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Autobiographische Dokumente

Aus den Briefen an die Braut

In Zürich

Hofleben

Über Hofleben hätte ich noch sehr viel zu sagen. Den Gesichtspunkt, aus dem ich es ansehe, – als eine neue Bearbeitung des Charakters – wissen Sie. Mündlich oder ein andermal schriftlich mehr davon! Nur dies noch: Aufrichtigkeit und Geradheit wirken am meisten, wo sie am seltensten sind; ich habe mit diesen Dingen nie mehr gewirkt als bei falschen Leuten.

Charakterbildung als Lebenszweck

Im ganzen denke ich darüber so: Der Hauptendzweck meines Lebens ist der, mir jede Art von (nicht wissenschaftlicher – ich merke darin viel Eitles) sondern von Charakterbildung zu geben, die mir das Schicksal nur irgend erlaubt.

Ich forsche dem Gange der Vorsehung in meinem Leben nach und finde, daß eben dies auch wohl der Plan der Vorsehung mit mir sein könnte. Ich habe manche Situationen erlebt, manche Rollen gespielt, mancherlei Menschen und Stände kennen gelernt, und im ganzen habe ich gefunden, daß durch alle diese Vorfälle mein Charakter immer bestimmter geworden ist. Es fehlte mir bei meinem ersten Eintritte in die Welt alles, als ein bildsames Herz. Manche dieser mir mangelnden Eigenschaften habe ich seitdem erhalten; viele, unter andern die, mich zuweilen nach andern zu akkomodieren, falsche oder meinem Charakter ganz entgegengesetzte Personen zu behandeln, etwas ins Größere zu wirken, fehlen mir noch gänzlich. Ohne dies kann ich die Kräfte, die mir die Vorsicht etwa könnte gegeben haben, nie so brauchen, wie ich es damit kann.

Sollte die Vorsicht etwa den Plan haben, auch diese Fähigkeiten in mir zu entwickeln? Sollte sie es etwa durch mein Auftreten auf einem größeren Schauplatze wollen? Sollte etwa mein Treiben an einen Hof, mein Projekt, eine Fürstenerziehung zu erhalten, Ihres Papas Plan, mich nach Kopenhagen zu bringen, Winke oder Wege der Vorsicht zu diesem Zwecke sein? Und sollte ich dann durch ein Drängen in eine kleinere Sphäre, das mir doch nicht natürlich ist, diesen Plan zu vereiteln suchen? – Ich habe zu wenig Talente, mich zu pliieren, Leute, die mir zuwider sind, zu behandeln, kann nur mit braven Leuten zurecht kommen, bin zu offen; dies war Ihnen ein Grund mehr, daß ich an keinen Hof tauge, mir ist es im Gegenteil einer, daß ich daran muß, wenn sich mir eine Gelegenheit dazu darbietet, um dadurch zu erlangen, was mir fehlt.

Den Stand der Gelehrten kenne ich; ich habe da wenig neue Entdeckungen zu machen, ich selbst habe zu einem Gelehrten von métier so wenig Geschick als möglich. Ich will nicht bloß denken; ich will handeln: ich mag am wenigsten über des Kaisers Bart denken.

Leidenschaft zu wirken

Bei der Gelegenheit noch etwas über mich. – Wenn Sie sagen: am Hofe, und wenn ich selbst Premierminister würde, wäre kein wahres Glück, so reden Sie aus meiner Seele. Das ist unter dem Monde nirgends, beim Dorfpfarrer ebenso wenig als beim Premierminister. Der eine zählt Linsen, der andere Erbsen; das ist der ganze Unterschied. Glück ist nur jenseit des Grabes. Alles auf der Erde ist unbeschreiblich klein; das weiß ich: aber Glück ists auch nicht, was ich suche, ich weiß, ich werde es nie finden.

Ich habe nur eine Leidenschaft, nur ein Bedürfnis, nur ein volles Gefühl meiner selbst, das: außer mir zu wirken. Je mehr ich handle, desto glücklicher scheine ich mir.

Aus Leipzig

Den 1. August 1790

Leiden

Ich könnte mir längst geholfen haben, wenn ich gewisse Projekte wollte fahren lassen, wenn ich mich gewissermaßen – nicht moralisch, versteht sich – degradieren wollte. Ich für meine Person ging' lieber zugrunde, ehe ich meine Plane fahren ließe.

Übrigens ist es unbegreiflich, wie viele Projekte mir seit meiner Abreise aus Zürich entweder ganz verunglückt oder ins Stocken gekommen sind. – –

Kurz, entweder die Vorsehung behält mir etwas anderes auf, um dessen willen sie mir bis jetzt nichts hat geben wollen, wie sie es wohl sonst auch getan hat; oder sie will meine Kraft durch Verlegenheiten noch mehr stärken und üben. Ich habe fast alles verloren, als den Mut.

Den 12. August 1790

Vor der Krisis

Diese Woche scheint eine Zeit der Entscheidung für mich zu sein. Alle meine Projekte bis auf die letzten sind verschwunden.

Den 5. September 1790

Die Rettung

Überhaupt habe ich vor meinem projektvollen Geiste Ruhe gefunden, und ich danke der Vorsehung, die mich kurz vorher, ehe ich die Vereitelung aller meiner Hoffnungen erfahren sollte, in eine Lage versetzte, sie ruhig und mit Freudigkeit zu ertragen. Ich hatte mich nämlich durch eine Veranlassung, die ein bloßes Ungefähr schien, ganz dem Studium der Kantschen Philosophie hingegeben; einer Philosophie, welche die Einbildungskraft, die bei mir immer sehr mächtig war, zähmt, dem Verstande das Übergewicht und dem ganzen Geiste eine unbegreifliche Erhebung über alle irdischen Dinge gibt. Ich habe eine edlere Moral angenommen, und, anstatt mich mit Dingen außer mir zu beschäftigen, mich mehr mit mir selbst beschäftigt. Dies hat mir eine Ruhe gegeben, die ich noch nie empfunden; ich habe bei einer schwankenden äußeren Lage meine seligsten Tage verlebt. – Ich werde dieser Philosophie wenigstens einige Jahre meines Lebens widmen, und alles, was ich, wenigstens in mehreren Jahren von jetzt an, schreiben werde, wird über sie sein. Sie ist über alle Vorstellung schwer und bedarf es wohl, leichter gemacht zu werden. Sollte ich in Zürich selbst, wo kein einziger ist, der sie versteht, (dies unter uns! denn wenn sie es gleich selbst öffentlich sagen, so könnte es ihnen vielleicht doch unangenehm sein, wenn es einer nachsagt, der sie zu verstehen glaubt), etwas beitragen können, sie bekannter zu machen, so würde es mir doppelte Freude sein. Die Grundsätze derselben sind freilich kopfbrechende Spekulationen, die keinen unmittelbaren Einfluß aufs menschliche Leben haben; aber ihre Folgen sind äußerst wichtig für ein Zeitalter, dessen Moral bis in seine Quellen verdorben ist; und diese Folgen der Welt in einem anschaulichen Licht darzustellen, wäre, glaube ich, Verdienst um sie. – Sage Deinem teuern Vater, den ich liebe wie meinen: wir hätten uns bei unsern Untersuchungen über die Notwendigkeit aller menschlichen Handlungen, so richtig wir auch geschlossen hätten, doch geirrt, weil wir aus einem falschen Prinzip disputiert hätten. Ich sei jetzt gänzlich überzeugt, daß der menschliche Wille frei sei, und daß Glückseligkeit nicht der Zweck unseres Daseins sei, sondern nur Glückwürdigkeit. – Auch Dich bitte ich um Verzeihung, daß ich dich oft durch dergleichen Behauptungen irre geführt habe. Achelis Einer von Fichtes Freunden. hatte doch Recht, freilich ohne es zu wissen, warum? Glaube nur hinfort an Dein Gefühl, wenn Du auch die Vernünftler dagegen nicht widerlegen könntest; sie sollen auch widerlegt werden und sind es schon; freilich verstehen sie die Widerlegung noch nicht!

Die etwaige Anlage, die ich zur Beredsamkeit habe, werde ich aber neben diesem Studium nicht vernachlässigen; ja dies Studium selbst muß dazu beitragen, sie zu veredeln, weil es derselben einen weit erhabeneren Stoff liefert als Grundsätze, die sich um unser eigenes kleines Ich herumdrehen. Nach meinem Plane werde ich nach meiner jetzigen Schrift und nach einer, die darauf folgen wird, welche freilich nur für gelehrte Denker bestimmt sind, nichts tun, als eben diese Grundsätze populär und durch Beredsamkeit auf das menschliche Herz wirksam zu machen suchen. Diese Beschäftigung steht mit der Bestimmung eines Predigers in einer sehr nahen Beziehung; bin ich also noch zu derselben bestimmt, so würde sie zur Vorbereitung und Legitimation für diesen Beruf dienen. Bin ich aber nicht für denselben bestimmt, so habe ich wenigstens die Beruhigung, das getan zu haben, was von mir abhängt: mich zu demselben tüchtig zu machen. Das Weitere ist nicht meine Sorge. – –

Als Schüler Kants

Aus dem Briefwechsel mit Kant

Und jetzt, wenn die Vorsehung das Flehen so Vieler erhören und Ihr Alter über die ungewöhnlichste Grenze des Menschenalters hinaus verlängern will, jetzt, guter, teurer, verehrungswürdiger Mann, nehme ich auf dieser Welt für persönliches Anschauen Abschied, und mein Herz schlägt wehmütig, und mein Auge wird feucht. In jener Welt, deren Hoffnung Sie so manchem, der keine andere hatte, und auch mir gegeben haben, erkenne ich gewiß Sie, nicht an den körperlichen Zügen, sondern an Ihrem Geiste wieder.

[Kant erwiderte darauf:

»Wie nahe oder wie fern auch mein Lebensziel ausgesteckt sein mag, so werde ich meine Laufbahn nicht unzufrieden endigen, wenn ich mir schmeicheln darf, daß, was meine geringen Bemühungen angefangen haben, von geschickten, zum Weltbesten eifrig hinarbeitenden Männern der Vollendung immer näher gebracht werden dürfte.«

Worauf Fichte das Folgende als Gegenantwort schrieb:]

Nein, großer, für das Menschengeschlecht höchst wichtiger Mann, Ihre Arbeiten werden nicht untergehen; sie werden reiche Früchte tragen, sie werden in der Menschheit einen neuen Schwung und eine totale Wiedergeburt ihrer Grundsätze, Meinungen, Verfassungen bewirken! Es ist, glaube ich, nichts, worüber die Folgen derselben sich nicht verbreiteten. Und diesen Ihren Entdeckungen gehen frohe Aussichten auf. – –

Was muß es sein, großer und guter Mann, gegen das Ende seiner irdischen Laufbahn solche Empfindungen haben zu können als Sie! Ich gestehe, daß der Gedanke an Sie immer mein Genius sein wird, der mich treibe, soviel in meinem Wirkungskreise liegt, auch nicht ohne Nutzen für die Menschheit von ihrem Schauplatze abzutreten.

Urteile über Kant

Kant: der erste Denker dieses und der vergangenen Jahrhunderte und höchstwahrscheinlich einer der ersten aller künftigen.

 

Derjenige Mann, der die letzte Hälfte dieses Jahrhunderts für den Fortgang des menschlichen Geistes für alle künftigen Zeitalter unvergeßlich gemacht hat.

 

Der Verfasser ist bis jetzt innig überzeugt, daß kein menschlicher Verstand weiter als bis zu der Grenze vordringen könne, an der Kant, besonders in seiner Kritik der Urteilskraft, gestanden. – – Er weiß es, daß er nie wird etwas sagen können, worauf nicht schon Kant unmittelbar oder mittelbar, deutlicher oder dunkler gedeutet habe. Er überläßt es den zukünftigen Zeitaltern, das Genie des Mannes zu ergründen, der von dem Standpunkte aus, auf welchem er die philosophierende Urteilskraft fand, oft wie durch höhere Eingebung geleitet, sie so gewaltig gegen ihr letztes Ziel hinriß. –

Jesus, Luther und Kant

Jesus und Luther, heilige Schutzgeister der Freiheit, die ihr in den Tagen eurer Erniedrigung mit Riesenkraft in den Fesseln der Menschheit herumbrachet und sie zerknicktet, wohin ihr grifft, seht herab aus höheren Sphären auf eure Nachkommenschaft und freut euch der schon aufgegangenen, der schon im Winde wogenden Saat: bald wird der dritte, der euer Werk vollendete, der die letzte stärkste Fessel der Menschheit zerbrach, ohne daß sie, ohne daß vielleicht er selbst es wußte, zu euch versammelt werden. Wir werden ihm nachweinen; ihr aber werdet ihm fröhlich den ihn erwartenden Platz in eurer Gesellschaft anweisen, und das Zeitalter, das ihn verstehen und darstellen wird, wird euch danken.

Jena 1794-99

Erstes Zusammentreffen mit Goethe

Goethe kenne ich wirklich erst seit gestern, aber ich liebe ihn sehr, und er verdient es auch um mich. Er ist weit mehr eingeweiht in das freie Forschen, als man bei seinem dichterischen Charakter glauben sollte, und übertrifft Schiller darin um vieles, der eigentlich in zwei Welten lebt, in der poetischen und dann und wann auch in der kantisch-philosophischen. Mit Ihrem Urteil über jenen bin ich völlig einverstanden. Was Wieland betrifft, so glaube ich, dieser beherrscht seinen Genius; Goethe wird von dem seinigen beherrscht, und dann ist ohne Zweifel der letztere stärker. Als Mensch ist Goethe ungleich mehr wert als Wieland. Sonderbar; als Mensch ist Goethe wieder frei, und Wieland wird vom Genie Capriccio beherrscht. Man sollte glauben, er sei falsch; aber das ist er gewiß nicht; er ist prädikatlos.

Goethe

Diese edelste Blüte der Humanität, welche durch die Natur nur einmal unter dem griechischen Himmel hervorgetrieben und durch eins ihrer Wunder im Norden wiederholt wurde. Es schmiegt sich an unsere Seele das lebendige Bild jener geendigten Kultur, die den Angriffen des Schicksals nicht mehr mit gewaltsamen Anstrengungen und Renkungen entgegengeht, und die eher alles als die reine Ebenheit ihres Charakters und die leichte Grazie in den Bewegungen ihres Gemüts verliert; jenes Beruhens in sich selbst und auf sich selbst, das es nicht mehr bedarf, durch Anstrengung seine Kraft aufzuregen und gegen den Widerstand anzustemmen, sondern das auf seiner eigenen natürlichen Last sicher steht; jener Unbefangenheit des Geistes, welche die Dinge auch bei ihrem gewaltsamsten Andringen auf uns dennoch keiner anderen Schätzung würdigt, als der, die ihnen gebührt, daß sie Gegenstände unserer Betrachtung sind, und welche auch dann noch den gefälligen Formen derselben ein ästhetisches Vergnügen, den Verzerrungen derselben ein leichtes Lächeln, wie Grazien lächeln, abzugewinnen vermag; jener Vollendung der Menschheit, die sich von der Sinnenwelt nicht losgerissen sondern abgelöst fühlt, und die mit gleicher Leichtigkeit derselben ohne Mißvergnügen entbehren oder ihrer mit Freude auf ihre Weise genießen kann.

Schiller Dies Wort über Schiller möge hier stehen, obgleich es natürlich erst dem Jahre 1805 und nicht mehr der Jenaer Zeit Fichtes angehört.

Innigst erschüttert hat mich und meine Frau, welche letztere sich die Freiheit nimmt, den angeschlossenen Brief an Frau von Schiller beizulegen, die Nachricht vom Tode unsers teuern Schiller. Ich hatte an ihm noch einen höchst seltenen Gleichgesinnten über geistige Angelegenheiten. Er ist hin. Ich achte, daß in ihm ein Glied meiner eigenen geistigen Existenz mir abgestorben sei.

Eine Freundschaftserklärung An Reinhold.

Sie haben gemacht, daß ich Sie innig lieben muß; dies ist nach Ihrem individuellen Charakter notwendig der Weg, auf welchem Sie Ihre Freundschaften schließen; ich bin immer den entgegengesetzten Weg gegangen und habe ihn gehen wollen von Achtung zur Liebe. Ich ersehe aus Ihrem Briefe, daß Sie mir die erstere nicht für mein philosophisches Talent, wovon hier nicht die Rede sein kann, sondern für meinen Charakter nicht versagen; und ich bin fest überzeugt, daß Sie damit enden werden, mich zu lieben, wie ich Sie liebe.

Humor

Den herzlichsten Dank für die Nachricht von Ihrer Familie An Reinhold.. Machen Sie Ihren Neugeborenen und Ihre Übrigen zu meinen Freunden, nennen Sie Ihnen, wie sie heraufwachsen, meinen Namen unter den Namen derjenigen, auf die sie rechnen können in jeder Lage. Empfehlen Sie mich Ihrer verehrten Gemahlin, deren Vater Wieland. ich neulich auf eine sehr besondere Veranlassung und durch einen ganz entgegengesetzten Effekt seiner Worte unendlich lieb gewonnen habe. Er schmähte auf die Kantsche Philosophie, auf Demokratismus, auf abgeschnittenes Haar, auf Bänderschuh, kurz auf alles, was meine geistigen und körperlichen Prädikate ausmacht oder wenigstens dafür gehalten wird, mit einer solchen Naivetät und Genialität, ging, als ich herzlich mitlachte, und er sich zu besinnen schien, daß dies doch einmal meine Prädikate wären, in eine solche Herzlichkeit über, daß dies die angenehmsten Augenblicke meines Lebens wurden.

An der Arbeit

Ich lese des Tags drei Kollegien, eins über eine mir ganz neue Wissenschaft, wo ich das System erst aufbaue, indem ich es darstelle; zwei, die ich schon gelesen, die ich aber bearbeite, als ob ich sie nie bearbeitet hätte. Ich habe sonach täglich drei Kollegien auszuarbeiten und zu lesen; ich, der ich nicht die größte Leichtigkeit habe, meine Gedanken bis zur Darstellung zu verdeutlichen. Dies dauert fünf Tage. Der übrigen zwei bedarf ich nur zu nötig, um einen allgemeinen Überblick zu tun, was ich in der nächsten Woche zu bearbeiten haben werde. Urteilen Sie, wie viel mir Zeit übrig bleiben möge, an irgend etwas, das mir nicht unmittelbar gegenwärtig ist, sehr lebhaften Anteil zu nehmen; wie abgemattet ich sein möge, wenn mein Tagewerk nun endlich geschlossen ist, das mit Anbruch des andern Tages wieder anheben wird; wie ich dann alles, was noch außerdem auf mir liegt, mir aus dem Sinne schlage und von der Hand weise. Ich könnte Ihnen scherzhafte Beispiele davon aufführen. – –

So träge, so vergeßlich und, wenn Sie wollen, so unteilnehmend für alles, was mir nicht unmittelbar gegenwärtig ist, mich diese Lage machen kann, deren Endschaft ich mit jedem halben Jahre hoffe und bis jetzt vergebens hoffe, so soll doch weder sie noch irgend eine andere mich verdrießlich, übellaunig, bösartig und dadurch ungerecht machen. Dafür kann ich einstehen, ohne vermessen zu sein, denn der Grund liegt in meinem Temperamente. Wenn etwa meine auswärtigen Freunde mich bemitleiden über den vielen Verdruß, über die bitteren Stunden, die ich verleben mag, so bin ich ihnen für ihren guten Willen sehr verbunden, aber er ist übel verwendet. Ich bin gesund, kann essen und trinken und schlafen, habe eine wackere Frau; ich sehe in meinem nächsten Zirkel, daß ich nicht vergebens arbeite; während der Vorlesungen lege ich die plumpen Angriffe auf mich beiseite, und wenn ich in den Ferien Zeit finde, sie zu beherzigen, so lache ich bei dieser Arbeit mich für das ganze künftige Halbjahr gesund. Man kann mir unangenehme Minuten machen, aber den, der es zu einer unangenehmen Viertelstunde brächte, soll ich noch sehen.

Als Lehrer

So oft er einem anderen die Wahrheit mitteilt, fällt ihm selbst eine neue Beleuchtung darauf, und jeder Schüler, den er zu ihr bekehrt, zeigt ihm eine neue Seite an ihr. Alle Freuden und alle Belohnungen, die du ihm geben kannst, sind nichts gegen diejenigen, die er täglich erneuert schmeckt: Einmütigkeit im Denken hervorzubringen und einen menschlichen Geist mit dem seinigen in Eins zu verschmelzen. Die Aussichten auf diese kurze Spanne Leben, die du ihm eröffnen könntest, sind nichts gegen die seinigen, daß die Früchte seiner Arbeiten fortdauern werden in die Ewigkeit, und daß nichts in der unendlichen Reihe der Ursachen und Wirkungen zur Vervollkommnung des Menschengeschlechtes vergehen wird, das er in sie brachte. Der Jünger ist nicht größer als sein Meister, wenn er nichts als Jünger und Lehrling ist und nichts kann als nachmachen; aber groß und glücklich wäre der Meister, der alle seine Schüler größer machen könnte, als er selbst war. Welch eine Saat von Menschenwert und Menschenglück aus dem Korne, das er warf, entsprossen, müßte vor seinem Auge dämmern! – Gehe doch mein Name verloren, und die Silben desselben rollen nicht über die Zungen der Nachwelt, wenn nur in der großen Kette der Vervollkommnung meines Brudergeschlechtes meine Existenz ein Glied ausmacht, in welches sich Glieder schlingen bis in die Ewigkeit hinaus; wenn es auch keiner weiß, wenn es nur so ist.

Eine Probe aus Fichtes akademischen Hörsaal Es war dies der Abschluß des ersten Kollegs, das er las. Schon die Widmung zeigt einen Ton, wie er auch im Zeitalter des Humanismus nur Fichten möglich war. Wir geben von diesem Hymnus der Humanität nur das Titelblatt und den Schluß.

Über Die Würde des Menschen

Beim Schlusse seiner philosophischen Vorlesungen gesprochen von
J. G. Fichte
1794

Nicht als Untersuchung, sondern als Ausguß der hingerissensten Empfindung nach der Untersuchung, widmet seinen Gönnern und Freunden zum Andenken der seligen Stunden, die er mit ihnen im gemeinschaftlichen Streben nach Wahrheit verlebte, diese Blätter der Verfasser.

*

Um den höheren Menschen herum schließen die Menschen einen Kreis, in welchem derjenige sich dem Mittelpunkte am meisten nähert, der die größte Humanität hat. Ihre Geister streben und ringen sich zu vereinigen, und nur einen Geist in mehreren Körpern zu bilden. Alle sind ein Verstand und ein Wille und stehen da als Mitarbeiter an dem großen einzig möglichen Plane der Menschheit. Der höhere Mensch reißt gewaltig sein Zeitalter auf eine höhere Stufe der Menschheit herauf; sie sieht zurück und erstaunt über die Kluft, die sie übersprang; der höhere Mensch reißt mit Riesenarmen, was er ergreifen kann, aus dem Jahrbuche des Menschengeschlechts heraus.

Brecht die Hütte von Leimen, in der er wohnt! Er ist seinem Dasein nach schlechthin unabhängig von allem, was außer ihm ist; er ist schlechthin durch sich selbst; und er hat schon in der Hütte von Leimen das Gefühl dieser Existenz in den Momenten seiner Erhebung, wenn Zeit und Raum und alles, was nicht er selbst ist, ihm schwinden; wenn sein Geist sich gewaltsam von seinem Körper losreißt und dann wieder freiwillig zu Verfolgung der Zwecke, die er durch ihn noch erst ausführen möchte, in denselben zurückkehrt. – Trennt die zwei nachbarlichen Stäubchen, die ihn jetzt umgeben; er wird noch sein; und er wird sein, weil er es wollen wird. Er ist ewig durch sich selbst und aus eigener Kraft.

Hindert, vereitelt seine Pläne! – Aufhalten könnt ihr sie: aber was sind tausend und abermals tausend Jahre in dem Jahrbuche der Menschheit? – was der leichte Morgentraum ist beim Erwachen. Er dauert fort, und er wirkt fort, und was euch Verschwinden scheint, ist bloß eine Erweiterung seiner Sphäre: was euch Tod scheint, ist eine Reife für ein höheres Leben. Die Farben seiner Pläne und die äußeren Gestalten derselben können ihm verschwinden; sein Plan bleibt derselbe; und in jedem Momente seiner Existenz reißt er etwas Neues außer sich in seinen Kreis mit fort, und er wird fortfahren an sich zu reißen, bis er alles in denselben verschlinge; bis alle Materie das Gepräg seiner Einwirkung trage, und alle Geister mit seinem Geiste einen Geist ausmachen.

Das ist der Mensch; das ist jeder, der sich sagen kann: Ich bin Mensch. Sollte er nicht eine heilige Ehrfurcht vor sich selbst tragen und schaudern und erbeben vor seiner eigenen Majestät! – Das ist jeder, der mir sagen kann: Ich bin. – Wo du auch wohnest, du, der du nur Menschenantlitz trägst; – ob du auch noch so nahe grenzend mit dem Tiere unter dem Stecken des Treibers Zuckerrohr pflanzest, oder ob du an des Feuerlandes Küsten dich an der nicht durch dich entzündeten Flamme wärmst, bis sie verlischt, und bitter weinst, daß sie sich nicht selbst erhalten will, – oder ob du mir der verworfenste, elendste Bösewicht scheinest, du bist darum doch, was ich bin; denn du kannst mir sagen: Ich bin. Du bist darum doch mein Gesell und mein Bruder. O, ich stand einst gewiß auf der Stufe der Menschheit, auf der du jetzt stehest; (denn es ist eine Stufe derselben, und es gibt auf dieser Leiter keinen Sprung) – vielleicht ohne Fähigkeit des deutlichen Bewußtseins, vielleicht so schnell darüber hineilend, daß ich nicht die Zeit hatte, meinen Zustand zum Bewußtsein zu erheben: aber ich stand einst gewiß da: – und du wirst einst gewiß, – und dauere es Millionen und millionenmal Millionen Jahre – was ist die Zeit? – du wirst einst gewiß auf einer Stufe stehen, auf der ich auf dich und du auf mich wirken kannst. Auch du wirst einst in meinen Kreis mit hingerissen werden und mich in den deinigen mit hinreißen; auch dich werde ich einst als meinen Mitarbeiter an meinem großen Plane anerkennen. – Das ist mir, der ich Ich bin, jeder, der Ich ist. Sollte ich nicht beben vor der Majestät im Menschenbilde; und vor der Gottheit, die vielleicht im heimlichen Dunkel, – aber die doch gewiß in dem Tempel, der dessen Gepräge trägt, wohnt?

Erd' und Himmel und Zeit und Raum und alle Schranken der Sinnlichkeit schwinden mir bei diesem Gedanken; und das Individuum sollte mir nicht schwinden? – Ich führe Sie nicht zu demselben zurück.

Alle Individuen sind in der einen großen Einheit des reinen Geistes eingeschlossen; dies sei das letzte Wort, wodurch ich mich Ihrem Andenken empfehle, und das Andenken, zu dem ich mich Ihnen empfehle.

Bittere Erfahrungen eines idealistischen Professors mit den Studenten

Es ist auffallend, wie die Besten und Verständigsten auf einmal den Verstand völlig verlieren, wenn die Rede auf die Gegenstände ihrer Vorurteile, auf Burschenrechte, akademische Freiheit usw. kommt. Die Besten wollen freilich ihr Recht, Häuser zu stürmen, zu plündern und zu rauben, nicht gebrauchen, aber das muß von ihrem guten Willen abhangen; sie mit Gewalt daran zu verhindern, ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit. Gott mag es denen, die durch eine lange Praxis sie diese Grundsätze gelehrt haben, vergeben; ich kann es ihnen nicht vergeben.

Ich bin dem Gedanken nahe, den ich sonst mit ganzer Macht bestritten, den ich im andern als ein sicheres Zeichen der Schlechtigkeit betrachtet, – Gott verzeihe es mir – daß mit dieser Menschenklasse schlechterdings nichts anzufangen ist, daß man ihre Erziehung Gott und ihrem künftigen Schicksale überlassen muß und zufrieden sein, wenn es so einzurichten ist, daß andere Leute es neben ihnen nur eben aushalten können. Es werden jetzt Dinge zum Vorschein kommen, die doch wohl jeden, in dem noch ein Funken von Ehrgefühl ist, empören sollten. Bei Dr. Schmidt hat die Rotte Zinn, Kupfer, Silber, Kleider und, wie man sagt, sogar Geld geraubt und es in Punsch vertrunken. Für diese Handlung haben gegen 500 Studenten eine kecke Forderung der Amnestie an den Herzog unterschrieben. Es verlangt mich zu sehen, ob es sie demütigen wird, wenn die ganze Schandtat aufgedeckt vor ihnen liegen wird; ob sie erschrecken werden zu sehen, wozu sie sich von den schändlichsten aller Menschen, den Direktoren der Orden, brauchen lassen. Schrecklich ist's, es zu sagen, aber es ist wahr, – es ist schwerlich zu erwarten. Man hört, nicht unter Studenten allein, unter Professoren und noch Höhern die lautesten Klagen, daß um eines jugendlichen Mutwillens willen so viele junge Menschen auf ihr ganzes Leben unglücklich werden sollen! Der Erfolg wird sein, es werden 40, 50 mit und ohne Infamie relegiert, auf die Festung gesetzt, mit dem consilium bestraft werden, die grundverdorbene Verfassung und die noch verdorbenere Denkart und Sitten werden bleiben, und wir werden in einem halben Jahre oder in einem Jahre alle Greuel wiederholt sehen. Ich, ungeachtet man mich in diesen Gegenden auf die hämischste Weise anfeindet, verfolgt und anschwärzt, besitze doch das Zutrauen der wenigen Rechtschaffenen. Noch ein braver, mutiger Mann unter den Professoren Gemeint war Paulus. und ich, wir sagen, bitten, beschwören, raten, diskutieren am rechten Orte; man findet das alles schön, wahr, gut, versichert uns seiner Achtung, – und ich wette, es bleibt, wie es ist, und wir werden zuletzt nichts gerettet haben als unsere Seele. Es ist, Sie wissen wohl, nicht der stille Gang der Vernunft, sondern ein Aufbrausen der Leidenschaft, auf welches hinterher eine desto größere Entkräftigung folgen wird, und jene gründliche Indifferenz, welche gewisse Leute theoretisch und praktisch immerfort lehren. Tragen wollte ich den Verlust Man hatte auch ihm und seinem Wirt die Scheiben zertrümmert, seinen fieberkranken Schwiegervater aus dem Schlaf geschreckt und mit Steinwürfen beinahe verletzt., den ich und die Meinigen durch diese weiten Reisen, durch wohlfeilen Verkauf und teuern Einkauf einer ganzen Haushaltung, durch dieses Ziehen und Wiederziehen gemacht haben und wieder machen müßten, und ihn verschmerzen, wenn ich irgendwo ein Stückchen Brot bekommen könnte, das man mit Ehre essen könnte, denn es ist wahrlich keine Ehre, solchen Leuten Weisheit zu lehren.

Der Unverbesserliche

Die Menschen: von diesen denke ich im ganzen schlecht genug, handle aber immer, als ob ich wirklich glaubte, daß sie etwas taugten, und soeben betrogen gebe ich mich wieder dem ersten, der mich bis jetzt noch nicht betrogen hat, unbefangen hin und fange an, überzeugt zu werden, daß ich über diesen Punkt unverbesserlich bin!

Vorschlag zu einem Verein

Ich meine, Lieber An Reinhold., daß man sich nicht zum Glauben vereinigen müsse, sondern zum Handeln, und zwar zu einem genau bestimmten Handeln. Nur der äußere Zweck bindet. Eine Gesellschaft ohne ihn ist eigentlich keine.

Nun fehlt es jetzt wahrlich nicht an Zwecken, die des Bestrebens der Biedermänner würdig wären. Ich denke nicht auf unmittelbare Wirksamkeit, diese würde, glaube ich, schaden. Der Gelehrte hat mittelbar zu wirken. Die Literatur ist das schändlichste Gewerbe geworden, der Buchhandel eine Nürnberger Bude. Ein toller Luxus entnervt selbst unsere bessern Schriftsteller und macht sie abhängig. Die Wissenschaft ist in größerer Gefahr, als sie je war, und die Geistesfreiheit wird sich ungeachtet des Blödsinns der dagegen verschworenen Mächtigen leicht unterdrücken lassen, weil die Gelehrten – so gar wenig taugen.

Aber gerade um dieses allgemeinen Taumels, Blödsinns und dieser Schwäche willen würde die planmäßige und berechnete Gegenwirkung einiger weniger einverstandener Biedermänner eine entschiedene Übermacht haben.

Gefällt Ihnen diese Idee, so haben Sie die Güte, mir darüber zu schreiben, und ich bilde mir dann meine Gedanken weiter aus. Es würde dabei nicht auf die Anzahl sondern auf die Energie der Einverstandenen ankommen. Hier z. B. kenne ich nur Paulus, von welchem sich etwas versprechen ließe. Nichts würde uns nachteiliger werden als Eitle, die alles nur um des Geräusches willen tun.

Aus der Zeit des Atheismusstreites und der Verfolgung

Ich habe Aktenstücke zu sammeln und zu ordnen; ich habe meine häuslichen Angelegenheiten in Ordnung zu bringen; ich habe ein Asyl zu suchen, in welchem ich einige Zeit ganz unbekannt, sicher vor literarischen und politischen Neuigkeiten, vor denen ich einen unüberwindlichen, tödlichen Ekel habe, und gedeckt vor den Bannstrahlen der Priester und den Steinigungen der Gläubigen, eine Muße genießen könne, die für meine Selbstbildung nicht verloren sein soll.

 

Denken Sie die – wie soll ich es nennen? – die man ganz neuerlich an mir begeht! Ich suchte ein abgelegenes Winkelchen, wo ich im strengsten Inkognito mich einige Jahre verbergen könnte, bis die Gärung im Publikum und mein Ekel an demselben vorübergegangen wäre, und hatte Hoffnung, durch die Güte eines benachbarten kleinen Fürsten, den ich kenne, dieses Winkelchen zu finden. Man ist höchsten Orts scharfsinnig genug, dies zu ahnen, und deutet dem Fürsten an, daß man dies ungern merken würde usw. Was sagen Sie dazu? Hätten Sie dergl. Schritte in unserm aufgeklärten Zeitalter und Lande wohl vermutet? Ich verachte auch dies, aber es ist schlimm, daß man doch irgendwo im Raume sein muß!

 

Aber darf ich denn schweigen? Nein, das darf ich wahrlich nicht, denn ich habe Grund zu glauben, daß, wenn noch etwas gerettet werden kann des deutschen Geistes, es durch mein Reden gerettet werden kann.

 

Ich habe nie geglaubt, daß sie meinen vorgeblichen Atheismus verfolgen, sie verfolgen in mir einen Freidenker, der anfängt, sich verständlich zu machen (Kants Glück war seine Obskurität), und einen verschrienen Demokraten; es erschreckt sie wie ein Gespenst die Selbständigkeit, die, wie sie dunkel ahnen, meine Philosophie weckt.

 

Ungerechtigkeiten gegen meine Person empören mich gerade am wenigsten.

 

Ist auch dies begreiflich und zu entschuldigen, daß diese Menschen sich nicht schämen und grämen, zu sein und sein und bleiben zu wollen, was sie sind? Lieber, die Freiheit, die ich lehre, mute ich zugleich an und setze sie bei jedem voraus, und es gibt bei mir keine Verblendung ohne Schuld. Ich fühle, trotz meines obigen Versprechens, mich zu bessern, wird es mir doch Mühe kosten, kalt und ruhig mein Geschlecht zu betrachten, als ob es nicht frei, sondern eine Räsonniermaschine wäre, die man nur richtig stellen müßte. Ich sehe kein Mittel, mich mit ihm zu vertragen, als dies, es einige Zeit zu verlassen.

Berlin, Königsberg, Berlin 1799-1814

Reden an die deutschen Krieger zu Anfang des Feldzuges 1806 (Fragment)

Einleitungsrede

Wer ist der Redner? Unter anderem Gesandter der Wissenschaft und des Talentes. Ihr wißt, daß alle Verhältnisse euch ihre teuersten Interessen anvertraut haben, stumm zu euch flehend, ihr Fortschreiten, ihr gesundes Gedeihen zu beschützen. Auch die Wissenschaft und alle geistige Fortbildung der Menschheit ist euch jetzt anvertraut. Diese kann reden, und sie redet; sie fleht in Worten; aber sie fleht nicht, sie vertraut und weissaget, keine nachmalige Beschämung oder Vereitlung ihrer Hoffnung fürchtend, was durch euch auch für sie vollbracht werden wird.

Sie überschaut alle übrigen Interessen, auch die heiligsten; sie darf daher das Verdienst dessen deuten, was ihr tun werdet. Sie will es nur mit dem Höchsten, nicht jedem ersten Blicke Sichtbaren zu tun haben. Diese heiligsten Interessen würde sie zu euch flehen lassen, wenn es dessen bedürfte: so wird sie dieselben lediglich zeugen lassen für die Höhe und den Wert eurer Taten, aus ihnen den verborgensten und geheimsten Sinn derselben euch auslegend und euer Tun durch seine Bedeutung für euch selber adelnd und weihend.

Welches Organes bedient sich jene und die in ihr mitumfaßten Interessen? Eines Mannes, dessen Gesinnung und Charakter wenigstens nicht unbekannt sind, sondern seit länger als einem Jahrzehnt vor der deutschen Nation liegen; dem jeder wenigstens so viel zugestehen wird, daß sein Blick nicht am Staube gehangen, sondern das Unvergängliche stets gesucht; daß er nie feige und mutlos seine Überzeugung verleugnet, sondern mit jedem Opfer sie laut bezeuget hat, und den seine Denkart nicht unwürdig macht, vom Mute und von Entschlossenheit unter Mutigen zu reden. Muß er sich begnügen zu reden, kann er nicht neben euch mitstreiten in euren Reihen und durch mutiges Trotzen der Gefahr und dem Tode, durch Streiten am gefährlichsten Orte, durch die Tat die Wahrheit seiner Grundsätze bezeugen, so ist das lediglich die Schuld seines Zeitalters, das den Beruf des Gelehrten von dem des Kriegers abgetrennt hat und die Bildung zum letzteren nicht in den Bildungsplan des ersteren mit eingehen läßt. Aber er fühlt, daß, wenn er die Waffen zu führen gelernt hätte, er an Mut keinem nachstehen würde; er beklagt, daß sein Zeitalter ihm nicht vergönnt, wie es dem Äschylus, dem Cervantes vergönnt war, durch kräftige Tat sein Wort zu bewähren, und würde in dem gegenwärtigen Falle, den er als eine neue Aufgabe seines Lebens ansehen darf, lieber zur Tat schreiten als zum Worte.

Jetzt aber, da er nur reden kann, wünscht er Schwerter und Blitze zu reden. Auch begehrt er dasselbe nicht gefahrlos und sicher z^ tun. Er wird im Verlaufe dieser Reden Wahrheiten, die hierher gehören, mit aller Klarheit, in der er sie einsieht, mit allem Nachdrucke, dessen er fähig ist, mit seines Namens Unterschrift aussprechen, Wahrheiten, die vor dem Gerichte des Feindes des Todes schuldig sind. Er wird aber darum keinesweges feigherzig sich verbergen, sondern er gibt vor eurem Angesichte das Wort, entweder mit dem Vaterlande frei zu leben oder in seinem Untergange auch unterzugehen.

Er hat diesen Beruf lediglich durch sein Herz getrieben übernommen; was er sagt, sind seine eigenen Ansichten und Überzeugungen, nicht die eines fremden Auftrages, noch haben sie sonst irgend eine andere Absicht. Er will sie darum auch allein verantworten. – Und vergönnt ihm um so mehr, daß er zu euch rede, da ihn ein wahres Bedürfnis treibt, seine Gedanken aus den gewohnten Umgebungen in eure Gesellschaft, zu eurem Bilde wie zu einer Freistatt zu flüchten. Denn man muß es bekennen, und es liegt am Tage: – die deutsche Nation hat durch eigene Schuld, von deren Teilnahme nur wenige Individuen sich ganz dürften lossprechen können, das Schicksal sich zugezogen, das euch jetzt die Waffen in die Hand gegeben, und hat leider verdient, was hoffentlich eure Siege abwenden werden. Schlaffheit, Feigheit, Unfähigkeit, Opfer zu bringen, zu wagen, Gut und Leben an die Ehre zu setzen; lieber zu dulden und langsam in immer tiefere Schmach sich stürzen zu lassen, dies war der bisherige Charakter der Zeit und ihrer Politik. Dies ist das Hängen am Staube, das jede Erhebung darüber für Exaltation hält, sogar sie lächerlich findet. – Nur über den Tod hinweg, mit einem Willen, den nichts, auch der Tod nicht, beugt und abschreckt, taugt der Mensch etwas. Die Exaltation ist das einzige Ehrwürdige, wahrhaft Menschliche. Jene Trivialität aber ist Willenlosigkeit, mit der allzuoft auch Gedankenlosigkeit verknüpft ist. –

Was ist dagegen der Charakter des Kriegers? Opfern muß er sich können; dazu wird er erzogen. Bei ihm kann die wahre Gesinnung, die rechte Ehrliebe gar nicht ausgehen, die Erhebung zu etwas, das über das Leben und seine Genüsse hinausliegt. Zu euch darf die entnervende Sittenlehre, die erbärmliche Sophistik den Zugang nicht finden, die größten und mächtigsten Anhänger derselben müßten wenigstens von euch sie abzuhalten suchen. – Wer durch Spekulation und durch Umgang mit den Alten und den besten Neueren sich erhebt und in der wirklichen Welt nach etwas Gleichgestimmtem sich umsähe, wo sollte er es finden, außer bei euch? Jene Zerflossenheit wird durch jeden Ernst der Erhebung, den man ihr anmutet, wie in sich zusammengeschnürt: gegen dieses ungewohnte, schmerzhafte Gefühl ist das Lachen das ihnen durch den Naturinstinkt angewiesene Mittel, sich wieder behaglich auszudehnen. Sie lachen dem Mahner entgegen! Möchte es mir bei euch gelingen, Dinge höherer Weltordnung zum ersten Male auszusprechen, ohne von den Angesprochenen unmittelbar entgegengelacht zu bekommen! –

Ihr habt und werdet jetzt erhalten die Gelegenheit euch dieses eures Wertes gewiß zu machen. Vor der Schlacht und in Rücksicht des Krieges: nicht zu schwanken und nur den Krieg zu wollen, aber fest und besonnen alle seine Erfolge zu berechnen. In der Schlacht: im Getümmel festen Sinn in der Brust zu behalten, selber im Tode Sieg, Vaterland, Ewiges zu denken. Diese Gelegenheit hat kein anderer also wie ihr: deshalb seid ihr beneidenswert. Aber durch dies Beispiel allein werdet ihr wirken auch auf die anderen, Nerv und Kraft auch in den übrigen Teil der Nation bringen, die tot und erschlafft war. Nach euch richtet hoffend der Freund der Menschheit und der Deutschen seinen Blick. An euch richtet seine Hoffnung sich auf, die niedergeschlagen lag! –

Könnte ich mündlich zu euch reden, an eurem Blicke mich wieder begeisternd! So aber möge die gemeinsame Liebe den toten Buchstaben erwecken, die gemeinsame Gesinnung den Dolmetscher bei euch machen. – –

Anwendung der Beredsamkeit für den gegenwärtigen Krieg 1806

Die Modernen finden Beredsamkeit oft auch in dem, was nicht geredet wird. Hier wird unter derselben zunächst ein wirkliches Reden verstanden; von dem Ersterwähnten sprechen wir tiefer unten.

Daß von jeher allenthalben, wo die Beredsamkeit war, und ein Ohr, sie zu vernehmen, dieselbe auch im Kriege die Heere zum Siege begeistert und oft ein Wort Armeen geschlagen hat, ist aus der Geschichte bekannt, und wenn wir es vergessen haben könnten, so hat, bis auf die letzten Begebenheiten hin, der Feind uns dies gezeigt.

Man setzt zwar hier, wie billig, voraus, daß im gegenwärtigen Kriege nirgends, vom Oberhaupte an bis auf den niedrigsten Untergebenen, es des Anfeuern oder Begeisterns bedürfe, indem, durch eine in allen Zeiten beispiellose Ursache entzündet, wohl alle Gemüter sattsam brennen. Jedoch bleibt auch immer dermalen, von jener Aufgabe unabhängig, der Beredsamkeit das weit reinere und schönere Geschäft übrig, die schon entzündete Glut zur dauernden, freien und besonnenen Flamme zu verdichten und das heilige Feuer also, daß es in jedem Augenblicke zweckmäßig sich anfache, zu bewahren,

Eine Beredsamkeit in diesem Geiste, voraussetzend schon vorhandene Einsicht, ist berechnet nur auf die Ersten des Heeres und auf die Besten, die der reinen und klaren Besinnung fähig sind. Nicht ursprünglich entzündend, vermag sie nur der Betrachtung wieder darzulegen, was der Beste wirklich ist und innerlich denkt; sie will nur im Worte ihm verständlich machen, was im Laufe des ununterbrochenen Handelns dem Handelnden verschwindet, festhaltend für die dauernde Anschauung das schöne Bild, das der begeistertste Augenblick ihm ausgeboren; sie will nur diejenigen Betrachtungen anstellen, die jeder ebenso wohl für sich selbst anstellen würde, wenn er die Zeit dazu hätte, und eben dadurch sie befestigen für die eigene, klare Besinnung im Leben, für die unverrückbare Konsequenz des Handelns darnach, so wie für die leichtere Mitteilung an andere.

Was dem, welcher sich antrüge, dieses Geschäft der Rede dermalen zu verwalten, zunächst obläge, wäre die Beweisführung, daß er selber die Bedeutung dieses Krieges verstehe und von dem Interesse desselben höher als von dem Interesse seines Lebens oder irgend einem anderen ergriffen sei. Der Verfasser des gegenwärtigen Entwurfes sieht den bevorstehenden Krieg also an:

Es soll durch ihn die Frage entschieden werden, ob dasjenige, was die Menschheit seit ihrem Beginne durch tausendfache Aufopferungen an Ordnung und Geschicklichkeit, an Sitte, Kunst und Wissenschaft und fröhlichem Aufheben der Augen zum Himmel errungen hat, fortdauern und nach den Gesetzen der menschlichen Entwickelung fortwachsen werde; oder ob alles, was Dichter gesungen, Weise gedacht und Helden vollendet haben, versinken solle in den bodenlosen Schlund einer Willkür, die durchaus nicht weiß, was sie will, außer daß sie eben unbegrenzt und eisern will! Die Entscheidung hierüber ist endlich nach vereitelten Versuchen anderer demjenigen Staate in Europa anheimgefallen, der im Besitze aller derjenigen Güter der Menschheit, die auf dem Spiele stehen, am weitesten gekommen, und dem daher an der Erhaltung derselben am meisten liegen muß; gleichsam, als ob er recht eigentlich zu diesem Zwecke in der neueren Zeit sich entwickelt und seine Bedeutsamkeit erhalten hätte.

Es ist die Frage, ob der sich antragende Redner wisse, auf welche Weise die große Aufgabe siegreich gelöst werden könne? Der Verfasser glaubt: unfehlbar dadurch, wenn alle, vom Höchsten bis zum Geringsten, mit derselben eisernen Kraft, mit welcher der Feind will, ganz wollen, was sie wollen, und nur dies und nichts anderes noch nebenbei und im Kriege nicht zugleich an den Frieden denken: kurz, zum Wahlspruche haben, nicht, wie ehemals der Feind, Siegen oder Sterben, indem das letztere auch ohne unseren Vorsatz kommen wird, und der, welcher zu handeln hat, es nie wollen muß, sondern eben Siegen schlechthin!

Es ist die Frage, ob der sich antragende Redner selber von diesem Interesse so mächtig ergriffen sei, daß sich von ihm erwarten läßt, seine Rede werde lebendig und belebend ihm aus dem Herzen quellen. Der Verfasser weiß, daß er nicht leben mag, außer im Besitze desjenigen, was auf dem Spiele steht, und daß allein die Hoffnung, zur Erreichung des Zweckes etwas beitragen zu können, von Beschäftigungen, die weit mehr seine Tätigkeit reizen, ihn zu diesem Anerbieten fortreißt.

Die äußere Form anbelangend, so würde er, falls in diesem Zeitalter, wo alles sich erneuert und der Feind mit neuem, in revolutionärer Form einherschreitendem Bösen uns bedroht, man an die Ungewohntheit einer neuen Form sich stoßen sollte, auch gern die alte und gewohnte des Predigers sich gefallen lassen (äußerlich um so eher tunlich, da er ehemals Theologie studiert und vielfältig gepredigt hat;) wiewohl ihm die freiere Form eines weltlichen Staatsredners unseren Zeiten angemessener scheint, eines Staatsredners, um welchen her an gewissen Tagen, etwa des Sonntags, die Besten zu ernstlicher und feierlicher Betrachtung über ihre nächste große Bestimmung sich versammelten, nach dem oben angegebenen Stoffe, der nie versiegende Unterhaltung zu versprechen scheint.

So viel über die unmittelbare Beredsamkeit, die, von Auge zu Auge strömend, am kräftigsten belebt.

Was die andere betrifft, die des Buchstabens als Vehiculum bedarf, so werden Proklamationen zu erlassen sein an die Armee, entweder um verständig und mit Bestimmtheit und Unterscheidung das Rechte an ihnen anzuerkennen und zu loben, oder auch also, daß nicht bloß gedroht sondern zugleich auch ihr Wille gewonnen werde, um ihnen Mannszucht in den Provinzen, die sie durchziehen, und gute Sitte und Ordnung zu empfehlen. Es werden Proklamationen zu erlassen sein an die Bewohner der Provinzen, die unser Zug trifft, in denen wir sie mit unserer Absicht, nicht sie zu berauben oder zu unterjochen, sondern ihnen Friede, Freiheit und Ruhe wiederzugeben, bekannt und befreundet machen.

Ob es wohl außer den Grenzen der von mir zu übernehmenden Aufträge liegen mag, so wünsche ich doch, daß bei der Erwähnung des Geschäftes der Talente in diesem Kriege für das Menschengeschlecht um der Vollständigkeit willen mir erlaubt werde hinzuzusetzen, daß, wie mir es scheint, bei Eröffnung desselben auch ein Manifest zu liefern sein wird, was laut und unzweideutig den Zweck des Krieges ausspreche, gegen alle anderen Absichten auf eine uns selbst unübersteigliche Weise uns verwahre und so die allgemeine Meinung Europas (einen nicht verwerflichen Bundesgenossen und den besten, den es für uns geben kann bei dem Charakter des gegenwärtigen Krieges) für uns entscheide. Man wird sich bekennen müssen, daß es endlich an der Zeit sei, die Entwürfe einer kleinlich berechnenden Kabinettspolitik fernzuhalten von diesem heiligen Kampfe; und ist man wirklich dazu entschlossen, so ist dieser Entschluß zu bezeugen und unzweideutig darzulegen!

Das Fazit nach Tilsit 1807

Je älter und vornehmer der Mann war, als desto schlechter konnte man ihn in der Regel voraussetzen, auch konnte man sicher erwarten, daß nach Verlauf eines Jahres die ganze Masse um vieles schlimmer sein würde, als sie heute war.

Der erste Umstand hatte folgenden Grund: In der Jugend gibt die noch fortgehende Entwickelung des Lebens dem Menschen einige Begierde, tätig zu sein und zu wirken nach außen, und es entbinden sich nun auch in ihm seiner vernünftigen Natur gemäße Richtungen und Bestimmungen dieses Strebens. Da inzwischen diese Tätigkeit nicht durch Kenntnisse der umgebenden Welt geleitet, und die Erwartungen nach ihnen abgemessen sind, so bleibt sie entweder ohne allen Erfolg oder doch sehr weit hinter dem erwarteten Erfolge zurück. Der mutige und feurige Jüngling mag wohl zu wiederholten Malen ansetzen; endlich wird er doch einmal genötigt, in sich zurückzugehen und sich zu bekennen, daß die Menschen schlechter und der Einwirkung unfähiger sind, als er sie voraussetzte, und da zu seiner Tätigkeit ihn nicht klare Vernunfteinsicht, sondern lediglich die Natur und das Jugendfeuer trieb, so beschließt er leicht, unnützes Streben aufzugeben, es zu halten wie andere und nicht besser sein zu wollen denn sie. Aufmerksame Beobachter aus jenem Zeitalter haben das Geständnis hinterlassen, daß sie manchen Jüngling mit den feurigsten Vorsätzen, das Neue und Bessere zu begründen, in die Welt eintreten gesehen, der, wie er in den Geschlechtstrieb gekommen, ebenso träge und schläfrig wie alle die gewohnte Irrbahn eingeschlagen und an Fortbildung seiner selbst niemals mehr gedacht habe. Da nur in der Unruhe der Jugend ihre Tätigkeit und in der Phantasie ihr Talent lag, und jene nicht durch tugendhafte Grundsätze, diese durch besondere Kunst festgehalten und zum ewigen Eigentum gemacht wurden, so fiel mit dem Schmelze der Jugend, sowie bei den Weibern die Schönheit, bei den Männern der Anschein von Leben und Geist hinweg, und sie versanken in Trägheit und Dumpfheit; Alter und Erfahrung gab ihnen nur die Klugheit der Selbstsucht, die Überzeugung von der allgemeinen Schlechtigkeit, die ruhige Ergebung in diese Schlechtigkeit an sich und anderen; so daß man, wie sie zu Verstande kamen, sah, daß das, was man für gute Anlagen ihrer Jugend zu halten geneigt war, lediglich ihr Unverstand war, und daß, wie sie mit sich selber ins Klare und Reine gekommen, sie durchaus leer blieben von allem Guten. Wie sie über dreißig Jahre hinaus waren, hätte man zu ihrer Ehre und zum Besten der Welt wünschen mögen, daß sie stürben, indem sie von nun an nur noch lebten, um sich und die Umgebung immer mehr zu verschlimmern.

Alle Erscheinungen jener Tage legen diesen Grundzug dar. Die jugendlichen Genies jener Zeitalter, als ob sie sicher gewesen wären, daß sie selbst nie ins reife Alter treten, sondern noch früher sich zugrunde richten oder in kindische Imbezillität versinken würden, welche Hoffnung sie denn auch in der Regel nicht täuschten, bewunderten allein die Jugend und hielten nur diese für fähig jeglichen Geschäftes, verachteten dagegen als durchaus untauglich das reifere. Alter; und jeder neue Meister in Kunst oder Wissenschaft glaubte schon darum mehr zu sein als die vorhandenen Meister, weil er weniger Jahre zählte denn sie. Und sie hatten in der Regel ganz Recht, denn die Vorzüge des reiferen Alters, besonnene Klarheit und freie Kunst des rechten Wollens und der Tüchtigkeit für jeden Zweck waren in jenen Tagen äußerst seltene Erscheinungen. Dieselben Genies sprachen es auch deutlich aus, daß sie sich lediglich auf ihre Natur und ihre Genialität stützten, und so jemand bekannt hätte, daß er auch des Fleißes bedürfe, so würden sie dessen, als eines von der Natur Verwahrloseten, gespottet haben. Wer in den Geschäften in die höheren Kreise eingedrungen oder in der Schriftstellerwelt einen Namen sich erworben, hatte es in der Regel nur durch seine ersten Arbeiten oder Schriften. Späterhin werden die ersteren nur noch beibehalten, weil man sie einmal hatte, und sie rückten nach ihrem Dienstalter fort, angestellt aber hätte sie jetzt nicht leicht irgend ein verständiger Oberer, der, wenn das Geschäft doch versehen sein mußte, abermals neue Jünglinge für die Arbeit suchte; – die letzteren wurden immer seichter und geistloser, oder viel mehr, es trat nun erst deutlich an ihnen hervor, was vorher eine gewisse Jugendfrische verdeckt hatte; sie zehrten noch einige Zeit von dem alten Ruhme, bis sie der verdienten Vergessenheit übergeben wurden.

So in den Heeren. Die Tapferkeit, Gewandtheit und Wachsamkeit in kleinen Ausführungen, welche in diesen Heeren noch vorhanden war, erstreckte sich in der Regel nicht höher als bis zu den untergeordneten Offizieren. Die höheren und bejahrteren Befehlshaber aber waren es, welche, in träger Sorglosigkeit hintaumelnd, keine Kunde hatten von dem Stande und den Bewegungen des Feindes, sich umringen ließen, ohne daß sie es wußten, und selbst, nachdem sie es wußten, die Pässe, wo man sie überfallen konnte, unbesetzt ließen, und wenn nun die Niederlagen, die daraus erfolgen mußten, erfolgt waren, schändliche Kapitulationen abschlossen und die Festungen ohne Gegenwehr übergaben, oft zum innigsten Verdrusse und mit dem heftigsten Widerstande ihrer jüngeren Untergebenen.

Mit der Zunahme der Schlechtigkeit nach Verhältnis des höheren Standes hatte es dieses Bewandtnis. Je höher das Kind durch seine Geburt stand, in desto verjüngterem Maßstabe und ins Enge zusammengedrängt kam ihm das Leben der Menschen und das Verderben derselben, das er nur als Sitte begriff, schon früh vor die Augen; was ihn zunächst umgab, war schlecht, und daß in den niedrigen, seiner Verachtung bloßgestellten Ständen etwas Ehrwürdigeres sein könnte, konnte ihm von selbst nicht in die Gedanken kommen, noch wurde er von anderen darauf gebracht. Er hatte daher von seiner Geburt die höchste Erleichterung, recht früh zur klaren Erfahrung über die Menschen zu kommen. Ein Trieb, etwas anderes zu sein denn alle, wie hätte doch dieser in seine Seele fallen sollen? Nun hatte ein solcher durch seine Vorrechte, durch seinen Reichtum, durch seine Unterordnung der niederen Volksklassen unter ihn eine unbegrenzte Sphäre vor sich, seine Selbstsucht allseitig zu entwickeln und auszubilden und durch fortwährende Befriedigung zu immer höherem Vermögen sie zu steigern; ohne alle entgegenwirkende Kraft, weder im Staate, bei welchem erlaubt war, was nicht verboten war, und der den höheren Klassen äußerst wenig verbot und äußerst selten oder nie wußte oder wissen wollte, was sie selbst gegen das Verbot taten, noch in der Religion, die auch in eine Lehre des Genusses sich verwandelt hatte, noch in der öffentlichen Sitte, welche mit dieser Ansicht des Lebens, daß es nur im Genusse bestehe, völlig einverstanden war und die entgegengesetzte Ansicht deutlich als Torheit einsah. Dagegen konnten die niederen Klassen wegen ihrer beschränkteren Kenntnisse von den Verhältnissen des Lebens, und welchen die höheren Klassen mancherlei wunderbare Verdienste, welche sie um das Ganze hätten, und den Besitz mancher Tugend vorspiegelten, nie zu einiger Klarheit über das gegenwärtige Leben gelangen; auch drang ihre Bedrückung durch die höheren Stände ihnen einige religiöse Aussicht auf ein anderes Leben gleichsam unwillkürlich auf, wie die höheren Stände es wünschten und unter dem Volke sehr gern, wenn nur sie selber damit verschont blieben, Religion erhalten wollten; daß daher die niederen Stände niemals so tief sinken konnten, während die höheren um so tiefer, je näher sie dem Gipfel standen, sich zum Abgrunde hinneigten. Doch konnte man bei alle dem nur von wenig Individuen unter ihnen sagen, daß sie bösartig oder gewalttätig seien – denn hierzu gebrach es; bei der Mehrheit an Kraft –, sondern sie waren in der Regel bloß dumm und unwissend, feige, faul und niederträchtig.

Man hat in jenen Zeiten Fürsten gesehen, die es sich für Heldenmut und Seelengröße auslegten, andere, die dies nicht ebenso konnten, als Schwächlinge verachtend, wenn sie der Unterjochung ihrer nächsten und blutsverwandten Nachbaren und der Verengerung ihrer eigenen Grenzen und Abtrennung ihrer innigst ergebenen Provinzen ruhig zusahen, und die bei den härtesten Demütigungen, die ihnen widerfuhren, sich immer damit trösteten, daß sie doch noch auf Lebenszeit hinreichend zu essen und zu trinken haben würden. Es wird unseren Zeitgenossen schlechthin unglaublich bleiben, daß jemals ein Fürst blödsinnig und roh genug gewesen, um zu glauben, daß bei solchen Ereignissen es nur um ihn, und selbst um ihn nur in Beziehung auf das Bedürfnis von Nahrungsstoffen zu tun sei, wenn wir sie nicht an die Erziehung erinnern, welche die Prinzen erhielten. Beschäftigung mit anstrengenden Geistesübungen, glaubte man, könne das der Welt so kostbare Leben in Gefahr setzen, und der dabei nötige und vielleicht äußere Spuren hinterlassende Ernst der einstigen Liebenswürdigkeit vor den Augen der Damen einigen Abbruch tun; man beschränkte darum die höhere Erziehung des Prinzen auf Französischparlieren, Reiten, die Kunde, wie ein Gewehr präsentiert werden müsse, und, wenn sie sehr sorgfältig war, auf etwas Musik und Zeichnen. Daß sie sich durch den Besitz der alten Sprachen in den ehrwürdigen Geist der Völker des Altertums versetzten, daß sie ihre Begriffe ordneten und ihren Verstand als ein künstliches Werkzeug in ihre freie Gewalt brächten, daß sie wohl gar durch ein gründliches Studium der Philosophie und Geschichte sich eine Idee vom Staate, von ihren Verhältnissen zu ihrem Volke und von ihren Pflichten aneigneten, – wer diesen Vorschlag gewagt hätte, der würde sehr bald seine Wohnung im Irrenhause gefunden haben. So ausgebildet und zum Regenten vollendet, verlebten sie, wenn sie einige Phantasie hatten, so lange ihr Leben in den Freuden des Beischlafes oder, wenn sie keine hatten, im dumpfen Hinbrüten, bis der Tag herankam, der sie als Väter des Vaterlandes den treuherzigen und fröhlich zujauchzenden deutschen Völkern darstellte, und sie von nun an mit dem Fürstenhute so fortlebten, wie vorher ohne denselben. Daß auch nun nicht irgend ein Laut zu ihnen dränge, der ihnen sagte, daß sie Pflichten hätten, daß es nicht von ihrer Willkür abhänge, ob sie der Vernunft gemäß oder unvernünftig die Regierung verwalten wollten, daß sie ebenso ganz ihrer Nation angehörten, als diese ihnen, und daß das allergeringste, was man von ihnen fordern könne, dies sei, daß sie dieser nicht zum unauslöschlichen Schandflecke und Brandmale würden: dagegen sorgten die Höflinge; und so konnte man denn von ihnen nicht sagen, daß sie ihre Völker für ihr Eigentum und für das Spiel ihrer Willkür hielten, indem sie in Wahrheit hierüber gar nichts hielten, sondern geboren wurden und lebten und starben, ohne daß sie jemals die Frage aufgeworfen hätten, wozu sie denn eigentlich da seien.

Dieser allen Glauben übersteigende Stumpfsinn zeigte sich auch noch in anderen Erscheinungen. Sie konnten eine ganze Regierung hindurch Fehler am Fehler geknüpft haben, die nun offen dalagen vor aller Welt Augen; aber sie durften nur eine augenblickliche Regung zeigen, sich zu ermannen, oder sich nach langem Hin- und Herüberlegen entschließen, eine entschiedene Niederträchtigkeit nicht zu begehren, so fanden sich zugleich die entzücktesten Lobredner, denen es an Worten und Bildern zu gebrechen schien, um diese Musterzüge von Regentenweisheit und Mut zu erheben, ohne daß jene die tiefe Schmach fühlten, die ihnen dadurch angetan wurde, und ohne daß man ein Beispiel wüßte, daß sie ein Mißfallen daran bezeigt.

Solcher Fürsten würdig waren derselben Minister. – –

Die Verwaltung des auswärtigen Verhältnisses ging ganz auf in dem, was sie Diplomatik nannten; und diese bestand, außer der Wissenschaft des Ausforschens, des Ablockens von Geheimnissen, der Erhorchung von Anekdoten, alles dieses zu keinem anderen Gebrauche, als damit man sie berichten könne, ihrem feinsten Wesen nach in der Kunst: durch Zweideutigkeiten und auf Schrauben gestellte Erklärungen die Notwendigkeit eines entscheidenden Entschlusses so weit hinauszuschieben als irgend möglich, in der Hoffnung, daß unterdessen vielleicht ein Zufall statt unserer wählen und uns des harten Zwanges, selber zu denken und zu wollen, überheben werde. Die Kunst der inneren Verwaltung war noch weit einfacher und bestand bloß in der Wissenschaft, so viel bares Geld als irgend möglich herbeizuschaffen. Ober dieses Geld selber nun und seinen eigentlichen Wert verstiegen sie sich nicht mit ihrem Denken, und man wurde übel angesehen, wenn man ihnen begreiflich machen wollte, daß man Gold und Silber nicht essen könne, daß man unter gewissen Umständen mit der Hälfte dieser Metalle weit reicher sein könne als unter anderer Umständen mit dem Ganzen, daß es wohl eine höhere Kunst sein dürfe, diese Umstände sich geneigt zu machen, und daß man beim Geldnehmen heute darauf denken müsse, ob man morgen auch wohl werde wiederkommen können. Auch waren sie bei der Wahl der Mittel zu diesem höchsten Zwecke der Regierung ganz gleichgültig, und es mochte immer die Moralität des Volkes in der Wurzel vergiftet werden wenn sie nur durch das Lotto auch an den Groschen der dürftigen Dienstmagd gelangen konnten. Überhaupt war ihnen völlig verborgen, daß die Erziehung des Volkes zur Religiosität und Sittlichkeit die Grundlage aller Regierung sei. Zwar wollten sie, wie wir schon oben angeführt, wohl, daß unter dem gemeinen Manne Religion sei; da sie aber durchaus nicht wußten, was dies sei, so entging ihnen auch gänzlich die Kenntnis der Mittel, diesen Zweck zu befördern, und sie glaubten treuherzig, genug zu tun, wenn sie Pfarrer und Konsistorien besoldeten nach altem Gebrauche und Herkommen. Wenn man ihnen anmutete, etwas für die Erziehung des Volkes, die über allen Glauben elend war, zu tun, so entschuldigten sie sich damit, daß sie dazu kein Geld hätten; und so mußte die Erziehung, Religion und Sitte ersetzt werden durch das eine und ganz einfache Mittel des Stockes. – –

Diese auch durch solche Mittel erzielte Bevölkerung sowie alles Geld, dessen man nie zuviel bekommen konnte, flössen nun zusammen in den ungeheuren Schlund der stehenden Heere, die nie groß genug sein konnten, und die zu keiner anderen Ausgabe etwas übrig ließen. Die Weisheit dieser Verwendung des Geldes läßt sich daraus absehen, daß, wenn nun ein Staat so manches Jahrzehnt im tiefsten Frieden seine Armeen in Sold, Kleidung und Bewaffnung unterhalten und sie unablässig und emsig hatte exerzieren lassen, beim Ausbruch des ersten Krieges in der ersten Schlacht die Armee gänzlich zugrunde ging und, wenn der Widerstand nicht völlig aufgegeben wurde, eine neue gebildet werden mußte. Dies begegnete wörtlich so, wie wir es ausgesprochen haben, nicht einmal, sondern mehrere Male und nicht einem, sondern mehreren der deutschen Hauptstämme; zum sicheren Beweise, daß es nicht durch das bloße Ungefähr, sondern nach einem in der Natur der Sache liegenden Gesetze also erfolge.

Der Adel, als der höchste Stand, war in der Regel also beschaffen, wie wir oben gezeigt haben, daß der höchste Stand notwendig werden mußte. Mit wenigen Ausnahmen kamen diesem Stande die Offizierstellen in dem Heere ausschließend zu. Als solche vermieden sie nichts angelegentlicher als den Anschein einer feineren Erziehung oder einer wissenschaftlichen Bildung. Ohne freches und rohes Dahintreten und hochmütigen Trotz gegen alle anderen Stände nebst eigens angewöhnten Fehlern in der Aussprache und Sprachschnitzern, glaubten sie, könne man gar nicht für einen braven Offizier gelten. Man ersieht aus Aktenstücken jener Zeiten, daß mehrere aus ihnen in der Schlacht die Fahnen verlassen, daß solche, die in Kapitulationen nicht mitbegriffen gewesen, aus der Entfernung sich hinbegaben zum Feinde, um auch so gut wie ihre Kameraden die Kriegsgefangenschaft sich auszuwirken; man hat die Bildnisse anderer, die für die Dienste des Feindes Landeskinder angeworben, am Galgen angeschlagen gesehen, ohne daß man darum bei dem privilegierten Stande irgend ein Nachlassen des Übermutes erblickt, oder daß die Fürsten auf den Gedanken gekommen, dem Stande das ausschließende Vorrecht zu nehmen und es auch mit der Bürgeranstellung zu versuchen. Derselbe Adel hatte, gleichfalls mit sehr unbedeutenden Ausnahmen, den einzigen reinen Landesbesitz, dergleichen es damals gab. Da weiß man denn aus Aktenstücken jener Zeiten, daß dieselben Gutsbesitzer, welche ihrem durchmarschierenden Landsmanne nur dürftig und mit Widerwillen das Wenige reichten, was sie mußten, wohl halbe Jahre zuvor, ehe ein Feind zu ihnen kam. Edikte ausgehen ließen, daß man zur Aufnahme desselben Vieh schlachten, weißes Brot in Bereitschaft halten, auf einen Vorrat von geistigen Getränken bedacht sein solle; wo sich denn zeigte, daß diese Auswahl des Volkes, die nur durch Furcht herrschte, auch selbst nur durch Furcht getrieben wurde.

Zu dem Regimente solcher Fürsten, solcher Minister und eines solchen Adels fügte sich nun für Deutschlands Verderben noch folgender äußerer Umstand. Der deutsche Reichsverband hatte schon seit langem seine Kraft verloren, und es waren in der Nation zwei Hauptmächte entstanden, welche nach beigelegtem hartem Kriege unter sich einander eifersüchtig beobachteten, und die übrigen kleineren Staaten schienen nach ihrer Lage, Konfession und Interessen ganz natürlich zu dem einen oder dem anderen mit zu gehören. Hätten jene beiden Hauptmächte ihr und ihrer Nation Interesse verstanden, so würden sie eine durch die Natur selbst gemachte Trennung und Vereinigung auch durch Beschlüsse anerkannt und festgesetzt und die zu ihnen gehörigen Teile in eine die bürgerliche Selbstständigkeit der kleineren Staaten schonende, militärische und diplomatische Verbindung mit sich selbst gesetzt haben: und so würde Deutschland wenigstens zu zwei großen Ganzen sich vereinigt haben, zwischen denen nur der Stoff zur Eifersucht und künftigem Kriege sorgfältig hätte weggeräumt werden müssen; ein Schwert hätte das andere in der Scheide gehalten, und dem Auslande hätten beide die nötige Ehrfurcht eingeprägt. Aber sehr weit von diesem Verstehen ihres wahren Interesses und von der Einsicht in die Gesetze der höheren Regierungsweisheit entfernt, machten sie vielmehr anderwärts in einem kurzen Zeiträume von Jahren eine zusammenhängende Reihe von Staatsfehlern ohne nur einen dazwischenliegenden gesunden Gedanken; so daß sie dadurch in die Lage kamen, Gott zu danken, daß sie nur existieren durften, und nur für den Tag zu leben und einer großen Last sich entledigt zu halten, wenn einer vorüber war ohne ihren Untergang. Dagegen fiel es wie ein Schwindel auf die kleineren deutschen Staaten, die Mächtigen zu spielen und ihrerseits zu tun, was die größeren hätten tun sollen; ihre Einkünfte und ihre Kriegsheere zu vermehren, ihre Länder abzurunden, ihre Gebiete zu vergrößern: alles auf Unkosten ihrer deutschen Nachbarn. Wenn einem ein Dorf oder ein Amt des Nachbars gelegen schien, so wurde nichts geschont, um dasselbe zu erwerben, und wenn dieses erworben war, ein anderes Amt oder Dorf, das nun zufolge dieser neuen Erwerbung auch gelegen wurde, gleichfalls zu erwerben. Irgend eine Besinnung auf den Zweck einer solchen Vergrößerung innerhalb des Schoßes derselben eins bleibenden Nation oder eine Überlegung, wozu sie denn nun, falls sie die höchstmögliche Vergrößerung wirklich gemacht hätten, dieselbe brauchen wollten, hat sich dabei nie entdecken lassen, sondern es schien bloß rohe und blinde Gier oder ein blödes Mißverständnis, welche durchaus keine Anwendung auf ihre Lage litten, sie zu leiten. Die Mittel zu der Erwerbung eines solchen ihnen gelegenen Gebietes waren ihnen nun ganz gleich, wenn nur der Zweck erreicht wurde: sie krochen vor dem Auslande, sie eröffneten demselben den Schoß des Vaterlandes; sie würden vor dem Dey von Algier gekrochen sein und den Staub seiner Füße geküßt haben, seinen natürlichen oder angenommenen Söhnen ihre Töchter vertraut haben, wenn sie nur dadurch zu dem ihnen gelegenen Amte oder zum Königstitel hätten kommen können. Von ihrer wilden Gier hingerissen, dachten sie dabei weder, daß der Ausländer sie selbst verachten werde, noch, wie es ihnen, wenn derselbe in das Land eingedrungen wäre, unerachtet der Erwerbung des begehrten Amtes selber ergehen werde.

Zu und aus den »Reden an die deutsche Nation«

Das Bedürfnis

Bei meinen »Reden an die Deutschen« war es besonders das Bedürfnis, die innige Wehmut, die mir selbst entstanden war, zu lindern dadurch, daß ich täte, was in dieser Lage nur ich so recht eigentlich tun konnte.

Selbstberatung

Der einzige Entscheidungsgrund ist: kannst du hoffen, daß dadurch ein größeres Gut bewirkt werde, als die Gefahr ist? Das Gute ist Begeisterung, Erhebung: meine persönliche Gefahr komme gar nicht in Anschlag, sondern sie könnte vielmehr höchst vorteilhaft wirken. Meine Familie aber und mein Sohn würden des Beistandes der Nation, der letztere des Vorteils, einen Märtyrer zum Vater zu haben, nicht entbehren. Es wäre dies das beste Los. Besser könnte ich mein Leben nicht anwenden. Diese Worte sind tagebuchartig und für das Auge keines Lesers niedergeschrieben.

Der mit sich zu Rate gegangene Mut

Auch ist es, so viel mir bekannt, noch immer erlaubt, in deutscher Sprache mit einander vom Vaterlande zu reden, wenigstens zu seufzen, und wir würden, glaube ich, nicht wohltun, wenn wir aus unserer eigenen Mitte heraus ein solches Verbot verfrühten und dem Mute, der ohne Zweifel über das Wagnis schon vorher mit sich zu Rate gegangen sein wird, die Fessel der Zaghaftigkeit einzelner anlegen wollten. Diese Worte, aus den »Reden« selbst, wurden öffentlich gesprochen.

Der Druck und die preußische Zensur

O verehrungswürdiger Freund Aus einem Brief an den Kabinetsrat Beyme aus dem Januar 1808., was soll aus freier Geistesregung, was soll aus Erweckung eines deutschen Sinnes und Mutes erst alsdann werden, wenn solche Zensoren uns bevormunden? Ich lasse die würdigen Männer bei Gott in ihrem Werte und ehre sie danach; aber wenn nur eine Silbe von dem wahr ist, was Sie mir bei der Aufforderung zu dem in Ihren Händen befindlichen Entwürfe schrieben, so sind sie wenigstens nicht diejenigen, die mir sagen können, wie ich zu meiner Nation sprechen darf oder wie nicht. Ich weiß recht gut, was ich wage; ich weiß, daß ebenso wie Palm ein Blei mich töten kann; aber dies ist es nicht, was ich fürchte, und für den Zweck, den ich habe, würde ich gern auch sterben. Über diese Rücksichten hinweg soll man nun noch mit den kindischen Bedenklichkeiten, den kopflosen Auslegungen und der verzagten Politik solcher Zensoren Rücksprache nehmen?

Die Anrede

Ich rede für Deutsche schlechtweg, von Deutschen schlechtweg, nicht anerkennend, sondern durchaus beiseite setzend und wegwerfend alle die trennenden Unterscheidungen, welche unselige Ereignisse seit Jahrhunderten in der einen Nation gemacht haben. Sie, ehrwürdige Versammlung, sind zwar meinem leiblichen Auge die ersten und unmittelbaren Stellvertreter, welche die geliebten Nationalzüge mir vergegenwärtigen, und der sichtbare Brennpunkt, in welchem die Flamme meiner Rede sich entzündet; aber mein Geist versammelt den gebildeten Teil der ganzen deutschen Nation aus allen den Ländern,, über welche er verbreitet ist, um sich her, bedenkt und beachtet unser aller gemeinsame Lage und Verhältnisse und wünschet, daß ein Teil der lebendigen Kraft, mit welcher diese Reden vielleicht Sie ergreifen, auch in dem stummen Abdrucke, welcher allein unter die Augen der Abwesenden kommen wird, verbleibe und aus ihm atme und an allen Orten deutsche Gemüter zu Entschluß und Tat entzünde.

Die deutsche Einheit

Ich erblicke in dem Geiste, dessen Ausfluß diese Reden sind, die durch einander verwachsene Einheit, in der kein Glied irgend eines andern Gliedes Schicksal für ein ihm fremdes Schicksal hält, die da entstehen soll und muß, wenn wir nicht ganz zugrunde gehen sollen, – ich erblicke diese Einheit schon als entstanden, vollendet und gegenwärtig dastehend.

Tröstung

Die Zeit erscheint mir wie ein Schatten, der über seinem Leichname, aus dem soeben ein Heer von Krankheiten ihn herausgetrieben, steht und jammert und seinen Blick nicht loszureißen vermag von der ehedem, so geliebten Hülle und verzweifelnd alle Mittel versucht, um wieder hineinzukommen in die Behausung der Seuchen. Zwar haben schon die belebenden Lüfte der anderen Welt, in die die abgeschiedene eingetreten, sie aufgenommen in sich und umgeben sie mit warmen Liebeshauche, zwar begrüßen sie schon freudig heimliche Stimmen der Schwestern und heißen sie willkommen, zwar regt es sich schon und dehnt sich in ihrem Innern nach allen Richtungen hin, um die herrlichere Gestalt, zu der sie erwachsen soll, zu entwickeln; aber noch hat sie kein Gefühl für diese Stimmen oder, wenn sie es hätte, so ist sie aufgegangen in Schmerz über ihren Verlust, mit welchem sie zugleich sich selbst verloren zu haben glaubt. Was ist mit ihr zu tun? Auch die Morgenröte der neuen Welt ist schon angebrochen und vergoldet schon die Spitzen der Berge und bildet vor den Tag, der da kommen soll. Ich will, so ich es kann, die Strahlen dieser Morgenröte fassen und sie verdichten zu einem Spiegel, in welchem die trostlose Zeit sich erblicke, damit sie glaube, daß sie noch da ist, und in ihm ihr wahrer Kern sich ihr darstelle, und die Entfaltungen und Gestaltungen desselben in einem weissagenden Gesichte vor ihr vorübergehen. In diese Anschauung hinein wird ihr denn ohne Zweifel auch das Bild ihres bisherigen Lebens versinken und verschwinden, und der Tote wird ohne übermäßiges Weheklagen zu seiner Ruhestätte gebracht werden können.

Prophezeiung

So verhält es sich wohl freilich; dennoch aber wolle das Zeitalter darum nicht an sich selber verzagen. Denn diese und alle andere ähnliche Erscheinungen sind selber nichts Selbstständiges, sondern nur Blüten und Früchte der wilden Wurzel der alten Zeit. Gebe nur das Zeitalter sich ruhig hin der Einimpfung einer neuen edleren und kräftigeren Wurzel, so wird die alte ersticken, und die Blüten und Früchte derselben, denen aus jener keine weitere Nahrung zugefügt wird, werden von selbst verwelken und abfallen. Jetzt vermag es das Zeitalter noch gar nicht, unseren Worten zu glauben, und es ist notwendig, daß ihm dieselben vorkommen wie Märchen. Wir wollen auch diesen Glauben nicht; wir wollen nur Raum zum Schaffen und Handeln. Nachmals wird es sehen, und es wird glauben seinen eigenen Augen.

So wird z. B. jedermann, der mit den Erzeugungen der letzten Zeit bekannt ist, schon längst bemerkt haben, daß hier abermals die Sätze und Ansichten ausgesprochen werden, welche die neuere deutsche Philosophie seit ihrer Entstehung gepredigt hat und wiederum gepredigt, weil sie eben nichts weiter vermochte, denn zu predigen. Daß diese Predigten fruchtlos verhallet sind in der leeren Luft, ist nun hinlänglich klar, auch ist der Grund klar, warum sie also verhallen mußten. Nur auf Lebendiges wirkt Lebendiges; in dem wirklichen Leben der Zeit aber ist gar keine Verwandtschaft zu dieser Philosophie, indem diese Philosophie ihr Wesen treibt in einem Kreise, der für jene noch gar nicht aufgegangen, und für Sinnen Werkzeuge, die jener noch nicht erwachsen sind. Sie ist gar nicht zu Hause in diesem Zeitalter, sondern sie ist ein Vorgriff der Zeit und ein schon im voraus fertiges Lebenselement eines Geschlechts, das in demselben erst zum Lichte erwachsen soll. Auf das gegenwärtige Geschlecht muß sie Verzicht tun; damit sie aber bis dahin nicht müßig sei, so übernehme sie dermalen die Aufgabe, das Geschlecht, zu welchem sie gehört, sich zu bilden. Erst wie dies ihr nächstes Geschäft ihr klar geworden, wird sie friedlich und freundlich zusammen leben können mit einem Geschlechte, das übrigens ihr nicht gefällt. Die Erziehung, die wir bisher beschrieben haben, ist zugleich die Erziehung für sie: wiederum kann in einem gewissen Sinn nur sie die Erzieherin sein in dieser Erziehung, und so mußte sie ihrer Verständlichkeit und Annehmbarkeit zuvoreilen. Aber es wird die Zeit kommen, in der sie verstanden und mit Freuden angenommen werden wird; und darum wolle das Zeitalter nicht an sich selbst verzagen.

Höre dieses Zeitalter ein Gesicht eines alten Sehers, das auf eine wohl nicht weniger beklagenswerte Lage berechnet war. So sagt der Seher am Wasser Chebar, der Tröster der Gefangenen nicht im eigenen, sondern im fremden Lande: »Des Herrn Hand kam über mich und führte mich hinaus im Geiste des Herrn und stellte mich auf ein weit Feld, das voller Gebeine lag, und er führte mich allenthalben herum, und siehe, des Gebeines lag sehr viel auf dem Felde, und siehe, sie waren sehr verdorret. Und der Herr sprach zu mir: »Du Menschenkind, meinest du wohl, daß diese Gebeine werden wieder lebendig werden?« Und ich sprach: »Herr, das weißest nur du wohl.« Und er sprach zu mir: »Weissage von diesen Gebeinen und sprich zu ihnen: Ihr verdorrten Gebeine, höret des Herrn Wort. So spricht der Herr von euch verdorrten Gebeinen: Ich will euch durch Flechsen und Sehnen wieder verbinden und Fleisch lassen über euch wachsen und euch mit Haut überziehen und will euch Odem geben, daß ihr wieder lebendig werdet, und ihr sollet erfahren, daß ich der Herr sei.« Und ich weissagte, wie mir befohlen war, und siehe, da rauschte es, als ich weissagte, und regte sich, und die Gebeine fügten sich wieder aneinander, ein jegliches an seinen Ort, und es wuchsen darauf Adern und Fleisch, und er überzog sie mit Haut; noch aber war kein Odem in ihnen. Und der Herr sprach zu mir: »Weissage zum Winde, du Menschenkind, und sprich zum Winde: So spricht der Herr: Wind, komm herzu aus den vier Winden und blase an diese Getöteten, daß sie wieder lebendig werden.« Und ich weissagte, wie er mir befohlen hatte. Da kam Odem in sie, und sie wurden wieder lebendig und richteten sich auf ihre Füße, und ihrer war ein sehr großes Heer.« Lasset immer die Bestandteile unseres höheren geistigen Lebens ebenso ausgedorret, und eben darum auch die Bande unserer Nationaleinheit eben so zerrissen und in wilder Unordnung durcheinander zerstreut herumliegen wie die Totengebeine des Sehers; lasset unter Stürmen, Regengüssen und sengendem Sonnenscheine mehrere Jahrhunderte dieselben gebleicht und ausgedorrt haben; – der belebende Odem der Geisterwelt hat noch nicht aufgehört zu wehen. Er wird auch unseres Nationalkörpers erstorbene Gebeine ergreifen und sie aneinanderfügen, daß sie herrlich dastehen in neuem und verklärtem Leben.

Napoleon Diese Charakteristik Napoleons ist wohl das größte Stück historischer Prosa in deutscher Zunge. Sie ist das Konzept einer Universitätsvorlesung von 1813 über »Staatslehre«.

Lassen Sie uns den Mann sehen, der an die Spitze jenes Volkes sich gestellt hat. Zuvörderst: er ist kein Franzose. Ware er dies, so würden jene geselligen Grundansichten, jene Achtung für die Meinung andrer und, kurz für etwas außer ihm selber einige wohltätige Schwäche und Inkonsequenz seinem Charakter beimischen, wie dergleichen sich zum Beispiel im vierzehnten Ludwig, meines Erachtens der schlimmsten Ausgeburt des französischen Nationalcharakters, vorfanden. Aber er ist aus einem Volke, das schon unter den Alten wegen seiner Wildheit berüchtigt war, das gegen die Zeit seiner Geburt in harter Sklaverei noch mehr verwildert war, das einen verzweifelten Kampf gekämpft hatte, um die Fesseln zu zerbrechen, und infolge dieses Kampfes in die Sklaverei eines nur schlaueren Herrschers gefallen und um seine Freiheit betrogen worden war. Die Begriffe und Empfindungen, die aus einer solchen Lage seines Vaterlandes sich entwickelten, mögen die ersten Bildungsmittel seines aufkeimenden Verstandes gewesen sein. Unter der französischen Nation, die auf diese Weise ihm zuerst bekannt wurde, erhielt er seine Bildung, sie legte sich ihm dar in den Begebenheiten einer Revolution, deren innere Triebfedern zu schauen er alle Gelegenheit hatte, und er mußte bald mit innigster Klarheit dieses Volk begreifen lernen als eine höchst regsame Masse, die da fähig wäre, durchaus jedwede Richtung anzunehmen, keinesweges aber durch sich selbst sich eine bestimmte und dauernde zu geben. Konnte es anders kommen, als daß er, wie er diese Nation fand, der er selbst seine Verstandesausbildung dankte, und die er ungefähr für die erste halten mochte, so auch das ganze übrige Menschengeschlecht ansähe? Von einer höheren sittlichen Bestimmung des Menschen hatte er durchaus keine Ahnung. Woher sollte er sie bekommen, da sie nicht, wie etwa bei den Franzosen, durch eine glückliche Angewöhnung in früher Jugend ihm zuteil ward, durch deutliche Erkenntnis aber vermittels der Philosophie oder des Christentums seine spätere Bildung sie ihm auch nicht darbot? Zu dieser vollkommenen Klarheit über die eigentliche Beschaffenheit der Nation, über die er sich der Oberherrschaft bemächtigte, trat ein durch seine Abstammung aus einem kräftigen Volke begründeter und durch seinen stäten, aber zu verbergenden Widerstreit gegen die Umgebungen seiner Jugend gestählter, kräftiger und unerschütterlicher Wille. Mit diesen Bestandteilen der Menschengröße, der ruhigen Klarheit, dem festen Willen ausgerüstet, wäre er der Wohltäter und Befreier der Menschheit geworden, wenn auch nur eine leise Ahnung der sittlichen Bestimmung des Menschengeschlechts in seinen Geist gefallen wäre. Eine solche fiel niemals in ihn, und so wurde er denn ein Beispiel für alle Zeiten, was jene beiden Bestandteile rein für sich und ohne irgend eine Anschauung des Geistigen geben können. Es bildete sich ihm hieraus folgendes Erkenntnisgebäude: daß die gesamte Menschheit eine blinde, entweder gänzlich stagnierende oder unregelmäßig und verwirrt durcheinander und miteinander streitend sich regende Masse von Kraft sei; daß weder jene Stagnation sein solle, sondern Bewegung, noch diese unordentliche, sondern eine nach einem Ziele sich richtende Bewegung; daß selten und durch Jahrtausende getrennt Geister geboren würden, die bestimmt seien, dieser Masse die Richtung zu geben, dergleichen einer Karl der Große gewesen sei, und er der nächste nach ihm; daß die Eingebungen dieser Geister das Einzige und wahrhaft Göttliche und Heilige und die ersten Prinzipien der Weltbewegung seien, und daß für sie schlechthin alle anderen Zwecke der Sicherheit oder des Genusses aufgeopfert, für sie alle Kräfte in Bewegung gesetzt und jedwedes Leben in Beschlag genommen werden müsse, und daß es Auflehnung sei gegen das höchste Weltgesetz, solchen Anregungen sich entgegenzusetzen. In ihm sei erschienen dieses Weltgesetz in der neuen Ordnung der Dinge, die er in dem Kulturstaate unter seiner Oberherrschaft ausführen wolle; das nächste Glied dieser Ordnung sei dermalen die Freiheit der Meere, wie er sagt, die Oberherrschaft der Meere in seinen Händen, wie er es eigentlich meint, und für diesen allernächsten, durch das Weltgesetz gesetzten Zweck: müsse alles Glück von Europa aufgeopfert werden, alles Blut fließen; denn dafür allein sei es da. Diesen großen Weltplan, der freilich über das Ziel eines Menschenlebens sich hinauserstreckt, soll nun nach ihm seine Dynastie fort- und ausführen, so lange bis etwa nach einem Jahrtausend ein anderer inspirierter Held wie er auftreten und mit neuer Offenbarung in seine und Karls Schöpfung eingreifen wird.

Man hat geahnet, daß es mit ihm ein anderes Bewenden habe, als mit anderen vorzeitigen und gleichzeitigen Herrschern. So ist es auch. Öffentliche Blätter zwar meinten, daß die Gesinnungen eines Generals in ihm verschwinden wurden durch Einführung der Erbfolge für seine Dynastie. Nicht recht begriffen. – Es steht so: Jene sind gewohnt, sich als Verteidiger des Eigentums und Lebens anzusehen, als Mittel zu diesem Zwecke, der darum nie aufgeopfert werden darf; dieser setzt sich als Verteidiger eines absoluten – selbst Zweck seienden – Willens, eines Weltgesetzes, in der Tat aber nur eines individuellen Willens, einer Grille, ausgerüstet mit der formalen Kraft des sittlichen Willens. (Dies ist sein wahres, unterscheidendes Wesen. Jene sind nicht imstande, ihren gegen sie immer noch erhabenen Gegner auch nur zu begreifen.) Es ist allerdings wahr, daß alles aufgeopfert werden soll – dem Sittlichen, der Freiheit; daß alles aufgeopfert werden soll, hat er richtig gesehen, für seine Person beschlossen, und er wird sicher Wort halten bis zum letzten Atemzuge; dafür bürgt die Kraft seines Willens. – Seine Denkart ist mit Erhabenheit umgeben, weil sie kühn ist und den Genuß verschmäht; darum verführt sie leicht erhabene, das Rechte nur nicht erkennende Gemüter. – Nur soll es eben nicht geopfert werden seinem eigensinnigen Entwürfe; diesem aufgeopfert zu werden, ist er selbst sogar viel zu edel; der Freiheit des Menschengeschlechts sollte er sich aufopfern und uns alle mit sich, und dann müßte z. B. ich und jeder, der die Welt sieht, wie ich sie sehe, freudig sich ihm nachstürzen in die heilige Opferflamme.

In dieser Klarheit und in dieser Festigkeit beruhet seine Stärke. – In der Klarheit: alle unbenutzte Kraft ist sein; alle in der Welt gezeigte Schwäche muß werden seine Stärke. Wie der Geier schwebt über den niederen Lüften und umherschaut nach Beute, so schwebt er über dem betäubten Europa, lauschend auf alle falschen Maßregeln und alle Schwäche, um flugschnell herabzustürzen und sie sich zunutze zu machen. In der Festigkeit: die andern wollen auch wohl herrschen, aber sie wollen noch so vieles andere nebenbei, und das erste nur, wenn sie es neben diesem haben können; sie wollen ihr Leben, ihre Gesundheit, ihren Herrscherplatz nicht aufopfern; sie wollen bei Ehre bleiben; sie wollen wohl gar geliebt sein. Keine dergleichen Schwächen wandelt ihn an: sein Leben und alle Bequemlichkeiten desselben setzt er daran, der Hitze, dem Froste, dem Hunger, dem Kugelregen setzt er sich aus, das hat er gezeigt; auf beschränkende Verträge, dergleichen man ihm angeboten, läßt er sich nicht ein; ruhiger Beherrscher von Frankreich, was man ihm etwa bietet, will er nicht sein, sondern ruhiger Herr der Welt will er sein und, falls er das nicht kann, gar nicht sein. Dies zeigt er jetzt und wird es ferner zeigen. Die haben durchaus kein Bild von ihm und gestalten ihn nach ihrem Bilde, die da glauben, daß auf andere Bedingungen mit ihm und seiner Dynastie, wie er sie will, sich etwas anderes schließen lasse denn Waffenstillstände. Ehre und Treue? Er hat es freiwillig bei der Einverleibung Hollands ausgesprochen, daß ein Herrscher damit es halte, wie die Zeiten es mit sich bringen; solange es ihm selbst zuträglich ist, ja, wenn es ihm nachteilig wird, nicht mehr. Daher kommt auch in allen neueren Staatsschriften desselben das Wort Recht gar nicht mehr vor und fällt nach ihm heraus aus der Sprache, sondern es ist allenthalben nur die Rede vom Wohle der Nation, dem Ruhme der Armeen, den Trophäen, die er in allen Landen erfochten.

So ist unser Gegner. Er ist begeistert und hat einen absoluten Willen; was bisher gegen ihn aufgetreten, konnte nur rechnen und hatte einen bedingten Willen. Er ist zu besiegen auch nur durch Begeisterung eines absoluten Willens, und zwar durch die stärkere, nicht für eine Grille, sondern für die Freiheit. Ob diese nun in uns lebt und mit derselben Klarheit und Festigkeit von uns ergriffen wird, mit welcher er ergriffen hat seine Grille und durch Täuschung oder Schrecken alle für sie in Tätigkeit zu setzen weiß, davon wird der Ausgang des begonnenen Kampfes abhängen.

Ich habe getan, was mir obliegt, indem ich mit der Klarheit, die mir beiwohnt, diese meine Ansicht mitteile denen, die meiner Mitteilung begehren, und in ihnen den Funken dieser uns nötigen Begeisterung zur Flamme anzufachen suche.

Nur noch dies gegen den Einwurf, diese Darstellung von ihm sei übertrieben und unwahr:

1) von solchen, die, weil sie selbst ungefähre Zusammenstimmung der verschiedensten Bestandteile sind, sich auch außer sich nichts anderes denn dies, nichts in sich Zusammenhängendes einbilden können, denen darum diese Schilderung unglaublich ist. Diesen ist nicht zu helfen außer durch Bildung zur Anschauung, und vorher, damit dieses möglich sei, zum eigenen Sein; und dies läßt sich mit einer Abhandlung nicht abtun.

2) Von solchen, die dies nicht sind. Diese erinnere ich: daß man Äußerungen von ihm hat, und daß dadurch klar und begreiflich daliegt sein ganzes Leben, dessen Hauptzug gänzliche Blindheit für die sittliche Bestimmung des Menschengeschlechts ist; übrigens alle Bestandteile des großen Mannes, die sein Zeitalter ihm zugesteht, außer wo es aus Furcht lügt und lästert wie die Kinder.

Zum entscheidenden Beweise seiner gänzlichen Blindheit für die sittliche Bestimmung des Menschengeschlechts gedenken wir der bestimmten Tat, durch die er vor Welt und Nachwelt das Gepräge seines Wesens sich aufgedrückt hat. Dies um so mehr, da nach den Wünschen unserer eigenen Herrscher und ihrer Werkzeuge, denen diese Tat nach ihrem Sinne war, ein allgemeines Stillschweigen über sie eingetreten ist, und sie anfängt, aus dem Andenken der Zeitgenossen herauszufallen. Die ihm das Schlimmste nachsagen wollen, deuten nur immer hin auf des Prinzen Enghien blutigen Leichnam, als ob dies der höchste Gipfel wäre seiner Taten. Ich aber meine eine andere, gegen welche Enghiens Ermordung beinahe in Nichts verschwindet und, nach meinem Sinne, nicht wert ist, herausgehoben zu werden, weil sie durch die einmal angehobene Bahn mit Notwendigkeit gefordert wurde.

Die französische Nation war im Ringen nach dem Reiche der Freiheit und des Rechts begriffen und hatte in diesem Kampfe schon ihr edelstes Blut verspritzt. – »Aber diese Nation war der Freiheit unfähig«, sagt man – und ich gebe dies nicht nur zu, sondern ich glaube, es sogar beweisen zu können. Aus folgenden Gründen: 1) weil, da Einstimmigkeit über das Recht nicht möglich war, bei diesem Nationalcharakter jede besondere Meinung ihre Partei finden, und so, ohne eine schützende Gewalt, die Parteien im inneren Kampfe sich selbst aufreiben mußten, wie sie auch eine Zeitlang taten; 2) weil es in der ganzen Nation an der Bedingung einer freien Verfassung fehlte, der Ausbildung der freien Persönlichkeit, unabhängig von der Nationalität.

So darum stand es freilich. Indem nun diese Selbsterkenntnis anfing aufzudämmern, fiel – ich will davon schweigen, durch welche Mittel – diesem Manne die höchste Leitung der Angelegenheiten zu. Bilder der Freiheit waren in manchen begeisterten Schilderungen an ihn gekommen; ganz unbekannt war ihm darum nicht der Begriff, und daß er gedacht würde. Wäre nur irgend eine Verwandtschaft dieses Begriffes zu seiner Denkweise, irgend ein Funke des Verständnisses dafür in ihm vorhanden gewesen, so hätte er den Zweck nicht aufgegeben, wohl aber das Mittel gesucht. Es hätte sich ihm nicht verborgen, daß dieses sei eine vielleicht mehrere Menschenalter dauernde regelmäßige Erziehung der französischen Nation zur Freiheit. Es hätte dem Manne, der sich eine Kaiserkrone und eine benachbarte Königskrone aufzusetzen und sich der Erbfolge zu versichern vermochte, nicht fehlen können, sich an die Spitze dieser Nationalerziehung zu setzen und dieselbe Stelle einem Nachfolger, den er für den würdigsten dazu gehalten hätte, zuzusichern. Dies hätte er getan, wenn ein Fünklein echter Gesinnung in ihm gewesen wäre. Was er dagegen getan, wie er listig und lauernd die Nation um ihre Freiheit betrogen, braucht hier nicht ausgeführt zu werden: jenes Fünklein ist darum nicht in ihm gewesen. Und so wäre denn meine Schilderung von ihm sogar zur Demonstration erhoben, insoweit dies bei einem historischen Gegenstande möglich ist.

Fichtes Kriegserklärung an Napoleon

Kein Friede, kein Vergleich, von Seiten des einzelnen zuvörderst. Das, worüber gestritten wird, leidet keine Teilung: die Freiheit ist oder ist nicht. Kein Kommen und Bleiben in der Gewalt, vor allem diesen steht ja der Tod, und wer sterben kann, wer will den zwingen? Auch nicht, falls etwa der zeitige Herrscher sich unterwürfe, und den Frieden schlösse. Gesprochen 1813 vor den Studenten, die in den Freiheitskrieg zogen. Ich wenigstens habe den Krieg erklärt und bei mir beschlossen nicht für seine Angelegenheit, sondern für die meinige, meine Freiheit. Gibt auch er mir sein Wort zurück, so kann ich selbst doch mir es nicht zurückgeben. Er ist und die, welche bei ihm bleiben, auf diesen Fall als Staat, als möglicher Entwickelungspunkt eines Reiches des Rechtes gestorben. Was soll den, der frisches Leben in sich fühlt, bewegen, innerhalb der Verwesung zu verharren?

Vorahnung der Reaktion nach den Freiheitskriegen

Wenn die vorausgesetzten Dolmetscher des öffentlichen Willens Gemeint ist der Aufruf: »An mein Volk«. selbst reden von Freiheit und Selbständigkeit der Nationen und eine Kriegsweise befehlen auf Leben und Tod, ohne Unterschied der Kantonfreiheit, ohne Schonung des Eigentums, wie sie möglich und rechtlich ist nur in der wahren Erkenntnis, so soll dem Erleuchteten sich das Herz erheben beim Anbruche seines Vaterlandes, und er soll es begierig als wahren Ernst ergreifen. Die darin gemischten Verkehrtheiten, wenn z. B. fortwährend von Untertanen gesprochen wird, wenn der Herrscher vor das Vaterland gesetzt wird, als ob er selbst keins hätte, und dergleichen übersieht er als alte schlimme Angewöhnungen.

Er nimmt es als rechten Ernst. Den Argwohn, daß es, nachdem die alten Mittel vergeblich gewesen, auch nur als Mittel gebraucht werde, um die Herrschermacht in dem falschen Begriffe zu verteidigen, und, wenn es geholfen, beiseite gestellt und alles wieder in die gewohnte Bahn werde eingeführt werden, diesen erlaubt er sich nicht. Sein Argwohn könnte machen, daß es geschähe: sein Für-Ernst-Nehmen kann machen, daß es Ernst wird. Wenn sich nun hinterher doch zeigte, daß es nicht Ernst gewesen wäre, wenn nach Errettung im Kampfe abermals die Selbständigkeit der Nation dem Vorteile der Herrscherfamilie aufgeopfert würde, wenn sich zeigte, daß der Herrscher zwar wollte, daß für seine Herrschaft das edelste Blut seines Volkes flösse, er dagegen für die Selbstständigkeit desselben seine Herrschaft nicht wagen wolle: so könnte unter einem solchen der Vernünftige durchaus nicht bleiben. Sein Wirken in der Gesellschaft könnte, wie oben erinnert, nur den Zweck haben, den Keim einer freien, rechtlichen Verfassung in dieselbe zu legen; und er kann diese Hoffnung so lange hegen, als es an der allgemeinen Unkunde einer solchen Verfassung liegt, daß man sie nicht einführt. Wo aber Freiheit und Selbständigkeit klar ausgesprochen und doch mit offenem Auge Verzicht auf sie getan und sie zum bloßen Mittel der Unfreiheit herabgewürdigt wird, wo die Nationaleigentümlichkeit, als die Bedingung der Entwicklung, in fremde Fesseln geschlagen wird, da ist für ihn nichts mehr zu erwarten. Ein solcher Staat befindet sich im Zustande der Verstockung und hat öffentlich das Siegel der Verwerfung sich selbst aufgedrückt. Der Edle rettet sein unsterbliches Leben, indem er flieht.

Und doch!

Ich bin innerlich überzeugt, daß die Verfassung rechtswidrig ist, und helfe sie dennoch aufrecht erhalten, wäre es auch nur durch meine Unterwürfigkeit. Ja, ich verwalte vielleicht selbst ein Amt in dieser rechtswidrigen Verfassung. Sollte ich etwa wenigstens das letztere nicht? Vielmehr ich soll es; ich soll mich nicht zurückziehen, denn es ist besser, daß die Weisen und Gerechten regieren, als daß die Unweisen und Ungerechten herrschen. Was Plato, der Briefsteller Im 7. Briefe Platos., darüber sagt, ist unrichtig und sogar widersprechend. Ich darf meinem Vaterlande mich nie entziehen.

Der Feldprediger von 1813 Fichte wiederholte 1813 den Versuch von 1806, im kgl. Hauptquartier seine Mission zu erfüllen, vergl. S. 35. Auch dieser Versuch blieb erfolglos.

Entscheidende Beratschlagung für den gegenwärtigen Zeitpunkt und für mein Eingreifen. Die Neigung ist ganz wegzubringen; sie weicht aber nur der Pflicht. Erste Pflicht ist, meine Wissenschaft weiter zu bringen; kann ich dies auch nicht durch Lesen Kolleglesen ist gemeint, das in der Kriegszeit aufhört., so kann ich es doch durch einsames Meditieren; aber auch wohl im Felde! Aber Pflicht ist es auch, teilzunehmen an der großen Bewegung der Zeit, da zu raten, zu helfen. – Halt! dies schärfer! – Wenn ich wirken könnte, daß eine ernstere, heiligere Stimmung in den Leitern und Anführern wäre, so wäre ein Großes gewonnen; und dies ist das Entscheidende. Ich muß nicht gerade den äußeren Erfolg sehen wollen, wenn ich nur das Negative sehe. Heiligen ernsten Sinn fördern und alles daraus herleiten. (Elend der Menschen, die solchen Aussichten sich verschließen!) – –

Ob ich diesen Beruf auf diese Weise mir geben dürfe, ist die Frage. Welches ist er? In der gegenwärtigen Zeit und für den nächsten Zweck die höhere Ansicht an die Menschen zu bringen, die Kriegführer in Gott einzutauchen. – Nebenfrage: Will ich dadurch die Religiosität überhaupt oder das bessere Gelingen des gegenwärtigen Zweckes? Ich will freilich das letzte, und wer sagt, daß ich es nicht mitbefördern könne? – Eine ernstere Ansicht kann vor Schlaffheit, Lässigkeit bewahren. Aber kann sie auch stören? Wird durch göttliche Gedanken der Erfolg gestört, so ist er eigentlich nicht der rechte. Alle Störung dieser Art ist eigentlich das Setzen der Selbstbesinnung an die Stelle des Forthandelns im Blinden. Da entstehen nun freilich solche Stillstände und Absonderungen, wie durch das erste Christentum. – Alle meine Wirksamkeit ginge also auf Bilden eines neuen Menschen. Gelänge mir nun dies, wäre es gut für das unmittelbare Handeln, für den gegenwärtigen Zweck? Warum nicht? Einige werden bestärkt und ihnen die Idee gegenwärtig erhalten, z. B. meine Studierenden, andere der Idee näher gebracht. Da hilft eben das unmerkliche Höherstimmen und Heiligen. Die Prediger sind in dem gleichen Falle, und ich weiß wohl, daß ich mein Geschäft ebensogut verrichten werde wie sie alle. – Sollen überhaupt Feldprediger sein? Im christlichen Sinne allerdings. Jenes befürchtete Stören des Handelns fiele darum hinweg, und dieser Punkt ist völlig abgetan.

Aber ob ich es solle? – Das Gesagte erkenne ich. Ist's mir nun nicht Sünde, wenn ich nicht danach tue? Beruft nicht gerade mich meine Erkenntnis und mein Eifer? – Könnt' ich etwas Besseres tun? Schreiben über die Zeitbegebenheiten? Dies auch im Felde: kann beides nicht miteinander bestehen, so muß das minder Wichtige weichen. – Täusche ich mich aber nicht in mir? Ich muß es eben versuchen. Es ist schwierig, aber hüte dich vor dem Ergriffenwerden von der Phantasie. Die Menschen pflegen das Unbekannte zu fürchten: so ich, so Nicolovius für mich. Doch tritt nur kühn hinter den Vorhang!

Also auch dies ist gehoben und weicht. Die ratio decidendi ist: die Kraft der lebendigen Rede zu versuchen und mir vielleicht diese neue Wirksamkeit zu erwerben. – Dies nur mit göttlichem Sinne getan, also mir strenge Regeln gesetzt, überhaupt ein aufmerksames Betragen angefangen, Tagebuch gehalten usf. So kann dies auch zur inneren Verbesserung dienen und zur Niederschlagung der Phantasie.

Noch diesen Zweifel: mißlingt es, verliere ich vielleicht nicht alle? – So gewänne ich wohl andere, von der anderen Seite. Meine Grundsätze finden doch wohl irgendwo Eingang. Unbesonnen werde ich nicht sein; daraufhin, glaube ich, muß ich es wagen.

Doch mein Haß und Empörung gegen das Schlechte? – Kann nicht größer werden! Aber wenn ich vergeblich an ihnen arbeite, sie sich durchaus läppisch benehmen und diese gegenwärtige Reizung dazukommt? – Die absolute Zurückziehung in die höhere Welt bleibt mir immer übrig. Meine äußeren Verhältnisse werden mich nicht reizen. Mißlingt die Probe, so bin ich gerade da, wo ich jetzt bin. Also die Sache ist beschlossen!«

Der Tod Aus einem Briefe von Nicolovius an Jacobi vom 12. Juli 1814.

Fichte unterlag dem Gedränge der Zeit. Wie kräftig er die bessere vorzubereiten arbeitete, weißt Du. Dabei versagte ihm der Körper, vielleicht auch der nicht mehr der frühern herkulischen Jugend sich erfreuende Geist. Dies Gefühl, das nicht nur der Freund sondern er selbst wohl hatte, war mir im Umgange mit ihm desto peinigender, je mehr er es sich selbst verhehlen zu wollen schien. In dieser Spannung erlebte er den Krieg. Als der Landsturm eingerichtet wurde, machte er mit halbgelähmtem Körper die Übungen gleich einem Gesunden mit. Nachdem die Schlachten in der Nähe uns viele Tausend Verwundete brachten, und Frauen aller Stände zu ihnen hinzutraten, trieb er die seinige. Sie wurde vom Lazarettfieber ergriffen, fing aber an zu genesen, als er in einer andern Stube dem Fieber, das ihn gleich besinnungslos niederwarf, erlag. Sein Tod machte einen gewaltigen Eindruck. Ganz verkannt konnte er von niemand werden; dazu trat seine Natur zu kräftig und zu wahr hervor. Mir ist für ihn nun wohl; denn er ist jetzt gewiß in seinem Elemente, befreit von allen Banden der Einseitigkeit und der Schwäche. Redlich war seine Seele, und wir vertrauten uns beiderseits. – Für die Witwe ist gesorgt. Hinterlassen hat er nichts, weil er überall half und zur Unterstützung seines Körpers viel bedurfte.

In summa Worte seines Arztes Hufeland.

Sein Grundcharakter war die Überkraft.

Zweites Buch
Die Persönlichkeit


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