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VII

»Das aber ist dem Führer das schwerste zu ertragen: nicht selbst darf er handeln. Nur zuschaun darf er; nur die Fäden ziehn; die andern tun, wie er will. Es handeln die Helden; er ist der Herr über Helden.«

Anaximander, um 600 vor Chr.

 

An Major Ferd. v. Schill: »Sie sind auf einem guten Posten, und die Zeit ist nahe, wo wir auf kräftige Handlungen rechnen müssen. Wir müssen überall fertig sein, um den kleinen Krieg zu unternehmen, und auf Sie rechne ich dabei am meisten. Doch warten Sie das Zeichen ab und übereilen Sie nichts.«

Scharnhorst.

 

München – Berlin, Okt. – Nov. 1923.

Da kommen sie!« rief Lili, sprang auf, winkte mit dem Taschentuch.

Sie waren in dem riesigen Saal des Bürgerbräus, der an diesem Abende zum Brechen voll war, längst vor Beginn der Versammlung. Weit hinten saßen sie an einem langen Tisch; Schwester Pia und Lili hatten ein wenig Ausblick, Gerhard verschwand hinter einer Säule.

Mühsam drängte sich der lange Hinrichsen durch die Massen, hinter ihm Lannwitz und Brinken. Schwer nur kamen sie vorwärts, ließen sich von einer vollbusigen Kellnerin ins Schlepptau nehmen, die wie ein Eisbrecher vordrang, sechs Literkrüge in jeder Hand. Unterwegs drückte Hinrichsen den Studenten an einen Tisch, kam endlich heran mit dem Rittmeister.

»Rückt zusammen«, sagte er, »es muß gehn – auf zwei Stühlen zu dreien. Ich setz mich dorthin zum Oberland.«

Gerhard bog sich um die Säule. »An den Tisch? Ihr seid dick geworden seit Oberschlesien: zu viel Bier – was?«

Der lange Holsteiner lachte. »Sitzen nur zwei Oberländer dort – die andern sind brave Münchner Bürger. Dies ist doch eine Versammlung der bayerischen Regierung, von Kahr veranstaltet. Erst im letzten Augenblick bekamen wir Nachricht – im ganzen Saal sind kaum sechzig Mann aus den Verbänden. Die Minister da vorn, Herr von Knilling an der Spitze, werden sich wundern heutabend.«

Er ging zurück, setzte sich neben den Studenten.

»Wann seid ihr angekommen?« fragte Gerhard.

»Hinrichsen hat uns eben vom Bahnhof geholt«, antwortete der Rittmeister, »gleich hergeschleppt. Und ihr, Lili und du?«

»Vier Stunden schon in München«, sagte Lili, »längst eingebürgert.«

Die Kellnerin stellte Steinkrüge vor sie hin. »Sechshundert Milliarden, bitt schön!«

»Was?« rief Lannwitz. »Als wir von Köln abfuhren, kostete das Bier noch –«

»Trink nur, Peterchen«, lachte Schwester Pia. »Sonst wird's noch teurer!«

Der Rittmeister nahm einen tiefen Zug. »Schauderhafte Luft! Als ich das letzte Mal hier war, wehte das Mailüfterl.«

»Wann?« fragte Lili.

»Neunzehn«, gab er zurück, »als wir uns mit den Roten katzbalgten. Hinrichsen sagte, daß sich was tun würde, heut im Bürgerbräu? Mehr wußte er selber nicht –«

»Wir auch nicht«, meinte Schwester Pia. »Aber tun wird sich was, das weiß ganz München.«

Lannwitz wandte sich an Scholz. »Immerhin wirst du mir sagen können, warum du mich herbefahlst. Am Rhein weiß ich nun Bescheid – hier bin ich, scheint mir, überflüssig.«

»Jeden entbehrlichen Mann sollte ich herschaffen«, antwortete Gerhard. »Nur – ich kann dort keinen entbehren. Brinken soll morgen wieder zurück.«

Der Rittmeister schlug seinen Krug auf den Tisch. »Mich aber kannst du gut entbehren, was?«

»Sei doch vernünftig, Peter«, rief Lili, »hast du nicht die neuen Steckbriefe gesehn? Und diesmal ist ein ausgezeichnetes Bild von dir drauf! Wir sind alle froh, daß du hier bist: Bayern vollzieht keinen Steckbrief.«

– Jemand redete auf der Bühne; Gerhard verstand so wenig, wie er etwas sehn konnte hinter der Säule. Ein paar Worte einer Baßstimme drangen zu ihm; dann überschlug sich eine helle Stimme, von der nur wirre Laute an sein Ohr klangen. Dazwischen ein Klatschen und Rufen der Hörer.

»Wer spricht?« fragte er seinen Nachbar.

Er drehte ihm den Rücken zu, saß so eingekeilt, daß er sich kaum rühren konnte. Nur ein Grunzen erhielt er als Antwort.

Höflich sind sie grad nicht, diese Münchner, dachte er. Wie er nur ausschaun mochte, der Mann da hinter ihm – stiernackig vermutlich, kurzstirnig und schwarzlockig, wie die Bauchhelden, bei denen die Oberländer hockten.

Eine Aufregung entstand im Saale, der Nachbar legte ihm beide Hände auf die Schultern, bog sich über ihn, um sehn zu können. »Was gibt's«, fragte Gerhard.

»Ein paar Männer drängen sich durch«, sagte Lannwitz, »zur Bühne hin. Nun sind sie oben!«

Ein Pistolenschuß krachte – alles sprang auf im Saale, schrie durcheinander. Eine volle Stimme, die Ruhe befahl – dann wieder ein Schuß. Still wurde es.

Er hörte Schwester Pia: »Das ist der Hitler, Lili, der da, der zur Decke schießt!«

Wenige Sätze nur, voll und tönend, wie ein Läuten von Glocken. Jedes Wort verstand man, bis zur letzten Ecke: die nationale Republik rief er aus.

Harte Schritte und Tritte – junge Burschen besetzten die Bühne. Aus allen Türen drängten mehr herein, standen enggekeilt, hoben einander auf die Schultern.

Wieder klang eine Stimme von der Bühne her. »Was sagt er, was?« fragte Gerhard.

Keiner antwortete. Alles stand vor ihm, nur Rücken sah er und die Säule. Er hob den Kopf, so gut das gehn wollte, sagte dem Mann, den er nicht sehn konnte: »Nehmen Sie doch die Hände von meinen Schultern! Und bitte: haben Sie verstanden, was der da vorn sprach?«

Der Mann zog die Hände zurück, Gerhard merkte, daß er sich setzte. Gleich darauf fühlte er warmen Atem an seinem Ohr. Eine Stimme sagte: »Sie ziehn sich zurück, sie beraten im Nebenzimmer, das hat er gesagt. Wir sollen ruhig warten, bis sie wiederkommen. Prosit – haben Sie keinen Durst?«

Durst hatte er – kein Wunder, in dieser Stickluft.

»Trinken Sie nur«, hörte er die Stimme im Ohr, »trinken Sie, Herr Oberleutnant Scholz.«

Seinen Namen wußte der Mann – wer war es denn? Einerlei – was lag daran. Er folgte dem Rat, trank. Kühl schmeckte das Bier, ein wenig wässerig. Inflationsbier, dachte er.

»Ja, jetzt beraten sie«, hörte er, »Hitler und Pöhner mit Kahr, Lossow und Seisser.«

Er nickte – das wußte er ja. Schon heute nachmittag hatte ihm Hauptmann Göring den Plan mitgeteilt: man wollte in Kahrs Versammlung eindringen, den Staatskommissar vor die vollendete Tatsache stellen: nationale Republik. Dann mußte der Farbe bekennen – für oder gegen Berlin.

Lärm da vorn – was gab's nun? Der Mann hinter ihm flüsterte: »Sie nehmen den Knilling fest, den Herrn Ministerpräsidenten samt seinen Kollegen. In Schutzhaft: da können sie das Maul nicht aufreißen. Jetzt führt man sie ab.«

Er blickte zur Bühne. Ein Dunst lag über dem Saal, ein Nebel aus Rauch und Bierduft. Dennoch sah er jetzt alles sehr klar, als ob die Leute dicht vor ihm wären.

Die Stimme sagte: »Da stehn ein paar auf – schaun Sie doch hin, Gerhard Scholz! Preußische Herrn aus Berlin.«

Er suchte herum – richtig, einige Tische von den Oberländern entfernt, erhoben sich drei Leute. Er erkannte sie – Herrn vom Reichswehrministerium. Sie schoben sich durch die Massen – einer wurde abgedrängt – ja doch: General Kreß von Kressenstein –

»Die hat der Seeckt hergeschickt«, sagte der Mann, »den Ruyth, den Hanneken, den Kreß. Die wissen genug nun; da laufen sie herum in der Garnison, drehn dem Lossow die Kehle ab.«

Nein, der Mann, der das sprach, war garnicht kurzstirnig, schwarzlockig und stiernackig. Nicht wie ein Fleischermeister sah er aus. Blond und schlank war er, braungebrannt das Gesicht. Wem glich der doch? Ein wenig erinnerte er ihn an seinen Vater. Mehr noch an seinen ältesten Bruder, so, wie der ausschaute, als er zum letztenmal ihn sah – vor bald zehn Jahren nun. Damals war der – auf den Monat fast – so alt, wie er heute war.

Er lachte still – wer sagte ihm denn, daß der Mann so aussah? Nicht einmal umgewandt hatte er sich – hatte er denn Augen im Rücken?! Und doch fühlte er gut: so mußte der Mann aussehn, genau so.

Er blickte wieder in den Saal – sah – was sah er denn? War nicht der Qualm im Saale so dick, daß man überhaupt nichts unterscheiden konnte?! Grad vor ihm ballte er sich, stieg hoch, rundete sich, wurde fest und massig – wie Stein wurde er. Er griff hin mit der Hand, nickte – ganz recht, diese Säule, die Säule!

»Sie können durchsehn, Gerhard«, schmunzelte der Mann hinter ihm, »durchsehn durch die Säule. Da ist der Saal, links führt die Treppe zur Bühne hinauf. Dahinten – Sie brauchen nur durch die gelbe Tür zu sehn – da ist das Zimmer, in dem sie beraten! Hören Sie, wie der Hitler spricht? Jetzt kommt General Ludendorff, sehn Sie ihn nicht?«

Doch, er sah ihn, sah deutlich, wie er grüßte, wie er den Stuhl nahm, den ihm Pöhner hinstellte.

»Man hat ein Auto hingeschickt«, sagte die Stimme, »hat ihn holen lassen. Das weißt du doch, Gerhard?«

Er nickte – ja, das wußte er, schien ihm. Nur – wie kam es, daß der Mann ihn duzte?

Freilich, wenn es sein Vater war oder sein Bruder –

»Unsinn«, murmelte er. – Die waren doch tot, alle beide.

»Du mußt das begreifen, Gerhard«, hörte er die Stimme, »das ist alles ein großes Trauerspiel, Haupt- und Staatsaktion. Scherz ist auch dabei, Satire und Ironie – nur versteht ihr's nicht recht, weil ihr Deutschen alles so ernst nehmt, nie sehn wollt, wie ihr euch selber verspottet. Und was die tiefere Bedeutung angeht – die wird euch nach hundert Jahren ein Geschichtsprofessor erklären. Sehr komisch ist das manchmal – besonders, wenn ihr's mit dem Pathos habt: sittliche Tiefe, Hochgefühl, Brustton des deutschen Mannes.«

Still klang das alles; klar war die Stimme, gedämpft doch. Sprach nicht sein Bruder so? Sehr ähnlich klang es, das war gewiß – fast wie seine eigne Stimme.

»Nun kommen sie heraus«, klang es im Ohr, »schau nur, Herr von Kahr geht voraus.«

Da standen sie oben – zum Greifen nahe. Er hörte Kahr reden – daß der Weg nun klar vor ihnen liege, daß sie einig seien, daß sie zum Besten des deutschen Vaterlandes –

Ja – und daß er die Leitung der Geschicke Bayerns übernehme, als Statthalter des Königtums.

Hinter ihm lachte es. »Hörst du, Gerhard? Statthalter des Königtums! Und eben hat der Hitler die nationale Republik verkündet! Das ist doch ein netter Witz, nicht? Der Kahr dreht's herum, der möchte ein Ungarn aus Bayern machen!«

Nun trat Hitler an die Rampe, verkündete die Bildung der Nationalregierung: Ludendorff sei Leiter des neuen Heeres, Seisser übernehme die Polizei, Lossow die Reichswehr. Pöhner sei Ministerpräsident. Er selber, Hitler, habe keinen Posten – nur Einfluß auf die politische Richtung.

Gerhard fühlte: er ist das Gewissen des neuen Staates, ist die Seele –

Der Mann hinter ihm verstand ihn gut. Sagte: »Seele? Und wo ist der Leib? Ein großer Zeh und ein kleiner Finger, sechs Stück Augenwimpern und ein halber Blinddarm – was sonst? Was nutzt die Seele, wenn der Leib nicht da ist?!«

Mit festem Männertritt trat Herr von Kahr auf Hitler zu, griff dessen Rechte mit beiden Händen, schüttelte sie kräftig. Sah ihm tief in die Augen, zerquetschte ein Tränlein, das einsam über die biedere Wange rollte.

Die Stimme sagte: »Der Seele graust's vor so viel Rührung, sie sucht nach einem Mausloch und findet keins. Aber dem Publikum gefällt's. Hör doch, wie es Beifall brüllt! Das tut allen Bierbäuchen wohl: sie erleben ihn mit – den großen historischen Augenblick.«

›Schwatz du nur‹, dachte Gerhard. ›Bierbäuche – sind darum die Leute in dieser Stadt weniger ausgehungert als sonstwo im glorreichen Papierlande der Inflation? Darum, weil schlechtes Bier den Wanst aufschwemmt – je leerer er ist, umso mehr schwappt er! Und dann: da sind auch andre im Saal – junge Burschen, wie Gerten so rank – die schaffen's, die allein! Da mag Beifall brüllen, wer will.‹

»Ein Narr bist du«, sagte der Mann, der hinter ihm saß. »Nimm's doch nicht wörtlich. Napoleon hatte auch einen Bauch und der Luther erst recht – und doch bebte die Welt, wenn sie das Maul aufrissen: so leicht beschwingt war ihr Geist. In deinem Land aber, das dem letzten Bettler Milliarden in die Tasche lügt und Billionen – da herrscht der Bonze. Mag er schlank sein, wie Lilienstengel – das macht nichts aus, in München nicht und nicht in Berlin. Bonzen, Bonzen – da schwingt nichts und singt nichts; wenn sie den Mund öffnen, kommt ein Hauch heraus wie der Samum so schwül: wo er hintrifft, verdorrt in der Wüste das letzte grüne Blättchen. Der Bauch aber, der Bauch ist das Symbol.«

Symbo–o–ol!‹ kicherte es ihm ins Ohr.

Nun sprach Ludendorff. Er werde seine Pflicht tun. Und gewiß würde die Reichswehr mit ihm sein: kein deutscher Soldat würde es wagen, auf ihn anzulegen.

»Glaubst du das?« lachte der Mann. »Du kennst doch den Seeckt – und du kennst die Herrn, die er hersandte. Als der Kaiser einst den Wallenstein erledigen wollte, sandte er den Piccolomini – der sprach ein paar Wörtchen mit den Heerführern. Der Seeckt ist bescheidner, der schickt nur Piccolos – das ist ein Witz, lach doch, Gerhard Scholz.«

Er lachte garnicht, hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu. Aber er hörte doch jedes Wort. »Die Piccolos sind unterwegs, der Kreß und der Ruyth und der Hanneken. Bringen den Herrn Oberkellnern einen schönen Gruß vom Herrn Küchenchef – du wirst schon sehn, wie der den Leuten die Suppe versalzt! – Ludendorff! Seid ihr denn garnicht abergläubisch? Das müßt ihr doch wissen, daß Ludendorff Unglück bringt.«

Lossow sprach und Seisser – und dazwischen brauste der Beifall. Lange habe man gezaudert – nun sei es so weit. Die große Stunde sei da – man müsse bereit sein, jeder an seinem Platz – einig müsse man sein, einig –

»Wie recht sie doch haben«, höhnte die Stimme hinter ihm. »Nun machen sie Rütliszene, spielen Eidgenossen. Einig – so ein liebes, rundes Wort! Paßt so trefflich für uns Deutsche, was Gerhard? Haben's ja immer so gehalten, solange man was weiß von deutscher Geschichte – wer wagt's zu bezweifeln?! Einig? Wenn ein Mann da ist, der jeden totschlägt, der anders denkt – dann vielleicht sind wir einig! Ein herrliches Wort, das ist wahr – aber nicht für unser Volk gemacht. Wenn je der Deutsche am Boden lag, dann war er, wieder und wieder, besiegt worden nur von – Deutschen! Ist's nicht so, Gerhard?«

›Nein, nein‹, dachte er. ›Es darf nicht so sein.‹

Aber der Mann, der hinter ihm saß, gab ihn nicht frei. »Reg dich nicht auf, mein Junge! – Der Hitler ist fort, nur die bayerischen Herrn reden noch. – Denk ein wenig nach, hast doch nicht vergessen, was du auf der Schule lerntest? Beim Hermann fängt's an – wer verriet den Cherusker? Sein Oheim Segest! Immer fressen die Deutschen einander auf: Goten, Langobarden, Alanen, Vandalen, Burgunden – so gründlich taten sie's, daß von allen nichts blieb als der leere Schall ihrer Namen. Bis ein Mann kam, Karl hieß er, der ein Rutenbündel trug und ein Henkerbeil – Fascio nennt man heute das Ding südlich der Alpen. Mussolini wußte wohl, was er tat, als er dies Zeichen wieder aufnahm: Einigkeit meint es. Jeden Stab magst du leicht zerbrechen, nie aber das festumschlungene Bündel – und das Beil für den, der es lösen will! Der Mann aber, Carolus Magnus, einte zum erstenmal die Deutschen – da waren sie die Herrn der Welt. Als er starb, war's aus mit der Herrlichkeit – man fuhr sich vergnügt an die Kehlen durch die Jahrhunderte. Bisweilen kam ein Mann, der die Peitsche schwang, ein Otto, ein Heinrich oder Friedrich, dann blühte das Land, dann strahlte seine Macht. Aber es scheint, daß der Deutsche es nicht verträgt, wenn's ihm gut geht – immer wieder zerschlug er sein Glück. Hie Welf, hie Waibling! Der Kaiser stritt mit den Fürsten, Fürsten standen gegen die Bischöfe – Ritter, Städter und Bauern, alles befehdete einander. Faustrecht – überall in deutschen Landen. Dann waren's Protestanten und Katholiken, die sich mit Wonne abmurksten, schließlich durch dreißig blutrote Jahre Deutschland zu einem Schlachthause machten, jede Wiese mit deutschem Blute düngten.

»Eigentlich sollte man meinen – meinst du nicht auch, Gerhard? – daß wir nun endlich was gelernt hätten. Aber nichts lernten wir. Kämpften zusammen mit Fremden gegen das eigene Volk – für den Schweden, den Polen, den Russen, für den Dänen, Spanier, Franzosen, wer's grade war. Soweit brachten wir's, daß wir glücklich dreihundert deutsche Vaterländer hatten, als Napoleon Kaiser war. Und nicht etwa uns Deutschen war das zu dumm, sondern eben dem Korsen; der ließ aufwaschen, tat mehr für Deutschlands Einigkeit, als wir selber seit Jahrhunderten getan. Dann, als alle Völker wider ihn aufstanden, standen wir mit auf, waren wirklich einig – ganze zwei Jahre lang.

»Heia – wie sangen wir da von deutscher Freiheit und Einigkeit – beinahe glaubten wir's selber! Aber wir besannen uns bald, daß wir Deutsche waren; verschacherten uns auf dem Wiener Kongreß, brachten nicht einmal auf dem Papier mehr ein Deutsches Reich zusammen.

»Endlich kam wieder ein Mann, kam Bismarck. Ein Vierteljahrhundert lang zwang sein Knüppel die Deutschen zur Einigkeit, da blühte das Land, sprach wieder mit in der Welt. Aber wir sind gescheit, wir Deutschen! Langsam begriffen wir, daß der Mann, der den Bakel schwang, schon lange tot und begraben war. Da legten wir los, zeigten, was wir konnten. Auf Lenin schwören die Linken, die von rechts auf Mussolini, auf den Papst die vom Zentrum und die Banden am Rhein auf den Herrn von Paris. Und keiner will sehn, daß Fascio und Sowjetstern, daß Krummstab und Trikolore nur darum etwas gelten in der Welt, weil sie alle dasselbe bedeuten: Einheit des lebendigen Ganzen.«

Still klang nun die Stimme, es war ihm, als ob sie nicht mehr von außen in sein Ohr dringe. Tief von innen klang es, irgendwoher aus Herz oder Hirn.

»Zu der Zeit, da Bismarck Deutschland schmiedete, wurde auch Italien ein Reich. Nicht mehr zerrissen – wurde ein Land und ein Volk. Aber es lebte nicht – sowenig, wie Rußland lebte. Dämmerten so dahin, alle beide. Schufen nichts selber, bezogen fertig, was sie brauchten an Kultur. Denn nur ein lebendiges Gefüge kann eigne Kultur schaffen. Heute sind sie beide sehr lebendig – wie Frankreich und England, wie die römische Kirche. Und sie werden, aus sich heraus, Großes schaffen, im Zeichen von Bündel und Beil, von Hammer und Sichel – darum, weil sie Führer haben, die begriffen, daß es ewige Gesetze sind, die jeden Volkes Leben bestimmen. Und das andre auch, daß Naturgesetze nichts zu schaffen haben mit dem, was man gut nennt und böse. Die Erkenntnis dieser Gesetze aber, das allein ist in Wahrheit Politik – und darum steht sie hoch über Böse und Gut.

»Wir aber, wir Deutschen, haben das vergessen. Wir wollen helfen – jedem Einzelnen. Dem Arbeiter, dem Bauern, dem Angestellten. Möchten ihm Brot schaffen, Spiel und Sport und Bildung, möchten jedem Gutes tun. Der Einzelne aber ist nichts. Nur auf das Ganze kommt's an, auf das große Volk als ein lebendes Gefüge. Das allein ist gut, was ihm nützlich ist – und was ihm schadet, ist böse. Wenn wir Raum schaffen unserm Volk, daß es atmen kann, so tun wir Gutes, ob auch hundertmal andre drunter leiden. Bitterböses aber tun wir unserm Volke, wenn wir fremdem Willen gehorchen.

»Und das ist's grade, was unsre Bonzen tun. Nehmen Kindern und Kranken und Krüppeln das Brot, geben's den Feinden – Tribute! Wir müssen's tun, sagen die Bonzen, weil wir besiegt wurden. Haben andre nie einen Krieg verloren? Als Napoleon endlich am Boden lag, mußte Frankreich auch Kriegsentschädigung zahlen, ganze siebenhundert Millionen Franken. Es zahlte den dritten Teil, den Rest erließ man ihm, nahm ihm nicht einen Fußbreit französischen Landes, ließ ihm noch deutsches obendrein. Warum nur? Weil Frankreich einig war und darum stark, trotz fünfundzwanzigjähriger Kriege. Deutschland aber zerfetzte man, legte uns hundertmal höhere Tribute auf, wird uns keinen Heller davon schenken. Weil wir uneinig sind und darum schwach. Weil uns der Wille fehlt. Weil wir die ewigen Gesetze vergessen haben, die allein das Geschick der Völker lenken.

»Und darum, Gerhard Scholz, glaub nie einem Deutschen, der von Einigkeit spricht! Wer es tut, der lügt – oder er kennt die Geschichte nicht. Das sollst du wissen: nur gezwungen sind wir einig, wir Deutschen. Nur dann, wenn einer da ist, der das nackte Schwert trägt. Glaubst du, daß die Männer da vorne uns dazu zwingen könnten – uns Deutsche? Ludendorff gewiß nicht – der hat bewiesen, daß er's nicht kann. Und die Kahr und Lossow und Seisser? Merkst du denn nicht, wie sie Angst haben vor ihrem eignen bißchen Mut?

»Bleibt der Hitler. Vielleicht kommt einmal seine Stunde – heut aber hat er verspielt, weil er sich auf die da oben verließ.

Genau so, wie du verspieltest, als du auf den Buchrucker zähltest und auf Seeckt. Noch werden die Bonzen herrschen in Deutschland.«

* * *

»Scholz! Gerhard Scholz!« rief Schwester Pia. »Wach auf!«

Er fuhr zusammen, wandte sich um: ein paar dicke Frauen standen hinter ihm –

Sehr langsam leerte sich der Saal; sie warteten, bis der Strom ein wenig verebbt war.

»Die Führer tagen im Hinterzimmer«, sagte Lannwitz, »nachten vielmehr. Willst du nicht auch hin, Gerhard?«

Er schüttelte den Kopf. »Geh du, Peter – sie sollen mich hinstellen, wo sie wollen. Wir wollen hier warten – ich bin hungrig, muß eine Kleinigkeit essen.«

Der Rittmeister lief durch den Saal; sie gingen ihm langsam nach, setzten sich vorn an die Rampe. Dann sprang Brinken heran. »Leutnant Hinrichsen läßt sagen –«

»Daß wir warten möchten«, unterbrach ihn Gerhard. »Tun wir schon. Schaff eine Kellnerin her, Studentchen; sie soll was zum Essen bringen.«

»Wird besorgt, Herr Oberleutnant«, rief Brinken.

Schwester Pia sah ihm lachend nach. »Der ist ein Himmelsgucker und kennt München schlecht. Wirst deinen Hunger noch etwas verkneifen müssen, Gerhard! Da hätten wir früher an diesem Tisch hocken müssen, als die Herrn Minister noch hier saßen –«

Er antwortete nicht, blickte auf die Bühne und die Tür, die nach hinten führte. Er lächelte – ganz anders schaute das aus, als er's hinten vom Saale aus sah, durch all den Nebelqualm, durch die Säule hindurch. Nicht links war die Treppe zur Bühne, sondern in der Mitte, die Tür zum Hinterzimmer war weiß gestrichen und nicht gelb.

»Willst du nicht doch hinauf?« fragte Schwester Pia.

Er schwieg, trommelte mit den Fingern auf dem Tisch.

Lili sah ihn an, sagte: »Laß ihn, Pia. Er hat schon recht, weiß, was er will. Der Augenblick wird schon kommen, wo sie ihn brauchen. Dann nimmt er die Führung.«

»Meinst du?« sagte er.

Sie nickte eifrig. »Ja, ja – dies ist der Anfang!«

Der Student kam zurück, machte ein langes Gesicht. »Verdammter Ausschank!« schimpfte er.

»Nun«, fragte Pia, »kommt das Essen bald?«

Brinken pfiff. Ausgelacht habe man ihn. Was er sich wohl einbilde? Man habe nur wenig gehabt – aber wenn auch zwanzigmal soviel dagewesen wäre, war doch alles vertilgt worden.

Schwester Pia frohlockte. »Was hab ich gesagt?! Aber ich weiß schon, wo's noch was gibt, sollt nicht hungrig zubett gehn, Kinder.«

Lannwitz kam über die Bühne, zwei junge Burschen in Windjacken hinter ihm.

»Wer ist drinnen?« rief ihm Lili entgegen.

»Ludendorff«, antwortete er, »und Hitler. Auch Roßbach –«

»Ehrhardt?« fragte Gerhard.

Der Rittmeister schüttelte den Kopf. »Nein, den sah ich nicht. Auch Kahr nicht, noch Lossow – nur Pöhner von den bayerischen Herrn. Dann Göring – viele noch, die ich nicht kannte. Du möchtest sagen, wo du hingehst, Gerhard, sie werden dich brauchen diese Nacht.«

»Brennessel«, bestimmte Schwester Pia.

Einer der Burschen wiederholte: »Brennessel, Leopoldstraße!« Er grüßte, sprang mit langen Schritten zurück.

»Also los, Herrschaften!« rief die Schwester.

»Tut mir leid«, sagte Lannwitz, »ich soll mich Oberland anschließen; irgendwas muß besetzt werden. Du kannst mit mir kommen, Studentchen – der Landsknecht da führt uns.«

* * *

Gerhard saß allein vor seinem Schoppen Roten; vor zwei Stunden schon hatte er drauf bestanden, daß Lili mit Schwester Pia nachhause gehe. Er beschäftigte sich, so gut es gehn wollte, schlief auch eine Weile, die Ellenbogen auf den Tisch, den Kopf auf die Hände gestützt.

Die Stimme, die zu ihm sprach, heutnacht im Bürgerbräu – völlig klar war sich Gerhard, daß er selber der Mann war, der hinter ihm saß. Und doch empfand er ihn – auch jetzt noch – als ein andres Wesen.

Er selber, ja, und doch ein andrer. Fast, als ob er sich geteilt habe – nein, das nicht – als ob er zweimal auf der Welt sei. Aber das hatte nichts Erschreckendes, schien ihm völlig natürlich, als müßte es so sein. Jetzt erinnerte er sich auch an ein Wort, das er hörte, grad als er aufstand. Da klang, wie zum Abschied noch einmal die Stimme: ›Ich sitz dir immer im Nacken.‹ Ganz leise klang das, und doch sehr deutlich. Im Nacken – warum denn nur? Aug in Aug – so sollte es sein, Freund oder Feind!

Er bestellte noch einen Schoppen, fragte, wie lange er hier bleiben könne? Solange er wolle, hieß es. Da hinten säßen ja auch noch Leute, Künstler aus Schwabing, die schwatzten die ganze Nacht durch, gingen nie heim vor fünf.

Aber sie brachen grade auf, als Hinrichsen kam.

»Gottseidank«, rief er, »ich fürchtete, daß Sie weg seien.«

Gerhard füllte ihm ein Glas. »Wissen Sie Neues?«

Der Holsteiner berichtete. Freikorps Oberland habe den Bahnhof besetzt, Hauptmann Röhm mit der ›Reichskriegsflagge‹ das Wehrkreisgebäude. Gregor Straßer halte mit Hitlerschen Sturmbataillonen die Isarbrücken. Pöhner sei dabei, das Polizeipräsidium in die Hand zu bekommen, Roßbach ziehe mit den Fähnrichen der Kriegsschule zur Kaserne der Neunzehner, andre Oberlandbataillone zum Generalstaatskommissariat und zur Pionierkaserne –

Er unterbrach sich, fragte: »Kennen Sie General Kreß?«

»Nicht näher«, antwortete Gerhard.

»Aber Sie wissen, wie er aussieht?« forschte der Holsteiner.

»Sehr gut«, nickte Gerhard, »ich sah ihn ja erst heutabend im Bürgerbräusaal.«

»Das genügt!« rief Hinrichsen. »Er ist mit dem Unterrichtsminister Matt nach Regensburg – sie wollen den Widerstand gegen München in die Wege leiten. Sie sollen hin, Scholz, die beiden auszunehmen; ich begleite Sie mit ein paar Oberländern.«

Gerhard erhob sich. »Zahlen!«

Detlev Hinrichsen blieb sitzen. »Warten Sie noch, wir können ruhig austrinken. Meine Leute holen ein Auto.«

Er leerte sein Glas, sagte dann. »Ich möchte Ihnen danken, Scholz – für Ihre guten Worte.«

»Was für Worte?« fragte Gerhard.

»Die Sie mir sagen ließen«, antwortete Hinrichsen, »als der junge Roderwald auf dem Totenbett lag.«

Gerhard nickte – Lili hatte ihm das berichtet.

»Damals«, fuhr der Oberländer fort, »hätte ich Schluß gemacht. Ah – Sie hätten sehn sollen, wie er da lag –«

»Ja, ja«, sagte Gerhard. »Schwester Pia hat mir's erzählt.«

»Wie ein junger Gott«, flüsterte Hinrichsen, »wie Adonis selber, als sein Blut die blühende Wiese tränkte. Er hielt Maiglöckchen in den Händen – eins nahm ich.« Er straffte sich, trank wieder. »Glauben Sie nicht, Scholz, daß ich nicht weiß, daß das alles ein wenig kitschig ist, höchst unwahrscheinlich für einen Kerl, der so aussieht wie ich. Aber mir ist's Natur. Zwei Seelen wohnen – na, und so weiter! Und darum bin ich so froh, wenn ich mal einen Menschen treffe, zu dem ich reden kann. – Freilich weiß ich, daß es viele Tausende gibt, die so oder ähnlich fühlen, wie ich – habe auch manche davon kennengelernt. Aber das ist es grade: ich hab das Gefühl, daß man sie alle ausrotten sollte und mich zuerst. Und nun begreifen Sie, Scholz, wie verrückt das ist: höchst lustig und zum Verzweifeln traurig! Wenn immer ich mich verliebte, durfte es nur einer sein, der Mann war mit Seele und Leib, einer, dem's vor der Berührung eines andern Mannes genau so grauste, wie's mir graust, wenn mich ein Frauenzimmer streichelt. Natürlich war mir das lange unbewußt, erst allmählich kam ich dahinter, – man grübelt viel über sich, wenn man so ist wie ich. Der junge Peters – Sie erinnern sich, Scholz, der arme Junge aus Oberschlesien, der so plötzlich verschwand – der ließ mir manchmal seine Hand, erlaubte mir auch, daß ich ihm mit den Fingern durchs Haar fuhr: schon das war mir zuviel. Aber der Student Kurt Roderwald, der bekam eine Gänsehaut, wenn ich ihn empfindsam anstarrte. ›Machen Sie nicht solche Glupschaugen!‹ fuhr er mich an. – Das tat mir weh und erregte mich doch bis in die Fingerspitzen. Verrückt – was wollen Sie – psychische Algophilie auf homoerotischer Grundlage; leider nutzt das nichts, wenn man's auch noch so schön auf griechisch herbeten kann.«

Er schwieg, seufzte, lachte dann. Gerhard wußte nicht recht, was er ihm antworten sollte, sagte schließlich: »Und wie ist's mit dem Staatsexamen?«

»Fertig«, sagte Hinrichsen, »bis auf einen kleinen Schwanz. Jetzt kommt noch der Doktor – meine Eltern können sich bei Ihnen bedanken.«

* * *

Sie fuhren nach Regensburg. Sie fanden den Aufruf, den man gegen München erlassen hatte, gegen Hitler und Pöhner und die andern, gegen den ›Preußen‹ Ludendorff. Das kreidete man ihm an, daß er ein Preuße war! Sie suchten herum, stellten bald fest, wo der General und der Minister gewesen waren, was sie getan hatten – aber sie fanden sie nicht mehr. Weggefahren, vor einer Stunde schon.

Also tanken und zurück nach München.

Alles war vorbei, als sie ankamen.

* * *

Noch am selben Abend wußte Gerhard Scholz, wie es geschehn war. So undurchsichtig, so nebelhaft, wie der Berlin-Küstriner Rummel vor sechs Wochen sich abgespielt hatte, so durchsichtig war es in München.

Freundschaft und Einigkeit auf der Bühne des Bürgerbräusaales – und alles verweht, als die Lossow und Kahr und Seisser hinaustraten in die Novembernacht.

Berlin – nichts hatte Seeckt versprochen, hatte keinem je sein Herz geöffnet. Man konnte Schlüsse ziehn aus dem, was er tat, mehr noch aus dem, was er nicht tat. Konnte sagen, es sah so aus, als ob – Konnte schließlich feststellen: es war ein Irrtum. Konnte die Faust in der Tasche ballen, die Lippen zerbeißen, konnte aufheulen, schier verzweifeln in qualvoll zerrissener Hoffnung –

Das aber konnte keiner sagen: Seeckt brach sein Wort, Seeckt verriet uns.

München aber – Kahr und seine Leute gaben ihr Wort vor vielen Tausenden. Sagten dann, sie seien überrumpelt worden. Denn der Hitler habe mit der Pistole geknallt –

Gerhard spie aus, als er daran dachte. Ein Major, ein Oberst, ein General, Männer, die in fünf Jahren mehr Schüsse gehört hatten, als die Ziffern der letzten Geldscheine anzeigten, die hatten die Stirn, das zu sagen!

Die drei fuhren gleich von der Versammlung zum Regierungsgebäude, zur Polizei, zu den Kasernen. Sie fanden, daß Berlins Abgesandte schon dort gewesen waren, fanden, daß die Stimmung zweifelhaft war, daß die Begeisterung der Versammlung keineswegs geteilt wurde. Da schwenkten sie um.

Nicht einmal Mitteilung machten sie den Freunden im Bürgerbräu, ließen sie in dem Glauben, daß sie mit ihnen seien, auf Gedeih und Verderb.

Am Morgen erst begriffen die Führer, wie schmählich sie verraten waren. Begriffen auch, daß nun alles unmöglich sei, was nach Gewalt aussah.

Da beschlossen sie einen Zug durch die Stadt. Wenn ganz München zeigte, daß das Volk die Bewegung trug, dann mußten sie mit, die Herrn Kahr und Lossow, auch gegen ihren Willen.

Sie zogen auf, in sechzehner Reihen – und in der ersten marschierten Hitler und Ludendorff. Der General wiederholte: »Ich war der Feldherr. War der Führer aller Deutschen die Jahre durch – kein deutscher Soldat wird schießen auf diese Brust.«

Aber sie schossen doch. Die Polizei und die Reichswehr schoß – zwei Leutnants gaben den Befehl, Godin und Braun. Freilich, die hatten wieder Befehl. Der Soldat schießt, wenn's befohlen ist.

So schossen sie auf ihre Brüder, die durch die Straßen zogen. Schossen auf den Feldherrn – grad vor der Feldherrnhalle. Da oben standen die Bronzebilder, standen der Tilly und der Wrede. Die zwei wußten Bescheid, wie das ist, wenn der Deutsche den Deutschen totschießt. War's nicht genau so zu ihrer Zeit, als der eine gegen den Schwedenkönig und der andre für Napoleon kämpfte – und dann gegen ihn – waren nicht immer auch Deutsche auf Feindesseite?

Nur: die Deutschen, gegen die sie standen, die wehrten sich. Die Männer aber, die hier durch die Straßen schritten, die nun nicht mehr schritten, still und stumm in ihrem Blute lagen, – die kämpften nicht. Die hatten auch einen Befehl, dem sie gehorchten – von Hitler, ihrem Führer, von Ludendorff, ihrem Feldherrn – und der Befehl lautete: Schießverbot.

Kein Schuß, kein Hieb und kein Stich gegen eure Brüder.

So wirr war das alles. Die Hitlertruppen, die Roßbachleute, Oberland, Reichskriegsflagge – sie brannten nach Kampf. Seit Jahren warteten sie auf den Tag, an dem sich Deutschland auf sich selber besinnen würde, sprachen von nichts anderm. Aber sie schossen nicht. Zogen friedlich durch die Gassen, ließen es geschehn, daß der Kameraden Blut über die Steine floß. Wehrten sich nicht, schossen nicht. Befehl.

Und die andern, Soldaten und Polizisten, deren Herzen genau so fühlten, die nichts sehnlicher wünschten, als dabei zu sein, zu kämpfen in Reih und Glied mit den andern, die den eignen Arm verfluchten, der das Gewehr hochriß gegen die Brüder, sie schossen doch. Befehl.

Zum Lachen war es. Zum Weinen.

* * *

Nein, das Gerücht, daß Ludendorff tot sei, erschossen von deutschen Soldaten, das war nicht wahr. Diese letzte Schmach blieb Deutschland erspart. Doch lief die Nachricht durch München, und jeder glaubte sie – daraufhin ergab sich Röhm im Wehrkreisgebäude, zog Gregor Straßer ab von den Isarbrücken –

Sonst mähten die Kugeln gut in den ersten Reihen. Hitler war verwundet – manche noch! Viele auch tot. Ingenieure, Studenten, Kaufleute, Landgerichtsräte, Arbeiter – die Kugel fragt nicht viel. Was lag auch daran – nur Deutsche!

Auch der junge ten Brinken hatte was abbekommen; Lannwitz brachte die Nachricht nach Schwester Pias Bude.

»Wo hat man ihn hingeschafft?« fragte Gerhard.

»Einstweilen ins Bürgerbräu«, antwortete er, »da liegt noch ein Dutzend. Ich glaub, es sieht bös mit ihm aus.«

»Was ist's?« fragte Lili.

Der Rittmeister zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht genau – jedenfalls am Kopf. Als ich hinkam, hatte ein Heilgehilfe ihn schon in Verband gelegt.«

Die Schwester griff nach ihrem Mantel. »Ich werde ihn gleich in unsre Klinik schaffen – sind schon mehr da.« In der Tür wandte sie sich um. »Ich vergaß – ein Brief kam heutmorgen, von Käte. Waren zwei andre drin, einer für dich Gerhard, der andre für den Rittmeister. Auf der Kommode liegen sie.«

Sie nahmen die Briefe, lasen. Lili setzte sich ans Fenster, starrte auf die verschneite Straße.

»Was nun?« fragte sie endlich.

»Alles beim Teufel!« sagte der Rittmeister. »Wir sind überflüssig, können uns aufhängen.«

Gerhard sagte: »Berlin, München – hast recht. Wichtiger aber, gerade jetzt, ist das Rheinland, das wird noch manch heißen Kampf kosten.«

Lannwitz kniff seinen Brief sorgfältig zusammen. Faltete ihn wieder auf, las ihn noch einmal. Riß ihn rasch mitten durch, steckte die Fetzen in die Tasche.

»Rheinland?« wiederholte er. »Das ist aus für mich.«

Lili nickte. »Ja, das ist wahr. Sie werden jetzt höllisch scharf werden mit den Steckbriefen. Auch hier in München. Du mußt schleunigst weg, Peter – nach Ungarn.«

Er lachte. »Ungarn – gut. Mir ist's gleich wohin, aber nicht wegen der Steckbriefe. Auf die pfeif ich – gutes Bild oder schlechtes – einerlei! Es ist was andres.« Er setzte sich aufs Bett. »Ich möchte mit dir sprechen, Gerhard.«

»Soll ich gehn?« fragte Lili.

»Nein, bleib nur«, rief er, »du weißt schon Bescheid. Also das ist's: das Studentchen ließ mich rufen – mit dem ist's aus, glaub ich. Er wollte mir noch was mitteilen. Es kam alles etwas wüst heraus, der Junge spinnt schon. Aber dazwischen war er doch ganz klar. Also – von Käte sprach er. Ich hab euch ja erzählt, wie's damals war in Aachen, auch, daß ich Brinken zu ihr ins Hotel schickte. Nur das wußte ich nicht, was dann geschah. Käte – bildet euch nicht ein, daß er ein Wort gegen sie sprach! Immer höchste Töne – es gebe nur eine Frau in der Welt, die das tun könne!«

»Was denn?« fragte Gerhard.

»Sie nahm den Studenten mit«, fuhr er fort, »ging zum belgischen Befehlshaber, erzählte ihm Mordsgeschichten von einem Polizistenvetter, der im Rathaus eingeschlossen sei. Erreichte es schließlich, daß er selber hinfuhr und den Angriff der Sonderbündler abblies. Sie rettete also mein Leben und das der andern.«

»Bravo!« rief Lili.

Der Rittmeister seufzte. »Ja – ich muß ihr wohl dankbar sein. Bin es auch – lebte ja dann, vielleicht zum erstenmal. Mit – ihr. Ich hab's euch erzählt, konnte mein Glück nicht für mich behalten. Jetzt aber weiß ich, was sie dafür bezahlte: sie versprach dem Oberst – und das Studentchen saß dabei! – daß sie ihm – ihm – Darum tat er's!«

Lili lachte laut: »Und das glaubst du, Peter? Nicht, daß sie's versprach – natürlich versprach sie's! Aber daß sie das gehalten hat? Du weißt recht gut, wie sie's anstellen muß, um vom Feinde Nachrichten rauszulocken. Sie verspricht – herrgott, was nicht alles! Aber daß du glaubst –«

Lannwitz hob die Schultern. »Glaubst? Gelacht hätte ich drüber! Nicht mal Brinken glaubt's recht, ob es ihm auch einen mächtigen Stoß gab. Nur – da ist noch was andres.«

»Was?« fragte Lili.

Er antwortete: »Also, Käte –« Er unterbrach sich, schwieg eine Weile. »Übrigens – ich sprach mal mit Paul Hornemann drüber – der machte ja oft Spionsarbeit. Ich fragte ihn, wie er's nur fertigbringe, daß all diese kleinen Mädchen ihm Geheimnisse verrieten, obwohl sie genau wüßten, wozu er die brauche. Da lachte er, sagte, daß sie oft genug das Maul gehalten und öfter noch ihn angelogen hätten. Aber wenn er sie erst mal im Bett habe, dann sei das anders. Dann könne er ihnen Aufträge geben, dies auszufinden und das. Darauf allein käme es an: im Bett müsse man die Häschen haben, dann käme alles von selber!«

»Sag mal, Peter«, fragte Lili, »warst du eigentlich viel zusammen mit Frauen?«

»Nicht allzuviel«, gab er zurück, »warum?«

Sie lachte. »Nun, dann merk dir's: alles tut der Mann für die geliebte Frau – eh er sie hat. Bei der Frau ist's umgekehrt – sie wird nachher zur Sklavin des Geliebten. Das ist uralte Weisheit: Hornemann hat sie begriffen und Käte auch – sie handelten beide darnach. Nur hatte es Paulchen bequemer bei seinen Tippfräulein und Kindermädchen – das war leichte Jagd: armselige Karnickel, in der Schlinge gefangen. Käte aber geht auf hohe Jagd – vom Schakal aufwärts, Wölfe und Tiger. Wenn's noch so wäre, Peter, wie's früher war, würd ich dich einladen zur Jagd ins Baltenland. Auerwild, weißt du, das ist das scheueste. Wenn aber der Hahn verliebt ist, wenn er balzt, vergißt er alles ringsum, und du kannst ihn anspringen. So ist's mit dem Hirsch und dem Luchs und mit allem Wild – wenn Ranzzeit ist und Brunftzeit, macht der Jäger sein Glück. Und frag den Tierbändiger, wie er seine Bestien zahm kriegt! Karnickel werden zutraulich, wenn du ihnen Kohl gibst – Betthäschen auch! Raubzeug aber kirrt man mit Hunger.«

Der Rittmeister schwieg, wiegte den Kopf. Stand auf, setzte sich wieder. Sagte endlich: »Das mag alles sein, ich will dir's gern glauben. Aber dann – es kann anders sein, nicht wahr? Wenn's zehntausendmal stimmt – einmal klappt's doch nicht.«

»Und du meinst«, rief sie, »daß grade Käte –«

»Ja, das mein ich«, sagte er langsam, »sie hat mir's geschrieben.« Er griff in die Tasche, zog den Brief heraus, legte die Teile aneinander. Er seufzte tief, fast ein Schluchzen war es. »Da – hier steht's: ›Du mußt versuchen, mich zu vergessen, Peter. Ich habe alles getan, was ich konnte – damals in Aachen. Ich hoffte, daß es gelingen möchte. Es ist da etwas, das ich wegwischen möchte – ich kann dir nicht sagen, was es ist. Aber es geht nicht. Es war da und ist da, und kein Schicksal und keine Zeit wird mich's vergessen machen. Ich hab dich gern, das weißt du, sonst hätte ich das nicht tun können, was ich in Aachen tat. Ich tat's, um loszukommen, hoffte mit dir, Peter – Aber nun weiß ich, daß es hoffnungslos ist.‹« Er biß auf die Unterlippe, schloß die Augen. Begann wieder: »›Deinen Ring will ich –‹« Er unterbrach sich, stand auf, zerriß den Brief in kleine Fetzen, warf sie in den Ofen. »Es geht noch so weiter – nichts Bestimmtes sagt sie. Aber ich denke, es ist klar genug, was sie meint. Ein Kind muß das begreifen.«

»Nein, nein!« rief Lili, »garnichts begreifst du!«

Er achtete es nicht, fragte: »Was sagst du, Gerhard?«

»Ich fürchte, daß du recht hast«, antwortete er. »Wenn sie auch meine Schwes–«

Lannwitz fuhr auf. »Kein Wort gegen sie – wenn ich auch drüber zugrunde gehe, kein Wort! Was sie tat, tat sie für dich und für uns und für Deutschland! Vielleicht paß ich nicht in diese Zeit – ein andrer möcht's wohl herunterschlucken. Ich kann's nicht und will's nicht. Sie –«

»Schweig doch!« rief Lili. »Nichts begreifst du! Nie gab sie sich hin und keinem! Ganz etwas andres meint sie!«

»Was denn?« fragte Lannwitz.

Sie antwortete nicht, spielte mit ihrem Taschentuch, zerknüllte es und zerbiß es.

»Was also?« forderte Gerhard.

Sie flüsterte: »Ich kann's euch nicht sagen. – Aber das ist's nicht, glaubt mir's doch!«

Lannwitz faßte ihre Hand. »Hör mich an, Lili: ich will dich nicht zwingen. Aber wenn ich dir glauben soll, wenn's wirklich nicht das ist mit Belgiern oder Franzosen – wenn's ein andres ist, das ich nicht weiß und nicht wissen will – ist dann – Hoffnung für – sie – und mich?«

Sie wisperte: »Nein, Peter, dann erst recht nicht.«

Die drei starrten vor sich hin, keiner sprach.

Plötzlich sprang Lili auf. »Ihr müßt gehn!« rief sie. »Lannwitz muß weg, heutnacht noch. Ihr dürft nicht warten, bis er verhaftet wird.«

»Mir ist's gleich«, murmelte der Rittmeister.

Sie warf ihm den Mantel zu. »Aber uns nicht, Peter! Geht, eilt euch; ich warte auf Pia.«

Gerhard nickte. »Komm, Peter! Was geschehn ist – wir können's nicht ändern.«

Lannwitz zog sich an, schlug den Wollschal um den Hals. »Dafür dank ich dir, Lili, wie du von ihr sprachst. Sag ihr –«

Sie drängte ihn zur Tür. »Daß du sie liebst – ja, ich werd's ihr sagen.« Sie schlang die Arme um seinen Hals, küßte ihn. »Lebwohl, du! Daß ihr zwei miteinander glücklich geworden wärt – oh, Peter, Peter, wie ich das wünschte.«

Sie stand bei der Tür – hörte die Schritte auf der Treppe. Ging zum Bett, streckte sich, starrte zur Decke hinauf.

– Schwester Pia kam, setzte sich zu ihr, erzählte. Den Studenten habe sie gleich zur Klinik gebracht, dort untersucht. Streifschuß oben am Schädel, sicher nur ein Querschläger. Leichte Gehirnerschütterung, das sei schon wieder vorbei. Ein paar Knochensplitter habe sie herausgeklaubt, dann Jod drauf. Eine Läpperei sei es, in wenigen Tagen würde sie ihn zurechtgeflickt haben.

Sie sah die Freundin an, schüttelte sie leicht an der Schulter. »Sag mal, Lili, hast du eigentlich zugehört?«

»Doch, doch«, kam die Antwort, »du hast ihn mit Jod bepinselt, da geht's ihm schon besser.«

»Wem denn?« rief Schwester Pia, »Jod bekommen sie alle.«

Mit einem Ruck richtete sich Lili steil auf, faßte ihren Arm, stieß heraus: »Sie – liebt ihn!«

»Das freut mich«, sagte die Schwester. »Ich weiß zwar nicht, von wem du sprichst, aber es ist immer nett, zu hören, daß jemand jemanden liebt.«

»Versteh doch, Pia«, rief sie, »versteh doch! Käte liebt ihn. Liebt Gerhard. Ich hab's vermutet, lange schon –«

»Was sagt er dazu?« fragte Schwester Pia.

Lili schüttelte den Kopf. »Er weiß es nicht – noch nicht. Und sie – sie wußte selber nicht recht, was sie empfand. Ich merkte es, ich allein. Und ich machte sie klug, schrie ihr ins Gesicht, daß es so sei: daß sie ihn liebe.«

»Da bist du schön dumm gewesen«, sagte Pia.

Mit beiden Händen klammerte sich Lili an die Freundin. »Seither weiß sie's. Ich hoffte, daß es vergehn würde, daß sie mit Lannwitz – Sie versuchte es, es ging nicht. Sie schrieb ihm ab – das war der Brief. Hilf mir doch, Pia!«

»Ich hab immer gehört, daß dazu zwei gehören«, meinte die Schwester, »wer sagt dir denn, daß Gerhard mittut? Du bist närrisch, Lili, wann hat Gerhard Scholz je eine andre Frau angesehn als dich? Das ist wie mit dem jungen Brinken: der Rittmeister macht ein großes Geschrei, sagt, daß es aus und vorbei sei mit ihm – und dabei ist's ein Schmarrn nur. Kinderwehwehchen, nicht wert, drüber zu reden – bei ihm wie bei dir!«

Sie stand auf, faßte die Füße der Freundin, zog ihr die Schuhe aus. »Schluß jetzt! Du schläfst dir die dummen Gedanken aus – morgen wird's schon anders aussehn. Ich werde Tee kochen, ist auch noch ein bißchen Brot da. Dann muß ich zur Klinik, und du wirst schlafen, hörst du.«

Sie zog sie aus, Bluse und Rock, Schlüpfer und Strümpfe. Hängte alles sorgsam über einen Stuhl. Schlug die Decke zurück, schob ihr ein Kissen unter den Kopf, deckte sie zu.

Lili ließ sie gewähren. Lag da eine Weile, regungslos, weit offen die Augen. Sie hörte die Freundin nebenan, hörte Wasser laufen, Teller klappern.

Dann kam Pia zurück, setzte sich wieder zu ihr.

Lili starrte sie an, tonlos klang ihre Stimme. »So lange haben wir gearbeitet, so lange. Und es sah aus, als müßten wir's schaffen! Nun ist alles verloren. Und er – er, Gerhard – –«

»Dummes Zeug«, sagte Schwester Pia.

Lili warf sich herum, dicke Tränen brachen aus ihren Augen. Dann griff sie das Kissen, drückte den Kopf hinein, schluchzte.

»Ich hab solche Angst«, jammerte sie, »solche Angst!«

»Trink deinen Tee«, sagte Schwester Pia.

* * *

Sie saßen in einem Zimmer des Finanzministeriums zu Berlin, warteten.

»Bist du sicher, daß wir hier an der richtigen Stelle sind?« fragte Lili.

Hornemann zuckte die Achseln. »Was weiß ich? Ich lief herum, als ich euer Telegramm bekam, erkundigte mich, so gut es ging. Die Währungsfrage beschäftigt alle Ministerien – Finanz, Wirtschaft, Inneres. Aber hier soll heute eine Sitzung stattfinden, zu der alle Bonzen zusammengetrommelt sind. Es kommt nur drauf an, ob sie dich vorlassen.«

»Sie müssen mich vorlassen«, rief Gerhard, »mit der Währung steht und fällt das Rheinland.«

Lili faßte seinen Arm. »Sie werden dich anhören – es ist schon viel, daß wir bis hierher vordrangen.«

Paul lachte. »O ja, mit Anschnauzen und Wichtigmachen. Dann wieder mit Lächeln und Schöntun – die Trinkgelder nicht zu vergessen! Vom Türsteher zum Herrn Anmelder. Jetzt sitzen wir schon im dritten Vorzimmer, haben glücklich einen Kanzleirat zu sehn bekommen.«

Die Tür ging auf, ein verschrumpeltes Männchen kam herein.

»Nun, Herr Kanzleirat?« fragte Lili.

Der alte Herr verzog das Gesicht. »Leider unmöglich, meine Herrschaften. Der Herr Ministerialrat lassen sagen, daß es auch keinen Zweck habe, wiederzukommen. Die Herrschaften möchten eine schriftliche Eingabe machen.«

Paul sprang auf. »Was?« schrie er. »Schriftliche Eingabe? Bildet sich der Esel vielleicht ein, daß man schriftliche Eingaben macht an die Feuerwehr, wenn ein Haus brennt?« Er schlug mit der Faust auf den Tisch, brüllte: »Sagen Sie Ihrem Vorgesetzten, daß wir nicht zu unserm Vergnügen in euren verdammten Aktenladen gekommen sind! Daß es seinen Grund hat, wenn –«

Wieder ging die Tür, ein gut aussehender, noch junger Herr trat ein. »Ich darf Sie wohl bitten, meine Herrn, ein wenig ruhiger zu sein. Es würde mir leid tun, wenn –«

Schon war Lili bei ihm. »Ein Wort, Herr Ministerialrat – was wir mitzuteilen haben, ist von höchster Wichtigkeit! Es handelt sich um das Rheinland –«

Der Herr unterbrach sie. »Ich bedaure, gnädige Frau, mich nicht länger mit Ihnen unterhalten zu können. Ich glaube gern, daß das, was Sie uns zu sagen haben, Ihnen sehr wichtig vorkommt. Leider aber habe ich gar keine Zeit, muß in eine Sitzung – alle Herrn sind schon anwesend. Ich kann nur wiederholen, daß ich Sie bitte, mir doch Ihre gewiß äußerst wertvollen Mitteilungen schriftlich machen zu wollen.«

Er verbeugte sich, wandte sich zum Gehn. Aber Gerhard vertrat ihm den Weg. »Eine Frage nur, Herr: gilt die Sitzung, von der Sie sprachen, der Währungsfrage?«

Der Beamte sah ihn an, nickte dann. »Ja, das tut sie.«

»Und wer ist der Vorsitzende?« fragte Gerhard.

»Das ist kein Geheimnis«, antwortete der Herr Rat. »Reichsfinanzminister Doktor Luther ist es.«

»Luther?« wiederholte Gerhard. »Doktor Hans Luther? War der nicht mal Oberbürgermeister von Essen?«

»Das war er«, erwiderte der Ministerialrat.

»Dann bitte ich Sie«, rief Gerhard, »geben Sie ihm meine Karte.« Er suchte in der Tasche, fand nichts. Riß eine Seite aus seinem Notizbuch, schrieb ein paar Worte drauf.

Der Beamte las: »Oberleutnant Gerhard Scholz, 7. IV. 1920, Essen. – Gut, ich werde den Zettel dem Herrn Minister überreichen.«

»Und sagen Sie ihm«, drängte Gerhard, »daß ich ihn vor der Sitzung noch, vorher – sprechen müsse! Nicht um mich – um unser Land gehe es!«

»Ich werd's ihm sagen«, brummte der Herr.

»Was ist denn das für ein Datum?« fragte Paul, als der Beamte zur Tür hinaus war.

Gerhard atmete tief auf. »Das weißt du nicht, Paulchen? An dem Tage jagten wir die Roten aus Essen. Auf dem Rathaus empfing uns der Herr Oberbürgermeister – mich und den Roßbach. Bedankte sich auch schön – im Namen der Stadt und des Bürgertums.«

Paul Hornemann nickte. »Und aller Großmächtigen in Stahl und in Kohle! – – Schön dumm waren wir damals! Wenn wir mit den Roten gegangen wären und nicht gegen sie, wäre Deutschland in einem Monate bolschewistisch geworden – dann hätten wir die Franzosen längst aus dem Land geworfen! Wären wieder, was wir waren – rot gewiß, aber doch deutsch! Sind die Moskowiter nicht russisch bis auf die Knochen, ob sie gleich rot sind? Das geht ganz gut zusammen, scheint es. Wir aber wären Obersten und Generäle und könnten drauflos marschieren und ganz Europa erobern.«

»Besonders du!« lachte Lili. »Bist ja so wundervoll fertig geworden mit den Soldatenräten, kannst dir nichts Schönres denken, als Befehle zu nehmen von Schneidern und Müllkutschern – dich, Paulchen, hätten sie nach vierzehn Tagen schon an die Wand gestellt!«

Ein Diener trat ein. »Herr Oberleutnant Scholz? – Der Herr Minister lassen bitten.«

Gerhard folgte ihm.

Die beiden setzten sich auf das Sofa. »Ob man hier rauchen darf?« fragte Paul. »Kein Aschbecher da?«

»Tun wir's«, bestimmte sie.

Sie brannten Zigaretten an; Paul leerte die Schachtel, klopfte vorsichtig die Asche ab.

»Einen Prachtroten würdest du abgeben«, sagte sie, »jeden Augenblick benimmst du dich wie ein ausgelernter Burschui. Weg mit der Schachtel – auf die Gesinnung kommt's an, nicht auf die Erziehung.«

»Fängst du schon wieder an?« rief er. »Sag mir lieber, wie's kommt, daß Gerhard noch frei herumläuft. Buchrucker haben sie zu zehn Jahren verknackt, Major Hertzer und die andern zu nicht viel weniger. Ludendorff, Hitler, Pöhner, Weber und Kriebel und Röhm und Frick und wie sie heißen – alle sind eingesperrt und warten auf Deutschlands Dank! Hauenburg sitzt schon lange; Roßbach, Lannwitz und Genossen sind glücklich über die Grenze. Ein Freund aus dem Wehrministerium hat mir gesteckt, daß man nur deshalb so tut, als wisse man nichts von mir, weil ich Gerhards Freund sei. Verstehst du, was das heißen soll?«

Sie schüttelte den Kopf. »Gerhard begreift es selber nicht. Er hat wieder Briefe bekommen – Kurreich unterzeichnet – daß er zurück solle zum Rhein, dort weiter arbeiten, wie bisher. Kurreich – das ist Unsinn heute, also hat man das Wort nur gewählt, um den Absender halb zu verschleiern. Von der Regierung kommen die Briefe sicher, aber von welcher Stelle? Dann hat ihn vor drei Tagen ein Herr aufgesucht, der ganzen Haltung nach ein Offizier, aber Gerhard kannte ihn nicht. Der Name, den er nannte, war gewiß falsch. Er wollte dasselbe: Gerhard bestimmen, den Widerstand gegen die Sonderbündler weiter zu leiten!«

Hornemann hob die Schachtel auf, drückte seine Zigarette aus. »Und natürlich hat Gerhard zugesagt. Und natürlich wird man ihm sehr dankbar sein und ihm weiterhin hübsche Briefe schreiben, wird ihm ab und zu sogar ein paar Billiönchen schicken, damit er ein Glas Bier trinken kann. Und wird ihn in Anerkenntnis seiner großen Verdienste erst ein halbes Jahr später einbuchten, wenn er nicht mehr nötig ist am Rhein. Mich bekommt er nicht wieder hin, ich hab's satt, für die Bonzen Kugelfang zu spielen.«

»Freilich, Paulchen«, spottete sie, »du rührst keinen Finger mehr! Wie lang ist's denn her, seit du den Styssen aus dem Mainzer Gefängnis herausholtest? Zwei ganze Wochen, was?«

»Das tat ich für die Frau«, schimpfte er. »Rein persönliche Angelegenheit!«

»Wie geht's ihm denn?« fragte sie.

»Wie's ihm geht?« wiederholte er. »Ganz ausgezeichnet, wie's eben einem Menschen geht, der tot ist und begraben. Weißt du das nicht? Wir brachten ihn her – ein Wunder war's, daß er das aushielt – es war wohl nur der Wille, seine Frau noch einmal zu sehn. Dann war's aus. Ich sagte Frau Ellen, daß du nach Berlin kämst, sie läßt dich bitten, sie aufzusuchen. Aber benimm dich einigermaßen menschlich, Lili; sie ist arg herunter und hat Trost nötig.«

»Ja, dann muß man sie wohl trösten«, sagte Lili. »Hoffentlich tust du auch, was du kannst.«

Paul fuhr hoch. »Was soll das wieder heißen?! Ich sag dir, daß zwischen Frau Ellen und mir keine Geste und kein Wort gewechselt wurde, das über die gesellschaftlichen Formen hinausging! Ich bitte dich, einfürallemal –«

Sie unterbrach ihn. »Über eure zurzeit höchst tadellosen Beziehungen heg ich gar keinen Zweifel, zu etwas anderm seid ihr beide viel zu bürgerlich – bei dir fängt die Freiheit der Gefühle erst beim Ladenmädel an. Aber was nicht ist, kann noch werden – was ist da im Weg? Ich hab eine Nase für so etwas: das steht längst bei mir fest, daß Ellen Styssen und du euch noch mal sehr nahe kommen werdet.«

Er sah sie an von der Seite her, fragte ein wenig scheu: »Glaubst du das wirklich?«

Sie nickte. »Als ich euch im Sommer bekannt machte, da wußt ich schon, daß ihr zwei zueinander paßt. Manchmal komm ich mir wie eine Pythia vor, ich merke, was Menschen empfinden, lange bevor sie das selber wissen.«

»Das ist sehr merkwürdig«, dehnte er.

Sie lachte. »Ja, nicht wahr, eine höchst wunderbare Eigenschaft?! Und eine, die sehr unglücklich machen kann.«

»Unglücklich?« rief er. »Meinst du, daß ich und Ellen –«

»Nein, garnicht«, unterbrach sie. »Ihr zwei sollt glücklich werden! Aber schließlich gibt's auch noch andre Menschen auf der Welt.«

Die Tür ging auf, Gerhard kam.

»Nun?« fragte Lili.

»Erzähl!« drängte Paul Hornemann.

Er ließ sich eine Zigarette geben, brannte sie an. »Er erkannte mich gleich, der Herr Minister. Ein kleiner Mann ist's, glattrasiert, Glatze. Aber kluge Augen. Ich sagte ihm kurz, was ich wolle. Er sah mich an, besann sich nicht lange. Meinte, daß ich ihm sehr gelegen komme, faßte mich unter den Arm, nahm mich mit in den Sitzungssaal.«

»Wer war dort?« fragte Lili.

»Zwanzig Herrn und mehr«, antwortete er, »aus allen Ministerien – auch der Reichskanzler, auch Seeckt, auch der Doktor Schacht von der Reichsbank. Der Minister stellte mich vor, sagte, daß keiner über die Lage im Rheinland besser Bescheid wisse: er habe mich daher gebeten, einen kurzen Vortrag zu halten. Als er meinen Namen nannte, sah ich manch anzügliches Lächeln –«

Er schwieg, zog an seiner Zigarette.

»Nun, und?« drängte Paul.

Er sagte: »Ja, dann sprach ich.«

»Was sagtest du?« fragte Lili.

»Aber das wißt ihr doch!« erwiderte er. »Daß es so nicht weitergehe. Daß man nichts wisse im Reich von dem, was vorgehe. Daß die Zeitungen am Rhein nichts berichten dürften, die Berliner Blätter aber, schön gefärbt und kindlich hoffnungsvoll, hellen Blödsinn verzapften.«

Er warf die Zigarette fort, atmete tief. »Meingott, die Wahrheit sagte ich! Nach Düsseldorf – Aachen, nach Aachen – Krefeld! Rathaus erstürmt mit Flammenwerfern – die Sonderbündler die Herrn! Zwei Tage drauf das gleiche Schauspiel in Bonn: Angriff aufs Rathaus unter dem Schutz französischer Tanks. Kämpfe – unsre Leute und die Polizei von Franzosen entwaffnet, grün-weiß-rote Fahnen aus den Fenstern, rheinische Republik! Überall dasselbe – in Trier, Koblenz, Wiesbaden, in Speyer, Neustadt und Kaiserslautern!«

Seine Stimme tönte, sein Arm hob sich mit ausgestreckter Hand. Es war, als ob er noch da drinnen stände im Sitzungssaal, wieder auf die Herrn einredete, Minister und Generäle und Bankherrn. »Es ist falsch, wenn Sie immer noch glauben, daß die Bevölkerung unerschütterlich zum Reiche stehe. Sie ist mürbe geworden und wird mürber jeden Tag! Denken Sie dran, daß wir schon vor vier Jahren eine rheinische Bewegung hatten – die erstrebte damals innerhalb des Reiches eine Rheinlandrepublik. Die Industrie war dagegen, auch Sozialisten und Nationale – die wollten den deutschen Einheitsstaat. Aber in Zentrumskreisen hatte der Gedanke viele Anhänger – die hatten Berlin satt – vergessen Sie nicht, daß damals ein atheistischer Sozialist, der Zehn-Gebote-Hoffmann, Kultusminister war!

»Ich weiß nicht recht, was die Herrn, die in Weimar die Verfassung machten, sich eigentlich gedacht haben; ich lag – eben für diese Herrn – damals noch im Felde, vor Riga. Aber das hätte ein Schuljunge begreifen müssen, daß in dem Augenblicke, als man Thrönchen und Krönchen zum Gerumpel warf – daß in diesem Augenblicke die alte Gliederung des Reiches sinnlos geworden war. Trotzdem ließ man sie in Weimar bestehn: heute noch regieren eigne Minister Republikchen wie Schaumburg und Strelitz, Lippe und Lübeck, die doch ein Floh mit einem Satz überhupfen kann.

»Hatte da nicht das Rheinland mehr Recht zu eignem Leben? Nun, die von den Herrn hier, die in Weimar dabei waren, wissen ja wohl, was es kostete, die rheinischen Zentrumsführer bei der Stange zu halten. Gleichviel – das Zentrum machte nicht mehr mit, als es sah, worauf die Verräter hinaus wollten, die Dorten und Smeets und Matthes; als sie einsahn, daß ein Staat Rheinland im Reiche nur eine Vorstufe sein würde zu einer unabhängigen Republik, aus der dann bald französische Provinz würde.

»Heut aber fühlen Hunderttausende am Rhein: alles ist besser, als die Herrschaft der Mordbanden! Der Rheinländer haßt die Sonderbündler, aber er liebt Berlin nicht, fühlt sich verkauft von der deutschen Regierung. Unsere Währung ist zu einem Witz geworden – aber im Rheinland merkt man's besonders, da ist heute die Mark – oder die Billionmark – nur der fünfte Teil von dem wert, was man in Berlin dafür bekommt. Zugleich aber hat dort die Besatzung die Leute gelehrt, was ein Dollar ist und ein Pfund! Und also fragt jeder: wer ist schuld an dem Jammer? Und jeder antwortet: Berlin!

»Seit Monaten drucken alle Städte ihr eignes Geld, jede Hütte und jedes Werk. Ich weiß nicht, ob die Regierung – Sie also, meine Herrn – das gesetzlich gestattet. Aber daß es so ist, weiß ich gut. Schon drucken auch die Warenhäuser, morgen wird jeder Geschäftsmann selber sein Geld machen. Das wird an Zahlungs Statt gegeben für Arbeit und Ware, das Volk muß es nehmen. Dies Geld aber folgt dem Kurs der Reichsmark, ist wenige Tage drauf nichts mehr wert – wenn die Herrschaften, die es ausstellen, es zurücknehmen würden, brauchten sie nur Eins für Billionen zu geben! Das heißt: sie haben umsonst den Gegenwert, bereichern sich maßlos, während das Volk in Not verkommt.

»Haben Sie schon pfälzisches Geld gesehn, meine Herrn? Hier, bitte, schaun Sie – in der Ecke prangt der Name Nowak. Früher Schuster, dann Zuchthäusler: Diebstahl, Erpressung, Totschlag – was Sie nur wollen! Heut ist er Finanzminister der pfälzischen Republik, zwingt mit französischer Hilfe die Bevölkerung, diese Lappen zu nehmen!

»Wundern Sie sich da, daß der Rheinländer jedes Vertrauen in die Regierung verloren hat? Der Franzose ist ein unbarmherziger Bedrücker – aber sein Franken ist gut. Berlin läßt die Mark in nichts zerfallen – der Arbeiter weiß nicht warum, aber er empfindet es als Betrug und Diebstahl.

»Heute geht's nicht mehr weiter. Nicht die Sonderbündler sind unser schlimmster Feind – mit denen werden wir fertig. Auch nicht Belgier und Franzosen – man beißt die Zähne zusammen, erträgt, was ertragen werden muß. Die Herrn aber, die die Inflation schufen – die reißen das Rheinland vom Reiche los, die treiben es Paris in die Arme!

»Es haben in letzter Zeit Verhandlungen stattgefunden – und ich weiß genau, was ich sage – mit sehr einflußreichen Männern im Rheinland, Leuten, die nicht das geringste zu tun haben mit Dorten und seinen Kumpanen, Leuten, die ihre Heimat lieben, wie sie Deutschland lieben, und die dennoch fast bereit sind, den schmachvollen Pfad zu gehn, der nach Paris führt! Weil sie verzweifeln, weil sie keinen gemeinsamen Weg mehr sehn mit dem Berlin des Papierschwindels!

»Darum stehe ich hier im letzten Augenblick. Wenn Sie so weitermachen, nur Wochen noch, ist das Rheinland dem Reiche verloren, wie Elsaß und Lothringen verloren sind, wie Posen, Westpreußen, Danzig und Memelland, wie Oberschlesien, Nordschleswig und das Eupener Land, wie all das verloren ist und noch mehr!

»Nur wenn Sie diese unselige Inflationswirtschaft abstoppen, nur wenn Sie eine Reichsmark schaffen, die mehr wert ist als der Franken – nur dann, vielleicht, ist noch Rettung möglich! Sonst aber, meine Herrn, nehmen Sie heute noch Landkarte und Rotstift, streichen Sie das Rheinland von Deutschland ab und gleich Nassau dazu und Westfalen, des guten Maßes wegen – denn die stehn und fallen mit dem Rhein!«

Er fuhr mit der Hand durch die Luft, als ob er mit einem Messer einen Schnitt mache. Schwieg, stand da, mitten im Zimmer, regungslos.

Hornemann trat zu ihm. »Wach auf, Gerhard! – Also solch schöne Rede hast du denen gehalten?«

»Nein«, sagte er, »– das heißt: ja – so ungefähr werd ich's wohl gesagt haben.«

»Ausgezeichnet!« höhnte Paul. »Dann laß dir dein Schulgeld zurückgeben, du alter Trottel! So kannst du vor vaterländischen Verbänden reden, die sind eingestellt auf den Ton. Aber vor den Bonzen – du armes Kinderseelchen! Sie haben dich natürlich ausgelacht, was?«

Gerhard starrte ihn an, besann sich. »Nein, ich glaube nicht – ich hab nicht bemerkt, daß einer gelacht hat.«

»Dann sind's eben höfliche Leute«, sagte Hornemann, »die ihre Würde wahren. Was haben sie denn gemacht?«

»Nichts«, antwortete er. »Dr. Luther dankte mir. – Winkte einem der Herrn; der führte mich her durch die langen Gänge.«

»Dann können wir ja wohl gehn«, meinte Paul. »Ich lad euch ein, Kinder, kenn einen Saftladen, wo ich Pump habe – den Reinfall müssen wir begießen.«

Sie gingen über den Flur, als eine Stimme ihnen nachrief: »Herr Oberleutnant, bitte, Herr Oberleutnant –«

Der Ministerialrat kam auf sie zu. »Doktor Schacht, der Herr Reichsbankpräsident, läßt Ihnen seinen besondern Dank sagen – sie hätten ihm trefflich in die Hand gespielt. Er läßt Sie sehr bitten, doch noch heutabend Ihre Ausführungen schriftlich –«

»Schriftlich!« rief Paul. »Wir haben übergenug von allem Schriftlichen. Wir pfeifen auch auf den Dank – was wir wissen wollen, ist: haben die Bonzen begriffen, was ihnen Gerhard Scholz gesteckt hat? Werden sie handeln?«

Der Ministerialrat lächelte wohlwollend. »Glücklich, wenn man alles so heraussagen darf, wie es einem ums Herz ist! Ich möcht das auch manchmal können! Ich darf Sie versichern, daß die Ansprache des Herrn Oberleutnants Eindruck gemacht hat. So vergriffen – verzeihn Sie – so ungewöhnlich in der Form sie auch gewesen sein mag. – Ich glaube ferner, Ihnen sagen zu dürfen, daß seine Rede die Bedenken zerstreut hat, daß die Absichten und Pläne, mit denen sich die Regierung schon lange getragen hat, nunmehr –«

»Pläne«, fuhr ihn Hornemann an, »Absichten der Regierung? – Natürlich, natürlich! Sagen Sie nur, Herr Geheimer Oberministerialdirektor oder was Sie sonst sind – sagen Sie uns, was geschehn wird?«

Der Beamte ließ sich nicht aus der Fassung bringen, das Lächeln klebte auf seinen Lippen. »Sie würden es längst wissen, lieber Herr, wenn Sie mich nur ausreden ließen. Ich darf ja annehmen, daß Sie nicht an der Börse spielen, also kann ich Ihnen anvertrauen: in zwei Wochen hat Deutschland eine feste Währung.«

Er verbeugte sich, verschwand um eine Ecke des Ganges.

Lili griff Gerhards Arm, flüsterte seinen Namen.

»Jetzt bleibt das Rheinland deutsch«, murmelte er.

Sie sagte: »Und du hast es geschafft, Gerhard, du!« Dann wandte sie sich zu Hornemann. »Nun, Paulchen?«

Der lachte. »Du hast recht gehabt! – Aber sag mal, Lili, du bist ja so klug: was meinte der Kerl mit dem – an der Börse spielen? Kann man denn mit solcher Neuigkeit Geld verdienen?«

»Du nicht und wir auch nicht«, antwortete sie. »Dazu muß man viel Geld haben.«

Sie stiegen die Treppe hinab, kamen auf die Straße, gingen schweigend über den Wilhelmsplatz. Dann meinte Paul: »Du, Lili – ich spreche über alles mit Frau Ellen, hab kein Geheimnis vor ihr. Was meinst du, ob ich ihr das sagen soll?«

»Was denn?« fragte sie.

Er sagte: »Nun das mit der Börse.«

Sie blieb stehn, sah ihn groß an. »Sieh doch an – Paulchen Hornemann! Das ist der erste gescheite Gedanke, den du heute hast! Natürlich sagst du's ihr, heutabend noch – sie wird schon wissen, was sie damit anfangen kann.«

 


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