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Neuntes Kapitel, das davon spricht, wer Alraunens Liebhaber waren und wie es ihnen erging

Dies waren die fünf Männer, die Alraune ten Brinken liebten: Karl Mohnen, Hans Geroldingen, Wolf Gontram, Jakob ten Brinken und Raspe, der Chauffeur.

Von ihnen allen spricht des Geheimrats brauner Lederband, und von ihnen allen muss man erzählen in dieser Geschichte der Alraune.

Raspe, Matthieu-Maria Raspe, kam mit dem Opelwagen, den ihr die Fürstin Wolkonski zum siebzehnten Geburtstag schenkte. Er hatte bei den Husaren gedient und musste nun auch dem alten Kutscher mit den Pferden helfen. Er war verheiratet und hatte zwei kleine Buben; Lisbeth, seine Frau, übernahm die Wäscherei im Hause ten Brinken. Sie wohnten in dem kleinen Hause, das neben der Bibliothek lag, dicht an dem eisernen Eingangstore zum Hofe.

Matthieu war blond und war gross und stark. Er verstand seine Arbeit, mit dem Kopf wie mit der Hand, und seinen Muskeln gehorchten die Pferde, wie es die Maschine tat. Früh am Morgen sattelte er die irische Stute seiner Herrin, stand im Hofe und wartete.

Langsam kam das Fräulein die Steintreppe hinab vom Herrenhause. Kam als Junge, in gelben Ledergamaschen und grauem Reitanzug; die kleine Schirmmütze über den kurzen Locken. Sie stieg nicht in den Steigbügel, liess ihn seine Hände hinhalten, trat hinein und blieb so eine kurze Sekunde, ehe sie sich hinaufschwang in den Herrensattel. Dann schlug sie das Tier mit der scharfen Peitsche, dass es aufsprang und hinausjagte durch das offene Tor. Matthieu-Maria hatte alle Not, den schweren Fuchs zu besteigen und ihr nachzukommen auf seinem Wallach.

Die braune Lisbeth schloss das Tor hinter ihnen. Sie presste die Lippen aufeinander und sah ihnen nach – ihrem Mann, den sie liebte und dem Fräulein ten Brinken, das sie hasste.

Irgendwo auf den Wiesen machte das Fräulein halt. Wandte sich, liess ihn herankommen.

»Wohin reiten wir heute, Matthieu-Maria?« fragte sie.

Und er sagte: »Wohin das Fräulein befehlen.«

Dann riss sie die Stute herum, galoppierte weiter. »Komm, Nellie!« rief sie.

Raspe hasste diese Morgenritte nicht weniger, wie es seine Frau tat. Es war, als ob das Fräulein allein ritt, als ob er nur Luft, nur ein Stück Staffage in der Landschaft sei, oder auch, als ob er gar nicht existierte für seine Herrin. Dann aber, wenn sie sich um ihn bekümmerte für kurze Augenblicke, dann empfand er das noch unangenehmer. Denn es war gewiss, dass sie wieder etwas Absonderliches von ihm verlangte.

Sie hielt am Rhein, wartete ruhig, bis er ihr zur Seite war. Er ritt langsam genug; wusste, dass sie irgendeine neue Laune hatte, hoffte auch wohl, dass sie daran vergessen möge diesmal. Aber sie vergass nie eine Laune.

»Matthieu-Maria,« sagte sie, »wollen wir hinüberschwimmen?«

Er machte Einwände, aber er wusste von vornherein, dass sie nichts nutzen würden. Die Böschung drüben sei zu steil, sagte er, man würde nicht hinaufkommen. Auch sei gerade hier die Strömung so reissend und –

Er ärgerte sich. Alles war so zwecklos, was seine Herrin machte. Warum denn durch den Rhein reiten? Nass wurde man und fror, konnte froh sein, wenn man mit einem Schnupfen davonkam. Riskierte dabei zu ersaufen – – um nichts und wieder nichts. Und er nahm sich fest vor, zurückzubleiben – mochte sie doch ihre Narrheiten allein treiben. Was ging es ihn an? Er hatte Frau und Kind –

So weit kam er – dann ritt er doch in die Fluten. Trieb weit hinunter mit dem schweren Mecklenburger, hatte alle Mühe irgendwo zwischen den Klippen ans Ufer zu gelangen. Schüttelte sich und fluchte, ritt im scharfen Trabe den Strom hinauf, seiner Herrin zu. Die sah ihn kaum an, mit einem raschen spöttischen Blick.

»Nass geworden, Matthieu-Maria?«

Er schwieg, verletzt und verärgert. Warum nannte sie ihn beim Vornamen, warum sagte sie »du« zu ihm? Er war Raspe, war Chauffeur und kein Pferdeknecht. Sein Hirn fand ein Dutzend gute Antworten, aber seine Lippen sprachen sie nicht.

Oder sie ritten zum Sand, wo die Husaren übten. Das war ihm noch fataler, manche der Offiziere und Unteroffiziere kannten ihn, von der Zeit her, als er im Regimente diente. Und der schnauzbärtige Wachtmeister der zweiten Schwadron rief ihm höhnisch herüber: »Na, Raspe, wieder einmal ein bisschen mittun?«

»Hol' der Teufel das verrückte Weibsstück!« brummte Raspe, aber er galoppierte doch hinterher, wenn das Fräulein die Attacke zur Seite mitritt.

Dann kam Graf Geroldingen, der Rittmeister, auf seinem englischen Schecken, plauderte mit dem Fräulein. Raspe blieb zurück, aber sie sprach so laut, dass er's hören musste: »Nun, Graf, wie gefällt Ihnen mein Knappe?«

Der Rittmeister lächelte: »Prächtig! Passt zu dem jungen Prinzen.«

Raspe hätte ihn ohrfeigen mögen und das Fräulein dazu – und den Wachtmeister und die ganze Schwadron, die ihn angrinste. Er schämte sich, ward rot wie ein Schuljunge.

Aber schlimmer war es, wenn er nachmittags mit ihr fahren musste im Auto. Er sass auf seinem Sitz am Steuer und schielte nach der Türe, seufzte erleichtert, wenn irgend jemand mit ihr hinaustrat; unterdrückte einen Fluch, wenn sie allein kam. Oft stellte er sein Weib an, um herauszubringen, ob sie allein fahren würde; dann nahm er schnell ein paar Teile aus der Maschine, legte sich platt auf den Rücken, schmierte und fegte, tat, als ob er etwas reparieren müsste.

»Wir können heute nicht fahren, Fräulein,« sagte er. Und er lachte vergnügt, wenn sie hinaus war aus der Garage.

Dann wieder ging es ihm nicht so gut. Sie blieb ruhig da, wartete. Sie sagte nichts, aber es war ihm, als verstände sie gut seinen Schwindel. So setzte er, langsam genug, seine Schrauben zusammen.

»Fertig?« fragte sie. Und er nickte.

»Siehst du,« sagte sie, »es geht besser, wenn ich dabei bin, Matthieu-Maria.«

Wenn er zurückkam von diesen Fahrten, wenn sein Opelwagen wieder unter Dach stand und er sich niedersetzte an den Tisch, den seine Frau ihm gedeckt, zitterte er manchmal. Er war bleich und seine Augen blickten starr. Lisbeth fragte ihn nicht; sie wusste was es war.

»Das verdammte Weibsbild!« murmelte er. – Sie holte ihm die blonden, blauäugigen Buben, weiss in frischen Nachtkitteln, setzte ihm einen auf jedes Knie. Da wurde ihm froh und leicht mit den lachenden Kindern.

Und wenn die Knaben im Bett lagen, wenn er draussen auf der Steinbank sass und seine Zigarre rauchte, wenn er durchs Dorf schlenderte, oder durch den alten Garten der Brinken, dann überlegte er mit seiner Frau.

»Es kann kein gutes Ende nehmen,« sagte er. »Sie hetzt und hetzt – kein Tempo ist ihr schnell genug. Vierzehn Protokolle in drei Wochen –«

»Du brauchst sie nicht zu zahlen,« sagte Frau Lisbeth.

»Nein,« sagte er, »aber ich bin verschrien überall. Die Gendarmen nehmen schon ihr Notizbuch heraus, wenn sie nur den weissen Wagen sehen und die I. Z. 937!« Er lachte. »Na, bei der Nummer irren sie sich ausnahmsweise nicht! – Wir verdienen wenigstens unsere Protokolle.«

Er schwieg, zog einen Schraubenschlüssel aus der Tasche und spielte damit. Seine Frau schob ihren Arm unter den seinen, nahm ihm die Mütze ab und strich ihm das wirre Haar zurück.

»Weisst du eigentlich, was sie will?« fragte sie. Gab sich Mühe dabei, ihre Stimme harmlos und gleichgültig klingen zu lassen.

Raspe schüttelte den Kopf. »Nein, Frau, das weiss ich nicht. Sie ist verrückt – das ist es. Und sie hat eine verdammte Art, dass man alles tun muss, was sie will, ob man sich auch noch so dagegen wehrt und genau weiss, dass es Unfug ist. Heute –«

»Was hat sie heute gemacht?« fragte Frau Lisbeth.

Und er sagte: »Oh – nicht mehr wie sonst. Sie kann kein Auto vor sich fahren sehen – sie muss es überholen und wenn es dreissig Pferdekräfte mehr hat wie unseres. Ketschen nennt sie das. ›Ketsch es!‹ sagt sie zu mir, und wenn ich zögere, legt sie leicht die Hand mir auf den Arm. Da leg ich los, als ob der Teufel selbst die Maschine steure.«

Er seufzte, klopfte sich die Zigarrenasche von der Hose. »Immer sitzt sie neben mir,« fuhr er fort, »und schon, dass sie nur dasitzt, macht mich unruhig und nervös. Ich denke nur, was sie mir diesmal für einen Blödsinn befehlen wird. Hindernisse nehmen – das ist ihre grösste Freude – Planken, Sandhaufen und solche Dinge. Verdammt, ich bin nicht feige – aber es muss doch irgendeinen Zweck haben, wenn man jeden Tag sein Leben riskiert. – ›Fahr nur,‹ sagte sie neulich, › mir passiert nichts!‹ Sie ist seelenruhig, wenn sie im Hundertkilometertempo über einen Chausseegraben springt – schon möglich, dass ihr nichts passieren kann! – Aber ich schlag mich zuschanden – morgen oder übermorgen!«

Frau Lisbeth presste seine Hand. »Du musst es versuchen, ihr einfach nicht zu gehorchen. Sag: nein, wenn sie etwas Dummes will! Du darfst dein Leben nicht so aufs Spiel setzen, das bist du uns schuldig – mir und den Kindern.«

Er sah sie an, still und ruhig. »Ja, Frau, das weiss ich. Euch – – und auch mir selbst am Ende. – Aber schau, das ist es ja gerade: ich kann dem Fräulein nicht nein sagen. Niemand kann es. Wie ihr der junge Herr Gontram wie ein Hündchen nachläuft, wie all die andern froh sind, ihre närrischen Launen zu erfüllen! Und keiner von allen Leuten im Hause mag das Fräulein leiden – dabei tut doch ein jeder was sie will und wenn es noch so dumm ist und abgeschmackt.«

»Falsch!« sagte Frau Lisbeth. »Froitsheim, der Kutscher, tut das gar nicht.«

Er pfiff. »Froitsheim! Da hast du recht. Der dreht sich um und geht weg, wenn er sie nur sieht. Aber er ist bald neunzig Jahre alt und hat schon lange kein Blut mehr.«

Sie sah ihn gross an. »Dann kommt es – – vom Blut, Matthieu, dass du ihren Willen tun musst?«

Er wich ihr aus, suchte mit den Augen auf dem Boden. Dann aber nahm er ihre Hand, blickte sie voll an. »Ja, siehst du, Lisbeth, ich weiss es nicht. Ich hab schon oft darüber nachgedacht, was es eigentlich ist. Ich könnte sie erwürgen, ich ärgere mich über sie, wenn ich sie sehe, und wenn sie nicht da ist, laufe ich herum voller Angst, sie möchte mich rufen lassen.« – Er spie auf den Boden. »Verflucht noch mal!« rief er. »Ich wollte, ich wäre diese Stelle los! Wollte, ich hätte sie nie angenommen!«

Sie überlegten, drehten es hin und her, wogen jedes Für ab und jedes Wider. Und sie kamen zu dem Schlusse, dass er kündigen solle. Vorher aber solle er sich nach einer andern Stelle umsehen, solle gleich morgen deshalb in die Stadt gehen.

In dieser Nacht schlief Frau Lisbeth ruhig, zum ersten Male seit Monaten; Matthieu-Maria aber schlief gar nicht.

Er bat um Urlaub am nächsten Morgen und er ging in die Stadt zum Vermittlungsbureau. Er hatte grosses Glück, der Agent nahm ihn gleich mit zum Kommerzienrat Soenneken, der einen Chauffeur suchte, stellte ihn vor. Raspe wurde engagiert, er bekam ein besseres Gehalt wie bisher und dazu weniger Arbeit, auch mit Pferden hatte er nichts zu tun.

Als sie aus dem Hause traten, gratulierte ihm der Vermittler. Raspe sagte: »Danke« – – aber er hatte ein Gefühl, als ob gar nichts da sei, für das er sich zu bedanken habe und als ob er diese neue Stelle nie antreten würde.

Doch freute es ihn, wie er seiner Frau Augen glücklich leuchten sah, als er ihr erzählte. »In vierzehn Tagen also!« sagte er. »Wenn nur diese Zeit erst vorüber wäre!«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein,« sagte sie fest, »nicht erst in vierzehn Tagen – – morgen schon! Sie müssen es erlauben, du musst mit dem Geheimrat sprechen.«

»Das nützt gar nichts,« antwortete er. »Der wird mich an das Fräulein weisen – und –«

Frau Lisbeth griff seine Hand: »Lass nur!« schloss sie. »Ich werde selbst mit dem Fräulein reden.«

Sie liess ihn stehn, ging über den Herrenhof, liess sich melden. Und während sie wartete, überlegte sie genau, was sie alles sagen wollte, um ihre Bitte durchzusetzen, gleich morgen gehen zu dürfen.

Aber sie brauchte gar nichts zu sagen. Das Fräulein hörte nur, dass er gehen wolle, ohne Kündigung; nickte kurz und sagte, dass es gut sei.

Frau Lisbeth flog zurück zu ihrem Manne, umhalste, küsste ihn. Nur eine Nacht noch – dann sei der böse Traum vorbei. Und man müsse gleich packen – und er solle dem Kommerzienrat telephonieren, dass er morgen schon bei ihm seine Stellung antreten könne. Sie zog den alten Koffer unter dem Bette her; ihr heller Eifer steckte ihn an.

Er schleppte seine eisenbeschlagenen Kisten heran, staubte sie aus, half ihr beim Packen. Reichte ihr alles an, lief zwischendurch ins Dorf, bestellte einen Karren, der ihre Siebensachen fortschaffen sollte. Und er lachte und war zufrieden – zum ersten Male in diesem Hause ten Brinken.

Dann, als er die Kochtöpfe vom Herde nahm, eindrehte in Zeitungspapier, kam Aloys, der Diener. Er meldete: »Das Fräulein will ausfahren.«

Raspe starrte ihn an, sprach kein Wort. »Fahr nicht!« rief seine Frau.

Und er sagte: »Bestellen Sie dem Fräulein, dass ich heute nicht mehr –«

Er schloss nicht; Alraune ten Brinken stand in der Türe.

Sie sagte: »Matthieu-Maria, ich hab dich zu morgen entlassen. Heute will ich mit dir fahren.«

Dann ging sie und hinter ihr ging Raspe.

»Fahr nicht – fahr nicht!« schrie Frau Lisbeth. Er hörte es wohl, aber er wusste nicht, wer es rief, noch woher es kam.

Frau Lisbeth liess sich schwer auf die Bank fallen. Sie hörte die Schritte der beiden, über den Hof hin, der Garage zu. Sie hörte, wie das Eisentor sich öffnete, leise in knirschenden Angeln, hörte das Auto, das hinausfuhr auf die Dorfgasse. Und sie hörte weither, noch einen kurzen Schrei mit der Huppe.

Das war der Abschiedsgruss, den ihr Mann ihr zurief, jedesmal, wenn er hinausfuhr durch das Dorf.

Sie sass da, beide Hände im Schoss. Wartete.

Wartete, bis sie ihn brachten. Vier Bauern trugen ihn, auf einer Matratze. Legten ihn mitten ins Zimmer, zwischen die Kisten und Kasten. Zogen ihn aus, halfen ihn waschen, wie es der Arzt befahl. Einen langen weissen Körper, voll von Blut, Staub und Schmutz.

Frau Lisbeth kniete bei ihm, wortlos, ohne Tränen. Der alte Kutscher kam, nahm die schreienden Knaben hinüber. Dann gingen die Bauern und endlich auch der Arzt. Sie hatte ihn nicht gefragt, mit Worten nicht und nicht mit Blicken. Sie wusste die Antwort, die er geben würde.

Einmal, mitten in der Nacht, erwachte Raspe, schlug die Augen auf. Er erkannte sie, bat sie um Wasser. Und sie gab ihm zu trinken.

»Es ist aus,« sagte er leise.

Sie fragte: »Wie kam es?«

Er schüttelte den Kopf. »Ich weiss es nicht. Das Fräulein sagte: ›Fahr zu, Matthieu-Maria.‹ Ich wollte nicht. Da legte sie ihre Hand auf meine und ich fühlte sie durch den Handschuh. Dann fuhr ich. Sonst weiss ich nichts mehr.«

Er sprach so leise, dass sie ihr Ohr dicht an seinen Mund legen musste. Und wie er schwieg, flüsterte sie: »Warum tatest du es?«

Wieder bewegte er die Lippen. »Verzeih mir, Lisbeth! Ich – ich musste es tun. Das Fräulein –«

Sie sah ihn an, schrak heiss auf über den Glanz in seinen Augen. Und sie rief – o so plötzlich war der Gedanke, dass ihre Zunge ihn sprach, fast ehe ihr Hirn ihn gedacht –: »Du – du liebst sie?«

Da hob er, nur um Daumenbreite, den Kopf. Und er murmelte, mit geschlossenen Augen: »Ja – ja! Ich – fuhr – mit ihr.«

Das war das Letzte, was er sprach. Er sank zurück in seine tiefe Ohnmacht, blieb liegen so bis zum frühen Morgen. Schlummerte dann langsam hinüber.

Frau Lisbeth stand auf.

Sie lief zur Tür, dem alten Froitsheim in die Arme. »Mein Mann ist tot,« sagte sie. Und der Kutscher schlug ein grosses Kreuz, wollte an ihr vorbei in die Stube. Aber sie hielt ihn zurück. »Wo ist das Fräulein?« fragte sie schnell. »Lebt sie? Ist sie verletzt?«

Tiefer gruben sich die tiefen Furchen in das alte Gesicht. »Lebt sie? – Ob sie lebt! Da steht sie ja! Verletzt? Nicht eine Schramme – nur ein bisschen schmutzig war sie!« Und er wies mit zitternder Gichthand hinunter in den Hof.

Da stand das schlanke Fräulein in ihrem Knabenanzug. Hob den Fuss, setzte ihn einem Husaren in die Hände, schwang sich in den Sattel –

»Sie hat dem Rittmeister telephoniert,« sagte der Kutscher, »dass sie keinen Reitknecht habe zu heute morgen. Da hat der Graf seinen Burschen herausgeschickt.«

Frau Lisbeth lief über den Hof: »Er ist tot!« rief sie. »Mein Mann ist tot.«

Alraune ten Brinken wandte sich im Sattel, wippte mit der Reitgerte. »Tot,« sagte sie langsam. »Tot – – es ist wirklich schade.« Sie schlug leicht ihr Pferd, führte es im Schritt dem Tore zu.

»Fräulein!« schrie Frau Lisbeth. »Fräulein, Fräulein –«

Doch die Hufe schlugen die alten Steine, kleine Funken sprühten herum. Und wieder, wie so oft, sah sie das Fräulein wie einen braungelockten Knaben durch die Dorfgasse traben, frech und keck, wie ein hochmütiger Prinz. Aber ein blauer Königshusar folgte hinter ihr, und nicht mehr ihr Mann – Matthieu-Maria Raspe –

»Fräulein!« schrie ihre wilde Angst. »Fräulein – Fräulein –«

– Frau Lisbeth lief zum Geheimrat, strömte über von aller Verzweiflung und allem Hass. Der Geheimrat liess sie ruhig reden, sagte, dass er ihren Schmerz verstehe und ihr all das nicht übelnehmen wolle. Auch sei er bereit, trotz der Kündigung, ihr noch auf ein Vierteljahr den Lohn ihres Mannes zu zahlen. Aber sie solle vernünftig sein, solle doch einsehen, dass er allein die Schuld trage an dem bedauerlichen Unglück –

Sie lief zur Polizei; da waren sie nicht so höflich. Sie hätten es kommen sehen, sagten sie, und jeder Mensch wisse, dass der Raspe der wildeste Fahrer gewesen sei am ganzen Rhein. Es sei eine gerechte Strafe, und sie hätte die Pflicht gehabt, ihn beizeiten zu warnen. Ihr Mann allein trage die Schuld, sagten sie, und sie solle sich schämen, dem jungen Fräulein die Sache in die Schuhe zu schieben! Habe die etwa am Steuer gesessen? Gestern? Oder überhaupt?

Und sie lief in die Stadt zu einem Anwalt. Und zu einem zweiten und dritten. Aber es waren ehrliche Leute, und sie sagten ihr, dass sie den Prozess nicht führen könnten und wenn sie noch soviel Vorschuss zahle. O gewiss, das sei ja alles möglich und denkbar. Warum denn nicht? Aber habe sie Beweise? Nein, gar keine – also! Sie solle nur ruhig nach Hause gehen – da sei gar nichts zu machen. Wenn das auch alles so wäre und wenn man es selbst beweisen könne – – so trage ja doch ihr Mann die Schuld. Denn er wäre eben ein Mann gewesen und ein gelernter und tüchtiger Chauffeur, aber das Fräulein sei ein unerfahrenes, kaum erwachsenes Ding –

Sie kam nach Hause. Sie begrub ihren Mann, hinter der Kirche auf dem kleinen Friedhof. Sie packte ihre Sachen und lud sie selbst auf den Karren. Sie nahm das Geld, das ihr der Geheimrat gab, nahm ihre Buben und ging.

In ihre Wohnung zog ein neuer Chauffeur, ein paar Tage drauf. Der war dick und klein und er trank auch. Das Fräulein ten Brinken mochte ihn nicht und fuhr selten allein mit ihm aus. Nie bekam er Protokolle und die Leute sagten, dass er ein tüchtiger Mensch sei und viel besser als der wilde Raspe.

 

»Mottchen!« sagte Alraune ten Brinken, wenn Wolf Gontram zum Abend in das Zimmer trat. Dann glühten die schönen Augen des Jungen. »Du bist das Licht.« sagte er.

Und sie sprach: »Du wirst dir die hübschen Flügelchen verbrennen. Dann liegst du am Boden: ein hässliches Würmchen. – Hüte dich, Wolf Gontram.«

Er sah sie an und schüttelte den Kopf. »O nein,« sagte er, »das ist gut so.«

Und er flog um das Licht, jeden langen Abend.

Noch zwei flogen da herum und sie sengten sich: Karl Mohnen war der eine und der andere war Hans Geroldingen.

Dass ihr Dr. Mohnen den Hof machte, war ihm Ehrensache. Eine reiche Partie, dachte er, endlich; die ist die Rechte! – Da rauschte sein Schifflein mit vollen Segeln.

Ein wenig verliebt war er immer, bei jeder Frau. Nun aber brannte sein Hirnchen unter dem kahlen Schädel, machte ihn närrisch, liess ihn alles fühlen bei dieser einen, was er sonst empfand bei Dutzenden hübsch nacheinander, durch die Jahre hindurch. Und wie er es stets tat, setzte er auch jetzt bei der Partnerin das voraus, was er selbst fühlte: so, deuchte ihn, war er heiss begehrt von Alraune ten Brinken, schrankenlos, atemlos, ohne Grenzen.

Am Tage erzählte er Wolf Gontram von seiner grossen neuen Eroberung. Es war ihm lieb, dass der Junge jeden Abend hinausritt nach Lendenich – als seinen Liebesboten betrachtete er ihn und sandte mit ihm: viele Grüsse, Handküsse und kleine Geschenke.

Nicht eine Rose nur – – das war für den Kavalier. Aber er war ja Liebhaber und Geliebter, er musste mehr senden: Blumen und Schokolade, Petit Fours, Pralinées, Fächer. Hundert Kleinigkeiten und Kinkerlitzchen. Das bisschen Geschmack, das er hatte, und das er so erfolgreich seinen Schutzbefohlenen lehrte, schmolz im Augenblick in dem Flackerfeuer dieser Verliebtheit.

Oft kam der Rittmeister mit ihm hinaus. Sie waren seit langen Jahren befreundet; wie jetzt Wolf Gontram, so pflegte früher der Graf von Geroldingen sich von dem Wissensschatze zu nähren, den Dr. Mohnen aufgespeichert hatte. Dieser gab ihm mit vollen Händen, froh genug überhaupt einen Gebrauch von all dem Kram machen zu können. – Oft gingen sie zusammen auf Abenteuer aus; stets war es der Doktor, der die Bekanntschaft gemacht hatte und der dann später seinen gräflichen Freund, mit dem er sich brüstete, vorstellte. Und oft genug pflückte schliesslich der Husarenoffizier die reifen Kirschen von dem Baume, den Karl Mohnen entdeckt hatte. Das erstemal hatte er Gewissensbisse, kam sich recht gemein vor, quälte sich ein paar Tage herum und sagte dann dem Freunde offen heraus, was er getan. Er entschuldigte sich feierlich: das Mädchen habe ihm solche Avancen gemacht, da habe er zugegriffen; und er fügte hinzu, dass es wirklich gut sei, dass es so gekommen, denn er glaube nicht, dass das Mädchen der Liebe des Freundes würdig sei. Dr. Mohnen machte gar kein Wesen daraus, sagte, dass es ihm ganz gleichgültig sei und völlig in der Ordnung, führte als Beispiel die Maya-Indianer in Yucatan an, bei denen es gelte: ›Meine Frau ist auch meines Freundes Frau‹. Aber Geroldingen merkte doch, dass der andere sich kränkte, so sagte er das nächstemal nichts mehr davon, als wieder einmal eine neue Bekanntschaft des Doktors ihn vorzog. So wurden mit der Zeit gar manche Frauen Dr. Mohnens auch des hübschen Rittmeisters Frauen; genau wie in Yucatan, mit dem Unterschied nur, dass die meisten vorher gar nie Karl Mohnens Frauen gewesen waren. Er war der Chicari, war der Treiber, der das Wild aufspürte und zutrieb – – aber der Jäger war Hans Geroldingen. Doch war der verschwiegen, hatte ein gutes Herz und wollte des Freundes Gefühle nicht verletzen – – so merkte der Treiber nie, wenn der Jäger schoss und hielt sich selbst für den glorreichsten Nimrod am Rhein.

Oft sagte Dr. Mohnen: »Kommen Sie, Graf! Ich habe eine neue Eroberung gemacht, eine bildschöne Engländerin. Gestern angekrallt beim Promenadenkonzert. Ich treffe sie heute abend am Rheinufer.«

»Aber die Elly?« antwortete der Rittmeister.

»Versetzt!« erklärte Karl Mohnen grossartig.

Es war fabelhaft, wie leicht er seine Flammen versetzen konnte. Sowie er eine neue fand, machte er Schluss mit der alten, bekümmerte sich einfach nicht mehr um sie. Und die Mädchen machten ihm nie Schwierigkeiten. Darin war er freilich tüchtiger, als der Husar – der konnte sich stets nur schwer genug losreissen und die Frauen noch schwerer von ihm. Es bedurfte aller Energie und aller Ueberredungskunst des Doktors, um ihn wieder zu einer neuen Schönheit mitzuschleppen.

Diesmal sagte er: »Sie müssen sie sehen, Rittmeister! Herrgott bin ich froh, dass ich so heil durch alle Abenteuer durchgekommen bin und nirgends hängen blieb: jetzt ist's die Rechte, endlich! Enorm reich, enorm geradezu – die alte Exzellenz hat über dreissig Millionen – vierzig vielleicht. Na, was sagen Sie, Graf? Und bildsauber, sein Töchterchen, wie ein Blütenzweig frisch! – Uebrigens, im Vertrauen, das Vögelchen ist bereits ins Netz gegangen – nie war ich meiner Sache so sicher!«

»Ja – aber das Fräulein Clara?« wandte der Rittmeister ein.

»Abgeschafft!« erklärte der Doktor. »Ich habe ihr heute schon einen Brief geschrieben, dass es mir sehr leid täte, aber dass ich wegen Arbeitsüberhäufung keine Zeit mehr habe für sie.«

Geroldingen seufzte. Fräulein Clara war Lehrerin in einem englischen Pensionat, Dr. Mohnen hatte sie bei einem Bürgerball kennen gelernt und später seinem Freunde vorgestellt. Fräulein Clara liebte den Rittmeister und der machte sich Hoffnung, dass sie Dr. Mohnen einmal ihm abnehmen möchte – wenn er selbst heiraten würde. Denn das musste über kurz oder lang doch geschehn: immer höher wuchsen seine Schulden und er musste sich schliesslich rangieren.

»Schreiben Sie dasselbe!« riet Karl Mohnen.

»Herrgott – wenn ich es tue, können Sie es doch erst recht tun – als blosser Freund! Sie haben zuviel Gewissen, Mensch, vielzuviel Gewissen.« Er wollte den Grafen durchaus mit nach Lendenich nehmen, der sollte ihm Relief geben bei dem kleinen Fräulein ten Brinken. Er schlug ihn leicht auf die Schulter. »Sentimental sind Sie, Graf, wie ein Primaner! Ich lasse eine sitzen – und Sie machen sich die Vorwürfe; immer dasselbe Lied! Aber bedenken Sie, was auf dem Spiele steht: die reizendste Erbin am ganzen Rhein – da darf man nicht zögern!«

Der Rittmeister fuhr mit seinem Freunde hinaus. Und er verliebte sich nicht weniger in das junge Wesen, das so ganz anders war, als alles, was ihm bisher die roten Lippen zum Kusse bot.

Als er in dieser Nacht nach Hause kam, hatte er ein ähnliches Gefühl, wie damals, vor zwanzig Jahren, als er zum ersten Male des Freundes Angebetete für sich nahm. Er hielt sich für abgebrüht genug, nachdem er so oft und so erfolgreich den guten Doktor betrogen hatte – und doch schämte er sich jetzt. Denn diese da – diese – das war etwas ganz anderes. Und anders war sein Empfinden diesem halben Kinde gegenüber, anders waren auch, das merkte er gut, die Gefühle seines Freundes.

Etwas beruhigte ihn: den Dr. Mohnen würde das Fräulein ten Brinken gewiss nicht nehmen, viel weniger noch, als eine der andern Frauen es getan hätte. Freilich, ob sie dagegen ihn selbst haben wollte, das schien ihm diesmal durchaus nicht gewiss; alle natürliche Sicherheit hatte ihn diesem Püppchen gegenüber völlig verlassen.

Was den jungen Wolf betraf, so war es augenscheinlich, dass das Fräulein den Jungen, den sie ihren hübschen Pagen nannte, gerne um sich mochte, aber es war ebenso klar, dass er für Alraune nichts anderes war als ein willenloses Spielzeug. Nein, diese beiden waren keine Rivalen, weder der geschmeidige Doktor, noch der schöne Junge. Der Rittmeister wog seine Chancen, zum ersten Male in seinem Leben. Er war von gutem alten Adel und die Königshusaren galten als das beste Regiment im Westen. Er war schlank und gut gewachsen, sah jung genug aus – immer noch, obwohl er nun dicht vor dem Major stand. Er dilettierte – und gut genug – in allen Künsten; wenn er ehrlich sein wollte, musste er zugeben, dass man nicht leicht einen preussischen Reiteroffizier finden möchte, der mehr Interessen und auch mehr Bildung hatte wie er. Wahrhaftig – es war eigentlich kaum zu verwundern, dass ihm die Frauen und Mädchen an den Hals flogen. – Warum sollte Alraune es nicht tun? Sie würde lange suchen können, bis sie was Besseres fände, um so mehr, als das Adoptivtöchterlein der Exzellenz ja das einzige, was er ihr nicht bieten konnte, in solch ungeheurer Fülle besass: Geld! – Und er dachte, dass sie beide wohl ein recht gutes Paar abgeben möchten.

Jeden Abend war Wolf Gontram in dem Hause des heiligen Nepomuk, aber wenigstens dreimal in der Woche brachte er den Rittmeister mit und den Doktor. Der Geheimrat zog sich zurück nach dem Essen, kam nur gelegentlich einmal herein auf eine halbe Stunde, hörte zu, beobachtete ein wenig, entfernte sich wieder. Machte Stichproben, wie er das nannte. Und die drei Liebhaber sassen herum um das kleine Fräulein, sahen sie an, machten Liebe, ein jeder auf seine Weise.

Eine Zeitlang gefiel das dem jungen Mädchen, dann aber begann es sie zu langweilen. Und es schien ihr, als ob das ein wenig zu eintönig sei und als ob ein bisschen mehr Farbe hineingehöre in die abendlichen Genrebilder in Lendenich.

»Sie sollten etwas tun,« sagte sie zu Wolf Gontram.

Der Junge fragte: »Wer sollte etwas tun?«

Sie sah ihn an: »Wer? Die beiden! Doktor Mohnen und der Graf.«

»Sag ihnen doch, was sie tun sollen,« erwiderte er, »sie werden es gewiss tun.«

Alraune blickte ihn gross an. »Weiss ich es denn?« sprach sie langsam. »Sie müssten es selbst wissen.« Sie legte den Kopf in beide Hände, starrte geradeaus in den Raum. Nach einer Weile sagte sie: »Wäre es nicht nett, Wölfchen, wenn die zwei sich duellierten? Sich totschössen – gegenseitig?«

Wolf Gontram meinte: »Warum sollen sie sich denn totschiessen? Sie sind die allerbesten Freunde.«

»Du bist ein dummer Junge, Wölfchen!« sagte Alraune. »Was hat das damit zu tun, ob sie gute Freunde sind oder nicht? – Dann müsste man sie eben zu Feinden machen.«

»Ja, aber warum denn?« fragte er. »Es hat doch gar keinen Zweck.«

Sie lachte. Nahm seinen Lockenkopf, küsste ihn rasch mitten auf die Nase. »Nein, Wölfchen – einen Zweck hat es gar nicht – wozu auch? Aber es wäre doch einmal etwas anderes. – Willst du mir helfen.«

Er antwortete nicht. Da fragte sie noch einmal: »Willst du mir helfen, Wölfchen?«

Und er nickte.

An diesem Abende überlegte Alraune mit dem jungen Gontram, wie man es anstellen könne, die beiden Freunde ein wenig zu verhetzen, so zwar, dass der eine den andern zum Zweikampfe fordern würde. Alraune überlegte, sie spann den Plan und machte einen Vorschlag nach dem andern; Wölfchen Gontram nickte dazu, immer noch ein wenig befangen. Alraune beruhigte ihn: »Sie brauchen sich ja gar nichts zu tun am Ende – es fliesst immer nur wenig Blut bei Duellen. Und nachher söhnen sie sich wieder aus: das befestigt nur ihre Freundschaft!«

Das leuchtete ihm ein; nun half er überlegen. Erzählte ihr allerhand kleine Schwächen der beiden, wo der empfindlich war und wo jener – – so wuchs ihr kleiner Plan. Es war durchaus keine feingesponnene Intrige, war vielmehr kindlich und naiv genug: nur zwei Leute, die so blind verliebt waren, mussten stolpern über diese plumpen Steine. Exzellenz ten Brinken merkte etwas; er holte Alraune aus, dann, als sie schwieg, den jungen Gontram. Da erfuhr er, was er nur wollte, lachte und gab ihm für den kleinen Plan noch einige hübsche Winke.

Aber die Freundschaft zwischen den beiden war fester wie Alraune geglaubt hatte; über vier Wochen dauerte es, bis sie glücklich so weit war, den von seiner Unwiderstehlichkeit so felsenfest überzeugten Dr. Mohnen zu der Meinung zu bringen, dass er dennoch diesmal vielleicht dem Rittmeister das Feld räumen müsse, und in diesem umgekehrt den Glauben wachsen zu lassen, dass es doch nicht so völlig ausgeschlossen sei, dass auch einmal zur Abwechslung der Doktor über ihn triumphieren könne. Man muss sich aussprechen! dachte er, und so dachte auch Karl Mohnen; aber das Fräulein ten Brinken verstand es, diese Aussprache, die ein jeder wünschte, immer wieder zu verhindern. Sie lud zum einen Abend den Doktor ein, und den Rittmeister nicht; dann wieder ritt sie mit dem Grafen aus und liess den Doktor in irgendeinem Gartenkonzert auf sie warten. Jeder von ihnen hielt sich nun für den Bevorzugten, aber jeder auch musste anerkennen, dass ihr Benehmen dem Rivalen gegenüber nicht ganz gleichgültig war.

Es war der alte Geheimrat selber, der schliesslich als Blasebalg die glimmenden Funken hochwarf. Er nahm seinen Bureauchef beiseite, hielt ihm eine lange Rede, dass er mit seinen Leistungen zufrieden sei, und dass er gar nicht ungern sehen würde, wenn jemand, der so sehr in alle Geschäfte eingeweiht sei, einmal sein Nachfolger werden möchte. Freilich würde er nie der Entscheidung seines Kindes vorgreifen; doch wolle er ihn warnen: es würde mit allen Mitteln von einer Seite, die er nicht nennen wolle, gegen ihn gekämpft, namentlich alle möglichen Gerüchte über sein lockeres Leben verbreitet und dem Fräulein ins Ohr geflüstert. Fast dieselbe Rede hielt Exzellenz ten Brinken dann dem Rittmeister, nur dass er hier bemerkte, dass er es gar nicht ungern sehen würde, wenn seine kleine Tochter in eine so gute alte Familie, wie die Geroldingen, hineinheiraten würde.

In den nächsten Wochen vermieden die beiden Rivalen es streng, irgendwie zusammenzutreffen, verdoppelten aber ihre Aufmerksamkeiten Alraune gegenüber; besonders Dr. Mohnen liess keinen ihrer Wünsche unerfüllt. Wie er hörte, dass sie von einem entzückenden siebenfachen Perlenkollier schwärmte, das sie in Köln bei einem Juwelier in der Schildergasse gesehen hatte, fuhr er sofort hinüber und kaufte es. Und als er bemerkte, dass das Fräulein über sein Geschenk wirklich einen Augenblick entzückt war, glaubte er den Weg zu ihrem Herzen nun sicher gefunden zu haben und begann sie mit allen schönen Steinen zu überhäufen. Freilich musste er zu diesem Zwecke die Geschäftskasse des ten Brinkenschen Bureaus stark in Anspruch nehmen, aber er war seiner Sache so gewiss, dass er das leichten Herzens tat und die kleine Zwangsanleihe nur als einen fast berechtigten Pump betrachtete, den er dem Geschäfte sogleich wieder zurückerstatten würde, sowie er die Mitgiftmillionen des Schwiegervaters bekam. Die Exzellenz, des war er sicher, würde über den kleinen Streich nur lachen.

Die Exzellenz lachte auch – aber ein wenig anders, als sich der gute Doktor dachte. Noch am selben Tage, an dem Alraune das Perlenkollier bekommen hatte, fuhr er in die Stadt und stellte sofort fest, woher der Freier die Mittel zu dem Geschenk genommen hatte. Aber er sagte nicht eine Silbe.

Graf Geroldingen konnte keine Perlen schenken. Da war keine Kasse, die er plündern konnte, und kein Juwelier würde ihm etwas geliehen haben. Aber er dichtete dem Fräulein Sonette, die wirklich recht hübsch waren, malte sie in ihrem Knabenanzuge, und geigte ihr, statt Beethoven, den er liebte, Offenbach vor, den sie gerne hörte.

Dann, an dem Geburtstag des Geheimrats, zu dem alle beide geladen waren, kam es endlich zum Zusammenstosse. Das Fräulein hatte heimlich einen jeden gebeten, sie zu Tisch zu führen, so kamen sie beide auf sie zu, als der Diener meldete, dass serviert sei. Jeder hielt das Vordrängen des andern für taktlos und anmassend und jeder sagte – und verschluckte halb – ein paar Worte.

Alraune winkte Wolf Gontram heran. »Wenn die Herren sich nicht einigen können – –« sagte sie lachend. Und nahm seinen Arm.

Bei Tisch ging es ein wenig still zu am Anfange, der Geheimrat musste das Gespräch führen. Aber bald wurden auch die beiden Liebhaber warm und man trank auf das Wohl des Geburtstagskindes und seines liebreizenden Töchterleins. Karl Mohnen hielt die Rede und das Fräulein warf ihm ein paar Blicke zu, die dem Rittmeister das Blut heiss in die Schläfen trieben. Später aber, beim Dessert, legte sie leicht ihre kleine Hand auf des Grafen Arm – eine Sekunde nur, aber doch lang genug, um des Doktors runde Fischaugen starr zu machen.

Als sie aufstanden, liess sie sich von beiden führen, tanzte auch mit beiden herum. Und sie sagte während des Walzers zu jedem von ihnen besonders: »Oh – es war abscheulich von Ihrem Freunde! – Das dürfen Sie sich wirklich nicht gefallen lassen!«

Der Graf antwortete: »Gewiss nicht!« Aber Dr. Mohnen warf sich in die Brust und erklärte: »Rechnen Sie auf mich!«

Am andern Morgen erschien der kleine Zwist dem Husaren nicht weniger kindisch wie dem Doktor – aber sie hatten beide das unsichere Gefühl, als ob sie dem Fräulein ten Brinken etwas versprochen hätten. – »Ich werde ihn vor die Pistole fordern,« sagte sich Karl Mohnen und glaubte dabei, dass es wohl doch nicht nötig wäre. Aber der Rittmeister schickte dem Freunde am frühen Morgen auf alle Fälle ein paar Kameraden hin – – mochte später das Ehrengericht sehen, was es daraus machte.

Dr. Mohnen parlamentierte mit den Herrn Kartellträgern, setzte ihnen auseinander, dass der Graf sein allerintimster Freund sei und dass er ihm gar nicht übelwolle. Der Graf solle ihn nur um Verzeihung bitten, dann sei alles gut – – und er wolle ihnen im Vertrauen sagen, dass er auch alle Schulden des Freundes bezahlen würde, sogleich am Tage nach seiner Hochzeit. Aber die beiden Offiziere erklärten, dass das alles ja sehr nett sei, aber sie gar nichts anginge. Der Herr Rittmeister fühle sich beleidigt und verlange Genugtuung – sie hätten nur den Auftrag zu fragen, ob er kavaliermässig genug denke, die Forderung anzunehmen. Dreimaliger Kugelwechsel – fünfzehn Schritte Distanz.

Dr. Mohnen erschrak: »Drei – dreimaliger Kugelwechsel –« stotterte er.

Da lachte der Husarenoffizier. »Nun, beruhigen Sie sich nur, Herr Doktor! – Das Ehrengericht wird ja nie im Leben eine so unsinnige Forderung für eine solche Bagatelle zugeben. – Es ist nur der guten Form halber.«

Dr. Mohnen sah das ein; er rechnete auf den gesunden Menschenverstand der Herren Ehrenrichter und nahm die Forderung an. Er tat noch mehr, lief spornstreichs in das Korpshaus der Sachsen, bat um Waffenschutz und sandte seinerseits zwei der Studenten zu dem Rittmeister, um die Forderung zu überstürzen: fünfmaligen Kugelwechsel bei zehn Schritten verlangte er. Das musste sich sehr gut machen – und würde dem kleinen Fräulein gewiss imponieren.

Das gemischte Ehrengericht, das sich aus Offizieren und Korpsstudenten zusammensetzte, war vernünftig genug: es bestimmte einmaligen Kugelwechsel und setzte die Distanz auf zwanzig Schritte fest. Da konnten die beiden nicht viel Unfug anrichten und der Ehre war doch genug geschehen. Hans Geroldingen lächelte, als er den Spruch vernahm und verbeugte sich verbindlich; aber Dr. Mohnen wurde sehr bleich. Er hatte darauf gerechnet, dass man überhaupt jeden Zweikampf für unnötig erklären und sie beide veranlassen würde, sich gegenseitig um Entschuldigung zu bitten. Es war zwar nur eine Kugel – – aber die konnte doch auch treffen!

Früh am Morgen fuhren sie hinaus in den Kottenforst, alle in Zivil, aber feierlich genug in sieben Wagen. Drei Husarenoffiziere und der Stabsarzt, dann Dr. Mohnen und mit ihm Wolf Gontram. Zwei Korpsstudenten der Saxonia und einer von Guestphalia, der als Unparteiischer fungieren sollte; auch der S. C. Arzt, Dr. Peerenbohm, ein alter Herr von den Pfälzern. Und dazu zwei Korpsdiener, zwei Offiziersburschen und noch ein Heilgehilfe des Stabsarztes.

Noch einer war dabei: Exzellenz ten Brinken. Er hatte seinem Bureauchef seine ärztliche Hilfe angeboten, hatte dann sein altes Besteck heraussuchen und hübsch reinigen lassen.

Zwei Stunden fuhren sie durch den lachenden Morgen. – Sehr gut gelaunt war Graf Geroldingen; er hatte am Abende vorher einen kleinen Brief bekommen aus Lendenich. Ein vierblättriges Kleeblatt war darin und auf einem Zettelchen stand das eine Wort: ›Mascotte‹. – In seiner unteren Westentasche steckte der Brief und machte ihn lachen und träumen von allen guten Dingen. Er plauderte mit den Kameraden, machte sich lustig über dieses Kinderduell. Er war der beste Pistolenschütze in der Stadt und er sagte, dass es ihn reizen möchte, dem Doktor einen Knopf vom Rockärmel abzuschiessen. Aber man könne bei aller Sicherheit doch nie ganz seiner Sache gewiss sein, besonders nicht bei fremden Pistolen – – da wolle er doch lieber in die Luft knallen. Denn es wäre eine Gemeinheit, wenn er den guten Doktor auch nur ritzen würde.

Dr. Mohnen aber, der mit dem Geheimrat und dem jungen Gontram zusammen im Wagen sass, sagte gar nichts. Auch er hatte ein kleines Briefchen erhalten, das die grossen steilen Züge des Fräulein ten Brinken trug und ein zierliches goldenes Hufeisen enthielt, aber er hatte seine Mascotte nicht einmal recht angesehen, hatte etwas von »kindlichem Aberglauben« gemurmelt und das Briefchen auf den Schreibtisch geworfen. Er hatte Angst, rechte und schlechte Angst, die goss sich wie schmutziges Kehrichtwasser in das Strohfeuer seiner Liebe. Er schalt sich einen kompleten Idioten, dass er so früh am Morgen aufgestanden war, nur um herauszufahren zur Schlachtbank; immerzu kämpften in ihm der heisse Wunsch, den Rittmeister um Entschuldigung zu bitten und so aus der Falle herauszukommen, mit dem Schamgefühl, das er vor dem Geheimrat und vielleicht mehr noch vor Wolf Gontram empfand, dem er so erfolgreich von allen seinen Heldentaten erzählt hatte. Mittlerweile gab er sich ein ganz heroisches Aussehen, versuchte eine Zigarette zu rauchen und recht gleichmütig dreinzublicken. Aber er war kreideweiss, als die Wagen im Walde auf der Landstrasse hielten, als man den kleinen Fussweg einschlug zu der weiten Lichtung.

Die Herren Aerzte machten ihre Verbandkasten zurecht, der Unparteiische liess den Pistolenkasten öffnen und lud die Mordgewehre. Wog sorgfältig das Pulver ab, dass beide Schüsse gleich stark waren. Es waren hübsche Waffen, die den Westfalen gehörten; die Sekundanten losten für ihre Klienten, zogen Streichhölzchen: kurz verliert, lang gewinnt. Lächelnd schaute der Rittmeister der etwas gemachten Feierlichkeit zu, die niemand recht ernst nahm; aber Dr. Mohnen wandte sich ab und starrte auf den Boden. Dann nahm der Unparteiische die zwanzig Schritte, er machte ungeheure Sprünge, so dass die Offiziere ein etwas missmutiges Gesicht zogen, es schien ihnen nicht ganz passend, dass dieser Herr die Sache allzusehr zur Farce machte und das Dekorum gar so wenig wahrte.

»Die Lichtung wird zu klein sein!« rief ihm Major v. d. Osten höhnisch zu. Aber der lange Westfale antwortete seelenruhig: »Dann können sich die Herren ja in den Wald stellen - das ist noch sicherer.«

Die Sekundanten führten ihre Klienten auf ihre Plätze, der Unparteiische forderte sie noch einmal zur Versöhnung auf, wartete aber gar nicht erst eine Antwort ab. »Da eine Versöhnung von beiden Seiten abgelehnt wird,« fuhr er fort, »bitte ich die Herren auf mein Kommando zu achten –«

Ein tiefer Seufzer des Doktors unterbrach ihn. Karl Mohnen stand da, mit schlotternden Knien, die Pistole fiel ihm aus der zitternden Hand; bleich wie ein Leichentuch waren seine Züge.

»Einen Augenblick!« rief der S. C. Arzt herüber, eilte mit langen Schritten auf ihn zu; ihm folgten der Geheimrat, Wolf Gontram und die beiden Herren von Saxonia.

»Was haben Sie?« fragte Dr. Peerenbohm.

Dr. Mohnen gab keine Antwort; völlig aufgelöst starrte er geradeaus. »Nun, was ist Ihnen, Doktor?« wiederholte sein Sekundant, nahm die Pistole vom Boden auf und drückte sie ihm wieder in die Hand.

Aber Karl Mohnen schwieg; wie ein Ertrunkener sah er aus.

Da glitt ein Lächeln über das breite Gesicht des Geheimrats. Er näherte sich dem Sachsen und flüsterte ihm ins Ohr: »Es ist ihm etwas Menschliches passiert!«

Der Korpsbursche verstand ihn nicht gleich. »Wie meinen Exzellenz?« fragte er.

»Riechen Sie doch!« flüsterte der Alte.

Der Sachse lachte rasch auf. Aber sie wahrten den Ernst der Situation, nahmen nur ihre Taschentücher heraus und drückten sie an die Nasen. »Incontinentia alvi!« erklärte Dr. Peelenbohm würdig. Er nahm ein Fläschchen aus der Westentasche, gab ein paar Tropfen Opiumtinktur auf ein Stückchen Zucker und reichte es Dr. Mohnen. »Hier, knabbern Sie,« sagte er und steckte es ihm in den Mund. »Nehmen Sie alle Ihre Kräfte zusammen! – Nun, freilich, so ein Duell ist ja auch eine ganz erschreckliche Sache!«

Aber der arme Doktor hörte nichts und sah nichts, nicht einmal den bitteren Geschmack des Opiums fühlte seine Zunge. Er empfand wirr, dass die Menschen sich von ihm entfernten; dann vernahm er die Stimme des Unparteiischen. »Eins,« klang ihm in die Ohren – dann »Zwei« – und gleich mit dem »Zwei« hörte er einen Schuss. Er schloss die Augen, die Zähne klapperten ihm, alles drehte sich rings um in seinem Schädel. »Drei« scholl es von dem Waldrande her – da ging seine eigene Pistole los. Und dieser laute Knall in nächster Nähe betäubte ihn so, dass die Beine den Dienst versagten. Er fiel nicht, sank vielmehr in sich zusammen, wie ein ›sterbendes Schweinchen‹, setzte sich breit auf den taufrischen Boden.

Wohl eine Minute sass er so, und es deuchte ihm eine lange Stunde zu sein; dann kam ihm das Bewusstsein, dass nun wohl der Handel aus sei. »Es ist vorüber,« murmelte er mit einem glücklichen Seufzer. Er befühlte sich überall – nein, er war nirgend verletzt. Nur – nur die Hose hatte wohl Schaden gelitten. Aber was verschlug das?

Niemand bekümmerte sich um ihn, so erhob er sich selbst; fühlte ordentlich mit welch ungeheurer Schnelle alle Lebenskräfte in ihn zurückkehrten. Mit tiefen Zügen trank er die Morgenluft – ah, wie gut es doch war, zu leben!

Hinten, am andern Ende der Lichtung, sah er in dichtem Knäuel die Menschen zusammenstehen. Er putzte seinen Zwicker und sah hindurch – alle drehten sie ihm den Rücken zu. Langsam ging er hinüber, erkannte Wolf Gontram, der ganz zurückstand, sah dann ein paar knien und einen, in der Mitte, lang daliegen.

War das der Rittmeister? – Sollte er ihn getroffen haben? – Ja – – hatte er denn überhaupt geschossen? Er machte einen kleinen Umweg, zwischen den hohen Föhren her. Kam nahe heran und sah nun deutlich genug. Und er sah, wie des Grafen Auge auf ihn fiel, sah, wie er mit der Hand ihn leicht heranwinkte.

Alle machten ihm Platz, so trat er in den Kreis. Hans Geroldingen streckte ihm die Rechte entgegen, da kniete er hin und fasste sie. »Verzeihen Sie mir,« murmelte er. »Ich habe es wirklich nicht gewollt –«

Der Rittmeister lächelte: »Ich weiss es, alter Freund. – Es war ein Zufall – – ein gottverdammter Zufall!« Irgendein jäher Schmerz fasste ihn, er stöhnte und ächzte elendiglich. »Ich wollte Ihnen nur sagen, Doktor, dass ich Ihnen nicht böse bin,« fuhr er leise fort.

Dr. Mohnen antwortete nicht, ein heftiges Zucken ging um seine Mundwinkel, seine Augen füllten sich mit dicken Tränen. Dann zogen ihn die Aerzte zur Seite, beschäftigten sich wieder mit dem Verwundeten.

»Nichts zu machen,« flüsterte der Stabsarzt.

»Wir müssen versuchen, ihn möglichst rasch in die Klinik zu schaffen,« sagte der Geheimrat.

»Es wird uns nichts nützen,« erwiderte Dr. Peerenbohm. »Er wird uns auf dem Transport eingehen. – Wir werden ihm nur unnütz jämmerliche Qualen bereiten.«

Die Kugel war in den Unterleib gedrungen, hatte alle Eingeweide durchschlagen und war dann im Rückgrat steckengeblieben. Aber es war, als ob sie dahin gelockt worden sei mit geheimer Kraft: gerade durch die Westentasche war sie gedrungen, durch das Brieflein Alraunens, hatte das vierblättrige Kleeblatt durchschlagen und das liebe Wörtlein: »Mascotte« –

 

Der kleine Rechtsanwalt Manasse war es, der Dr. Mohnen rettete. Als ihm Justizrat Gontram den Brief zeigte, den er soeben aus Lendenich bekommen, erklärte er, dass der Geheimrat der geriebenste Schuft sei, den er je kennen gelernt habe, und beschwor den Kollegen, nicht eher die Anzeige bei der Staatsanwaltschaft zu übermitteln, bis der Doktor in Sicherheit sei. Nicht um den Zweikampf handelte es sich – deshalb hatte die Behörde noch am selben Tage das Verfahren eingeleitet – sondern um die Unterschlagungen im Bureau der Exzellenz. Und der Rechtsanwalt lief selbst zu dem Delinquenten, holte ihn aus dem Bette heraus.

»Aufstehen!« kläffte er. »Anziehen! Koffer packen! – Fahren Sie mit dem nächsten Zuge nach Antwerpen und dann schnell übers Wasser! Sie sind ein Esel! Ein Kamel sind Sie! – Wie konnten Sie nur solchen Blödsinn anstellen!«

Dr. Mohnen rieb sich die schlaftrunkenen Augen; er konnte das alles gar nicht recht begreifen. So, wie er stehe mit dem Geheimrat –

Aber Herr Manasse liess ihn gar nicht zu Worte kommen. »Wie Sie mit ihm stehen?« bellte er. »Ja – grossartig stehen Sie mit ihm! Glänzend! Unübertrefflich! – Gerade die Exzellenz ist es, Sie Dummkopf, die den Justizrat beauftragte, Sie bei der Staatsanwaltschaft anzuzeigen, weil Sie seine Kasse bestohlen haben.«

Da entschloss sich Karl Mohnen, aus dem Bette zu kriechen.

Stanislaus Schacht war es, sein alter Freund, der ihm forthalf. Er studierte die Fahrpläne, er gab ihm das Geld, das nötig war, er besorgte das Auto, das ihn fortbringen sollte nach Köln.

Es war ein wehmütiger Abschied. Ueber dreissig Jahre lebte Karl Mohnen in dieser Stadt, in der jedes Haus, jeder Stein fast, ihm eine Erinnerung gab. Hier wurzelte er, hier allein hatte sein Leben eine Berechtigung. Und nun fort, Hals über Kopf, hinaus in irgendein Fremdes –

»Schreib mir,« sagte der dicke Schacht. »Was gedenkst du zu machen?«

Karl Mohnen zögerte. Alles schien ihm vernichtet, zusammengebrochen und zerstört; ein wirrer Schutthaufen lag sein Leben. Seine Schultern zuckten, trübselig blickten seine gutmütigen Augen. »Ich weiss nicht,« murmelte er.

Dann aber kroch die Gewohnheit aus seinen Lippen. Er lächelte unter Tränen: »Ich werde eine Partie machen.« sagte er. »Es gibt ja viele reiche Mädchen – – drüben, in Amerika.«


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