Egid Filek
Wie Dieter die Heimat fand
Egid Filek

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XII.

Wieder einmal herrschte buntes Leben in der guten Stadt Iglau.

Es war im Juli des Jahres 1436. Von den grünen Tannenwäldern des Bergrückens herüber brachte der Wind köstliche Kühle; drunten blinkte zwischen steinigen Ufern der kleine Igelfluß wie ein silbernes Band, durch braunes Gewand gezogen; am Tor aber gab's ein gewaltiges Drängen, Geschrei und Trompetensignale gellten, ein Zug ungarischer Ritter war angelangt und begehrte Einlaß. Das rief und schrie durcheinander, zankte und lachte, Rosse wurden scheu und richteten sich auf, mit den Hufen die Fußgänger gefährdend, bis endlich das kleine, dunkle Loch den glänzenden Zug eingeschluckt hatte und der Torwart mit einem Seufzer der Erleichterung den letzten Knappen um die Straßenecke verschwinden sah.

Aber im Innern der Stadt ging's nicht minder lebhaft zu; da schob sich die Menge von früh bis abends durch die engen Gassen, stand in Gruppen beisammen auf dem weiten Platz und lungerte in den Schenken herum; gab es doch überall gar so viel zu begaffen und zu beschwatzen: die bunte, geschmacklose Tracht der burgundischen Edelleute, die mit dem Kaiser gekommen waren und in ihren 171 roten und blauen Hosen, ihren hellgrünen Röcken, mit Goldfransen an den Ärmeln, wie Papageien aussahen; die vergoldeten Rüstungen der fremden Ritter, ihre großen Pferde mit seidengestickter Decke, der stolze Ornat der hohen Geistlichkeit; man stellte sich in der Nähe der Stadttore auf und erwartete die neuen Zuzüge von fremden Adeligen, flüsterte neidisch von unerhörten Schätzen, die dieser und jener vornehme Herr geistlichen oder weltlichen Standes aufgehäuft haben sollte, und ließ an keinem von ihnen ein gutes Haar.

Was mochte die stille Grenzstadt in solch ungewohnte Aufregung gebracht haben?

Nichts Geringeres als der große, seit Monaten mit Spannung erwartete Landtag, auf welchem unter Anwesenheit der Landesherren und vieler fremder Gäste die feierliche Verkündigung der Baseler Kompaktaten stattfinden sollte.

War es wirklich das Ende des schrecklichen Religionskrieges?

Manche zweifelten daran. Wie viel hatte der Kaiser schon versprochen und wie wenig gehalten! Wie der Boden der alten Bergstadt von unterirdischen Gängen und Stollen, so war das Gemüt des Volkes von den Gerüchten und geheimen Nachrichten unterwühlt, welche die Sendlinge der fremden Machthaber geschäftig zu verbreiten wußten. Die Franzosen waren insgeheim mit den Unzufriedenen in Böhmen und Mähren in Verbindung getreten; Polen sah mit scheelen Augen auf die wachsende Macht des Habsburgers. Würde er imstande sein, das Riesenwerk zu vollenden, das er sich vorgenommen hatte? 172

Wer in diesen Tagen als harmloser Wandersmann durch die Straßen von Iglau bummelte, konnte allerdings von jenen Heimlichkeiten nichts bemerken. Von allen Wimpeln flatterten bunte Fähnlein, Fenster und Gesimse prangten im Blumenschmuck, die Häuser konnten die vielen Tausende nicht fassen, die hier zusammenströmten; die Heuloswiese glich einem Zeltlager, man hielt seine Mahlzeit an offenem Feuer in den Stadtgärten oder im Hof eines Klosters, sah den lebensgefährlichen Sprüngen der Gaukler und Seiltänzer zu, die auf dem Markte ihre Künste zeigten; wie geriebenes Bernsteinharz Papierschnitzel und Strohhalme, so zog das festliche Treiben die Schnitzel der Menschheit, das fahrende Volk, auf viele Meilen in der Runde an und setzte es in fieberhafte Bewegung.

Da stand in seiner Bretterbude ein Quacksalber, den bunten Turban auf dem Kopfe und pries mit rotem Gesicht und heiserer Stimme seine unfehlbaren Mittel gegen Leibweh und Bresthaftigkeit; dort fochten zwei mit hölzernen Schwertern gegeneinander, auf einer Tribüne schluckte einer ein langes Messer, während zwei wüste, rothaarige Gesellen zum Entsetzen der gaffend emporstarrenden Weiber aus einer Schüssel Feuer fraßen, wirkliches Feuer!

Aber das alles war noch nichts gegen das rundgebuckelte, braune Wundertier, das gestern gekommen war und von knallrot gekleideten Knechten durch die Stadt geführt wurde – das Kamel des Waisenhauptmanns Capek. Die Pilsner hatten es erbeutet und zum Lohne vom Kaiser Sigismund die Erlaubnis erhalten, fortan ein Kamel im Stadtwappen zu führen; darauf waren sie nun gewaltig stolz und ließen es in allen Städten von Böhmen und 173 Mähren sehen; hinter dem schaukelnden und spuckenden Tier ging ein Treiber mit einem Klingelbeutel absammeln, so daß dem Pilsner Stadtsäckel ein gutes Stück Geld gewonnen ward. Alle Leute erzählten, sie hätten von ihren Großeltern vernommen, daß einstens der Kaiser Rudolf von Habsburg sein Gepäck auch auf einem solchen Tier durch die Lande geführt habe – das war natürlich noch viel größer!

Dumpfe Hammerschläge hallten über den Stadtplatz, aber kein Todesgerüst für einen armen Sünder ward dort gezimmert, sondern der Thron, den morgen des Kaisers Sigismund Majestät besteigen sollte, um vor allem Volk die Verehrer des Kelches als wahre Söhne der Mutter Kirche zu erklären. Die ganze Nacht konnte niemand schlafen; es war ein Treiben und Summen wie in einem Bienenstock, Teppiche wurden gebreitet, Fenster beleuchtet, das Holzwerk des Gerüstes mit buntem Tuch verkleidet, Gras und Blumen auf den Triumphweg des Kaisers gestreut; Freudenfeuer warfen ihr Flackerlicht auf die Szene, aus Schenken und Garküchen drang fröhlicher Lärm und Singen der Zecher. Der Wein floß in Strömen durch die Gurgeln; die Wirte mahnten zum Trinken und freuten sich des guten Geschäftes gleich den großen Handelsherren, denen das Zusammenströmen so vieler Fremder neue Gelegenheit zur Mehrung ihrer Habe brachte; Hand in Hand mit dem frommen Eifer für den Glauben ging die Gier nach Gewinn.

Der Morgen des fünften Juli brach an, ein wunderschöner Sommermorgen mit rosenroten Wolken, strahlender Sonne und tiefblauem Himmel. 174

Das Gedränge auf dem Hauptplatz war lebensgefährlich. Man stellte sich auf die Zehenspitzen und reckte sich fast den Hals aus, um den Kaiser zu sehen, der unter einem vergoldeten Baldachin, rechts und links von einem Trupp von Rittern in prachtvollen Rüstungen begleitet, im vollen Schmuck seiner Würde, die Krone Karls des Großen auf dem Haupte, langsam und feierlich über weiche Teppiche dem Thron zuschritt. Vor ihm trug der Herzog Albrecht von Österreich den Reichsapfel, der Graf Ulrich von Cilli das Zepter, ein anderer Reichsbaron das große Kaiserschwert.

»He, Landsmann, drängt Euch gefälligst nicht so vor, andere Leute wollen auch was sehen!«

Der Angeredete warf aus kleinen, gekniffenen Augen einen schiefen Blick auf den Sprecher, einen Mann in polnischer Tracht mit krummem Säbel, hohen Stiefeln und Pelzmütze.

»Bin ein Böhme und sohin nicht Euer Landsmann,« knurrte er, »und hab' just keine große Sehnsucht, den Luxemburger zu begaffen; aber wo ich bin, dort bleib' ich stehen, und damit Punktum.«

Der Pole wurde etwas freundlicher. »Also seid Ihr kein Freund des Kaisers, he?« sagte er mit leiser Stimme.

»Kann nicht sagen, daß er mir und den Meinigen viel Gutes tat.«

»So seid Ihr einer von jenen, die den Kelch verehren? Am Ende vom Gefolge des großen Prokop, der bei Lipan den Heldentod starb?«

»Vielleicht.«

»Bei uns in Polen zählen die Bekenner der neuen Lehre viele Tausende. Und unser gnädiger König 175 Wladislaw nimmt sie alle in seinen mächtigen Schutz und hält sie besser als der Luxemburger.«

Der Böhme guckte seinen Nachbar von der Seite an. Der Pole fuhr fort:

»Sagt mir, wer sind denn die drei Männer in langen Gewändern, mit Fuchsfell gefüttert, die so hohe Pelzmützen tragen?«

»Das kann ich Euch sagen,« rief ein ältlicher Mann in Meistertracht, »der vorne schreitet, ist der Magister Rokyzana, der Führer der gemäßigten Hussitenpartei.«

»Der Rokyzana?« staunte der Pole, »von dem sie in Basel sagten, er komme vom Himmel gesandt als guter Engel des Friedens? Na, den hab ich mir anders vorgestellt denn als so ein schwaches Männlein.«

»Aber er ist gar wohl angesehen bei des Kaisers Majestät und auch beim Herzog von Österreich als das Haupt der Gemäßigten. Und die zwei hinter ihm sind Niklas von Pilgram und Ulrich von Znaim. Sie kommen als Gesandte des Konzils von Basel.«

Der Kaiser hatte unter dem Schall von Pauken und Trompeten auf dem Throne Platz genommen.

»Ist noch immer ein gar stattlicher Fürst, unser König Sigismund,« bemerkte der Meister ehrfurchtsvoll, »seht, wie seine schwarzen Augen blitzen.«

Der Böhme verzog den breiten Mund zu einer verächtlichen Grimasse.

»Der Kaiser hat wohl viel getan für Eure Stadt?« fragte der Pole.

»Will's meinen,« erwiderte der Meister. »War schon ein guter Gedanke von ihm, die Kompaktaten hier verkünden 176 zu lassen. Herr, da gibt's was zu verdienen für uns ehrsame Leute vom Handwerk! Die vielen fremden Herren, die leben und leben lassen, essen und trinken und Kleider und Schuhe und Geschmeide kaufen für ihre Frauen daheim – die bringen Geld!«

»Das glaub' ich. Und zu welcher Zunft gehört Ihr, Meister?«

»Ich bin Zunftmeister der Schusterinnung«, erwiderte der andere mit großem Selbstgefühl.

Die Kaiserin ließ sich jetzt neben ihrem Gemahl nieder und überblickte die Versammlung, die wie ein lebendes Blumenbeet zu ihren Füßen lag.

»Aber die Kaiserin Barbara ist auch eine gar stolze und schöne Frau«, sagte der Pole bewundernd, »und ihr Hofstaat von Edeldamen und Pagen schier so glänzend wie der des Kaisers.«

»Allzu stolz und herrisch ist sie«, flüsterte der Schuhmachermeister, »und ihre schmalen Lippen sind nicht die eines milden und gütigen Frauenbildes.«

»Vielleicht schwingt sie daheim im Ehegemach das Zepter besser als der Kaiser draußen in seinem Reich«, lachte der Pole. Und als der Schuster schmunzelnd nickte, fuhr er fort: »Habt wohl auch daheim solch eine Gesponsin, die zu regieren versteht, he?«

Auf den Stufen des Thrones standen jetzt die Fürsten, Edelleute und Ritter in bunter Reihe. Das flimmerte von Gold- und Silberspangen, rauschte von seidenen Fahnen, raschelte von Frauengewändern, blitzte von edlen Steinen an weißen Hälsen und stolzer Brust; dazwischen Pferdegewieher, Waffenklirren, Rufe der Troßknechte, Klingeln von Schellen, ein sinnverwirrendes Durcheinander. 177

Jetzt hob sich der Kaiser von seinem Sitze und streckte gebietend die Hand aus. Der Herold stieß in die Trompete. Wie tiefes Atemholen ging es durch die Versammlung; erwartungsvolle Stille entstand.

»Wer ist der Mann in Bürgertracht, der mit den Schriftrollen in der Hand die Stufen des Thrones emporsteigt?« fragte der Böhme.

»Das ist der Prager Bürger Johann Welwar. Er übergibt jetzt die Schriften dem Geheimschreiber des Kaisers, Herrn Marquard.«

Die Schriftrollen, an denen dicke Siegelkapseln baumelten, wurden einzeln dem Kaiser, dem Herzog und den böhmischen Herren vorgezeigt, die durch Erheben der Schwurhand ihre Echtheit bezeugten; dann las Herr Marquard mit weithin schallender Stimme ihren Inhalt vor. Sie enthielten die Zusage der Böhmen und Mährer, daß sie Friede und Eintracht mit den Katholiken halten und um des Glaubens willen nicht zum Schwerte greifen wollten; Herr Welwar übergab die Rollen dem päpstlichen Gesandten, worauf vier vom Landtag erwählte böhmische Priester auf die Tribüne traten und Magister Rokyzana für sich und alle geistlichen und weltlichen Utraquisten der Kirche Gehorsam schwor. Dann erfolgte die feierliche Verlesung der Verordnungen des Kaisers und des Herzogs: es seien fürder alle, die sich zum Kelch bekannten, als gute Christen und wahre Söhne der Mutter Kirche zu halten; und wer unter beiden Gestalten den Leib des Herrn begehre, dessen Verlangen sollte erfüllt werden.

Ungeheurer Jubel scholl zum Himmel. Begeistert stimmte Bischof Philibert das Tedeum laudamus an; alle sangen 178 freudig mit, in feierlicher Prozession ging's zur Kirche, von allen Türmen der Stadt tönten die Glocken, zu Fuß schritt der Kaiser durch die Gassen, was seit vielen Jahren nicht mehr gesehen worden war, und Tränen der Freude rollten über seine Wangen und versickerten in dem silberweißen Barte.

»Das ist der schönste Tag meines Lebens«, sagte er einmal übers andere zu seiner Umgebung. Und ängstlich fragte er den Grafen von Cilli, der neben ihm herschritt:

»Habt ihr Nachricht von Kaspar Schlick, ob seine Reise gut vonstatten geht?«

Kaspar Schlick sollte die böhmische Krone und die Reichskleinodien aus Ungarn bringen. Ungeduldig wartete der Kaiser Tag für Tag auf seine Ankunft; ihm war, als sollte noch im letzten Augenblick ein Unheil hereinbrechen, das die längst ersehnte Krönung zum König von Böhmen hintertrieb.

»Der Kanzler ist gestern früh mit den Heiligtümern wohlbehalten in Preßburg eingetroffen«, erwiderte der Graf von Cilli, ein junger, schöner Mann in prachtvoller Rüstung.

»Gott sei gelobt, Gott sei gelobt!« murmelte der alte Kaiser und fuhr mit den vor Erregung zitternden Fingern durch seinen Bart.

Nun näherten sich die Majestäten der Stelle, wo die drei Männer standen; der Schuster nahm das zobelbesetzte Barett vom Haupte, schwenkte es in der Luft und schrie: »Vivat der Kaiser! Vivat hoch!«

Aber der Böhme stand mit abgewendetem Gesicht und seine Hand ballte sich zur Faust. 179

Der Pole hatte alles beobachtet. Als der festliche Zug vorüber war und die Menge sich zu zerstreuen begann, faßte er den Böhmen unter und fragte:

»Beliebt es Euch vielleicht, mit mir ein Kännlein Melniker zu trinken zur Feier des Tages? Denn das muß ich Euch sagen, wenn mir auch mancherlei in Eurem Lande nicht gefällt: solchen Wein, wie er hier geschenkt wird, gibt's bei uns in Polen nicht.«

Der andere nickte Zustimmung. Eine Ahnung sagte ihm, daß der Fremde mit dieser Einladung einen ganz besonderen Zweck verfolgte. Und dann saßen sie in einem lauschigen Winkel des großen Kellers, hörten das gedämpfte Klingen der Glocken, die laut Befehl des Rates den ganzen Tag und die folgende Nacht beständig geläutet werden mußten, bis in die feuchte Kühle hinabdringen und waren bald im eifrigsten Gespräch.

»Und ist es wahr, daß der König Wladislaw auf unserer Seite steht?« flüsterte der Böhme, in dem wir wohl schon unseren Vaclav erkannt haben.

»Ja, so ist's«, nickte der Pole bedeutsam. »Und unser König ist jung und kühn. Aber der Luxemburger geht dem Grabe zu – wer weiß, was geschehen kann, wenn nach seinem Tode eine andere Hand nach dem Zepter greift.«

Mürrisch erwiderte Vaclav:

»Ach, das liegt schon fest genug in der Faust des Habsburgers. Der wird es nimmer loslassen.«

»Meint Ihr?«

»Hat er ihm denn nicht die Herrschaft in Böhmen und Ungarn verbrieft und versiegelt, als dem Gemahl seiner Tochter?« 180

»So, und wenn es nun eine Frauenhand wäre, die ihm das Zepter nehmen will?«

»Die Kaiserin?« fragte Vaclav mit maßlosem Staunen.

»Warum nicht? Paßte ihr nicht besser ein junger Gemahl als der alte Kaiser?«

»Unmöglich!« rief der Böhme und schüttelte den Kopf.

»Ihr kennt doch des Habsburgers Sorge: Elisabeth hat ihm nur zwei Töchter geboren. Hätte er einen Sohn, dann stünde die Sache anders. Aber meint Ihr, daß sich ihm die Kaiserin gutwillig unterwerfen wird? Da kennt Ihr sie schlecht.«

»Ihr glaubt also, daß nach dem Tode des Luxemburgers Euer König Wladislaw . . .«

». . . . die Kaiserin Barbara zur Gemahlin nehmen und mit Heeresmacht in Böhmen einfallen wird,« setzte der Pole im Flüsterton fort. »Das glaub' ich nicht nur, das weiß ich – und das wissen gar viele bei uns. Denkt: ein kampferprobtes Heer von zehntausend polnischen Rittern steht an der Grenze, jeden Tag bereit, aus Eurem und meinem Vaterland ein gewaltiges Reich zu machen, so mächtig, wie es die Christenheit noch niemals gesehen hat.«

Vaclav starrte vor sich hin.

»Aber die Bekenner der reinen Lehre des Kelches müssen uns dabei helfen. Wer sind denn diese Gemäßigten? Kann man sich auf Leute verlassen, die heute ihren Frieden mit dem Kaiser und dem Habsburger machen und morgen vielleicht ihre hussitischen Brüder bekämpfen werden, wie sie es bei Lipan getan haben? Schreit das Blut der Taboriten nicht von den Schlachtfeldern von Aussig und Taus 181 um Rache? O, die Welt wird noch große Dinge erleben, wenn ihr klug seid!«

Der Böhme saß noch immer in schweigendem Brüten da. Sein ganzes Leben zog mit Blitzesschnelle an ihm vorbei, die vielen blutigen Kämpfe, die Gewalttaten und Greuel. Sollte das alles umsonst gewesen sein? Oder bot sich ihm jetzt doch die ersehnte Gelegenheit, seine Sache zum Sieg zu führen?

Endlich hob er den Kopf: »So sprecht, was kann ich tun?«

Der Pole flüsterte mit wichtiger Miene:

»Wir brauchen entschlossene Männer in der Umgebung des Kaisers und des Herzogs. Unser Vertrauensmann ist der Graf von Cilli, der Neffe der Kaiserin. Er wird Euch eine Stelle am Hof verschaffen, wo ihr uns von größtem Nutzen sein könnt. Alle weiteren Weisungen empfanget Ihr von ihm. Seid Ihr dazu bereit?«

Nach kurzem Besinnen schlug Vaclav ein.

»Kann nur nicht verstehen, Herr, wieso Ihr unter den vielen Fremden, die sich jetzt in Iglau herumtreiben, just mich . . . .«

Der Pole lächelte geheimnisvoll.

»O, ich kenne Euch und Euren Lebenslauf gar genau. Hab Euch nachgespürt seit Monaten und weiß mehr von Euch, als Ihr glaubt. Wir führen gewissenhaft Buch über unsere Helfer . . . . Und laßt Euch noch zum Schlusse sagen, daß unser junger König Wladislaw eine offene Hand hat und treue Dienste königlich belohnt. Wenn alles gut geht, seid Ihr zeitlebens jeglicher Geldsorge ledig!« 182

* * *

In der Abenddämmerung desselben Tages schlenderten drei Männer langsam und behaglich durch die Gassen der Stadt.

Der zur Linken ging oder vielmehr hüpfte, war ein kleiner, verwachsener Kerl mit einem Höcker; er blinzelte aus kleinen Schweinsäuglein vergnügt in die Welt und hinter der niedrigen Stirn schienen tolle Gedanken auf und ab zu flattern wie Vögel in einem engen Käfig. Der Mann in der Mitte, hager und hochgewachsen, trug die Kleidung eines Ritters; aber der Saum seines Wamses von Gemsleder war mit so kostbarer Stickerei besetzt, wie sie nur vornehme Herren zu tragen pflegten. Zur Rechten schritt ein blühend schöner, junger Mann von kriegerischem Aussehen.

»Das heiße ich mir eine Verschwendung,« krächzte der Kleine, indem er mit seinen langen, mageren Fingern nach den Freudenfeuern deutete, die längs des großen Platzes brannten. »Könnten die Bürgersleute nicht das Holz für den Winter sparen? Bei Gott, der ist in Iglau ein gestrenger Herr mit langer Regierungsdauer.«

»Ach, im Iglauer Waldgebirge gibt's Holz genug,« erwiderte der junge Mann zur Rechten und blickte nachdenklich in die Flammen, die im tollen Flackerspiel auf und nieder tanzten und die verzerrten Schatten der drei Wanderer hoch an die Mauern der Häuser emporwarfen. »Wenn ich solchen Flammentanz sehe, muß ich immer an den Abend denken, da mein Vater aus dem Kriegszug gegen die Türken zurückkam. Die Mannen hatten auf dem Burghof ein gewaltiges Feuer angezündet, seiner Heimkehr zu Ehren; da stand er und auf seinem 183 Stahlpanzer zuckte der rote Schein und Mutter hob mich auf den Armen empor und ich küßte den bärtigen Mund.«

Der Ritter, der zwischen den beiden dahinschritt, lächelte vor sich hin.

»Müßt nicht allzusehr der verlorenen Kindheit nachtrauern. Wer weiß, vielleicht ist Euch noch Haus und Hof beschieden und ein stattliches Gut. Hört, ich weiß jetzt das Ziel unserer Wanderung: zeigt mir Eure Braut!«

Da übergoß eine fliegende Röte das Gesicht des Jünglings; aber die rührte nicht vom Schein des Feuers her.

»Wenn es Euch beliebt, hoher Herr: dieses Gäßchen zur Linken.«

Nach kurzer Zeit standen sie vor dem Hause. Sie schritten zwischen den duftenden Blumenbeeten auf die Eingangstür zu. Der junge Mann klopfte und sagte zu der öffnenden Magd ein paar leise Worte. Sie traten ein.

Da kam es auch schon die Treppe vom oberen Stockwerk herabgetrippelt mit fliegenden Haubenbändern und raschelnden Röcken – die Muhme Ursula.

»Heilige Jungfrau, welche Ehre – welche hohe Ehre! Unser gnädigster Herzog! Nein, wie glücklich ich bin – Gott zum Gruß, lieber, guter Herr!«

Und sie neigte sich tief und knixte höfisch und verneigte sich noch tiefer, als der Herzog ihr lächelnd die Hand reichte und gar leutselig bat, ihr die Braut des tapferen Ritters von Wolfstein vorzustellen; denn inzwischen war Margaret eingetreten und hatte in stiller Verwunderung die Szene betrachtet, bis ihr Dieter zuflüsterte, wer der Gast war.

Da nahmen alle Platz auf den geschnitzten braunen Holzstühlen und eine heitere Unterhaltung kam in Fluß. 184

Margaret hatte die Befangenheit bald überwunden und plauderte offen und freimütig mit dem gütigen Herrn, der zum Schluß bemerkte:

»Nun wollen wir von der Zukunft unseres jungen Paares sprechen, liebe Frau Ursula. Mein wackerer Dieter hat mir in Treue gedient und es ziemt sich, daß ich ihn belohne. Aber was hülfe es, wollt' ich ihm eine von den alten Burgen im Lande geben, die mehr kosten, als sie eintragen – die Zeiten des Rittertums sind wohl für immer dahin! Nein, ich weiß Besseres für Euch, Wolfsteiner. Nicht weit von hier liegt eines meiner Landgüter, ein festes Haus mit wohnlichen Zimmern und einem guten Wirtschaftsgrund mit Wald und Weideland; ich habe gemeinsam mit des Kaisers Majestät gar viele solche Güter aufgekauft und will sie mit verläßlichen Männern besetzen, damit sie nicht zu Raubnestern werden. Ich denke, daß sich's gut dort hausen läßt für ein junges Paar. Was meint Ihr dazu?«

Da bog Margaret das Knie und küßte dem Herzog schweigend die Hand; und Muhme Ursula, die vor den verklärten Blicken schon einen Hof voll gackernder Hühner, einen Stall mit Kühen, weite grüne Gemüsebeete und reichbehangene Obstbäume sah, wurde gar rot und verlegen, spielte mit ihren Schürzenbändern und stammelte Worte des Dankes.

»Wohl haben die Knechte des Raubritters Rohač dort arg gehaust, bevor sie meine Mannen vertrieben, aber ich will euch alles in guten Stand setzen lassen«, fuhr der Herzog fort. »In wenigen Wochen könnt ihr einziehen; bis dahin ist das Aufgebot bestellt und des ersten Kindleins Taufpate will ich selber sein.« 185

Margaret senkte den Kopf und wurde rot; Gunzo aber mit seinem unerschütterlichen Humor krächzte in das Schweigen hinein:

»Hoffentlich ist's ein Knäblein, damit unser Herr Herzog einen strammen Kriegsmann gewinne. Hab ich nicht recht, Euer Gnaden?«

»Recht hast du, Narr,« lachte Albrecht, »aber zugleich auch ein recht loses Maul.«

Und Margaret verbarg ihr rotglühendes Gesichtchen hinter der Schürze.

»Will nun nicht länger stören«, sagte der Herzog und erhob sich. »Ich gebe Euch Urlaub vierzehn Tage und drei Stunden, dann kehrt Ihr als frischgebackener Ehemann zurück, Dieter. Und nun bleibt bei Eurem Bräutchen, ich aber will mit Gunzo noch einen Besuch in der Nähe machen. Lebt wohl, meine Getreuen!«

Er reichte allen die Hand und schritt, von Gunzo gefolgt, aus dem Hause.

Und während die Muhme Ursula langsam, aber sicher wieder die uneingeschränkte Herrschaft über ihre Zunge gewann, während sie Dieter liebevoll an ihr Herz drückte und einmal übers andere versicherte, daß er ihre Margaret viel glücklicher machen werde als es der Meister Schimke je hätte tun können, und daß sie das von allem Anfang gewußt und immer wieder gesagt hätte; während sie im Geiste die lange Reihe der Nachbarinnen durchging, denen sie morgen mit der unerhörten Neuigkeit aufwarten mußte; während all das geschah, schritten der Herzog und Gunzo durch die dunklen Gäßchen nach dem Hause des Briefmalers Peter Pehaim. 186

»Wollt Ihr hier auch ein Brautpaar glücklich machen, Herr?« fragte Gunzo. »Dieses Haus sieht mir allerdings nicht danach aus, als ob junges Volk drin wohnte. Wer haust denn unter diesem niedrigen, moosgekrönten Dach?«

Der Herzog blieb stehen und schüttelte den Kopf. Wo war der bunte Schein, der Abend für Abend bis in die späte Nacht aus dem kleinen Fenster der Werkstatt geleuchtet hatte? Schwarz und finster lag es da; die Dachrinne schimmerte im müden Mondlicht. Der Herzog pochte mit dem Degengriff ans Tor; dumpf und hohl klang der Ton. Nach langer Zeit erschien eine mürrische Alte mit einer Laterne in der Hand.

»Wer klopft denn so unbändig zu später Stunde?« rief sie durch die halbgeöffnete Tür.

»Wir wollen zum Meister Pehaim; ist er in der Werkstatt?«

Die Alte hatte die rasselnde Sperrkette abgenommen und stand nun in der Türöffnung wie ein Drache, der den Zugang in die Schatzhöhle hütet.

»In seiner Werkstatt mag er wohl sein,« erwiderte sie nach kurzem Besinnen, »aber sie ist nimmer auf dieser Erde, die Werkstatt, sondern da droben in den Wolken.«

»Was soll das bedeuten?« rief der Herzog voll böser Ahnung. »Meister Pehaim ist . . . .«

». . . . ist tot, jawohl, Herr. Am heiligen Peter und Paulstag haben wir Nachbarsleute ihn hinausgetragen. Habt Ihr etwas in seiner Werkstatt abzuholen? Beliebt es Euch, so tretet ein.«

Der Herzog stand erschüttert.

»Tot ist er, mein armer, fleißiger, unermüdlicher Peter Pehaim . . . . Ich kann es nicht glauben.« 187

Sie standen in dem Raume. Alles war, wie es der rastlose Künstler verlassen: die Gläschen voll Gold- und Silberfarben, die kleine Staffelei mit einem bunten Heiligenbild, die geschriebene Bibel auf dem Pult. Es war, als müßte er jeden Augenblick aus der niedrigen Türe des anstoßenden Schlafgemaches treten, mit der gebeugten Gestalt, den Händen wie welkes Laub, dem schwarzen Samtkäppchen auf dem Silberhaar.

»Schwer ist er gestorben, recht schwer«, berichtete die Frau mit leiser Stimme. »Sonst, wenn solch ein alter Mann von hinnen geht, ist er ja schon viele Wochen vorher mehr drüben als hier. Er aber hat immer nur von seiner großen Erfindung gesprochen und daß nun keiner auf Erden weiß, was er hat schaffen wollen – hab's nicht verstanden, wie er's gemeint, er hat wohl schon irre geredet, denk' ich. Gott schenke ihm die ewige Ruhe und das ewige Licht leuchte ihm!«

»Wer für die Zukunft schafft, der mag zu denen, die mit ihm leben, oft irre reden«, sagte der Herzog leise. »Vielleicht hast du recht gehabt, Peter Pehaim . . . . Ein anderer wird dort ernten, wo du gesäet hast, ein anderer, der stärker und jünger ist als du – und glücklicher.«

Gunzo zog sein Pergamentgesicht in ironische Falten; es war nicht zu erkennen, ob er im Ernst oder im Scherz sprach:

»Wer ist nun der größere Narr: dieser alte Mann, der in seiner Höhle bei Farbentiegeln und unsinnigen Klexereien die paar Lebensjahre versitzt und verschmiert, die ihm noch vergönnt sind – oder ich, der sein Lebtag nie schreiben und lesen lernen wollt' und lieber im 188 Bilderbuch unseres lieben Herrgotts blättert? Was meint Ihr Herr?«

Der Herzog blickte düster.

»Der da von uns ging, Gunzo, war ein größerer Fürst im Reiche der Geister, als du ahnst. Ein unsichtbares Königreich hat er schaffen wollen und ist darüber gestorben. Aber nach ihm kommt vielleicht ein anderer, dem es gelingen mag. Wessen Reich wird länger dauern, das meinige oder jenes des toten Meisters? Was glaubst du, Gunzo?«

Der Narr zupfte an seinen Wamsschellen.

»Fragt die Sterne, Herr. Sie werden Euch sagen, daß im Himmel und auf Erden alles in ewigem Wechsel und nichts beständig ist als der Tod. Deshalb höre ich es nicht gern, wenn man von der Nachwelt spricht.«

»Lasset ihm einen Grabstein meißeln mit seinem Wahlspruche: ›Durch Nacht zum Licht‹,« befahl Albrecht und legte eine schwere Börse in die runzeligen Finger der Alten, die staunend und argwöhnisch zu dem Fremden emporsah.

Noch einen Scheideblick warf er in die stille Welt der dunklen Stube, dann schlug er ein Kreuz und ging gesenkten Hauptes von dannen.

 


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