Gustav Theodor Fechner
Die Tagesansicht gegenüber der Nachtansicht
Gustav Theodor Fechner

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IX. Was veranlaßt und berechtigt uns, eine Außenwelt anzunehmen, und wiefern ist eine Erkenntnis ihrer Beschaffenheit möglich.

Der Mensch spricht von äußeren Erscheinungen oder Erscheinungen eines Äußeren, die er von einer sog. materiellen oder körperlichen Außenwelt, sagen wir gewohntermaßen kurz Natur oder einfach Außenwelt, ursächlich abhängig denkt, indes es im Grunde immer nur innere Bestimmungen, Erscheinungen seines eignen geistigen Wesens, sinnliche Empfindungen, Anschauungen dieser und jener Art sind, die er auf das Dasein der materiellen Außenwelt, als durch dieselbe hervorgerufen, deutet. Was läßt ihn überhaupt annehmen, daß der inneren Welt dieser Empfindungen, Anschauungen wirklich eine Welt außerhalb entspreche, und was berechtigt ihn zu einer solchen Annahme?

Ist es eine instinktive Nötigung? Wenn eine solche besteht, so wird sich davon wie von allem Instinktiven entweder überhaupt keine klare Rechenschaft geben lassen oder solche erst rückliegend gesucht werden müssen; der Ausdruck selbst an sich erklärt nichts. Fragt sich zunächst in dieser Hinsicht, um nach etwas Tatsächlichem zu fragen, ob ein neugeborenes Kind schon eine Außenwelt von sich unterscheidet. Natürlich in derselben Weise, als wir es reflektierend tun oder tun können, nicht; doch könnte es so sein, wie wir es unwillkürlich ohne Reflexion darauf, tun, und uns bei unsern Handlungen nach außen dadurch bestimmt findenJedenfalls scheint es bei neugeborenen Tieren ihren auf die Außenwelt bezüglichen Handlungen so zu sein.. Inzwischen ist vieles in uns durch Erfahrung und Übung im Leben erst erworben, was sich nachmals unwillkürlich wie etwas Angeborenes, Instinktives geltend macht. Könnte dies nicht auch, mit der unwillkürlichen Unterscheidung einer Außenwelt von uns der Fall sein? Wäre oder auch die unwillkürliche Unterscheidung uns angeboren, könnte sie nicht erst von unsern Voreltern erworben und nur durch Vererbung an uns übergegangen sein? Wer vermöchte diese Fragen sicher zu entscheiden; es ist sogar schwer, sie klarzustellen. Doch versuchen wir es noch mit einigen Betrachtungen, ob sich nicht etwas Licht in der Frage gewinnen läßt.

Zunächst kann man geneigt sein, den Grund, daß wir unsre äußeren Wahrnehmungen von einer Außenwelt abhängig halten, so zustellen, und in der Tat wird er mehrfach mindestens ähnlich gestellt. Die durch die äußeren Wahrnehmungen uns bewußt werdenden Erscheinungen, Empfindungen verraten keine ursächliche Abhängigkeit von vorher bestandenen Bestimmungen unsres geistigen Selbst in demselben Sinne, als unsre Erinnerungen von unsern Anschauungen, unsre Begriffe von unsern Erinnerungen usw., indes sie selbst Anlaß zu neuen Bestimmungen geben können, die solche verraten. Also sucht man ein Ursächliches davon außer dem Geist. Zwar können wir durch vermittelnde Betrachtungen uns auch eines Kausalzusammenhanges zwischen unsern äußeren Wahrnehmungen versichern; und so geschieht es ja in der Naturwissenschaft, die ihr ganzes System auf den Kausalzusammenhang zwischen solchen Wahrnehmungen begründet; aber jedenfalls ist dieser Kausalzusammenhang nicht so einfach und unmittelbar ins Bewußtsein fallend, als jener innere, fällt mit demselben nicht zusammen, läßt sich mit ihm nicht in continuo verfolgen, hat seine eignen Gesetze in sich, steht sozusagen senkrecht auf jenem; also unterscheiden wir das, was in den einen eintritt, von dem, was in den andern eintritt, als ein andres Gebiet; und da der ursächliche Zusammenhang im äußerlich scheinenden Gebiete uns nicht unmittelbar innerlich vorliegt, suchen wir das Ursächliche dazu unwillkürlich außerhalb.

Hiernach würde die Frage, ob wir eine Außenwelt angeborenerweise von uns unterscheiden, überhaupt von der Frage abhängen, ob uns die Forderung der Kausalität aprioristisch eingeboren sei; umgekehrt glauben manche einen strikten Beweis, daß letzteres der Fall sei, darin zu finden, daß wir unwillkürlich eine Ursache zu unsern äußeren Wahrnehmungen außer uns suchen. Inzwischen ist schon oben bemerkt worden, daß es von vornherein fraglich ist, ob wir das, was wir jetzt unwillkürlich tun, auch angeborenerweise tun, es könnte also recht wohl –wie das die Ansicht von andern ist – die Forderung des Kausalzusammenhanges erst durch die Erfahrungen des Lebens vermittelt, und in Abhängigkeit hiervon auch die Unterscheidung einer Außenwelt von uns erst später erstanden sein. Ja, ist uns denn selbst heute noch die Forderung der Kausalität so unwillkürlich und geläufig, um davon überhaupt die ganz unwillkürliche und geläufige Unterscheidung einer Außenwelt von uns abhängig machen zu können? Schon frühere Bemerkungen (Kap. XVII) stehen dem entgegen. Wer fragt in der Regel danach, wenn er einen Ablauf äußerer Erscheinungen vor sich gehen sieht, ob sie überhaupt ursächlich bedingt sind; dieser Beziehungsbegriff kommt erst durch besondere Reflexion, welche wir in der Regel nicht anstellen und zur Unterscheidung einer Außenwelt von uns nicht brauchen, zustande; man verfolgt unmittelbar eben nur die Folge der Erscheinungen. Und anstatt unwillkürlich ein Ursächliches außer uns zu unsern äußeren Wahrnehmungen zu suchen, verwechseln wir vielmehr reflexionslos das, was in die Wahrnehmung eintritt, geradezu mit etwas Äußerem.

Anhänger einer indeterministischen Freiheitsansicht leugnen sogar von vornherein, daß die Kausalität im geistigen Gebiete unbedingte Gültigkeit habe; sofern freie Willensentschließungen ohne zulängliche Bedingtheit durch Vorangehendes entstehen können; doch erscheinen diese Entschließungen als etwas dem Geiste Inneres, nicht von außen Aufgedrungenes. Die gleiche Möglichkeit müssen sie dann auch für die äußeren Wahrnehmungen zugestehen, und könnten hiermit nicht den Schein, daß dieselben von außen aufgedrungen sind, von vermißter innerer Kausalität abhängig machen. Auch abgesehen aber von der Freiheitsfrage erscheinen uns plötzliche Einfälle, von denen wir nicht wissen, woher sie uns gekommen sind, doch nicht unmittelbar als etwas von außen gekommenes.

Hiernach kann man es mindestens sehr zweifelhaft finden, ob das Vermissen einer inneren Kausalität überhaupt eine Rolle bei der uns sozusagen zur andern Natur gewordenen Unterscheidung einer materiellen Außenwelt von uns selbst liegt; und lassen wir die Frage nach dem letzten Grunde davon dahingestellt, nachdem sich nicht ganz ins reine darüber kommen ließ.

Eine andre Frage als nach dem psychologischen Grunde, daß wir zu unsern äußeren Wahrnehmungen unwillkürlich eine wirklich vorhandene Außenwelt voraussetzen, ist die fundamentalere, weil unsre objektive Erkenntnis selbst angehende, Frage nach der Berechtigung dieser Voraussetzung. Glaubenssache wird die Annahme einer Außenwelt immer bleiben, da wir doch das, was wir von ihr haben und wissen, tatsächlich nur als unser Inneres haben und bei einiger Überlegung auch als solches anzuerkennen. Aber die Tatsache selbst, daß man von jeher an eine Außenwelt geglaubt, eine solche von sich unterschieden hat, gibt die historische Stütze, und daß man, um in eine Außenwelt hinein zu handeln, an das Dasein einer solchen glauben muß, die praktische Stütze dieses Glaubens. Fragt sich noch nach einer theoretischen Stütze.

Wenn nun schon die Tatsache, daß wir unwillkürlich eine Außenwelt von uns unterscheiden, nicht sicher dadurch erklärbar schien, daß wir unwillkürlich zu unsern äußeren Wahrnehmungen eine Ursache außer uns suchen, die wir nicht in uns finden, so läßt sich auch die Berechtigung zu dieser Unterscheidung nicht wohl darauf gründen. Einmal, weil wir bei gründlicher Untersuchung des Naturzusammenhanges, der in unsre äußere Wahrnehmung eintritt, doch mehr oder weniger einen ursächlichen Zusammenhang dazwischen wirklich entdecken, ohne über unser Inneres dabei herauszugehen, zweitens, weil wir selbst von unsern Gedanken den ursächlichen Zusammenhang nicht vollständig in uns zu verfolgen vermöchten, ohne ihnen deshalb die rein innere Existenz absprechen zu können. Wonach denkbar wäre, daß äußere Wahrnehmungen wie Gedanken beide nach einem rein inneren, nur nicht überall verfolgbaren, Kausalzusammenhange abliefen; denn daß sich der eine Kausalzusammenhang nach einem oben gebrauchten kurzen Ausdruck sozusagen senkrecht auf den andern stellt, würde immer nicht hindern, daß der eine so gut als der andre ein rein innerer sei. Hingegen läßt folgende Betrachtung erkennen, worauf wir jedenfalls faktisch in Wissenschaft und Leben die Berechtigung stützen, die äußeren Wahrnehmungen auch äußerlich bedingt zu halten.

Halluzinationen, denen wir nichts äußerlich entsprechend halten, machen dem, der solche hat, denselben Eindruck, als einem andern äußere Wahrnehmungen, denen wir etwas äußerlich entsprechend halten. Was macht den Unterschied zwischen beiden? Im Grunde sind doch letztere, die äußeren Wahrnehmungen, so gut eine rein innere Sache als erstere, die Halluzinationen, und findet der Halluzinierende sowenig eine innere Ursache zu den Phantasmen, die er für äußere Objekte hält, als der äußerlich Wahrnehmende zu den Erscheinungen wirklicher, d. h. von allen dafür anerkannter, Objekte. Könnten nicht also die äußeren Erscheinungen, die wir auf das Dasein von solchen beziehen, vielmehr auch nur subjektive Phantasmen, wie die Halluzinationen, sein. Doch verwechseln wir, abgesehen vom Halluzinierenden selbst, beide nicht, und das muß einen Grund haben.

Augenfällig liegt dieser Grund darin, daß mit der, durch die äußeren Wahrnehmungen gebotenen, Erscheinung der für wirklich gehaltenen Objekte der Außenwelt für uns, teils entsprechende, teils gesetzlich verfolgbar damit zusammenhängende in andern Menschengeistern entstehen können, von denen wir Mitteilungen darüber empfangen können. Derselbe Baum, den ich sehe, können andre sehen, sie mögen ihn nach ihrer verschiedenen Stellung und der verschiedenen Einrichtung ihres Auges verschieden sehen, und mit Rücksicht auf diese Verschiedenheiten läßt sich die Verschiedenheit der Erscheinungen erklären; aber der Zusammenhang, vermöge dessen die Erscheinung des Baumes für ein geistiges Subjekt nur nach Maßgabe möglich ist, als sie zugleich in gesetzlich zugehöriger Weise für andre möglich ist, gibt uns die Berechtigung oder gilt uns dafür, ein gemeinsames Ursächliche dafür, was über jeden Geist insbesondere hinausgreift, anzunehmen, eine Berechtigung, welche den Halluzinationen fehlt. Und so lassen wir die Erscheinungen, die dem Halluzinierenden Außendinge vorspiegeln, deshalb nicht als abhängig von wirklichen Außendingen gelten, weil sie sich dem gesetzlichen Zusammenhange der Vorstellungen, welche wir alle von der Außenwelt haben, nicht fügen. Bestände ein solcher Zusammenhang für die Gesamtheit, so hörte auch alle theoretische Berechtigung auf, in den Erscheinungen einer Außenwelt mehr als eine Summe subjektiver Halluzinationen zu sehen.

Nun freilich, daß es Geister außer uns gibt, können wir doch auch nur aus Einwirkungen derselben auf uns schließen, die uns innerlich geworden sind, und könnten hiernach von vornherein so gut das Dasein einer geistigen, als einer materiellen Außenwelt über uns hinaus bezweifeln; aber zu den historischen und praktischen Glaubensgründen für das Dasein von Geistern außer uns tritt noch der theoretische der Analogie, wonach wir an ähnliche Körper und körperliche Äußerungen als unsre eignen und auch ähnliche Seelen und Seelenäußerungen, als unsre eignen knüpfenEtwas näher erläutert, so: Ich nehme meinen Körper und meine Handlungen äußerlich war, ebenso die von andern Menschen. Die dadurch gewonnenen sogenannten äußeren Erscheinungen sind beidesfalls nur ein Inneres für mich, d. i. meinen Geist; aber nachdem ich die von meinem Körper und meinen Handlungen gewinnbaren äußeren Erscheinungen in solidarischem Zusammenhange mit innerlichen Seelenerscheinungen finde, setze ich voraus, daß es analoge Seelenerscheinungen auch in solidarischem Zusammenhange mit den analogen äußeren Erscheinungen, die ich vom Körper und den körperlichen Äußerungen andrer habe, geben werde, die aber nicht mit meinen inneren Seelenerscheinungen zusammen fallen, also nicht in mein Bewußtsein treten, weil ja auch die körperlichen Erscheinungen von uns beiden in mir selbst nicht zusammenfallen. So äußerlich diese gegeneinander, so äußerlich die beziehentlich dazu gehörigen, einerseits von mir innerlich empfundenen, anderseits von mir dazu hinzugenommenen Seelenerscheinnugen. Natürlich tritt dieser Analogieschluß nicht in so entwickelter Gestalt von selbst ins Bewußtsein, läßt sich aber doch so in seine Momente entwickeln..

Mit all dem ist nicht gesagt, daß der unwillkürliche Eindruck des Daseins einer materiellen Außenwelt von unserm Wissen, daß andre auch einen solchen Eindruck haben, abhängt; unstreitig entsteht er für jeden ganz unabhängig davon; sondern es ist nur gesagt, daß wir den Durchgang durch den Glauben an Geister außer uns nehmen müssen, um den Halluzinationen gegenüber eine theoretische Berechtigung für den Glauben zu finden, daß dem Scheine materieller Außendinge für jeden einzelnen von uns auch wirklich Dinge objektiv, d. i. für andre existierend, entsprechen.

Auch ruht unsre ganze Betrachtungsweise der Natur oder materiellen Außenwelt als einer objektiv daseienden faktisch auf der Voraussetzung, daß sie nicht bloß uns, sondern auch andern erscheine, d. i. Wirkungen in andre wie in uns hineinerzeugen könne, welche wir von ihr als der Ursache davon abhängig machen; und unsre ganze Charakteristik der objektiven Natur beruht nicht bloß auf Erfahrungen, die von diesem und jenem, sondern von möglichst vielen gemacht und von den Klügsten darunter zu Weiterschlüssen, wie sich die Erscheinungen unter abgeänderten Umständen abändern würden, benutzt werden.

Allerdings bestände hiernach, allgemein gesprochen, noch die Möglichkeit, daß der gesetzliche Zusammenhang der äußeren Erscheinungen, wennschon über jeden einzelnen Geist hinaus weisend, für die Gesamtheit aller durch eine zwischen ihnen bestehende prästabilierte Harmonie vermittelt sei, ohne daß es über sie hinaus etwas gäbe. Und unstreitig ist kein logisch zwingender Beweis dagegen zu führen; aber auch keiner dafür. Gewiß ist, daß bis jetzt keine klare und praktische Verständigung über die Welt der Außendinge für die Menschen unter der Form oder Voraussetzung möglich erschienen ist, daß es zu den sog. äußeren Erscheinungen, welche den Einzelgeistern eine Außenwelt vorspiegeln, nichts Ursächliches außer diesen Geistern gebe, daher auch weder die natürliche noch naturwissenschaftliche Ansicht sich darauf einläßt, ja im Grunde auch kein philosophisches System dieselbe rein vertritt. Denn selbst im Leibnizischen System prästabilierter Harmonie gilt die göttliche Monas noch als ein über den Einzelgeistern hinaus bestehendes Wesen, was ihre Zusammenstimmung vermittelt, ohne daß aber klare Vorstellungen darüber im System bestehen. Da wir nun, wo keine Entscheidung zwischen mehreren möglichen Ansichten, sei es auf rein logischem, sei es auf direktem Erfahrungswege, möglich ist, diejenige vorzuziehen haben, welche die klarste, praktischste und historisch bewährteste Orientierung im Gesamtgebiete menschlicher Erkenntnis vermittelt – denn woran uns sonst halten – so abstrahieren wir, um nicht die Betrachtungen von vornherein erfolglos zu verwickeln, von der logischen Möglichkeit jener unfruchtbaren Ansicht.

Fragt sich nun, wenn wir doch eine Außenwelt über die Einzelgeister hinaus zuzugestehen haben, wiefern uns eine Erkenntnis ihrer Beschaffenheit möglich ist. Die so einflußreich gewordene Kantsche Lehre leugnet eine solche Möglichkeit, läßt die objektive Beschaffenheit dessen, was die Erscheinungen einer Außenwelt in uns hinein erzeugt, überhaupt unbestimmt, spricht von Dingen an sich, deren Beschaffenheit an sich ganz unerkennbar sei, indem alle davon in uns abhängigen Erscheinungen, selbst die zeitliche und räumliche Form derselben, wesentlich durch die Einrichtung unsrer Subjektivität bedingt seienDaß Raum und Zeit subjektive Formen unsrer Anschauung sind, bedarf überhaupt keines besonderen Beweises, da es eine einfache Tatsache unsrer Erfahrung, des Blickes in uns selbst hinein ist. Daß sie nur Formen unsrer Anschauung sind, ist nicht daraus zu folgern; und wenn man aus Zeit und Raum allen Inhalt wegdenken kann, ohne Zeit und Raum selbst wegdenken zu können, so spricht dies eher dafür, als dagegen, daß es wesentliche Formen der Intelligenz überhaupt sind., jedenfalls unerfindlich sei, was nicht davon bedingt sei. Auf diesen Standpunkt kann man sich ja freilich stellen; nur fragt sich, was man damit gewinnt, daß man die Schlußwege prinzipiell vernachlässigt und verwirft, die uns einen Blick über unser eignes beschränktes Dasein hinaus eröffnen können. Kant selbst wird doch nicht leugnen können, daß unsre eigne Existenz ein Teil der gesamten Existenz sei; und es ist ein eignes Postulat, daß dieser Teil mit dem übrigen Teile der Existenz so unvergleichbar sei, um keinen Schluß vom einen auf den andern machen zu können, indes wir sonst überall solche Schlüsse mit um so mehr Frucht für unsre Erkenntnis und das darauf gebaute praktische Leben machen, eine je größere Sicherheit und Tragweite wir diesen Schlüssen zu geben wissen. Fehlt nun auch allen Induktionen, Analogien, Kausalbetrachtungen, auf denen wir hierbei fußen mögen, die logische Evidenz, hiermit ihren Ergebnissen die absolute Gewißheit, so lassen wir uns doch sonst nicht dadurch hindern, von diesen Schlußwegen Gebrauch zu machen, und könnten ohne das in keinem Zweige des Lebens und Wissens auskommen; nun sollen wir gar in unsern Ansichten über die allgemeinsten und höchsten Dinge ohne das auskommen. Jedenfalls scheint es mir besser, das Wahrscheinlichste, uns theoretisch und praktisch im Gebiete der Existenz zu orientieren Geeignete zu suchen, auf die dazu zu Gebote stehenden Mittel ausdrücklich hinzuweisen, und sie zu möglichster Klarheit, Sicherheit und Entwicklung zu bringen, als die fehlende Möglichkeit absoluter Gewißheit der Erkenntnis mit absolut fehlender Erkenntnismöglichkeit zu verwechseln, und in dieser Verwechslung sozusagen das Fundament philosophischer Weisheit zu sehen.

Nun freilich dürfen wir nicht von vornherein Bestimmungen, die in uns durch das Äußere hervorgerufen werden, unmittelbar auf das Äußere, als dort ebenso bestehend, übertragen, wie es die gemeine oder natürliche Ansicht tut. Das Leuchten der Sonne, das Rauschen des Windes, das Duften der Blumen sind ihr etwas, was nicht bloß in uns, sondern in die objektive Außenwelt selbst über unsre Seele hinaus fällt. Ob es nicht aber, wenn überhaupt, draußen doch anders leuchte, rausche, dufte, als in irgendeinem von uns, die bloß eine Wirkung von draußen empfangen, ja ob es überhaupt draußen noch leuchte, rausche, dufte, ob nicht das bloß Wirkungen in uns sind, welche von einer ganz anders gearteten Bestimmtheit des Draußen abhängen, danach fragt sie nicht, darum kümmert sie sich nicht. Und doch. kann das, was eine Erscheinung der Art von draußen in uns hervorruft, unmöglich draußen sich ebenso wiederfinden, wie es jedem von uns innerlich vorgespiegelt wird, weil es sich ja in jedem von uns nach der Einrichtung seiner körperlichen Organe, wozu die Einrichtung der Seele in einem Verhältnis der Bedingtheit steht, und seiner Stellung zur Außenwelt anders spiegelt, und doch nicht allen Spiegelbildern zugleich gleichen kann.

Von der andern Seite aber läßt sich doch auch denken, daß, so gut an gewisse Bestimmungen und Bewegungen innerhalb unsres Körpers, insbesondere Nervensystems, sich die Empfindungen des Leuchtens, Tönens, Duftens usw. gesetzlich knüpfen, dies auch von entsprechenden Bestimmungen und Bewegungen der körperlichen Außenwelt gelte, solchen namentlich, von welchen die leuchtenden, tönenden, duftenden Bewegungen in unserm Körper selbst erst kausal abhängen, nur daß diese Bewegungen durch Eintritt in das materielle System unsres Körpers nach der individuellen Einrichtung eines jeden in jedem anders modifiziert werden und andre Mitbestimmungen erfahren, somit auch anders modifizierte Empfindungen mitführen und in ein System andrer psychischer Mitbestimmungen eintreten; indes doch auch etwas Gemeinschaftliches in der Qualität der Empfindung zwischen Innen und Außen bleiben kann. Um ein Bild aus dem Bereiche unsrer Vorstellungen von der Außenwelt selbst zu brauchen: Derselbe Lichtstrahl kann je nach der Beschaffenheit der verschieden geschliffenen Gläser, durch welche er gebrochen wird, verschieden gekrümmten Spiegel, durch die er zurückgeworfen wird, verschieden gefärbten Oberflächen, durch die er zerstreut wird, sehr verschieden modifiziert, heller, dunkler, einfacher, zerstreuter, so oder so gefärbt erscheinen, doch bleibt die Qualität des Leuchtens allen diesen Fortwirkungen mit dem Ursprung gemein; und so könnte auch an den oszillierenden Lichtstrahl draußen sich ebensogut die Empfindung des Leuchtens in einem an die materielle Außenwelt geknüpften allgemeineren geistigen Wesen knüpfen, als an seine oszillierende Wirkung in unser organisches System hinein sich die Empfindung des Leuchtens in unsrer daran geknüpften Seele knüpftFreilich ist das, was wir als oszillierenden Sichtstrahl draußen, wie das, was wir als oszillierende Wirkung desselben in uns fassen, beides nur eine Abstraktion aus dem Bereiche äußerer Wahrnehmungen; aber insofern beides aus vergleichbaren Wahrnehmungen abstrahiert ist, hat es auch die Voraussetzung für sich, daß ihm objektiv etwas Vergleichbares entspricht..

In der Tat ist dies die Auffassung des Verhältnisses zwischen Innen und Außen, worauf unsre Tagesansicht zurückkommt, gegenüber der Nachtansicht, wonach das draußen noch finstre Licht erst in uns zum Leuchten kommt.

Wie schon früher erinnert, geht unsre Tagesansicht hiermit in gewisser Weise zur natürlichen Ansicht zurück, macht dabei aber doch einen klaren Unterschied zwischen dem, was objektiv in der Natur selbst oder dem zugehörigen geistigen Wesen erscheint, und dem, was in Abhängigkeit davon jedem von uns erscheint, den die natürliche oder gemeine Ansicht nicht macht, indem sie ihn zwar nicht ausdrücklich abweist, aber in ihrer Unklarheit und Unbestimmtheit nicht darauf eingeht.

Sehen wir nun im folgenden Abschnitte zu, wie diese Auffassung der sinnlichen Erscheinungswelt oder Natur seitens der Tagesansicht mit der naturwissenschaftlichen Auffassung derselben sich vermittelt.


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