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Sechzehntes Kapitel, das verkündet, wie Alraune ein Ende nahm

Langsam ging er hinauf in sein Zimmer. Er wusch die Wunde und verband sie. Und er lachte über die Schiesskünste des Mädchens. »Sie wird es schon lernen,« dachte er, »wir werden ein wenig üben mit der Scheibe.«

Dann fiel ihm ihr Blick ein, als sie fortlief. Aufgelöst, voll wilder Verzweiflung, als ob sie ein Verbrechen begangen habe. Und es war doch nur ein unglücklicher Zufall – der dazu noch recht glücklich ablief –

Er stutzte. – Ein Zufall? – Ah, das war es: sie nahm es nicht als Zufall. Nahm es als – Geschick.

Er überlegte –

Gewiss war es so. Darum erschrak sie – darum rannte sie weg – als sie ihm ins Auge sah, ihr eigen Bild dort fand. Davor graute ihr – vor dem Tode, der seine Blumen streute, wo immer ihr Fuss schritt –

Der kleine Rechtsanwalt hatte ihn gewarnt. »Nun sind Sie an der Reihe.« – Hatte nicht Alraune ihm dasselbe gesagt, als sie ihn bat, zu gehen? Und wirkte der alte Zauber nicht auf ihn, so gut wie auf alle anderen? Wertlose Papier hatte ihm der Onkel vermacht – nun schlug man Gold aus den Felsen. Reich machte Alraune – und sie brachte den Tod –

Plötzlich erschrak er – jetzt erst. Noch einmal entblösste er seine Wunde –

O ja, es stimmte schon, gerade unter dem Riss pochte sein Herz. Nur die kleine Bewegung, die den Körper drehte, als er mit dem Arm nach dem Eichhörnchen zeigte – die allein rettete ihn. Sonst – sonst –

Aber nein, er wollte nicht sterben. Schon um der Mutter willen, dachte er. Ja, wegen ihr – doch auch wenn sie nicht gewesen wäre. Auch für sich selbst. In so langen Jahren hatte er gelernt zu leben, nun beherrschte er diese grosse Kunst, die ihm mehr gab, wie vielen tausenden andern. Voll und stark lebte er, stand auf dem Gipfel und genoss gut diese Welt und all ihre Herrlichkeiten.

›Das Schicksal liebt mich,‹ dachte er, ›es droht mit dem Finger. – Das ist deutlicher wie des Rechtsanwalts Worte. Noch ist es Zeit.‹ Er zog seinen Koffer hinter dem Schranke her, riss den Deckel auf. Begann zu packen. – Wie schloss doch Ohm Jakob seinen Lederband? – »Versuche dein Glück! Schade, dass ich nicht mehr da bin, wenn du an die Reihe kommst: das hätte ich sehr gerne gesehn!«

Er schüttelte den Kopf. »Nein, Ohm Jakob,« murmelte er, »diesmal wirst du keine Freude an mir erleben, diesmal nicht.«

Er warf die Stiefel zusammen, griff nach den Strümpfen. Legte dann ein Hemd zurecht und den Anzug, den er anziehen wollte. Sein Blick fiel auf den tiefblauen Kimono, der über der Stuhllehne hing. Er nahm ihn auf, betrachtete den brandigen Riss, den die Kugel machte.

»Ich sollte ihn dalassen,« sagte er, »ein Andenken für Alraune. Sie mag es zu ihren andern Erinnerungen legen.«

Ein tiefer Seufzer klang hinter ihm. Er wandte sich um – mitten im Zimmer stand sie, in dünnem Seidenmantel, sah ihm zu mit grossen, offenen Augen. »Du packst?« flüsterte sie. »Du gehst fort – ich dachte es wohl.«

Ein Ball stieg ihm im Halse hoch. Aber er würgte ihn herunter, nahm sich fest zusammen: »Ja, Alraune, ich reise nun,« sagte er.

Sie warf sich auf einen Stuhl, antwortete nicht, sah ihm schweigend zu. Zum Waschtisch ging er, nahm ein Ding nach dem andern, Kämme, Bürsten, Seifen und Schwämme. Warf endlich den Deckel zu, schloss den Koffer.

»So!« rief er hart. »Nun bin ich fertig.« Er trat auf sie zu, ihr die Hand zu reichen.

Sie rührte sich nicht, hob den Arm nicht. Und geschlossen blieben ihre bleichen Lippen.

Nur ihre Augen sprachen: »Reise nicht,« baten sie. »Verlass mich nicht. Bleibe bei mir.«

»Alraune!« murmelte er. Und es klang wie ein Vorwurf, wie eine Bitte zugleich, ihn ziehen zu lassen.

Aber sie liess ihn nicht los, hielt ihn fest mit ihren Blicken: »Verlass mich nicht.«

Er fühlte, wie sein Wille dahinschmolz. Und fast mit Gewalt wandte er die Augen von ihr ab. Aber gleich öffneten sich ihre Lippen. »Reise nicht,« forderte sie. »Bleibe bei mir!«

»Nein!« schrie er. »Ich will nicht. Du wirst mich zugrunde richten, wie die andern!« Er wandte ihr den Rücken, ging zum Tisch, riss ein paar Flocken aus der Verbandwatte, die er für seine Wunde gebraucht hatte. Befeuchtete sie mit Oel, stopfte sie fest in die Ohren.

»So, nun rede,« rief er, »wenn du magst. Ich hör dich nicht. Ich seh dich nicht. – Ich muss fort und du weisst es: lass mich gehen.«

Sie sagte leise: »So wirst du mich fühlen.« Sie trat zu ihm, legte leicht ihre Hand auf seinen Arm. Und ihrer Finger Beben sprach: – »Bleibe bei mir! – Verlass mich nicht.«

So süss war dieser leichte Kuss ihrer kleinen Hände, so süss. ›Gleich reiss ich mich los,‹ dachte er, ›gleich! Eine kleine Sekunde nur!‹ Er schloss die Augen, kostete tiefatmend ihrer Finger schmeichelnden Druck. Aber ihre Hände hoben sich und seine Wangen bebten unter der weichen Berührung. Langsam schlang sie die Arme ihm um den Nacken, bog seinen Kopf herab, reckte sich hoch, brachte ihre feuchten Lippen an seinen Mund. ›Wie seltsam es doch ist,‹ dachte er. ›Ihre Nerven sprechen und die meinen verstehen diese Sprache.‹

Sie zog ihn zur Seite, einen Schritt weit. Drückte ihn nieder auf das Bett. Setzte sich auf seine Knie, hüllte ihn ein in einen Mantel schmeichelnder Zärtlichkeiten. Zog mit spitzen Fingern die Watte aus seinen Ohren, raunte ihm schwüle, kosende Worte zu. Er verstand sie nicht, so leise sprach sie. Aber er empfand wohl den Sinn, fühlte, dass es nicht mehr war: »Bleibe!« – Dass es nun klang: »Wie gut, dass du bleibst.«

Noch immer lagen seine Lider fest über den Augen. Noch immer hörte er nur ihrer Lippen wirres Geflüster, fühlte nur ihrer Finger kleine Spitzen, die über seine Brust liefen und über das Gesicht. Sie zog ihn nicht, sie drängte ihn nicht – und doch fühlte er ihrer Nerven Strom, der ihn hinabzog auf das Bett. Langsam, langsam liess er sich sinken.

Dann, plötzlich, sprang sie auf. Er öffnete die Augen, sah wie sie zur Türe lief und sie schloss, dann am Fenster die schweren Gardinen eng zuzog. Still floss eine matte Dämmerung durch den Raum.

Er wollte sich erheben, aufstehen. Aber sie war zurück, ehe er noch ein Glied rührte. Warf den schwarzen Mantel ab, kam hin zu ihm. Schloss ihm von neuem die Lider mit sanftem Finger, drängte ihre Lippen an die seinen.

Er fühlte ihre kleine Brust in seiner Hand, fühlte ihrer Zehen Spitzen, die spielten auf seines Beines Fleisch. Fühlte ihre Locken, die über seine Wangen fielen –

Und er wehrte sich nicht. Gab sich ihr hin, wie sie wollte –

»Bleibst du?« fragte sie. Aber er empfand gut, dass es keine Frage mehr war. Dass sie nur es hören wollte – auch von seinen Lippen.

»Ja,« sagte er leise.

Ihre Küsse fielen wie ein Regen im Mai. Ihre Zärtlichkeiten tropften, wie ein Schauer von Mandelblüten im Abendwinde. Ihre schmeichelnden Worte sprangen, wie der Kaskaden schimmernde Perlen im Parkteiche.

»Du lehrtest es mich!« hauchte sie, »Du – du zeigtest mir, was Liebe sei – nun musst du bleiben für meine Liebe, die du schufst!«

Sie fuhr leicht über seine Wunde, küsste sie mit zärtlicher Zunge. Hob den Kopf, sah ihn an mit irren Augen. »Ich tat dir weh« – flüsterte sie, »ich traf dich – dicht am Herzen. – Willst du mich schlagen? Soll ich die Peitsche holen? Tu was du willst! – Reisse mir Wunden mit deinen Zähnen – nimm auch das Messer. Trinke mein Blut – tu, was du magst – alles, alles! – Deine Sklavin bin ich.«

Wieder schloss er die Augen, seufzte tief. ›Die Herrin bist du!‹ dachte er. ›Die Siegerin!‹

 

Manchmal, wenn er in die Bibliothek trat, war ihm, als ob ein Lachen irgendwoher käme aus den Ecken. Das erstemal, als er es hörte, glaubte er, dass es Alraune sei, ob es gleich nicht klang, wie ihre Stimme. Er suchte herum und fand nichts.

Als er es wieder hörte, erschrak er. ›Es ist Ohm Jakobs heisere Stimme,‹ dachte er. ›Er lacht mich aus.‹ Dann fasste er sich, nahm sich zusammen. ›Eine Sinnestäuschung,‹ murmelte er – ›und das ist kein Wunder. Meine Nerven sind überreizt.‹

Wie im Taumel ging er daher. Schleichend, schwankend, wenn er allein war, mit hängenden Bewegungen und stierem, apathischem Blicke. Ueberladen aber, gespannt in allen Nerven, wenn er bei ihr war – da jagte sein Blut, das sonst still und sickernd dahinkroch.

Er war ihr Lehrer – das ist wahr. Er öffnete ihren Blick, lehrte sie aller Zenanen Geheimnisse in den Ländern des Morgens, alle Spiele der alten Völker, denen die Liebe eine Kunst ist. Aber es war, als ob er nichts Fremdes ihr sage, nur die Erinnerung in ihr wachrufe an etwas, das längst ihr eigen war. Oft, ehe er noch sprach, flammten ihre raschen Lüste, brachen heraus wie ein Waldbrand zur Sommerzeit.

Er warf die Fackel. Und doch graute ihm vor dieser Feuersbrunst, die sein Fleisch versengte, die ihn in alle Gluten und Fieber warf und wieder ihn verdorrte und sein Blut gerinnen machte in den Adern.

Einmal, wie er über den Hof schlich, traf er Froitsheim. »Sie reiten nicht mehr, junger Herr?« fragte der alte Kutscher.

Er sagte still: »Nein, nun nicht mehr.« Da fiel sein Blick auf des Alten Auge und er sah, wie sich die vertrockneten Lippen öffneten.

»Sprich nicht, Alter!« sagte er rasch. »Ich weiss, was du mir sagen willst! – Aber ich kann nicht – ich kann nicht.«

Der Kutscher sah ihm lange nach, wie er davonging, zum Garten hin. Spuckte aus, schüttelte bedächtig den Kopf, schlug dann ein Kreuz.

 

Eines Abends sass Frieda Gontram auf der Steinbank unter den Blutbuchen. Er schritt auf sie zu, bot ihr die Hand. »Schon zurück, Frieda?«

»Die zwei Monate sind vorbei,« sagte sie.

Er griff sich mit der Hand an die Stirn. »Vorbei?« murmelte er. »Mich deuchte es kaum eine Woche. – Wie geht es Ihrem Bruder?« fuhr er fort.

»Er ist tot,« erwiderte sie, »lange schon. Wir haben ihn dort oben begraben, in Davos – Vikar Schröder und ich.«

»Tot!« gab er zurück. Dann, als wolle er die Gedanken wegjagen, fragte er rasch: »Was gibt es sonst Neues da draussen? Wir leben als Einsiedler, kommen nicht heraus aus dem Garten.«

»Am Schlagfluss starb die Fürstin,« begann sie. »Die Gräfin Olga –« Aber er liess sie nicht weiter sprechen. »Nein, nein!« rief er, »sagen Sie nichts. Ich will nichts hören. Tod – Tod und Tod! – Schweigen Sie, Frieda, schweigen Sie!«

– Nun war er froh, dass sie da war. Sie sprachen wenig zusammen, aber sie sassen still beieinander. Heimlich, wenn das Fräulein im Hause war. Alraune grollte, dass Frieda Gontram zurück war. »Warum ist sie gekommen? – Ich will sie nicht haben! Ich will niemanden ausser dir.«

»Lass sie doch,« sagte er. »Sie ist ja keinem im Wege, versteckt sich, wo sie kann.«

Alraune sagte: »Sie ist zusammen mit dir, wenn ich nicht dabei bin. Ich weiss es. Aber sie mag sich in acht nehmen!«

»Was willst du tun?« fragte er.

Sie antwortete: »Tun? Nichts! Hast du vergessen, dass ich nichts zu tun brauche? – Alles kommt von selbst.«

Noch einmal erwachte in ihm ein Widerstand. »Du bist gefährlich,« sagte er, »wie eine giftige Beere.«

Sie hob die Lippen. »Warum nascht sie also? Ich habe ihr befohlen, wegzugehen für immer! – Du aber machtest zwei Monate daraus. – Es ist deine Schuld.«

»Nein!« rief er. »Das ist nicht wahr. Sie wäre ins Wasser gegangen damals –«

»Um so besser!« lachte Alraune.

Er brach ab, sagte rasch: »Die Fürstin ist tot. Ein Schlagfluss traf sie –«

»Gott sei Dank!« lachte Alraune. Er biss die Zähne aufeinander, griff ihre Arme, schüttelte sie. »Eine Hexe bist du!« zischte er. »Man sollte dich totschlagen.«

Sie wehrte sich nicht, wie auch seine Hände sich in ihr Fleisch krampften. »Wer?« lachte sie. »Du?«

»Ja ich!« schrie er. »Ich! – Ich pflanzte den Samen zu dem Giftbaum – so werde ich auch die Axt finden, um ihn abzuschlagen – die Welt zu befreien von dir!«

»Tu's doch,« flötete sie sanft, »Frank Braun, tu's doch!«

Wie Oel floss ihr Spott auf das Feuer, das ihn brannte. Heiss und rot wob ihm der Qualm vor den Augen, drang stickig hinein in seinen Mund. Sein Gesicht verzerrte sich, rasch liess er sie los, hob die geballte Faust.

»Schlag zu,« rief sie, »schlag zu! – Oh, so hab ich dich gern!«

Da sank sein Arm; da ertrank sein armer Wille in ihrer Zärtlichkeiten Fluten.

 

In dieser Nacht wurde er wach. Ein flackernder Lichtschein fiel über ihn, der kam von den Kerzen des grossen Silberleuchters her, der auf dem Kamine stand. Er lag in der Urgrossmutter mächtigem Bette; über ihm, gerade über ihm schwebte das hölzerne Männlein. ›Wenn es fällt, wird es mich erschlagen,‹ dachte er im Halbschlaf. ›Ich muss es fortnehmen.‹

Dann fiel sein Blick nach unten. Da kauerte am Fussende Alraune, leise Worte klangen von ihrem Munde, irgend etwas klapperte leicht in ihren Händen. Er wandte ein wenig den Kopf, lauerte hinüber.

Sie hielt den Becher – ihrer Mutter Schädel. Warf die Würfel – ihres Vaters Knochen.

»Neun,« murmelte sie. – »Und sieben –: sechzehn!« Wieder gab sie die beinernen Würfel in den Schädelbecher, schüttelte die klappernden Dinger leicht hin und her. »Elf!« rief sie.

»Was treibst du da?« unterbrach er sie.

Sie wandte sich um. »Ich spiele. – Ich konnte nicht recht schlafen – da spielte ich.«

»Was hast du gespielt?« fragte er.

Sie schlüpfte zu ihm hin, rasch wie ein glattes Schlänglein. »Wie es werden soll, hab ich gespielt. Wie es werden soll – mit dir und mit Frieda Gontram!«

»Nun – und wie wird es?« fragte er weiter.

Sie trommelte mit den Fingern auf seiner Brust. »Sie wird sterben,« zwitscherte sie, »Frieda Gontram wird sterben.«

»Wann?« drängte er.

»Ich weiss nicht.« sprach sie. »Bald – sehr bald!«

Er krampfte die Finger zusammen. »Nun – und wie ist es mit mir?«

Sie sagte: »Ich weiss es nicht – du hast mich unterbrochen. – Soll ich weiterspielen?«

»Nein,« schrie er, »nein! – Ich will es nicht wissen!« Er schwieg, brütete schwer vor sich hin. Schrak plötzlich auf – setzte sich auf, starrte zur Türe.

Leise Schritte schlürften vorbei, ganz deutlich hörte er eine Diele krachen.

Er sprang aus dem Bette, machte ein paar Schritte zur Türe hin, lauschte angestrengt. Nun glitt es die Treppe hinauf.

Dann hörte er hinter sich ihr helles Lachen. »Lass sie doch!« klingelte sie. »Was willst du von ihr?«

»Wen soll ich lassen?« fragte er. »Wer ist es?«

Sie lachte immer noch: »Wer? – Frieda Gontram! Deine Angst ist verfrüht, mein Ritter –noch lebt sie ja!«

Er kam zurück, setzte sich auf des Bettes Rand. »Bring mir Wein!« rief er. »Ich will trinken.«

Sie sprang auf, lief ins Nebenzimmer, brachte die Kristallkaraffe, liess den Burgunder in die geschliffenen Gläser bluten.

»Sie läuft immer herum,« erklärte sie. »Tag und Nacht. Sie kann nicht schlafen, sagt sie, da steigt sie durch das ganze Haus.«

Er hörte nicht, was sie sprach, stürzte den Wein hinunter, streckte das Glas ihr wieder hin.

»Mehr!« forderte er. »Gib mehr!«

»Nein,« sagte sie, »so nicht! – Leg dich nieder – ich will dich tränken, wenn du durstig bist.« Sie drückte sein Haupt herunter in die Kissen, kniete vor ihm auf dem Boden. Nahm einen Schluck Wein – gab ihn ihm in ihrem Munde. Trunken wurde er vom Wein, trunkener noch von den Lippen, die ihn reichten.

 

Die Sonne glühte am Mittag. Sie sassen auf der Marmorbrüstung des Teiches, plätscherten mit den Füssen im Wasser.

»Geh in mein Zimmer,« sagte sie. »Auf dem Toilettentisch liegt eine Angel, zur linken Hand – die bring mir!«

»Nein!« erwiderte er. »Du sollst nicht angeln. Was taten dir die goldenen Fischlein?«

Sie sprach: »Tu's!«

Da stand er auf, ging zum Herrenhause. Er kam in ihr Zimmer, – nahm die Angel, betrachtete sie kritisch. Dann lächelte er befriedigt: »Nun, sie wird nicht viel fangen mit dem Ding da!« – Aber er unterbrach sich, schwere Falten zogen sich auf seiner Stirne. »Nicht viel fangen?« fuhr er fort. »Sie wird die Goldfischlein fangen und wenn sie einen Fleischhaken hineinwürfe!«

Sein Blick fiel zum Bette, oben auf das Wurzelmännchen. Er warf die Angel in die Ecke, griff einen Stuhl in plötzlichem Entschluss. Stellte ihn auf das Bett, stieg hinauf, riss mit schnellem Ruck das Alräunchen herunter. Er suchte Papier zusammen, warf es in den Kamin, zündete es an und legte das Männlein darauf.

Er setzte sich auf den Boden, schaute den Flammen zu. Aber sie frassen nur das Papier, sengten nicht einmal das Alräunchen, schwärzten es nur. Und es schien ihm, als ob es lache, als ob sein hässliches Gesicht sich zur Fratze verziehe – ah, zu dem Grinsen Ohm Jakobs! Und jetzt – jetzt scholl wieder dieses klebrige Lachen – ringsumher aus den Ecken.

Er sprang auf, nahm sein Messer vom Tische, öffnete die scharfe Klinge. Griff das Männlein heraus aus dem Feuer.

Hart war das Wurzelholz und unendlich zäh, nur kleine Späne vermochte er abzutrennen. Aber er gab nicht nach, schnitt und schnitt – ein Stückchen um das andere. Heller Schweiss perlte von seiner Stirne, seine Finger schmerzten ihn von der ungewohnten Arbeit. Er machte eine Pause, holte neues Papier, Stösse nie gelesener Zeitungen. Warf die Splitter darauf, überschüttete sie mit ihrem Rosenöl und mit Eau de Cologne.

Ah, nun brannte es, lichterloh. Doppelte Kraft gab ihm die Flamme, schneller und stärker trennte er die Späne vom Holze, gab immer neue Nahrung dem Feuer. Kleiner wurde das Männlein, verlor seine Arme und beide Beine. Immer noch gab es nicht nach, wehrte sich, stiess ihm spitze Splitter tief in die Finger. Aber er netzte den hässlichen Kopf mit seinem Blute, grimmig lachend, schnitt neue Späne herunter von dem Leibe.

Dann erklang ihre Stimme. Heiser, fast gebrochen –

»Was tust du?« rief sie.

Er sprang auf, warf das letzte Stück in die fressenden Flammen. Wandte sich um, wild, wahnsinnig leuchteten seine grünen Augen. »Ich hab es totgeschlagen!« schrie er.

»Mich!« jammerte sie, »mich! –« Sie griff mit beiden Händen zur Brust. »Es tut weh,« flüsterte sie, »es tut weh.«

Er schritt an ihr vorbei, schlug die Türe krachend ins Schloss –

– Doch eine Stunde später lag er wieder in ihren Armen, schlürfte wieder ihre giftigen Küsse –

 

Wahr ist es – er war ihr Lehrer. An seiner Hand wandelte sie durch der Liebe Park, tief hinein auf versteckten Pfaden, weitab von der Menge breiten Alleen. Aber wo, in dichtem Gestrüpp, die Pfade zu Ende waren, wo sein Fuss kehrtmachte vor jähen Abgründen, da schritt sie lachend weiter. Unbekümmert und frei aller Furcht und Scheu, leicht wie in hüpfendem Tanzschritt. Keine rote Giftfrucht wuchs in der Liebe Park, die ihre Finger nicht pflückten, die ihre Lippen nicht lächelnd kosteten –

Von ihm wusste sie, wie süss die Trunkenheit sei, wenn die Zunge kleine Bluttropfen schlürft, aus geliebtem Fleische. Ihre Gier aber schien unersättlich und unstillbar ihr brennender Durst –

– Matt war er von ihren Küssen in dieser Nacht, löste sich langsam aus ihren Gliedern. Schloss die Augen, lag wie ein Toter, starr und unbeweglich. Aber er schlief nicht, hell, wach blieben seine Sinne, trotz aller Müde.

Durch lange Stunden lag er so. Der helle Vollmond fiel durch die offenen Fenster, breit herein auf das weisse Bett. Und er hörte, wie sie sich regte an seiner Seite, leise stöhnte und irre Worte flüsterte, wie immer in solchen Mondnächten. Er hörte sie aufstehen, singend zum Fenster gehen, dann langsam zurückkommen. Fühlte, wie sie sich über ihn neigte, lange ihn anstarrte.

Er rührte sich nicht. Wieder stand sie auf, lief zum Tisch, kam dann zurück. Und sie blies, schnell und schneller auf seine linke Brust, wartete nun, lauschte auf seine Atemzüge.

Dann fühlte er, wie etwas Kaltes und Scharfes seine Haut ritzte, und begriff, dass es ein Messer war. ›Nun wird sie stossen‹ – dachte er. Aber das schien ihm nicht schmerzlich, schien ihm süss zu sein und sehr gut. Er bewegte sich nicht, wartete still auf den raschen Riss, der sein Herz öffnen sollte.

Sie schnitt – langsam und leicht. Nicht sehr tief – aber tief genug, dass sein Blut heiss herausquoll. Er hörte ihr schnelles Atmen, öffnete ein wenig die Lider, blinzelte hinauf. Ihre Lippen standen halb offen, gierig schob sich die kleine Zungenspitze zwischen die blanken Zähne. Ihre weissen Brüstchen hoben sich rasch und ein irres Feuer sprühte aus ihren starren grünen Augen.

Dann, plötzlich, warf sie sich über ihn. Drängte den Mund an die offene Wunde, trank – trank –

Still lag er, unbeweglich; fühlte wie sein Blut zum Herzen flutete; es schien ihm, als ob sie ihn austränke, all sein Blut schlürfe, nicht einen letzten Tropfen ihm lassen wolle. Und sie trank – trank – durch Ewigkeiten trank sie –

Endlich hob sie den Kopf. Er sah wie sie glühte; rot leuchteten ihre Wangen in dem Mondschein, kleine Tropfen perlten auf ihrer Stirne. Sie koste mit schmeichelndem Finger ihrer roten Labe versiegten Quell, drückte rasch ein paar leichte Küsse darauf. Wandte sich dann, blickte mit starren Augen in den Mond –

Irgend etwas zog sie. Sie stand auf, ging mit schweren Schritten zum Fenster. Stieg auf einen Stuhl, setzte einen Fuss auf das Fensterbrett – Übergossen von silbernem Lichte –

Dann, wie mit einem raschen Entschluss, stieg sie wieder hinab. Sah nicht rechts und nicht links, glitt geradeaus durch das Zimmer. »Ich komme,« flüsterte sie, »ich komme.«

Oeffnete die Tür, ging hinaus.

Eine Weile lag er noch still, lauschte auf die Tritte der Schlafwandlerin, die sich irgendwo verloren in fernen Räumen. Stand dann auf, zog Schuhe und Strümpfe an, griff nach seinem Mantel. Er war froh, dass sie fort war, nun würde er eine Weile schlafen können. Weg, weg – ehe sie zurückkam –

Er ging über den Flur, seinem Zimmer zu. Da hörte er Tritte, drückte sich eng in eine Türnische. Aber es war eine schwarze Gestalt, war Frieda Gontram in ihren Trauerkleidern. Sie trug eine Kerze in der Hand, wie immer auf ihren nächtlichen Spaziergängen; die brannte trotz des Vollmondes. Er sah ihre bleichen, verzerrten Züge, die harten Querfalten über der Nase, den zusammengepressten, verkniffenen Mund. Sah ihr scheues, abgekehrtes Auge –

›Besessen ist sie!‹ dachte er, – ›besessen – wie ich.‹

Einen Augenblick dachte er daran zu sprechen mit ihr, zu überlegen, ob – ob – vielleicht –

Aber er schüttelte den Kopf. »Nein, nein, es kann doch nichts helfen.«

Sie versperrte ihm den Weg zu seinem Zimmer, so beschloss er hinüberzugehen zur Bibliothek, sich dort auf den Diwan zu legen. Er schlich die Treppen hinab, kam zur Haustüre, zog den Riegel zurück und löste die Kette. Schlüpfte leise hinaus und weiter, über den Hof.

Auf der Steinbank, vor den Ställen, sass der alte Kutscher; er sah, wie er den Arm hob und ihm winkte. Rasch eilte er über das Steinpflaster.

»Was gibt es, Alter?« flüsterte er. Froitsheim antwortete nicht, hob nur die Hand, wies mit der kurzen Pfeife nach oben.

»Was?« fragte er. »Wo?«

Dann aber sah er gut. Auf dem hohen Dache des Herrenhauses schritt ein schlanker, nackter Knabe, ruhig, und sicher. Alraune war es.

Weit offen standen ihre Augen, blickten nach oben, hoch nach oben, zum Vollmond.

Er sah, wie ihre Lippen sich bewegten, sah, wie sie die Arme leicht emporstreckte in die Sternennacht. Wie ein Verlangen war es, wie ein sehnsüchtiger Wunsch.

Und immer noch schritt sie dahin. Hinab auf den First und nun den Rand entlang, Schritt um Schritt.

Sie musste fallen, musste hinabstürzen! Eine jähe Angst fasste ihn, seine Lippen öffneten sich, sie zu warnen, sie anzurufen.

»Alr – –«

Aber er erstickte den Ruf. Sie warnen, ihren Namen schreien – das hiess ja gerade: sie töten! Sie schlief, war sicher – solange sie schlief und daherwandelte in diesem Schlafe. Aber wenn er sie rief – wenn sie erwachte – dann, dann musste sie stürzen!

Irgend etwas in ihm verlangte: ›Schrei! Schrei! – Schrei: dann bist du gerettet! – Ein kleines Wort nur, nur ihren Namen – Alraune! Du trägst ihr Leben auf der Zungenspitze – ihr Leben und dein eigenes! – Schrei! Schrei!‹

Seine Zähne bissen sich übereinander, seine Augen schlossen sich, seine Hände verschlangen sich fest. Aber er empfand: jetzt, jetzt wird es geschehen. Ah, es gab kein Zurück, er musste es tun! Alle seine Gedanken schmolzen zusammen, schmiedeten sich zu dem einen langen, scharfen Morddolche: »Alraune« –

– Da scholl es her, weit durch die Nacht, hell gellend, wild und verzweifelt –: »Alraune – Alraune!«

Er riss die Augen auf – starrte hinauf. Er sah, wie sie oben die Arme fallen liess, wie ein jähes Zittern durch ihre Glieder ging. Wie sie sich wandte, entsetzt zurückblickte auf die grosse, schwarze Gestalt, die aus der Dachluke kroch. Sah, wie Frieda Gontram die Arme weit öffnete, vorstürzte – hörte noch einmal ihren Angstschrei: »Alraune«.

Dann sah er nichts mehr, ein wirrer Nebel deckte seine Augen. Nur einen dumpfen Fall hörte er, einen zweiten gleich darauf. Und einen leichten hellen Schrei – nur einen.

Der alte Kutscher griff seinen Arm, zog ihn vor. Er schwankte, fiel beinahe – sprang dann hoch, lief mit raschen Schritten über den Hof, dem Hause zu –

Er kniete an ihrer Seite – bettete ihren süssen Leib in seine Arme. Blut, viel Blut färbte die kurzen Locken –

Er legte sein Ohr an ihr Herz, hörte ein leises Pochen. »Sie lebt noch,« flüsterte er, »oh, sie lebt noch.« Und er küsste ihre bleiche Stirn.

Er sah zur Seite, wo der alte Kutscher um Frieda Gontram sich mühte. Er sah ihn den Kopf schütteln und schwerfällig aufstehn. »Das Genick hat sie gebrochen,« hörte er ihn sprechen.

Was galt es ihm? – Alraune lebte ja – sie lebte.

»Komm Alter,« rief er, »wir wollen sie hineintragen.«

Er hob ein wenig ihre Schultern – da schlug sie die Augen auf.

Aber sie erkannte ihn nicht. »Ich komme,« flüsterte sie, »ich komme –«

Dann fiel ihr Kopf zurück –

Er sprang auf – jäh raste sein wilder Schrei, brach sich rings an den Häusern, flutete vielstimmig über den Garten. »Alraune – Alraune! – Ich war es – ich –!«

Der alte Kutscher legte ihm die schwielige Hand auf die Schulter, schüttelte den Kopf.

»Nein, junger Herr,« sagte er, »Fräulein Gontram rief sie an.«

Er lachte gell: »– War es nicht mein Wunsch

Finster wurde des Alten Gesicht. Rauh klang seine Stimme. » Mein Wunsch war es.«

 

Die Dienstboten kamen aus den Häusern. Kamen mit Licht und mit Lärm, schrien und sprachen, füllten den weiten Hof –

Taumelnd, wie ein Trunkener, schwankte er dem Hause zu, stützte sich auf des alten Kutschers Arm – –

»Ich will nach Hause,« flüsterte er. »Die Mutter wartet.«


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