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Bekenntnisse des Denkers und Schriftstellers

Beruf

Ich bin dazu berufen, der Wahrheit Zeugnis zu geben; an meinem Leben und an meinen Schicksalen liegt nichts; an den Wirkungen meines Lebens liegt unendlich viel. Ich bin ein Priester der Wahrheit; ich bin in ihrem Solde; ich habe mich verbindlich gemacht, alles für sie zu tun und zu wagen und zu leiden. Wenn ich um ihrer willen verfolgt und gehaßt werde, wenn ich in ihrem Dienste gar sterben sollte, – was tät' ich dann sonderliches, was tät' ich dann weiter, als das, was ich schlechthin tun müßte?

Si fractus ...

Ich hebe mein Haupt kühn empor zu dem drohenden Felsengebirge und zu dem tobenden Wassersturz und zu den krachenden, in einem Feuermeere schwimmenden Wolken und sage: ich bin ewig, und ich trotze eurer Macht! Brecht alle herab auf mich, und du Erde und du Himmel, vermischt euch im wilden Tumulte, und ihr Elemente alle, schäumet und tobet und zerreibet im wilden Kampfe das letzte Sonnenstäubchen des Körpers, den ich mein nenne; – mein Wille allein mit seinem festen Plane soll kühn und kalt über den Trümmern des Weltalls schweben; denn ich habe meine Bestimmung ergriffen, und die ist dauernder als ihr; sie ist ewig, und ich bin ewig wie sie.

Der Genius der Taten

Habt ihr den goldeinen Flügel des Genius je rauschen gehört, – nicht dessen, der zu Gesängen, sondern dessen, der zu Taten begeistert? Habt ihr je ein kräftiges: » Ich will!« eurer Seele zugeherrscht und das Resultat desselben trotz aller sinnlichen Reizungen, trotz aller Hindernisse nach jahrelangem Kampfe hingestellt und gesagt: » Hier ist es!«? Fühlt ihr euch fähig, dem Despoten ins Angesicht zu sagen: »Töten kannst du mich, aber nicht meinen Entschluß ändern!«? Habt ihr? – könnet ihr das nicht, so weichet von dieser Stätte, sie ist für euch heilig.

Über dem Konflikt

Wer mit Widerwillen und im Streite mit seiner innern Finsternis dennoch nach der Wahrheit handelt, den bewundere man und preise seinen Heldenmut; wem es innerlich klar geworden, der ist unserer Bewunderung und Verwunderung entwachsen; es ist in seinem Wesen gar kein Anstoß weiter noch Unbegreifliches, sondern alles ist die eine, aus sich selbst fortfließende, klare Quelle.

Meine Lehrer

Nein, Geister der Vorwelt, deren Schatten mich unsichtbar umschweben, Griechen und Römer, an deren noch fortlebenden Schriften mein Geist sich zuerst versuchte, die ihr diese Kühnheit, diese Verachtung der List, der Gefahr und des Todes, dieses Gefühl für alles, was stark und groß ist, unmerklich in meine Seele hauchtet, – und ihr anderen zum Teil noch lebenden Lehrer, an deren Hand ich noch täglich tiefer in die Natur unseres Geistes und seiner Begriffe einzudringen und von eingewurzelten Vorurteilen mich immer mehr zu entfesseln suche: – fern sei von mir der entehrende Gedanke, daß ich alles das durch die paar armseligen Groschen bezahlt habe, die ich für eure Schriften gab. Mein Geist fliegt in dieser Minute sehnend zu euren unbekannten Gräbern oder zu den Stätten, wo ihr weilt und von denen Länder und Seen mich trennen, und möchte gerührt aber männlich auf eurem Grabe danken oder euch die Hand drücken und euch sagen: ihr seid meine Väter, Teile von eurem Geiste sind in den meinigen übergegangen.

Die freien Geister

Was ist denn nur durch die Wissenschaftslehre ausgemacht? Seiner Freiheit (Ichheit und Selbstständigkeit) sich bewußt zu sein, wird in ihr, als jedem rechten Menschen natürlich zukommend, vorausgesetzt; und wer dies nicht hat noch kann, dem ist durch kein Mittel zu helfen. Als einzig möglicher wissenschaftlicher Standpunkt wird es freilich erst durch die Wissenschaftslehre erwiesen; aber ich mute auch keinem an, dies vor derselben voraus zuzugestehen, sondern es nur vorläufig problematisch anzunehmen und zu versuchen, wie es gehen wird. Ich liebe die freien Denker, wie Leibniz, Lessing, Kant, die nicht erst fragen, was sie gewinnen werden, sondern sich auf einen eigentümlichen Weg einlassen, gesetzt auch, sie hätten zuletzt nichts weiter daran als die Übung ihrer Kräfte.

... magis amica veritas

Sie An Reinhold. gehen allenthalben sichtbar darauf aus, sich selbst und andern Ihre teuersten Erwartungen nicht sowohl zuzusichern, als sie, die aus einer ganz andern Quelle entspringen, gegen alle Angriffe der nur spekulativ gewordenen, verkommenen Vernunft zu sichern. Sie philosophieren mit und aus praktischem Interesse, und dieses ist das herrschende in Ihren Schriften. Ich, durch eine freiere Erziehung in der frühesten Jugend, darauf durch einen Druck, den ich bald abwarf, in der Schulpforte, durch ein leichtes Blut, eine ziemlich gute Gesundheit und, was durch jenes mir erleichtert: wird, durch ein festes Beruhen auf mir selbst, – dessen schädliches Übermaß ich zu vermeiden suchen werde, – unterstützt, habe der Spekulation seit sehr früher Jugend getrost und kalt unter die Augen gesehen. Ungeachtet es freilich kein geringes Gut für mich ist, einer Philosophie mich bemächtigt zu haben, die mein Herz in Übereinstimmung mit meinem Kopfe setzt, so würde: ich doch keinen Augenblick mich besinnen, sie aufzugeben, wenn man mir ihre Unrichtigkeit zeigte, eine völlig diese Eintracht zerstörende Lehre dafür annehmen, wenn sie richtig wäre, und auch dann meine Pflicht zu tun glauben.

Überzeugung

Ich habe im Tone der Gewißheit geschrieben, weil es Falschheit ist zu tun, als ob man zweifele, wo man nicht zweifelt. Ich habe über alles, was ich schrieb, reiflich nachgedacht und hatte also Gründe, nicht zu zweifeln. Daraus nun folgt zwar, daß ich nicht ohne Besonnenheit rede und nicht lüge: aber es folgt nicht, daß ich nicht irre. Das weiß ich nicht; ich weiß nur, daß ich nicht irren wollte.

Die »gewissermaßen«

Ich bekenne, daß ich die »gewissermaßen« und ihre ganze Familie nicht liebe. Weißt du etwas Gründliches, und willst du es uns sagen, so rede bestimmt und ziehe statt deines »gewissermaßen« eine scharfe Grenze; weißt du nichts, oder getraust du dich nicht zu reden, so laß es gar sein. Tue nichts halb.

Der loyale Bürger

Seitdem ich mich entschlossen habe, meine Vernunft selbst zu brauchen und nach allen Richtungen hin, die der menschliche Geist nehmen kann, frei zu untersuchen, seitdem habe ich es mir auch zur unverbrüchlichen Maxime meines ganzen Lebens gemacht, an meinem Beispiele zu zeigen, daß Freiheit des Geistes mit Regelmäßigkeit im bürgerlichen Leben sich sehr wohl vertrage. Ich setze im bürgerlichen Leben meinen Stolz darauf, den Gesetzen zu gehorchen und den Gehorsam gegen dieselben zu zeigen, und halte, soweit mein Wirkungskreis reicht, selbst streng über Ordnung und Gesetz.

Der Mann der Pflicht

Seht da meine Maximen; ich kann nichts mit Feinheit von mir weisen, was mir Pflicht zu sein scheint. Ich bin nun einmal so und wünsche nicht einmal anders zu sein und könnte den Fehler, den ihr an mir tadelt, nur mit meiner Vernichtung ablegen, wenn Vernichtung möglich ist.

Der kategorische Imperativ als Ehre

Ich gehe an die Darstellung meiner Grundsätze, inwiefern sie mir in dieser Angelegenheit Einfluß gehabt zu haben scheinen.

1) Es gibt etwas, das mir über alles gilt und dem ich alles andere nachsetze, von dessen Behauptung ich mich durch keine mögliche Folge abhalten lasse, für das ich mein ganzes irdisches Wohl, meinen guten Ruf, mein Leben, das ganze Wohl des Weltalls, wenn es damit in Streit kommen könnte, ohne Bedenken aufopfern würde. Ich will es Ehre nennen.

2) Diese Ehre setze ich keineswegs in das Urteil anderer über meine Handlungen, und wenn es das einstimmige Urteil meines Zeitalters und der Nachwelt sein könnte, sondern in dasjenige, das ich selbst über sie fällen kann.

3) Das Urteil, welches ich selbst über meine Handlungen fälle, hängt davon ab, ob ich bei ihnen in Übereinstimmung mit mir selbst bleibe, oder durch sie mich mit mir selbst in Widerspruch versetze. Im ersten Fall kann ich sie billigen; im zweiten Falle würde ich durch sie vor mir selbst entehrt, und es bliebe mir nichts übrig, um meine Ehre vor mir selbst wiederherzustellen, als freimütiger Widerruf und Gutmachen aus allen meinen Kräften.

4) Das innere Bewußtsein dieser vollkommenen Übereinstimmung mit mir tut mir selbst vollkommen Genüge, und nur für die Leser, welche fragen dürften, wie denn die Entschlüsse beschaffen seien, über welche ich mit mir selbst einig zu bleiben hoffe, setze ich hinzu: so, daß ich meinem besten Wissen nach ernstlich wollen kann, daß alle vernünftigen Wesen in der gleichen Lage dieselben Entschlüsse faßten; so, daß meiner vollen Überzeugung nach aus ihrer allgemeinen Nachahmung eine Welt voll Ordnung und Harmonie hervorgehen würde. In einer solchen Welt herrscht allein die Vernunft, und die Alleinherrschaft der Vernunft ist der einzige letzte Endzweck, den ein vernünftiges Wesen sich setzen darf.

5) Ich glaube nicht, was mehrere, die in der Spekulation die gleichen Grundsätze annehmen, zu glauben scheinen, daß diese Grundsätze zwar in der Schule und in Büchern vorzutragen, keineswegs aber in das wirkliche Leben einzuführen sind. Ich halte vielmehr dafür, daß sie darein eingeführt werden müssen; daß sie vom Anfange des Menschengeschlechts an in den Handlungen rechtlicher Leute mit größerer oder geringerer Genauigkeit ausgedrückt sind; und daß sie nie herrschend werden können, wenn nicht einzelne trotz des entgegengesetzten Beispiels und des Widerspruchs der Menge anfangen, sich in ihren Handlungen streng danach zu richten.

6) Es geht aus allem Obigen hervor, und nur für gewisse Leser erinnere ich ausdrücklich, daß ich von diesen Grundsätzen schlechthin keine Ausnahme gestatte, die Lage sei, welche sie wolle, die unmittelbaren Folgen für mich und andere, welche sie wollen; ich handle, wenn ich ihnen zufolge handeln muß.

7) Wenn ich handeln muß, das heißt, wenn der freigewählte Plan meines ganzen Lebens oder die gleichfalls frei übernommene äußere Bestimmung, mein Amt, Beruf, ein gültiger Auftrag gerade mich verbindet, dieses oder jenes zu tun. Denn ich halte mich keineswegs für berufen, alles, was mir krumm scheint, gerade zu machen, mich in fremde Geschäfte einzumischen und dadurch andere, denen diese aufgetragen sind, zu hindern und zu stören und darüber das zu versäumen, was mir insbesondere obliegt. Ich halte es z. B. gar nicht für Pflicht, alle Wahrheit zu sagen, die ich zu wissen meine, ich darf schweigen; aber ich halte es für unerläßliche Pflicht, wo ich einmal rede, streng wahr zu reden und nicht einmal ein unbestimmtes, zweideutiges Wort mit dem Bewußtsein, daß es zweideutig ist, einfließen zu lassen.

8) Einer mag diese, der andere eine andere Probe haben, um die Redlichkeit seiner Gesinnungen vor sich selbst zu prüfen und in die geheimsten Falten des eigenen Herzens, das uns nur zu leicht täuscht, einzudringen. Die meinige ist folgende: Ich frage mich, ob ich wohl erbötig sei, öffentlich vor aller Welt anzuerkennen, was ich sage und tue, und alle Beweggründe meiner Handlungen so offen vor jedermanns Augen darzulegen, als ich sie selbst meinem besten Wissen nach in mir erblicke.

Maxime des Schriftstellers

Meine schriftstellerische Grundregel ist: schreibe nichts nieder, worüber du vor dir selbst erröten müßtest; und die Probe, die ich hierüber mit mir anstelle, die Frage: könntest du wollen, daß dein Zeitalter und, wenn es möglich wäre, die gesamte Nachwelt wüßte, daß du das geschrieben hast?

Klar

Wir lieben, die Sachen an ihrem klarsten Ende anzugreifen.

Nicht vorausredend

Nicht gewohnt von Dingen zu reden, die er noch zu tun hat. – –

Ein ungewolltes Selbstbildnis

Es kann jemand seinem Zeitalter vorausgeeilt sein und in seiner Brust schon den Anfang der neuen Zeit tragen, indeß rund um ihn her die für ihn alte, in der Wahrheit aber wirkliche, dermalige und gegenwärtige herrschet.

Hoffnung auf Wirkung

Dürfte es sich zutragen, daß in irgend ein junges, kräftiges Gemüt ein Funke fiele zu fortdauerndem Leben, so würde mein Lohn vollkommen sein.

Keine Überschätzung der eigenen Wirkung

Niemand ist entfernter als der Philosoph von dem Wahne, daß durch seine Bestrebungen das Zeitalter sehr merklich fortrücken werde. Jeder, dem es Gott verlieh, soll freilich alle seine Kräfte für diesen Zweck anstrengen, sei es auch nur um sein selbst willen, und damit er im Zeitenflusse denjenigen Platz behaupte, der ihm angewiesen ist. Übrigens geht die Zeit ihren festen, ihr von Ewigkeit her bestimmten Tritt, und es läßt in ihr durch einzelne Kraft sich nichts übereilen oder erzwingen. Nur die Vereinigung aller und besonders der inwohnende ewige Geist der Zeiten und der Welten vermag zu fördern.

Nachwelt

Ich erwarte den Richterspruch der Zeit und – schweige.

Die Probe

Es ist dieses Denken gewiß nicht Produkt unserer Zeit, wenn es zuvörderst überhaupt nicht Produkt irgend einer Zeit ist, sondern über alle Zeit hinausliegt; sodann, – – wenn es Grund und Prinzip eines lebendigen Lebens in einer neuen Zeit wird.

Was mehr gilt als Nachruhm

Episode über den Nachruhm: Was begeisterte Cicero, Cäsar, die großen Römer? Die Vorstellung, nicht sowohl fortzuwirken, als fortzudauern im Gedächtnisse der Nachwelt. – Warum kann ich den Nachruhm nicht denken und soll ihn eigentlich kein Christ? – Vielleicht ist es ein dunkles Gefühl des wirklichen Fortdauerns und Fortwirkens; ein solches bedarf jener Vorstellung nicht. So ist's ohne Zweifel; aber hier ist es doch zu weit gesucht. – Eben darin lag jenes Suchen des Nachruhms, weil ihr Lebenszweck ein willkürlich gewählter war, nicht hervorgegangen aus der Hingabe an einen wahrhaft göttlichen, uns begeisternden Zweck, in welchem man sich völlig vergißt, wie die Apostel, die ersten Christen, ohne Zweifel auch die früheren Heroen der Weltgeschichte. Dieser begeisternden Idee und des ewigen Fortwirkens in ihr gewiß, verschwindet ihnen der Nachruhm völlig, als dagegen ein Bedeutungsloses.

Ein letztes Wort

Und hiermit lege ich denn die Feder nieder mit der Ruhe, mit welcher ich einst mein ganzes irdisches Tagewerk niederzulegen und in die Ewigkeit hinüberzutreten hoffe. Das noch zu sagen, was ich hier gesagt habe, war meine Sache; was nun weiter geschehen soll, ist Sache eines anderen.


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