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Kapitel 12.


Das Jagdschloß Rauenstein liegt wunderbar schön im Gebirge. Auf freiragender Felsgruppe erbaut, an drei Seiten von mächtigem, uraltem Hochwald eingeschlossen, gewähren die Frontfenster den Blick weit über die Berge, bis fern hin, wo sich das dunkle Wipfelmeer in blaue Schleier hüllt und die zarten Linien der Gebirgsscheitel nebelgrau in den Wolken verschwimmen. Rauenstein selber ist ein alter, pittoresker Bau ohne Stil und Einheitlichkeit; die Laune eines längst verewigten Herrschers hat ihn aus dem Schutt einer Burgruine neu erstehen lassen, und anfänglich ganz in der Art des winkligen, spitzgiebligen Felsennestes gehalten, alsdann hat der Geschmack anspruchsvollerer Zeiten verschiedentlich daran herumgeändert und geflickt, hat hie und da einen Turm oder einen kleinen Seitenflügel angebaut, und mehr dem Inneren wie dem Äußeren Rechnung getragen.

Dennoch sieht Rauenstein mit seinem grauen Zimmerwerk und den ungleichen Fensterchen und spitzen Giebeln unvergleichlich malerisch und schön aus, zumal wenn der regierende Fürst sein Domizil darin aufschlägt, in den so wildreichen Waldgründen zu jagen.

Dann klingt und schmettert das Hüfthorn durch die klare Bergluft, dann stampfen und wiehern die Rosse und traben die rotröckigen Reiter stolz über die knarrende Zugbrücke.

Die Meute tobt an den Riemen und von dem Turm flattert das Banner, weit über die Lande hin sichtbar.

Im Sommer kann es kaum einen schöneren und idyllischeren Aufenthalt geben, als dieses alte Jagdschloß, im Winter aber gleicht es der verzauberten Königsburg, so weltvergessen und einsam liegt es im Todesschlaf unter weißem Bahrtuch und schön ist es auch dann, schön für Menschen, welche nicht der rauschenden Freuden, der betäubenden Abwechslung des Faschings bedürfen, um glücklich zu sein.

Wer in sich den Himmel findet – kann die Erde leicht verschmähen – und wer an Gottes herrlicher Natur seine Freude hat, wer die Musen und die Wissenschaft zu sich zu Gaste bittet, der wird nie, selbst in dem verschneitesten Bergschloß einsam und gelangweilt sein.

Graf Wulff-Dietrich liebte seinen alten Rauenstein im Winter ebenso wie im Sommer, und er hatte selten mit einem so nachdenklich ernsten, beinahe traurigen Gesicht am Fenster gestanden wie heute, wo der Schneesturm einen undurchdringlichen Vorhang vor Berg und Thal hängte und die dunklen Tannen zur Seite des Schlößchens beinahe zusammenbrachen unter der weißglitzernden Last ihres Winterschmucks.

Wulff-Dietrich hielt einen Brief in Händen, und der Inhalt, welchen er schon zum öftern gelesen, stimmte ihn ganz besonders ernst.

Seine Mutter berichtete ihm über den Hofball, welchen er so unbegreiflicherweise versäumt habe, denn der verstauchte Fuß würde sich doch per Wagen haben transportieren lassen, und seine Pflege dürfte im Elternhause wohl eine sorgsamere sein, als wie in dem alten Krähennest Rauenstein! –

Und dann hatte die Gräfin in geradezu überschwenglichem Entzücken von Pia berichtet, von ihrer Schönheit, Anmut und Klugheit, welche geradezu Sensation erregt habe!

»Endlich einmal ein Mädchen mit sechzehn Ahnen, welches nicht allein um dieser willen geheiratet zu werden braucht! Für Pia muß man sich begeistern, und Hartwig ist bereits der Schatten der schönen Schwägerin in spe! Wo bleibst Du, Wulff, um Dir diese Perle zu sichern? Mensch, Du ahnst nicht, was Du Dir eventuell entgehen läßt. Aber ganz abgesehen von ihrer Persönlichkeit – bedenke, mein Sohn, daß Du keine Wahl hast und Pia auf jeden Fall heiraten mußt. Dein Fernbleiben scheint die Nördlingens aber verstimmt zu haben, denn sie haben sowohl meinen, wie Hartwigs Besuch nicht angenommen, und die Eltern markierten recht verschnupfte Stimmung. Das goldlockige Töchterchen ist unverändert bezaubernd – – lieber Wulff, wir würden sehr glücklich sein, Dein Glück und das Majorat gesichert zu sehen! – Das Leben ist so rasend teuer, Hartwig gebraucht so enorme Summen, daß wir wirklich nicht mehr mit den Zinsen auskommen können, – Papa mußte bereits zum Kapital greifen und dabei lebt der Alte in Niedeck mit Weib und Kind so munter und lustig, daß gar kein Gedanke an eine baldige Erbschaft ist! Es wäre ja in einer Beziehung ganz gut, wenn Du überhaupt nicht heiratest, lieber Wulff, daß Du uns später einmal von den fürstlichen Einkünften des Majorats unterstützen könntest, denn von unserem Vermögen bleibt wohl kein Pfennig, wenn Willibald noch auf seinen Tod warten läßt! Aber es ist der Erbfolge wegen! Du und Hartwig seid die letzten Niedecks, einer von Euch muß vorschriftsmäßig heiraten, wenn der enorme Besitz nach Eurem Tode nicht an die Krone fallen soll. Hartwig würde Pia sofort mit Kußhand heimführen, aber wovon sollen sie leben! – Das Mädel hat ja außer den sechzehn Ahnen radikal nichts und Hartwigs kostspieliges Regiment, seine vielen noblen Passionen – es ist undenkbar, daß er ein Mädchen ohne sehr bedeutendes Vermögen heiratet. Aber Du, mein anspruchsloser, rührend solider Einsiedler, Du kannst ja ein armes Fräulein glücklich machen! In Rauenstein treten keine Anforderungen an Euch heran, – Ihr lebt so märchenhaft billig dort, – Du kannst jetzt, als selbständiger Mann, heiraten, also mußt Du es auch, mein Herzensboy, aus Dir bleibt es eben in jeder Beziehung hängen. Ich erwarte umgehend Nachricht, wann Du hier eintreffen wirst.«

Wulff-Dietrich seufzte tief auf und stützte den Kopf sorgenvoll in die Hand.

Welch ein hartes, trauriges Mißgeschick!

Das einzige Mädchen, welches er heiraten darf, und welche vielleicht sein Herz gewonnen und ihn glücklich gemacht hätte, dieses einzige ist ewig unerreichbar für ihn. –

Dort in seinem Schreibtisch liegt ihr Brief, in welchem sie ihm voll rührenden Vertrauens ihr armes, gequältes Herz erschließt!

Sie liebt einen anderen! Dieses Geständnis genügt, um ihre Wege für ewige Zeiten zu scheiden.

Nie und nimmer würde Wulff-Dietrich nach diesem, ihrem Briefe um ihre Hand werben.

Kein Räuber, kein Mörder würde alsdann schlechter sein, wie er, der um schnöden Goldes willen ein junges Menschenherz zertreten würde!

Sie liebt einen anderen! Und Wulff-Dietrich ist ehrenhaft genug, die heiligen Rechte dieses anderen anzuerkennen! Hat er doch selber keinen höheren, besseren Glauben, als an die Treue und Lauterkeit der Liebe!

Wehe ihm, wollte er die Braut aus dem Arm eines anderen reißen, wollte er ihr armes, gebrochenes Herz als Kaufpreis für ein Majorat hinwerfen!

Sie glaubt ihm, sie vertraut ihm! Könnte er sie täuschen und noch den moralischen Mut haben, ihr in das Auge zu sehen und Gefühle für sich verlangen, welche er soeben erst als frivol in ihr gemordet hat?

Und doch, wie viel ist es, was man hier von ihm verlangt? Nicht ihn allein macht sie arm, auch die Eltern möchten möglicherweise darunter leiden, wenn er jung sterben sollte, ohne berechtigte Erben zu hinterlassen.

Um ihn selber ist ihm nicht bange. Er kann das Opfer leicht bringen, denn er hat nie an dem Golde gehangen, er ist ein freier Mann, der auf eigenen Füßen steht und nie auf das große Erbe gewartet und gerechnet hat; aber die Eltern! –

Ach, Wulff-Dietrich kennt die Zustände in seinem Elternhause besser, als man es dort nur ahnt!

Er weiß, daß man das Vermögen verschwenderisch verbraucht und sich der großen Erbschaft getröstet.

Er hat seit jener Scene, welche sich in der Parkruine zwischen den Eltern abspielte, offene Augen bekommen, und er verurteilt den sündhaften Leichtsinn, welcher ohne Überlegung in den Tag hineinlebt, auf das schroffste.

Dennoch steht es ihm als Sohn nicht zu, dem Vater Vorstellungen darüber zu machen.

Aber was in seinen Kräften stand, um nicht an dem Ruin der Seinigen mit zu arbeiten, das hat er gethan und das wird er auch fernerhin thun.

Wie aber soll er, wenn Pia ihm selbstverständlich Schweigen auferlegt, seine Weigerung rechtfertigen, sie nicht zu heiraten?!

Ein tiefer Seufzer entringt sich seiner Brust. Er hat es Tag für Tag und Nacht für Nacht überlegt, und er kommt immer wieder zu demselben Entschluß: »Er darf es auf keinen Fall zugeben, daß er Fräulein von Nördlingen nicht heiraten will, er muß nur Gründe suchen, um sein Fernbleiben zu motivieren.«

Pia wird das Ihre thun, die Eltern gegen ihn einzunehmen, und eines Tages wird ihre Verlobung mit dem »Anderen« veröffentlicht.

Dann ist seine Komödie ausgespielt.

Mechanisch greift er zu Feder und Tinte und antwortet seiner Mutter:

»Ich schreibe Dir umgehend. Dank für Deine so gütigen Nachrichten, – wann aber meine Zeilen in Deine Hände gelangen werden, ahne ich nicht, denn wir sind zur Zeit durch den enormen Schnee von aller Welt abgeschnitten. Schon gestern ist meine Poststafette beinahe verunglückt, ich darf nicht wagen, abermals Boten nach der Stadt zu schicken, da Weg und Steg im Gebirge unpassierbar sind. Und kommt das Tauwetter, wird es abermals grundlos in den Thälern und sperrt uns von neuem ab. Ich telegraphierte darum nur kurz, daß es unmöglich, zu kommen, – und dieser Brief bringt Dir später die Auflösung des Rätsels. Du weißt es aber vom vorigen Winter, daß ich auch eine Zeitlang hier gefangen saß, darum ließ mir der Herzog gnädigerweise den Telegraph einrichten. Meinem Fuß geht es besser, aber ich würde immerhin noch fahren müssen, und wie sollte ein Wagen jetzt von unserer Höhe herabkommen! Es freut mich, daß Fräulein von Nördlingen Euch so gut gefällt; auf ein Majorat wie Niedeck wartet wohl jede junge Dame gern, also lerne ich sie wohl immer noch rechtzeitig kennen!« –

Der Schreiber warf die Feder hin und schritt voll ruheloser Hast in dem Zimmer auf und nieder.

Ein herrlicher Jagdhund erhob sich mit fragend klugen Augen von seinem behaglichen Ofenplatz und folgte dem Herrn leise hin und her wie ein Schatten.

Es dunkelt, tiefe Stille zog über Schloß und Wald. Zum ersten Male empfand Wulff-Dietrich seine Einsamkeit. Es fröstelte ihn und ein Gefühl, ähnlich dem Heimweh, überkam ihn.

Er starrte mit weit offenen Augen in das düstere, eichengetäfelte Zimmer hinein.

Dort steht der Schaukelstuhl so traulich vor dem Kamin, – aber kein Mensch sitzt darauf, und das Feuer ist niedergebrannt und leuchtet nicht mehr. Neben dem mächtigen Kachelofen ist es nur Spielerei, und er hat nie Wert darauf gelegt, daß es erhalten wird, – aber heute vermißt er den behaglichen Schein. Ja, wenn jetzt lustige Flammen darin in die Höhe prasselten, wenn in dem Schaukelstuhl eine schlanke Frauengestalt läge, mit weißen, graziösen Händen, den eisernen Haken führend, um die Glut zu schüren ...

Rote Lichter zucken über das lächelnde Gesichtchen, goldene Löckchen glänzen über der Stirn, und Wulff-Dietrich tritt leise hinter sie und neigt sich, den schimmernden Nacken zu küssen ...

Sie lächelt, lehnt sich noch weiter zurück und blickt voll süßer Träumerei zu ihm empor.

Er atmet den Duft ihres Haares, er fühlt die weichen, zärtlich fest umschlingenden Arme, Lord knurrt eifersüchtig und schmiegt sich an die Knie der schönen Herrin.

Wulff-Dietrich schrickt jäh zusammen und streicht mit der Hand über die Augen.

Wie sehnt er sich nach dem Glück – und er soll ihm entsagen, damit auf alle Fälle einmal für die Eltern gesorgt ist! ...

Pia kann er nicht heiraten, eine andere darf er nicht heimführen. Wahrlich nicht?

Wulff-Dietrich richtet sich jählings auf und dehnt mit aufleuchtenden Augen die Arme. Opfert er jetzt um fremder Liebe willen das Gold, und würde zu schwach und feige sein, es dem eigenen Lebensglück nicht auch darzubringen? –

Verflucht sei die Stunde, in welcher er, um des Reichtums willen, der Liebe entsagen wollte!

Findet er die süße, blondlockige Fee, deren Bild ihm ebenso wonnesam vorgegaukelt, dann wird er sie in sein Waldschloß heimführen, gleichviel ob sie sechzehn Ahnen aufzuweisen hat oder nicht!

Liebt er sie, so giebt es keine Wahl zwischen ihr und dem Majorat von Niedeck! –

*

Wochen waren vergangen, und ein sehr zeitiger Frühling lockte bereits Primeln und Veilchen zwischen dem jungen Wiesengrün hervor! Nie hatte die Welt so maienschön und lockend vor den Blicken gelegen wie jetzt, und wenn Wulff-Dietrich an dem spitzbogigen Hochfenster stand und hinaus auf das lachende Land blickte, dann ward sein Herz weit und voll ungestümen Verlangens, hinauszuwandern in die schöne Gotteswelt und sich ihrer Pracht und Wunder zu freuen!

Schon längst hegte er den geheimen Wunsch, einmal eine Rheinreise zu machen, eine echte, rechte Wanderfahrt durch das Land, ohne Roß und Wagen, nur mit dem Stab in der Hand als freier Bursch, welcher bleiben kann, wo ihm die Schönheit zuwinkt und welcher fröhlich weiterzieht, wenn es ihm zu Sinne steht.

Sein Bruder Hartwig verbrauchte monatlich das doppelt und dreifache, was er zu einer solchen Reise benötigt haben würde, und es wäre wohl nur gerecht gewesen, wenn die Eltern auch den ältesten Sohn einmal in die Welt geschickt hätten, wenn der jüngste kostspielige Bäder besuchte, oder zu den Rennen umherreiste. Graf Rüdiger aber hatte nie daran gedacht, unaufgefordert zu geben, und Wulff-Dietrich, welcher nie die Börse der Eltern in Anspruch genommen, hätte sich eher die Zunge abgebissen, als den Eltern für sein Vergnügen Kosten aufzuerlegen. Er wußte ja, wie es daheim um die Finanzen stand und grade das Geld, und die unwürdige, unverzeihliche Art, wie Graf Rüdiger es durch Entmündigung des völlig gesunden Vetters hatte an sich bringen wollen, war die Veranlassung zu dem unheilbaren Riß, welcher ihn mehr und mehr von dem Elternhause losgelöst hatte.

Nun, seitdem er den Gehalt eines Oberförsters bezog und in Rauenstein ein so zurückgezogenes, bescheidenes Leben führte, war es ihm möglich gewesen, aus eigenen Mitteln den Betrag für eine Reise zu ersparen, und wenn ja die Summe eine bescheidene blieb, so übte dennoch das Bewußtsein, sie eigenem Fleiß und eigener Kraft zu verdanken, einen ganz besonderen Reiz!

Der Frühling am Rhein sollte ja so ganz eigenartig schön sein, und ein Urlaub war gerade in jetziger Zeit, wo er sozusagen schon einen Stellvertreter im Hause hatte, besonders leicht zu nehmen.

Wulff-Dietrich hatte seinen kleinen Koffer gepackt und fuhr, das Herz voll jauchzender Wanderlust, zu der Bahnstation.

Einen Abstecher zu den Eltern wollte er zuvor nicht mehr machen.

Sie zürnten ihm ernstlich, daß er all ihren Bitten und Befehlen nicht gefolgt war und erst in der Residenz erschien, als Pia von Nördlingen wieder abgereist war. –

Wie schwer war ihm das alles geworden, aber es gab keine Wahl für ihn, und er hatte sich guten Mutes in sein unabänderliches Schicksal gefunden.

Als er nun so allein im Wagen saß und unter den rauschenden Kronen des Waldes dahinfuhr, durchkreuzten ganz absonderliche Gedanken sein Hirn. Er überlegte, daß es recht hemmend und hindernd für einen jungen Mann sei, als Graf Niedeck zu reisen, denn der Begriff »Noblesse oblige« war zu Fleisch und Blut in ihm geworden.

Er war ein zu vornehm denkender Mann, um jemals seinen Namen – und sei es in noch so unbedeutender Weise, herunter zu ziehen. Es gehört sich für einen Grafen Niedeck, in den ersten Hotels abzusteigen, gräfliche Trinkgelder zu geben, zu fahren anstatt zu Fuß zu gehen, kurzum, in jeder Beziehung standesgemäß aufzutreten.

An den Träger eines solch distinguierten Namens stellt man schon von vornherein ganz andere Ansprüche, als wie an einen unbekannten Oberförster oder Forstassessor, welchem es keiner verargen wird, wenn er so anspruchslos und bescheiden wie möglich seines Weges zieht.

Wulff-Dietrich lachte schalkhaft vor sich hin, so übermütig, wie es seinem ernsten Wesen sonst völlig fremd war!

Auch dieser neue Gedanke reizte ihn an und machte ihm Freude. So muß es einem Prinzen zu Mute sein, wenn er Krone und Ordensstern daheim läßt, und in den grauen Mantel des Incognitos schlüpft, nur mit dem Unterschied, daß der Prinz dabei lediglich einer fröhlichen Laune folgt, während Wulff-Dietrich, der künftige Majoratsherr und Erbe von Millionen, besorgt rechnen muß, wie er am besten und praktischsten mit seinen spärlichen Mitteln haushalten kann. Wie sollte er sich aber nennen?

Nach seiner Oberförsterei Rauenstein? –

Nein, diese dürfte allzu bekannt sein und ihn verraten.

Er war »Wulff-Dietrich Hellmuth Karl von Niedeck« getauft, anstatt sich wie sonst der beiden ersteren Taufnamen zu bedienen, sollten nun die beiden letzteren seine Reisegefährten sein.

»Forstassessor Karl Hellmuth« wollte er sich nennen, falls er benötigt wäre, überhaupt einen Namen bekannt zu geben. –

Er lachte hell auf bei diesem Gedanken, und die Vögel jubilierten und zwitscherten über ihm im grünen Gezweig, als freuten sie sich mit ihm, als wollten sie voll glückseliger Lenzeslust dem jungen Herrn dieses Waldes eine glückliche Reise wünschen! –

*

Vor dem Schloßportal von Niedeck scharrten die Rappen ungeduldig den feinen Kies, während eifrige Dienerhände beschäftigt waren, das Handgepäck, welches die gräfliche Herrschaft mit sich zu führen pflegte, in der Equipage unterzubringen. Im einfachen, aber sehr eleganten dunkelblauen Reisekostüm stand Pia von Nördlingen an der Steinmauer der Terrasse und blickte noch einmal mit schwärmerisch entzücktem Blick über das reizende landschaftliche Bild, welches sich vor ihren Augen entrollte, und ein Gedanke, welcher ihr in letzter Zeit so oft das Herz schwer gemacht hatte, kam ihr auch jetzt und umflorte ihren Blick.

Jetzt, seitdem sie Niedeck kennen gelernt und mit Herz und Seele dem Zauber dieses herrlichsten aller Besitze verfallen war, jetzt erst empfand sie voll und ganz, welch ein unsagbar großes Opfer ihr Wulff-Dietrich gebracht hatte.

Wie schwer muß es einem Manne fallen, solch ein Erbe in Besitz zu nehmen, täglich die zauberische Schönheit solcher Heimat zu sehen und sie dennoch allein und einsam genießen zu müssen, ohne eine Gattin, welche mit ihm dieses Glück genießt, ohne ein Kind, welchem er alle Pracht und Herrlichkeit einst hinterlassen könnte, und warum?

Nur darum, weil er zu edel und hochherzig gewesen war, um über ein gebrochenes Herz in dieses Paradies zu schreiten.

Ach – und wenn er gar ahnte, daß dieses gebrochene Herz nie existiert hätte, daß der »Andere« nur eine Marionette ohne Fleisch und Blut war, welche in der kleinen Komödie, welche ihm der empfindsame Stolz und Trotz eines Mädchenherzens vorspielte, nur ihre wirksame Rolle vertreten mußte!

Pia empfindet ihren Betrug von Tag zu Tag peinlicher, – und je mehr sie sich überzeugte, daß Graf Wulff-Dietrich jedes Mittel verschmähte, um sie zu einer Heirat zu zwingen, umsomehr imponierte er ihr und ward zu einer Edelgestalt, welche lebhafte Phantasie gar zu gern mit allen Tugenden schmückt. Das junge Mädchen wunderte sich im Stillen, daß Tante Johanna ihre Absicht, Graf Wulff nicht zu heiraten, auf das lebhafteste unterstützte. Seltsam, warum das?

Das ganze Benehmen und Wesen der Tante bewies es ihr, daß sie nach wie vor ihrem Herzen in zärtlichster Liebe nahe stand.

Johanna liebte Schloß Niedeck ebenso schwärmerisch wie Pia, – was wäre da wohl natürlicher gewesen, als daß sie sehnlichst gewünscht hätte, die Nichte dereinst als Herrin all dieser Pracht zu sehen, – einer Pracht, welche die eigene Tochter Fränzchen ja doch nun und nimmer erben konnte.

Der größte Teil des Barvermögens ging auf Fränzchen über und machte sie zu einer sehr reichen Erbin, das Majorat aber mußte an den nächststehenden männlichen Erben fallen.

Warum redete ihr Tante Johanna also so dringend ab, den künftigen Majoratsherrn zu freien?

Hoffte sie vielleicht auf eine Ehe zwischen ihm und Fränzchen? Sie sind ja Vetter und Cousine zweiten Grades, und solche Ehen unter Verwandten sind niemals günstig, auch ist ein solcher Gedanke wohl gänzlich ausgeschlossen, wenn man Onkel Willibalds Gesinnung kennt.

Ganz betroffen hat Pia einem Ausbruch seines leidenschaftlichen Hasses, welchen er gegen Rüdiger hegt, gelauscht.

Das gutmütige, glückstrahlende Gesicht des alten Mannes hatte sich zum Erschrecken verändert, als er von dem »teuflischen Anschlag dieses nichtswürdigen Schuftes« sprach!

Ihn, den geistig vollkommen Gesunden hatte der liebe Vetter in ein Irrenhaus sperren wollen um das Majorat um etliche Jahre früher an sich zu reißen!

Was war das anderes als ein Mord, ein lebendiges Begraben? – und nur um des elenden Geldes willen!

»O, das gedenke ich ihm! und diese Stunde soll er mir noch entgelten!« hatte er voll glühenden Rachedurstes hinzugefügt und dabei leuchtete etwas in seinen Augen, das glich einem stolzen, sicheren Triumph.

Pia begriff diesen Haß; aber sie verstand es nicht, daß Tante Johanna lieber eine Fremde hier in dem Schlosse schalten und walten sehen wollte wie die so innig geliebte Nichte.

Oder wollte Willibald dadurch dem Neffen die vorschriftsgemäße Heirat unmöglich machen, damit Graf Rüdiger den Schmerz erleben müßte, das Majorat doch nur als »leihweises Gut« in den Händen des Sohnes zu sehen?

Das würde Wulff-Dietrich immerhin doch schmerzlicher noch empfinden wie der Vater, und er verdiente doch keine Rache und Strafe, er war ein vortrefflicher, braver Mann, für den Pia eine beinah anbetende Verehrung empfindet!

Der Sohn soll und darf nicht für die Schuld des Vaters büßen, das zu verhindern, wird der Dank sein, mit welchem sie ihre Schuld gegen ihn bezahlt!

Wie viel Pläne und Ideen schwirren durch ihr Köpfchen! Am besten deucht ihr der Gedanke, später noch einmal in die Residenz zurückzukehren – später, wenn jede Heiratsidee von den Eltern aufgegeben ist, wenn sie selber die Braut oder Gattin eines anderen geworden, – und eine Audienz bei der Herzogin nachzusuchen.

Sie will alsdann der hohen Frau alles beichten, will ihr das Herz ausschütten und die Schuld bekennen, welche sie gegen Wulff-Dietrich verpflichtet. Eine moralische Schuld. Sie war die Einzige, welche er heiraten durfte, und sie wies ihn zurück. Sie hatte sich einem anderen verlobt und der Graf ist selbstlos zurückgetreten, seine eigenen Interessen ihrem Glück zu opfern.

Sein Edelsinn muß belohnt werden.

Der Herzog wird zweifellos die Macht besitzen, die fatale Heiratsklausel in der Erbfolge der Niedecks abzuändern, da sie nicht mehr zu erfüllen ist; ehemals kannte man nur das kleine, enge Vaterland zwischen den herzoglichen Grenzpfählen, jetzt ist Deutschland wieder zu einem einzigen großen Vaterland verschmolzen, und darum müssen die Niedecks auch berechtigt sein, in dieser ganzen, deutschen Heimat nach einer Gemahlin zu suchen, welche sechzehn Ahnen aufweisen kann.

Das wird alsdann nicht schwer fallen, und Graf Wulff-Dietrich kann sich eine Braut nach seinem Herzen wählen!

Pia hat mit dem Eifer und der Phantasie eines Kindes diesen Plan ausgedacht; sie macht sich nicht klar, daß wohl die Niedecks selber derartige Schritte thun würden, läge die Erfüllung ihrer Wünsche in dem Bereich der Möglichkeit.

Sie lebt sich in den schönen Gedanken ein, und beschwichtigt mit demselben jede Regung des Mitleids, welches sich in ihr Herz einschleichen will.


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