Gustav Theodor Fechner
Die Tagesansicht gegenüber der Nachtansicht
Gustav Theodor Fechner

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V. Positive Entwicklungsmomente der Tagesansicht gegenüber den Negationen.

(Gott, die sinnliche Erscheinungswelt, die Seelenfrage, die Erde, das Jenseits, das Übel in der Welt.)

1. Gott.

Der Glaube an einen einigen Gott, dessen Bewußtsein das menschliche ebenso an Weite überreicht, als an Höhe übersteigt, beherrscht von oben herein die ganze Tagesansicht und wird durch die zwei andern wesentlichsten Punkte derselben von unten gestützt. Die sinnliche Erscheinung über Menschen und Tiere hinaus kann ja nicht im Leeren schweben, es bedarf eines Subjektes, eines übergreifenden Bewußtseins dafür. Entsprechend der Weite des geistigen Unterbaues wächst die geistige Höhe, und so steigt über den kleinen Bergen oder Pyramiden des menschlichen Bewußtseins die sie einschließende mit höchster Spitze, über allem einzelnen Trachten der Geschöpfe ein höchstes Trachten, auf, und fällt der Ausbau der Tagesansicht von oben herab mit dem Ausbau der Lehre von Gott zusammen. Das System der Tagesansicht wird hiermit ganz theokratisch.

Die Nachtansicht aber ist zwar sozusagen der Einheit und Erhabenheit Gottes zuliebe entstanden, und dem Glauben wird in Erinnerung daran geboten, noch daran festzuhalten. In ihren Wissenskonsequenzen aber führt sie, wie ein abgefallener Engel, nur davon ab, und indem diese Konsequenzen endlich den Glauben überwachsen haben, sind wir dahin gekommen, wo wir heute stehen; nicht mehr wissend, wie den Glauben noch zu halten, wie ihm noch zu helfen. An sich ist es der Nachtansicht natürlich, statt im göttlichen, vielmehr im menschlichen, Bewußtsein das höchste von Bewußtsein, was es gibt, zu sehen. Denn da sie keine Mittel kennt, auf ein, das menschliche an Weite überreichendes Bewußtsein zu schließen, woher sollten ihr die Mittel kommen, auf ein höheres darüber hinaus zu schließen; hängt doch eins verbindlich mit dem andern zusammen.

Und so sucht die Philosophie des Unbewußten das Band der Geister statt in einem übergreifenden allgemeinen Bewußtsein in einem untergreifenden allgemeinen Unbewußtsein, dem sie mystische Eigenschaften beilegt, welche an die des Bewußtseins erinnern, nur nicht die des Bewußtseins sein sollen. Die Philosophie des Begriffes spricht von einem Geiste der Menschheit, der Geschichte als einem Bande und konnte ohne Anhaltspunkte in der Wirklichkeit dazu nicht davon sprechen, doch sucht das verknüpfende Bewußtsein nur in den einzelnen Maschen, die Philosophie der Monaden gar nur in den Atomen des Bandes, und für die materialistische Leere liegt das Band der Seelen in der Materie zwischen den Seelen. Die Tagesansicht aber streitet mit diesen philosophischen Richtungen der Nachtansicht zu sehr im ganzen, um darüber noch im besonderen damit zu streiten.

Laß das verknüpfende Bewußtsein unsres eignen Geistes beiseite, so kannst du freilich auch noch eine Psychologie aus Anschauungen, Erinnerungen, Phantasien, Begriffen, Bestrebungen, Lust und Unlust und einem dunklen Mutterstock, der alles das hervortreibt, ohne um etwas davon zu wissen, zusammenbauen, und wirst damit eine Psychologie des Menschen gleich der heutigen Völkerpsychologie haben, welcher der Gedanke an ein, alles Einzelbewußtsein verknüpfendes, Bewußtsein fern liegt; hast aber auch in der heutigen Völkerpsychologie nichts mehr als in einer solchen Psychologie des Menschen. Es ist Uhlands totes Pferd mit allen Sehnen, Adern, Nerven des schönsten Pferdes, doch bleibts ein totes Pferd, und so sehr eine Anatomie desselben zu schätzen, hat man doch das anatomierte nicht mit dem lebendigen zu verwechseln.

Zwischen den einzelnen Menschen gibt es allgemeinere und höhere Beziehungen derselben in Kirche, Staat, Wissenschaft, Kunst usw.., vermittelt durch Sehen, Hören, Rede, Schrift usw. Nach der Tagesansicht nun hat nicht bloß der Mensch ein Wissen um diese Beziehungen, sondern ein allgemeineres und höheres der Geist über ihm, indem er das ganze Gespinst der Vermittlungen dieser Beziehungen unmittelbar und in Zusammenhang erfaßt. Indem es aber der Nachtphilosoph nur für eine Illusion in ihm selber hält, daß es überhaupt ein Sehen und Hören in der Welt über ihn hinaus gibt – Licht und Schall zwischen den Menschen sind ihm ja bloß tote Schwingungen materieller Punkte; er selber ist es nur, der sieht und hört – gelten ihm leicht auch alle dadurch vermittelten Beziehungen als Illusionen in ihm selber, die er nur aus sich in die Welt hineinsieht, die Annahme eines Gottes aber für die höchste von allen, indem der Mensch ein Bewußtsein vom Gesamtzusammenhange der Dinge, was er nur in sich hat, außer sich und über sich hinaus sucht.

Man sagt etwa: aber Kirche, Staat, Wissenschaft, Kunst usw., kurz alle Einrichtungen, wodurch sich höhere geistige Beziehungen in der Welt aussprechen, entstehen doch nur durch die Menschen, und so behält der Mensch als Schöpfer und Zentrum von allen die höchste Bedeutung über allen. – Und freilich konnten alle jene Einrichtungen nicht ohne die Menschen, doch ebensowenig allein durch die Menschen entstehen; und um eine wahre Gemeinschaft zwischen den Menschen dadurch herzustellen, bedarf es über die einzelnen hinaus noch eines Wesens, das die Beziehungen zwischen ihnen einheitlich zusammenfaßt. Wenn die Menschen nicht durch den Boden unter ihren Füßen, das Meer unter ihren Schiffen, die Luft, durch welche die Worte und das Licht, durch das die Blicke hin- und wiedergehen, zusammenhingen, nicht abgesehen von ihren gegenseitigen Beziehungen gemeinsame Einwirkungen von der Natur um sich und den Gestirnen über sich empfingen, so würden weder Kirche, noch Staat, noch Wissenschaft usw. haben entstehen, noch heute bestehen können. Der Himmel, die Sonne, der Mond, der Blitz, der Donner, welche den Menschen die erste Religion einflößten, waren eher als die Menschen dazu da, und ehe sich eine Sprache durch die Menschen bilden konnte, mußten Dinge und Beziehungen der Dinge da sein, die zur Bezeichnung derselben aufforderten. Das Wahre ist: eine schon vor Dasein aller Menschen mit göttlichem Geiste erfüllte Welt erzeugte den Menschen, ohne ihn aus ihrem Verbande zu entlassen, wirkte fortbildend in diesen ihren Sproß und Teil hinein; er wirkt auf sie zurück; es ist ein in sich zusammenhängendes wechselwirkendes Getriebe von oben herab, von unten herauf und nach allen Seiten, wodurch sich die Welt unter dem Einfluß eines allgemeinen Geistes auswirkt, der alles in Zusammenhang erfaßt und erhält.

Nun mag man immerhin unter allen Teilen der, doch noch nicht das Ganze ausmachenden, irdischen Welt, denen überhaupt ein unterscheidbares Bewußtsein beizulegen, den Menschen die höchste Bedeutung beilegen, nur nicht eine höhere als dem Ganzen, dessen Teilwesen sie zugleich nach geistiger und materieller Seite sind, wie man in den Spitzen eines Bauwerkes die höchsten Teile des Bauwerkes sehen kann, aber doch nur, sofern sie durch die Höhe des Unterbaues in die Höhe gehoben sind und tief unter der Bedeutung des ganzen Bauwerkes bleiben. Aber freilich, nachdem das kopernikanische Weltsystem uns nicht mehr glauben läßt, daß die Sonne sich um die Erde dreht, meint man immer noch, daß die Erde samt der Sonne sich um die Menschen dreht.

Auch die Knoten im Netze meinen wohl, sie sind die Hauptsache im Netze, aber das ganze Netz will mehr sagen, als alle seine Knoten. Entfalte die Knoten, so sind sie selber kleine Netze, und das ganze Netz der Welt ist nur ein ausgefalteter Knoten.

Wenn der Nachtphilosoph nach tiefsinnigster Begründung, daß sich von Gott nichts wissen läßt, doch findet, daß er ihn braucht, also nicht fallen lassen will, so erklärt er ihn für ein praktisches Postulat, von dem aber theoretisch alles wieder abzuziehen ist, was in praktischem Interesse davon auszusagen ist. Man kann ja wohl von Liebe, Güte, Weisheit Gottes usw. sprechen, um überhaupt von ihm zu sprechen und sich damit dem gemeinen Verständnis anzubequemen, nur muß man sich philosophisch immer der Unangemessenheit davon bewußt bleiben: denn Liebe, Güte, Weisheit usw. sind ja auch menschliche Eigenschaften, und Gott ist über alle menschlichen Eigenschaften oder wenigstens alles menschliche Wissen von seinen Eigenschaften erhaben.

Nach der Tagesansicht ist er es freilich auch; aber nicht, weil und sofern er darüber hinweg ist, sondern weil er die höchsten und besten menschlichen und geschöpflichen Eigenschaften überhaupt zugleich in sich und unter sich hat, und in einer für uns unerreichbaren Höhe abschließt. Die Bibel prägt dem Menschen ein: liebe Gott über alles und deinen Nächsten wie dich selbst; die Tagesansicht aber führt ihm auch die Umkehrung davon zu Gemüte: die Liebe Gottes geht über alles und er liebt alle wie sich selbst, weil er eben Teilwesen seines eignen Wesens darin liebt. Näher aber können sie ihm nicht sein, und näher kann uns Gott nicht sein und können uns unsre Nebenmenschen nicht sein, als wenn wir alle gemeinsam Teil an ihm selber haben, und er uns alle zum Ganzen ergänzt. Das zu wissen und zu fühlen, ist Gottseligkeit; an jedem Gedanken und Gefühl aber, das davon abführt, hängt etwas von Gottlosigkeit.

2. Die sinnliche Erscheinungswelt.

Widerstrebt es dir, Gott im Sinne der Tagesansicht in die Welt versenkt zu denken? Aber fasse nur die Tagesansicht selbst erst anders als mit den Eulenaugen der Nachtansicht. Vielmehr hast du danach die Welt in Gott heraufgehoben zu denken, indem du die ganze sinnliche Erscheinung der Welt in Gott aufgehoben denkst, und hinter ihr nach nichts weiter fragst; denn gibts auch wohl noch ein Dahinter? Es ist Gottes Fuß, was du für einen Schemel unter seinen Füßen hältst, ja gar noch darunter wegziehst, weil er ihn nicht brauche. Du selbst sprichst heute von einem in der Welt allgegenwärtigen, allwissenden und allwirksamen Gott und dann wieder von einem ganz überweltlichen Gott, und hörst sogar nicht auf, dir selbst zu widersprechen; und weisest endlich den Widerspruch damit ab, Gott sei in gewissem Sinne das eine und das andre. Dasselbe meint die Tagesansicht auch; nur daß sie es in einem klareren Sinne meint. Damit, daß Gott nicht neben Licht und Schall in der Welt allgegenwärtig und allwissend ist, sondern das Licht ihm dient, alles in der Welt zu sehen, was sichtbar ist, alles zu hören, was hörbar ist, ist Gott noch nicht in die Sinnlichkeit der Welt versunken, sondern hoch über alles steigt der göttliche Gedanke auf. Denke dir einen Menschen, der bloß Augen hätte, zu sehen, oder bloß Ohren zu hören; wie ärmlich, niedrig wären die Gedanken des übrigens Tauben oder Blinden. Gottes Gedanken aber fußen nicht nur auf dem Sehen und Hören aller Menschen, sondern auch dem Sehen und Hören alles dessen, was darüber hinaus ist. Beziehungen über Beziehungen dazwischen türmen sich in ihm höher und höher auf, um sich in höchster Höhe abzuschließen, und wie ein König seine Minister, und diese ihre Amtleute, und diese ihre Diener zur Ausführung seiner Befehle haben, nicht alle freilich führen sie recht aus, so greift in umgekehrter Richtung Gottes oberster Wille mittelst des Willens und der Triebe seiner höheren und niederen Geschöpfe durch das Weltgetriebe; indes er die Zügel immer oben in der Hand behält; es ist nur alles innerlich in ihm, was dort äußerlich.

Diesen Schwung der Betrachtung zu dämpfen, tritt der Physiolog – und hat der Physiolog nicht das Recht, über Sehen und Hören mitzusprechen – mit der Frage herzu: wenn es über Menschen und Tiere hinaus überhaupt noch ein Sehen und Hören und darüber gar ein Denken geben soll, wozu du dir einen sehenden, hörenden, denkenden Gott einbildest, wo sind denn über Menschen und Tiere hinaus die Augen und Ohren und das Gehirn dazu. Ginge es ohne das und dergleichen, wozu wären die Sinneswerkzeuge und Gehirne der Geschöpfe und die Geschöpfe selber da? Wozu der Aufwand von Kunst in ihrer Einrichtung? Es muß eben ohne das nicht gehen. Wenn es aber ohne das nicht geht, wird es auch ohne das nicht sein.

Nun, das Meer ist groß und einfach, unzählige vielgestaltete Becher und Eimer schöpfen mittelbar und unmittelbar daraus; aber sie machen das Wasser nicht, sondern schöpfen es eben nur daraus, um es nach mannigfacher Verwendung wieder darein zurückfließen zu lassen. Also sind auch die Sinneswerkzeuge der Geschöpfe und die Geschöpfe selbst nicht dazu da, das Sehen und Hören erst zu machen, sondern aus dem allgemeinen Quell des Sehens, Hörens sich in besonderer Weise anzueignen und in besonderer Weise zu verwenden und zu verwerten.

Aber wozu ein Vergleich. Statt den Physiologen damit abzuweisen, folgen wir ihm auf sein Feld, und hüten uns nur, dessen Schranken mit Weltschranken zu verwechseln. Tatsächliches bis zum Glaubensabschluß erweitern ist ja das Prinzip der Tagesansicht. Was also gilt dem Physiologen selbst als Tatsache beim Sehen?

Von jedem Punkte draußen fällt ein Strahlenkegel in dein Auge und schließt sich durch die Kraft deines Auges wieder in einen Punkt auf deiner Netzhaut zusammen, um mit seinen Nachbarpunkten ein Bild der Außendinge zu geben. Wäre es nicht so, so sähest du statt eines klaren Bildes nur ineinandergreifende verwaschene Scheine. Doch bleibts nicht bei den lichten Punkten auf der Netzhaut, ein jeder schickt einen Strahl von da hinein in dein Gehirn und weiter fort durch das Gehirn, um sich so fortgesetzt mit den Strahlen von andern Seiten und Sinnen her zu begegnen, und damit die Empfindung und Erinnerung seiner selbst in deine Anschauung und dein Denken eintreten zu lassen. Ist es nicht so, oder weißt du dirs anders zu denken? Immer aber bleibts die Erscheinung eines Punktes, selbst für die späteste Erinnerung, sofern nur der Ausgangspunkt der Strahlung auf der Netzhaut ein ebenso einheitlicher als der Punkt draußen, den er abbildet, war.

Warum nun soll Gott noch ein Auge wie du und deins brauchen, um einheitliche Strahlenpunkte über dich hinaus zu gewinnen, da er die strahlenden Punkte der Außenwelt selber dazu hat. Statt deiner Netzhaut, oder vielmehr hinter ihr und allen Netzhäuten der Geschöpfe überhaupt, hat er als Netzhaut die Oberfläche der Dinge selbst; das ist die allgemeinste und fundamentalste, die es gibt. Und nachdem sich die Strahlen von da aus schon vor deinem Auge und deinem Gehirn mit Strahlen von allen andern Seiten her gekreuzt haben und dadurch in die allgemeinsten Beziehungen getreten sind, bieten dem allsehenden Wesen deine Augen mit deinem Gehirn nur noch Zusatzapparate mit neuen Ausgangspunkten und danach neuen Verwicklungen zur Entwicklung besonderer Beziehungen dar.

Nun kann freilich nicht alles in Gottes Sehen mit unserm Sehen stimmen; denn stimmte es ganz damit, so wäre es eben nur ein menschliches Sehen; was aber nicht damit stimmt, hat das göttliche Sehen vor unserm Sehen voraus und über dasselbe hinaus.

Jeder Punkt unsrer Netzhaut sendet nur einen einfachen Strahl in unser Gehirn, und jeder dieser Strahlen geht dahin durch ein besonderes Nervenröhrchen, um sich nicht mit den Strahlen von den Nachbarpunkten her zu mischen, nicht damit zu verfließen. Wieviel er sich nachmals im Gehirn zerstreuen und spalten mag, wissen wir nicht. Hingegen strahlt jeder lichte Punkt der Außenwelt nach allen Seiten, weil er nicht bloß nach einem Auge und Gehirn, sondern nach tausenden und abertausenden und darüber hinaus in alle Welt zu strahlen hat, um tausend und abertausend so und so gebrochene Bilder von sich in den Geschöpfen zu geben und darüber hinaus die ungebrochene Erscheinung seiner selbst für das Weltwesen bestehen zu lassen. Dabei aber bleibt jeder dieser Strahlen, obwohl er ohne Hülle geht, so einfach, mischt sich und verfließt sowenig mit den Strahlen von den Nachbarpunkten her, als wenn er durch ein besonderes Nebenröhrchen ginge, kreuzt sich nur mit den andern und bringt nach unzähligen Kreuzungen, dadurch ungestört, ungeirrt, allen Augen das Bild eines und desselben Punktes. Das macht, er hat nicht draußen wie drinnen durch Nerveneiweiß zu dringen, wo jeder Punkt ihn zu hemmen und zu zerstreuen droht, sondern fährt schneller als der Blitz durch Luft und Äther seines Weges. Schlimm nur wäre es für die Geschöpfe, wenn er auch so durch sie hindurchführe, ohne Zeit und Gelegenheit zu haben, die Beziehungen, um die es in ihnen zu tun ist, zu entwickeln und Nachwirkungen für künftige Beziehungen zu hinterlassen, wie es in den verschlungenen Eiweißwegen des Gehirns geschieht. Auch das ist anders, daß sich der Strahl draußen nicht wie in unserm Auge erst in Elektrizität, chemischen Prozeß oder Gott weiß was – der Physiolog weiß es selber nicht, sondern denkt sich nur dies und das – umzusetzen hat, um durch das Nerveneiweiß seinen Weg zu finden; aber vermag er deshalb weniger in Luft und Äther zu leuchten, daß er hier solchen Umsatzes nicht bedarf, um durchzubringen, und sind elektrisches und chemisches Licht deshalb weniger Licht, daß sie ihre besonderen Feuerzeuge haben.

Hiernach sind aber auch die Leistungen des göttlichen Sehens andre als des geschöpflichen Sehens. Gott sieht alle Dinge zugleich, wie sie im Raume von drei Dimensionen an sich selbst erscheinen, sieht sie von allen Seiten zugleich, in ihrer richtigen Größe, ihrer richtigen Lage, ihrer richtigen Helligkeit und Farbe, und keine Feinheit der Sichtbarkeit entgeht ihm. Sein Sehen ist eben das unmittelbare Sehen der Dinge; wie er die Dinge sieht, sehen sie wirklich aus, und dieses Aussehen derselben für Gott gehört zu den Bestimmungen ihres Seins. Wir hingegen sehen mit der kunstvoll eingerichteten camera obscura unsres Auges von allen Dingen nur die, die gerade vor uns sind, ohne von andern verdeckt zu sein, sehen sie nur in Flächenprojektionen, von der oder jener Seite, in diesen oder jenen Verkürzungen und Verschiebungen gegeneinander, jeder nach seiner andern Stellung und Einrichtung anders; das macht aber die Welt bunt, und daraus entwickelt sich eben ein Reichtum von Beziehungen, der sich ohne das nicht entwickeln könnte.

Nun hat der Mensch, obwohl er mit seinem Auge dem göttlichen Sehen nicht nachkom-men kann, durch das Vermögen, durch Wechsel seiner Stellung, durch Vernehmen mit andern Menschen, durch bewußte und unbewußte Schlüsse sich die Verhältnisse der Außenwelt bis zu gewissen Grenzen im Sinne der göttlichen Anschauung zurecht zu legen und alle subjektiven Anschauungen als von da ausgehend zu deuten. Als Schüler der Nachtansicht aber meint er dennoch, es sei alles nur sein subjektiver Schein; für Dinge an sich gäbe es kein Sehen hinter seinem Auge; und damit wird für ihn die ganze Welt außer seinem Auge finster.

Hiernach ließe sich noch von den andern Sinnen im selben Sinne als vom Sehen sprechen; aber ich will keine Weltphysiologie hier geben; es galt nur, dem Physiologen zu widersprechen, der den kurzen Maßstab der menschlichen Physiologie an die Lehre vom allgemeinen Leben legt, als müsse er zu ihrer Deckung reichen. Nicht minder schwer freilich ist der Irrtum, daß er zu gar nichts darin reiche.

3. Die Seelenfrage, Sterne und Pflanzen.

Wohl gibt es manche, die aus einem lebendigeren Bedürfnis, als die Nachtansicht zu befriedigen vermag, die Idee eines, die Welt im ganzen einigenden, beseelenden, durchwirkenden geistigen Wesens, Gottes, nicht nur fassen, sondern selbst mit Lebhaftigkeit und Nachdruck vertreten. Was fehlt ihnen noch zur vollen Tagesansicht? Nichts bisher, als was dem fehlt, der, aus der dunkeln Kammer durch eine Öffnung in das Tageslicht blickend, das Licht sieht, aber geblendet nicht sieht, was in dem Lichte ist, wie es der sieht, der in dem Lichte wohnt. Ergriffen von der Erhabenheit ihrer allgemeinen Idee, doch auch begnügt damit, ist ihnen jede Folgerung daraus, die zu hart gegen eine Ansicht verstößt, mit deren Muttermilch sie gesaugt, in deren Dunkel sie erzogen sind, zuviel. Durch Sterne und Pflanzen weht die Idee nur wie ein Wind; die Idee bleibt immer Sache Gottes, die Materie formt und bewegt sich unter ihrem Einfluß; aber bloß Menschen und Tiere haben davon noch etwas mehr als schöne Worte. Arme Sterne, einst Götter und Engel, zu denen das Auge noch heute andächtig aufsieht, in der Hauptsache bleibt ihr tote Klumpen, deren einen der Mensch mit Füßen tritt; arme Blumen, an denen sich das Auge erfreut, die uns selbst anzulachen scheinen; man läßt euch wenigstens leben; aber es hieße, die Nachtansicht um ihr sicherstes Reagens auf Empfindung verkürzen und die Nacht selbst zu sehr verkürzen, wenn euer nervenloses Leben auch Empfindung bedeuten sollte; arme Bücher, die von einer Seele der Sterne und Pflanzen gesprochen; von den Materialisten am einen, von den Idealisten am andern Ende gezaust, von den Naturforschern kopfschüttelnd auf Nimmerwiedersehen beseitigt, im Handel zum Spottpreis losgeschlagen, makuliert, habt ihr nun endlich ausgelitten. Denn, was im Sinne der Tagesansicht selbstverständlich ist, erscheint im Sinne der Nachtansicht absurd, weil so vieles Absurde in ihr selbstverständlich scheint.

Selbstverständlich aber ist für die Tagesansicht, daß, sofern nach ihr die Beseelung über Menschen und Tiere hinaus in Zusammenhang durch die Welt reicht, nicht mehr zu fragen ist, wo Beseelung anfängt und aufhört, sondern nur, wo und wiefern sie sich in entsprechender Weise aus der allgemeinen Beseelung heraushebt, individualisiert, als in Menschen und Tieren; und dafür sind die Zeichen des Baues und Lebens der Geschöpfe da, und ist der Schluß von einer Stufenleiter, die in uns selbst besteht, über uns hinaus da, und sind Ursprungs-, Ergänzungs- und Zusammenhangsbetrachtungen mancherlei Art da; für die Nachtansicht alles umsonst, weil es ihrem Axiome, daß, wo die Zeichen menschlicher und tierischer Beseelung fehlen, Beseelung überhaupt fehlt, von vornherein widerspricht. An dieser starren Wand zerschellen alle Gründe, und damit verfällt das Leben rings dem Abgrund.

Hingegen steigt im Sinne der Tagesansicht über der Welt der einzelnen menschlichen Bewußtseinskreise eine höhere Welt in den Bewußtseinskreisen der Gestirne auf und hat der hochentwickelte Menschengeist, selbst nur ein kleiner Kreis in einem dieser großen Kreise, neben sich die kindliche Seelenstufe der Pflanzen. Im göttlichen Kreise ist endlich alles Bewußtsein ein- und abgeschlossen, und indes kein nachbarlicher Kreis um den Inhalt des andern weiß, hat der göttliche Kreis alle zum Inhalt mit Vermittlungen zwischen allen und Vermittlungen über allen.

Der Mensch freut und rühmt sich der Einheit seines Bewußtseins und meint, darin etwas ganz besonderes der Zerstreuung der Naturdinge gegenüber zu haben. Das meint er im Sinne der Nachtansicht. Aber eine Zerstreuung der Dinge besteht nicht; die Einheit des Bewußtseins ist allgegenwärtig, und der Mensch selbst hat die seinige nur teilhaft von der göttlichen, nicht als eine von derselben, sondern nur in derselben unterscheidbare und von andern, derselben untergeordneten, Einheiten scheidbare. Denn die Einheit des Bewußtseins ist tatsächlich – sieh doch nur in dich hinein – nicht vergleichbar der Spitze, welche den Inhalt der Pyramide außer sich hat, sondern dem Zusammenhange der Pyramide, welche ihn in sich hat, wie auch die Eins ihre Bruchteile nicht außer sich, sondern in sich hat. Eine Pyramide aber kann sich gliedern und untergliedern, ohne sich zu spalten, die Bruchteile der Eins in neue Bruchteile brechen, ohne daß die Eins zerbricht. So gliedert sich und stuft sich ab die Welt.

Was Scheidung des Bewußtseins zwischen Nachbarstufen, ist nur Unterscheidung im Bewußtsein einer höheren Stufe. So finden wir es als Gesetz unsres eignen geistigen Baues und können kein andres über uns hinaus Suchen. Die Sinneskreise unsrer Augen und Ohren sind geschieden, sofern keiner feine Empfindungen mit dem andern teilt, das Bewußtsein des ganzen Menschen aber greift, beide unterscheidend, beide in sich; und im Auge des Menschen sind noch die einzelnen anschauenden Punkte geschieden, doch der ganze Anschauungskreis des Menschen greift, beide unterscheidend, beide in sich.

Wie nun diese Abstufung in den Menschen hineinreicht, reicht sie über ihn hinaus, und so haben die Menschen und haben die Geschöpfe jedes Gestirns ihr Gestirn selbst als höhere Stufe über sich, das Gestirn aber seine Geschöpfe zugleich unter sich und in sich, indem sie mit ihrem Bewußtsein als Momente in sein allgemeineres Bewußtsein eingehen, dasselbe nicht erschöpfend, aber mit bezeugend. Jedes Gestirn hat Teil an der allgemeinen göttlichen Bewußtseinseinheit, einen von dem der andern Gestirne geschiedenen, in Gott nur unterschiedenen Teil. Denn statt daß an ein unterschiedloses Verfließen oder Zusammenfließen des Bewußtseinsinhaltes der Gestirne im göttlichen Bewußtsein zu denken, bieten die Gestirne alle äußeren Zeichen, auf denen sich überhaupt fußen läßt, einer strengeren individuellen Sonderung als die Menschen selber voneinander auf der Erde dar; das Sichtliche aber läßt uns auf das Unsichtliche schließen. Indes alle Gestirne in einträchtigem Wandel dem Zuge einer allgemeinen Kraft folgen, welche, erhaben über alle geschöpfliche Willkür, Ordnung im ganzen Haushalt des Himmels erhält, dabei doch leisen Wechseln, die Astronomen. nennen es Störungen, Raum gibt, hält sich jedes mit andrer Schwere selbst zusammen, sieht man jedes in seiner Art einen unerschöpflichen Reichtum inneren, von dem des andern unterschiedenen, Lebens entfalten, jedes mit eignem Jahres- und Tageswechsel eine andre Bahn der Entwicklung durchlaufen. So verschieden ist kein Mensch, vom andern, noch von dem umgebenden Element, als die Gestirne voneinander und von dem sie umgebenden Element; in jedem Gestirn für sich scheint alles verklebt miteinander, nicht so die Gestirne miteinander; sie sprechen nur noch durch Licht und Schwere miteinander.

In der Tat, indes wir selbst mit unsern Nachbargeschöpfen sozusagen eingewachsen sind in Erdreich, Wasser, Luft; teilt sich hingegen die Erde mit den andern himmlischen Geschöpfen in das reinere, feinere, klarere Element des Äthers, schwimmt, einem großen Auge vergleichbar gebaut, im Lichtelement und atmet dasselbe beständig ein. Soll es keine Geschöpfe für dieses Element geben? Für die Nachtansicht gibt es keine. Sie fabelt wohl von Engeln im Himmel, aber hält solche selbst für Fabeln.

Hiergegen erscheint im Lichte der Tagesansicht der Himmel nun wieder von himmlischen Geschöpfen bewohnt; nenne man sie Götter oder Engel; man hat sie ehedem so und so genannt. Der Abstand zwischen uns und Gott ist groß; sie sind eine Zwischenstufe zwischen uns und Gott; auf einer Stufenleiter aber, in der die Stufen sich vielmehr ein- als ausschließen.

Indem sie aber auf ihrer höheren Stufe so gut als die irdischen Geschöpfe auf ihrer niederen im äußeren Verhältnisse von Nachbargeschöpfen zueinander stehen, mag es auch vergleichsweise, wie Menschen, Tiere, Pflanzen, Embryonen, Kinder, Erwachsene, Greise, von verschiedener äußerer Rangstufe im irdischen Gebiete nebeneinander stehen, entsprechende Rang- und Entwicklungsstufen im himmlischen Reiche nebeneinander geben.

Soll ich nun nach dem Ausblick ins erhabene Reich der Geister über uns noch von der kleinen Pflanzenseele neben uns sprechen?

Eine blühende Hyazinthe steht vor mir auf dem Tische. Wie schmuck hebt sich die Blütentraube aus dem Blattwuchs empor, wie zierlich ist jede einzelne Blüte darin gebogen und ins Feinere ausgestattet, welch’ reine Farbe hat sie sich aus Licht gewebt, wie reich hat sie seit gestern sich entfaltet. Du siehst mich an – spricht die Blume – als wäre ich ein schönes Mädchen; ich bin auch ein schönes Mädchen in meiner Art. Sage es den Leuten. – Ich habe es ihnen schon gesagt, aber sie wollten es noch nicht glauben.

Niemals hat sich der Glaube an die Beseelung unsrer Nebenmenschen und der Tiere daher entwickelt, daß sie Nerven haben; niemals ist die Spur eines Beweises gegeben worden, daß solche anders als eben nur zur menschlichen und tierischen Beseelung nötig sind; es ist ein verjährter Aberglaube, daß sie überhaupt dazu nötig sind. Willst du es nicht also auch endlich einmal der Welt, den Sternen, den Pflanzen erlassen, daß sie Nerven wie Menschen und Tiere haben, um sie für beseelt zu halten, wenn wichtigere Gründe für die Beseelung sprechen. Sie wollen eben nicht Menschen und Tiere sein, und brauchen zur andern Seele auch einen andern Träger und Ausdruck im Reiche der Materie. Scheint dir aber mit vorigen Betrachtungen darüber noch nicht genug getan, so kannst du eine weitere Entwicklung von solchen, wie ihn die Tagesansicht in Sachen der Seelenfrage bietet, in einer großen und zwei kleinen Schriften findenZendavesta, Nanna, und über die Seelenfrage.

4. Die Erde insbesondere.

Auf Grund des vorigen haben wir die Erde als ein uns zugleich nach materieller und geistiger Seite übergeordnetes, in höherem Sinne als wir selbst einheitlich gebundenes Wesen, hiermit als einen Knoten zu fassen, der uns selbst mit unsern Nachbargeschöpfen gemeinsam in das göttliche Band einknüpft.

Denke nur, um sie so zu fassen, nicht bloß an die dünne Kruste, auf der du mit deinen Nachbargeschöpfen wandelst, in der die Pflanzen wurzeln, hiermit ein trockenes Erdreich; du denkst ja auch beim Menschen nicht bloß an seine Knochen. Das innere Glutmeer, das feste Gerüst darum, der Ozean, der Luftkreis, die ganze Menschen-, Tier- und Pflanzenwelt, du selbst mit inbegriffen, alles konzentrisch durch eine gemeinsame Kraft um denselben Mittelpunkt zusammengehalten, gemeinsamen Perioden unterliegend, in Zweck- und Wirkungsbeziehungen miteinander verwachsen, ineinander verrechnet, bildet erst in eins die ganze Erde und hiermit die Strafe über dir. Dieselbe Erde, die uns und alle ihre Geschöpfe durch dieselbe Kraft an sich gefesselt hält, hat auch alle aus sich geboren, nimmt alle wieder in sich zurück, nährt und kleidet alle, vermittelt den Verkehr zwischen allen, und behält bei allem diesen Wechsel einen, durch den Wechsel selbst sich forterhaltenden und fortentwickelnden Bestand.

Der Fuß des Menschen ist nicht minder dem Boden, die Klaue des Vogels dem Zweige angepaßt, als Fuß des Menschen und Klaue des Vogels deren eignem Leibe, nur mit dem Vorteile, sich auch über ihre Unterlage hinwegbewegen und den Wechseln und Unregelmäßigkeiten derselben anpassen zu können; aber von der ganzen Erde vermag sich der ganze Mensch und Vogel doch noch weniger fortzubewegen, zu trennen, als irgendein Glied vom Leibe des Menschen oder Vogels. Soviel fester hält sie das, was soviel loser an ihr scheint, in erweiterter Zweckbeziehung, zusammen. Und so beweist die Erde in allen allgemeinsten Verhältnissen zugleich die einheitliche Verknüpfung aller ihrer Teile und das Verhältnis der Überordnung über sie, uns selbst mit eingeschlossen. Wie sie es aber sichtlich in materiellen Beziehungen tut, wird sie es unsichtlich in geistigen Beziehungen tun.

Von vornherein lassen sich viel Gleichungspunkte der ganzen Erde mit dem Menschen finden, so Tag und Nacht mit Wachen und Schlaf, der Kreislauf der Gewässer mit dem Kreislaufe des Blutes, Ebbe und Flut des Meeres mit dem Pulsschlag des Herzens, die grüne Pflanzendecke der Erde mit der empfindenden Haut des Menschen usw. vergleichbar finden; nur reicht die Ähnlichkeit nirgends über eine gewisse Grenze hinaus, wird vielmehr überall durch die Unähnlichkeit der größeren Höhe, Weite, Überordnung der Erde über den Menschen überschritten und überstiegen. Und gibt es wohl im Menschen selbst einen Teil, der dem ganzen Menschen gliche; wie sollte die Erde einem ihrer Teile ganz gleichen. In gewissem Sinne zwar hat sie geradezu alles, was ihre Menschen haben, indem sie dieselben selbst teilhaft inbegreift, braucht nun aber nicht noch einmal zu haben, was sie schon haben und wie sie es haben, indem sie es eben in ihnen, so, wie sie es haben, hat; hat aber überall etwas Einheitliches, Einigendes, zu einem Gesichtspunkte höherer Zweckmäßigkeit Zusammenstimmendes darüber, und nirgends reicht die Analogie weiter als die Teleologie in diesem Sinne reicht. Also wiederholt die Erde nicht den Kreislauf des Blutes in einem größeren Blutkreistaufe, das Atmen der Geschöpfe in einer größeren Lunge; aber alle Blutkreisläufe der Geschöpfe sind nur Abzweigungen des großen Kreislaufes der Gewässer in ihr, indem alle daraus schöpfen und dadurch zusammenhängen; statt eine Lunge aus kleinen Bläschen noch einmal zu haben, ist sie ganz von der Atmosphäre umhüllt, aus der alle Lungen der Geschöpfe schöpfen, und durch welche Tiere und Pflanzen Sauerstoff und Kohlensäure miteinander tauschen; und statt ein Gehirn noch einmal in einer Schädelkapsel eng zusammengefaltet zu haben mit Nerven, die ihm auf langen Wegen Sinnesreize zuführen und Bewegungsreize von da abführen, bietet sie ihre ganze organische Welt mit deren Verkehrswegen, Kulturvermittlungen und Kulturerzeugnissen ausgefaltet und äußerlich angeheftet an eine alles zusammenhaltende feste Kapsel frei dem Licht des Himmels und den Schwingungen der Luft dar, woraus alle Nerven und Gehirne ihrer Geschöpfe unmittelbar ihre Anregungen schöpfen und wodurch sie sich ihre wechselseitigen Anregungen mitteilen. Wozu dann noch ein besonderes Gehirn mit besonderen Nerven für geistige Verrichtungen. Von solchen unnützen Wiederholungen weiß die Erde nichts, und unnütz ist es, solche in ihr zu suchen, töricht, solche zu verlangen, um ihr ein organisches Leben als Träger eines geistigen zuzugestehen. Doch vermißt man solche, und hält sich offen oder versteckt an den Schluß: weil der Mensch stirbt, den Geist verliert, wenn man ihm sein Gehirn nimmt, ist die Erde von vornherein tot, geistlos, weil sie von vornherein kein Gehirn hat.

Und so gehört auch zu ihren todeswürdigen Verbrechen, daß sie nicht unregelmäßig im Himmel umherläuft wie ein Mensch läuft. Aber wieder, warum soll sie noch einmal äußerlich tun, was die Menschen schon hinreichend in ihr tun. Und wonach hätte sie zu laufen? Nach Nahrung, Kleidung? Vielmehr genügt sie am besten ihren höheren Zwecken dadurch, daß sie nach einer festen Regel geht. Wie der Mensch führt sie ein inneres und ein äußeres Leben; zum inneren aber gehört der äußere Verkehr der Menschen selbst; und nachdem es in diesem der Unregelmäßigkeiten schon mehr als genug gibt, ist gut, daß sie nicht auch noch äußerlich ganz darin aufgeht, vielmehr in ihrem geordneten Gange gemeinsame Richtung, Regel, Maß in Raum und Zeit für ihre Menschen erhält, und mit der Erkenntnis einer, über alle Unregelmäßigkeiten erhabenen sichtlichen Ordnung der himmlischen Dinge zugleich die Ahnung einer unsichtlichen erweckt.

Dabei aber fehlt es der Erde doch nicht an Wechseln in dem äußeren Leben, das sie im Verkehr mit den andern Gestirnen führt. Und wie das innere Leben jedes Menschen durch seinen äußeren Verkehr mitbestimmt und selbst aus allgemeinem Gesichtspunkte beherrscht wird, ist es mit der Erde, der Mensch selbst aber wird aus allgemeinem Gesichtspunkte davon mit beherrscht. In welch’ wechselvoller Mannigfaltigkeit erleuchten die Gestirne je nach Tag und Nacht, nach Sommer und Winter und nach der Polhöhe die Erde; Sonne und Mond steigen auf und ab, über jedem andern Horizonte zur selben Zeit zu andrer Höhe; die Sonne spielt mit den Wolken und Winden der Erde, zieht sich dadurch selbst bald hier, bald da Schleier vor, spiegelt sich in den Wässern der Erde, hebt sie hier in die Lüfte, um sie dort wieder fallen zu lassen, macht die Pflanzen wachsen, grünen, blühen, kocht in ihnen Duft und Süßigkeit, zu jeder Zeit, an jedem Orte anders. Tags neigen sich ihr alle Blumen zu, indes alle Augen der höheren Geschöpfe sich von ihr wenden, um nicht von ihrem Glanze zu erblinden, und verschließen sich ihr nachts, um still für sich zu ruhen. Die Flutwelle des Meeres kreist, dem Gange des Mondes folgend, um die Erde, in Höhe wechselnd je nach Einstimmung oder Widerspruch mit dem Zug der Sonne, und wie sich der Erde die andern Planeten nähern oder von ihr entfernen, mag sie nicht bloß die Veränderung der Helligkeit, sondern auch des Zuges mehr als bloß äußerlich spüren.

Inzwischen reicht kein Schall, kein Duft, keine Berührung von der Erde zu einem andern Gestirn oder von einem andern zur Erde; kein Stäubchen findet von einem andern zu ihr den Weg, kein Geschöpf von ihr vermag ein Geschöpf von den andern Gestirnen zu sehen oder damit zu verkehren, und alles, was die Sonne in ihr wirkt, faßt die Erde anders in sich auf und zusammen, als die andern Planeten; und so bleiben bei dem lebendigsten Verkehr der Erde mit andern Gestirnen doch die Gesichtspunkte ihrer individuellen Sonderung davon im Rechte.

Daß die Erde zu all’ dem auch Bewußtsein in sich trägt, braucht niemand erst bewiesen zu werden, weil jedem ein Teil davon in dem Bewußtsein, was er selber in sich trägt, unmittelbar gewiesen werden kann, und mehr als das kann er nicht davon gewiesen verlangen, um nicht das ganze Bewußtsein der Erde selbst zu verlangen. Doch glaubt er ja schon an mehr, indem er auch an das Bewußtsein andrer Menschen glaubt, ohne es selbst zu haben und ohne daß sich ihm etwas davon zeigen läßt. Um aber auch an ein Bewußtseinsband von alledem zu glauben, hat er sich der Gründe der vorigen Nummer uns der dadurch begründeten Weltstellung der Erde im Reiche der Seelenstufen als himmlisches Geschöpf zu erinnern. Das Band des Bewußtseins reicht überhaupt durch die ganze Welt, und die Erde schneidet eben nur aus dem allgemeinen Bewußtseinskreise ihren besonderen Kreis andern Gestirnen gegenüber heraus, wie der Mensch in ihr wieder andern Menschen gegenüber. Nicht so, daß sie den Weltkreis durchlöchert zurückließe, sondern so, daß sie zur Füllung desselben selbst beiträgt, indem sie ihren besonderen Kreis mit einem besonderen Inhalte füllt. Dieser aber besteht nicht bloß aus der Summe der einzelnen Seelen, die er in sich schließt, sondern schließt zugleich Verknüpfungsglieder zwischen allen ein, die in die einzelnen eingreifen, voll und ganz aber nur in das alle übergreifende und damit einheitlich verbindende höhere Bewußtsein fallen. Um sie zu finden, hat man nur eben das Sichtliche ins Unsichtliche zu übersetzen.

Fragst du, wie kann von einem, alles Menschliche, ja Irdische einigenden Bewußtsein die Rede sein, wenn wir doch Religionen, Völker, einzelne auf der Erde in hartem Streit begriffen sehen. Aber wieviel doch streitet sich schon im einzelnen Menschen, wozwischen er Friede sucht, oft ohne ihn finden zu können. Statt daß die Einheit seines Bewußtseins den inneren Zwiespalt hindert, macht sie nur, daß er ihn empfindet und zu schlichten sucht. Natürlich aber, daß in dem größeren und höher ansteigenden Bewußtseinkreise der ganzen Erde der Streit mächtiger und der endliche Friede schwerer erreichbar ist, als in dem kleinen des einzelnen Menschen – in einem Glase kann es ja nicht stürmen wie im Meer –; indes auch ein größeres, mächtigeres, nur langsamer zum Ziele führendes Streben dazu besteht. Wie gewaltig aber ist doch schon der Fortschritt dazu von jener Zeit, wo noch kein Staat, keine Sitte, kein Gesetz, keine Religion, kein über die Meere reichender Handel und Wandel die Menschen verband. Und nicht nur durch die Erde, durch alle Sterne und zwischen allen Sternen greift dasselbe göttliche Streben durch, die fortschreitende Entwicklung in gedeihliche Bahnen zu lenken.

All’ das wird nun freilich heutzutage im Sinne der Nachtansicht anders gefaßt. Danach sind Menschen, Tiere, Pflanzen, statt Teile der Erde, etwas äußerliches an und auf der Erde; eine große tote Mutter hat lebendige Kinder geboren, von sich abgesondert und ist danach so tot als vorher geblieben. Bloß dem Astronomen fällt es nicht ein, wenn er die Erde andern Gestirnen gegenüber betrachtet, von der Masse der Erde die Masse der Geschöpfe abzuziehen; sonst tut man es, und zieht damit zugleich den Geist der Geschöpfe von der Erde ab; wie soll dann freilich noch an einen Geist der Erde zu denken sein, nachdem man solchen in Stücken davon abgezogen hat. Der Nachtphilosoph sanktioniert diese Auffassung vollends in seinen Spekulationen über den Gegensatz des organischen und unorganischen, als lebendigen und toten Reiches der Erde, und der Darwinist plagt sich noch heute mit einer Art Alchimie, aus unorganischer Schlacke organisches Gold herauszubringen.

Und freilich ist der Gegensatz zwischen dem organischen und unorganischen Reiche der Erde größer, als zwischen Knochen einerseits, Fleisch und Nerven anderseits in unserm Leibe; nur liegt es von selbst im Wesen eines übergeordneten Organismus, daß er größere Gegensätze in sich birgt als seine Teile, wie unser eigner Organismus selbst als Ganzes seinen Teilen gegenüber beweist. Mit altem Gegensatze gegen das organische Reich aber ist das unorganische selbst das Bindeglied des organischen zu einem in höherem Sinne organischen Ganzen. Reiße es aus dem Ganzen heraus, und alles Leben purzelt nicht nur auseinander, sondern zerfällt in sich. Und nur deshalb vermag das Unorganische nichts Organisches mehr herzugeben, weil überhaupt keins je das andre hergegeben hat, sondern beide als Entwicklungsmomente des höheren organischen Ganzen durch dessen Differenzierung hervorgegangen sindAusführungen hierüber siehe in der Schrift "Einige Ideen usw."..

Wir haben Geographie, Geologie, Paläontologie, Meteorologie, Botanik, Zoologie, Anthropologie, Ethnologie, Völkergeschichte und was nicht alles noch für besondere Lehren von der Erde. Ganz gut; aber es sind alles nur Lehren, welche uns dieselbe stückweis oder von der oder jener Seite kennen lehren. Wo ist die Lehre, welche uns die Anschauung der Erde als eines einheitlichen, uns selbst nach Leib und Seele mit einbegreifenden, Ganzen gewährte. Für die Nachtansicht besteht nicht einmal der Gesichtspunkt einer solchen Lehre; und seit ich selber mich damit befaßt, heiße ich ein Phantast in diesen Dingen.

Ein Vogel entfloh dem Käfig, um sich einmal die Welt von oben anzusehen. Aber ein Vogel, der frei sein will, muß sich auch gefallen lassen, vogelfrei zu sein; man kümmert sich nicht um ihn oder schießt ihn herab. Im Käfig unter den Käfigen unten wäre er sicher geblieben und hätte keine andre Gefahr gelaufen, als von den Vögeln in den Nachbarkäfigen übersungen oder überschrien zu werden, wie sie untereinander tun; gehörte er dann doch zur Gesellschaft

5. Das Jenseits.

Der Glaube an das Jenseits ist uns durch das Wort vorgeschrieben, und der Wunsch des Menschen, dereinst fortzuleben, und, was sich hier nicht haben läßt, dort zu haben, kommt ihm zu Hilfe. Eine eigentliche Brücke zu diesem Glauben aber gibt es nicht, noch kann es geben, solange die Nachtansicht an der Lücke Wache hält. Denn wie nach ihr das Bewußtsein rings um jeden abbricht, bricht es natürlicherweise auch nach jedem ab; eins hängt verfolgbar mit dem andern zusammen. Und soll es doch noch ein künftiges Leben geben, so wird es aus gleichem Grunde abgerissen vom Diesseits, in einem mythisch-mystischen Reiche, das ist das Jenseits der Nachtansicht, geführt. Schon das Diesseits ist ihr ja ein Scheol, worin nur lichte Pünktchen wie durch schwarzen Zunder laufen, und der Himmel selber, in den wir hinaufsehen, diesem Scheol mit verfallen. Also liegen für die Nachtansicht Paradies und Hölle über allen Himmeln und unter jeder Tiefe. Will einer doch das künftige Leben näher haben, so sucht er es auf der Sonne oder läßt den Geist durch die Gestirne wandern. Wer kann’s wehren. Entweder ist nach der Nachtansicht überhaupt nicht an ein Jenseits zu glauben, und der konsequente Nachtphilosoph tut’s auch nicht, sondern zieht materialistisch den Untergang der Seele mit dem Körper oder idealistisch die Aufsaugung durch den allgemeinen Geist vor, oder jeder kann glauben, was er möchte, und tut’s auch, um die Leere, welche die Glaubensvorschrift läßt, zu füllen.

Für die Tagesansicht aber ist das Jenseits nur die Erweiterung und Steigerung des, diesseits schon in Gott geführten, Lebens; die Brücke zum Jenseits liegt im Zusammenhange zwischen dem menschlichen und göttlichen Dasein, und der Glauben an das jenseitige Dasein ist mit dem Glauben an das göttliche fest verwachsen. Die Zwischenstufe zwischen uns und Gott aber scheidet uns hierbei nicht von Gott, sondern fügt uns nur in denselben ein.

Meint man denn, das ganze bewußte Leben eines Menschen könne in einem, dasselbe mit befassenden, allgemeineren bewußten Leben wie eine Blase auftauchen und vergehen, ohne auch eine Folge seiner Art darin zu hinterlassen. So ist es doch nicht innerhalb des bewußten Lebens eines Menschen selbst; ja wie käme das dabei zurecht; es wird auch darüber hinaus nicht so sein; nur muß es ein allgemeineres bewußtes Leben darüber hinaus auch geben, wohinein das diesseitige des Menschen seine Folge und Erweiterung erstrecken kann.

Der Materialist freilich wird nicht müde, die Seele daran zu erinnern und damit zu bedrohen, daß sie an ihrer Leiblichkeit die notwendige Bedingung ihres Bestehens und Wirkens habe; wie sollte sie fortbestehen, wenn diese Bedingung ihres Bestandes wegfällt. Gegenteils wird man nicht müde, dem Materialisten zu beweisen, die Seele oder doch der Geist – denn gern zerschneidet man hierbei das einig Ganze, um wenigstens das teuerste Stück davon zu retten – sei wesentlich unabhängig vom Leibe. Umsonst, was helfen gegen des Materialisten Tatsachen Beweise. Anstatt ihm zu beweisen, daß seine Waffen schlecht sind, gilt es, ihn mit seinen Waffen zu schlagen; andre ihn zu schlagen, gibt es nicht, aber diese gibt es.

Wie sollte die Seele nicht fortbestehen, wenn die Bedingung ihres Bestandes, so notwendig als sie für das Diesseits ist, mit gleicher Notwendigkeit die Bedingung des künftigen Bestandes aus sich hervortreibt. Lassen wir es doch gelten, daß das Leben der Seele diesseits an den Bestand irgendwelcher materiellen Vorgänge gebunden ist, je wesentlicher, unverbrüchlicher, so besser; aber können denn materielle Vorgänge, welcher Art sie immer sein mögen, überhaupt vergehen, ohne in Folgevorgänge überzugehen, oder sollen die bewußtseinstragenden eine Ausnahme davon machen? Vielmehr, wo ihre Folgen sich auch nach unserm Tode finden mögen, und ob man sie zu finden weiß, so müssen solche da sein; wir werden ihnen aber eben deshalb, weil es Folgen bewußtseinstragender Vorgänge sind, die gleiche Tragkraft zutrauen können, ohne von den einen besser als von den andern zu wissen, was ihnen diese Tragkraft verleiht; denn das wissen wir in der Tat von den diesseits ursächlichen sowenig, als wir es von den sie ins Jenseits fortsetzenden wissen können. Ursachen setzen sich überhaupt ihrer Natur nach unverändert in ihren Folgen fort, insoweit sie nicht mit diesen in andres hineinwirken oder andres in die Folgen hineinwirkt; insoweit es aber der Fall ist, wird ihre Natur nicht dadurch zerstört, sondern nur neu mitbestimmt, und bestimmt das andre neu mitEine nähere Erläuterung dieses hier nur kurz und obenhin ausgesprochenen Satzes in physikalischem Sinne, welche zu den obigen Folgerungen zurückführt, siehe am Schluß des 12. Abschnittes.. Das wird also auch von den Folgen unsrer bewußtseinstragenden Vorgänge gelten. Um aber in die Folgevorgänge überzugehen, müssen die ursächlichen erlöschen, d. h. sterben.

Und wenn nun mit Zerstörung der ganzen diesseitigen Leiblichkeit alle ursächlichen Vorgänge, welche unser diesseitiges Bewußtsein trugen, erloschen sind, wo sollen sich endlich die gesamten Folgevorgänge dieses Lebens finden, als in dem, von unsrem Tode nicht mitbetroffenen, ein weiteres, höheres und allgemeineres Bewußtsein tragenden Ganzen – die Tagesansicht, nicht die Nachtansicht sprichts –, dem wir schon diesseits mit Leib und Seele angehören, um ihm mit unsrer jenseitigen Fortsetzung nur in neuer Daseinsform anzugehören, und in neuer Weise zur Fortbestimmung seines Lebens beizutragen. Wir wissen freilich die materiellen Folgen unsres diesseitigen Lebens nicht sonderlich über dasselbe hinaus zu verfolgen, weil sie zu sehr ins Weite strahlen; sie sind sozusagen zu weit ausgepackt, indes die, welche unser diesseitiges Bewußtsein tragen, zu eng eingepackt sind, um sie mit einem leichten und kurzen Blicke zu erfassen und zu verfolgen; und insbesondre entgeht uns leicht der Zusammenhang der Folgen unsres diesseitigen Lebens. So unmöglich es aber ist, den zeitlichen Zusammenhang zwischen Ursache und Folge zu brechen, so unmöglich den räumlichen zwischen den Folgen räumlich in sich zusammenhängender Vorgänge zu brechen, wie es die Vorgänge in unserm Leibe sind. Also wird sich mit der Erweiterung unsres Lebenskreises nur unser Bewußtseinskreis erweitern; und zusammengehalten bleibt er bei aller Erweiterung doch in der irdischen und endlich der ganzen Welt.

So geht von vornherein aus allgemeinstem Gesichtspunkt die Betrachtung nach materieller Seite mit der Betrachtung nach geistiger Seite Hand in Hand und führt zu demselben Ziele. Der Geist des Menschen erstreckt seine Folgen in den allgemeinen Geist, und der Leib des Menschen in die allgemeine Welt der körperlichen Dinge, die diesen Geist trägt, hinein; und wie die geistigen und leiblichen Ursachen diesseits untereinander zusammenhängen, so die jenseitigen geistigen und leiblichen Folgen. Dazu aber gilt es nicht, den Geist von der Materie abzulösen, sondern den Weg, den der Geist diesseits mit ihr geht, ins Jenseits fortzuführen,

Die Saite verklingt und der Ton entschwebt in die Luft, das ist, einfachst ausgedrückt, das Verhältnis zwischen Diesseits und Jenseits. Der natürliche Mensch faßt es schon so und öffnete sonst sogar das Fenster, damit die entschwebende Seele hinaus könne. Wenn aber die Luft nicht ebensogut klingen könnte, als die darin verklingende Saite, so gäbe es für den Ton kein Jenseits; an der Materie der zurückbleibenden Saite liegt nichts. Oder verfließt etwa der Ton, indem er in die Luft entschwebt, in deren Allgemeinheit? Im Gegenteil, er breitet sich nur aus, und verwebt sich unter Forterhaltung seiner vollen Eigenheit mit andern Tönen zu höheren Verbindungen. So die ausgebreiteten jenseitigen Lebenssphären der Menschen untereinander.

Freilich kann das Bild in seiner Einfachheit nicht alles treffen, was es hier zu treffen gelte. Und insbesondere trifft es darin nicht, daß der Mensch nicht eine einfache tönende Saite, sondern ein ganzes reich besaitetes, mit oszillierendem und pulsierendem Leben erfülltes, Instrument ist, was sein eignes Lebensspiel empfindet, und die Welt um den Menschen keine leere Luft, sondern ein schon hoch und weit ausgebautes System ist, was die Wellenschläge dieses Spiels in sich aufnimmt und sich dadurch weiter fortbestimmt und ausbaut.

Auch darin aber trifft es nicht, weil es überhaupt nur die materielle Seite dessen, was es zu treffen gilt, trifft, und darin kann überhaupt kein bloß materielles Bild treffen, daß das Bewußtsein seinen Sitz nach bestimmten, schon im Diesseits verfolgbaren und hiernach auf den Übergang ins Jenseits übertragbaren Gesetzen wechselt. Aber was uns das einseitige Bild in dieser Hinsicht nicht lehren kann, wird uns der Blick auf die gesetzlichen Tatsachen selbst lehren.

Und so hängt die ganze Lehre der Tagesansicht vom Jenseits an folgenden Punkten:

Gibt es ein künftiges bewußtes Leben, so kann es als Fortsetzung des jetzigen nur in den davon abhängigen Folgen gesucht werden. – Das jetzige bewußte Leben erstreckt seine Folgen in die von einem allgemeinen Geiste übergriffene Welt hinein; dahinein hat man sie zu verfolgen. – Und: es gibt Gesetze des Bewußtseinswechsels schon im Diesseits, die auch den Übergang vom Diesseits in das Jenseitsbeherrschen.

Das Folgende ist nur die Erläuterung, Bekräftigung und Entwicklung hiervon.

Nun ist zunächst in dieser Hinsicht gewiß, daß das, vom Menschen diesseits in den engen Schranken der Leiblichkeit geführte Leben einen weiten Kreis von Wirkungen um sich schlägt, die es überdauern, nie erlöschen, indem sie immer neue Wirkungen erzeugen, einen Kreis, der nie zerfällt, wie der Wellenkreis um die angeschlagene Saite oder den in den Teich gefallenen Tropfen oder Stein nie zerfällt, und, sich ungestört mit andern Kreisen schneidend und verwebend, immer die Beziehung zu demselben Ursprunge fortbehält. Wir können freilich diesseits nur einzelne Richtungen davon verfolgen, und was davon über uns hinaus ist, scheint uns verloren, doch ist uns nicht verloren, sondern, als Fortsetzung unsres Wesens, für das Jenseits aufgehoben. Jede innere Regung des Menschen trägt, schließlich sich nach außen übertragend und dadurch für das Innere erlöschend, ihre Fortwirkung zu diesem weiteren Kreise mit bei; die feinste Nervenschwingung kann sich diesem Schicksal nicht entziehen; und stirbt der Mensch, so hat sich mit seinem ganzen äußeren sein ganzes inneres Wesen in diesen weiten Kreis und hiermit sein Diesseits in sein Jenseits umgesetzt. An der rückbleibenden Materie hängt nichts, über sie setzt man den Leichenstein; aber er deckt nichts von dem ins Freie entschwebten Menschen.

Fiele nun dieser weite Kreis von Nachwirkungen eines bewußten Menschenlebens einer bewußtlosen Welt um den Menschen anheim und würde damit selbst zu einem bewußtlosen Momente derselben, wie es in der Konsequenz der Nachtansicht liegt, so gäbe es für den Menschen kein Jenseits. Indem aber das bewußte Menschenleben sich dadurch nur in eine höhere und weitere bewußte Welt fortsetzt, gibt es für ihn ein Jenseits, worin er, statt zu zerrinnen, zu zerstieben, sich wie die Pflanze aus dem ersterbenden Samenkorne ausgefaltet und weiteren und höheren Entwicklungsbedingungen unterliegend wiederfindet, und selbst beiträgt, die Welt weiter fortzuentwickeln. Er muß nur eben das diesseitige Bewußtsein, ja das Vermögen dazu, erst verlieren, um das jenseitige zu finden, nachdem er die Unterlage dazu in den Folgen seines diesseitigen Lebens schon vorher erzeugt hatte, wie das Kind in dem Leben vor der Geburt schon die Bedingungen seines zweiten Lebens erzeugt; aber erst das erste Leben einbüßen muß, um das zweite zu gewinnen.

Wohl ließ sich von vornherein fragen: warum das diesseitige Bewußtsein erst verlieren, um das jenseitige zu finden, wenn die Bedingungen des jenseitigen schon da sind, das ganze diesseitige Leben selbst sich fortgehends darein umsetzt. – Aber schon beim neugeborenen Kinde, was vor der Geburt noch kein Bewußtsein hatte, konntest du fragen, warum das Bewußtsein erst mit der Geburt plötzlich und auf einmal in ihm hervorbricht, nachdem es doch schon vor der Geburt die Bedingungen dazu erzeugt hatte. Nicht anders aber bricht an der schon zuvor erzeugten Unterlage des jenseitigen Lebens plötzlich und auf einmal das Bewußtsein in der Geburt zum neuen Leben hervor, und statt der äußeren Lebensreize, die das Kind zum ersten bewußten Leben erwachen lassen, ist es der volle Umschlag dieses bewußten Lebens selbst, was hier den äußeren Lebensreiz vertritt.

Der Zustand des Bewußtseins samt der unterliegenden körperlichen Tätigkeit wechselt überhaupt schon diesseits in Schlaf und Wachen periodisch zwischen Aufsteigen über eine Schwelle und Sinken unter eine Schwelle; aber das Sinken darunter ist selbst Bedingung des nachfolgenden Darübersteigens, und je tiefer der Schlaf, so lebendiger das darauf folgende Erwachen; und so wird auch das gänzliche Einschlafen des diesseitigen engen Lebens zur Bedingung eines hellen Erwachens des jenseitigen weiteren Lebenskreises werden; denn dasselbe, was vom zeitlichen, gilt vom räumlichen Wechsel des Bewußtseins. Fassen wir dies wichtige Verhältnis jetzt etwas näher in das Auge.

Schon diesseits führt der Mensch sein Bewußtsein im Raume mit sich herum, Beweis, daß es überhaupt räumlich verlegbar ist, und in ihm selber wechselt es sozusagen den Ort. In ein Schauspiel vertieft, sieht der Mensch nur und hört nicht, was um ihn vorgeht, ein andermal hört er nur und sieht nicht was um ihn vorgeht, und wieder ein andermal denkt er nur, und sieht und hört nicht, was um ihn vorgeht. Das heißt: die verschiedenen Organe seines sinnlichen und höheren Geisteslebens werden wechselnd in bewußte Tätigkeit versetzt; das Bewußtsein schlägt in Anknüpfung an die ihm unterliegende körperliche Bewegung wie eine Welle zwischen ihnen herüber und hinüber, kann aber hier nicht steigen, ohne dort zu sinken. Solange nun der Mensch noch diesseits lebt, wandert es auch bloß teils im ganzen mit seinem ganzen lebendigen Leibe in der Welt, teils wechselnd zwischen den Organen dieses Leibes hin und her; kommt der Tod, so kann es nicht mehr mit dem ganzen Leibe, der nicht mehr da ist, noch darinnen wandern, sondern wandert über diesen Leib in den weiteren Leib – denn warum nicht Kürze halber diesen Ausdruck dafür brauchen – hinein, den sein diesseitiges Leben schon um den engeren hervorgetrieben hatte, doch der bis dahin schlief, um fürder in diesem weiteren Leibe wie früher in dem engeren zu wandern. Die Schiffe hinter ihm sind verbrannt; um aber darüber hinaus zu wandern, mußte es eben auch die alten Schiffe verlassen. Erscheint dir aber der Ausdruck Wandern des Bewußtseins zu materialistisch, so setze dafür deinen idealistischeren, und die Sache bleibt dieselbe; übertrage ihn nur folgerichtig im Sinne der Tatsachen vom Diesseits auf das Jenseits.

Von allen Wechseln im Diesseits aber ist einer vor allem geeignet, die Brücke der Betrachtung und des Schlusses ins Jenseits zu schlagen. Und möchte es noch so schwer sein, an das, was uns dereinst begegnen wird, zu glauben, so fremdartig tritt es in die gewohnte Ansicht einer bewußtseinsleeren Welt um uns hinein, so blicken wir auf das, was schon jetzt in uns begegnet. Gibt es doch schon in uns ein Diesseits und Jenseits, nur auf niederer Stufe, und es ist nur dasselbe Prinzip, was vom einen ins andre in uns und was über uns hinaus und hinauf führt.

Nicht anders als die Anschauung nach ihrem Erlöschen in uns sich als Erinnerung in einem weiteren und höheren Reiche des menschlichen Bewußtseins wiedergebiert, wird sich der ganze diesseitige Geist des Menschen jenseits in einem weiteren und höheren Erinnerungsreiche Gottes wiedergeboren finden, nur anders insofern, als unser ganzer Geist schon weiter und höher als unsre Anschauung und Gottes Erinnerungsreich weiter und höher als unsres ist, also auch alle Verhältnisse unsrer Erinnerungen sich erweitert und gesteigert darin wiederfinden werden. Wie die Erinnerung in uns getragen wird von verbreiteten materiellen Wirkungen, welche die körperliche Bedingung der Anschauung, noch weil sie stand, über sich hinaus in das Gehirn hinein erzeugte – die Kreise dieser Wirkungen begegnen und kreuzen sich im Gehirn, ohne sich zu stören –, wird das geistige Dasein des Menschen im Jenseits von materiellen Wirkungen getragen, die sein leibliches Dasein, noch während es bestand, in die von Gott begeistete materielle Welt hineinerzeugte, nur wieder alles erweitert und gesteigert. Sowenig du nun in ein lebendiges Gehirn äußerlich blickend die Erinnerungen darin gehen sehen könntest; doch gehen solche darin; sowenig in die Welt äußerlich blickend die darin gehenden jenseitigen Geister, doch gehen solche darin.

Also mutet die Tagesansicht dem Glauben an das Jenseits nichts Neues, Undenkbares, Unerhörtes zu, sondern nur eine Verallgemeinerung, Erweiterung, Steigerung dessen, was sich beobachten läßt, darüber hinaus, eine Erweiterung und Steigerung, weil es ein erweitertes und gesteigertes Gebiet der Betrachtung gilt. Das ist mehr als bloße Analogie, obwohl es auch Analogie ist; es sind allgemeine Gesetze, welche das Diesseits und Jenseits im Zusammenhange beherrschen, die hier zur Geltung gebracht werden, wogegen die gemeine, die philosophische, die theologische, kurz die Nachtansicht von heute mit diesem Leben auch die Gesetze dieses Lebens abbricht.

Freilich, ein so zerlaufenes Wesen, wie unsre künftige Leiblichkeit sein soll, will dir nicht gefallen. Aber du stellst sie dir eben nur falsch vor, wenn du sie dir unbestimmt zerlaufen vorstellst; indes sie alle Bestimmtheit der diesseitigen in sich aufnimmt, indem sie aus ihr erwächst. Der Same mag sich auch vorstellen, die Pflanze, die aus ihm hervorbricht, indem sie ihn zerbricht, zerlaufe ins Unbestimmte, weil er ihr nicht folgen kann, aber jeder Bildungsteil des Samens treibt seinen zugehörigen Bildungsteil in der Pflanze hervor, und auch in der erwachsenen Pflanze sprengt die Knospe ihre Hülle, nicht um ins Unbestimmte zu zergehen, sondern sich in erweiterter Form zu entfalten. Nur die begrenzte äußere Gestalt, in der du diesseits erscheinst, scheint für das Jenseits verloren zu gehen, aber damit, daß sie für die diesseitige Erscheinung verloren ist, ist sie noch nicht für die jenseitige verloren; wir haben nur diesseits nicht die Augen des Jenseits. So gut sich im kleinen inneren Jenseits eines Menschen die Erinnerungsgestalten aller seiner Bekannten begegnen können; so gut im großen jenseitigen Erinnerungsreiche die Erinnerungsgestalten aller Menschen, trotzdem, daß weder hier noch da das der Erscheinung unterliegende, zerflossen scheinende materielle Wesen die äußere Gestalt der Erscheinung selber trägt.

Unsre Erinnerungen verweben sich zu einem höheren geistigen Spiel in Phantasien, Begriffen, Gedanken, Ideen; die Anschauungen für sich vermögen es noch nicht; doch spielen tausend Erinnerungen in jede Anschauung, man nennt es Assoziation, begeistend hinein. Also wird auch das höhere Lebensspiel auf Erden, und weil das irdische Leben in Gott eingetan ist, das höhere Leben in Gott nicht zwischen den Geistern des Diesseits, sondern des Jenseits geführt; doch spielen Ideen der Verstorbenen, in denen diese selbst mit fortleben, in die diesseits zurückgebliebenen hinein, ja die diesseitigen Lebenskreise werden allwegs von Kreisen des jenseitigen Lebens geschnitten und durchschritten; der innigste Verkehr zwischen Diesseits und Jenseits ist in die natürliche Weise des Seins und der Entwicklung des Diesseits selbst verrechnet; ja was wären wir heute, wenn nicht die Geister vergangener Jahrhunderte in uns fortlebten; nur leben sie nicht bloß in uns, sondern auch über uns hinaus fort.

Man meint, die Geister unsrer Lieben seien uns mit dem Tode in unnahbare Ferne gerückt; man zweifelt wohl gar, ob man sie im Jenseits wiederfinden wird. Im Gegenteil, je mehr ihr diesseitiger Lebenskreis mit dem unsrigen verwachsen war, desto mehr greift er auch in seiner jenseitigen Folge noch in unsern diesseitigen hinein. Wir wissen nur diesseits nicht, daß er es tut, indem wir als das unsre rechnen, was zugleich das ihre ist. Der von unsrer Seite unbewußte Verkehr mit ihnen aber wird zum bewußten, wenn wir nun selber zu ihnen in das Jenseits treten; bis dahin wohnt der verstorbene Teil, Gatte, Gattin, Geliebter, Geliebte dem hinterlassenen Teile noch als Schutzgeist bei.

Die schon hier im Geiste eins sind und sich doch noch äußerlich auseinander fühlen, werden sich dort auch innerlich eins fühlen nach den Seiten, nach denen sie wirklich eins sind. Aber auch der Widerstreit der Geister wird innerlicher und härter empfunden werden, und damit stärker zur Hebung und Versöhnung treiben; und eine Schonungslosigkeit wird an dem innerlicheren Verkehr der Geister hängen, vor der manchem zum voraus bangen mag. Was einer von seinen Gedanken hier allen verbergen möchte, wird im jenseitigen Erinnerungsreiche allen durchsichtig sein, und nur das mag jeden etwas trösten und alle nachsichtig gegen alle machen, daß alle von ihren Gedanken hienieden etwas allen verbergen möchten. Aber es wird doch für alle ein Fegefeuer sein, durch das sie hindurchzugehen haben, und wohl dem, der nicht bloß seine Taten, sondern auch seine Gedanken hier so züchtigt, daß es ihm nicht zu heiß beim dereinstigen Hindurchgehen wird.

Noch viel allgemeinere und schwerer wiegende Verheißungen und Drohungen knüpfen sich an unsern Ausblick in das Jenseits. Das Gute und Schlimme, was vom Menschen diesseits in die Welt ausgegangen ist, und wovon er meint, daß es schon über ihn hinaus sei, wird den Mit- und Gegenwirkungen, denen es seiner Natur nach zu begegnen hat, erst im Jenseits voll begegnen, und was davon hier noch nicht sein Bewußtsein gerührt hat, dort dasselbe rühren; hiermit der Mensch selbst sich seinen künftigen Himmel oder seine Hölle schaffen. Die Schmerzen, die der Mensch getragen, Schmerzen schon in der diesseitigen Erinnerung nicht mehr; sie werden auch im jenseitigen Erinnerungsreiche nicht mehr schmerzen; ja, wo kein Abschneiden eines kranken Gliedes mehr hilft, hilft endlich noch das Abschneiden des ganzen kranken Menschen; die Schmerzen aber, die man andern erweckt hat, schmerzen schon diesseits in der Erinnerung, man nennt es das Gewissen, und werden bitterer Schmerzen im jenseitigen Erinnerungsreiche, auch wo das Gewissen diesseits noch nicht wach war; denn das Jenseits hat Mittel sie zu wecken. Den hast du betrogen, dem unrecht getan; was geht es dich noch an; es wird dich wohl angehen, wenn du in der Ausbreitung deiner künftigen Existenz den üblen Folgen der diesseitigen, von denen du meinst, daß sie über dich hinaus sind, als auf dich zurückschlagenden, ja unmittelbar in dich greifenden, begegnen wirst.

Viel wäre noch von all’ dem zu sagen; doch es sei für jetzt genugNoch einmal ist die Frage des Jenseits im 12. Abschnitt des zweiten Teiles aufgenommen; eingehender aber im "Büchlein vom Leben nach dem Tode" und im dritten Teil des "Zendavesta" davon gehandelt..

In der Schrift, der man aufs Wort glauben soll, gibts Worte – ein System freilich gibts nicht –, die man nur wirklich beim Worte zu nehmen brauchte, um damit den Glauben an das Jenseits im Sinne der Tagesansicht zu haben oder daraus zu folgernVgl. die "drei Motive und Gründe des Glaubens" S. 175, 214, 217.. Wie im Glauben an den einigen Gott ist die Tagesansicht dem biblischen Glauben damit nur nachgekommen. Doch glaubt man dem Worte eben nicht weiter als es die Nachtansicht erlaubt.

6. Das Übel in der Welt.

Nicht minder für die Tagesansicht als für die Nachtansicht bleibt es die schwerste Frage: woher, warum, wozu, wohin das Übel in der Welt, und wie sein Dasein mit dem Dasein eines zugleich allgütigen, allmächtigen, allweisen Gottes vereinigen. Es scheint ein reiner Widerspruch. Die Tagesansicht aber entzieht sich dem Widerspruche zunächst dadurch, daß sie, den ersten Blick, statt auf den dunkeln Ursprung, auf die klare Sachlage der Dinge werfend, mit der Tatsache des Übels zugleich das, durch die Welt gehende, Streben ins Auge faßt, dem Übel zu wehren, es zu heben, zu heilen und in Segen zu verkehren, und daß sie den Gipfel, Zusammenschluß und Abschluß dieses Strebens wie alles Guten in Gott sucht. Den des Bösen aber kann sie nicht darin suchen, weil das Böse als solches eben vermöge des in Gott sich zusammenfassenden, gipfelnden, abschließenden Gegenstrebens überhaupt keinen Gipfel, Zusammenschluß und Abschluß hat. Vielmehr je länger es sich fortentwickelt, je weiter es um sich greift, je höher und in je höhere Gebiete es aufsteigt, desto weiter greifende, stärkere und höhere Mittel und Kräfte ruft es in der Weltordnung gegen sich auf, die es endlich überwachsen, ja selbst zum Quell eines neuen Guten machen; indes das einmal erreichte Gute das entgegengesetzte Verhalten zeigt, in seiner Ausbreitung und Erstarkung die Bedingungen einer weiteren Ausbreitung und Erstarkung zu gewinnen. Da nun aber das diesseitige Dasein nicht das ganze Dasein ist, so ist weder die endgültige Wendung und Versöhnung des Übels, noch sind alle Mittel dazu schon im Diesseits zu suchen, nur die Richtung dazu ist schon darin zu suchen und zu finden.

Rühre also das Übel her, woher es mag, so dürfen wir uns dessen getrösten, daß in der Welt des Bewußten, für die es allein Übel gibt, nicht nur überhaupt ein Trachten besteht, was auf die Hebung vielmehr als Förderung des Übels geht – nur daß das endliche Trachten auch nur Endliches für sich vermag –, sondern auch, daß so hoch und weit und mächtig das Übel im Reiche der Endlichkeit reicht und ist, es von einem noch höheren, weiteren und mächtigeren Gegenstreben überreicht wird. Damit aber besteht nicht nur die Idee eines im höchsten Sinne gütigen, weisen und mächtigen Gottes, sondern dazu bedarf es der Idee eines solchen Gottes. Das ist eins, nur dazu wird noch ein zweites kommen.

Freilich das Streben jedes einzelnen, dem Übel zu wehren, es zu tilgen, bezieht sich zunächst nur auf sein eignes Wohl, und gibt es eine angeborene Sündhaftigkeit des Menschen, so ist es sein Egoismus; also nimmt das kleinste Kind dem andern seine Puppe, schlägt es und handelt wider das Gebot; oft auch verdirbt sich der Mensch die Zukunft um des gegenwärtigen Genusses willen. Aber nach Maßgabe als der Mensch erwächst, seine Interessen sich erweitern, erkennt und fühlt er von selbst, daß sein Wohl mit dem von andern zusammenhängt, und die Zukunft Opfer der Gegenwart verlangt, und je mehr seine Einsicht und sein Gefühl sich in dieser Richtung erweitert, erhöht, vertieft, erstarkt, klärt, je mehr er die Mittel zur Durchführung seiner Zwecke in seiner Hand hält, und aus je höheren Gesichtspunkten er sie beherrscht, so besser und sicherer gelingt es ihm. Gottes Einsicht und Macht aber reicht über alle Verhältnisse und Mittel der Welt, sie ist ja ganz die seine; sein Fühlen reicht aus höchster Höhe bis in die Tiefe des Gefühls aller seiner Geschöpfe; ein Konflikt des Egoismus mit der Liebe zu ihnen aber kann ja nicht bestehen, weil er sie nicht außer sich sondern in sich hat; sein höchster Egoismus fällt mit der vollsten Liebe zu ihnen von selbst zusammen. Seine Vorsicht aber hat keine Grenze, weil in der Kenntnis aller Gegenwart auch die Bedingung der Erkenntnis aller daraus folgenden Zukunft liegt.

So unendlich hoch Gott in allen diesen Beziehungen über allen seinen Geschöpfen steht, so unendlich groß, hoch, weit ist freilich auch seine Aufgabe über der, die ihnen gestellt ist, und womit sie in untergeordneter Weise in die seine hineinzutreten haben. Alles Übel in der Welt, in der Ausbreitung durch den ganzen Raum, in seinen tiefsten Wurzeln, in seinen höchsten Spitzen, in seinen verwachsensten Verschlingungen, in seinen immer neuen Ausgeburten hat er zu bemeistern; aber um es in einem unendlichen Raume zu bemeistern, hat er auch die unendliche Zeit, und in einer endlichen Zeit doch endliche Annäherungen daran, die sich erweitern und steigern und zu immer neuen und höheren Abschlüssen führen, wie sich das Gebiet erweitert, steigert und das Leben auf neue Stufen tritt.

Sind das Ansichten und Aussichten, eitel aus Luft gewoben? Aber blicken wir zurück, um zu wissen, wie wir vorwärts zu blicken haben, und dazu blicken wir aus dem Engen und Niederen ins Weite und Hohe. Hat sich schon zur Zeit des Chaos ein blauer Himmel über einer blumigen Erde und über einem Meere, worin sich Sonne und Mond spiegeln, gewölbt, um durch Schönheit und Erhabenheit Geschöpfe zu erfreuen, ihnen Maß und Bahn zu bieten. Gab es zur Zeit der Megatherien und dann der Pfahlbauten schon Religion, Sittengesetze, Wissenschaft und Kunst; bessert nicht jede Zeit an den Mängeln der vergangenen, durch jede neue Erfindung gewinnt die Welt; und wenn mit dem Ersteigen neuer Stufen neue Übel aufsteigen, ist es doch nur als Anreiz sie wieder zu übersteigen, und darin selber liegt ein Lebensreiz. Es ist nicht Sitte des Klaviers, den harmonischen Akkord in einen disharmonischen zu zersetzen, sondern den disharmonischen in einen harmonischen aufzulösen. Diese Sitte aber hat das vom Menschen gespielte Klavier vom Spiele Gottes in der Welt. Und so dürfen wir auch glauben, daß Diesseits und Jenseits sich im Sinne dieser Sitte folgen und der Tod der Wesen selbst nur ein Mittel sein wird, die Disharmonien des Diesseits, die ihre Auflösung im Diesseits selbst nicht finden konnten, im Jenseits, wenn nicht alle unmittelbar aufzulösen, aber bis zur endlichen Lösung und Versöhnung fortzuführen.

Ist alles bewußte Dasein im göttlichen Dasein beschlossen, so ist auch alles Übel, das wollende, wissende, fühlende Wesen treffen kann, ist Sünde, Irrtum, Schmerz darin mit beschlossen; nur kann keines Gottes Wesen in höchster Höhe treffen; es waltet bloß in niederen endlichen Regionen seines Daseins, wo eins noch wider das andre ist, indes Gott mit seinem höchsten Wollen, Wissen, Fühlen in sich einig über alles greift. Gibts doch auch im Menschen über einem niederen ein höheres geistiges Gebiet, über sinnlichen Trieben den höheren Willen, über dem Sehen des Auges die höhere Einsicht, über niederer Lust die höhere Freude. Das Höchste im Menschen aber ist noch ein Niedriges in Gott. Also ist auch des Menschen Wille nicht Gottes Wille, obwohl der Mensch seinen Willen mit dem göttlichen in Einstimmung setzen kann und soll. Und wohl uns, daß unser Übel nicht außer Gott, sondern zugleich in und unter Gott ist; über die Sicherheit, daß er kein Übel seiner Welt unversöhnt lassen kann, um es nicht in sich unversöhnt zu lassen, geht dem nichts, der im Sinne der Tagesansicht an Gott und Jenseits glaubt. So groß es selbst ist, und so groß seine Macht und Dauer ist, er wird eine größere Zeit, ein größeres Gebiet, eine größere Kraft, es zu tilgen, bereit haben. Jeder aber hat, als teilhaft in Gott inbegriffen, an dessen Werke mit zu helfen.

Mit all’ dem ist freilich die schwerste Frage nur zurückgeschoben: Woher überhaupt das Übel in der Welt, wenn es einen allgütigen, allmächtigen Gott zur Welt gibt, um so schwerer für die Tagesansicht, wenn doch nach ihr alles Übel, was in der Welt empfunden wird, von Gott in seinen Geschöpfen mit empfunden wird. Warum es nicht von Anfang herein verhindern, um es im Laufe der Zeiten erst mit Aufgebot aller Kräfte und damit doch in keiner endlichen Zeit vollständig zu tilgen?

Es gibt nur eine in sich widerspruchslose Antwort auf die Frage, die mit Gott und mit der Gott bestehen kann. Kein Wesen fügt sich selbst mit Willen Übles zu oder läßt mit Willen solches zu, es sei denn, daß sich ohne das ein größeres Übel nicht vermeiden oder ein größeres Gut nicht haben lasse. Es widerspricht nicht nur der Natur des menschlichen Willens; es widerspricht der Natur des Willens überhaupt. Also kann auch Gott das Übel weder in einem höheren noch niederen Gebiete seines Wesens mit Willen hervorgebracht oder zugelassen haben, es sei denn, daß sich solches überhaupt nicht vermeiden oder ein größeres oder höheres Gute ohne das nicht haben lasse. Und wollte man selbst im hergebrachten Sinne die Geschöpfe und mithin deren Übel außer Gott gesetzt denken, so widerspräche es nicht minder seiner Güte und Allmacht, ihr Übel an sich selbst gewollt oder zugelassen zu haben.

Also überhebt sich die Tagesansicht zweitens des Widerspruchs dadurch, daß sie die Entstehung des Übels und seiner Fortentwicklung bis zu den Grenzen, bis zu welchen es überhaupt zu gedeihen vermag, statt im Willen oder in einer willkürlichen Zulassung Gottes zu suchen, in einer Urnotwendigkeit des Seins, man nennt es eine metaphysische Notwendigkeit, sucht, vermöge deren das Sein selbst entweder überhaupt nicht sein könnte, ohne in zeitlichen Anfängen und endlichen Bezirken dem Übel zu verfallen, und in neuen Ausgeburten immer wieder zu verfallen, oder daß wenigstens das Aufsteigen zu größerem und höherem Guten nicht ohne Durchgang durch Übel geschehen könnte. Wirklich aber liegt in der Ausgleichung, Hebung, Versöhnung, Überbietung des Übels aus allgemeinen, höheren, voraussetzlich vom Diesseits in das Jenseits übergreifenden Gesichtspunkten selbst der Quell des allgemeineren, größeren, höheren Guten, von dem in der Welt zu reden ist, und an dem alles Einzelne, Endliche nach Maßgabe, als es selbst fortschreitet, seine Daseinssphäre erweitert und sich erhebt, Teil gewinnt. So notwendig aber das Übel im einen oder andern oder zugleich in beidem Sinne, so notwendig nun auch die Richtung des göttlichen Willens auf seine Hebung, Versöhnung, Überwindung.

Ich sage, das ist der einzige in sich widerspruchslose Weg, Gottes Willen wegen des Daseins des Übels in einer sei es von ihm geschaffenen oder von ihm durchdrungenen oder in ihm aufgehenden Welt, worüber der Streit hier müßig wäre, der Verantwortlichkeit zu überheben, und uns der unverbrüchlichen und ewigen Güte seines Wesens zu versichern. Hielte aber jemand doch Gottes Allmacht dadurch verkürzt, daß der Wille desselben sich gegen etwas richtet, was entweder nicht selbst durch diesen Willen da ist – obwohl es immer in Gott, durch Gott da ist, der doch nicht ganz aus oberstem Willen besteht –, oder was Gott um höherer Zwecke willen wollen oder zulassen mußte, so hätte man das Wort von Leibniz zu Herzen zu nehmen, daß, wo Gottes Güte und Allmacht in Konflikt kommen, die letztere nachzugeben habe.

Es gibt eine logische Notwendigkeit, gegen die Gottes Allmacht nichts vermag; denn er kann nicht aus zweimal zwei fünf machen und die Gültigkeit des Ludolfschen Satzes vom Verhältnis der Kreisperipherie zum Durchmesser nicht aufheben. Die logische Notwendigkeit bildet vielmehr ein Grundmoment, das der Wahrheit, seines ewigen Wesens; die metaphysische Notwendigkeit bildet ein andres Grundmoment seines Wesens, das seines Wirkens und Wollens. Wäre alles von jeher das bestmögliche, wie wir’s uns denken mögen, so könnten wir uns auch kein Wollen und Handeln, was darüber hinausstrebte und führte, mehr denken. Da aber solches besteht, so müssen wir auch das Prinzip dazu gelten lassen.

Unter allen Wundern, die es gibt, ist das größte, daß es überhaupt etwas gibt; ja wenn es nicht wirklich etwas gäbe, so würde man es für unmöglich halten, daß es etwas geben könne; denn woher, wie, durch welche Vermittlung sollte es zustande kommen. Nichts bleibt übrig, als zu sagen, es war von jeher ein, keiner äußeren Vermittlung seines Bestehens bedürfendes, durch sich selbst bestehendes, Wesen; nur wird uns dadurch nicht faßlicher, daß und wie ein solches Wesen bestehen konnte, und kein Weg des Schlusses, kein Recht der Forderung besteht für uns in dieser Hinsicht. Wir müssen Gott, um das Ur- und Allwesen der Existenz mit diesem Namen zu bezeichnen, nehmen, wie er sich uns gibt. Könnten wir Gott vorschreiben, wie er sich zu machen hatte, so möchten wir ihm wohl vorschreiben: so, daß aus ihm als Urgrund aller Existenz kein Übel in dieser Existenz hervorginge, alles darin gleich vollkommen wäre, oder vom Guten zu noch Vollkommenerem fortschritte; aber das Übel besteht, und so müssen wir rückwärts schließen, daß die Existenz des Übels mit den Urgründen der Existenz oder seiner Fortentwicklung selbst untrennbar verwachsen ist; sofern aber auch ein allgemeines Streben zur Hebung des Übels besteht und im allgemeinen Gange der Welt sich ein Erfolg dieses Strebens zeigt, haben wir nicht minder zu schließen, daß solches Streben und die Möglichkeit seines Erfolges untrennbar mit den Urgründen der Existenz und ihrer Entwicklung besteht.

Die Nachtansicht weiß die vorigen Wege der Betrachtung nicht zu gehen. Nichts würde mich hindern, an Gott zu glauben, hört’ ich jemand sagen, wenn nicht das Übel in der Welt bestände. Das sprach er und denken wohl Tausende im Sinne der Nachtansicht. Bestände Gott, so hätte er das Übel nicht zugelassen, so ließe er sich vom Übel nicht trotzen; weil Übel besteht, besteht kein Gott. Damit ist die Nachtansicht des Widerspruchs am einfachsten los. Die Welt mag versuchen, ohne Gott mit dem Übel fertig zu werden, wie sie kann, und da sie nicht damit fertig wird, so ist der Pessimismus fertig. Aber soll es doch auch für die Nachtansicht trotz alles Übels einen Gott und ein Jenseits geben, so überhebt sie sich der Widersprüche, die sie in ihren Wegen nicht bannen kann, durch größere Widersprüche. Gott hat dem Menschen aus Liebe zu ihm von vornherein frei gelassen, sich selbst gut oder böse und damit selig oder unselig zu machen, und die Welt schließt halb mit dem Himmel, halb der Hölle ab, die zu brechen Gott der Allgütige keinen Willen oder der Allmächtige keine Macht mehr hat, oder gibt es ein drittes? Zum moralischen Übel, was der erste Mensch selbst gewählt, hat Gott der Welt das physische und intellektuelle, die Guten wie Bösen damit treffend, hinzugeschenkt, dazu die Tiere, die nicht wählen können, mit Grausamkeit und Qual beschenkt; entweder wollte er mit seiner Allgüte oder konnte mit seiner Allmacht diesen Zusammenhang der Übel nicht brechen; oder gibt es ein drittes? Der rechte menschliche Vater läßt seinen Kindern aus Liebe zu ihnen und aus Liebe zum Guten Freiheit nur im Guten; nur eine beschränkte Freiheit gilt unter den Menschen und beweist sich unter den Menschen als gut, und es gibt doch eine Freiheit auch in guten Dingen; Gott aber ließ den Menschen, um es recht gut mit ihnen zu meinen, zur guten Hälfte von vornherein auch die böse Hälfte der Freiheit. Der rechte Vater schlägt nicht die guten Kinder mit den bösen, um ihnen nicht das Vertrauen in seine Gerechtigkeit zu rauben, und straft sie nicht wegen Gebrauchs einer Freiheit, die er ihnen erst gelassen. Der allgütige, gerechte Gott, den der menschliche Vater, Gesetzgeber, Richter zum Muster nehmen soll, gibt ihnen in alledem ein andres BeispielWeitere Ausführungen über die Freiheitsfrage im 16. Abschnitt..

Auch in betreff des Übels ist die Tagesansicht nur die Aufhebung einer früheren Weltan-sicht in eine zweite. Nach den Heiden sind die Götter noch mit menschlichen Schwächen und Fehlern behaftet; die heutige Ansicht mißt Gott eine abstruse Vollkommenheit, erhaben über alle Schwächen und Fehler, bei; die Tagesansicht hebt die notwendigen Fehler und Schwä-chen der Endlichkeit zugleich mit dem Trachten nach ihrer Versöhnung und Hebung in Gott auf, erkennt aber im höchsten Gebiete seines Wesens die ungetrübteste Vollkommenheit an.


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