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Polemik

Das Echte dauert

Was wahr und gut ist, bleibt ganz gewiß in der Menschheit, wenn es einmal unter sie gekommen ist: die leichte Spreu soll ja der Wind verwehen!

Streit notwendig

Nur im Streite kann die Wahrheit gedeihen. Es stehen noch ganz andere Kriege bevor über dieselbe, als wir bis jetzt erlebt haben.

Πολυμαϑία νόον οὐ διδάσϰε

Man kann viel wissen, viel studieren, viel lesen, viel hören und ist doch nichts weiter. Man läßt durch Schriftsteller oder Redner sich bearbeiten und sieht mit behaglicher Ruhe zu, wie eine Vorstellung in uns mit der andern abwechselt. Sowie die Weichlinge des Orients in ihren Bädern durch besondere Künstler ihre Gelenke durchkneten lassen, so lassen diese durch Künstler anderer Art ihren Geist durchkneten, und ihr Genuß ist um weniges edler als der Genuß jener.

Unsere Philosophen

Unsere Philosophen tun es nicht im Ernste, sie tun innerlich gar nichts, und, was sie reden, verstehen sie selbst nicht.

Der Freund Schlendrian

Wo der eigentliche Streitpunkt zwischen euch und uns liegt, kann ich euch wohl mitteilen. Ihr wollt es freilich nicht ganz mit der Vernunft, aber auch nicht ganz mit eurem wohltätigen Freunde, dem Schlendrian, verderben. Ihr wollt euch zwischen beide teilen und geratet dadurch zwischen zwei so unverträglichen Gebietern in die unangenehme Lage, es keinem zu Danke machen zu können. Folgt doch lieber entschlossen dem Gefühle der Dankbarkeit, das euch zu dem letzteren hinzieht, und wir wissen dann, wie wir mit euch daran sind.

Gevatterinnen

Das ist auch eine von euren alten Untugenden, feige Seelen, daß ihr uns mit einer geheimnisvollen Miene ins Ohr flüstert, was ihr aufgespürt habt: »aber, aber« – setzt ihr hinzu und macht ein kluges Gesicht, »daß es ja nicht weiter auskommt, Frau Gevatterin!« Das ist nicht männlich; was der Mann redet, mag jeder wissen.

Die blinden Kunstrichter

Wenn ein Gemälde beurteilt werden soll, so lasse man die Sehenden herein; mag es doch immer ganz fehlerhaft sein, nur soll mir der Blindgeborne nicht darüber kunstrichtern.

Dilettantismus in der Philosophie

Wenn jemand über Mathematik, über Naturlehre, über irgend eine Wissenschaft sich so vernehmen ließe, daß man daraus seine absolute Unwissenheit über die ersten Anfangsgründe der Wissenschaft ersehen könnte, so würde man ihn ohne weiteres in die Schule, der er zu früh entlief, zurückschicken. Allein in der Philosophie darf es so nicht gehalten werden? Wenn hier jemand auf dieselbe Weise sich zeigt, so soll man mit Verbeugungen gegen den scharfsinnigen Mann ihm den Privatunterricht, dessen er bedarf, vor dem ganzen Publikum geben, ohne eine Miene zum Verdruß oder zum Lächeln zu verziehen?

Eine Vorrede

Es kommen in diesen Vorlesungen mehrere Äußerungen vor, die nicht allen Lesern gefallen werden. Aber daraus ist dem Verfasser kein Vorwurf zu machen; denn er hat bei seinen Untersuchungen nicht darauf gesehen, ob etwas gefallen oder mißfallen werde, sondern ob es wahr sein möge, und was er nach seinem besten Wissen für wahr hielt, hat er gesagt, so gut er's vermocht.

Aber außer jener Art von Lesern, die ihre Gründe haben, sich das Gesagte mißfallen zu lassen, dürfte es noch andere geben, die es wenigstens für unnütz erklären, weil es sich nicht ausführen lasse, und weil demselben in der wirklichen Welt, so wie sie nun einmal ist, nichts entspreche; ja es ist zu befürchten, daß der größte Teil der übrigens rechtlichen, ordentlichen und nüchternen Leute so urteilen werde. Denn obgleich in allen Zeitaltern die Anzahl derjenigen, welche fähig waren, sich zu Ideen zu erheben, die kleinere war, so ist doch aus Gründen, die ich hier recht wohl verschweigen kann, diese Anzahl nie kleiner gewesen, als eben jetzo. Indes man in demjenigen Umkreise, den die gewöhnliche Erfahrung um uns gezogen, allgemeiner selbst denkt und richtiger urteilt als vielleicht je, sind die mehrsten völlig irre und geblendet, sobald sie auch nur eine Spanne über denselben hinausgehen sollen. Wenn es unmöglich ist, in diesen den einmal ausgelöschten Funken des höheren Genius wieder anzufachen, muß man sie ruhig in jenem Kreise bleiben und, insofern sie in demselben nützlich und unentbehrlich sind, ihnen ihren Wert in und für denselben ungeschmälert lassen. Aber wenn sie darum nun selbst verlangen, alles zu sich herabzuziehen, wozu sie sich nicht erheben können, wenn sie z. B. fordern, daß alles Gedruckte sich als ein Kochbuch oder als ein Rechenbuch oder als ein Dienstreglement solle gebrauchen lassen, und alles verschreien, was sich so nicht brauchen läßt, so haben sie selbst um ein Großes Unrecht.

Daß Ideale in der wirklichen Welt sich nicht (darstellen lassen, wissen wir anderen vielleicht so gut als sie, vielleicht besser. Wir behaupten nur, daß nach ihnen die Wirklichkeit beurteilt und von denen, die dazu Kraft in sich fühlen, modifiziert werden müsse. Gesetzt, sie könnten auch davon sich nicht überzeugen, so verlieren sie dabei, nachdem sie einmal sind, was sie sind, sehr wenig; und die Menschheit verliert nichts dabei. Es wird dadurch bloß das klar, daß nur auf sie nicht im Plane der Veredlung der Menschheit gerechnet ist. Diese wird ihren Weg ohne Zweifel fortsetzen; über jene wolle die gütige Natur walten und ihnen zu rechter Zeit Regen und Sonnenschein, zuträgliche Nahrung und ungestörten Umlauf der Säfte und dabei – kluge Gedanken verleihen!

Für wen ich schreibe

Ich schreibe nur für solche, in denen noch immer Sinn wohnt für die Gewißheit oder Zweifelhaftigkeit, für die Klarheit oder Verworrenheit ihrer Erkenntnis, denen Wissenschaft und Überzeugung etwas gilt und die von einem lebendigen Eifer getrieben werden,, sie zu suchen. Mit denjenigen, die durch langwierige Geistesknechtschaft sich selbst und mit sich selbst ihr Gefühl für eigene Überzeugung und ihren Glauben an die Überzeugung anderer verloren haben, denen es Torheit ist, daß jemand selbständig Wahrheit suchen solle, die in den Wissenschaften nichts erblicken als einen bequemeren Broterwerb und vor jeder Erweiterung derselben als vor einer neuen Arbeit erschrecken, denen kein Mittel schändlich ist, den Verderber des Gewerbes zu unterdrücken, – mit ihnen habe ich nichts zu tun.

Mein Ton

Daß mein Ton die Gegner so beleidigt, kommt eben daher, daß sie so beschränkt und unverständig sind, um nicht einsehen zu können, in welchem Grade sie es sind. Die Beschränktheit kann sich nicht selbst kontrollieren, die Finsternis nicht selbst sich durchleuchten. Lessing redete wohl noch anders als ich; und es hat trotz des Geifers der Goeze und ihres Anhanges ihm nichts geschadet. – So tief vielleicht die Nachwelt mich unter diesen großen Mann setzen wird, so darf ich doch in Rücksicht des Hasses gegen Seichtigkeit, Halbheit, Wahrheitsscheu kühn an seine Seite treten. – Sie haben mich der Intoleranz beschuldigt wie ihn.

Heißt dies aber Intoleranz, wenn man sich des jedem zugestandenen Rechtes bedient, sich für seine Ansicht Platz zu machen, wenn diese zufällig auch nicht den Beifall der Mehrheit hat? Dies ist mein Fall von Anfang an gewesen, und Gott weiß es, daß ich, auch den Angriff erwidernd, meinen Gegnern gewöhnlich neun Zehnteile ihrer Taten erlassen habe.

Private und öffentliche Debatte

Ich habe leider seit Ihren An Reinhold. brieflichen und öffentlichen Äußerungen über diesen meinen Ton mich einschläfern lassen und bloß dem Freunde Reinhold zu Gefallen gar oft ohne und gegen meine innere Überzeugung mich geberdet wie ein armer Teufel, der erst von dem Windzüge erwarten will, was wahr oder falsch, gut oder böse ist und, – wenn er lieben oder zürnen könnte, – was der Liebe oder des Zornes würdig sei. Gerade durch diese Ihre wiederholte Ermahnung haben Sie es nun dahin gebracht, daß ich mich mit mir selbst auf das Reine gesetzt habe. – –

Wo meines Bedünkens allein das Individuum eintritt, d. h. in persönlichem Gespräch kennen Sie mich nicht, lieber Reinhold. Einige, die mich da kennen, z. B. Forberg, der ohne Zweifel nicht in der Gewohnheit ist zu schmeicheln, hat mir öffentlich das Zeugnis gegeben, und jeder, der mit mir konversiert hat, wird es mir geben, daß ich mit der geduldigsten Geduld auf die albernsten Propositionen mich einlasse, sie durchgehe, zergliedere, nie versichere, abspreche oder dergleichen, und daß da nirgends ein Gefühl der »persönlichen Überlegenheit« sich je gezeigt hat. So habe ich mich auch gefunden und so bin ich von Natur, ohne alle Kunst, Vorsatz, Freiheit oder dergleichen ... Menschenangesicht gegenwärtig und Menschensprache flößt mir die gehörige Achtung ein. Aber was die Schriftstellerei anbelangt, so liegt es nun eben in meiner darin, wie ich denke, nicht verdrehten Individualität, daß ich da nichts von Individualität spüre, weder von der meinigen noch von der anderer. Meine Entdeckung scheint mir allerdings wahr und wichtig, aber es fällt mir gar nicht ein, mir, diesem Fichte, einen Wert zuzuschreiben oder in höherer Rücksicht zu sagen, daß er, dieser Fichte, sie gar gemacht habe. Die Zeit, Natur, Gott hat sie gemacht. Ich habe gearbeitet, aber nicht mehr als andere, und es gibt andere, die noch mehr gearbeitet haben. Die eigentliche Entdeckung ist – ein glücklicher Einfall, ein Blick des Talents. Aber auf Besitz von Talent mir, d. h. diesem Fichte, etwas einzubilden, ist eine Narrheit, deren ich sogar in meinen Knabenjahren nicht fähig gewesen bin. Sie, der Sie meine Schriften lesen, werden bemerkt haben, welche Plagiate immerfort von denen, die auf mich schimpfen, an mir ausgeübt worden; was über meine nur mündlich geäußerten Gedanken (was etwas Mehreres noch beträgt als meine gedruckten) geschieht, wissen Sie nicht, aber Sie können es sich nach der Analogie denken. – – Ich bin mir innigst bewußt, daß ich von jener rein närrischen Meinung von einem Gedankeneigentum, einem Erfinderruhme und dergleichen meiner ganzen Individualität nach kein Spürchen im Kopfe habe, welches bei mir noch durch die Eigenheit, daß ich alles nun Abgemachte auf der Stelle rein vergesse, ein weggelegtes Buch von mir selbst nach vierzehn Tagen lese wie eins des Mannes im Monde und an durchaus neuen Ideen, die die alten verdrängen, nie Mangel habe, noch sehr befördert wird. Ob also und daß das von mir zu Verteidigende mein sei, fällt mir nie im Traume ein.

Bedenken Sie, lieber Reinhold, daß gerade diese philosophische Eigenheit, (denn es ist bei mir in der Tat nichts anderes, ohnerachtet ich dafür halte, daß es die mit Freiheit hervorgebrachte Denkart jedes rechtlichen und konsequenten Menschen sein sollte), es bei mir durchaus unschuldig macht zu sagen: »Das, was da ein gewisser Fichte, (der nun gar nicht mehr derselbe ist, der nun tot ist und begraben), gesagt hat, ist höchst wichtig, durchaus wahr usw.«; was bei andern, die da Begriffe von literarischem Eigentum und ebendeswegen auch von literarischer Bescheidenheit (!!!) haben, sehr anstößig sein muß. Was kann ich machen? Nichts als sagen, wie ich so oft es sage, und was man auch nicht leiden will.

Sie sagen ferner, der Philosoph, (dem das begegne, was mir nie begegnen kann), solle denken, daß er als Individuum irren könne, daß er als solches von andern lernen könne und müsse usw. Wissen Sie, lieber Reinhold, welche Stimmung Sie da beschreiben? Die eines Menschen, der in seinem Leben noch nie von irgend etwas überzeugt gewesen. Sagen Sie mir, soll der Geometer glauben, daß er darüber, daß von einem Punkte zum andern nur eine gerade Linie möglich sei, noch Belehrung bedürfe; daß er von Menschen, die darüber disputieren und daran zweifeln, etwas lernen könne; daß eine solche Überzeugung denn doch nur individuell sein könne? Nun ist das, worüber ich bis jetzt streite, (und wenn Sie selbst dieses noch nicht eingesehen haben, so liebe ich Sie darum nicht weniger, aber ich bedauere Sie), und worüber Ihre Bouterweks und Bardilis disputieren, durchaus von dieser Art. Dieser Dinge, d. h. der Prinzipien meines Systems bin ich so sicher, daß ich nie, wenn ich nicht wahnsinnig werde, daran wieder zweifeln kann. Und da sollte ich noch lernen wollen? – In den fernerliegenden Sätzen meines Systems, in den Ableitungen, kann ich mich geirrt haben und werde es ohne Zweifel häufig.

Freundschaftlicher Rat

Da sich nun dieses alles so verhält, wie Ihr selbst, zwar nie laut und öffentlich, aber doch ganz gewiß in irgend einer ruhigen Stunde in einem geheimen Winkel Eurer Seele mir zugeben werdet, so bleibt Euch kein anderer Ausweg übrig, als von Stund an über alles, was Wissenschaftslehre und überhaupt Philosophie betrifft, gänzlich stille zu schweigen.

Ihr könnt diesen Ausweg ergreifen; denn Ihr werdet mich nimmermehr überreden, daß Eure Sprachorgane selbst ohne Euer Zutun diese Worte bilden, die Ihr vorbringt, und Eure Federn von selbst sich in Bewegung setzen und die Dinge auf dem Papiere absetzen, welche hinterher mit Eurem Namen oder ohne ihn gedruckt werden. Ich werde immer glauben, daß Ihr beides erst durch Euren Willen bewegt, ehe es treibt, was es treibt.

Da Ihr es nun könnt, warum solltet Ihr es nicht wollen? Ich habe mir alles überlegt und überdacht und schlechthin keinen vernünftigen Grund gefunden, warum Ihr diesem Rate nicht folgen oder mir denselben wohl gar übel nehmen solltet.

Euren Eifer für die Wahrheit und gegen den Irrtum könnt Ihr nicht anführen; denn da Ihr, wie Euch Euer eigenes Gewissen sagt, so oft Ihr dasselbe recht befragt, gar nicht wißt, was die Wissenschaftslehre eigentlich will, und überhaupt die ganze Region, in der sie lebt, für Euch gar nicht vorhanden ist, so könnt Ihr auch nicht wissen, ob es Wahrheit ist oder Irrtum, was sie aus jener unbekannten Region berichtet. Überlaßt sonach dieses Geschäft ganz ruhig den andern, die es angeht, auf ihre eigene Verantwortung, ohne ihnen etwas darein zu reden. – Bisher habt Ihr der unbefangenen Untersuchung nur im Wege gestanden, das Einfache verwickelt, das Klare verdunkelt, das Aufrechtstehende auf den Kopf gestellt. Warum wollt Ihr denn nun schlechterdings im Wege stehen?

Oder glaubt Ihr, daß es Eurer Ehre schaden werde, wenn Ihr, die Ihr bisher das große Wort geführt, nun verstummet? Es wird Euch doch nicht um die Meinung der Unverständigen zu tun sein? Denn in aller Verständigen Meinung werdet Ihr dadurch gewinnen.

So verlautet, daß der Herr Professor Jacob zu Halle die höhere Spekulation gänzlich verlassen habe und sich auf die Staatswirtschaft lege, in welchem Fache sich von seiner rühmlichen Genauigkeit und seinem Fleiße viel treffliches erwarten läßt. Er hat sich auf diesen Fall als einen Weisen gezeigt, indem er es aufgab, ein Philosoph zu sein; ich bezeuge ihm hierüber öffentlich meine Hochachtung und hoffe, daß jeder Verständige, der da weiß, was die Spekulation ist, diese Hochachtung teilen werde. Möchten doch ebenso die Abichte, die Buhlen, die Bouterweke, die Heusinger, die Heydenreiche, die Snelle, die Ehrhard-Schmide ein Fach aufgeben, mit welchem sie sich nun sattsam gequält und gefunden haben, daß sie dazu nicht gemacht sind. Legen sie sich auf ein anderes nützliches Geschäft, auf das Brillenschleifen, die Forstverwaltung und das Landrecht, die Versmacherei und Romanenschriftstellerei, nehmen sie Dienste bei der geheimen Polizei, studieren sie die Heilkunde, treiben sie Viehzucht, schreiben sie erbauliche Todesbetrachtungen auf alle Tage im Jahre; und kein Mensch wird ihnen seine Achtung versagen.

Ansprüche auf Originalität, Urteilsfreiheit, Publizität

Das eigene Begreifen als solches, sagte ich, hat für das Zeitalter Wert, – und den höchsten, allen anderen Wert erst bestimmenden Wert; auf ihm beruht die Würde und das Verdienst der Person. Darum ist es vor diesem Zeitalter schon Ehre, nur selbst gedacht zu haben, gesetzt auch, man hätte sich bloß etwas ausgedacht; nur etwas Originelles vorgebracht zu haben, gesetzt auch, diese Originalität sei eine offenbare Verkehrtheit. Ein Endurteil fällen und durch dieses Endurteil zur Wahrheit kommen, bei der es nun bleibe auf immer und ewig, will dieses Zeitalter nicht, denn dazu ist es zu verzagt; nur einen Reichtum von Materialien der Meinung will es, unter denen es die Auswahl habe, falls es etwa dermaleinst zum Urteilen kommen sollte; und da ist ihm denn Jeder willkommen, der diesen Vorrat vermehrt. Dadurch geschieht es, daß der Einzelne nicht nur ohne Scham, sondern sogar mit einer gewissen Selbstgefälligkeit auftritt und verkündiget: »sehet da meine Meinung, und wie ich für meine Person mir die Sache denke, der ich übrigens sehr wohl zugebe, daß jeder andere sie sich wiederum anders denken könne«, und daß dieser Einzelne dabei noch sehr bescheiden zu sein glaubt; indes vor der wahrhaft wissenschaftlichen Denkart es die größte Arroganz ist zu glauben, daß unsere persönliche Meinung irgend etwas bedeute, und daß jemand interessiert sein könne zu wissen, wie wir, diese wichtigen Personen, etwas ansehen; und ohnerachtet vor dem Richterstuhle dieser Denkart keiner das Recht hat, eher seinen Mund zu öffnen, ehe er nicht sicher ist, daß sein Ausspruch nicht der seinige, sondern der der reinen Vernunft sei, und daß schlechthin jeder, der ihn nur verstehe, und der den Rang des vernünftigen Wesens behaupten wolle, diesen Ausspruch wahr und richtig finden müsse.

Das eigene Begreifen, als solches, ist dem Zeitalter das höchste; dieses Begreifen hat daher Recht über alles und wird das erste, ursprüngliche, durch kein anderes Recht zu beschränkende Recht. Daher entspringen nun die alles sich unterwerfenden Begriffe von Denkfreiheit und von Freiheit des Urteils der Gelehrten und von der Publizität. Man zeiget dem einen, daß abgeschmackt, lächerlich, unsittlich und verderblich ist, was er vorgebracht hat: – »das tut nichts«, antwortet er, »ich habe es ja doch gedacht, und ganz allein auf meine eigene Hand mir es ausgedacht; und gedacht zu haben, ist immer ein Verdienst, weil es doch immer einige Mühe kostet; und der Mensch muß die Freiheit haben, zu denken, was er will:« – und dagegen läßt nun freilich sich nichts weiteres sagen. Man zeigt einem anderen, daß er die allerersten Begriffe einer Kunst oder einer Wissenschaft, über deren Produkte er ein langes und breites geurteilt, nicht kenne, und daß dieses ganze Gebiet für ihn völlig unsichtbar sei: – »so«, antwortet er, »will man etwa dadurch stillschweigend zu verstehen geben, daß ich unter diesen Umständen gar nicht hätte urteilen sollen? Man muß doch gar keinen Begriff von der Freiheit des Urteils der Gelehrten haben. Sollte man allemal erst lernen und verstehen, worüber man urteilt, so würde ja dadurch die unbedingte Freiheit des Urteils gar sehr bedingt und beschränkt; und es würden sich sodann äußerst wenige finden, die da urteilen dürften, – da doch die Freiheit des Urteils darin besteht, daß jedermann schlechtweg über alles urteilen möge, ob er nun es verstehe oder nicht«. – Es ist einem Manne, vielleicht in einer Gesellschaft von wenig Freunden, eine Äußerung entschlüpft, von der sie vermuten, daß er die Bekanntmachung derselben ungern sehen werde. Nach einigen Wochen schwitzen die Drucker-Pressen, um vor Welt und Nachwelt die merkwürdige Tatsache zu verkünden. Die Journale nehmen Partei – für und wider, ausführlich auseinandersetzend und erforschend, ob er es gesagt oder nicht, vor welchen Personen eigentlich er es gesagt, wie die Worte in der Tat gelautet, unter welchen Bedingungen er etwa noch halb angebrannt zu entlassen oder unwiderruflich zu verdammen sei. Der Schuldige muß sich eben stellen, und er hat von Glück zu sagen, wenn nach einigen Jahren seine Sache über einer anderen vergessen wird. Man hüte sich, hierbei zu lächeln; denn man würde dadurch nur zeigen, daß man gar keinen Sinn für den hohen Wert der Publizität hätte. Falls aber gar jemand, der vor den Richterstuhl dieser Publizität eingerufen ist, es verschmähte, sich zu stellen, so werden sie ganz irre in ihren Begriffen, und sie werden sich über den widernatürlichen Mann, der es über sich vermag, ihr Richteramt nicht zu respektieren, wundern bis an das Ende ihrer Tage. Sie haben es ja gedacht, was sie sagen, wenigstens die Miene angenommen, als ob sie es dächten. Wie könnte doch ein vernünftiger Mensch diesem ihrem Denken die ehrfurchtsvolle Unterwerfung versagen?

Die allgemeine Meinerei

Diese Denkart, sagte ich früher, wird streben, sich selbst allgemein zu machen; es wird ihr in gewissem Maße gelingen, und das ganze Zeitalter wird sich in ein Heerlager von formaler Wissenschaft verwandeln. – Wer gebietet in diesem Heerlager und führet die Haufen an? Offenbar, wird man sagen, die Helden des Zeitalters, die Vorfechter, in denen der Zeitgeist am herrlichsten sich offenbart hat. Aber wer sind diese, und woran sind sie auf den ersten Augenblick zu kennen? Vielleicht an der Wichtigkeit der Untersuchungen, die sie auf die Bahn bringen, oder an der Wahrheit, die aus ihren Behauptungen jedem entgegenleuchtet? Wie wäre das möglich, da das Zeitalter überhaupt über Wichtigkeit oder Wahrheit nicht urteilt, sondern nur einen Reichtum von Meinungen für ein künftiges Urteil sammelt? Also, wer nur gehörig meinte und durch dieses sein Meinen zu jener großen Niederlage des allgemeinen Meinens seinen Beitrag lieferte, der wäre dadurch zum Anführer der Haufen geeignet. Aber, wie schon erinnert, dadurch ist in diesem Zeitalter kein Vorrang zu gewinnen; denn ein jeder, der nur in dieser Luft lebt, hat auch einmal etwas sich ausgedacht und auf seine eigene Hand es gemeint. Leider aber wird diese Fertigkeit des Meinens von dem Mißgeschicke getroffen, daß sehr oft am Morgen von aller Welt, von dem tätig Meinenden selber, vergessen ist, was den Abend vorher gemeint wurde, und so diese neue Bereicherung des Reichs der Meinungen verfliegt in die leere Luft. Wenn daher nur ein Mittel erfunden wäre, durch welches der Akt des Meinens sowohl, als, soweit dies möglich ist, die Meinung selber sich fest halten und gegen den nächsten Morgenhauch schützen ließe, also, daß jedem, der nur gesunde Augen hätte, dokumentiert werden könnte, daß gemeint worden sei, und der Meinende selber ein stehendes, seiner Vergeßlichkeit nachhelfendes Andenken behielte, wie er gemeint habe, wenn z. B. die Schreibe- und die Buchdruckerkunst erfunden wäre: so wäre das Zeitalter aus der Verlegenheit gerissen. Wer nun also gemeint hätte, in stehendem Schwarz auf stehendem Weiß, der würde unter die Helden des Zeitalters gehören, deren erhabener Körper eine Republik der Wissenschaftskundigen oder, wie sie lieber hören werden, da ihr ganzes Wesen doch nur Empirie ist, eine Gelehrtenrepublik ausmachte.

Das Zeitalter würde sich bei dieser Schätzung keineswegs irre machen lassen durch die Betrachtung, daß der Eintritt in diesen glorreichen Senat des Menschengeschlechts gewöhnlich durch den nächsten Buchdrucker eröffnet wird, der noch weniger weiß, was er druckt, als der Schriftsteller, was er schreibt; und der nichts mehr begehrt, als fremdes bedrucktes Papier gegen von ihm bedrucktes Papier einzutauschen.

Auf diese Weise kommt die Gelehrtenrepublik zusammen. Durch die Kraft der Druckerpresse sondern diese sich ab vom Haufen, der nicht drucken läßt, und der nun in dem Heerlager der formalen Wissenschaft dasteht als Leser. Es entstehen daraus neue Verhältnisse und neue Beziehungen dieser zwei Hauptstände des Heerlagers der formalen Wissenschaft aufeinander.

Die nächste Absicht beim Druckenlassen war freilich die, die Selbständigkeit seines Geistes öffentlich zu dokumentieren: – hieraus folgt im Wissenschaftlichen Haschen nach neuen oder neuscheinenden Meinungen, in den Redekünsten Ringen nach neuen Formen. Wer diesen Zweck erreicht hat, macht, ganz ohne Rücksicht, ob im ersten Falle seine Meinung wahr, oder im zweiten seine Form schön sei, sein Glück beim Leser. Nachdem aber einmal das Drucken recht in Gang gekommen, wird sogar diese Neuheit erlassen, und das Druckenlassen schon an und für sich selbst ist ein Verdienst: und nun entstehen im Wissenschaftlichen die Kompilatoren, welche das schon hundertmal Geschriebene wiederum, nur ein wenig anders versetzt, drucken lassen; und in den Redekünsten die Modeschriftsteller, die eine Form, welche Beifall gefunden hat, andern oder auch sich selber so lange nachmachen, bis kein Mensch mehr etwas in dieser Form sehen mag.

Dieser Strom der Literatur wird nun, immer sich erneuernd, fortquellen, und jede neue Quelle wird die vorhergehende verdrängen; daß sonach der Zweck, um dessen Willen zuerst gedruckt wurde, vereitelt und die Verewigung durch die Presse aufgehoben würde. Es hilft nichts, in offenem Drucke gemeint zu haben, wenn man nicht die Kunst besitzt, unaufhörlich fortzumeinen; denn alles Vergangene wird vergessen. Wer sollte es denn im Gedächtnisse behalten? Nicht die Schriftsteller als solche; denn da jeder nur neu sein will, so hört keiner auf den andern, sondern ein jeder geht seinen Weg und setzt seine Rede fort. Ebensowenig der Leser; dieser, froh mit dem Alten zu Ende zu sein, eilt nach dem Neuangekommenen, – in dessen Wahl er überdies großenteils durch das Ohngefähr geleitet wird. Es könnte bei dieser Lage der Sachen keiner, der etwas in den Druck ausgehen lassen, sicher sein, daß außer ihm und seinem Drucker noch irgend ein anderer davon wisse. Es wird daher unumgänglich nötig, noch besonders ein öffentliches und allgemeines Gedächtnis für die Literatur anzulegen und einzurichten. Ein solches sind die Gelehrtenzeitungen und Bibliotheken, welche bekannt machen, was die Schriftsteller bekannt gemacht haben, und von denen jeder Autor noch nach Verlauf eines halben Jahres sich kann wieder sagen lassen, was er gesagt habe, bei welcher Gelegenheit es denn das lesende Publikum, wenn es auch nur Gelehrtenzeitungen liest, zugleich mit erfährt. Doch würde es gegen die Ehre der Verfasser von dergleichen Blättern laufen und dieselben zu tief unter andere Schriftsteller herabsetzen, wenn sie bloß einfach berichteten; sie werden daher neben dem Berichte zugleich ihr Selbstdenken dokumentieren, indem sie über das Denken der ersten wiederum denken und ihr Urteil abgeben; die Hauptmaxime aber bei diesem Geschäft wird diese werden, daß man an allem etwas auszusetzen finde und jedes Ding besser wisse, als der erste Autor.

Bei den Schriften, wie sie gewöhnlich erscheinen, hat dies wenig zu bedeuten; es ist ein sehr kleines Unglück, daß etwas, das von vorne herein schief war, durch die neue Wendung des Rezensenten auf eine andere Seite hin schief gebogen werde. Schriften, die es wirklich verdienten, an das Licht zu kommen, – sei es in der Wissenschaft oder in den Redekünsten, – sind allemal der Ausdruck eines ganzen, auf eine völlig neue und originelle Weise der Idee gewidmeten Lebens: und ehe dergleichen Schriften nicht das Zeitalter ergriffen und durchdrungen und nach sich umgebildet haben, ist ein Urteil über sie nicht möglich; es versteht sich daher von selber, daß keinesweges nach Verlauf eines halben oder auch ganzen Jahres von dem ersten besten eine gründliche Rezension über sie geliefert werden könne. Daß die gewöhnlichen Bücherrichter diesen Unterschied nicht machen, sondern alles, was ihnen unter die Augen kommt, ohne Anstand aus freier Hand rezensieren, versteht sich gleichfalls; sowie auch dies, daß über wirklich originelle Schriften derselben Urteil am allerverkehrtesten ausfällt. Aber sogar dieser Verstoß ist kein Unglück, außer für sie selber: nichts wahrhaft Gutes geht in dem Strome der Zeiten verloren, liege es noch so lange verschrieen, verkannt, ungeachtet; es kommt endlich doch der Zeitpunkt, wo es sich Bahn bricht; das Individuum aber, welches durch verkehrte Ansichten seines Werks sich in seiner Person beleidigt glaubte und sich kränkte, statt mitleidig zu lächeln, würde dadurch nur beweisen, daß die Gegner gewissermaßen recht hätten; daß ihm sein Individuum noch nicht ganz in der Idee und in der Erkenntnis und Liebe der Wahrheit aufgegangen sei; daß darum diese Individualität wohl auch noch an seinem Werke erscheinen möge, und dies um so mißfälliger, je reiner neben ihr sich die Idee abdrücke: und ein solcher erhielte dadurch die dringendste Aufforderung, in sich zu gehen und sich vollkommen zu reinigen. – »Sehen sie die Sache unrichtig an«, – denkt der in sich selber aufs Reine Gekommene und Konsequente, – »so ist dies ihr Schade, nicht der meinige, und daß sie unrichtig sehen, ist nicht die Schuld ihres bösen Willens, sondern ihrer schwachen Augen; und sie würden selber froh sein, wenn sie zur Wahrheit kommen könnten«.

Noch ist zum Beschlusse der Vorteil aus Errichtung des Rezensierwesens zu erwähnen, daß derjenige, der nicht besondere Lust oder außerordentlich viel übrige Zeit hat, gar kein Buch weiter zu lesen braucht; sondern, daß er durch die bloße Lektüre der Gelehrtenzeitungen die gesamte Literatur des Zeitalters in seine Gewalt bekommt; und daß in diesem Systeme die Bücher lediglich gedruckt werden, damit sie rezensiert werden können, und es überhaupt keiner Bücher bedürfen würde, wenn sich nur Rezensionen ohne Bücher machen ließen.

Dies ist das Gemälde des tätigen Teils in diesem Heerlager formaler Wissenschaft, der Schriftsteller. Nach diesen bildet sich nun wiederum der empfangende Teil, das Korps der Leser, um ihr genaues Gegenbild zu werden. Wie jene ohne Rast und Anhalt fortschreiben, so lesen diese fort ohne Anhalt; mit aller Kraft strebend, sich auf irgend eine Weise empor zu halten über der Flut der Literatur und fortzugehen, wie sie dies nennen, mit dem Zeitalter. Froh, das Alte notdürftig durchlaufen zu haben, greifen sie nach dem Neuen, indem das Neueste schon ankommt, und es bleibt ihnen kein Augenblick übrig, jemals wieder an das Alte zu gedenken. Nirgends können sie in diesem rastlosen Fluge anhalten, um mit sich selber zu überlegen, was sie denn eigentlich lesen, denn ihr Geschäft ist dringend, und die Zeit ist kurz: und so bleibt es gänzlich dem Ohngefähr überlassen, was und wieviel bei diesem Durchgange an ihnen hängen bleibe, wie es auf sie wirke, welche geistige Gestalt es an ihnen gewinne.

Nun ist diese Art des Lesens schon an und für sich selber eine von allen anderen Gemütsstimmungen spezifisch verschiedene Stimmung, die etwas höchst angenehmes hat und gar leicht zum unentbehrlichen Bedürfnisse werden kann. So wie andere narkotische Mittel, versetzt es in den behaglichen Halbzustand zwischen Schlafen und Wachen und wiegt ein in süße Selbstvergessenheit, ohne daß man dabei irgend eines Tuns bedürfe. Mir hat es immer geschienen, daß es am meisten Ähnlichkeit mit dem Tabakrauchen habe und durch dieses sich am besten erläutern lasse. Wer nun einmal die Süßigkeit dieses Zustandes geschmeckt hat, der will sie immerfort genießen und mag im Leben nichts anderes mehr tun; er liest nun sogar ohne alle Beziehung auf Kenntnis der Literatur und Fortgehen mit dem Zeitalter lediglich, damit er lese und lesend lebe, und stellt in seiner Person dar den reinen Leser.

Und an diesem Punkte hat denn die Schriftstellerei und die Leserei ihr Ende erreicht; sie ist in sich selbst zergangen und aufgegangen und hat durch ihren höchsten Effekt ihren Effekt vernichtet. An den beschriebnen reinen Leser ist auf dem Wege des Lesens durchaus kein Unterricht mehr, noch irgend ein deutlicher Begriff zu bringen, denn alles Gedruckte wiegt ihn alsbald ein in stille Ruhe und in süße Vergessenheit seiner selber. Auch sind ihm dadurch alle anderen Wege des Unterrichts abgeschnitten. – So hat die mündliche Mitteilung durch fortgehende Rede oder wissenschaftliche Unterredung unendliche Vorteile vor der durch den toten Buchstaben; das Schreiben ist bei den Alten erfunden worden lediglich, um die mündliche Mitteilung denen zu ersetzen, die zu ihr keinen Zugang haben konnten; alles Geschriebene war zuerst mündlich vorgetragen und war Abbildung des mündlichen Vortrags; nur bei den Neueren, besonders seit Erfindung der Buchdruckerkunst, hat das Gedruckte begehrt, für sich etwas Selbständiges zu sein, wodurch unter anderm auch der Stil, dem das lebendige Korrektiv der Rede entging, in solchen Verfall geraten. Aber selbst für diese mündliche Mitteilung ist ein Leser, wie der beschriebene, fürs erste verdorben. – –

Bei diesem Punkte angekommen, sagte ich, hat das wissenschaftliche Streben des Zeitalters sich selbst vernichtet, und das Geschlecht steht von einer Seite in absoluter Ohnmacht, von der andern mit der völligen Unfähigkeit, weiter gebildet zu werden, da: das Zeitalter kann nicht mehr lesen, und darum ist alles Schreiben vergeblich. Dann wird es hohe Zeit, etwas Neues zu beginnen. Dieses Neue ist nun meines Erachtens dies, daß man von der einen Seite wiederum das Mittel der mündlichen Mitteilung ergreife und diese zur Fertigkeit und Kunst ausbilde; von der anderen sich Empfänglichkeit für diese Art der Mitteilung zu erwerben suche.

Aufforderung an den Leser

Tiefer unter uns eingewurzelt, fast zur anderen Natur geworden und das Gegenteil beinahe unerhört war unter den Deutschen die Sitte, daß man alles, was auf die Bahn gebracht wurde, betrachtete als eine Aufforderung an jeden, der einen Mund hätte, nur geschwind und auf der Stelle sein Wort auch dazu zu geben und uns zu berichten, ob er auch derselben Meinung sei oder nicht; nach welcher Abstimmung denn die ganze Sache vorbei sei und das öffentliche Gespräch zu einem neuen Gegenstande eilen müsse. Auf diese Weise hatte sich aller literarische Verkehr unter den Deutschen verwandelt, so wie die Echo der alten Fabel, in einen bloßen reinen Laut ohne allen Leib und körperlichen Gehalt. Wie in den bekannten schlechten Gesellschaften des persönlichen Verkehrs, so kam es auch in dieser nur darauf an, daß die Menschenstimme forthalle und daß jeder ohne Stocken sie aufnehme und sie dem Nachbar zuwerfe, keinesweges aber darauf, was da ertönte. Was ist Charakterlosigkeit und Undeutschheit, wenn es das nicht ist? Auch dies ist nicht meine Absicht gewesen, dieser Sitte zu huldigen und nur das öffentliche Gespräch rege zu erhalten. Ich habe eben auch, indem ich etwas anderes wollte, meinen persönlichen Anteil zu dieser öffentlichen Unterhaltung schon vorlängst hinlänglich abgetragen, und man könnte mich endlich davon lossprechen. Ich will nicht gerade auf der Stelle wissen, wie dieser oder jener über die in Anregung gebrachten Fragen denke, d. h. wie er bisher darüber gedacht oder auch nicht gedacht habe. Er soll es bei sich selbst überlegen und durchdenken so lange, bis sein Urteil fertig ist und vollkommen klar, und soll sich die nötige Zeit dazu nehmen, und gehen ihm etwa die gehörigen Vorkenntnisse und der ganze Grad der Bildung, der zu einem Urteile in diesen Angelegenheiten erfordert wird, noch ab, so soll er sich auch dazu die Zeit nehmen, sich dieselben zu erwerben. Hat nun einer auf diese Weise sein Urteil fertig und klar, so wird nicht gerade verlangt, daß er es auch öffentlich abgebe; sollte dasselbe mit dem hier Gesagten übereinstimmen, so ist dieses eben schon gesagt, und es bedarf nicht eines zweiten Sagens; nur wer etwas Anderes und Besseres sagen kann, ist aufgefordert zu reden; dagegen aber soll es jeder in jedem Falle nach seiner Weise und Lage wirklich leben und treiben.

Drittes Buch
Die Lehre


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