hätten sich die Muhme und der Oheim nicht meiner angenommen.«

»Da sind wir wohl beide einsam auf der Welt.«

»Und doch seid Ihr glücklicher als ich. Ihr habt eine schöne, frohe Kindheit gehabt, das steht in Eurem Gesicht geschrieben. Ihr müsset mir noch mehr davon erzählen. Wollt Ihr?«

Und er versprach es.

Als der Tanz zu Ende war, führte er das Mädchen wieder an seinen Platz zurück und saß bald im vertrauten Gespräch mit dem Kanzler, der sich nun seine Schicksale genau erzählen ließ. 68

Die Teilnahme des wackeren Mannes tat ihm in der Seele wohl. Und bald war nichts Fremdes mehr zwischen den beiden; immer wohlwollender ruhte der Blick des Mannes auf dem offenen, hübschen Antlitz und auch aus den dunklen Augen Margaretens traf ihn ein freundlicher Strahl. Er sprach von seiner glücklichen Knabenzeit, von den Fahrten des Vaters, von dem Abenteuer bei Nikopolis; Tränen standen in seinen Augen, als er jene Schreckensnacht schilderte, da die Hussiten die Burg stürmten; er zeigte den Dolch des Bajesid, vor dem Margaret erschreckt zurückfuhr, während Kaspar Schlick mit großem Interesse die schöne Metallarbeit musterte.

Das Faß, welches der König gespendet hatte, war längst geleert, doch zeigte niemand das Verlangen, nach Hause zu gehen; in mächtigen Kannen kam Malvasier und Muskateller auf den Tisch, die Lust stieg immer höher, der eine johlte, der andere tanzte, ein dritter sang zur Laute ein derbes Lied, dessen Kehrreim unbändiges Gelächter weckte.

Die Muhme drängte zur Heimkehr.

»Wollet Ihr bleiben, Vetter, so gönne ich Euch und dem Junker noch manche Stunde des Vergnügens; aber mir und Margaret gebt Urlaub; denn in so vorgerückter Stunde geschieht bei Tanz und Wein allerlei, was sich für junge Mädchenaugen nicht geziemen mag.«

Aber Kaspar Schlick hatte ebenfalls genug von dem lärmenden Treiben und Dieter bat um die Erlaubnis, der kleinen Familie das Geleit bis zum Hause geben zu dürfen; dann wollte auch er seine Herberge aufsuchen und sich durch einen ruhigen Schlaf für den morgigen Tag stärken, der vielleicht seine Zukunft entscheiden sollte. 69

»Begebt Euch nach dem Frühmahl in die Burg des Königs, Junker, und harret unten in der Halle, bis ich Euch rufen lasse«, riet der Kanzler. »Ich will bei guter Gelegenheit dem König Euren Fall vorlegen.«

Sie drängten sich durch die Menge; der Rat hatte ausnahmsweise gestattet, daß der Keller die ganze Nacht offen bleiben dürfe; und die zechenden Gäste machten von der seltenen Freiheit gern Gebrauch.

Dichte Finsternis lagerte über den Gassen. Man mußte langsam und vorsichtig gehen, um nicht auf dem schlechten Pflaster einen bösen Fall zu tun.

Kaspar Schlick, Arm in Arm mit der Muhme, schritt voraus, geleitet von einem Stadtknecht, der eine brennende Fackel trug; dann folgte Dieter mit Margaret. Der Nachtwächter kam mit Spieß und Laterne, leuchtete dem Kanzler ins Gesicht, verneigte sich tief und wackelte weiter.

Sie kamen an dem Hause des Schusters vorüber. Es war eingehüllt in eine Wolke von süßem, schwerem Fliederduft. Unwillkürlich blieben sie stehen und tranken in tiefen Atemzügen davon wie von einem starken Wein. Da – horch! Weiches, sehnsüchtiges Flöten kam aus der Tiefe des blühenden Baumes. »Das ist die Nachtigall vom Meister Schimke, ich höre sie oft bis in meine Schlafkammer hinein,« sagte Margaret. »Der Meister hängt den Käfig des Abends in den Baum, da singt sie so schön. Ach, sie ist geblendet, das arme Tierchen.« Sie standen ganz nahe beieinander und blickten in den Baum hinauf, wo das kleine schwarze Bauer leise hin- und herschwankte; immer trauriger und leidenschaftlicher klang das Schluchzen aus der Kehle des kleinen Vogels, als wollte er die grausamen Menschen 70 anklagen, die ihm das Augenlicht geraubt hatten. Margaret stand mit lässig herabhängenden Armen und einem Ausdruck tiefen Schmerzes auf dem zarten, schönen Gesicht.

»Was habt Ihr, Jungfrau?« fragte Dieter erschrocken. »Ich glaube gar, Ihr weint!« »Ach nein, es ist schon vorüber. Ich dachte nur . . . . es ist Euch wohl gleichgültig.« Dieter griff nach ihrer Hand und zog sie an seine Lippen; sie wehrte ihm nicht. »Ich möchte Euch gern ein Freund sein,« sagte er leise, »darf ich?« Sie blickte ihm ernsthaft ins Gesicht. »Ich kenne Euch noch zu wenig«, hauchte sie. »Später . . . . vielleicht . . . .«

Die Muhme wandte sich plötzlich um:

»So eile doch ein wenig, du traumseliges Ding! Blumengeruch ist nicht gesund und die alte Ursula hat Besseres zu tun, als wieder wie im vergangenen Jahr an deinem Bett zu sitzen und dich zu pflegen; und das viele Geld, das mich der Bader gekostet hat!«

Schweigend gingen sie das kurze Stück Weges bis zum Hause Frau Ursulas nebeneinander und wagten kaum sich anzublicken.

»Merket, was Ihr heute nachts träumet, Junker,« sagte Kaspar Schlick beim Abschied. »Und Kopf hoch – denkt an den Spruch an diesem Hause. Kennet ihr ihn?«

»Hab' mich redlich bemüht, die krause Schrift zu lesen«, erwiderte Dieter.

Noch ein Druck von feiner, seidenglatter Mädchenhand, eine Verbeugung gegen die Muhme – Dieter war allein.

Er ging durch die einsamen, hallenden Gassen der fremden Stadt wie im Traum. Noch immer war da und dort ein Fenster hell. Wie viele Lichter mochten wohl noch 71 brennen hinter diesen Mauern, die Tausende von Menschenschicksalen umschlossen – ein sehnendes Herz bedeutete das eine, andere bewachten den süßen Schlummer eines Kindes oder leuchteten dem sinnenden Haupt, das sich in tiefer Weltvergessenheit auf seine Arbeit beugte, und manches arme, trübe Flämmchen war vielleicht ein Totenlicht . . .

Aus dem kleinen Häuschen dort nahe an der Stadtmauer kam bunter Schein; eine Ampel barg die Flamme, deren farbige Gläser wie seltene Edelsteine glühten; der Raum aber, den sie erhellte, war voll von sonderbaren Dingen. Da standen Tintenflaschen und Gläschen mit Gold- und Silberfarben; Pinsel und Kielfedern lagen verstreut auf dem großen Arbeitstisch, auf der Staffelei war ein kleines Bild der Mutter Gottes, in Wasserfarben gemalt, mit roten Wangen und blauen Augen; aufgeschlagen auf dem Pult prangte eine geschriebene Bibel, hell schimmerten auf Goldgrund die bunten Figuren, pausbackige Engel mit gewaltigen Heiligenscheinen bliesen die Posaune, Christus der Heiland stand unter seinen Jüngern und streckte segnend die Hand aus.

Der Herr dieses kleinen Reiches war Peter Pehaim, der Briefmaler. Die ganze Stadt kannte und schätzte seine bunten Holzschnitte und Spielkarten. Sein langer Bart war schneeweiß; auf dem Kopfe lag ein rundes, schwarzes Samtkäppchen; der Rücken beugte sich unter der Last der Jahre, aber die Augen blickten hinter buschigen Brauen scharf wie geschliffener Stahl. Die Hände, braun und trocken gleich welkem Laube, hielten ein auf Papier gemaltes Frauenbildnis. Noch einen letzten prüfenden Blick warf er darauf, dann reichte er es dem Manne an seiner Seite: 72

»So, edler Herzog, hier ist das Konterfei Eurer lieben Hausfrau. Hab' es gar sorgsam gemalt mit meinen schönsten Farben und schier so viel Fleiß daran gewandt wie an die Muttergottes, die Euch so gut gefällt; denn Eure Gemahlin ist ein gar lieb und gutherzig Wesen, daran ein Mann seine Herzensfreude finden mag.«

»Ja, lieber Meister, da habt Ihr recht«, erwiderte der andere und drückte dem Alten die Hand. »Vielen Dank für die große Mühe, die Ihr Euch gegeben und die ich nicht bezahlen kann; was ich Euch ansonsten aber schulde, das wird morgen mein Kammerdiener . . . .«

Der Alte hob wie in stolzer Abwehr die Hand:

»Sprecht nicht von Geld, Herr Herzog, zumal jetzt nicht, da Ihr noch zu später Stunde meine arme Werkstatt mit Eurem Besuch geehrt habt. Ist's doch der schönste Lohn für einen Künstler, wenn das Auge eines klugen, verständigen Herrn voll Teilnahme auf seiner Arbeit ruht. Gefalle es Euch zu betrachten, was ich in den letzten Wochen geschaffen; erkennt Ihr dieses Bild?«

Er wies auf ein Blatt, das einen bärtigen Mann im kaiserlichen Ornat darstellte, Szepter und Reichsapfel in der Hand; in weiten, kunstvoll angeordneten Falten floß das Gewand an ihm herab. Ein blauer Baldachin mit goldenen Sternen wölbte sich über ihm; zur Seite stand der böhmische Löwe.

»Der große Kaiser Karl!« rief der Herzog. »Schön habt Ihr das gemalt, Meister, wunderschön! Da waret Ihr wohl so recht mit dem Herzen bei der Sache, gelt?«

»Mag wohl so sein, edler Herr.«

»Es ist so traurig,« sagte der Herzog mehr zu sich selbst als zu dem alten Mann, »wenn man immer die Faust am 73 Schwertgriff haben muß und doch so gern die Künste des Friedens fördern möchte, die unser Leben erleuchten, wie diese schöne, bunte Lampe Eure Werkstatt . . . . Ja Alter, ich beneide Euch um Eure Kunst und Arbeitsfreude und um diesen stillen Winkel hier. Wahrlich, Ihr habt das bessere Teil erwählt!«

Der Meister lächelte vor sich hin.

»Das sagt sich leicht, Herr Herzog. Aber im Grunde wolltet Ihr doch nicht mit mir tauschen.«

»Vom Wollen ist keine Rede, guter Freund; es fragt sich, ob ich tauschen kann und darf. Seht, da liegt's!«

Er ging mit hastigen Schritten in der Werkstatt auf und ab; sein dunkles Gesicht färbte sich noch tiefer in der Erregung des Augenblicks. Die großen, schwarzen Augen funkelten, die Zähne blitzten zwischen den allzu vollen Lippen, als er, zu dem Alten gewendet, sprach:

»Ein Fürst gehört nicht mehr sich selbst von dem Augenblick, da er die Sorgen eines ganzen Landes auf sich genommen hat – und wahrlich, ich weiß keinen Ort in der Christenheit, wo die Verwirrung ärger wäre als hier. Ja, sitze nur stolz auf deinem Throne unter den goldenen Sternen, großer Kaiser Karl – dir schien die Sonne des Friedens und du hast es klug verstanden, zur rechten Zeit zu sterben! Aber sagt, Meister, was treibt Ihr da?«

Pehaim hatte einen Druckstock mit Farben bestrichen und ein Blatt Papier darauf gelegt, das er mit dem Ballen der Hand leicht gegen das Holz drückte; dann hob er das Blatt vorsichtig ab und zeigte es dem Herzog. »Ellsabeth« stand da in dunkelroten Lettern auf dem weißen Grund. 74

»Wie artig von Euch, den Namen meiner Gattin für mich abzubilden,« sagte der Herzog lächelnd, »aber ich verstehe nicht . . . .«

»Will Euch nunmehr was Neues zeigen. Gebt acht!«

Und er nahm den Druckstock, den er vorher in einzelne Stücke zersägt und wieder zusammengefügt hatte und sprach:

»Sehet, nun nehme ich das E, das l, das i, das s, das a, und bilde daraus einen anderen Namen.«

Und wieder drückte er ein Blatt gegen die holzgeschnitzten Schriftzeichen; da stand das Wort »Elias«.

»Begreifet Ihr, was ich meine?«

»Kann Euch nicht ganz verstehen, Meister.«

»Es ist keine bessere und edlere Kunst als die des Schreibens,« begann der Alte nach einer langen Pause. »Sie bewahrt uns die Weisheit der Urväter noch nach vielen hundert Jahren so treulich, wie dieses Bild die Züge Eurer Gemahlin bewahren wird, wenn sie längst nicht mehr auf Erden wandelt. Sie gibt den unsichtbaren Gedanken die Form und läßt sie klingen wie des königlichen Psalmensängers Lied, das einst in seinem Herzen eingeschlossen war, ehe er es sang zum Ton seiner goldenen Harfe. Und wer zum Volke sprechen will vom Thron oder vom Altar oder von der Kanzel, der muß zuerst die Gedanken festhalten durch das Bild der Schrift – ist es nicht so?«

Der Herzog nickte.

»Aber die Schreibkunst ist nicht bloß schwierig zu erlernen, sondern auch mühsam, zumal für einen alten Mann. Oft, wenn ich mit krummem Rücken vor meinem 75 Pult sitze und die Finger zu zittern beginnen, da denke ich bei mir: was nützt es, wenn du eine oder zwei oder drei Abschriften anfertigst? Könntest du dir's nicht leichter machen? Wie, wenn man die Schriftzeichen in Holz schneiden und zusammensetzen würde? Dann brauchte man nicht jedes einzeln mühsam hinzumalen. Wie viel mehr könnte man dann leisten, wie viel Arbeit wäre erspart und wie viel Kraft! Und noch eines, Herr Herzog: wenn solch eine mühsam hergestellte Abschrift zugrunde geht durch Brand oder Verwüstung, ist sie auf ewig dahin; wenn ich sie aber hundertmal konterfeien kann, so ist sie so gut wie unsterblich und der Gedanke, der in ihr lebt, kann nimmer ausgelöscht werden von der Tafel menschlicher Erinnerung! Nichts Großes und Wahres, das Menschen je gefunden haben, ginge verloren! Versteht Ihr mich nun?«

Der Herzog war aufmerksam geworden.

»Aber mich deucht, das Abdrucken ginge noch viel langsamer als das Schreiben mit der Hand.«

»Wer weiß?« fragte der Alte sinnend. »Man müßte etwas erfinden, daß man die ganzen Seiten recht einfach und schnell abbilden könnte; man müßte die Zeichen wieder auseinander nehmen und aufs neue verwenden; dann könnte man zehn, zwanzig, hundert Blätter herstellen ohne Mühe – nicht?«

»Da würden aber die Abschreiber bald ihr Brot verlieren.«

»Warum? sie müßten eben mit den geschnitzten Zeichen arbeiten statt mit der teuren Tinte und den Federn und Pinseln. Denket nur, Herr Herzog, wenn Ihr eine Nachricht oder einen Befehl schnell verbreiten wolltet und Ihr 76 sendet an jeden, dem Ihr ihn kund zu tun wünscht, ein solches Blatt: wäre das nicht viel besser und wirksamer als das beschwerliche Abschreiben?«

Die beiden Männer schwiegen lange; unklar und nebelhaft stieg ein Gedanke in ihrem Hirn auf, wollte Gestalt gewinnen und zerflatterte wieder – einer von den großen Königsgedanken der Menschheit.

»Ich will recht emsig weiter nachsinnen über die Sache, es gibt noch zu viel dabei zu bedenken. Hab' meine alten Römer nicht umsonst studiert und meinen Wahlspruch von ihnen gelernt: Per aspera ad astra; »durch Nacht zum Licht«, kann man's ins Deutsche übersetzen. Schade nur, daß der alte Peter Peheim nimmer lange auf dieser Erde zu Gast sein wird, denn solche Dinge brauchen Zeit. Was liegt daran – vielleicht kommt einmal ein Jüngerer, ein Besserer und Stärkerer als ich, dem mag's gelingen . . . .«

Er stützte den kahlen Kopf in die Hand und versank in tiefe Gedanken.

Der Herzog klopfte ihm auf die Schulter:

»Lebt wohl, Meister! Und wenn Ihr wieder weiter gekommen seid mit Eurer Erfindung, lasset mich's wissen. Gute Nacht!«

Finsternis brütete in den engen Gassen. Alle Lichter waren jetzt erloschen; der Herzog hatte Mühe, sich zurechtzufinden. Er schritt längs der Stadtmauer zu einer aufwärts führenden Treppe. Langsam stieg er die Stufen empor bis an den zinnengekrönten Rand.

Droben löste sich eine Gestalt aus dem Schatten, Eisen klirrte, ein Armbrustschütze trat vor und hob seine Waffe:

»Die Losung!« 77

»Sankt Michael.«

»Bei Gott, unser gnädiger Herzog,« rief der Wächter erschrocken. »Verzeihet, daß ich Euch nicht erkannt in der Dunkelheit.«

»Setze deinen Rundgang nur fort, mein Sohn. Alles in Ordnung?«

»Alles in Ordnung,« sagte der Mann und verschwand hinter der nächsten Zinne.

Der Herzog spähte in die Nacht hinaus. Hinter ihm schlief die Stadt; die Sterne zogen ihren Pfad am Himmel, die schweigenden, ewigen Sterne, die nichts wußten von Krieg und Schlacht in ihrer seligen Ruhe; matt flimmerte die Milchstraße, der große Wagen spannte seine weiten Bogen und mit rotem Lichte strahlte Jupiter, als wolle er die Stelle des Mondes vertreten, der längst untergegangen war.

»Mein Stern!« flüsterte der Herzog. »Wohin geht deine Bahn? Ist es wahr, was mir der alte Magister Christian von Prachatitz prophezeiht hat: ich werde nicht sterben, ehe der große Gedanke meines Lebens vollendet ist? Wenn man sie doch deutlicher verstünde, die Sprache der himmlischen Zeichen, die so offenkundig mit unserem Schicksal in Verbindung stehen! Mir droht eine große Gefahr, sagte er nicht so? Sei es denn, es ist nicht die erste und wohl nicht die letzte meines harten Lebens.«

Er spähte gegen Osten in die Landschaft hinaus.

»Noch immer kein Feuerzeichen. Sind denn meine Ritter aus Österreich noch nicht gerüstet? Oder lauert auch dort Verrat?«

Er neigte sich über die Mauer. Unter ihm gähnte die Tiefe; aus dem schlammigen Wasser des Stadtgrabens 78 stieg Sumpfgeruch auf und eintönig klang das Quaken der Frösche. Plötzlich vernahm er hinter sich ein leises Geräusch. Kaum hatte er Zeit, sich halb umzuwenden, als ein Mann sich mit voller Kraft gegen ihn warf. Die Wucht des Stoßes hätte vollauf genügt, um ihn über die Stadtmauer hinab dreißig Fuß tief in den Wallgraben zu stürzen, wäre er nicht im letzten Augenblick zur Seite gesprungen. Sie rangen miteinander; er sah das Gesicht des Feindes vor sich, ein grimmiges, wutverzerrtes Gesicht mit funkelnden Augen; mit aller Kraft seiner sehnigen Arme drängte er ihn gegen den Rand der Mauer. Der Herzog hielt stand; sie schoben sich hin und her auf dem engen Raum, umschlangen sich immer fester, keuchten einander mit ihrem heißen Atem an, ohne ein Wort zu sprechen.

Und kalt und gleichgültig flimmerten droben die Sterne und der Chor der Frösche, der einen Augenblick verstummt war, erfüllte wieder die laue Sommernacht.

Auf der Stirn des Herzogs brach der Schweiß aus. Er fühlte, daß er nicht mehr lange Widerstand leisten konnte. Der Gegner, stärker als er, hatte nach seinem Halse gegriffen und begann ihn zu würgen. Näher und näher kamen sie dem Rand; ein gurgelnder Laut brach aus dem Mund des Feindes. Noch ein paar Augenblicke und sie mußten in ihrer tödlichen Umarmung in die Tiefe stürzen.

Da zerriß ein Schrei die Luft. Ein junger Mensch, in dessen Hand ein Messer blitzte, sprang auf die Mauer. Ein Stoß – die Finger, die sich um den Hals des Herzogs krallten, lösten sich; ein zweiter, und die Arme, in deren Umschlingung er wie in einem Schraubstock lag, fielen von ihm ab; dann kollerte ein schwerer Körper über die Stufen. 79

Der Herzog richtete sich auf und starrte den Fremden an, der seinen Dolch in die Scheide steckte.

»Der rührt sich nimmer,« rief er dem atemlos herbeistürzenden Wächter zu. »Laßt uns hinabgehen, Herr! Seid Ihr verwundet?«

»Nein,« erwiderte der Herzog. »Aber sagt, wer seid Ihr, dem ich mein Leben verdanke?«

»Bin Euresgleichen, ein Ritterbürtiger wie Ihr. Das mag Euch genügen, Herr.«

»Meinesgleichen?« sagte der andere lächelnd. »Nun, ich will's gelten lassen. Aber was trieb Euch denn zu solch ungewohnter Zeit nach der Zinne der Stadtmauer?«

»Ich sah Euch längs der Häuser dahingehen, langsam, wie einen, der in tiefem Sinnen wandelt; hinter Euch aber schlich, immer den Blick nach Euch gerichtet, ein Fahrender, dessen Art mir verdächtig schien; und weil mir heute früh ein fremdes Weib von einem schwarzen Ritter Gutes für meine Zukunft geweissagt, so konnte ich nicht anders, ich mußte Euch folgen.«

Der Herzog lächelte wieder.

»Ihr müsset noch recht jung sein und ein wenig närrisch dazu . . . . Gleichviel, ich segne das fremde Weib und seine Weissagung. Und was sahet Ihr weiter?«

»Ihr stieget auf die Mauer, der Fremde Euch nach – da wußte ich, daß Euch Gefahr drohe. Und bald wäre ich zu spät gekommen.«

Sie waren in einer der Hauptstraßen angelangt. Der fremde Herr stand vor einem großen Hause still und schlug zweimal mit dem Schwert an das Tor.

»Da Ihr zu stolz seid, Euren Namen zu nennen, junger Mann, so sollt Ihr den meinen auch nicht erfahren. 80 Schweiget gegen jedermann von dem Erlebnis dieser Nacht. Wenn Ihr klug seid, so habt Ihr heute einen Freund gewonnen – einen mächtigen Freund. Gehabt Euch wohl!«

Er sprach die letzten Worte mit dem Tone eines Mannes, der gewohnt ist zu befehlen. Während Dieter noch zweifelnd stand und eine Frage auf den Lippen hatte, öffnete sich das Tor. Diener mit langen Stablichtern erschienen im Hausflur und neigten sich tief. Zwischen ihnen hindurch schritt, hoch aufgerichtet, der schwarze Ritter.

 


 << zurück weiter >>