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Ethik

Vom Sollen

Der Mensch kann, was er soll; und wenn er sagt: »ich kann nicht«, so will er nicht.

Ziel und Bestimmung

Vollkommenheit ist das höchste, unerreichbare Ziel des Menschen; Vervollkommnung ins unendliche aber ist seine Bestimmung.

Vita activa

Handeln, handeln, das ist die Sache. Was hilft uns das bloße Wissen?

Wissen und Handeln

Was hilft alles Wissen, hört man zuweilen sagen, wenn nicht darnach gehandelt wird? In diesem Ausspruche wird das Wissen als Mittel für das Handeln und dieses letztere als der eigentliche Zweck angesehen. Man könnte umgekehrt sagen: wie kann man doch gut handeln, ohne das Gute zu kennen? und es würde in diesem Ausspruche das Wissen als das bedingende des Handelns betrachtet. Beide Aussprüche aber sind einseitig; und das wahre ist, daß beides, Wissen sowie Handeln, auf dieselbe Weise unabtrennliche Bestandteile des vernünftigen Lebens sind.

Wirkliches Denken und gedachtes Denken

In sich selbst beständiges Leben aber, wie wir soeben uns ausdrückten, ist die Wissenschaft nur alsdann, wenn der Gedanke der wirkliche Sinn und die Gesinnung des Denkenden ist, also daß er ohne besondere Mühe und sogar, ohne dessen sich klar bewußt zu sein, alles andere, was er denkt, ansieht, beurteilt, zufolge jenes Grundgedankens ansieht und beurteilt und, falls derselbe aufs Handeln einfließt, nach ihm ebenso notwendig handelt. Keineswegs aber ist der Gedanke Leben und Gesinnung, wenn er nur als Gedanke eines fremden Lebens gedacht wird, so klar und vollständig er auch als ein solcher bloß möglicher Gedanke begriffen sein mag, und so hell man sich auch denken möge, wie etwa jemand also denken könne. In diesem letztern Falle liegt zwischen unserm gedachten Denken und zwischen unserm wirklichen Denken ein großes Feld von Zufall und Freiheit, welche letzte wir nicht vollziehen mögen; und so bleibt jenes gedachte Denken von uns abstehend und ein bloß mögliches und ein von uns frei gemachtes und immerfort frei zu wiederholendes Denken. In jenem ersten Falle hat der Gedanke unmittelbar durch sich selbst unser Selbst ergriffen und es zu sich selbst gemacht, und durch diese also entstandene Wirklichkeit des Gedankens für uns geht unsere Einsicht hindurch zu dessen Notwendigkeit.

Handeln!

Hinstehen und klagen über das Verderben der Menschen, ohne eine Hand zu regen, um es zu verringern, ist weibisch. Strafen und bitter höhnen, ohne den Menschen zu sagen, wie sie besser werden sollen, ist unfreundlich. Handeln! Handeln! das ist es, wozu wir da sind.

Nicht klagen

Auch ist es unmännlich, mit Klagen über das vorhandene Übel eine Zeit zu verlieren, die man weiser anwendete, um, soviel in unseren Kräften steht, das Gute und Schöne zu schaffen.

Trägheit, Feigheit, Falschheit

Trägheit sonach, die durch lange Gewohnheit sich selbst ins unendliche reproduziert und bald gänzliches Unvermögen zum Guten wird, ist das wahre, angeborene, in der menschlichen Natur selbst liegende radikale Übel, welches sich aus derselben auch gar wohl erklären läßt. Der Mensch ist von Natur faul, sagt Kant sehr richtig.

Aus dieser Trägheit entspringt zunächst Feigheit, das zweite Grundlaster der Menschen. Feigheit ist die Trägheit, in der Wechselwirkung mit anderen unsere Freiheit und Selbständigkeit zu behaupten. Jeder hat Mut genug gegen denjenigen, von dessen Schwäche er schon entschieden überzeugt ist; hat er aber diese Überzeugung nicht, bekommt er mit einem zu tun, in welchem er mehr Stärke – sie sei, von welcher Art sie wolle – vermutet als in sich selbst, so erschrickt er vor der Kraftanwendung, der es bedürfen werde, seine Selbständigkeit zu behaupten, und gibt nach. – Nur so ist die Sklaverei unter den Menschen, die physische sowohl als die moralische, zu erklären, die Untertänigkeit und die Nachbeterei. Ich erschrecke vor der körperlichen Anstrengung des Widerstandes und unterwerfe meinen Leib; ich erschrecke vor der Mühe des Selbstdenkens, die mir jemand durch Anmutung kühner und verwickelter Behauptungen anträgt, und glaube lieber seiner Autorität, um nur schnell seiner Anforderungen mich zu entledigen. (Es gibt immer Menschen, die da herrschen wollen; den Grund davon haben wir oben gesehen. Diese sind die wenigeren und die stärkeren. Sie haben einen rüstigen und kühnen Charakter. Wie kommt es doch, daß die einzelnen, die vereint stärker sein würden, sich jenen unterwerfen? So geht es zu: Die Mühe, die ihnen der Widerstand machen würde, fällt ihnen schmerzhafter als die Sklaverei, der sie sich unterwerfen und in der sie es auszuhalten hoffen. Die mindeste Kraftäußerung ist dem gewöhnlichen Menschen weit schmerzhafter als tausendfaches Leiden, und er mag lieber alles erdulden, als einmal handeln. Bei jenem bleibt er doch in Ruhe und gewöhnt sich daran.

Der Feige tröstet bei dieser Unterwerfung, die ihm doch nicht von Herzen geht, sich besonders der List und des Betruges; denn das dritte Grundlaster der Menschen, das aus der Feigheit natürlich entsteht, ist die Falschheit. Der Mensch kann seine Selbstheit nicht so ganz verleugnen und einem anderen aufopfern, wie er wohl etwa vorgibt, um der Mühe, sie im offenen Kampfe zu verteidigen, überhoben zu sein. Er sagt dies daher nur so, um sich seine Gelegenheit besser zu ersehen und seinen Unterdrücker dann zu bekämpfen, wenn die Aufmerksamkeit desselben nicht mehr auf ihn gerichtet sein wird. Alle Falschheit, alles Lügen, alle Tücke und Hinterlist kommt daher, weil es Unterdrücker gibt; und jeder, der andere unterjocht, muß sich darauf gefaßt halten. – Nur der Feige ist falsch. Der Mutige lügt nicht und ist nicht falsch: aus Stolz und Charakterstärke, wenn es nicht aus Tugend ist.

Dies ist das Bild des gewöhnlichen natürlichen Menschen. Des gewöhnlichen, sage ich; denn der außergewöhnliche und von der Natur vorzüglich begünstigte hat einen rüstigen Charakter, ohne in moralischer Rücksicht im mindesten besser zu sein: er ist weder träge, noch feig, noch falsch, aber er tritt übermütig alles um sich herum nieder und wird Herr und Unterdrücker derer, die gerne Sklaven sind.

Diese Schilderung mag häßlich und widerlich scheinen. Nur erhebe man dabei nicht das übliche Seufzen oder Schmähen über die Unvollkommenheit der menschlichen Natur. – Gerade, daß diese Züge euch als häßlich erscheinen, beweist den Adel und die Erhabenheit der Menschheit: Findet ihr es denn ebenso häßlich, daß das stärkere Tier das schwächere frißt, und das schwächere das stärkere überlistet? Ohne Zweifel nicht; ihr findet dieses natürlich und in der Ordnung. Bei dem Menschen findet ihr es nur darum anders, weil es euch gar nicht möglich ist, denselben als ein bloßes Naturprodukt zu betrachten, sondern ihr genötigt seid, ihn als ein über alle Natur erhabenes, freies und übersinnliches Wesen zu denken. Selbst, daß der Mensch des Lasters sich fähig findet, zeigt, daß er zur Tugend bestimmt ist.

Besserung durch Gründe?

Das ist es, worüber ich mit Ihnen An Reinhold. nicht einig bin, und worüber ich auch mit Ihnen nie einig werden werde, daß wir die Menschen nie bessern und bekehren durch die triftigsten Gründe, ihren bösen Willen nie brechen werden, und daß es überhaupt keinen stetigen Übergang von der Dummheit zur Weisheit und von der Schalkheit zur Rechtlichkeit gibt. Schalksnarren kann man bloß unschädlich machen wollen für andere, nie aber sie belehren wollen.

Gegen den Materialismus

Nicht der Tod ist die Wurzel der Welt, welcher Tod erst durch allmähliche Verringerung seines Grades zum Leben herauf gekünstelt werden müßte; sondern vielmehr das Leben ist die Wurzel der Welt, und was da tot scheint, ist nur ein geringerer Grad des Lebens.

Gegen den Individualismus

Es ist der größte Irrtum und der wahre Grund aller übrigen Irrtümer, welche mit diesem Zeitalter ihr Spiel treiben, wenn ein Individuum sich einbildet, daß es für sich selber dasein und leben und denken und wirken könne, und wenn einer glaubt, er selbst, diese bestimmte Person, sei das Denkende zu seinem Denken.

Gegen Isolierung

Hierdurch wird auch widerlegt die Meinung, welche noch in mancherlei Gestalten sich unter uns zeigt, daß man durch Einsiedlerleben, Absonderungen, bloße erhabene Gedanken und Spekulationen seiner Pflicht Genüge tue, und auf eine verdienstvollere Weise. Man tut ihr dann gar keine Genüge. Nur durch Handeln, nicht durch Schwärmen, – nur durch Handeln in und für die Gesellschaft tut man ihr Genüge.

Gegen Thoreauismus vor Thoreau

Der Mensch ist bestimmt, in der Gesellschaft zu leben; er soll in der Gesellschaft leben; er ist kein ganzer vollendeter Mensch und widerspricht sich selbst, wenn er isoliert lebt.

Gegen Askese

Ertötung der Empfindungen und Begierden, Abstumpfung der Kraft ist schlechthin gegen die Pflicht.

Sinnlichkeit

Die Sinnlichkeit soll kultiviert werden: das ist das höchste und letzte, was sich mit ihr vornehmen läßt.

Kultur und Sinnlichkeit

Nichts in der Sinnenwelt, nichts von unserem Treiben, Tun oder Leiden, als Erscheinung betrachtet, hat einen Wert, als insofern es auf Kultur wirkt. Genuß hat an sich gar keinen Wert; er bekommt einen höchstens als Mittel zur Belebung und Erneuerung unserer Kräfte für Kultur.

Kultur heißt Übung aller Kräfte auf den Zweck der völligen Freiheit, der völligen Unabhängigkeit von allem, was nicht wir selbst, unser reines Selbst ist. Ich mache mich hierüber deutlicher:

Wir können von der Sinnlichkeit sagen, was jener Wilde bei Marmontel in seinem Totengesange von der Gefahr sagt: So wie wir geboren wurden, forderte sie uns zu einem langen, fürchterlichen Zweikampfe um Freiheit oder Sklaverei auf. – »Überwindest du«, sagte sie uns, »so will ich dein Sklav sein. Ich werde dir ein sehr brauchbarer Diener sein können; aber ich bleibe immer ein unwilliger Diener, und sobald du mein Joch erleichterst, empöre ich mich gegen meinen Herrn und Überwinder. Überwinde ich dich aber, so werde ich dich beschimpfen und entehren und unter die Füße treten. Da du mir zu nichts nütze sein kannst, so werde ich nach dem Rechte eines Eroberers dich ganz zu vertilgen suchen.«

In diesem Kampfe nun muß mit der Sinnlichkeit zweierlei geschehen. Sie soll erstlich bezähmt und unterjocht werden; sie soll nicht mehr gebieten, sondern dienen; sie soll sich nicht mehr anmaßen, uns unsere Zwecke vorzuschreiben oder sie zu bedingen. Dies ist die erste Handlung der Befreiung unseres Ich, die Bezähmung der Sinnlichkeit. – Aber damit ist noch lange nicht alles geschehen. Die Sinnlichkeit soll nicht nur nicht Gebieter, sie soll auch Diener, und zwar ein geschickter, tauglicher Diener sein; sie soll zu brauchen sein. Dazu gehört, daß man alle ihre Kräfte aufsuche, sie auf alle Art bilde und ins unendliche erhöhe und verstärke. Das ist die zweite Handlung der Befreiung unseres Ich: die Kultur der Sinnlichkeit.

Hierbei zwei Anmerkungen! Zuvörderst, wenn ich hier von Sinnlichkeit rede, so verstehe ich nicht etwa bloß das darunter, was man sonst wohl mit diesem Namen bezeichnete, die niederen Gemütskräfte oder wohl gar bloß die körperlichen Kräfte des Menschen. Im Gegensatze gegen das reine Ich gehört alles zur Sinnlichkeit, was nicht selbst dieses reine Ich ist, also alle unsere körperlichen und Gemütskräfte, welche, und insofern sie durch etwas außer uns bestimmt werden können. Alles, was bildsam ist, was geübt und verstärkt werden kann, gehört dazu. Die reine Form unseres Selbst ist es, die keiner Bildung fähig ist: sie ist völlig unveränderlich. In diesem Sinne des Worts gehört demnach Bildung des Geistes oder Herzens durch das reinste Denken oder durch die erhabensten Vorstellungen aus der Religion nicht minder zur Bildung der Sinnlichkeit, des sinnlichen Wesens in uns, als etwa die Übung der Füße durch den Tanz.

Zweitens dürfte etwa die vorgeschlagene Übung und Erhöhung der sinnlichen Kräfte jemanden auf den Gedanken bringen, daß dadurch die Macht der Sinnlichkeit selbst vermehrt, und sie mit neuen Waffen gegen die Vernunft werde ausgerüstet werden. Aber das ist nicht. Gesetzlosigkeit ist der ursprüngliche Charakter der Sinnlichkeit; nur in ihr liegt ihre eigentümliche Stärke; sowie dieses Werkzeug ihr entwunden wird, wird sie kraftlos. – Alle jene Bildung geschieht wenigstens nach Regeln, wenn auch nicht nach Gesetzen, auf gewisse Zwecke hin, mithin zum wenigsten gesetzmäßig; es wird durch sie der Sinnlichkeit gleichsam die Uniform der Vernunft angelegt; die Waffen, die diese gibt, sind ihr selbst unschädlich, und sie ist gegen sie unverwundbar.

Durch die höchste Ausübung dieser beiden Rechte des Überwinders über die Sinnlichkeit nun würde der Mensch frei, d. i. bloß von sich, von seinem reinen Ich abhängig werden. Jedem: Ich will, in seiner Brust müßte ein: Es steht da! in der Welt der Erscheinungen entsprechen. Ohne die Ausübung des ersteren könnte er auch nicht einmal wollen; seine Handlungen würden durch Antriebe außer ihm, wie sie auf seine Sinnlichkeit wirken, bestimmt; er wäre ein Instrument, das zum Einklange in das große Konzert der Sinnenwelt gespielt würde und jedesmal den Ton angäbe, den das blinde Fatum auf ihm griffe. Nach Ausübung des ersteren Rechts könnte er zwar selbsttätig sein wollen; aber ohne das zweite geltend zu machen, wäre sein Wille ein ohnmächtiger Wille; er wollte, und das wäre es alles. Er wäre ein Gebieter – aber ohne Diener, ein König – aber ohne Untertanen. Er stünde noch immer unter dem eisernen Szepter des Fatums, wäre noch an seine Ketten gefesselt, und sein Wollen wäre ein ohnmächtiges Gerassel mit denselben. Die erste Handlung des Überwinders versichert uns das Wollen; die zweite, des Anwerbens und Wehrhaftmachens unserer Kräfte, versichert uns das Können.

Keine Kultur ohne Selbsttätigkeit

Niemand wird kultiviert, sondern jeder hat sich selbst zu kultivieren. Alles bloß leidende Verhalten ist das gerade Gegenteil der Kultur; Bildung geschieht durch Selbsttätigkeit und zweckt auf Selbsttätigkeit ab.

Gemeine Familiarität

Nichts ist für den Menschen verderblicher als zu große Familiarität. Wer diejenigen, die ihn zunächst umgeben, nicht scheut, der wird auch bald sich selbst nicht mehr scheuen. Wie man annehmen kann, daß in einem Stande die Roheit und das Laster öffentlicher herrschen, je vertrauter seine Glieder unter sich sind, so kann der Grad der herrschenden Familiarität auch den Maßstab von der Sittlichkeit der Universitäten und insbesondere einzelner Gesellschaften auf den Universitäten abgeben.

Ansteckung vermeidbar

Notwendig ist es nicht, in der verderbtesten Gesellschaft mit verdorben zu werden.

Gegen den Hedonismus

Daß es ganz etwas anderes sei, seine Pflicht tun, als auf eine vernünftige Art seinen Vorteil suchen, ist dem natürlichen, ungebildeten Menschenverstande klar, und nur der Schule war das Kunststück möglich, diese Klarheit zu verdunkeln und der Sonne die Augen zu verbinden.

Gegen die Herrenmoral

Jeder, der sich für einen Herrn anderer hält, ist selbst ein Sklave. Ist er es auch nicht immer wirklich, so hat er doch sicher eine Sklavenseele, und vor dem ersten Stärkeren, der ihn unterjocht, wird er niederträchtig kriechen. – Nur derjenige ist frei, der alles um sich herum frei machen will.

Freiheit und Klarheit

Es ist nicht die Aufgabe der Zeit, einzelne große, wahre, tiefeingreifende Gedanken und Ahnungen zu haben, dergleichen ich jenen Männern gar nicht abspreche, sondern Freiheit bis zur besonnenen Kunst, Klarheit, feste und unveränderliche wissenschaftliche Form, dies ist die Aufgabe der Zeit.

Das Erleben der Freiheit

Das Bewußtsein der persönlichen Freiheit kann man nur in sich selbst finden und die Realität desselben nur glauben.

Freiheit, nicht Willkür

Wir wollen freilich Freiheit und sollen sie wollen; aber wahre Freiheit entsteht nur vermittels des Durchganges durch die höchste Gesetzmäßigkeit.

Sich selbst Gesetz

»Das würde ich auch tun, wenn ich Parmenio wäre«, sagte Alexander; und war in diesem Augenblicke mehr Philosoph, als vielleicht sein ganzes übriges Leben durch. Sei dir selbst alles, oder du bist nichts.

Selbstüberwindung

Alle Kraft des Menschen wird erworben durch Kampf mit sich selbst und Überwindung seiner selbst.

Kraft des Gemüts

Nicht die Gewalt der Arme, noch die Tüchtigkeit der Waffen, sondern die Kraft des Gemütes ist es, welche Siege erkämpft.

Mut

Um Mut zu zeigen, bedarf es nicht, daß man die Waffen ergreife: den weit höheren Mut, mit Verachtung des Urteils der Menge treu zu bleiben seiner Überzeugung, mutet uns das Leben oft genug an.

Gelegenheiten

An Veranlassungen, sich Verehrung zu erwerben, fehlt es nie: an Männern, die unter Mühe und Anstrengung sie erringen möchten, fehlt es öfter.

Pflicht, das Leben des Nächsten zu erretten

Es ist nicht gesagt, daß ich nichts tun und treiben und suchen soll, als Gelegenheit, jemandes Gesundheit und Leben zu retten, wenn dies nicht etwa mein besonderer Beruf ist. Aber sobald jemand in Gefahr ist, soll ich schlechterdings ihm beistehen, selbst mit Gefahr meines eigenen Lebens; die Gefahr komme von vernunftloser physischer Naturgewalt oder sie komme von dem Angriffe vernünftiger Wesen.

Mit Gefahr meines eigenen Lebens, sagte ich. Es ist hier gar keine Kollision der Pflichten, wie man glauben könnte. Meine Erhaltung ist bedingt durch die des anderen, die des anderen durch die meinige. Sie sind beide ganz gleich, von gleichem Werte, aus dem gleichen Grunde. Es ist nicht meine Absicht, daß einer von beiden dabei untergehe, sondern, daß beide erhalten werden. Kommt dennoch einer, oder auch beide um, so habe ich das nicht zu verantworten, ich habe meine Schuldigkeit getan.

Es ist eine vergebliche Ausflucht, sich auf die Pflicht der Selbsterhaltung zu berufen, wenn der andere in Gefahr ist: sie hört dann auf. Richtig übersetzt, sagt jene Rede soviel: wir wollen den anderen retten, wenn wir selbst dabei sicher sind. Dies wäre denn allerdings etwas besonderes und großes! Menschenleben auch dann nicht retten wollen, wo es ohne alle Gefahr für uns selbst geschehen könnte, wäre offenbarer Mord, – Ferner soll hier gar nicht, wie einige Moralisten meinen, erst kalkuliert werden, wessen Leben mehr Wert habe, an wessen Erhaltung mehr gelegen sei. Vor dem Sittengesetze ist Menschenleben überhaupt von gleichem Werte; sobald Eins gefährdet ist, haben alle übrigen, wer sie auch seien, nicht mehr das Recht, sicher zu sein, bis es gerettet ist. – Es ist ein gerades, großes und der sittlichen Gesinnung völlig gemäßes Wort, das der verewigte Herzog Leopold von Braunschweig. sagte: »hier gilt es Menschenleben, was bin ich da mehr als ihr?« –

Notlüge

Die Verteidigung der Notlüge ist das verkehrteste, was unter Menschen möglich ist; der Verteidiger deckt dadurch seine in Grund und Boden verdorbene Denkart auf. Daß euch die Lüge, als ein mögliches Auskunftsmittel aus gewissen Verlegenheiten auch nur eingefallen ist, und ihr nun ernstlich beratschlagen könnt, ob man sich nicht derselben bedienen dürfe, ist der wahre Sitz eurer Verkehrtheit. In der Natur liegt kein Trieb zur Lüge; diese geht gerades Weges auf den Genuß los; die sittliche Denkart kennt die Lüge nicht; es bedarf zu diesem Gedanken eines positiven Bösen, eines bedachten Nachforschens nach einem krummen Wege, um den sich uns darbietenden geraden nicht zu gehen. Dem ehrlichen Manne fällt dieses Auskunftsmittel gar nicht ein; und bloß durch ihn würde der Begriff der Lüge gar nicht in das System der menschlichen Begriffe, noch die Untersuchung über die Moralität der Notlüge in die Sittenlehre gekommen sein.

Das gewöhnliche Beispiel der Schule kann unsere Gedanken klärer machen. Ein von seinem Feinde mit entblößtem Degen verfolgter Mensch verbirgt sich in eurer Gegenwart. Sein Feind kommt an und fragt euch, wo er sei. – »Sagt ihr die Wahrheit, so wird ein Unschuldiger ermordet; ihr müßt sonach in diesem Falle lügen«, folgern einige. Wie kommen doch diese schnellen Folgerer über so vieles mögliche, was auf dem geraden Wege noch vor ihnen liegt, hinüber auf den krummen Weg? Zuvörderst, warum solltet ihr denn dem Frager entweder die Wahrheit oder eine Lüge sagen; warum nicht das dritte, in der Mitte liegende: daß ihr ihm keine Antwort schuldig seid, daß er einen sehr bösen Vorsatz zu haben scheine, daß ihr ihm ratet, denselben in der Güte aufzugeben, daß ihr außerdem die Partei des Verfolgten ergreifen und denselben mit Gefahr eures eigenen Lebens verteidigen werdet – welches letztere ohnedies eure absolute Schuldigkeit ist. – »Aber dann würde seine Wut sich gegen euch selbst wenden«, fahrt ihr fort. Wie mag es doch kommen, ich bitte euch, daß ihr nur diesen einen Fall in Rechnung bringt; da doch ein zweiter, daß der Gegner durch die Gerechtigkeit und die Kühnheit eures Widerstandes betroffen, von der Verfolgung seines Feindes abstehe, kühler werde und mit sich unterhandeln lasse, auch unter die Möglichkeiten gehört? Aber es sei, daß er über euch selbst herfalle. Warum wollt ihr denn das absolut vermeiden? Es war ja ohnedies eure Schuldigkeit, den Verfolgten mit eurer eigenen Brust zu decken; denn sobald Menschenleben in Gefahr ist, habt ihr nicht mehr das Recht, auf die Sicherheit eures eigenen zu denken. Es ergibt sich sonach schon hier klärlich, daß der nächste Zweck eurer Lüge gar nicht der war, das Leben des Nächsten zu retten, sondern nur der, selbst mit heiler Haut davon zu kommen; und überdies war eure Gefahr nicht einmal wirklich, sondern nur einer von den beiden möglichen Fällen. Ihr wolltet sonach lügen, bloß um der entfernten Möglichkeit, zu Schaden zu kommen, auszuweichen. – Also er falle über euch her! Seid ihr denn nun durch diesen bloßen Anfall schon überwältigt, wie ihr abermals mit Übergehung der möglichen übrigen Fälle annehmt? Der zuerst Verfolgte hat eurer Voraussetzung nach sich in der Nähe verborgen; jetzt seid ihr in Gefahr, und es ist ihm allgemeine Pflicht, und jetzt noch besondere Pflicht der Dankbarkeit, zu eurem Beistande herbeizueilen. Woher mögt ihr doch die entschiedene Voraussetzung schöpfen, daß er das nicht tun werde? Oder gesetzt, er käme euch nicht zu Hilfe; so habt ihr durch euren Widerstand Zeit gewonnen, und es können von ohngefähr andere kommen, die euch beistehen. Endlich wenn von allem diesem nichts geschähe, und ihr allein kämpfen müßtet, woher seid ihr doch eurer Niederlage so sicher? Rechnet ihr denn gar nicht auf die Kraft, welche der feste Entschluß, schlechthin nichts Unrechtes zu dulden, und der Enthusiasmus für eure gute Sache selbst eurem Körper geben wird, noch auf die Schwäche, welche Verwirrung und Bewußtsein seiner Ungerechtigkeit über euern Gegner verbreiten muß? – Im schlimmsten Falle könnt ihr nichts weiter, als sterben; nachdem ihr aber tot seid, ist es nicht mehr eure Sache, das Leben des Angegriffenen zu schützen; und zugleich seid ihr dadurch vor der Gefahr der Lüge gerettet. Also der Tod geht der Lüge vorher; und zur Lüge kommt es nie. Ihr hebt dabei an, weil ihr nur ein Auge für das Krumme habt, und der gerade Weg für euch gar nicht vorhanden ist.

Selbstmord

Einige haben die Selbstmörder der Feigheit bezichtigt, andere haben ihren Mut erhoben. Beide Parteien haben recht, wie es gewöhnlich der Fall in Streitigkeiten vernünftiger Männer ist. Die Sache hat zwei Seiten, und beide Parteien haben sie nur von einer angesehen. Es ist nötig, sie von beiden zu betrachten; denn auch dem Abscheulichsten muß man nicht unrecht tun, indem dadurch nur der Widerspruch gereizt wird.

Der Entschluß zu sterben ist die reinste Darstellung der Oberherrschaft des Begriffs über die Natur. In der Natur liegt nur der Trieb, sich zu erhalten; und der Entschluß zu sterben ist das gerade Gegenteil dieses Triebes. Jeder mit kalter Besonnenheit ausgeübte Selbstmord, – die mehrsten werden in einem Anfalle von Sinnlosigkeit ausgeübt, und über diesen Zustand läßt mit Vernunft sich nichts sagen, – ein mit kalter Besonnenheit ausgeübter Selbstmord ist eine Ausübung jener Oberherrschaft, ein Beweis von Seelenstärke und erregt, von dieser Seite angesehen, notwendig Achtung. Er geht hervor aus dem oben beschriebenen blinden Triebe nach Selbständigkeit und findet sich nur bei einem rüstigen Charakter. Mut ist Entschlossenheit auf die uns unbekannte Zukunft. Da der Selbstmörder alle Zukunft für sich vernichtet, so kann man ihm nicht eigentlichen Mut zuschreiben; es sei denn, daß er ein Leben nach dem Tode annehme und diesem mit dem festen Entschlüsse, was ihm dort nur begegnen könne, entweder zu bekämpfen oder zu ertragen, entgegen gehe.

Welche Seelenstärke es aber auch erfordern möge, um sich zum Sterben zu entschließen, so erfordert es doch eine noch weit höhere, ein Leben, das uns von nun an nichts als Leiden erwarten läßt, und das man an sich für nichts achtet, wenn es auch das freudenvollste sein könnte, dennoch zu ertragen, um nichts seiner Unwürdiges zu tun. Ist dort Oberherrschaft des Begriffs über die Natur, so ist hier Oberherrschaft des Begriffs selbst über den Begriff: Autonomie und absolute Selbständigkeit des Gedankens. Was außer ihm liegt, liegt außer mir selbst und geht mich nicht an. Ist jenes der Triumph des Gedankens, so ist dieses der Triumph seines Gesetzes, die reinste Darstellung der Moralität; denn es kann vom Menschen nichts Höheres gefordert werden, als daß er ein ihm unerträglich gewordenes Leben dennoch ertrage. Dieser Mut fehlt dem Selbstmörder, und nur in dieser Beziehung kann man ihn mutlos und feige nennen. In Vergleichung mit dem Tugendhaften ist er ein Feiger; in Vergleichung mit dem Niederträchtigen, der der Schande und der Sklaverei sich unterwirft, bloß um das armselige Gefühl seiner Existenz noch einige Jahre fortzusetzen, ist er ein Held.

Das Gesetz des Lebens

Mit einem Worte: wie, wenn der Atem des Frühlings die Lüfte belebt, das starrende Eis, wovon jedes Atom noch kurz vorher fest in sich selbst sich verschloß und jedes Nachbar-Atom streng von sich abhielt, sich nicht länger hält, sondern zusammenströmt in eine einzige sich durchdringende, in sich bewegliche und laue Flut; wie dann die vorher getrennten und in dieser Trennung nur Tod und Verwüstung darstellenden Naturkräfte einander entgegen strömen und sich umarmen und sich durchdringen und in dieser Durchdringung lebendigen Balsam darbieten allen Sinnen: also – zerfließet nicht durch den Liebeshauch der Geisterwelt, denn es ist in ihr kein Winter, sondern es ist und bleibt in ihr ewig verflossen das Ganze. Nichts Einzelnes vermag zu leben in sich und für sich, sondern alles lebt in dem Ganzen, und dieses Ganze selber in unaussprechlicher Liebe stirbt unaufhörlich für sich selber, um neu zu leben. Das ist einmal das Gesetz der Geisterwelt: alles, was zum Gefühle des Daseins gekommen, falle zum Opfer dem ins unendliche fort zu steigernden Sein; und dieses Gesetz waltet unaufhaltbar, ohne irgend Eines Einwilligung zu erwarten. Nur dies ist der Unterschied, ob man mit der Binde um das Haupt, wie ein Tier, sich zur Schlachtbank wolle führen lassen, oder frei und edel und im vollen Vorgenusse des Lebens, das aus unserem Falle sich entwickeln wird, sein Leben am Altare des ewigen Lebens zur Gabe darbringen.

So ist es, ehrwürdige Versammlung, unter dieser heiligen Gesetzgebung, willig oder unwillig, gefragt oder nicht gefragt, stehen wir alle; und es ist nur ein schwerer Fiebertraum, der die Stirne des Egoisten umzieht, wenn er glaubt, daß er für sich allein zu leben vermöge; wodurch er die Sache nicht ändert und nur sich selbst Unrecht tut. Möge die Schlummerer in der Wiege für das ewige Leben zuweilen ein freudigerer Traum aus jenem Leben erquicken; mögen von Zeit zu Zeit Verkündigungen an ihr Ohr treffen, daß es ein Licht gebe und einen Tag.


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