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Soviel Negationen und Widersprüche in der Nachtansicht zusammen- und von ihr auslaufen, soviel Positionen in und von der Tagesansicht aus. Ist beides wahr, daß die sinnliche Erscheinung über uns hinaus nicht bloßer Schein, sondern objektiv durch die Welt ausgebreitet ist, und daß sie in einem einheitlichen Bewußtsein sich zusammenschließt und gipfelt, so ist auch noch andres damit wahr. Hat doch der menschliche Geist an sinnlicher Erscheinung und Zusammenschluß derselben in einem einheitlichen Bewußtsein nicht genug; vielmehr welcher Stufenbau geistigen Lebens schiebt sich dazwischen ein; wieviel weniger kann der göttliche Geist daran genug haben, nachdem er in seiner Weite und Höhe den menschlichen selbst einschließt; denn das ist zu den beiden vorigen Hauptwahrheiten die dritte. Indem unser ganzes Sinnesleben vom allgemeinen übergriffen ist, ist es doch nicht aus seinem Zusammenhange herausgefallen, und so ist auch unsre Bewußtseinshöhe von der allgemeinen nur überstiegen, ohne daraus herausgefallen zu sein, unser ganzes bewußtes Leben also im allgemeinen mit beschlossen. Mit jedem Versuch, es anders zu fassen, durchlöchert, zerbricht oder entteert man den Geist der Welt, der zugleich die Welt des Geistes, aber in einheitlicher Zusammenfassung ist, und zerreißt den Faden natürlicher Betrachtung. Wie der Körper des Menschen Teilwesen der ganzen äußerlich erscheinenden materiellen Welt ist, so der zu diesem Körper gehörige, sich selbst innerlich erscheinende, Geist des Menschen Teilwesen des nicht minder sich selbst erscheinenden geistigen Wesens, was zum Weltganzen gehört, und die Einheit des menschlichen Geistes nur ein untergeordneter Bruchwert der Einheit des göttlichen Geistes.
Auch erfüllt sich im Grunde damit nur das schöne Wort, dem die, die es so gern gebrauchen, doch keine Folge geben, zur folgenreichen Wahrheit: daß wir in Gott leben und weben und sind und er in uns, und daß er um alle unsre Gedanken weiß wie wir selber. Kann das auch wohl ein Geist dem andern äußerlich gegebenüber?
Schon meinte man, mit dem einigen Gott über das Heidentum hinaus zu sein; doch läßt man die Menschengeister als kleine Götzen neben Gott bestehen, unbekümmert, daß neben einem unendlichen Geiste kein Raum mehr für endliche Geister bleibt. Abgefallene Geister bevölkern unter Gott die Hölle, endlich hat man es gar umgekehrt, und statt den menschlichen Geist im Verhältnis der Ein- und Unterordnung zum göttlichen zu denken, vergöttert man den menschlichen, indem man den göttlichen zu einer Illusion im menschlichen macht.
Wohl hat es einen berühmten Philosophen und Theologen gegeben, der das Wesen der Religion in das Gefühl der Abhängigkeit von Gott setzte, und doch Gott über uns hinausstellte als ein Wesen, von dem der Mensch nichts wahrhaft wissen kann, als daß es einig, unendlich, ewig ist. Wie aber kann ein inniges, warmes, herzliches, wirksames Gefühl der Abhängigkeit von einem Wesen zustande kommen, von dem man nichts weiß, als daß es Eigenschaften hat, die wir nicht haben, und zu dem keine Brücke des Verständnisses führt. Wie ganz anders aber gestaltet sich das Gefühl der Abhängigkeit von Gott, wenn wir uns als wissende und wirkende, doch immer seinem höheren Wissen und Wirken untergeordnet bleibende Momente in Gott erkennen und fühlen. Damit aber, daß wir wissen, wir sind etwas in ihm, wissen wir auch etwas von ihm, und an dieses Wissen weiß sich andres zu knüpfen.
Als wesentliche, sich wechselseits fordernde, bedingende und haltende Momente oder als Grundpunkte der Tagesansicht, worauf alle Entwicklung derselben zu fußen hat, und wo zwischen sie sich zu halten hat, betrachte ich hiernach die Ausbreitung der sinnlichen Erscheinung durch die Welt über die Geschöpfe hinaus, den Zusammenhang und Abschluß derselben in einer höchsten bewußten Einheit und den dazwischen vermittelnden Gesichtspunkt, daß unser eignes Bewußtsein dem ganzen, d. i. göttlichen, Bewußtsein zugleich ein- und untertan ist.
Hiergegen betrachte ich als im Grunde ebenso verbindlich zusammenhängende Momente der Nachtansicht — nur daß sie sich dieses Zusammenhanges nicht leicht klar bewußt wird: die Nacht der sinnlichen Erscheinung über Menschen und Tiere hinaus, die Überhebung Gottes, falls noch an Gott geglaubt wird, über die sinnlich erscheinende und geschöpfliche Welt, und die äußerliche Gegenüberstellung des Menschen gegen Gott oder gar Überhebung des Menschen über Gott als einer bloß menschlichen Idee. Mit der Nacht der sinnlichen Erscheinung über Menschen und Tiere hinaus hängt dann das begriffliche Getriebe zusammen, was sich in diese Nacht einzubohren, ja sie zu durchbohren sucht, um damit hinter das Wesen der Dinge zu kommen; es ist ein Suchen des Grundes des Spiegelbildes hinter dem Spiegel.
Die Tagesansicht ist nicht eine unter andern Ansichten, sondern steht mit ihrem positiven Ausgangspunkt, Inhalt und Abschluß als eine allen gegenüber, die sich in der Nachtansicht als der gemeinsamen Wurzel von Negationen und Widersprüchen begegnen. Ebensowenig ist die Nachtansicht eine unter andern Ansichten; sie ist überhaupt weder eine einheitliche noch positive Ansicht; man kann sie nur mit einem Namen nennen, als wenn sie eine Sache wäre, wie man von einem Geiste, der verneint, Gott gegenüber spricht; indes es als einen und Einigenden bloß den positiven Gott gibt. Auch treffen die obigen Grundpunkte der Nachtansicht, obschon im Wesen zusammenhängend, nichts weniger als überall zusammen; da sich ihre unerbaulichen Konsequenzen nur durch Inkonsequenzen heben, wie Schulden ohne Vermögen nur durch Schulden, die Wachsen, statt abzunehmen, bezahlen lassen. Ganz ohne Gesichtspunkte der Tagesansicht geht es etwa nur bei den krassesten Materialisten und Sozialdemokraten.