Gustav Theodor Fechner
Die Tagesansicht gegenüber der Nachtansicht
Gustav Theodor Fechner

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XV. Die Weltfragen der Lust und Unlust. Optimismus und Pessimismus.

(Allgemeineres , Glaubenssätze in bezug auf Lust und Unlust. Christliches. Persönliches.)

1. Allgemeinere Gesichtspunkte.

Gern vergleicht man Unbewußtsein, Tod mit Dunkel, Finsternis, Nacht; hingegen Bewußtsein, Leben mit Helligkeit, Licht, Tag; auch braucht man denselben Vergleich gern für den Gegensatz des Bösen, Schlimmen, und des Guten, spricht in diesem Sinne von einer Schattenseite oder Nachtseite und einer Lichtseite der Dinge. Und so sieht der in erster Beziehung schwarzsehende Nachtphilosoph leicht auch in zweiter Beziehung schwarz. Die Welt ist ihm eine in der Hauptsache finstre und zugleich in der Hauptsache schlechte; er ist grundsätzlich Pessimist; und wenn er es nicht ist, so ist es weil er vieles nicht ist, was in seiner Konsequenz läge zu sein. Der Tagesphilosoph möchte seinerseits gern alles hell sehen, kann es freilich nicht so wie er möchte, kann mit aller seiner Philosophie das Übel in der Welt nicht leugnen, noch daraus wegbringen; aber er wird sich doch hüten, das Auge für das Licht, den Tag zu verschließen oder halb dagegen zuzudrücken, um es nur für die Finsternis, die Nacht, die Schatten offen zu halten, und wird sich schließlich damit getrösten, daß er die Tendenzen und im Sinne derselben wirkenden Kräfte des Weltganges im ganzen vielmehr von der Nacht zum Lichte als im umgekehrten Sinne gerichtet findet, und dazu den Glauben an den Erfolg dieser Richtung selbst zum Erfolge beitragend findet. Denn ein pessimistischer Glaube trägt ja nur bei, die Welt traurig zu machen, zu verdüstern und zu verschlechtern; der Glaube hingegen, daß das Streben zum Besseren es auch zu etwas bringt, sie zu erfreuen, zu trösten, zu bessern. Mit diesem Optimismus tritt die Tagesansicht dem Pessimismus der Nachtansicht gegenüber, hier, wie überall in diesen Dingen, dem negativen Glauben derselben gegenüber mit einem positiven abschließend. Nun aber gilt es auch, diesen Glauben zu stützen; und fangen wir klarheitshalber dazu mit einigen Begriffsbestimmungen an.

Abgesehen von Dogmatikern, die sich die Begriffe nach ihren Dogmen zurechtlegen und sogar seitens dieser Dogmatiker selbst beim wirklichen Begriffsgebrauche heißt etwas überall besser oder schlechter nach Maßgabe, als es geeigneter ist, mit Rücksicht auf seine Folgen den Glückszustand der Welt zu erhalten, zu fördern, oder gegenteils zu schädigen, zu zerstören; und selbst die Moral und Religion des einen Volles wird danach der des andern vorgezogen. Die Begriffe Glück und Unglück aber sind schließlich abhängig von den Begriffen Lust und Unlust; man muß nur, um nicht niedrigen und engen Gesichtspunkten im Begriffsgebrauche zu verfallen, beides, Lust und Unlust, soweit fassen, daß mit der sinnlichsten die höchste geistige Lust und Unlust darunter tritt, wonach auch die Seligkeit des guten Gewissens und Pein des bösen Gewissens noch Lust und Unlust sind. Es kommt aber bei der Frage nach der Güte nicht bloß auf die Gegenwart der Lust und Unlust, sondern auch auf die Folgen an, und so ist eine schlechte Lust die, welche der Welt nach allgemeinen Prinzipien mehr von Unlust in den Folgen einträgt, als sie gegenwärtig selbst beträgt, wie das von jeder unsittlichen Lust gilt, indes die Strafe des Bösen trotz der Unlust, die sie dem Bösen erweckt, gut ist, nach der Voraussetzung, daß dadurch größerer Unlust in der Welt gewehrt wird, als sie selbst beträgt; ja das Prinzip der Gerechtigkeit selbst kann hierauf gegründet werden. Diese begrifflichen Vorerörterungen müssen hier betreffs der Beziehung von Lust und Unlust zu Gut und Böse genügenEingehender hiervon im Schriftchen "Über das höchste Gut", und im 2. Abschnitt der "Vorschule der Ästhetik". Die vielfach gehegte Scheu, den Begriff des Guten und Bösen vom Begriffe der Lust und Unlust abhängig zu machen, hängt teils an einer zu niedrigen und engen Fassung des Lust- und Unlustbegriffes, teils daran, daß man beim Maße der Güte und seines Gegenteils die Lust- und Unlustfolgen nicht in erforderliche Rücksicht zieht, womit man in theoretische und praktische Irrwege gerät..

Allgemein sprechen wir von einer verschiedenen Art der Lust und Unlust, je nachdem sie sich an verschiedenartige Bestimmungen oder Verhältnisse unsrer Seele, als wie sinnliche Empfindungen, Vorstellungen, Gedanken oder deren Verhältnisse knüpft. Indem nämlich Lust oder Unluft verschiedenartige Seelenbestimmungen lust- oder unlustvoll macht, empfängt sie selbst zugleich eine gegenteilige Bestimmtheit dadurch, und nennen wir sie selbst verschiedengeartet. Insofern sich aber viele. Bestimmungen unsrer Seele nur durch die Art ihres Ursprungs bezeichnen lassen, gilt dies auch von der daran geknüpften Lust und Unlust; und fällt die Artbezeichnung der Lust und Unlust großenteils mit der Beziehung ihres Ursprungs zusammen, wonach wir z. B. die Lust des Wohlgeschmackes anders geartet als die des Wohlgeruches, die Lust beim Anschauen eines schönes Gemäldes anders geartet als die beim Anhören einer schönen Musik finden.

Im allgemeinen mißt man der Lust und Unlust einen um so niedrigeren Charakter bei, je mehr sie auf einfacher Erregung der Sinne, einfachen Wahrnehmungen, Vorstellungen überhaupt beruht, einen um so höheren, je mehr sie auf Auffassung von Beziehungen, Verhältnissen, Verknüpfungen oder der Betätigung des Geistes in solchen beruht und auf je höhere Stufe dieselben steigen. Im gewöhnlichen Leben freilich wird auch oft Höhe mit Stärke von Lust verwechselt.

Lust und Unlust unterliegen nämlich nicht bloß einer qualitativen Mitbestimmtheit, sondern auch quantitativen eignen Bestimmtheit. So schwierig es nun auch erscheinen mag, die eine Lust mit einer andern oder die eine Unlust mit einer andern quantitativ zu vergleichen und die quantitativen Verhältnisse von Lust und Unlust überhaupt auf klare Bestimmungen zu bringen, geht man doch tatsächlich überall auf Schätzungen der Art ein, sagt z. B., daß uns dies oder das mehr oder weniger Lust oder Unlust als etwas andres gewähre; und so ziemlich die ganze Praxis des Lebens hängt daran, sofern man überall das mehr Lust gebende oder mehr Lust versprechende, weniger Unlust gebende oder versprechende vorzieht und herzustellen sucht. Also läßt sich auch weder theoretisch noch praktisch ohne Bezugnahme auf quantitative Verhältnisse von Lust und Unlust auskommen; und so mag wenigstens versucht werden, soviel zur Bestimmtheit und Klarheit hierüber zu sagen, als sich nun eben sagen läßt.

Man kann einen intensiven und extensiven Maßstab der Lust und Unlust oder Maßstab der intensiven und extensiven Lust und Unlust unterscheiden, ersteren nach dem Grade, der Stärke oder Intensität der Lust und Unlust, letzteren nach der Zeit, durch welche sie sich erstreckt und der Zahl der Individuen, durch die sie sich ausbreitet. Ihre Gesamtgröße, insofern davon zu sprechen, ist ein Produkt aus beiden.

Die Unterscheidung der Lust und Unlust im Sinne des ersten Maßstabes, nach dem Grade, der Stärke oder Intensität kann unmittelbar durch innere Vergleichung der Gefühle selbst geschehen, indem man sich bewußt werden kann, ob man eines oder andern Falles stärkere oder schwächere Lust gehabt habe; ohne daß freilich diese Schätzung sehr scharf und sicher ist, sofern sie nur mittelst einer mehr oder weniger unsicheren Erinnerung vollzogen werden kann. Zu diesem subjektiven Maßstabe durch innere Vergleichung der eignen Gefühle aber tritt ein, freilich noch größerer Unsicherheit unterliegender, objektiver teils nach direkter Äußerung des Gefühles durch Rede und Mienen, teils nach Bevorzugung dieser oder jener Lust und dem größeren oder geringeren Aufwande von Tätigkeit oder Mitteln, der zur Erlangung derselben gemacht wird. Ungeachtet ihrer Unsicherheit können wir doch beide Maßstäbe theoretisch wie praktisch nicht entbehren; und müssen nur streben, teils die Unsicherheit im einzelnen Falle auf das Kleinstmögliche zu reduzieren, teils im Durchschnitt oder ganzen zutreffende Bestimmungen zu gewinnen.

Im allgemeinen ist es viel leichter, Lust gleicher Art und Höhe als verschiedener Art und Höhe ihrer Stärke nach zu vergleichen, z. B. leichter zu sagen, ob uns ein Gericht besser schmeckt, als ein andres, als zu sagen, ob uns ein Gericht besser schmeckt, als eine Blume riecht, leichter zu sagen, ob uns ein Gemälde mehr gefällt als ein andres, als ob uns ein Gemälde mehr gefällt als ein Musikstück, leichter auch sinnliche Lust untereinander, sowie höhere geistige Lust untereinander der Stärke nach zu vergleichen als sinnliche Lust mit höherer Lust. Ja man könnte vielleicht meinen, der Art oder Höhe nach verschiedene Lust sei gar nicht quantitativ, sondern eben nur nach Art oder Höhe vergleichbar.

Inzwischen verhält es sich in dieser Hinsicht mit dem Vergleiche der Stärke von Lust verschiedener Art oder Höhe ganz ebenso wie mit dem Vergleiche der Helligkeit verschiedener Farben oder der Stärke verschiedener Töne. Während wir selbst bei einem sehr kleinen Helligkeitsunterschiede zweier benachbarter gleichartiger Flächen mit Sicherheit anzugeben wissen, welche von beiden heller als die andre sei, und ebenso bei gleich hohen Tönen mit verhältnismäßiger Sicherheit anzugeben wissen, welcher stärker oder lauter klinge, wird das Urteil in dieser Hinsicht sehr schwierig, wenn die Farben von ungleicher Beschaffenheit, die Töne von ungleicher Höhe sind. Aber es reicht hin, daß Blau viel heller oder dunkler als Rot, ein hoher Ton viel stärker oder Schwächer als ein tiefer sei, so wird die Unterscheidung der Stärke unzweifelhaft.

Denn niemand zweifelt doch, ein Blau, was sehr deutlich sichtbar ist, heller zu nennen, als ein Rot, was nur eben erkennbar aus dem Dunkel hervorbricht, oder einen kaum hörbaren tiefen Ton schwächer zu nennen, als einen lauten hohen. Hiernach zieht auch mancher ein wohlschmeckendes Gericht einem Kunstgenusse, ein andrer umgekehrt entschieden vor, je nachdem ihm dieses oder jenes entschieden mehr Lust gewährt; und da die Lust an jeder Art des Genusses sich durch dessen Dauer zeitweise erschöpft, kommt bald diese bald jene Art der Lust ins Übergewicht der Stärke.

Mit der bisher betrachteten Schätzung eines Mehr und Weniger im Grade oder der Stärke der Lust und Unlust ist noch kein eigentliches Maß derselben gegeben, welches voraussetzen würde, daß sich nicht bloß angeben lasse, ob die eine Lust oder Unlust überhaupt stärker als die andre sei, sondern wieviel mal so stark die eine als die andre sei, oder welches Verhältnis der Stärke eine gegebene Lust oder Unlust zu einem beliebigen als Einheit zugrunde gelegten Stärkegrade der Lust oder Unlust hat. An einem solchen Maße mehr von theoretischem als praktischen Interesse fehlt es bis jetzt noch für Lust und Unlust; doch ist von den Fortschritten der Psychophysik zu hoffen, nachdem sich durch dieselbe ein sehr allgemeines Maßprinzip für die Empfindung hat finden lassen, daß sich auch die Ausdehnung desselben auf Lust und Unlust noch werde finden lassen, ohne daß freilich bisher klare Gesichtspunkte in dieser Beziehung schon vorliegen; daher hier zwar der Begriff einer quantitativen Verhältnisbestimmtheit zwischen verschiedenen Stärkegraden der Lust und Unlust im allgemeinen festgehalten, auf nähere Erörterungen über solche Bestimmtheit aber nicht eingegangen werden kann. Auch hat für die meisten der im folgenden zu behandelnden Fragen nicht sowohl das eigentliche Vergleichsmaß von Lust oder Unlust, als eben nur die Schätzung, ob Mehr oder Weniger, ob Wachstum oder Abnahme, Interesse.

Schwierigkeiten gleicher Art, als dem quantitativen Vergleiche der Lust wie der Unlust für sich entgegenstehen, treten ein, wenn Lust mit Unlust quantitativ verglichen werden soll. Insofern wir uns aber nicht bedenken, eine kleine Unlust in den Kauf zu nehmen, wenn sie uns eine große Lust einträgt, überhaupt Lust und Unlust der Erfolge bei unsern Plänen gegeneinander abwägen, und nicht selten zwischen Äquivalenten beider schwanken, muß sich doch Lust auch mit Unlust quantitativ vergleichen lassen; und wir werden, allgemein gesprochen, da Äquivalente von Lust und Unlust zu sehen haben, wo gleichstarke Antriebe in entgegengesetztem Sinne davon abhängen, welche Antriebe ihrerseits nach ihren Wirkungen zu bemessen sind.

Vermehrung der Lust kann überhaupt mit Verminderung der Unlust und Verminderung der Lust mit Vermehrung der Unlust aus folgenden Gesichtspunkten als äquivalent angesehen werden.

Der bewußte Trieb geht ebensowohl im Sinne der Vermehrung der Lust als Verminderung der Unlust und ebensowohl wider die Verminderung der Lust als Vermehrung der Unlust. Die Vorstellungen, daß uns Vermehrung der Lust begegne und daß uns Verminderung der Unlust begegne, sind beide lustvoll, die Vorstellungen, daß uns Verminderung der Lust begegne und daß uns Vermehrung der Unlust begegne, sind beide unlustvoll. Hiernach braucht man Bestimmungen und Gesetze, die für beide Äquivalente gemeinsam gelten, doch bloß bezüglich des einen auszusprechen.

Unmittelbar einleuchtender als daß es ein intensives Maß der Lust und Unlust gibt, läßt sich machen, daß es ein extensives gibt, sofern selbstverständlich eine Lust von doppelter Dauer doppelt so groß ist als die durchschnittliche oder sich gleichbleibende von einfacher Dauer, die Lust einer doppelt so großen Anzahl von Menschen im ganzen doppelt so groß als die durchschnittliche oder gleichgroße der einfachen Anzahl.

So wird man sagen können, daß 6 Äpfel an 6 Kinder verteilt, imstande sind, 6 mal soviel Lust zu erzeugen, als ein einziger Apfel, einem einzigen zugeteilt, – daß, wenn eine Volksmenge aus m Individuen einem vergnüglichen Schauspiel zusieht, und jeder die gleiche Lust daran haben sollte, die Gesamtlust derselben m mal so groß als die Lust jedes einzelnen sei; und da man von einem Mehr und Weniger der Lust sprechen kann, so muß man auch von gleicher Lust sprechen können. Ist aber die Lust ungleich zwischen den m Personen verteilt, wie es im allgemeinen der Fall der Wirklichkeit ist, so wird die Gesamtlust m mal so groß sein, als die durchschnittliche Lust jedes einzelnen; wobei allerdings zur Ziehung des Durchschnittes schon das intensive Maß vorausgesetzt wird. Hiernach aber werden sich alle Operationen, die sich mit Maßzahlen vornehmen lassen, auch mit den Extensionsmaßzahlen der Lust und Unlust vornehmen lassen.

Mit Rücksicht auf vorige Bestimmungen lassen sich folgende sehr allgemeine Fragen aufwerfen, die ich die Weltfragen der Lust und Unlust nenne, und die, selbst abgesehen von der Bezugssetzung der Begriffe der Lust und Unlust zu denen des Guten und Schlimmen, ihr Interesse behalten, nur ohne diese Bezugsetzung ihren Zusammenhang mit den Interessen, die durch die Begriffskreise des Guten und Schlimmen vertreten werden, nicht erkennen lassen würden. Kurz gesagt sind es die allgemeinsten Fragen nach der Lust- und Unlustökonomie in der Welt; und es dürften damit zugleich die Fragen, um die sich’s überhaupt beim Streite zwischen Pessimismus und Optimismus handeln kann, etwas genauer formuliert sein, als man zu finden pflegt.

l. Sind die Grundbedingungen der Lust und Unlust der Art, daß die Summe der Lust (als Produkt aus Intensität und Extensität) im ganzen der Zeit und des Raumes gleich der Summe der Unlust ist, oder überwiegt die eine Summe im ganzen genommen über die andre. Kurz: fordern sich im ganzen Äquivalente der Lust und Unlust; im Falle aber nicht, was überwiegt?

2. Bleibt unter Voraussetzung, daß die Summe der Lust wie Unlust mit der Zeit veränderlich ist, nicht doch das Verhältnis beider konstant, oder wächst die eine progressiv in stärkerem Verhältnisse als die andre, oder endlich findet ein wechselndes Sinken und Steigen der einen gegen die andre in der Art statt, daß sich periodisch die Gleichheit oder ein gewisses Verhältnis ihrer Quanta immer von neuem wiederherstellt.

3. Vollzieht sich dasselbe Verhältnis der Lust und Unlust, welches im ganzen der Zeit und des Raumes besteht, auch für jedes einzelne Geschöpf unter Voraussetzung einer Überdauer der Seele nach dem Tode; oder bleibt ein Teil der Geschöpfe im ganzen im Nachteil oder Vorteil gegen den andern.

4. Welches ist der Anfangszustand und welches der Definitivzustand der Welt im ganzen und der einzelnen insbesondere betreffs ihres Lust- und Unlustzustandes; oder, insofern von einem Anfangs- und Endzustande bei einer Welt ohne Anfang und Ende nicht zu sprechen, welchem Zustande ist dieselbe um so genäherter zu denken, je weiter man ihre Zustände in der Zeit rückwärts oder vorwärts verfolgt.

Als die fundamentalste unter den vorigen Fragen hat jedenfalls die erste zu gelten, sofern durch ihre Beantwortung die Antwort auf die übrigen schon mehr oder weniger präjudiziert, ja zum Teil schon mitgegeben wird. Und gewiß ist es eine Frage von hohem Interesse; denn, sollte sich zeigen, daß im ganzen der Zeit und des Raumes nicht mehr Lust als Unlust sein kann, so würde eine Zeit nur auf Kosten der andern, ein Mensch nur auf Kosten andrer Menschen oder einer andern Zeit seines eignen Lebens glücklich sein können. Die ewige Seligkeit selbst könnte nur das Äquivalent für eine gleichgroße Hölle der Verdammten oder einen nach rückwärts gleich ewigen Zustand der Unseligkeit sein. Sollte aber gar notwendig mehr Unlust als Lust im ganzen sein, so wäre jede Lust, jedes Glück in der Welt zu beklagen, weil es nach dieser Notwendigkeit durch mehr Unlust, Unglück aufgewogen werden müßte, und es wäre besser gewesen, wenn eine so schlimme Welt überhaupt nicht existierte, wie das auch in der Tat die Ansicht des Pessimismus ist.

Unstreitig nun werden viele geneigt sein, diese Frage nach ihren Wünschen oder nach religiösen Vorbegriffen zu entscheiden, ohne es doch damit über eine subjektive Entscheidung hinaus zu bringen. Denn käme es bloß auf das Wünschen des Menschen an, so möchte er das Übel überhaupt aus der Welt wegwünschen, und da doch Übel faktisch besteht, so könnte auch eine unerwünschte Antwort auf die erste Weltfrage zu den Übeln gehören, die er hinnehmen muß. Und hat Gott einmal Unlust der Lust gegenüber in der Welt zugelassen, ohne daß wir den Grund davon recht verstehen, wer will ihm die Abwägung beider vorschreiben; ja wer mag entscheiden, da selbst Gott nicht aus zweimal zwei fünf machen kann, ob nicht eine gleich starke metaphysische Unmöglichkeit, Lust ohne gleichviel Unlust hervorzubringen, besteht, was übrigens Gott nicht hindern würde, die ewige Lust dem Guten, die ewige Unlust dem Bösen als endlichen Entgelt zuzuerteilen. Und das mag manchem Theologen genügen, sich sogar eine notwendige Äquivalenz der Lust und Unlust im ganzen gefallen zu lassen, indes es einem andern noch nicht genügen mag, der allen seinen Mitmenschen die schließliche Seligkeit wünscht. Und so wird man wohl Anlaß zum Streite, aber keine Entscheidung auf diesem Wege finden.

Ein Philosoph mag leicht auf Gesichtspunkten folgender Art zugunsten der notwendigen Äquivalenz von Lust und Unlust fußen. Lust und Unlust stehen im Gegensatze; überall aber fordert sich Gegensätzliches in Äquivalenten. So die positive und negative Zahlenreihe, die positive und negative Elektrizität, die Möglichkeit der Bewegung in einer Richtung und der gleich großen Bewegung in entgegengesetzter Richtung. Ja, wenn man sich die Welt aus einem Indifferenzzustande hervorgegangen denkt, so konnte sie gar nicht anders hervorgehen und kann nicht anders bestehen, als so, daß Gegensätzliches, darunter Lust und Unlust, in Äquivalenten auseinander trat und ewig in Äquivalenten fortbesteht.

Und gewiß, wenn die Voraussetzung eines indifferenten Urzustandes der Welt richtig wäre, so möchte auch die Folgerung richtig sein. Aber wäre die Voraussetzung wirklich richtig, so wäre wohl nie eine wirkliche Welt hervorgegangen. Ist sie nicht vielmehr dadurch hervorgegangen, daß von den gleich denkbaren gegensätzlichen Faktoren der eine, den wir den positiven nennen mögen, von vornherein in wirklichem Übergewicht gegen den andern war und ewig bleibt, und nur zeitlich und örtlich eine Verminderung oder einen Rückschritt, aber keine totale Aufhebung durch den andern erfährt. Freilich gibt es soviele negative als positive Zahlen dem Begriffe nach, aber es werden doch faktisch nicht ebenso viele gezählt; die addierten Zahlen sind in ungeheuerem Übergewicht gegen die subtrahierten, und es gibt unsäglich weniger Schulden als positives Vermögen. Freilich kann zu jeder Bewegung auch eine mit gleicher Größe in entgegengesetzter Richtung vorgehende gedacht werden, aber trotz dieser gleichen Denkbarkeit kreisen alle Planeten in derselben Richtung, nennen wir sie rechts, um sich selbst und um die Sonne, und alle Teile der Planeten nehmen teil an dieser Bewegung, indem sie dieselbe nur örtlich durch ihre eigne Bewegung ein wenig teils vermindern, teils verstärken. Nun hat freilich wirklich jeder Planet in der einen Hälfte seines Umlaufes um die Sonne die entgegengesetzte Richtung als in der andern; aber wer will behaupten, daß der Gegensatz von Lust und Unlust vielmehr mit dieser als jener Art von gegensätzlicher Bewegung vergleichbar sei. Jede Entwicklung ferner kann freilich, hat sie einmal angehoben, ebensogut rückwärts als vorwärts im Denken verfolgt werden; doch entwickelt sich die Welt im ganzen und großen immer in derselben Richtung weiter, und kehrt nie ein Kind wieder in den Mutterleib, die Pflanze in den Samen, ein Volk in seinen Urzustand zurück, wennschon partielle Rückschritte nicht fehlen. Der Vergleich der Lust und Unlust mit positiver und negativer Elektrizität aber trifft auch sonst in den fundamentalsten Gesichtspunkten nicht, warum sollte er betreffs der Äquivalenz treffen. So kann ein Körper nicht positiv elektrisch werden, ohne daß ein andrer in seiner unmittelbaren Nachbarschaft negativ elektrisch wird, oder doch an positiver Elektrizität verliert. Hingegen kann ein Mensch glücklich werden, ohne daß sein Nachbar deshalb unglücklich wird; ja er kann glücklich machen, indem er selbst dadurch an Lust gewinnt, und ohne daß ein nachweisbares Unglück für noch Weiterstehende daraus folgt. Sollte es dennoch nach einer verborgenen Beziehung sein, so kann es wenigstens nicht nach Analogie mit der Elektrizität vorausgesetzt werden.

Abgesehen von aller Analogie mag man behaupten wollen, daß wir Lust überhaupt bloß nach Maßgabe ihres Kontrastes mit Unlust empfinden können; und es ist wahr, je länger schlechtes Wetter war, desto mehr erfreuen wir uns des guten Wetters; je mehr uns der Hunger plagte, desto mehr Genuß gewährt uns die Stillung desselben. Jeder Lustquell stumpft sich überhaupt durch die Dauer ab, und durch zwischeneinfallende Unlust wird die Empfänglichkeit dafür wieder gesteigert. Aber damit ist noch nicht bewiesen, daß Lust überhaupt bloß im Gegensatze und nach Maßgabe des Gegensatzes gegen Unlust entstehen könne; und schon Plato unterschied eine so entstandene und eine selbständig entstandene Lust. Es kann uns etwas wohlschmecken, ohne daß uns etwas übel geschmeckt hat, ein Kunstwerk gefallen ohne Rücksicht, daß uns ein andres mißfällt; und wohl mancher kann von einer Zeit sprechen, wo er sich im ganzen immer oder doch sehr überwiegend glücklich befunden hat.

Endlich kann man die fundamentale Äquivalenz der Lust und Unlust vielleicht auf eine psychophysische Hypothese begründen wollen. Gesetzt z. B. es knüpfe sich Lust an Wachstum, Unlust und Abnahme der lebendigen Kraft von Bewegung – eine Hypothese, die neuerdings wirklich aufgestellt worden ist –, so würde sich nach dem bekannten Gesetze der Erhaltung der Kraft in der Tat Lust und Unlust im ganzen der Zeit und des Raumes kompensieren, und selbst durch entfernte Beziehungen die Lust an einem Orte und in einer Zeit mit der Unlust an andern Orten und in andrer Zeit zusammenhängen. Aber meines Erachtens widerspricht die Erfahrung dieser Hypothese. Mit Annäherung an den Schlaf sinkt die lebendige Kraft einschließlich der psychophysischen des ganzen Körpers, doch bringt das Einschlafen keine Unlust; und die heftigste leidenschaftliche Erregung kann ebensowohl unlustvoll als lustvoll sein. Auch steht eine andre Hypothese zu Gebote, die keinen gleichen Widersprüchen in der Erfahrung begegnet, und zu ganz andern Resultaten führt (Abschn. XVIII); aber lassen wir hier psychophysische Hypothesen überhaupt beiseite.

Mit allen vorigen allgemeinen Betrachtungen bleibt also die erste Hauptfrage und mit ihr die übrigen noch unentschieden. Nun kann man die Entscheidung auf dem Wege der Erfahrung suchen; nur ist die erfahrungsmäßige Abwägung der Lust und Unlust in der Welt Sache einer mehr oder weniger unbestimmten und subjektiven Schätzung, die ein sehr verschiedenes Resultat geben kann, je nachdem man sein Augenmerk mehr auf die Licht- oder Schattenseiten der Welt richtet, und die gegeneinander zu wägenden Gewichte abschätzt. Hartmann hat mit an sich anerkennenswertem Scharfsinn, werkwürdiger Liebe und erschreckender Vollständigkeit alles zusammengestellt, was die Welt faktisch als eine Schlechte, die Unlust von jeher und noch heute in Übergewicht gegen die Lust erscheinen läßt. Und wenn man auf das massenhafte Elend ganzer Volksklassen, das massenhafte Unglück der Kriege, Hungerjahre und Seuchen, die massenhaften Grausamkeiten der Natur im täglichen Kampfe der Geschöpfe um das Dasein, die tausendfachen Angriffspunkte welche Körper und Seele jedes einzelnen den Leiden bieten, blickt, dabei ins Auge faßt, daß uns ein körperlicher oder geistiger Schmerz Tage, Wochen, Monate, Jahre durch plagen kann, sich nicht abstumpfen will, indes sich jede Lust bald abstumpft, um so rascher, je größer sie ist, wir jedes Quelles der Lust endlich überdrüssig werden, indes ein Schmerz uns sozusagen nicht überdrüssig wird; wenn man das alles auf einen Haufen legt, und die Lust nur als etwas Beiläufiges und Illusorisches darum und daran erscheinen will, wie sollte man den Pessimismus nicht im Rechte finden. Aber es gibt auch Gegenbetrachtungen anzustellen.

Würde wohl die Lust zu leben im ganzen überwiegen, wenn nicht die Lust am Leben im ganzen überwöge? Ich selbst zwar kann mich der Tatsache nicht entziehen, daß sich die Unlust in größeren Massen aufdringlicher für die Aufmerksamkeit zusammenhäuft, als die Lust; aber sollte selbst der Mensch für jeden ganzen Taler Lust, den er einnimmt, eine ganze Talerrolle Unlust in den Kauf nehmen müssen, so wäre es eine falsche Rechnung, bloß die Taler und Talerrollen gegeneinander zu rechnen, wenn dem Menschen der Minuten-, Stunden-, Tageslohn seines Lebens zumeist in Lustgroschen und Lustpfennigen ausgezahlt wird. Ist es aber nicht wirklich so?

Stellen wir uns einmal die Größe der Lust, wie der Unlust an den verschiedenen Orten der Welt, jene durch eine rote, diese durch eine schwarze Höhenlinie (Ordinate) über einer Niveauebene vor; so werden wir große schwarze Gebirgszüge verhältnismäßig sparsamen und zerstreuten roten Gebirgen gegenüber erblicken und leicht geneigt sein können, die schwarzen Höhen im Übergewicht gegen die roten zu halten; aber das Land zwischen den Gebirgen wird bei geringer Erhebung über die Niveauebene doch in überwiegender Ausdehnung rot sein können, und die Summe der roten Höhen doch der Summe der Schwarzen gleichkommen oder sie selbst noch überbieten können. In der Tat gehört es zu den vielen Punkten, in denen Unlust und Lust nicht das Verhältnis eines einfachen Gegensatzes einhalten, daß die Lustverteilung eine ganz andre ist, als die Unlustverteilung, und ohne Rücksicht darauf kann man kein richtiges Resultat gewinnen.

Zu dieser Rücksicht gehört vor allem, daß, wenn schon Unlustquellen sich bei kontinuierlicher Einwirkung nicht so leicht abstumpfen als Lustquellen, daher uns viel nachhaltiger plagen können, dies sich dadurch kompensiert, daß Lustquellen nach mäßigem Genusse und mäßiger Zwischenzeit mit immer neuer Wirkung erneuert werden können und, weil wir die Lust suchen, wirklich möglichst oft erneuert werden, indes kontinuierliche Unlustquellen uns nur wider unsern Willen und darum verhältnismäßig seltener begegnen können, weil wir eben alles mögliche tun, sie zu vermeiden. So kann einem sein Morgenkaffee jeden Tag von neuem schmecken, wennschon er ihn nicht so fortgesetzt genießen kann, als ihn ein Zahnschmerz fortgesetzt plagen kann; dafür genießen Hunderte ihren Morgenkaffee sowie ihr Mittagsmahl jeden Tag von neuem mit Vergnügen, von denen nur wenige und diese nur zeitweise von einem anhaltenden körperlichen Schmerze gequält werden. Ja wer mag sagen, daß sich die Lust an einer täglichen Beschäftigung, die Lust an Liebe, Ehre, am Wohltun usw. in andern Sinne abstumpft, als daß man sie nicht kontinuierlich im Bewußtsein haben kann, indes unversiegbare Quellen immer wiederkehrender Lust darin liegen. Feindschaft, Haß können sehr bitter und von sehr bitteren Folgen sein; aber sie sind doch nur die Ausnahme, indes die Freuden der Liebe und Geselligkeit in den regelmäßigen Gang des Lebens eintreten. Was ist schlimmer als Schande, aber es gibt in der Welt mehr Ehre als Schande. Gegen Tausende, die hungern, gibt es Millionen, die sich sättigen, und die Voraussicht der Sättigung hebt nicht nur zumeist die Unlust des Hungerns, sondern überbietet sie mit Lust. Kein Mensch fürchtet, aber fast jeder hofft während seines ganzen Lebens, und ob die Hoffnung sich erfülle oder nicht, so trägt sie bei zur Lust des Lebens. Überhaupt sind Illusionen, welche Lust bringen, deshalb nicht weniger lustvoll, daß es Illusionen sind; und der Pessimist streicht sie also mit Unrecht aus der Rechnung.

Der Mensch beschäftigt sich überhaupt irgendwie, solange er lebt, und immer sind es Zwecke positiver Lust oder ist es Verhütung oder Beseitigung von Quellen der Unlust, was er dabei erstrebt. Es werden aber im täglichen Gange des Lebens unsäglich mehr von den kleinen Zwecken, die sich der Mensch für den Tag stellt, erreicht als nicht erreicht, und wo sich der Mensch größere Zwecke stellt, viel häufiger jeden Tag ein Vorschritt als Rückschritt in bezug darauf gemacht; nicht nur die Erreichung des Zweckes selbst aber, sondern auch die Vorwegnahme der Erreichung in der Vorstellung, endlich jede Näherung daran ist im Sinne der Lust. Wenn ich eine logarithmische Rechnung führe, so ist jede Einreihung eines Logarithmus, den ich aufgesucht, in die Rechnung von einem kleinen Übersteigen der Lustschwelle begleitet; und so bei dem, der ein Beet umgräbt, jeder Spatenstich, bei der Näherin, die ein Tuch säumt, jeder Nadelstich, kurz, welche Beschäftigung man auch im Auge habe, jeder Handgriff, Schritt, welcher der Erreichung des Zweckes zuführt. Nun ist zwar dieses Übersteigen der Lustschwelle, indem es sich durch die Zeit einer gewöhnlichen Beschäftigung durch fortsetzt, für die einzelnen Momente so gering, daß es der Aufmerksamkeit und Erinnerung leicht entgeht, und man im Rückblicke auf die Beschäftigung geneigt sein kann, vielmehr ein Hingleiten auf der Schwelle als über der Schwelle der Lust darin zu sehen; doch kann man sich auch wohl bewußt werden, daß unsere gewohnten Geschäfte unsern Seelenzustand vielmehr über dem Niveau, das wir als Gleichgültigkeit bezeichnen, erhalten, und ich suche in der Tat hierin einen Hauptfaktor der Lust des Lebens. Freilich kann uns eine Arbeit zu sauer werden oder widerwärtige Hemmnisse eintreten oder wir gezwungen nur für fremde Zwecke arbeiten, oder es in einsamer Haft an Beschäftigung fehlen. Aber alles das ist nicht die Regel; denn eben darum, weil das ein Unlustübergewicht in die Welt brächte, hat sich die Welt im großen und ganzen auf das Gegenteil davon eingerichtet. Man sehe einen Maurer oder Steinklopfer an, ob er es sich zu sauer werden läßt, und wenn er den Sonntag schöner als den Arbeitstag findet, so würde er bald merken, was er verlöre, wenn alle Tage Sonntag sein sollte. Auch ist wohltuende Abwechslung von Arbeit mit Ruhe viel häufiger als Übermüdung oder Langeweile. Schwierigkeiten, deren Unlustwirkung nicht unmittelbar durch die Voraussicht ihrer Überwindung versöhnt wird, treten nur ausnahmsweise in den Gang der täglichen Beschäftigung ein, und sind sie überwunden, so wird die vorherige Unlust zumeist durch die Freude an der Überwindung vergütet. Die Arbeit, die jemand für andere tut, ist doch fast immer zugleich für ihn selbst getan; ja es liegt darin einer der wirksamsten Hebel der Lustökonomie in der Welt, daß die Zwecke der einzelnen in der Gesellschaft vielmehr förderlich als hemmend zusammentreffen und ineinander greifen, und wo es an der besten Einrichtung in dieser Hinsicht noch fehlt, strebt die Gesellschaft mehr und mehr derselben zu.

Und vergessen wir nicht, zu aller Lust, die sich sozusagen in mäßiger Höhe durch die Welt zieht, auch Gipfelpunkte derselben, wie es solche doch gibt, in Betracht zu ziehen. Und was fällt mir da alles ein. Ein heiterer Abend in geselligen Kreisen, der Blick in ein schönes oder liebliches Gesicht, die erste Zeit der jungen Liebe, das Gefühl, sich in Freud und Leid mit einem oder einer eins zu wissen, das Mutterglück, die Freude, ein großes Geschenk zu empfangen oder zu geben, der Weihnachtsabend, die schönen Aussichten auf einer Reise, die Raphaelsche Sixtina und die Beethovensche C moll-Symphonie, und was nicht alles noch; über alles ein reines Gewissen und das Bewußtsein in Gottes Hand zu stehen. Es wäre doch schade, wenn eine Welt mit all dem nicht bestände.

Können wir nun auch mit vorigen Betrachtungen die pessimistische Ansicht vom Übergewicht der Unlust über die Lust in der Welt nicht in voller Strenge widerlegen, so jedenfalls die Schärfe derselben dadurch mildern und ihrer Einseitigkeit wehren. Ich wiederhole es, die erfahrungsmäßige Abwägung ist zu schwierig, um sicher zu entscheiden. Nach allen vorigen Betrachtungen gestehe ich, es will mir selbst oft so scheinen, als ob alles in allem genommen die Unlust doch im ganzen überwöge, und wen ich ringsum frage, dem scheint es meist ebenso, indes er sich immer noch das Leben gern gefallen läßt. Aber gesetzt, es wäre wirklich so, so ist damit die Hauptfrage, auf die es uns ankommen muß, noch nichts weniger als in pessimistischem Sinne entschieden.

In der Tat hat uns noch mehr als die Frage nach den bestehenden Verhältnissen der Lust und Unlust die Frage zu interessieren, ob und in welchem Sinne sich das Verhältnis dazwischen im Fortschritt der Zeit, mit der wir selbst fortschreiten, ändere; und sollten wir annehmen können, daß die Richtung darum vom Schlechteren zum Besseren geht und wir durch alles Leid durch, sei es auch erst mit dem Überschreiten des Diesseits, einem glücklichen Endzustande entgegengehen, so könnten wir uns selbst einen jetzt wenig befriedigenden Zustand im Hinblick auf seine Besserung und den Vorblick auf sein Ziel gefallen lassen.

Nun steht die Welt nicht still, und gewiß ist, daß, soweit die Änderung derselben von bewußten Antrieben ausgeht, sie zur Sicherung und Mehrung der Quellen der Lust, Beseitigung und Minderung der Quellen der Unlust geschieht; hierin hat jedenfalls die Lust einen wesentlichen Vorteil vor der Unlust voraus, von dem man meinen sollte, daß er, wenn selbst die Unlust anfangs gewaltig überwöge, der Lust endlich das Übergewicht verschaffen müßte. Zwar schlagen unzählige Versuche, den Weltzustand zu bessern, fehl oder führen in die Irre; aber sie werden, allgemein gesprochen, solange fortgesetzt, bis sie endlich doch gelingen, und jedes Gelingen ist nur der Schritt zu einem neuen Gelingen. Alle nützlichen wie schönen Künste vervollkommnen sich in diesem Sinne, eine Erfindung überbietet immer die andre und die Wissenschaften bieten dem Fortschritte immer neue Hilfen. Nun kann zwar das Trachten des einzelnen mit dem Trachten anderer in Konflikt kommen, aber über allem einzelnen Trachten macht sich auch ein allgemeineres Trachten geltend, welches diese Konflikte zum Vorteile des Wohles, d. i. Glückszustandes aller mehr und mehr ausgleicht. In diesem Sinne ist es, daß sich im Laufe der Zeiten – vergleicht man nur hinreichend lange Epochen und hinreichend große Räume – Religion und Moral, Gesetze, staatliche und soziale Einrichtungen mehr und mehr vervollkommnen und die vollkommeneren weiter über die Erde ausbreiten.

Sollte nun freilich dem Wirken und Schaffen der Geschöpfe zur Besserung ihrer Zustände durch verschlimmernde Einflüsse seitens der unbewußten Natur fortgehends die Wage gehalten werden, so könnte die Besserung nicht zustande kommen. Aber im Gegenteil, eine großartige Teleologie der Natur, oder sagen wir dem Zeitgeist zu gefallen, eine Kausalität, die sich in den Erfolgen ausnimmt wie Teleologie, arbeitet Hand in Hand mit den Bestrebungen des Menschen. Wie chaotisch mag die Materie von Anfang herein geordnet gewesen sein; jetzt gehen Sonne und Mond zugleich als Uhr, als Leuchte und die erste als belebende Wärmequelle an einem prachtvollen blauen oder Sternenhimmel über dem Haupte des Menschen, und umgekehrt richtet sich der Mensch und richten sich alle Geschöpfe fort und fort mehr auf einen gedeihlichen Bestand unter den gegebenen klimatischen und lokalen Bedingungen ein, und hat der Kampf um das Dasein selbst nur den Sinn, die best eingerichteten den Platz behaupten zu lassen.

Fragt man dann, warum es die Welt trotz dieser immer in derselben Richtung fortgehenden Tendenz zur Besserung bis heute noch nicht weiter gebracht hat, so daß man selbst noch zweifelhaft sein kann, ob Lust, ob Unlust überwiegt, oder gar geneigt sein kann, die letzte noch für überwiegend zu halten, so läßt sich darauf antworten, daß man bei jedem Punkte, an dem die Welt irgend einmal angelangt ist, fragen könnte, warum sie es noch nicht weiter gebracht hat, es wird eben darin liegen, daß sie, je weiter man rückwärts blickt, so weiter rückwärts war. Der Durchgangspunkt von mehr Unlust zu mehr Lust aber kann für jedes Gestirn wie für jedes Geschöpf insbesondere ein verschiedener sein.

Der Pessimist wird sich freilich durch all das nicht geschlagen finden, sondern etwa dagegen einwenden: erstens, daß, wenn der Mensch immer neue Lustquellen zu öffnen sucht, es nur darum ist, weil er sich allmählich gegen die alten abstumpft, ja nur auf Kosten der Emfänglichkeit für die alten empfänglich für die neuen wird; zweitens, daß nach Maßgabe als mit dem Fortschritte der menschlichen Kultur die Quellen der Lust sich mehren und steigern, zugleich die der Unlust sich mehren und steigern, wir also den roheren Zustand der Vorzeit nicht mit einem unglücklicheren, den kultivierteren nicht mit einem glücklicheren, verwechseln dürfen, drittens, daß wir beim Rückblick in die Zeit ebenso augenfällige Rückschritte als Fortschritte in der Besserung der Zustände finden. Kurz, daß alles Streben den Zustand der Welt zu verbessern es ebenfalls nicht weiter bringt, als das alte Verhältnis zwischen Lust und Unlust nur in neuer Form, auf neuer Entwicklungsstufe aufrecht zu halten; indes ohne dieses Streben der Zustand sogar verschlechtern würde. Und wer mag leugnen, daß Einwänden dieser Art Rechnung zu tragen sei.

Inzwischen es gibt, wie schon erinnert, Lustquellen, gegen die sich der Mensch nie abstumpft, sondern zu denen er periodisch immer wieder mit neuer Frische zurückkehrt, insofern er sich aber gegen Lustquellen abstumpft, ist es nur infofern als sie durch Quellen teils größerer, teils höherer Lust ersetzt werden, und die neuen Quellen von Unlust, die damit heraufbeschworen werden, bestehen zwar in Störungen, und Hemmungen der neuen Lustquellen, von denen man aber doch nicht sagen kann, daß sie dieselben aufheben und kompensieren. Auch rufen diese Störungen und Hemmungen durch die Unlust, die sie erwecken, selbst um so stärkere Antriebe hervor, sie zu heben, je stärker sie sind; in der Tätigkeit, die dazu verwandt wird, liegt selbst eine Lustquelle, eine andre in der Voraussicht der endlichen Hebung und in dieser selbst die Krönung der Lust. Jeder Rückschritt in der Besserung der Zustände endlich ist nur als ein neuer Anlauf zu um so größerer Besserung zu betrachten.

Nun freilich, daß doch temporär und lokal solche Rückschritte stattfinden, erschwert es, einen sicheren Schluß aus dem Vergleiche vergangener und jetziger Zeiten für die ganze Zeit zu ziehen; doch muß die Sicherheit wachsen, je größere Perioden und Gebiete man in den Vergleich zieht. Und ich meine doch, daß niemand die Zeit der Pfahlbauten für die Kulturzeit, in der wir heute leben, und die Zustände der heutigen Wilden, die uns in jene Zeiten zurückversetzen, für unsre Kulturzustände zurückzuwünschen oder willig einzutauschen Ursache finden kann. Es ist wahr, ein roherer Zustand ist nicht notwendig ein unglücklicherer, aber wenn nicht das Gefühl einem jeden sagte, daß allgemein gesprochen der rohe Zustand weniger Bedingungen des Glückes, mehr des Leides, einschließt, als der kultivierte, so würde es nicht den letzten so entschieden vorziehen lassen, und man kann zwar behaupten, aber nicht beweisen, daß das nur Erfolg einer Illusion sei, und darf nicht sagen, daß wir den jetzigen Zustand vorziehen, weil es eben der jetzige ist; im Gegenteil geht der Mensch immer mit seinen Wünschen über den jetzigen Zustand hinaus, und kann sich dann auch wohl einfachere Zustände zurückwünschen, aber nur insofern er sie sich zugleich idyllischer, mit der Natur harmonischer vorstellt; während die Urzustände der Menschen das gerade Gegenteil sind, sofern ihr Los vielmehr ein steter Kampf mit der Natur ist.

Es wäre überhaupt sonderbar, da alles in der Welt, Wissen und Können, im Fortschreiten begriffen ist, wenn das, um dessen Förderung es der Menschheit zuletzt bei all dem zu tun ist, auf demselben Stande stehen bliebe, nicht in den Fluß dieses Fortschrittes selbst mit einginge, d. i. der Glückszustand der Menschheit. Wenn aber jeder neue Fortschritt desselben neuen Hindernissen begegnet, wodurch partielle Rückströmungen veranlaßt werden, kommt der ganze Fluß damit doch weiter.

Inzwischen, was kann der Optimist dem Pessimisten erwidern, wenn dieser endlich Einwürfe wie folgt gegen ihn erhebt.

Hast du wohl überlegt, daß, wenn du einen Fortschritt im Sinne wachsender Lust oder abnehmender Unlust ins Unbestimmte für die Zukunft annehmen willst, du auch die Lust rückwärts ins Unbestimmte abnehmend, die Unlust ins Unbestimmte wachsend denken mußt; widerstrebt es dir aber nicht, die Welt mit unendlicher Unlust anfangend und durch Äonen mit einem ungeheuern Übergewicht mit Unlust fortgehend zu denken, ehe es durch allmähliche Abnahme derselben bis zu dem jetzigen kaum leidlichen Zustand der Welt gekommen ist. Wäre aber selbst zuzugeben, was ich nicht zugebe, daß es nach meinem Tode allmählich besser mit der Welt werden wird, und die nach mir Lebenden Gewinn davon haben werden, was hilf mir’s, wenn ich nach einem unglücklich geführten Leben keinen Teil an diesem Besserwerden habe. Für mich war diese Welt dann immer eine schlechte, und die Welt selbst bleibt darin schlecht, daß es für genug Menschen kein Besserwerden darin gibt.

Inzwischen der erste Schluß, will man überhaupt ins Unbestimmte rückwärts schließen, hat an sich keine bindende Kraft, denn es kann sich etwas nach vorwärts oder rückwärts ins Unbestimmte asymptotisch einem Nullwerte oder endlichen Werte nähern, ohne ihn nach positiver oder negativer Richtung zu überschreiten; also braucht ein Wachstum der Unlust oder eine Abnahme der Lust ins Unbestimmte rückwärts verfolgt, nicht zu einer unendlichen Unlust zu führen; doch mag zunächst die Aussicht in das Ganze rückwärts danach immer noch bedenklich scheinen; für die Geschöpfe hebt sich jedenfalls dieser Einwurf von selbst, da sie erst in endlicher Zeit mit einem endlichen Grade der Lust oder Unlust ins Dasein treten, d. h. sich aus der allgemeinen Existenz heraus individualisieren; nur der Einwurf bezüglich ihrer Zukunft bleibt dabei bestehen; und gestehen wir zu, so nützlich und nötig unsre bisherigen Betrachtungen sein mochten, den Einseitigkeiten und Übergriffen des Pessimismus zu begegnen, schlagen sie doch gegen den ersten Teil des Einwurfes bezüglich auf die Vergangenheit des Ganzen noch nicht durch, und richten gegen den zweiten, betreffs der Zukunft der Geschöpfe, noch nichts aus. Nur sind wir auch mit unsern Gegenbetrachtungen noch nicht zu Ende. Es bleibt ein letzter Schritt übrig, der freilich aus dem Erfahrungsgebiet in das Glaubensgebiet führt, womit aber alle Aussichten ins Weite und Hohe zuletzt abzuschließen haben, und auf den daher auch von vornherein verwiesen ward. Die pessimistische Nachtansicht kann diesen Schritt, den die Tagesansicht nicht hier erst tut, nur hier nicht wieder zurücknimmt, nicht wehren, sie tut ihn nur nicht mit.

Ei, spricht der Pessimist, da du mich nicht mit Erfahrungen widerlegen kannst, versuchst du es mit einem Glauben ins Blaue. Und freilich, der Pessimismus der Nachtansicht und die Verneinung eines Glaubens, der über ihn hinausführt, hängen natürlicherweise zusammen. Inzwischen ist der Glaube an Gott und Jenseits und an die der Welt dadurch gesteckten, höchsten und letzten, Ziele doch kein Glaube ins Blaue, da er auch ohne Rücksicht auf optimistische Forderungen seine anderweiten Stützen in der Tagesansicht findet. Es zeigt sich aber hier zu den theoretischen Vorzügen der Tagesansicht auch der praktische dann, daß sie uns der Notwendigkeit, dem Pessimismus anheimzufallen, enthebt, und das kann nach dem praktischen Glaubensprinzip (Kap. IX) selbst beitragen, sie zu stützen.

Die Sache ist die: gibt es überhaupt ein allgemeineres Leben über dem Leben der einzelnen und ein jenseitiges der einzelnen nach dem diesseitigen Leben, so dürfen die Weltfragen der Lust und Unlust auch nur mit Bezug darauf gestellt, und nur insofern mit Schlüssen aus dem, was wir in unserm beschränkten diesseitigen Leben erfahren können, beantwortet werden, als wir zusehen, in welchem Sinne sich die Lust- und Unlustbedingungen schon diesseits mit Erweiterung und Steigerung der allgemeinen Daseinsverhältnisse ändern. Die Weltfrage aber, welches Verhältnis zwischen Lust und Unlust überhaupt im ganzen bestehe, und ob und in welchem Sinn es sich etwa ändere, fällt für die Tagesansicht mit der Frage zusammen, welches Verhältnis zwischen Lust und Unlust im ganzen für Gott besteht, und wiefern es für Gott sich ändert. Denn indem Gott alle seine Geschöpfe in sich trägt, trägt er auch alle ihre Lust und Unlust zugleich mit aller der in sich, welche in den allgemeineren und höheren Bestimmungen und Beziehungen der Existenz zwischen und über den Geschöpfen gesucht werden kann. Vermögen wir nun auch von unserm niederen Standpunkte aus diese Bestimmungen und Beziehungen nicht mit Klarheit und Sicherheit bis ins allgemeinste und höchste Gebiet des göttlichen Daseins hinein zu verfolgen, so stehen uns doch Betrachtungen wie folgt zur Stütze des Glaubens zu Gebote, daß in Gott überhaupt nicht nur Bedingungen einer höheren Lust als für die Geschöpfe bestehen, sondern daß das Wechsel- und Folgespiel von Lust und Unlust im geschöpflichen Gebiete selbst zu diesen Bedingungen mit gehört.

Sehe ich ein Gemälde bloß auf den Eindruck der einzelnen Linien und Farben und ihrer einfachen Verbindungen an, so mag ich meinen, es sei ein trostloses Gewirr und Geschmiere. Aber sehe ich es im ganzen an, so vermag ich eine Bedeutung daran zu knüpfen, die mir eine Lust gewährt, welche ich aus der Summe des einzelnen für sich Aufgefaßten nicht zu schöpfen vermöchte, und wogegen nicht nur die niedere Unlust, die aus der anschaulichen Unordnung der Linien und Farben für sich hervorgehen würde, nicht aufkommt, sondern auch die Unlust überwogen wird, die aus der Auffassung der Bedeutung mancher größeren Partien des Gemäldes für sich hervorgehen könnte, ist es nur das rechte Gemälde. Überhaupt bedarf es, wie nun einmal die Lust- und Unlustbedingungen zueinander stehen, des Nachlasses der Schönheit im einzelnen, ja der Gegensätze in dieser Beziehung, um größere höhere und mannigfaltigere Schönheit im ganzen zu erzielen. Entsprechendes als für den, der die Anschauung des Gemäldes in sich aufnimmt, gilt für den Künstler, der sie in sich produziert. Es ist nicht bloß mit dem Gemälde, es ist mit allen Kunstwerken so. Statt des Kunstwerkes setze die Welt, statt des Künstlers und Beschauers zugleich setze Gott, nur daß er ein innerlicheres Verhältnis zu der von ihm ausgewirkten Welt als der Künstler zu seinem Werke hat.

Nun fragt sich natürlich, ob die Welt einem rechten Kunstwerk vergleichbar, oder, was dasselbe sagt, ob ein rechtes Kunstwerk ein richtiges Abbild der Welt sei. Gibt es doch genug schlechte Kunstwerke in der Welt, ist doch nicht alles in der Welt überhaupt ein Kunstwerk. Es ist wahr, aber warum gibt es schlechte Kunstwerke? Weil der Künstler weder das Gefühl von aller Lust und aller Unlust, welche aus der Betrachtung seines Werkes hervorgehen wird, noch das Wissen, um alle Bedingungen der Lust und Unlust, noch die Macht, alle im Sinne seines Strebens zu verwenden, hat. Je weiter und höher aber sein Gefühl, sein Wissen und Können in diesen Beziehungen reicht, desto vollendeter werden seine Werke; der Gott der Tagesansicht aber überreicht in dieser Hinsicht alle Künstler. Und wenn nicht alles in der Welt überhaupt ein Kunstwerk ist, so ist ja auch nicht alles im Kunstwerk selbst ein solches. Also kann die ganze Welt sich recht wohl wie ein überwiegend lustgebendes Kunstwerk für ein allumfassendes und damit höherer Beziehungen gewahrendes Bewußtsein verhalten, ohne sich für das enge und niedere Bewußtsein der Einzelwesen so zu verhalten.

Direkter und allgemeiner führt folgende Betrachtung auf dasselbe. Tatsächlich geht die Tendenz alles Bewußten vielmehr auf eigne Lust als Unlust, nur stehen die Bedingungen der eignen Lust und hiermit die Tendenzen des einzelnen oft in Widerspruch mit der Lust und den Tendenzen andrer einzelnen. Ein je größeres Gebiet aber einer mit seinem Fühlen, Wissen, Können beherrscht, desto weniger können ihm Gegenwirkungen von außen begegnen und desto größer ist seine Fähigkeit, die inneren Konflikte zum Besten des Ganzen, was er beherrscht, woraus er Lust und Unlust zieht, zum Austrag zu bringen. Der Gott der Tagesansicht aber, indem er das ganze Existenzgebiet zugleich in sich einigt und beherrscht, überbietet darin alle Geschöpfe.

Zu der Lust, die aus den bestehenden Zuständen der Welt geschöpft werden kann, gibt es eine Lust an Mehrung der Lust, Minderung der Unlust, Förderung der Lustquellen, Beseitigung der Unlustquellen, kurz als aktive Lust von erster als rezeptiver zu unterscheiden. Die Lust am Schenken, Wohltun, Heilen physischer und moralischer Gebrechen; die Lust an Schöpfung schöner Werke, Verbesserung nützlicher Einrichtungen usw. gehören hierher. Dazu noch eine Lust an Voraussicht des Erfolges solchen Wirkens und eine, doch erst später (s. u.) zu betrachtende Steigerung der Lust durch die Richtung des Erfolges. Auch nach allen diesen Beziehungen aber gewinnt Gott einen Zuwachs an Lust über allen seinen Geschöpfen, sofern die Führung der Geschöpfe selbst in dieser Richtung und die Besserung der Weltzustände über sie hinaus mit der Voraussicht und Richtung des Erfolges im großen und ganzen ihm zustatten kommt; überhaupt sein ganzes Trachten und Wirken aus höchster Höhe diese Richtung nimmt.

Kehren wir hiernach zu der, vorweg gestellten, wenn auch zu keiner sicheren Entscheidung zu bringenden, Weltfrage zurück, ob und in welchem Sinne sich der Lustzustand für das ganze Existenzgebiet, also nach unsrer Auffassung für Gott, ändert; so könnten wir uns nach Vorigem denken, daß das Lustquantum im ganzen konstant bleibt und nur das Verhältnis seiner Momente sich ändert, indem der aktiven Lust an Förderung der Lustquellen und der Lust an Voraussicht des Erfolges hierbei immer ebensoviel für die Folge abginge, als durch den Erfolg der Förderung selbst an rezeptiver Lust oder deren Quellen gewonnen wird; – könnten uns aber auch denken, daß der Zustand im ganzen sich um so mehr, sei es einem Indifferenzzustande mitteninne zwischen Lust und Unlust oder einem Gleichgewichtszustande zwischen vorhandener Lust und Unlust nähert, je weiter nach rückwärts er verfolgt wird, hiergegen einem um so größeren Lustübergewichte Platz gibt, je weiter nach vorwärts, sei es daß dies Übergewicht asymptotisch einem bestimmten Ziele zustrebe oder auch einem Wachstum über jedes bestimmte Ziel hinaus Raum gebe. Wer aber vermöchte die Frage, ob so oder so oder noch anders, sicher zu entscheiden; lassen wir sie also dahingestellt, und halten uns damit befriedigt, nach Vorigem jedenfalls keinen Grund zu finden, daß das Lustquantum der Welt im ganzen, sei es nach rückwärts oder vorwärts verfolgt, je unter das Unlustquantum herabgehe – denn was unten in dieser Hinsicht fehlt, wird sich immer oben ausgeglichen oder überboten denken lassen – dazu eine allgemeine und nicht erfolglose Tendenz in die Welt zu finden, die bestehenden Zustände zu verbessern.

Nun aber, was die Geschöpfe anlangt, um uns auch des zweiten Teiles des Einwurfs zu erinnern, lassen wir immerhin die Unlust in den Anfängen ihrer Existenz – und das ganze diesseitige Leben gehört dazu – überwiegen, so kommt für den Fortschluß auf ein künftiges Leben folgender Gesichtspunkt in Betracht.

In der Fortschrittsrichtung von Bedingungen der Unlust zu solchen der Lust, nennen wir sie die rechte Richtung, liegt überhaupt eine Bedingung der Mehrung der Lust, in der umgekehrten derselben Bedingungen, nennen wir sie die unrechte, eine solche der Mehrung der Unlust, wovon man das einfachste Beispiel in dem verschiedenen Erfolge finden kann, den man erhält, je nachdem man einen disharmonischen Akkord sich in einen harmonischen auflösen läßt oder dieselben Akkorde in umgekehrter Folge hört. Welcher Gegensatz zwischen dem Gefühle der Befriedigung erstenfalls und der Unbefriedigung zweitenfalls. Es ist das aber eben nur ein Beispiel einer allgemeinen Tatsache. Denken wir uns irgend zwei Lebensverhältnisse eines Menschen, die abgesehen von ihrer Folge Bedingungen gleicher Lust und Unlust für ihn enthalten; so wird je nach der rechten oder unrechten Folge die Lust oder Unlust im ganzen überwiegen. Bei der rechten Folge erscheint die Lust durch den Gegensatz gegen die vorangegangene Unlust gesteigert, ohne daß die Unlust dadurch gesteigert werden konnte, weil der Kontrast noch nicht da war; wir fühlen nicht nur die Lust der gegenwärtigen Lustbedingung, sondern dazu auch den Unterschied derselben von der vorherigen Unlustbedingung mit Lust. Bei der unrechten Folge ist das Umgekehrte der Fall. Da nun die Welt Lust ohne Unlust nicht haben kann, so geht ihre Tendenz im einzelnen wie ganzen dahin, die Unlust- und Lustquellen vielmehr in rechter als unrechter Folge anzubringen, und damit selbst einen Lustgewinn zu erzielen. Also wird auch gemäß der Richtung des, nicht nur über allen Raum, sondern auch über alle Zeit übergreifenden, den Geschöpfen mit zustatten kommenden, allgemeinsten Strebens in diesem Sinne, das Jenseits als Folge des Diesseits in dem günstigen Verhältnisse der rechten Folge zum Diesseits zu erwarten sein. Hierzu aber tritt noch folgende Betrachtung.

Nicht jeder disharmonische Akkord kann durch jeden harmonischen aufgelöst werden, sondern nur durch einen solchen, der abgesehen vom disharmonischen ihm gleicht. Auch ein schlechtes Konzert kann nicht durch ein gutes Gemälde versöhnt werden; jedes Gebiet aber tendiert zu harmonischen Abschlüssen in sich; und so wird auch eine Versöhnung des unglücklichen Lebenslaufes eines Menschen nicht durch den glücklichen eines andern stattfinden können; und gibt es überhaupt eine allgemeine Versöhnung des Übels, so wird jeder eine solche auch für sein eignes Übel erwarten können; dazu muß freilich mancher über das Diesseits hinaus darauf warten, und der schlechte voraussetzlich erst durch schlimmes im Jenseits selbst durchgehen, um zur Versöhnung zu gelangen.

Im diesseitigen Leben begegnen wir freilich oft genug auch unrechten Folgen für den einzelnen, indem die rechten Folgen für den einzelnen unrechte für andre sein können. Wenn aber unsre Tagesansicht recht hat, so erweitert und erhöht sich mit unserm Aufsteigen ins Jenseits unser Lebenskreis, gewinnen wir Teil an den allgemeineren und höheren Beziehungen der Dinge, worin diese Konflikte sich mehr und mehr lösen, wir steigen sozusagen zu den allgemeineren und höheren Lustbedingungen, die für Gott bestehen, mit auf. Nun liegen freilich nicht nur Bedingungen gesteigerter Lust, sondern auch Unlust in den allgemeineren und höheren Beziehungen der Dinge. Aber nicht minder Bedingungen um so stärkerer Ausgleichung, Versöhnung und Überbietung des Übels. Und so können wir uns Wohl denken, was aus praktischem Gesichtspunkte zu fordern und durch anderweite Gründe zu stützen, daß der Böse die Gegenwirkungen gegen das Übel, was durch ihn in die Welt gekommen, in der erweiterten und erhöhten Lebenssphäre des Jenseits mit Unlust als Strafe empfindet, die ihn in seiner diesseitigen engen Lebensspähre noch nicht rührten, daß er aber auch dadurch endlich zu einer Umkehr gezwungen wird, wozu die Mittel des Diesseits noch nicht reichten. Indem er aber damit in die Richtung zum Guten eintritt, gewinnt er auch an dem Genusse der höheren Güter des Jenseits Teil, wogegen der Diesseits Gute beim Eintritt in das Jenseits unmittelbar Anspruch darauf hat. So geschieht dem Lustfortschritte vom Diesseits zum Jenseits doch im ganzen Genüge.

Nach allem ist jedenfalls kein Hindernis, was das praktische Interesse fordert, zu glauben, daß jeder, der in das Leben tritt, sich durch die Weise, wie er sein Wollen und Handeln einrichtet, mehr und mehr einem dauernd glückseligen Zustande nähern kann – im Durchschnitt fährt ja schon hier der Beste am besten, um so sicherer beim Übertritt ins Jenseits –, und daß, wenn neu entstehende Wesen immer neu der Gefahr überwiegender Unlust unterliegen, sie ihrerseits das Vermögen haben, dies Verhältnis dadurch umzukehren, daß sie ihr Leben und Streben immer mehr im Sinne der allgemeinsten und höchsten Tendenzen darauf richten, selbst möglichst viel zum Glücke des Ganzen beizutragen; wenn sie es aber nicht willig tun, endlich gezwungen sein werden es zu tun. Zum Bestande dieses Glaubens gehört nur eben der von der Tagesansicht vertretene Glaube in höchsten und letzten Dingen.

Es ist eine alte Rede, die man oft genug, namentlich in frommen Liedern, hört und liest, die Erde sei ein Jammertal. Und wenn schon sie zuviel Schönes, Gutes und Liebes bietet, um ihr nicht damit unrecht zu tun, so kann man doch nicht leugnen, daß sie es für viele ist. Wäre nun das irdische Dasein, was wir so nennen, das zweite und letzte nach einem ersten, so gäbe es nicht nur für jene vielen keinen Trost, sondern überhaupt keine Hilfe gegen den Pessimismus. Daß wir aber nach unserm jetzigen Leben die Aussicht auf ein zweites haben, und dazu eine allgemeine Tendenz besteht, jedes zweite besser als das erste zu machen, kann uns diesen Trost und diese Hilfe bieten.

Wohl manchen gibt es schon hier, der sich fragt, nachdem er durch lange und schwere Prüfungen durchgegangen ist, wenn sie zuletzt zu einem befriedigenden Abschlusse, und wäre es gegen das Lebensende hin, geführt haben: möchtest du lieber gelebt oder nicht gelebt haben? Blickt er anders mit gutem Gewissen auf die Vergangenheit zurück, so wird er doch nicht sagen: ich möchte nicht. Jenes Leid ist eben vergangen, dieses Glück hat er, und hat es gesteigert durch den Gegensatz gegen das frühere Leid, um so besser, wenn er die hoffnungsreiche Aussicht in ein künftiges Leben damit verbindet. Freilich, wollte man die Frage stellen: wenn dir die ganze Summe des Leibes mit dem glücklichen Abschlusse erst bevorstände, möchtest du um dieses Abschlusses willen die ganze Lebenszeit durchleben, oder lieber gar nicht leben, so möchte sich mancher bedenken und zu rechnen anfangen. Also mag es gut sein, daß die Weltordnung die Menschen, ohne sie zu fragen, durch Leiden, die sie ihnen nicht ersparen kann, zu glücklichen Zielen führt, nach deren Erreichung sie sich freuen, gelebt zu haben.

Und so denke ich mir nach einem oft gebrauchten Bilde den ganzen Weltgang wie den einer Symphonie, in der freilich mehr und schwerere Dissonanzen unterlaufen, als in den Symphonien unsrer Konzertsäle, doch die nicht minder der Auflösung im ganzen wie für jeden einzelnen entgegengehen und durch diese Auflösung selbst das Lustergebnis über das einer Symphonie erhöhen, die sich bloß in Konsonanzen bewegen wollte. Zum Teil nun reichen die Dissonanzen aus dem Diesseits in das Jenseits; aber das Jenseits wird nicht müde, an ihrer Auflösung und Versöhnung fortzuarbeiten.

Ist nun alles das, was hier von Gott und Jenseits ausgesagt und verlangt wird, bewiesen? Nichts davon ist bewiesen, weil in diesen Dingen sich überhaupt nichts beweisen läßt; wohl aber ist ein vernünftiger Zusammenhang davon mit dem, was sich weisen läßt, gewiesen, und darin besteht ja überhaupt die ganze theoretische Weisheit der Tagesansicht. Noch wirksamer aber als die theoretischen Gründe sprechen die praktischen für den von ihr vertretenen Optimismus, und wenn Zweifel von jener Seite übrig bleiben möchten, so kommen solche gegen diese Seite von vornherein nicht auf. Denn gewiß ist doch, daß der Welt durch unsre optimistische Auffassung ihres Ganges mehr gedient ist, als durch die pessimistische.

Einmal insofern, als mit ihr der Mensch freudiger in die Zukunft sehen, in scheinbar unabänderlichen Leiden statt finsterer oder stumpfer Resignation noch Trost und Hoffnung behalten und den ganzen Weltgang unter zusagenderen Gesichtspunkten auffassen kann, wodurch der Glückszustand der Welt unmittelbar gefördert wird; zweitens, insofern als der Mensch dadurch zur Fortarbeit am Glücke der Welt rüstiger erhalten wird, als wenn er diese Arbeit doch im Grunde für vergeblich halten müßte, womit dem Glücke der Welt auch in den Folgen gedient ist. Hiermit tritt unsre optimistische Weltansicht selbst nicht nur in die tatsächliche Tendenz alles bewußten Lebens nach Mehrung des Glücks hinein, sondern hilft auch sie erfüllen; indes die pessimistische ihr widerspricht, und trotzdem behauptet, sie habe mit diesem Widerspruch das Recht des Bestehens für sich. Die Folge dieses Widerspruches aber wird die faktische sein, daß sie nie in einiger Allgemeinheit und Dauer wird durchdringen, also auch kein historisches Recht erwerben können – schlechte Moden hier und da aber gehören zu den tatsächlichen Übeln der Welt, die überwunden werden müssen.

Man sieht nun wohl, daß in Vorigem keine vollständigere Beantwortung der Weltfragen der Lust und Unlust liegt, die sich aufstellen ließen; doch möchte die Antwort in bezug auf die Punkte gegeben sein, die uns am meisten interessieren können, soweit sie sich im Sinne der Tagesansicht geben läßt.

Von ganz andern Gesichtspunkten aus, als hier überhaupt zur Sprache gekommen, führen die Betrachtungen des 18. Abschnittes zu einer vielmehr optimistischen als pessimistischen Auffassung des Weltlaufs, und treten damit unterstützend zu den vorigen hinzu.

2. Glaubenssätze in bezug auf das Übel. Beziehungen derselben zu den christlichen Ideen.

Entgegen dem Pessimismus der Nachtansicht, der die Welt in einem wüsten Durcheinander von Lust und Unlust mit stetem Siege der Unlust begriffen sieht, leite ich aus den vorstehends und sonst (V. 5. 6. XIV. XVI. XVIII) aufgestellten Gesichtspunkten der Tagesansicht folgende Glaubenssätze inbezug auf das Übel ab, gleichgeltend für physisches, moralisches und intellektuelles Übel, kurz für Übel als Quell von Unlust überhauptUnter physischen Übel versteht man körperliche Gebrechen und Leiden, unter moralischem Übel Egoismus, Unsittlichkeit, Sündhaftigkeit, unter intellektuellem Übel Dummheit, Irrtum, Verrücktheit. Einen andern gemeinsamen Gesichtspunkt für alle Arten des Übels, als daß sie, mit Rücksicht auf den Zusammenhang und die Folgen, vielmehr zur Mehrung der Unlust als Lust führen, für den einzelnen oder das Ganze, je nach der Beziehung, in der man den Begriff faßt, wird man nicht finden, will man anders einen klaren und praktisch verwendbaren haben. Es wird aber durch obige drei Kategorien das Feld des Übels noch nicht ganz gedeckt, wie denn z. B. Verlust des Vermögens, Verlust des guten Rufes Übel für den sind, der den Verlust erleidet, ohne sich unter jene Kategorien unterbringen zu lassen; ich finde aber überhaupt keinen recht passenden Ausdruck für eine noch fehlende Kategorie des Übels..

Erstens, daß das Dasein des Übels in der Welt und sein Wachstum bis zu gewissen Grenzen in den notwendigen Grund- und Urbedingungen der Existenz begründet sind, in denselben Grund- und Urbedingungen aber auch eine Tendenz gegen das Übel und damit zusammenhängende Tendenz zum Guten begründet liegt, deren Erfolg sich in der Zeit allmählich vollzieht.

Zweitens, daß zwischen dem Entstehungsgrunde des Übels und der gegenwirkenden Tendenz insofern kein Widerspruch besteht, als jener von unten herauf, d. i. vom Einzelnen und Besonderen her, diese von oben herein, d. i. vom Allgemeinen und Ganzen her wirktSo beruht das moralische Übel darauf, daß der Mensch seine eigne partikuläre Lust der Rücksicht auf den allgemeinen Lustzustand, die gegenwärtige oder naheliegende Lust der Rücksicht auf die gesamten Folgen vorzieht; das intellektuelle ruht auf Widersprüchen der einzelnen Erkenntnis und Erkenntnisbedingungen mit allgemeinen; das physische auf dem einseitigen Übergewicht besonderer Lebensbedingungen über allgemeinere..

Drittens, daß die Tendenz gegen das Übel und im Sinne des Guten in der Art überwiegend das Ganze beherrscht, daß eine kontinuierlich fortschreitende Besserung der bestehenden Weltzustände im ganzen genommen, d. i. eins ins andre gerechnet, stattfindet, ohne damit das ganze Übel auf einmal heben zu können.

Viertens, daß nach dem Zusammenhange der Dinge und der Gesetze ihrer Auseinanderfolge der Fortschritt zum Besseren im ganzen sich nicht ohne zeitweise Rückschritte im einzelnen oder besonderen zu vollziehen vermag, also mit jedem neuen Fortschritt im ganzen zum Besseren auch neue Übel in der Welt auftauchen, die doch den Fortschritt im ganzen aufwiegen.

Fünftens, daß diese Übel sich später selbst in einen Beitrag zur allgemeinen Besserung der Welt umsetzen, indem sie durch die gegenwirkende Tendenz zum Umschlag gebracht und hiernach zum Quell eines neuen Guten werden, was ohne das vorausgegangene Übel nicht hätte entstehen können.

Sechstens, daß, mag der Mensch Gutes oder Böses mit bewußtem Antriebe in die Welt bringen, er über kurz oder lang, wenn nicht schon im Diesseits aber Jenseits, die Folgen davon beziehentlich lohnend oder strafend auf sein Bewußtsein zurückschlagend finden wird, wodurch der eine in der Richtung zum Guten erhalten und gefördert, der andre in die Richtung dazu umgelenkt und hiernach auch der guten Folgen davon teilhaftig wird.

Siebentens, daß, sofern Übel nur in bezug auf bewußte Wesen bestehtSelbstverständlich, da Unlust nur Sache bewußter Wesen ist., auch der Weg seiner Hebung nur durch bewußtes Gegenstreben, über alles das des höchsten bewußten Wesens geht, also daß das Vertrauen auf die endgültige Hebung und Versöhnung alles Übels nicht auf eine tote Weltordnung, sondern auf einen bewußten Lenker derselben zu richten ist.

Achtens, daß die Gesetzlichkeit, mit welcher sich der Gang der Dinge von oben herein vollzieht, keinen Widerspruch dagegen enthält, daß er sich in bewußtem Wege und mit bewußtem Streben vollzieht, indem Gott eben der höchste bewußte Vertreter der gesetzlichen Ordnung und Folge der Dinge ist, und die Festigkeit der Gesetze ihm nur dient, sie mit Sicherheit seinen Zielen entgegenzuführen.

Neuntens, daß die Wege dieser Führung im allgemeinen zu verwickelt und weit auslaufend, die menschlichen Erkenntniskräfte und Mittel aber zu schwach sind, um die Weise, wie gegenwärtige Übel zum Guten führen werden, sicher voraussagen, oder nach dem Erfolge den Wegen dazu vollständig folgen zu können; daß wir also auch das Vertrauen auf Gott nicht auf unsre Erkenntnis seiner Wege im besonderen, sondern auf die allgemeine und feste Richtung dieser Wege zum Heile der ganzen Welt, unser eignes mit eingeschlossen, zu setzen und alles, was wir im Diesseits in dieser Hinsicht noch vermissen, vom Jenseits zu erwarten haben.

Zehntens, daß das Vertrauen auf Gottes Hilfe selbst zu dieser Hilfe mithilftIn dieser Beziehung gelten dieselben Gesichtspunkte, als weiterhin unter XVI. 4 bezüglich des Gebetes zur Sprache kommen werden., und um so stärkere helfende und endlich Gutes aus Schlimmem erzeugende Kraft äußert, je größer das gegenwärtige Übel ist, welchem es gewachsen bleibt.

Man kann bemerken, daß, sofern nach dem 4. und 5. Satze die Verbesserung der Weltzustände im ganzen genommen nicht ohne Rückschritte im einzelnen geschehen kann, und schließlich das Übel selbst zum Quell eines Guten wird, was auf anderm Wege nicht erreichbar war, der Begriff des Übels damit überhaupt einen relativen Charakter annimmt. In der Tat kann man danach von Übel nur insoweit sprechen, als es eben noch nicht durch seine Folgen zum Umschlag in das Gute gekommen ist; der Böse aber hat sich nach dem 6. Satze gegenwärtig zu halten, daß dieser Umschlag den Weg durch seine Strafe nimmt.

Hält man die vorigen Glaubenssätze an die der christlichen Lehre, so kann man in jenen manches über die Dogmen der orthodoxen Fassung dieser Lehre hinausgehend oder selbst damit in Widerspruch finden, so den Satz l vom Ursprunge des Übels, die Sätze 4 und 8 von der in eins bewußten und gesetzlichen Führung des Weltalls, und den Satz 6 von der Endlichkeit der Strafen des Bösen; sofern nach der orthodoxen Lehre das Übel aus dem Mißbrauche der Freiheit stammt, der gesetzliche Gang der Dinge durch Gottes Allmacht mit Wundern durchbrochen wird, und der Böse, welcher den Höllenstrafen einmal verfallen ist, nicht wieder herauskommt. Aber keine der Lehren, welche aus der universalen Idee des Christentums (Kap. VI) fließen, hiermit keine der heilsamen und trostreichen Folgerungen des Christentums, wird durch jene Glaubenssätze umgestoßen, verlassen oder überschritten. Zur Probe darauf bieten sich insbesondere die christlichen Lieder dar, welche "Vertrauen auf Gott", "Trost unter Trübsal" ausdrücken, die "Lob- und Danklieder" auf Gott, die Lieder, welche von "Vorbereitung für den Tod" sprechen, u. a. Wohl in jedem Gesangbuche finden sich ganze Abschnitte so überschriebener Lieder. Hier nur von einigen derer, die das Vertrauen des Christen auf Gott ausdrücken, den ersten Vers, der leicht an die folgenden erinnern wird, da diese Lieder eben wegen ihres trostreichen Inhalts zu den bekanntesten gehören.

Alles ist an Gottes Segen
Und an seiner Gnad’ gelegen,
Über alles Erdengut
Wer auf Gott sein’ Hoffnung setzet,
Der behält ganz unverletzet
Einen freien Heldenmut.

Vom Jahre 1676.

Auf Gott und nicht auf meinen Rat
Will ich mein Glücke bauen
Und dem, der mich geschaffen hat,
Von ganzer Seele trauen.

Gellert.

Befiehl du deine Wege
Und was dein Herze kränkt,
Der allertreusten Pflege
Des, der den Himmel lenkt;

Der Wolken, Luft und Winden
Gibt Wege, Lauf und Bahn,
Der wird auch Wege finden,
Da dein Fuß gehen kann.

Paul Gerhard.

Der Herr ist meine Zuversicht,
Mein einz’ger Trost im Leben.
Dem fehlt es nie an Trost und Licht,
Der sich dem Herrn ergeben.
Gott ist mein Gott; Auf sein Gebot
Wird meine Seele stille;
Mir gnügt des Vaters Wille.

Sturm.

In allen meinen Taten
Laß ich den Höchsten raten,
Der alles kann und hat;
Er muß zu allen Dingen,
Soll’s anders wohl gelingen
Selbst geben guten Rat und Tat.

Flemming.

Sollt es gleich bisweilen scheinen,
Als verließe Gott die Seinen;
Oh, so glaub’ und weiß ich dies;
Gott hilft endlich doch gewiß.

Titius.

Was Gott tut das ist wohlgetan,
Es bleibt gerecht sein Wille,
Wie er fängt meine Sachen an,
Will ich ihm halten stille.

Er ist mein Gott,
Der in der Not
Mich wohl weiß zu erhalten,
Drum laß ich ihn nur walten.

Gellert.

Wer nur den lieben Gott läßt walten
Und hoffet auf ihn allezeit,
Den wird er wunderbar erhalten
In aller Not und Traurigkeit;
Wer Gott dem Allerhöchsten traut,
Der hat auf keinen Sand gebaut.

Neumark.

Sagen wohl diese Lieder in ihrem Ausspruch des Vertrauens auf Gott etwas, womit die obigen Glaubenssätze nicht stimmten? Sie sagen nur dasselbe erbaulich für das religiöse Gefühl, was jene Sätze trocken für den trockenen Verstand; und immer freue ich mich, beide zusammenhaltend, daß sie nicht bloß miteinander stimmen, sondern auch sich wechselseitig stützen.

Dem Materialisten und Pessimisten sind diese Lieder ein Spott, lassen aber auch so manchem von denen, die es nicht sind oder nicht sein möchten, die Frage und den Zweifel übrig, woher soll das Vertrauen auf Gott kommen, das sie in Anspruch nehmen, nachdem Gott die gesamten Übel der Welt, darunter das, an dem ich selbst leide, erst zugelassen oder geschickt hat. Wohl dem, dem solche Fragen und Zweifel in der naiven Hingebung an den Trost jener Lieder von vornherein gar nicht einfallen; aber wenn sie ihm einfallen – und immer mehr schwindet von jener naiven Hingabe –, wird er wohl den Trost dieser Lieder durch eine andre Antwort als im Sinne der vorigen Glaubenssätze retten können? Gegenseits welch’ kräftige historische und praktische Stütze dieser Glaubenssätze in der von alters her bestandenen und verbreiteten Geltung dieser Lieder, als wenn es Zweifel jener Art gar nicht gäbe.

3. Persönliches.

Blicke ich endlich zurück in mein eignes Leben, fragend, wiefern es zu den vorigen Betrachtungen und Sätzen ein Exempel gewährt – und was könnten bloß abstrakte Spekulationen in diesem Felde auch nur mir selbst dienen, was andern die vorigen Betrachtungen, wenn sie nicht einmal mir selbst dienten –, so finde ich bei einem ersten Blick mich nicht unter der Zahl derer, denen der Lebensweg leicht gemacht war, finde aber, indem ich dessen ganzen Zusammenhang überblicke und überdenke, daß durch das Schlimmste für mich teils noch Schlimmeres in den Folgen erspart, teils Besseres in den Folgen vermittelt worden ist, daß, hätte ich alles Gewünschte, was mir versagt war, erlangt, ich ärmer in wichtigeren Beziehungen geblieben wäre, und hätten nicht strafende Folgen dessen, was an mir nicht recht war, fortgehends Gerechtigkeit an mir geübt, ich schlechter im ganzen geblieben wäre. Auf Näheres will ich nicht eingehen, da es fremdes Interesse nicht angeht, und noch mehr Sache innerer als äußerer Erfahrung ist. Mein verhältnismäßig einfaches Leben erscheint mir aber in jenen Beziehungen der Hauptsache nach ganz durchsichtig, und ich verwundere mich manchmal, nachdem ich, nahe dem Ende, zu den Ursachen die Folgen übersehen kann, wie ich auf Wegen, die nicht im Bereiche menschlicher Vorsehung lagen, Besserem entgegengeführt worden bin, was nach den bestehenden Gesetzen des Seins und Geschehens in andern Wegen nicht zu erreichen war. Der Hauptzug des bisherigen Lebensganges aber verrät mir das Prinzip und die Richtung des ganzen Ganges, und so stelle ich das, was bisher doch noch schwer und dunkel für mich geblieben ist, einer Zukunft über dieses Leben hinaus anheim, an die ich glaube und nicht glauben würde, wenn alles schon zuvor erledigt wäre. Daran aber, daß der eigne Lebensgang jene Richtung genommen, hält sich leicht auch der Glaube an eine entsprechende Richtung des ganzen Weltganges aufrecht.

Wohl noch manche, deren Lebensfaden sich verhältnismäßig ebenso einfach und innerlich als der meinige abspann, mag es geben, denen der Rückblick darauf, wollen sie ihn anders mit Ernst tun, die gleiche Verwunderung über die Führung durch das vergangene Leben, und hiernach dasselbe Vertrauen auf die Fortführung desselben durch ein künftiges Leben und endliche Ausgleichung des Übels zu erwecken vermöchteInsbesondere erinnere ich mich hierbei eines Schriftchens, in welchem ein Onkel von mir, Gottlob Eusebius Fischer, als Superintendent in Sangerhausen in hohem Alter und im Genusse hoher Achtung verstorben, dem ich als Versorger und Erzieher von mir in meinen jüngeren Jahren das dankbarste Andenken zolle, die Schilderung seines Lebensganges ganz unter obigem Gesichtspunkt, einer höheren Führung desselben durchgeführt. Leider aber ist mir mit dem Schriftchen selbst auch die Erinnerung an dessen Titel abhanden gekommen.. Aber freilich nicht jedem wird ein solcher Rückblick dasselbe leisten. Denn nicht eines jeden Lebensgang ist ebenso durchsichtig, weil nicht ebenso einfach, weil mehr ins äußere Weltgetriebe verwebt, und wohl mancher ist durch sein ganzes Leben aus Schlimmem in immer Schlimmeres geraten; für diesen aber liegt der entgegengesetzte Glaube näher und macht das für ihn und an ihm Schlimme nur noch schlimmer. Also können freilich Erfahrungen einzelner in jenem ersten Sinne ebensowenig allein maßgebend für einen Glauben von mehr als bloß subjektivem Werte gelten, als solche im zweiten Sinne dafür gelten sollten, sondern nur Gesichtspunkte, unter denen sich beide vereinigen lassen. Und für solche hatte ich nun eben die, welche sich in den vorgängigen Betrachtungen und Sätzen ausgesprochen haben. Die Erfahrungen erster Art bleiben doch wichtig, insofern sie das Gegengewicht gegen die andern zu bilden haben, und insofern wichtiger, als sie geeigneter erscheinen, im Kleinen und Einfachen die Richtung des Ganzen abspiegeln. Denn man kann nicht aus dem Verwickelteren das Einfachere, sondern nur umgekehrt verstehen. Jeder wird in den allgemeinen Fortschritt hineingezogen nach Maßgabe als es paßt und als er paßt; mit jedem paßt es und ein jeder paßt, es fragt sich nur um den Zeitraum, in dem sich’s macht und zeigt.

Der Glaube im Sinne jener Betrachtungen und Sätze, welche im Zusammenhange der Tagesansicht begründet sind, hat aber nicht bloß eine Stütze für mich im eignen Lebensgange gefunden, sondern umgekehrt hat mein Lebensgang eine Stütze in diesem Glauben gefunden, und trägt damit noch von einer andern Seite bei, das vorige zu exemplifizieren. Auch hierzu einige Worte. Der Materialismus, dem ich als Student der Medizin, wie heute noch fast jeder Student der Medizin, verfallen war, die Schellingsche Naturphilosophie, die mich zuerst mit einer ganzen Zeit darüber hinausführte, um freilich die Zeit nachmals nur um so tiefer darein zurücksinken zu lassen, konnten mir wohl fruchten, die Erkenntnis von Ungenügenderem zu Genügenderem fortzuleiten; aber wie sie an sich selbst zuletzt das Denken unbefriedigt gelassen, hätten sie mir auch keine Frucht für das Leben getragen, als das Bedürfnis an dasselbe herantrat, eine Stütze, die kein Wissen um Nahes und Gegenwärtiges und sein Verlassen darauf bot, darüber hinaus zu suchen. Nur der Glaube der Tagesansicht mit ihrer Wiedereinkehr in die christlichen Ideen von einer göttlichen Führung ließ mich diese Stütze finden. Und wäre nicht der finstersten und scheinbar hoffnungslosesten Zeit meines Lebens der erste Anbruch der Tagesansicht in den Ideen des "Büchleins vom Leben nach dem Tode" schon vorausgegangen, hätte nicht der Ernst jener Zeit mit dem Glauben an die göttliche Führung durch dieses und über dieses Leben hinaus auch den Trost dieses Glaubens mitgebracht, der sich in dem Liede, womit ich schließe, ausspricht, und nicht das Vertrauen, daß das Verharren im Vertrauen sich endlich doch so oder so lohnen müsse, ausgehalten, so hätte ich jene Zeit nicht ausgehalten. Nun macht eine Schwalbe noch keinen Sommer; aber die erste Schwalbe käme nicht, wenn nicht ein Sommer käme, und als diesen Sommer betrachte ich den dereinstigen Sieg der Tagesansicht mit dem Wiederaufleben der in sie eingehenden und sie von oben beherrschenden christlichen Ideen, unter Abtun von so manchen bedrückenden Dogmen (Kap. VI), wonach diese Ansicht zu ihren Trostliedern auch wohl noch freudigere Lieder wird bringen können.

Trost in Trübsal (1841).

Wenn alles sich verdunkelt,
Verloschen ist der Schein,
Der einsam noch gefunkelt
Vom letzten Sternelein;
Denk’, daß eine Sonne
Lebendig doch noch geht,
Ein neuer Tag der Wonne
Dereinst bevor dir steht.

Ob’s hier sei oder drüben,
Bekümmere dich nicht;
Wenn Gott es will verschieben,
Zu zeigen dir sein Licht,
Gewiß, daß deine Augen,
Gewohnt an Erdennacht,
Hiernieden noch nicht taugen,
Zu schauen solche Pracht.

Was immer dich mag kränken,
Der es geführt heran,
Weiß es auch so zu lenken,
Daß es ist wohlgetan.
Auf ihn leg’ deine Sorgen,
Der auf dich legt die Last,
Wer weiß, ob du nicht morgen
Sie ausgetragen hast.

Was hilft es, daß dein Grämen
Du rufest in die Welt.
Die Welt wird dir nicht nehmen,
Was Gott dir hat bestellt;
Vom Jammern wächst der Jammer,
Wird stille, bist du still,
Drum bet’ in deiner Kammer
Nur leis’: wie Gottes will.

Kannst Solchen Trost du fassen,
So bist du nicht mehr krank,
So bist du nicht verlassen,
Und kannst noch sagen Dank
Für das, was er geschickt,
Zu lindern deine Qual,
Wär’ alles dir geglücket,
So wär’ dir alles schal.

In ird’schen Lebensstunden,
Wen nie was hat gekränkt,
Wer alles hat gefunden,
Woran das Herze hängt,
Dem wird vor’m Tode bangen,
Der bittrer Trank ihm scheint,
Du darfst nach ihm verlangen,
Gott sendet dir den Freund.

Hab’ Frieden drum, Gemüte,
Ihr Augen weinet nicht,
Daß Gott schon vor der Blüte
Des Lebens Mark zerbricht.
All’ alles bind’ zusammen,
Was gab und gibt dir Pein,
Und leg’s woher’s mag stammen,
In Gottes Schoß hinein.


 << zurück weiter >>