Egid Filek
Wie Dieter die Heimat fand
Egid Filek

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V.

In der Burg von Iglau, deren kleine Fenster in das weite Tal des Heulos hinabblickten, wo zwischen Weidengebüsch und grünen Wiesen das Iglbächlein dahinfloß, saß König Sigismund mit seinem Kanzler und einigen vertrauten Herren des Hofes in eifriger Beratung.

Das mäßig große Zimmer war recht einfach eingerichtet; Spiegel, Bilder und Kunstgegenstände gab es nicht, den einzigen Wandschmuck bildeten ein paar gewirkte Teppiche mit Landschaften und Jagdszenen. Trotz des schönen Frühlingswetters brannte in dem großen Kamin ein tüchtiges Feuer; noch hauchten die meterdicken Steinwände die Kälte des vergangenen Winters aus und die alten Knochen des Königs waren in den letzten Jahren sehr empfindlich geworden.

Und doch war er noch immer ein schöner, stattlicher Herr, wenn auch der blonde Bart längst ergraut war und die Krähenfüße bei den Augen sich immer schärfer 81 eingegraben hatten; sein Gesicht strahlte in rosiger Gesundheit und die blitzenden, feurigen Augen flößten heute noch seinen Gegnern einen geheimnisvollen Schrecken ein. Eine weniger elastische Natur wäre unter den Aufregungen des beständigen Thronkampfes längst zusammengebrochen.

Die hohe Gestalt umschloß ein weiter, mit Pelz verbrämter Rock, dessen bauschige Glockenärmel fast bis zum Boden herabhingen; in den kostbaren, hellgrauen Seidenstoff waren kleine silberne Blumensterne eingewirkt. Die schmalen Hände mit den vielen Ringen, an denen kostbare Edelsteine blitzten, krampften sich unmutig um die Armlehne des Stuhles, und die buschigen, noch immer goldig schimmernden Brauen zogen sich zusammen, als er den Kanzler fragte:

»Habt ihr Botschaft an den Herzog geschickt, daß wir eine wichtige Sitzung haben? Mich wundert, daß er noch nicht hier ist.«

»Seine Hoheit ist rechtzeitig verständigt worden«, erwiederte Schlick. »Gefalle es unterdessen meinem Herrn den Brief zu lesen, der die böhmischen Gesandten zum Konzil nach Basel ladet.«

Er reichte dem König das umfangreiche Schriftstück. Sigismund überflog es rasch und legte es mit gleichgültiger Bewegung zur Seite.

»Das wird uns wenig helfen. Wie oft schon gab es Besprechungen und Konzile und halbe Zugeständnisse und noch immer ist kein Frieden im Lande, noch immer kann ich nicht in Böhmen einziehen. Ich sage Euch, meine Herren: solange wir diese verruchten Ketzer nicht mit Übermacht zu Boden geworfen haben, sollen wir kein Wort von Unterhandlung reden. Ich hoffe noch immer auf einen Sieg.« 82

»Seine päpstliche Heiligkeit rät uns in ihrem letzten Schreiben, beides zugleich zu versuchen, Unterhandlungen auf dem Konzil und einen neuen Feldzug«, bemerkte der Kanzler. »Auch ist bereits ein vollkommener Ablaß ausgeschrieben für alle, die sich an dem Werk beteiligen wollen.«

»Ach, der Papst ist zu schwach«, erwiderte der König verdrießlich. »Er besitzt die Tugenden eines Mönches, aber in dieser Zeit kommt man mit der Milde nicht weiter. Es ist das größte Unglück für unsere Sache, daß Martin der Fünfte nicht mehr lebt. Der war der richtige Mann voll Tatkraft und Schlauheit, ein echter Streiter des Herrn der niemals vor den Ketzern zurückwich. Was meint ihr, Freunde: sollen wir noch einmal ein großes Heer rüsten und es auf eine Schlacht ankommen lassen?«

»Wären doch nur unsere Ritter verläßlicher im Kampfe«, sagte Kaspar Schlick nach einem langen Schweigen. »Aber das tjostet und turniert und springt im Reigentanz herum, läßt sich von den fahrenden Gauklern preisen und von schönen Frauen silberne Becherlein schenken und zieht auf Plünderung und Abenteuer, wenn das Geld verpraßt ist. Jeder spielt den Herrn, gehorchen mag niemand. Bei den Hussen ist bessere Manneszucht; darum haben wir bisher immer noch den kürzeren gezogen.«

Der Kanzler fand Beifall und Widerspruch; die Herren redeten eifrig durcheinander. Ja, es war richtig, die Zucht im Heere taugte nichts. Aber das konnte doch nicht das Ende dieses bitteren, so viele Jahre dauernden Kampfes sein, daß Bauernhaufen mit Dreschflegeln und Knütteln über die Blüte der feinsten ritterlichen Kriegskunst triumphierten. 83

Während der König, der sich an der Wechselrede nur wenig beteiligte, ärgerliche Blicke bald nach der Türe bald nach dem leeren Stuhl an seiner Seite richtete, wo der Herzog gewöhnlich bei der Beratung saß, tönte aus der Ecke des Saales ein helles Klirren und Klappern, als würfe jemand metallene Gegenstände auf die Steinfliesen. Dort saß Gunzo, der Hofnarr; seine Zwergengestalt mit dem großen Höcker steckte in einem knappen Wams, das den Fehler noch auffallender machte; das rechte Bein war von einem grünen, das linke von einem roten Strumpf umschlossen; die Schellen an seinem silbernen Gürtel hatten die Gestalt und Größe von Lilien. Gunzo war ein altes Erbstück des Königshauses; in zartem Kindesalter hatte ihn Kaiser Karl aus Frankreich gebracht, dann diente sein derber Witz dem jähzornigen König Wenzel zu gelegentlicher Erheiterung und nun sorgte Sigismund dafür, daß er in alten Tagen nicht Not leiden mußte.

Er neigte sein gelbes Faltengesicht mit der spitzen Nase zu Boden und scharrte ein Häuschen Kupfermünzen zusammen, mit denen er gespielt hatte.

»Störe unsere Beratung nicht mit deinem albernen Geklapper, Narr! Was treibst du eigentlich dort?«

»Ich liege in Fehde mit den Mäusen, Herr, die mir den Schlaf stören«, sagte Gunzo mit einfältigem Lächeln, »und da will ich gepanzerte Krebse in Sold nehmen; aber als ich vorhin zum Bach hinabging, sagten sie mir, daß kein Krieger umsonst dienen könne. Und so oft ich mein Geld zähle, es langt nicht. Das ist doch traurig, wie?« 84

Der König verstand die Anspielung und lachte:

»Dann geht's dir so wie mir. Versuch's einmal und predige einen Kreuzzug, vielleicht tun es deine Ritter um den himmlischen Lohn. Meine sind nicht so fromm.«

»Wer nichts hat, muß borgen«, fuhr der Narr fort und warf einen kupfernen Schilling in die Luft, den er mit dem Munde auffing. »Wieviel leiht Ihr mir wohl auf meine Narrenkrone, Freund Schlick?«

Die Hofherren, die wohl wußten, daß der König einst in arger Geldklemme den Nürnbergern Krone und Szepter verpfändet hatte, bissen sich auf die Lippen. Sigismund schoß einen zornigen Blick auf den Narren:

»Der Kanzler wird dir nichts borgen, aber von mir kannst du fünfzig Peitschenhiebe bekommen, wenn's dich darnach gelüstet.«

Gunzo schwieg still. Er kannte den jähen Wechsel fürstlicher Launen und hatte es mit angesehen, wie König Wenzel seinen Kammerherren in übler Stimmung die Stiefel an den Kopf warf und auf die harmlosen Spaziergänger in den Straßen von Prag seine Jagdhunde hetzte.

Draußen klirrten Waffen. Die Türe ging auf und Herzog Albrecht trat über die Schwelle. Er trug ein Lederwams und einen einfachen Panzer; seine hohe Gestalt, das dunkle Gesicht mit den aufgeworfenen Lippen und hervorstehenden Zähnen bildete einen sonderbaren Gegensatz zu den feinen Zügen und der prächtigen Kleidung seines Schwiegervaters.

»Ihr kommt spät, lieber Sohn. Seid uns dennoch willkommen; denn wir bedürfen gar sehr Eures Rates«, sagte der König mit gewinnender Liebenswürdigkeit. 85

Albrecht ließ sich an seiner Seite nieder:

.,Ich bringe Euch dafür auch gute Kunde. Endlich erfahre ich, daß fünftausend meiner Ritter aus Österreich bei Znaim gelagert sind und uns Hilfe bringen werden.«

»Sehr gut«, rief der König lebhaft. »Ihr seht, meine Herren, wir können doch noch einen großen Streich wagen, der besser treffen soll als der letzte.«

Der Herzog blickte erstaunt.

»Was höre ich? Ihr wollt nochmals kämpfen? Es ist unmöglich, Majestät; bedenket, welche Verwirrung in unseren Ritterheeren herrscht. Wir werden genug zu tun haben, um uns in den Stellungen zu halten. Wenn wir nicht unsere Kampfesweise von Grund aus ändern, stehe ich für nichts. Mein Rat ist der: bleiben wir einstweilen in der Verteidigung. Wenn Eure königliche Majestät nach Italien zieht, so sind wir abermals um mehrere tausend Mann schwächer. Wie sollen wir da einen entscheidenden Schlag führen?«

Sigismund rückte unruhig auf seinem Stuhle hin und her:

»Ich habe Euch doch Streitkräfte genug im Lande gelassen. Bei Euren großen Fähigkeiten und Eurer Erfahrung zweifle ich gar nicht daran, daß Ihr siegen werdet. Nur eines tut uns not: Geld. Wir müssen noch ein paar Städte und Herrschaften verpfänden.«

»Ich denke, es ist schon zuviel davon dem Reich entfremdet,« bemerkte der Herzog in aufsteigendem Ärger, »wie soll ich Ordnung in diese üble Wirtschaft bringen, wenn ich später einmal hier herrschen werde?«

Der König zuckte die Achsel.

»Dennoch kann ich den Zug nach Italien nicht mehr aufschieben. Die Kaiserkrone wird meine Macht erhöhen 86 und ich denke persönlich den heiligen Vater noch zu vielen Zugeständnissen zu überreden, die unserer Sache nützlich sein werden. Herr Kaspar Schlick soll mir dabei behilflich sein.«

»Wie, Ihr nehmt den Kanzler nach Welschland mit?«

»Gewiß«, lachte der König, der über den Schrecken des Herzogs belustigt schien, »ich kann ihn nimmer entbehren und er wird gerne gehen, wenn ich ihm verspreche, daß er als Freiherr zurückkommt. Was meint Ihr dazu, Herr Schlick?«

Kaspar Schlick empfand ein höchst peinliches Gefühl. Es war nicht das erstemal, daß er zwischen den beiden Herrschern stand, denen er in Treue diente und die doch so grundverschiedener Natur waren. Da ging es nicht ab ohne beständiges Nachgeben und vorsichtiges Ausweichen.

»Ich folge dem Befehle meines Königs«, sagte er gemessen.

»Bei Gott! Ich hätte Euch lieber an meiner Seite gehabt«, rief Albrecht und stieß sein Schwert auf den Boden, daß es klirrte. »Mir ahnt, daß uns noch schlimme Dinge drohen und bei den Verhandlungen mit den Böhmen kann ich einen klugen Kopf sehr notwendig brauchen. Das war ein übler Streich, den mir Eure Majestät da gespielt hat.«

»Auch meine Händel mit der römischen Kurie erfordern einen klugen Kopf«, erwiderte Sigismund eigensinnig. »Freuet Euch, Herr Schlick, Italien ist ein gar schönes Land; und wenn seine Bewohner treulos und falsch gegen uns sind, können das goldene Himmelslicht und die milde Luft und die herrliche Landschaft nichts dafür. Marmortempel mit alten Götterbildern werdet Ihr dort sehen, 87 Lorbeerbäume und schwarze Zypressen und Paläste und Kirchen mit strahlendem Goldschmuck, gegen welche die unsrigen armselig und dürftig sind. Dort will ich noch einmal jung werden, unter jenem blauen Himmel!«

In die Wangen des Königs stieg die Röte; seine Augen leuchteten wie die eines schwärmenden Jünglings.

»Und ich soll inzwischen hier das Krumme grad biegen und mich mit übermächtigen Feinden herumschlagen?« seufzte der Herzog. »In den Straßen der Stadt bin ich nicht meines Lebens sicher, wie ich heute nachts erfahren mußte. Wüßte ich einen, der mir wahrhaft ergeben ist, treu und ohne Falsch wie ein edler Hund, ich wollt ihn meinen Bruder nennen und ihn reich und glücklich machen. Aber es scheint, daß die Welt aus den Fugen geht und keine Treue mehr zu finden ist.«

»Lasset uns zur Sache kommen, meine Herren«, sagte der König. »Wie denkt unser Schwiegersohn über eine Erneuerung des Kampfes? Meine Räte sind der Meinung, daß wir es noch einmal versuchen sollten.«

»Nein«, erwiderte Albrecht mit Bestimmtheit. »Wer den Tag von Taus erlebt hat, weiß, daß es Wahnsinn wäre Das schönste Reichsheer seit einem Menschenalter, achtzigtausend Mann streitbares Volk, achttausend Wagen, vierzehntausend gerüstete Pferde, Bischöfe und Erzbischöfe im Federnschmuk, rauschende seidene Fürstenfahnen, ein Kardinal im vollen Ornat – und das alles läuft davon, schmachvoll, ohne Schwertstreich, daß kaum das Banner der guten Stadt Straßburg den elenden Rückzug decken kann! Nein, zu solch schimpflichem Spiel gebe ich meine Ritter nicht her.« 88

Es entstand eine schwüle Pause. Die Räte des Königs, die sich's mit dem Thronfolger nicht verderben wollten, wagten keinen Widerspruch. Nur Kaspar Schlick heftete seine scharfen Augen auf Sigismund und sagte:

»Wir werden also doch den Weg der Unterhandlungen gehen müssen. Man berichtet mir, daß zwischen Prokop und Magister Rokyzana Feindschaft herrscht; wenn wir die Partei des Magisters gewinnen, sind die Taboriten matt gesetzt.«

»Der Rat ist klug«, bemerkte Albrecht. »Hätten wir nur schon früher verhandelt, wie große Verluste wären uns erspart geblieben.«

Sigismund runzelte die Stirn:

»Es brennt mir auf der Seele wie Schmach, wenn ich daran denke, daß ich mein Wort an Ketzer verpfänden soll.«

Der Herzog neigte sich zum Ohr des Königs und flüsterte:

»Einst gab ein Fürst sein Königswort für freies Geleite, aber er hielt es dem nicht, dem er es versprach.«

Der König zuckte zusammen; doch rasch gefaßt erwiderte er:

»Ihr meint den Hus. Aber Euer Vorwurf trifft mich nicht. Gab ich ihm nicht Geleite nach Kostnitz und wieder zurück? Was ihm in der Stadt selbst geschah, dafür hab' ich mein Wort nicht verpfändet.«

»Es war einer Eurer Vorgänger auf dem Throne des deutschen Reiches,« fuhr der Herzog mit noch leiserer Stimme fort, »der sagte: ein Königswort soll man nicht drehen noch deuteln.«

»Wie kommt Ihr dazu, die Partei eines von der Kirche verurteilten Ketzers zu nehmen?« 89

»Ich nehme nicht seine Partei«, erwiderte der Herzog stolz. »Aber das weiß ich: nie noch hat ein Mann mit reinerer Hand und reinerem Herzen nach großem Ziel gestrebt. Lasset Euch sagen, Herr, daß der Brand, der sich auf diesem Scheiterhaufen entzündet hat, nicht mit Gewalt gelöscht werden kann. Es ist eine neue und wunderliche Zeit, in der wir leben. Und ihre Kräfte sind stärker als die unsrigen, mögen wir auch auf Thronen sitzen.«

Kaspar Schlick fuhr fort:

»Wenn mich nicht alles täuscht, so werden die Gemäßigten und die Wilden in kurzer Zeit auf Tod und Leben miteinander streiten. Die Böhmen kann man nur durch Böhmen bekämpfen. Warten wir ab, wer siegen wird, inzwischen können wir immerhin unsere Bevollmächtigten in Basel verhandeln lassen.«

»Und Eure Ritter aus Österreich, Herzog?« fragte der König.

»Die müssen die mährische Grenze schützen, sonst kommen die Hussiten uns von neuem auf den Hals. Ich selbst will tausend Berittene mitnehmen und Eurer Majestät das Geleite bis an die Donau geben.«

Der König nickte Zustimmung.

Man besprach noch eingehend die Weisungen, die den Bevollmächtigten nach Basel mitgegeben werden sollten, worauf Sigismund seine Räte verabschiedete.

Kaspar Schlick stand im Hintergrund und wartete, bis er mit dem König und dem Herzog allein war.

»Noch etwas, Schlick? Macht es kurz. Wir sind müde von der langen Beratung.«

»Nur ein Wort, Majestät«, erwiderte der Kanzler und zog den Dolch des Bajesid hervor. »Kennt mein Herr diese Waffe?« 90

Aufmerksam betrachtete der König den blitzenden Stahl. Eine ferne Erinnerung schien in ihm aufzudämmern; er legte die Hand an die Stirn:

»Mir ist, als hätte ich diesen Dolch einst jemandem für einen Dienst geschenkt . . . . So helfet doch meinem Gedächtnis nach, Kanzler, ich lese in Euren Augen, daß Ihr mehr wisset, als ich.«

»Es war bei Nikopolis, Majestät.«

»Richtig, bei Nikopolis. Das ist schon lange her, es war ein schlimmer Tag für mich und die Meinen.«

»Der Ritter Heribert von Wolfstein rettete Eurer Majestät das Leben.«

Der König runzelte die Stirn.

»Das Leben? Wer sagt Euch das? So übel stand es doch nicht um uns. Wohl verloren wir die Schlacht und die Janitscharen schlugen meine Ritter in Massen zu Tode; aber mein Fähnlein stand aufrecht; und hätten alle ihre Pflicht getan wie ich, so wäre ich heute noch König von Ungarn und müßte mich nicht hier mit den Ketzern herumschlagen!«

Aufgeregt schritt der König im Zimmer hin und her. Die Geister des Vergangenen, gelockt von dem kalten Glanz des Dolches, der auf dem Tische lag, standen auf und schwebten um ihn her; und es waren keine freudigen Erinnerungen, die sie in seiner Seele weckten.

»Heribert von Wolfstein! Ja, er deckte mich mit dem Schilde, als ich vom Pferde stürzte; das hätte jeder andere aus meinem Gefolge auch getan. Und dafür gab ich ihm diesen Dolch. Ist er hier, der Wolfsteiner? Und was will er von mir? Warum hat er sich so lange Zeit gelassen, seinen Lohn zu fordern?« 91

»Heribert von Wolfstein ist tot,« erwiderte der Kanzler ernst, »erschlagen von den Hussiten, die seine Burg verbrannt haben; aber sein Sohn Dieter bittet um die Gnade, sich Eurer Majestät vorstellen zu dürfen.«

Der König horchte auf.

»Er soll mir willkommen sein. Ich bedarf eines glänzenden Gefolges für den Zug nach Welschland. Wieviel Mannen und Knechte kann er uns zuführen?«

»Leider steht es mit dem jungen Menschen so, daß er verarmt ist und um einen Dienst bei Hofe bittet.«

Es entstand eine kleine Pause.

»So, so«, murmelte der König. »In Armut geraten – der Sohn eines Ritters – hm, hm. Von solchen Leuten haben wir freilich weder Ehre noch Nutzen und es sind nachgerade genug, die von unserer Habe zehren.«

Der Kanzler machte eine bedauernde Handbewegung.

»Und zumal jetzt, wo wir mitten in den Vorbereitungen zur Abreise stehen! Vertröstet Euren Schützling auf gelegenere Zeit, Kanzler. Vielleicht können wir nach unserer Heimkehr aus Italien seinen Wunsch erfüllen. Gebt ihm eine glatte Antwort, Ihr wisset, ein König darf niemanden mißvergnügt von sich gehen lassen. Gehabt Euch wohl, Ihr Herren.«

Er verließ das Zimmer. Die hohe Gestalt mußte sich bücken, um nicht am Türbalken anzustoßen. Mühsam barg der Kanzler seine Enttäuschung.

Der Herzog war an den Tisch herangetreten und nahm den Dolch in die Hand. »Seht doch, auf dem Griff steht ein Koranspruch.« ›Jedem Menschen haben wir geheftet sein Geschick an den Nacken,‹ las er. »Bei Gott, auch 92 mir kommt diese Klinge bekannt vor. Kanzler, sagt, wer ist dieser Dieter von Wolfstein? Wie sieht er aus?«

»Er wartet unten in der Halle, Hoheit. Darf ich ihn hereinführen lassen?«

»Gewiß.«

Kaspar Schlick winkte einem Knaben; eine Weile später trat Dieter ins Zimmer.

»Seine Gnaden der Herzog Albrecht von Österreich wünscht mit Euch zu sprechen.«

»Der Herzog von Österreich?« fragte Dieter.

»Seid klug«, flüsterte ihm Kaspar Schlick ins Ohr, und zu Albrecht gewendet, sprach er:

»Es ist ein tapferer und ehrlicher Bursch, für den ich mich verbürge, wenn er auch jung an Jahren ist.«

»Ein hohes Lob, Junker,« bemerkte der Herzog, der ihn prüfend betrachtete, »Kaspar Schlick verbürgt sich nicht so leicht für jemanden.«

Maßloses Erstaunen malte sich auf dem Gesicht des Jünglings.

»Ihr seid es, Herr, den ich diese Nacht . . . .«

Eine strenge Geberde des Herzogs ließ ihn jäh verstummen.

»Ihr suchet Dienste beim König, wie ich höre? Erzählt mir von Eurem Schicksal. Wenn der König nichts für Euch tun kann, vielleicht kann ich es.«

Da faßte sich Dieter ein Herz und erzählte und der Kanzler nickte von Zeit zu Zeit seinen Worten Bestätigung.

»Kühne und verläßliche Leute kann ich immer in meinem Gefolge brauchen«, sagte der Herzog wohlwollend, als der Bericht zu Ende war. »Aber der Dienst bei mir ist 93 nicht so leicht und angenehm wie bei meinem königlichen Schwiegervater, dessen möget Ihr Euch versehen, junger Mann. Wenn ich Euer bedarf, wird es Euch Herr Kaspar Schlick entbieten.«

Mit einem gnädigen Wink entließ er die beiden und wandte sich Gunzo zu, der aufmerksam der Szene gefolgt war.

»Na, wie gefällt dir mein neuer Gefolgsmann, Gunzo?«

»Just ebenso, wie er Euch gefällt, Herr.«

Der Herzog ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab. »Wie, wenn ich ihm zu rasch mein Vertrauen geschenkt hätte?« murmelte er im Selbstgespräch. »Wenn er ein Verräter . . . .«

»Ihr suchet einen Menschen, der Euch auf Tod und Leben ergeben ist,« fuhr Gunzo fort, »es gibt nicht viele von der Art; aber ich glaube, Ihr habt heute einen solchen gefunden.«

»Wer sagt dir das?«

»Seine Augen, Herr. Denn die sind klar und treu wie die eines Hundes.«

»Ach, daß es in Wahrheit so wäre!« rief der Herzog.«

»Wisset Ihr nicht, gnädiger Herr, daß Kinder und Narren allemal die Wahrheit reden?«

 


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