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Erziehung

Erziehung notwendig

Alle Individuen müssen zu Menschen erzogen werden, außerdem würden sie nicht Menschen.

Künstlerische Erziehung reicht nicht aus

Die Idee, durch ästhetische Erziehung die Menschen zur Würdigkeit der Freiheit und mit ihr zur Freiheit selbst zu erheben, führt uns in einem Kreise herum, wenn wir nicht vorher ein Mittel finden, in einzelnen von der großen Menge den Mut zu erwecken, niemandes Herren und niemandes Knechte zu sein.

Sittliche Erziehung geht vor

So ist der ästhetische Trieb im Menschen allerdings dem Triebe nach Wahrheit und dem höchsten aller Triebe, dem nach sittlicher Güte, unterzuordnen.

Entwickelung der Freiheit des Kindes

Frei sein gehört nach den notwendigen Begriffen des Menschen zum Wohlsein; die Eltern wollen das Wohlsein ihres Kindes: sie werden sonach seine Freiheit ihm lassen. – Aber mancher Gebrauch derselben würde seiner Erhaltung nachteilig sein, welche ihr Zweck gleichfalls ist. Sie werden sonach beide Zwecke vereinigen und die Freiheit des Kindes so beschränken, daß der Gebrauch derselben seine Erhaltung nicht in Gefahr bringe. Dies aber ist der erste Begriff der Erziehung. –

Entwickelung der Moralität des Kindes

Es gehört zu dieser Erziehung folgendes beides: zuvörderst, daß die Kräfte des Kindes entwickelt und gebildet werden zur Brauchbarkeit für allerlei Zwecke; dann, daß sein Sinn auf Moralität gerichtet werde. Um den ersten Zweck zu erreichen, muß die Freiheit des Kindes abermals eingeschränkt werden; es muß jeder Gebrauch dieser Freiheit, der mit dem ersten Zwecke, der Erhaltung und Gesundheit, und dem letzteren, der Bildung der Kräfte, im Widerspruche steht, verhindert, es muß jeder Gebrauch derselben, der der Absicht der Eltern zufolge übt, befördert, das erstere verboten, das letztere geboten werden. Nur für den letzteren Zweck darf die Freiheit nicht eingeschränkt werden; denn nur, was aus freiem Entschlüsse hervorgeht, ist moralisch. Moralität entwickelt sich aus dem Menschen selbst, und läßt sich nicht durch Zwang oder künstliche Anstalten hervorbringen.

Trieb nach Achtung im Kinde

Durchgeführte Spekulation sowohl, als die gesamte Beobachtung stimmen überein, daß diese ursprünglichste und reinste Gestalt der Trieb nach Achtung sei, und daß diesem Triebe erst das Sittliche, als einzig möglicher Gegenstand der Achtung, das Rechte und Gute, die Wahrhaftigkeit, die Kraft der Selbstbeherrschung, in der Erkenntnis aufgehe. Beim Kinde zeigt sich dieser Trieb zuerst als Trieb, auch geachtet zu werden, von dem, was ihm die höchste Achtung einflößt; und es richtet sich dieser Trieb zum sicheren Beweise, daß keinesweges aus der Selbstsucht die Liebe stamme, in der Regel weit stärker und entschiedener auf den ernsteren, öfter abwesenden und nicht unmittelbar als Wohltäter erscheinenden Vater, denn auf die mit ihrer Wohltätigkeit stets gegenwärtige Mutter. Von diesem will das Kind bemerkt sein, es will seinen Beifall haben; nur inwiefern dieser mit ihm zufrieden ist, ist es selbst mit sich zufrieden; dies ist die natürliche Liebe des Kindes zum Vater, keinesweges als zum Pfleger seines sinnlichen Wohlseins, sondern als zu dem Spiegel, aus welchem ihm sein eigener Wert oder Unwert entgegenstrahlt. An diese Liebe kann nun der Vater selbst schweren Gehorsam und jede Selbstverleugnung leicht anknüpfen; für den Lohn seines herzlichen Beifalls gehorcht es mit Freuden. Wiederum ist dies die Liebe, die es vom Vater begehrt, daß dieser bemerke sein Bestreben, gut zu sein, und es anerkenne, daß er sich merken lasse, es mache ihm Freude, wenn er billigen könne, und tue ihm herzlich wehe, wenn er mißbilligen müsse, er wünsche nichts mehr, als immer mit demselben zufrieden sein zu können, und alle seine Forderungen an dasselbe haben nur die Absicht, das Kind selbst immer besser und achtungswürdiger zu machen; deren Anblick wiederum die Liebe des Kindes fortdauernd belebt und verstärkt und ihm zu allen seinen fernem Bestrebungen neue Kraft gibt. Dagegen wird diese Liebe ertötet durch Nichtbeachtung oder anhaltendes unbilliges Verkennen; ganz besonders aber erzeugt es sogar Haß, wenn man in der Behandlung desselben Eigennützigkeit blicken läßt und z. B. einen durch Unvorsichtigkeit desselben verursachten Verlust als ein Hauptverbrechen behandelt. Es sieht sich sodann als ein bloßes Werkzeug betrachtet, und dies empört sein zwar dunkles, aber dennoch nicht abwesendes Gefühl, daß es durch sich selbst einen Wert haben müsse. – –

Die Grundlage aller sittlichen Erziehung ist es, daß man wisse, es sei ein solcher Trieb im Kinde, und ihn festiglich voraussetze, sodann, daß man ihn in seiner Erscheinung erkenne und ihn durch zweckmäßige Aufregung und Darreichung eines Stoffs, woran er sich befriedige, allmählich immer mehr entwickle.

Kein Religionsunterricht

Es soll daher überhaupt kein Unterricht in der Religion, sondern nur eine Entwicklung jenes ursprünglichen religiösen Bewußtseins stattfinden.

Erziehung als Bedingung der nationalen Zukunft

Der vernunftgemäße Staat läßt sich nicht durch künstliche Vorkehrungen aus jedem vorhandenen Stoffe aufbauen, sondern die Nation muß zu demselben erst gebildet und herauferzogen werden. Nur diejenige Nation, welche zuvörderst die Aufgabe der Erziehung zum vollkommenen Menschen durch die wirkliche Ausübung gelöst haben wird, wird sodann auch jene des vollkommenen Staats lösen.

Aus einer Schule der Zukunft

Außer der geistigen Entwicklung im Lernen finden in diesem Gemeinwesen der Zöglinge auch noch körperliche Übungen und die mechanischen, aber hier zum Ideale veredelten Arbeiten des Ackerbaues und die von mancherlei Handwerken statt.

Der Buchstabe tötet

Unsere Generation aber ist der Anschauung des Lebens unmittelbar nicht empfänglich deswegen, weil von dem Augenblick ihrer ersten Entwickelung an ihr überhaupt alle Anschauung entrückt und sie mit bedachter Kunst von derselben hinweg in Schatten und Nebel getrieben wird, in welcher Fertigkeit eben unsere Erziehung besteht. Kaum entwickelt sich des Kindes Organ zu dem ersten Lallen und bietet so unserer schon harrenden Kunst eine Blöße, so erhält es Worte statt der Dinge und Redensarten statt der Empfindungen. Bald werden ihm die lauten Worte, ein der Anschauung noch immer zu nahe liegendes Schema, in tote Buchstaben verwandelt, bis durch Geläufigkeit auch diese ihre festen Formen verlieren, und die Kinder in einem Meere von ungeformtem Buchstabenelement, als ihrer eigentlichen Welt, schwimmen, und so die Erziehung schon einen ihrer ersten Zwecke erreicht hat. Die höchste Kunst dieser Erziehung ist die, ja auf keinem Schatten niederer Potenz den Zögling einen Augenblick verweilen zu lassen, denn das ist Zeitverlust für den Zweck der Erziehung, und Faulheit und Stumpfsinn am Zöglinge; sondern ihn schnell zum Schatten des Schattens und zum Schatten wiederum des letzteren und so immer weiter fortzutreiben, in welcher Fertigkeit zu eilen eben das Genie des Zöglings besteht. Auf diese Weise ist denn der Generation nur noch eine Nebel- und Schattenwelt ohne irgend einen sie tragenden Kern von Anschauung, Wahrheit und Realität übrig geblieben. Die höheren wissenschaftlichen Bestrebungen derselben aber bestehen darin, die also zustande gebrachten Schatten höchster Potenz wiederum zu raffinieren, zu sublimieren und dadurch immer höher zu potenzieren, und sodann diese Edukte untereinander zu begatten, daß eine womöglich von aller Wahrheit und Realität ganz reine Nebelwelt aus ihnen erzeugt werde; welches Geschäft freilich ins Unendliche fortgesetzt werden kann, dennoch aber niemals der beabsichtigte Zweck, eine von Wahrheit ganz reine Nebelwelt zu erhalten, ganz erreicht werden wird.

Anschauung ist lebendig

Zum Glück werden unsere Kinder noch immer so geboren, wie vom Beginn an alle Kinder der Menschen geboren wurden, mit Fähigkeit und Trieb zur Anschauung. Sie selbst begehren die Schattenwelt nicht; nur unsere unselige Kunst ist es, die mit ihrem Widerstreben sie in dieselbe treibt. Diese Kunst soll wegfallen, und es soll dagegen eine andere eintreten, sie in der Anschauung selber zweckmäßig zu leiten, so daß ihr Haften an der Realität befestigt und ihre Freiheit, die Anschauung zweckmäßig zu handhaben, entwickelt werde.

Pestalozzi

Dieses ist das letzte Mittel, den gegenwärtigen Kulturstand vom Untergange zu retten; und zum Glück sage dieses letztere wenigstens ich nicht allein, und nicht zuerst, sondern es ist schon gesagt und ihnen laut in die Ohren gerufen worden.

Pestalozzis Gedanke ist unendlich mehr und unendlich größer denn Pestalozzi selbst; wie denn jedes wahrhaft genialischen Gedankens Verhältnis zu seinem scheinbaren Urheber dasselbe ist. Nicht er hat diesen Gedanken gedacht oder gemacht, sondern in ihm hat die ewige Vernunft ihn gedacht, und der Gedanke hat gemacht und wird fortmachen den Mann. An der Geschichte der Enthüllung dieses Gedankens, wie sie mit einer für sich selbst zeugenden Wahrheit und mit einer kindlich reinen Unbefangenheit in Pestalozzis Schriften vorliegt, konnte man, was wir oben sagten, daß eine Wahrheit, die den Menschen einmal ergriffen, ohne Wissen oder eigenes Zutun des Menschen sich in ihm fortgestalte und trotz der allermächtigsten Hindernisse dennoch zuletzt durchbreche zu Licht und Klarheit, in sinnlicher Deutlichkeit darlegen. Die Seele des Pestalozzischen Lebens war Liebe zu dem armen verwahrlosten Volke: seine Liebe wurde ihm so gesegnet, daß er mehr fand, als er suchte, das einzige Heilmittel für die gesamte Menschheit. – –

In dieser Bedeutung nun, nicht als intellektuelle Erziehung nur des armen gedrückten Volkes, sondern als die absolut unerläßliche Elementarerziehung der ganzen künftigen Generation und aller Generationen von nun an, muß man zuvörderst den Pestalozzischen Gedanken fassen, um ihn richtig zu verstehen und ganz zu würdigen. Dem Urheber selbst, ungeachtet die letzte höhere Ansicht ihm gar nicht fremd ist, und er sie oft auch ausspricht, kommt in der Beschreibung der Ausführung dennoch immer wieder die erste beschränkte Ansicht, als die wesentliche, in den Weg, teils, weil er selber nur von dieser ausgegangen ist, und an ihr seine Praxis sich organisiert hat, teils, weil er stillschweigend vorauszusetzen scheint, daß diese Bedrückung und Armseligkeit der größeren Menge immer bleiben werde, und nicht wagt, einzusehen, daß, wo irgend seine Erziehung zur Nationalerziehung gediehe, jene Bedrückung gar bald und notwendig wegfallen würde; endlich, weil er bei aller seiner Abneigung gegen das Buchstabenwesen dennoch in dieses Wesen, eben als Waffe gegen die Bedrückung, für das große Volk einen viel zu hohen Wert legt. Lediglich aus dieser vorherrschenden Rücksicht auf die ausschließenden Bedürfnisse des großen Volkes sind alle diese Nebenzüge entstanden, die zu dem Grundgedanken so wenig gehören, daß sie ihm vielmehr widersprechen; welche indes den meisten Anstoß erregt und die laufende Pädagogik sogar in den Stand gesetzt haben, vornehm zu tun gegen die neuere.

Nationalerziehung

Man hat gar viel von Nationalerziehung gesprochen, ehe es eine Erziehungskunst gab. Diese haben wir nun: gebt sie den Bürgern und Ihr werdet zugleich eine Nation erhalten, und diese Erziehung wird im höchsten Sinne des Wortes als Nationalerziehung sich bewährt haben –


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