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Kapitel 14.


An den Rhein, an den Rhein! zieh nicht an den Rhein,
Mein Sohn, ich rate Dir gut,
Da geht Dir das Leben zu lieblich ein,
Da blüht Dir zu freudig der Mut!

Carl Simrock.

 

Welch ein Frühlingswetter!

Alle lichten Geister des Frohsinns scheinen entfesselt und schwirren wie leuchtende Goldfunken durch die Luft!

Sang und Klang, frohe Menschenstimmen und jubelndes Gelächter, wohin man hört, – und wohin man sieht, strahlende Augen, glückliche Gesichter, buntes, fröhlich flutendes Leben überall!

Der Rhein ist nie so schön, als im Frühling, wo der Alte wieder jung wird mit der jungen Welt, wo er sein Bahrtuch von Eis und Schnee machtvoll von sich geworfen, um neu geboren zu erstehen!

Dann wälzt er seine Wogen in kraftstrotzender Fülle dahin wie ein Jüngling, welcher sich mit weit ausgebreiteten Armen jauchzend den Frühlingsstürmen entgegenwirft, voll ungestümer Wanderlust weltein zu ziehen!

Wie der Sonnenglanz auf dem Wasser liegt! Wie es geheimnisvoll aufglüht und goldrot durch die Wellen zuckt, als sei der Nibelungenhort geschmolzen und treibe in funkelndem Goldstrom gleißend dahin. Jede Woge trägt einen flammenden Blitz im Schoß, jede Brandung verstäubt demantenen Tau, und wo der Strom in den Uferbuchten stiller daher fließt und Wald und Fels und stolze Zinnenkronen spiegelt, da kreuzen die weißen flinken Segel und ziehen wie blendendes Schwanengefieder über tiefgefärbten, blaugrünen Grund! –

Die ersten Duftschleier knospenden Maigrüns liegen über den waldigen Bergen, überall tritt das Felsgestein noch grell beschienen in seinen pittoresken Formen zu tage und die Ruinen verstecken sich noch nicht hinter dunklem Gezweig, sondern tragen nur Blütensträuße und wehende Ranken als liebliche Zierde!

Glocken läuten! Hornsignale! hallende Jubelrufe von Berg zu Thal!

Das Dampfschiff zieht mit flatternden Wimpeln seine Bahn, und die Menschen, welche sich auf Deck befinden, empfinden es, wie weit und leicht das Herz wird! Wie recht der Dichter hat, wenn er von dem gefährlichen Zauber des Rheines singt, welcher die Seelen gefangen nimmt gleich dem Lied der Nixen, gleich dem Sang der goldhaarigen Lorelei, welcher nicht nur an ihrem Felsen erklingt, sondern so weit durch den Lenzesodem weht, wie die grünen Rheinwogen durch die Lande ziehen!

Anfänglich hatte Fränzchen Niedeck wie gebannt von süßem Zauber an Pias Seite auf dem Schiff gesessen und mit großen, weit offenen Augen die reizenden Bilder angestaunt, welche in buntem Wechsel an den Ufern vorüberzogen.

Dann aber war ihre ureigentliche Natur doch wieder zum Durchbruch gekommen.

Sie sprang auf, lief unruhig hin und her, interessierte sich kurze Zeit für den Maschinenbetrieb des Schiffes, musterte ungeniert die Mitreisenden, versteckte dem tief in Gedanken versunkenen Friedrich meuchlings seine kleine Handtasche, bestellte sich bei dem Steward bald diese, bald jene Erfrischung und zeigte durch ihr ganzes Benehmen, daß sie die längste Zeit am Tage still gesessen hatte.

Die Gräfin versuchte das quecksilberige Töchterlein vergeblich an ihre Seite zu fesseln.

Fränzchen schmollte, daß man an allem Schönen so schnell vorbei fahre, und daß doch der eigentliche Zweck einer Rheinreise der sei, mal von »oben herunter« auf den Fluß zu sehen.

»Sieh doch nur, das fidele Gewimmel an den Ufern, Mama! – und wir sitzen hier wie in einer Mausefalle und können uns nicht rühren! Wie entsetzlich lange fahren wir schon –«

»Aber, Kind! wir sind ja kaum eingestiegen!!«

»Kaum eingestiegen? – na, ich danke! eine wahre Ewigkeit gondeln wir bereits! In Niedeck habe ich einsam und allein schon monatelang still im Käfig sitzen müssen und nun, bei dem prachtvollen Wetter, wo man sich mal ein bischen die Beine vertreten könnte, soll man wieder dasitzen wie angenagelt!« –

»Aber, Fränzchen, es giebt ja hier noch gar keine Berge und Burgen, welche man ansehen kann!«

»Gleichviel! wir können doch mal aussteigen, mal ein bischen am Ufer entlang fahren oder reiten! Da drüben ritt eben eine ganze Gesellschaft auf Eseln! das muß famos sein! ich möchte für mein Leben gern auch mal wieder Esel reiten, Du weißt doch Papa, daß es mein Hauptvergnügen seit jeher gewesen ist!«

Tante Johanna sah schon wieder ganz nachgiebig aus, und der Graf seufzte nur ein wenig.

»Du bist ein entsetzlicher Quälgeist! Ich muß mich doch erst mal informieren, ob wir am Ufer auf bequeme Weise Rüdesheim erreichen können!«

»Ja, komm nur mit! ich habe schon den Steuermann gefragt! Ganz bequem ist es! Die nächste Station ist Geisenheim, und von da kann man sogar höchst komode zu Fuß bis Rüdesheim gehen! Komm nur mit! wirst es schon hören!«

Und die Komtesse zog ihren Vater kraftvoll vom Sitze auf und schleppte ihn in ihrer derb energischen Weise mit sich fort.

»Hör' mal, Tantchen, Ihr laßt Euch ganz furchtbar von der kleinen Hexe tyrannisieren!« lachte Pia kopfschüttelnd, »sie kann ja mit Euch machen was sie will.«

Die Gräfin nickte mit ihrem engelsgeduldigen Gesicht und sagte wie entschuldigend: »Sie ist unser einziges Kind! Unser ganzes Glück! Das Liebste, was wir haben! Das macht uns schwach! Aber unser Verziehen ist nicht so schlimm wie es aussieht. Fränzchen fügt sich auch unseren Wünschen ohne Widerrede mit rührender Geduld, obwohl es ihr manchmal recht sauer wird; da ist es wohl recht und billig, wenn auch wir ihr alles zu Liebe thun, was in unseren Kräften steht!«

Pia küßte zärtlich die Hand der Sprecherin: »Wie seid Ihr Beiden doch so brave, gute, glückliche Menschen. Ich hätte nie geglaubt, Tante Johanna, daß man mit einem Niedeck in so harmonischer Ehe leben kann!«

Ein feines Lächeln huschte um die Lippen der Gräfin: »Willibald ist wohl auch eine Ausnahme von der Regel! Hätte er einen Sohn, würde ich Dir an dessen Seite auch das größte Glück prophezeien können, – ein Graf Rüdiger dürfte weniger empfehlenswert sein, und seine Söhne? – Man sagt, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.« –

Pia schwieg.

Abermals drängte sich ihr der Gedanke auf, welcher sie nicht mehr verlassen wollte, seitdem sie von Niedeck nach der Bahnstation gefahren.

Wie kam es, daß Fränzchen plötzlich mit der Idee herausplatzte: »Du sollst auf einen anderen warten!« Sie hatte es in der Übereilung gesagt und beiden Eltern schien die Sache höchst peinlich und unangenehm. Auch Fränzchens Verlegenheit danach bewies ihr, daß sie gegen ein Verbot gefehlt hatte.

Sie sollte sich nichts merken lassen, daß sie von dem Heiratsprojekt mit Wulff-Dietrich bereits wußte.

Warum nicht? – und warum sollte sie darüber schweigen? Es war doch leider ein so öffentliches Geheimnis, daß es keiner Schonung bedurfte! Sollte etwa Tante Johanna auf diplomatische Weise ganz andere Ziele verfolgen, als wie Pia sich träumen ließ?

Sollte ihr Abreden und ihr abfälliges Urteil über den künftigen Majoratsherrn vielleicht nur ein kleines Manöver sein, um den Widerspruch der Nichte zu reizen? –

Was dem Zureden sicherlich mißglückt wäre, gelingt vielleicht dem Abreden?? –

Wer kennt Pias Charakter so gut wie Tante Johanna?

Wer liest so fein und deutlich in Mädchenherzen wie eine kluge, empfindsame Frauenseele? Und die Gräfin war eine geistvolle, feinfühlige Frau, welche sich viel Menschenkenntnis angeeignet. – Hält sie eine Heirat mit Wulff-Dietrich etwa auch für das größte Glück eines armen Mädchens und will sie nun auf ihre Weise Einfluß üben? –

Wohl möglich.

Und doch ist so vieles, so sehr vieles, was lebhaft dagegen spricht!

Willibalds Haß gegen den Vetter und dessen ganze Familie ist wahr und echt, ist keine Komödie, – und Johanna, deren Denken und Empfinden so völlig eins mit dem Gatten ist, würde nie die Hand bieten, um einen wichtigen Plan ihres Feindes zu fördern.

Was bezweckt alsdann aber das seltsame Benehmen, welch geheime Absicht verfolgen die Eltern, sowohl wie Fränzchen?

Pias Gedanken schweifen beunruhigt hin und her, ohne die Lösung solchen Rätsels finden zu können; sie hat jetzt auch keine Zeit mehr, nachzugrübeln, denn mit dröhnenden Schritten kommt Fränzchen angesprungen und meldet triumphierend: »Hurrah, es wird ausgestiegen! schnell macht Euch fertig; in Geisenheim landen wir!! –«

Die Augen der Umsitzenden mustern voll Heiterkeit die derbe, schlaksige Mädchengestalt, welche noch so garnichts von dem Wesen einer jungen Dame an sich hat, und man beobachtet mit fröhlichem Interesse, wie ungeniert und ohne jede Spur von Eitelkeit Fränzchen den Mantel über die Schultern wirft und mit genialem Patsch den Filzhut auf den Kopf drückt.

Und dann gehorcht die ganze Familie gehorsam dem Befehl der kleinen Tyrannin und verläßt an Station Geisenheim das Schiff. Fränzchen, welche auf Deck durchaus nicht über Beeinträchtigung der Freiheit ihrer Bewegungen hat klagen können, benimmt sich beim Betreten des Ufers wie eine, welche tagelang geknebelt im Stock gelegen hat.

Sie wirft die langen, ungraziösen Arme fuchtelnd durch die Luft, springt über Stein und Bretter, daß die Kleiderröcke wild um die Beine schlagen, und jodelt so ungeniert fröhlich, daß das Publikum seine Freude über eine derart originelle Erscheinung nicht unterdrücken kann.

Pia wird ein wenig verlegen, die verblendeten Eltern aber scheinen sich königlich über den ausgelassenen Liebling zu amüsieren. Willibald flüstert seiner Gattin etwas in das Ohr und Johanna unterdrückt mühsam ein lautes Lachen.

»Fränzchen, ich bitte Dich, betrage Dich anständig, wie es sich für eine junge Dame schickt!« sagt Fräulein von Nördlingen verweisend, als die Komtesse sich zärtlich nähert und den Arm der Cousine in den ihren legen will. »Wenn ich mich Deiner schämen muß, gehe ich keinen Schritt mit Dir!«

Fränzchen sieht ganz verdutzt aus. »Benehme ich mich so albern? – Ja, Du lieber Gott, wo soll ich es herwissen, wie eine junge Dame sich benimmt! – Aber komm, ich werde Dir jetzt alles nachmachen, Liebchen, dann wirst Du schon mit mir zufrieden sein!«

Und für kurze Zeit hatte es auch wirklich den Anschein, als wolle das Backfischchen sich recht manierlich betragen. Sie wanderte an Pias Seite am Flußufer entlang, bewunderte in gewählten Worten die große Breite des ruhigen Wasserspiegels, die zerstreut liegenden, mit Grün bewachsenen Inseln, welche wie Smaragde auf hellem Krystallgrund schimmern, und die schönen Konturen des Johannisberges, dieses »Bacchusaltars«, wie sie sich erfinderisch ausdrückte!

Man beschloß, sich die einzige Sehenswürdigkeit von Geisenheim, die Kirche mit dem von Rauchmüller verfertigten Grabdenkmal des Kurfürsten Johann Philipp, anzusehen, dann in einem Hotel nahe der Landungsbrücke zu Mittag zu essen und hierauf mittels Esel oder Maultier den Weg nach Rüdesheim am Rheinufer entlang zurückzulegen.

Der Graf ging in das Hotel, um das Nötige zu bestellen, während die Damen langsam durch die schmalen Gäßchen der kleinen Stadt wanderten.

Fränzchens Betragen blieb derart gesittet, daß die Gräfin ganz überraschte Blicke mit Pia wechselte.

Diese lächelte und drückte in der Freude über die liebenswürdige Fügsamkeit der Cousine deren Arm liebevoll an sich, was bei Fränzchen einen wahren Rausch des Entzückens zur Folge hatte.

Sie ward dunkelrot vor Freude und unterdrückte nur mühsam einen Luftsprung, welchen sie sicher gar zu gern ausgeführt hätte. Ein paar Touristen begegneten ihnen, anscheinend Maler, in sehr gehobener Stimmung.

Der jüngste und hübscheste von ihnen blickte Pia überrascht in das reizende Antlitz, dann zog er in übermütiger Ovation den Hut und schwenkte ihn der jungen Dame zu.

»Oh, Signorina bella!«

hub er ein bekanntes italienisches Ständchen an zu singen.

Ein sprühender Zornesblick aus Fränzchens Augen traf ihn, Komteßchen neigte sich jählings vor und starrte forschend in Pias Antlitz.

Als sie dasselbe sehr stolz und voll steinerner Ruhe erblickte, strahlte ihr unschönes Gesicht auf. »Das ist recht, daß Du den frechen Lümmel ganz ignorierst, Pia!« lobte sie triumphierend, im Eifer sogar den schönen Namen »Lilian« vergessend. »Ich glaube, der unverschämte Kerl steht immer noch und glotzt Dir nach! Soll ich ihm mal die Zunge herausstrecken?« –

Fräulein von Nördlingen drückte entsetzt den Arm des empörten Bäschens an sich: »Untersteh Dich nicht!« sagte sie streng. »Sieh Dich überhaupt nicht nach den Herren um! Solche Keckheiten bemerkt eine anständige Dame gar nicht!«

»Fandest Du das Scheusal etwa hübsch?«

»Aber, Fränzchen, welch ein Ausdruck!« schüttelte Pia unwillig das Köpfchen.

»Ob Du ihn hübsch fandest?«

»Ich habe ihn gar nicht angesehen!«

»Das ist recht. Mama sagt auch immer, man muß die Herren auf der Straße gar nicht mustern!«

»Geschweige ihnen als erwachsene Dame die Zunge herausstrecken!«

Komteßchen lachte: »Ich bin ja noch gar nicht erwachsen! O, Pia, wenn ich jetzt schon erwachsen wäre!« –

Ein tiefer Seufzer begleitete diese Worte: »Es geht doch verteufelt langsam damit!«

»Als Mädchen rechnet man mit sechzehn Jahren schon vollständig zu den Großen, wenn man sich danach beträgt!«

»Ja, als Mädchen!« und jählings den Kopf zu der Mutter umwendend, welche bei den letzten Worten an die Seite des Töchterchens getreten war, fuhr Fränzchen lachend fort: »In dieser Beziehung ist es wirklich gut, daß ich ein Mädchen geworden bin, Mama!«

»Wildfang Du!«

Tante Johanna blieb vor einem altertümlichen Häuschen stehen und betrachtete es amüsiert, Pia auf die wunderlich geschnörkelte Hausthüre aufmerksam machend, dann sah sie nach der Uhr und fand es an der Zeit, umzukehren, da das Essen nun wohl bereitet sein werde.

Fränzchen machte ein brummiges Gesicht: »Jetzt schon? – dann treffen wir womöglich Pias Verehrer noch einmal!«

»Freue Dich doch, wenn Deine Cousine soviel Bewunderung erregt!«

»Freuen? – Hm!«

Ein seltsamer Ausdruck lag plötzlich in dem Gesicht der jungen Gräfin, und Pia verstand nunmehr ihr seltsames Wesen. Fränzchen war eifersüchtig, wie alle häßlichen Mädchen auf die Triumphe der bevorzugten Genossinnen neidisch sind.

Neid war es aber nicht in wahrem Sinne, dazu beherrschte zu viel Herzensgüte und harmlose Heiterkeit ihren Charakter, aber eine gewisse Eifersucht machte sich dennoch geltend, und das deuchte Pia nur begreiflich und selbstverständlich. Es muß sehr hart für ein heranwachsendes Mädchen sein, seine eigene Häßlichkeit doppelt schwer neben einer hübschen Freundin empfinden zu müssen!

Vor Fränzchen blieb kein Maler stehen, sie voll Entzücken zu grüßen, und darum wallte es trotzig in ihr auf und sie ärgerte sich seiner Frechheit.

Arme Kleine! Wie manch bitterer Tropfen mag noch in den Freudenbecher Deines Lebens fallen! Pia wird gewiß nichts dazu thun, um dem jungen Mädchen den grellen Unterschied zwischen ihnen empfindbar zu machen.

Sie fühlt großes, herzliches Mitleid mit einem jungen Herzen, welches heimlich Qualen leidet, von denen andere begnadete Menschen gar keine Ahnung haben.

»Pia, – wenn der Mensch nun auf Dich wartet!« fragt die Komtesse abermals, und ihre dunklen Augen blicken beinahe flehend.

Fräulein von Nördlingen schüttelte lächelnd den Kopf. »Dann wollen wir ihm dieses harmlose Vergnügen unbeschadet lassen!«

»Du verliebst Dich vielleicht in ihn?«

Nun lachte ihre Nachbarin hell auf.

»Fränzchen, Du bist nicht recht gescheit! zu den phantastischen Menschenkindern, welche sich auf den ersten Blick in einen schönen Unbekannten verlieben, gehöre ich nicht!«

»Du bist zu stolz dazu?«

»Nenne es so, wenn Du willst.«

»Du wirst nur einen Graf heiraten?«

Da zuckte das blonde Köpfchen in dem Nacken und der mißtrauisch forschende Blick, welcher Pia in letzter Zeit eigentümlich geworden, blitzte zu der Fragerin hinüber.

»Du irrst!« sagte sie kalt; »ich werde nie nach Namen, Stellung und Mitteln eines Mannes fragen, sondern einzig den heiraten, welchen ich liebe!«

»Und wenn nun keiner kommt, den Du lieben kannst?« –

»Dann bleibe ich ledig.«

Fränzchens Gesicht strahlte: »Aber mich hast Du lieb?«

»Franziska, sei nicht so kindisch!« –

»Ich bin ja gar nicht kindisch, Mama! Ich will meiner süßen Lilian ja nur den Vorschlag machen, daß sie gar nicht heiraten, sondern immer bei mir bleiben soll! wäre das nicht herrlich, Du?«

Pia lachte abermals. »Wer weiß, Fränzchen! Es wäre vielleicht das beste und friedlichste Glück, welches ich mir wünschen könnte! Aber Du würdest auf die Dauer doch wohl nicht mit der strengen Schulmeisterin zufrieden sein!«

»Doch! doch! – o dann würdest Du mir eben keine Schulmeisterin mehr sein!« – jubelte die Komtesse und vergaß in ihrer Freude die Beherrschung, welche sie bei diesem Spaziergang gewahrt, – sie ließ Pias Arm los und stürmte nach der Hotelveranda, wo der Graf mit Friedrich im Gespräch stand.

Beide kehrten ihr den Rücken zu.

Fränzchen aber sauste heran, machte einen kunstgerechten Stütz auf je einer Schulter der beiden und schwang sich sekundenlang zwischen ihnen, wie an einem Turnreck.

Der Erbherr von Niedeck knickte unter der unerwarteten Wucht zusammen wie ein Taschenmesser und Friedrich sank ebenso altersschwach und erschrocken in die Knie, – Tante Johanna konnte aber vor Lachen kaum weiter gehen, sie preßte ihr Taschentuch gegen die Lippen und konnte gar nicht wieder zu Atem kommen.

»Wie unbeschreiblich komisch das aussah – – dieses lange Frauenzimmer – – mit den schlumprigen Kleiderröcken – – o – ich ertrage es nicht mehr!« und sie wischte die Lachthränen aus den Augen. Dann sah sie Pias betroffenes Gesicht und ward etwas verlegen. »Sie ist eine furchtbare Range, liebstes Herz! – wundere Dich nicht allzu sehr über ihre Tollheiten, welche Dir gewiß böhmisch vorkommen! Wir sind ja seit Jahren daran gewöhnt, und Willibald will's mal so, – er ist ja sonderbar in seinen Ansichten, aber des Menschen Wille ist sein Himmelreich! – Nur um eins bitte ich Dich, mein Liebling, nimm den Unsinn, welchen Fränzchen zeitweise redet, nicht allzu genau! Sie ist so begeistert, endlich in Dir eine Gefährtin und Freundin gefunden zu haben, daß ihre Liebe nun in himmelhohen Flammen brennt! Wir haben sie ja stets einsam und ohne viel Verkehr erzogen, da empfindet sie den Umgang mit Dir nun voll doppelten Entzückens.« –

*

In dem sonnigen, noch unbelaubten Rebengang, welcher sich dicht am Rheinufer, gleichsam als terrassenartiger Garten des Gasthauses hinzog, hatte man ausgezeichnet diniert, und je goldiger der schöne, echte Rheinwein in den gelben Gläsern funkelte, desto animierter ward die Stimmung der kleinen Gesellschaft. Fränzchens seliger Übermut kannte kaum noch Grenzen, und nur der ernste, erstaunte Blick aus Pias Veilchenaugen dämpfte immer noch die höchste Lustbarkeit und erstickte manch kleine Rüpelei in der Knospe.

Der Graf hatte zum Entzücken seines Töchterchens wirklich ein paar Maultiere und Esel auftreiben lassen, um den Weg bis Rüdesheim im Sattel zurücklegen zu können.

»Gerade heute sei besonders starke Nachfrage nach Eseln gewesen!« hatte der Wirt schmunzelnd bemerkt, »mehr wie drei Stück, zwei Esel und ein Maultier, könne er leider nicht beschaffen. Man einigte nun sich sehr leicht dahin, daß die Gräfin mit Jungfer, Diener und Handgepäck im Wagen nachfahren solle, während Willibald das Maultier und die jungen Mädchen die Esel besteigen würden.

Unter großem Jubel rüstete sich die kleine Kavalkade. Ein Herr hatte soeben schon – per Esel – denselben Weg eingeschlagen und Fränzchen drängte voll Ungeduld, daß der Ritt beginne. Die weiten Regencapes wurden genial zum Reitkleid arrangiert, die Eseltreiber hoben die Damen vergnüglich in den Sattel, der Graf schwang sich auf sein geduldiges »Vollblut« und mit Erlaubnis Johannas setzte sich die kleine Gesellschaft bereits in Bewegung, dieweil die Equipage später folgen und sie einholen sollte. Anfänglich, so lange noch die rechte Seite der Straße mit Häusern und Villen gesäumt war, ging die Sache ausgezeichnet.

Die köstliche warme Frühlingsluft wehte balsamisch um die erhitzten Wangen; fröhlich lachende Menschen begegneten ihnen und nickten heiteren Gruß und seitwärts strömten smaragdgrüne Rheinwogen, Schiffe und Schifflein tragend, blauen Himmel und buntbelebte Ufer spiegelnd.

Die Fahrstraße machte nun eine kleine Biegung und lag neben der majestätischen Breite des Stromes frei und gradeaus vor den Blicken.

Fernhin sah man zwei männliche Gestalten schreiten, – neben ihnen ein Esel.

Das Grauschimmelchen, auf welchem Pia Platz genommen, zuckte ein paarmal verdächtig mit den langen Ohren und hob jählings den Kopf, und während der Treiber harmlos mit seinen Kollegen und Fränzchen plauderte, setzte sich Pias Reittier plötzlich in stürmische Bewegung und galoppierte wie unsinnig davon. Alles rief und schrie.

Der Treiber raste atemlos hinterher, – Pia, eine geübte Reiterin, riß den Durchgänger so gut sie vermochte, zurück, – umsonst, der Esel legte sich starr, mit gestrecktem Halse vor und jagte haltlos weiter.

Weit zurück blieben die anderen.

»Wir müssen doch folgen! spornen Sie unsere Tiere an!« – rief Fränzchen so erregt, daß ihre Stimme überschnappte, – haute mit aller Wucht auf ihr Grauchen und animierte den Papa, ein Gleiches zu thun.

Aber so störrisch wie Pias Esel sich im Durchgehen zeigte, ebenso hartnäckig verweigerten die anderen lieben Tiere eine schnellere Gangart. –

Alles Stoßen, Schlagen, Zerren half nichts, im langsamen Trott ging es fürbaß, so daß Fräulein von Nördlingen bereits hinter dem Staubwölkchen weithin verschwand. –

»Um Gotteswillen, es wird ihr ein Unglück passieren!« – besorgte sich der Graf, und Fränzchen ward kirschrot vor Angst und Aufregung und drohte: »Ich springe ab und laufe zu Fuß hinter Lilian her!«

Der Eseltreiber kehrte resigniert zurück.

»Bitte, ängstigen sich die Herrschaften nicht!« bat er atemlos. »Der Hans läuft nicht weit! Er hat da vorn bei dem Herrn seine Grete gewittert, und da muß er hinterher!«

»Seine Grete? wer ist seine Grete?« –

»Der andere Esel, mit dem er in dem Stall steht, gnädiges Fräulein, die beiden gehen sonst immer zusammen, aber heute ließ es sich beim besten Willen nicht machen! So ein Esel hat aber auch seine Treue und Anhänglichkeit, und ich glaube, der Hans schwämme schnurgrad durch den Rhein, wenn drüben seine Grete schrie! – Na – jetzt hat er sie ja gleich erreicht! Das gnädige Fräulein hält sich großartig im Sattel, und wenn das Pärchen vereinigt ist, werden die anderen Herrschaften der Dame zu Liebe wohl auf uns warten!«

»Da vorn geht ein einzelner Herr neben dem Esel! nur ein Herr?«

»Jawohl, gnädiges Fräulein! er hat das Tier gemietet, um sein Handgepäck von ihm tragen zu lassen.«

»Ein junger Herr? etwa einer mit langen, blonden Haaren, welcher wie ein Maler aussah?« stieß Fränzchen atemlos hervor.

»Nein, meine Dame – so sah er nicht aus, wenn ich mich recht erinnere; er war ein sehr großer, brünetter Herr in Jagdkleidung mit einem recht ernsten, stolzen Gesicht! Sicherlich hatte er Frau und Kinder daheim, denn für gewöhnlich benehmen sich die unverehelichten Herren ganz anders hier am Rhein, – dann schlagen sie mit Füßen und Händen um sich, so recht über die Stränge, wie man zu sagen pflegt!«

»Hm, – und das that jener da vorn nicht?« –

»O bewahre! dem sah man den soliden Ehemann schon auf zehn Schritt weit an! da braucht sich die Herrschaft gar nicht zu besorgen! wenn das gnädige Fräulein bei ihm ankommt, dann wird ihm Fritze – was der andere Eseltreiber ist – schon die Sache von wegen Hans und Grete klar machen, und wenn er dann Zeit hat, wird er schon Kehrt machen und die Dame zu uns zurückbringen!« –

Fränzchen atmete erleichtert auf.

Wenn er ein verheirateter Mann ist, so ist ja die Sache nicht gefährlich, und wenn er gar keine Ähnlichkeit mit dem frechen Maler hat, so braucht man sich wohl in der That nicht zu beunruhigen.

Graf Willibald schien die Sache nicht tragisch zu nehmen. Er schien sich sogar über die drollige Situation, in welche »Lilian Luxor« geraten war, zu amüsieren, und die treue Liebe des Eselpaares gedachte er sogar noch zu belohnen, wie er soeben schmunzelnd sagte und sich dabei nach dem Leib- und Magenfutter des wackeren Hans erkundigte.

Da alles Prügeln, Raisonieren, Schmeicheln und Zureden nichts half, ergab sich Fränzchen schließlich auch in die Starrköpfigkeit ihres abgetriebenen Reittieres, und beschränkte sich darauf, die kleine Scene, welche sich weit vor ihnen auf der Chaussee abspielte, so gut es ging mit ihren scharfen Augen zu beobachten.

»Jetzt ist sie angelangt!« konstatierte der Treiber vergnüglich, und Graf Willibald nickte »All right!« was er als Mr. Luxor zeitweise zu thun liebte!


Druck von A. Rietz & Sohn, Naumburg a. S.

 


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